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Von A-Küche

Am 27.04.2022 verstarb Marcel K. an den Folgen des Polizeieinsatzes vom 20.04.2022 in Berlin Schöneweide. Die Polizei lügt und leugnet die Tat. Marcel war 39 Jahre und krank. Er hatte Krätze, oft Krampfanfälle und eine offene Wunde am Bein. Marcel trank Alkohol seitdem er 6 Jahre alt war. Er lebte auf der Straße. Oft war er in sozialen Einrichtungen untergebracht, die er aber schnell wieder verließ und in sein Kiez, nach Schöneweide, zurückehrte. Hier hatte er Freunde und fühlte sich zu Hause. Er war im Kiez bekannt, Feuerwehr, Rettungskräfte und die Polizei kannten seine Krankheiten, wussten von seinem Schmerzen. Notunterkünfte mochte er nicht, hier wurde er beklaut oder durch kleine Tiere gebissen.

Sein letztes Lebensjahr begann am 22.12.21 im Krankenhaus. Wenige Tage später wurde er mit seiner offenen Beinverletzung aus dem Krankenhaus geschmissen. Er ging zurück in den Kiez in eine Filiale der Deutschen Bank. Dort war es warm, da waren seine Freunde. Aktivist:innen kamen vorbei, brachten warmes Essen und versorgten sein Bein. Die Wochen vergingen und oft kamen die Cops und warfen die Menschen aus der Filiale. Das ärgerte ihn, denn danach war sein ganzes hab und Gut meist weg. Oft musste er auf Grund der Krampfanfälle ins Krankenhaus, das er nach einigen Tagen wieder verlassen musste. Dann beschloss die Deutsche Bank, ihre Filiale aus Sicherheitsgründen für ihre Kund:innen über den Winter zu schließen. Marcel saß nun tagsüber in der Kälte auf einer Bank und schlief mal auf einen Dachboden, in einen Hauseingang oder in einen Hinterhof. In eine Notunterkunft wollte er nie wieder, nachdem sich die Wunden der Tierbisse von dort entzündeten.

Den Aktivist:innen fiel es immer schwerer, seine Wunden auf offener Straße zu versorgen. Ins Krankenhaus wollte er nicht, denn da wurde ihm nie geholfen. In den folgenden Wochen kam es immer wieder zu kurzen Krankenhausaufenthalten, sein Bein entzündete sich immer schlimmer und er konnte kaum noch laufen. Die Polizei ging eines Nachts durch den Kiez, um obdachlose Menschen zu vertreiben. Es wurden immer weniger um ihn herum. Ende März 2022 saß er mit Freund:innen auf einer Bank und sie hörten im Radio einem Fußballspiel zu. Sie freuten sich schon auf warmes Essen, das, wie jeden Freitag, von Menschen aus dem Umland gekocht wurde. Plötzlich flogen Eier aus dem Wohnhaus gegenüber und verfehlten Marcel nur knapp. Kurze Zeit später kam die Polizei und ermahnte Marcel und die anderen wegen Ruhestörung. Er war wütend, dass die Cops nicht zum Wohnhaus sind, denn man wollte ihnen mit den Eiern wehtun. Marcel hatte Hunger und die Menschen mit dem Essen kamen zum Verteilen. Doch die Bullen gingen dazwischen und erklärten ihnen „sie möchten doch bitte wo anders Essen verteilen, die würden ja hier drauf warten und so würde man sie ja nicht los“. Außerdem wäre das jetzt eine polizeiliche Maßnahme und da wäre es „eh nicht drin“. Die Menschen drehten mit dem Essen um und Marcel musste hungrig einschlafen.

Am 16.04. gab es dann eine Kundgebung gegen die Verdrängung obdachloser Menschen in Schöneweide auf Grund dieser Vorfälle. Marcel genoss den Tag, es gab warmes Essen und gute Musik, für ihn war es eine Party. Er bedankte sich bei den Organisator:innen, besorgte eine Schachtel Pralinen für alle. Seinen Freund:innen erzählte er noch einen Tag später, dass es der schönste Tag seines Lebens war. Noch nie hatte es so eine Party für ihn gegeben.

Am 20.4 suchte er am Abend mit zwei Freunden einen Schlafplatz. Diesmal wollten sie im Innenhof der Brückenstr.1 hinter dem Waschcenter schlafen. Sie legten sich hin, Marcel trank noch ein Schluck Bier, stellte seine Flasche hin und schlief ein. Gegen 23 Uhr, wurde er durch lautes Gebrüll wach. Er und seine Freunde sprangen auf. Es war die Polizei. Marcel verspürte starken Schmerz am verletzen Bein, er schrie vor Schmerz, schmiss dabei seine Flasche Bier um. Es war ein Cop, der an sein Bein zog. Seine Freunde rannten weg. Sie konnten nur aus der Ferne zusehen wie immer mehr Cops auf Marcel einschlugen, sie setzen Pfefferspray ein. Marcel lag leblos am Boden, ein Krankenwagen wurde gerufen. Marcel wurde reanimiert und ins Krankenhaus gebracht.

In der Pressemittelung der Polizei vom 21.04.2022 stand später: „Der alkoholisierte 39-Jährige versuchte weiter, sich den polizeilichen Maßnahmen zu entziehen, litt dann aber plötzlich unter Atemnot und verlor das Bewusstsein. Die Beamtinnen und Beamten leiteten umgehend Reanimationsmaßnahmen ein und alarmierten einen Rettungswagen. So konnte er stabilisiert werden und kam mit dem Rettungswagen zur weiteren Behandlung und stationären Aufnahme in ein Krankenhaus.“

Aktivist:innen versuchten später seinen Verbleib ausfindig zu machen. Bei Anrufen in Krankenhäusern wurde Marcels Aufenthalt stehts verneint. Der Rettungsdienst behauptete, es hätte keinen Transport in ein Krankenhaus aus Schöneweide gegeben. Beim Versuch, die Tat öffentlich zu machen, wurden Aktivist:innen von der Polizei kriminalisiert. Am 2.6 erfuhren dann seine Freund:innen, dass Marcel tot ist. Er starb am 27.4.2022 an den Folgen des Polizeiangriffs vom 20.04.2022. Marcel ist tot, die Polizei hat ihn ermordet.

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#Titelbild: Malteser Obdachlosenhilfe

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Anetta Kahane ist bei den Sicherheitskräften des Landes ein gern gesehener Gast. So referierte sie Mitte November bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA), einer Veranstaltung, bei der die Bundesbehörde regelmäßig den Diskurs simuliert, aber tatsächlich vor allem ihre Forderung nach mehr Geld und Befugnissen argumentativ absichert. In einem moderierten Gespräch äußerte sich Kahane per Videoschalte zur Zusammenarbeit von Polizei und „Zivilgesellschaft“ – und zwar an der Seite von Thilo Cablitz, dem Pressesprecher der Polizei Berlin. Das zeigt vor allem eines: Die Gründerin und Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) hat keine Berührungsängste, jedenfalls wenn es um die Behörden geht, die in der BRD für Repression und Machtabsicherung zuständig sind.

Nicht nur für diesen Kuschelkurs zieht die in Heidelberg sitzende Stiftung schon seit längerer Zeit Kritik von radikalen Linken auf sich und das durchaus zu Recht. Wie der aktuelle Zoff um einen Tweet von Dan Kedem, einem der Landessprecher der Linksjugend Solid Berlin, erneut gezeigt hat, sind Kahane und ihre Stiftung Teil eines sich linksliberal gebenden Milieus, das tatsächlich staatstragend und systemerhaltend agiert, sich von den Herrschenden für ihre Zwecke einspannen lässt und daher im Ergebnis mehr Schaden anrichtet, als zu helfen.

Die Nähe der AAS zu den Sicherheitsorganen ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer politischen Positionierung. Es ist bezeichnend, dass Kahane und ihre Stiftung nicht nur mit der Polizei gut können, sondern auch mit dem Verfassungsschutz keine grundsätzlichen Probleme haben. Mit Stephan J. Kramer sitzt der Chef des thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz im Stiftungsrat. Der als Erwachsener zum Judentum konvertierte Kramer war lange Generalsekretär des Zentralrats der Juden, bevor Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) ihn Ende 2015 an die Spitze seines Verfassungsschutzamtes holte mit dem Ziel, dieses zu „demokratisieren“. Im Stiftungsrat der AAS saß der Jurist schon bevor er den Behördenposten übernahm.
Das hielt diverse antirassistische Initiativen, darunter die Kölner Initiative „Keupstraße ist überall“, die Opfer des NSU-Terrors unterstützt, im Juli 2016 nicht davon ab, in einer Erklärung Kritik zu üben. Moniert wurde dabei nicht nur das Verbleiben Kramers im Stiftungsrat der AAS, sondern auch ein Auftritt Kahanes bei einem Symposium ostdeutscher Verfassungsschutzämter. Eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten sei „für uns nicht vereinbar mit der Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus“, konstatierten die Initiativen. Kahane erklärte damals gegenüber der Zeitung Neues Deutschland, an Kramer festhalten zu wollen. Die AAS werde weiterhin mit Vertreter:innen des Verfassungsschutzes sprechen und versuchen, Reformen durchzusetzen.

Kahanes Äußerungen sind ebenso wie das Vorhaben von Kramer und Bartsch, den Verfassungsschutz „reformieren“ zu wollen, Ausdruck einer Haltung, die mit naiv noch schmeichelhaft umschrieben ist. Da versucht offenbar der Schwanz mit dem Hund zu wedeln. Diese Haltung ist typisch für das erwähnte sich meist linksliberal gerierende Milieu, das seinen Frieden mit dem System gemacht hat. Weil es von einer tiefer gehenden Analyse der Verhältnisse absieht, unterschätzt es die Macht der Apparate, deren Eigendynamik und schlechten Absichten, glaubt an die „wehrhafte Demokratie“, wie sie der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP gerade postuliert hat.

Die Amadeu Antonio Stiftung ist sozusagen qua Amt zu diesem Glauben und dem Verzicht auf fundierte Kritik verpflichtet. Wer jedes Jahr Millionen vom Staat bekommt, um die „demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“ (Selbstdarstellung), der wird es sich mit diesem Staat nicht verderben wollen. Dass Kahane und die AAS bei den Repressionsbehörden hoch willkommen sind, hat aber noch einen anderen Grund. Leistet die Stiftung doch für die Legitimation der Apparate und dieses Staates unschätzbare Dienste, die weit über den Verzicht auf Fundamentalkritik hinausgeht. Es ist eine Art Ablasshandel oder wie man heute eher sagen würde: ein Win-Win-Geschäft.

Mit den Millionen an Steuergeldern, die an die Stiftung zur Förderung von Projekten überwiesen werden, kauft sich der Staat frei von der Verpflichtung, rechts genauer hinzusehen. Das wird kurzerhand an die AAS und ähnliche Träger delegiert. Zugleich stellen Kahane und ihr Laden den Herrschenden nach der Devise „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ einen Persilschein aus. Und die Amadeu Antonio Stiftung hat ihren Geldgeber:innen noch mehr anzubieten. Sie hetzt gegen alle, die Rassismus und Rechtsextremismus nicht als bedauerlichen Auswuchs einer ansonsten ganz wunderbaren Ordnung, sondern sie als systemisch, als logische Folge der kapitalistischen Verhältnisse begreifen. Dazu nutzt die Stiftung extensiv den Antisemitismus-Vorwurf, was immer wieder zu Zoff mit radikalen Linken führt.

Kritik an Israel und jegliche Unterstützung für die Palästinenser:innen wird von der AAS in einer besonders penetranten Weise mit Antisemitismus gleichgesetzt. Für die Stellungnahmen von Kahane sind solche Sätze typisch: „Antisemitische Zuschreibungen gegen Israel als jüdischen Staat sind die moderne Form des Antisemitismus, die Rechtsextreme über muslimische Milieus bis hin zur Linken eint. Unter dem Mantel der Israelkritik und des Kapitalismus-Bashings werden Juden zum Opfer von Hass und Gewalt.“

Wer es wagt, diese absurde Darstellung zu kritisieren, findet sich schnell im Mittelpunkt eines Shitstorms wieder. So wurde Dan Kedem von der Linksjugend Solid Berlin, selbst Jude, Mitte November Opfer einer regelrechten Hetzkampagne. Er hatte einen Post retweetet, in der die AAS erklärte, wer sich mit der Forderung nach Freiheit der Palästinenser:innen „from the river to the sea“ gemein mache, fordere die Zerstörung Israels. Als Kommentar schrieb Kedem dazu:

„Amadeu Antonio Stiftung liquidieren!“

Auch wenn das Verb im Zusammenhang mit einer Stiftung deren Auflösung meint, war diese Wortwahl mindestens ungeschickt. Kedem zog den Tweet dann auch schnell zurück und twitterte: „Zur Klarstellung – dieser Tweet war ein Shitpost. Die AAS halte ich für eine problematische Stiftung, die Arbeit leistet, die mich und viele andere linke Juden extrem beeinträchtigt. Wie man das anders lesen kann als „ich finde die AAS doof” ist mir wirklich unerklärlich.“

Diese Entschuldigung bewahrte ihn aber nicht vor der alsbald losgetretenen Kampagne, an der sich auch die Führung des Landesverbandes seiner Partei beteiligte. Die nutzte die Gelegenheit mit Kritik an Kedem und den neuen Sprecher:innenrat von Solid Berlin anzuschließen. Der hatte nämlich zuletzt die „Reformer“ der Berliner Linkspartei und ihre Orientierung auf eine Koalition mit SPD und Grünen massiv von links kritisiert.

Auf der Website klassegegenklasse.org wurde zur Solidarität mit Kedem aufgerufen. Jüdische und migrantische Stimmen würden insbesondere dann diskreditiert, „wenn sie nicht mit der staatstragenden Ideologie einhergehen“, hieß es dort. Stiftungen wie die Amadeu Antonio Stiftung und auch Die Linke stellten sich „hier immer wieder auf die Seite der Kriminalisierung von Widerstand gegen Besatzung und Unterdrückung“. Auch bei Twitter gab es neben Kritik auch Zuspruch für den Berliner Solid-Landessprecher. Die Bewegung „Palästina spricht“ twitterte: „Sie will Aufklärungsarbeit leisten, sich gegen Rassismus einsetzen & eine demokratische Zivilgesellschaft stärken. Doch statt diese Ziele durchzusetzen, bleibt die Amadeu Antonio Stiftung selber lieber unaufgeklärt, verbreitet antipalästinensischen Rassismus & zionistische Propaganda.“ Ein User warf der AAS bei Twitter vor, Menschen, die Kapitalismuskritik üben, als antisemitisch zu framen.

Dass Kahane tatsächlich kein perfides und reaktionäres Argument zu viel ist, wenn es darum geht, linke Kapitalismuskritiker:innen zu diffamieren, hatte sie im Sommer 2017 bewiesen. Im Juli des Jahres, kurz nach dem G-20-Gipfel in Hamburg, fiel sie der Protestbewegung im stiftungseigenen Portal Belltower News in den Rücken. „Linksextremismus ist keine Kinderkrankheit, sondern eine autoritäre, antidemokratische Ideologie“, schrieb sie damals. Dreist reduzierte die Autorin die Kapitalismuskritik auf „Feindseligkeit gegenüber Eliten“, die kein rechts und links kenne, und schlug mühelos die Brücke von dort zum Antisemitismus-Vorwurf: Der sei „das Grundgeräusch des Eliten-Bashings“. Wortreich verteidigte Kahane den Kapitalismus und die Globalisierung.

Fassungslos machen die kritische:n Leser:in folgende Sätze aus dem Beitrag: „Linke kritisieren den Kapitalismus in globalisierter Form grundsätzlich und sehen hier nur Elend und Zerstörung. Ihre Antwort für die Menschen in den Entwicklungsländern: „Lieber arm als ausgebeutet“ oder „lieber authentisch als industrialisiert“ ist ignorant, zynisch und in ihrem Wesen auch rassistisch.“ Diese Linken wollten „den Menschen in der nicht-weißen Welt die Art von Fortschritt vorenthalten, den sie selbstverständlich für sich selbst in Anspruch nehmen“.

Bleibt nur hinzuzufügen: Von Kahane und ihrer Stiftung geht vielleicht mehr Gefahr aus als von denen, die sie angeblich bekämpft, den Rassist:innen und Nazis. Denn sie verwirren die Maßstäbe und entziehen letzten Endes einem entschlossenen Kampf gegen Rechts jede Grundlage. Man kann also davon ausgehen, dass die Amadeu Antonio Stiftung auch unter der „Ampel“-Koalition weiter mit Steuergeldern gemästet wird.

# Titelbild: Kuscheln mit Bullen – Anetta Kahane zusammen mit dem Berliner Polizeisprecher Thilo Cablitz auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA), Foto: BKA

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Der Prozess ist zwar bereits einen Monat her, aber die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt, wurde ihm nicht zuteil. Am 10. Oktober wurde der Polizist Tony A. vor dem Berliner Amtsgericht zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Angeklagt war der Hobby-Bodybuilder und Hundenarr wegen drei Körperverletzungen im Amt, gerichtet jeweils gegen Gefangene seiner Einsatzhundertschaft. In zwei Fällen wurde er verurteilt, in einem erging ein Freispruch – da der Geschädigte mittlerweile verstorben war.

Das Kuriosum: Eine Kollegin hielt sich an geltende Gesetze und zeigte Tony A. an.

Die Übergriffe des A. ereigneten sich in Gefangenentransportern. Unter den Opfern: Ein kurdischer Jugendlicher, der im Dezember 2018 an einer Demonstration gegen das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) teilgenommen hatte. Schon in Gewahrsam drangsalierte der Beamte A. den Inhaftierten mit Faustschlägen. Seine Kollegin Lisa G. beobachtete den Vorfall – und es war nicht das erste Mal.

Bereits zuvor hatte sie Tony A. dabei erwischt, wie er zuschlug. Der Prügel-Cop habe zwar dafür gesorgt, dass er alleine und relativ unbeobachtet mit seinen Opfern im Polizeiwagen schalten und walten konnte, aber G. sah genauer hin. Sie wies ihn zurecht. Er habe daraufhin zu ihr nur gesagt: „Wenn das nächste Mal sowas ist, dann guckst du nach vorne ausm Fenster, das geht dich nichts an“, erinnert sich Lukas Theune, Anwalt des kurdischen Geschädigten, im Gespräch mit lower class magazine an die Aussage.

Der Fall landet nach wiederholtem Zuschlagen durch A. bei dessen Vorgesetzten. A. ist schon ein Jahr vor dem Prozess außer Dienst, krankgeschrieben. Durch die Einheit A.s geht ein Riss, dokumentiert der Prozess. Einige der vorgeladenen Beamten decken das Verhalten, wollen nichts bemerkt haben. Andere räumen ein, es sei zumindest unprofessionell gewesen, dass er sich alleine mit Gefangenen im Transporter aufhielt.

Das Erstaunliche an dem Fall ist nun nicht, dass ein Polizist Gefangene misshandelt. Wer öfter mit den Hooligans in Uniform zu tun hatte, weiß, dass es sich um keinen Einzelfall handelt. Viele der Übergriffe werden nicht angezeigt, weil klar ist, dass es im Regelfall aussichtslos ist, gegen den Korpsgeist und das Schweigekartell der Kameraden in Uniform juristisch anzukommen. Und die Fälle, die zur Anzeige kommen, haben eine überaus geringe Chance auf Erfolg. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung des Kriminologen Tobias Singelstein kam 2019 auf etwa 12 000 Fälle von Polizeigewalt jährlich. Von den Staatsanwaltschaften bearbeitet wurden in den Jahren zuvor etwa 2000 Fälle jährlich, zu einem Gerichtsverfahren kam es in weniger als zwei Prozent, zu einer Verurteilung in weniger als einem Prozent der Fälle.

Der Grund: Beamte belasten einander so gut wie nie, Staatsanwälte pflegen ein Nahverhältnis zur Polizei, Polizisten gelten als besonders glaubwürdig vor Gericht.

Dass eine Beamtin nun einen Kollegen zur Rechenschaft zieht und Anzeige stellt, ist insofern ein Novum. „Das ist sehr besonders. Das haben auch alle gesagt, das kommt so gut wie nie vor. Mir ist es auch noch nicht untergekommen. Insbesondere in so einer Hundertschaft und wegen Körperverletzung im Amt“, wundert sich auch Rechtsanwalt Theune.

Die Beamte Lisa G. wirkt in dieser Geschichte wie eine Heldin. Allerdings tat sie nur, was rechtlich selbst in diesem Staat geboten war: Die Unterlassung der Anzeige wäre Strafvereitelung im Amt gewesen. Dennoch ist die Anzeige zweifellos couragiert: Man kann sich vorstellen, wie eine Kollegenschaft, die nie dergleichen tut und es zum überwiegenden Teil als Verrat wahrnimmt, Straftaten von Kameraden anzuzeigen, darauf reagiert. Und man kann sich, legt man die Zahl von 12 000 derartigen Übergriffen zugrunde, vorstellen, wie viele Beamte lieber wegschauen oder mitmachen.

# Titelbild: pixabay

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Zwei ehemalige Berliner Polizeischüler wurden am Freitag vom Landgreicht Berlin vom Vorwurf freigesprochen „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verwendet zu haben. Den beiden Angeklagten war vorgeworfen worden bei einem Basketballspiel in Berlin am 27. April 2018 „Sieg Heil“ gerufen zu haben, als sie dort privat einen Geburtstag feierten. In der ersten Instanz waren die beiden Angeklagten B. und W. noch zu Geldstrafen verurteilt worden. Ein dritter in der ersten Instanz Angeklagter hatte seine Berufung zurückgezogen und ist damit rechtskräftig verurteilt. Nach Angaben der B.Z. ist er auch seinen Job als Polizist los. Die beiden jetzt Freigesprochenen dürfen, sofern das Urteil rechtskräftig wird, ihren Job behalten.

Das Verfahren war zur Anklage gekommen, weil zwei Sozialarbeiter*innen, zusammen mit von ihnen betreuten Jugendlichen, im selben Block waren, wie die Angeklagten. Die Gruppe der Angeklagten war den beiden schon vor den von Ihnen beobachteten und gehörten „Sieg Heil“ Rufen unangenehm aufgefallen. Sie hätten bei Ballkontakten von Schwarzen Spielern „Affengeräusche“ gemacht und als Cheerleader auftraten „Ausziehen“ gebrüllt. Der Anwalt von B. bezeichnete das vor Gericht als „unflätiges Verhalten“. Teil der juristischen Auseinandersetzung war diese Zurschaustellung von rassistischem und chauvinistischen Gedankengut aber nicht. Der Angeklagte B. Habe dann, was er auch vor Gericht eingeräumte, „den Adler gemacht“, also die Arme ausgebreitet, und „Sieg“ gerufen. Die beiden Zeug*innen haben dann gesehen und gehört, wie die beiden anderen Angeklagten W. Und F. „Heil“ gerufen haben, was der Angeklagte W. im Verfahren vehement bestritt.

Die Sozialarbeiter*innen kontaktierten daraufhin den Sicherheitsdienst, damit die pöbelnde Gruppe der Halle verwiesen werden konnte was dann, nach Aufnahme einer Anzeige und Gegenüberstellung, auch geschah. Dass es sich bei den Angeklagten um angehende Polizisten handelte wurde erst im Laufe der ersten Gerichtsverhandlung klar.

Im Laufe des Prozesses wurden auch weitere Polizeischüler, die auf der Geburtstagsfeier waren, als Zeugen gehört. Diese gaben an weder „Sieg“ noch „Heil“ gehört zu haben. Einem von ihnen, H., hatte der in der ersten Instanz rechtskräftig verurteilte F. allerdings gestanden „Heil“ gerufen zu haben.

Ein in der jetzigen Verhandlung zentraler Punkt war die Frage, ob es denn in der Halle laut gewesen sei. Diese angenommene Laustärke war dann auch ausschlaggebend für den Freispruch. Der vorsitzende Richter und die beiden Schöffinnen sahen es nicht als erwiesen an, dass erstens der „Sieg“ brüllende Angeklagte B. die – trotz der zwei Zeug*innenaussagen – nicht als gesichert gewerteten „Heil“-Rufe der beiden neben ihm Sitzenden gehört habe. Zweitens müssten die „Heil“-Rufe, die das Gericht wie gesagt nicht als erwiesen ansah, so leise gewesen, dass der Vorsatz, diese an die Öffentlichkeit zu richten, nicht nachzuweisen sei.

Das Gericht ist damit wohl einem alten Trick aus der rechten Fußballfanszene auf den Leim gegangen. Zum einen sind „Sieg“- Rufe bei weitem nicht so üblich, wie vom Gericht angenommen, auch nicht beim Fußball. „Das war in den 90er Jahren in den Stadien vor allem in Ostdeutschland so, dass Leute „Sieg“ gerufen haben und die anderen im Wechsel dann „Heil“. So dass die Leute einzeln nicht belangt werden konnten. Später sind Fanszenen darauf umgestiegen, das nicht mehr ganz so eindeutig zu machen und nur noch „Sieg“ zu rufen“, erklärt Max Kulik, aktiver Fußballfan dem LCM. „Fanszenen die permanent „Sieg“ rufen sind aber auf jeden Fall verdächtig, der Nachweis ist natürlich schwierig. Im Verlauf der Zeit haben sich dann durch die Umpolitisierung von Ultras Fanszenen gebildet, die das nicht mehr ganz eindeutig herleiten, die das einfach rufen, weil das schon immer gerufen wurde.“

Der Zeuge und Polizeischüler H. hat übrigens wegen des Verfahrens den Kontakt zu allen Angeklagten abgebrochen. Er finde der Vorwurf sei „schwerwiegend“ und gehe nicht mit dem zusammengehe, wofür er stehe.

Rassismus, Chauvinismus und ein Hang zum laxen Umgang mit Nazis in den eigenen Reihen sind in der jüngeren Vergangenheit immer wieder an die Öffentlichkeit geraten. Nach den diversen Skandalen der letzten Zeit um Chatprotokolle und rechte Preppergruppen innerhalb des Polizeiapparats, ist der hier verhandelte Fall ein weiterer in in einer langen Reihe von sogenannten Einzelfällen.

Sollte H. Seine konsequente Haltung weiterhin durchziehen, wird er in Zukunft also wohl öfter Selbstgespräche führen müssen. Der in der ersten Instanz verurteilte F. wird sich hingegen wohl ärgern, dass er nicht auf die Milde und das Verständnis des Gerichts gewettet hat.

# Titelbild: Christian Zeiner, CC BY-SA 2.0, Symbolbild, Mercedes Benz Arena, Alba Berlin vs. BBC Bayreuth 2011

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Bullenschau in Berlin. Es war eine große Parade am Freitag in Friedrichshain. Die deutsche Polizei durfte endlich mal wieder vorführen, was sie für angriffslustige Jungbullen und fabelhafte Gerätschaften im Stall hat. „Die Polizei ist drin!“ jubelte Bild am Freitagvormittag, als die mit Schützenpanzer angerückten Cops den Eingang zur Liebig 34 aufgebrochen hatten. Und mit dem Drecksblatt aus dem Hause Springer freute sich das gesamte reaktionäre Gesindel des Landes. Frei nach der Devise: Heute haben wir es den „linken Zecken“ mal wieder so richtig gezeigt – das Hausprojekt Liebig 34 platt gemacht, ein „Symbol der linken Szene“, wie auch die Lohnschreiber der Konzernmedien zu wissen meinten.

Die Räumung des linken Hausprojekts am 9. Oktober war ein Festtag für alle Law-and-Order-Fans des Landes, soviel steht fest. Was haben sie in den vergangenen Wochen und Monaten nicht alles erleiden müssen. In den Medien ging es ständig nur um Polizeigewalt, Racial Profiling, „Black Lives Matter“ und rechte Netzwerke bei Polizei und Bundeswehr. Da musste gar ein CDU-Innenminister sich zerknirscht geben, weil zwei Dutzend Polizeibeamte in seinem Dienstbereich sich in Chats an Hitler-Bildern und Hakenkreuzen ergötzten. Dabei war das doch alles nur Spaß, da ist man doch nicht gleich ein Nazi, oder wie?

Aber ganz im Ernst. Ein Einsatz wie der am Freitag an der Liebigstraße muss für die Polizei wie Ostern, Weihnachten und Schützenfest an einem Tag gewesen sein, Balsam für die von „rot-grün-versifften“ Medien zuletzt gerissen Wunden. Endlich konnten sie es denen heimzahlen, die sie vor allem und zuerst dafür verantwortlich machen, dass sie an den Pranger gestellt werden: die Linken oder „Linksextremisten“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Endlich durften sie wieder mal nach Herzenslust und straflos zuschlagen. Und das auch noch mit Rückendeckung eines „rot-rot-grünen“ Senats! Besser geht es doch nicht.

Auch der Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte offenbar das Gefühl, dass der Tag der Räumung für die Polizei eine Art Volksfest ist. Bereits am Donnerstag verbreitete die Organisation bei Twitter den folgenden Tweet: „Morgen steht ein Einsatz an – Wir lassen Euch nicht allein und haben da mal was vorbereitet: Currywurststand in der Friesenstraße.“ Und darunter stand noch: „Du räumst die Liebig34 – wir sorgen für die Energie“. Ein ebenso unpassender wie grotesker Spruch, der irgendwie nach „Mars macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel“ klang. Bei der GdP scheint man den Einsatz eher lustig gefunden zu haben, so wie Kirmes mit Scheibenschießen und „Hau den Lukas!“.

Natürlich ließ man es sich nicht nehmen, am Freitag Fotos vom Grillstand an der Friesenstraße bei Twitter zu posten. Und teilte der interessierten Öffentlichkeit noch mit, dass auch GdP-Landeschef Norbert Cioma vorbeischaute, um Würstchen für „die Kollegen“ zu wenden. Selbiger Cioma hatte am Vortag beim RBB-Fernsehen übrigens das Versagen der Polizei bei der Aufklärung rechter Anschläge in Neukölln klein geredet. Und wiederum zwei Tage davor hatte er eine merkwürdige Einstellung zur Durchsetzung geltenden Rechts erkennen lassen. Zur vom Senat wegen der Coronalage beschlossenen Sperrstunde erklärte Cioma dem Tagesspiegel, die Polizei reiße momentan „eine Überstunde nach der anderen ab“. Da würde man Verstöße gegen die Sperrstunde „eigentlich nur bei Einrichtungen rund um die Liebig 34 kontrollieren können.“

Von der GdP kamen also die Grillwürstchen zur Räumung. Kaffee und Kekse lieferte dagegen die AfD und zwar in Gestalt ihres Bundestagsabgeordneten Johannes Huber. Der postete am Freitagmorgen Fotos, die ihn an der U-Bahnhaltestelle Frankfurter Tor zeigen. Text dazu: „Die GdP Hauptstadt liefert die Currywurst und ich bringe den mutigen Einsatzkräften Kaffee und Gebäck. Ich wünsche einen erfolgreichen Einsatz und dass alle gesund nach Hause kommen.“ GdP und AfD Hand in Hand als Caterer der Polizei beim Abräumen eines linken Projekts – wundert sich da jemand? Ganz zu Recht wiederholten diverse User in den „sozialen Netzwerken“ die Forderung, die GdP endlich aus dem DGB zu werfen. Wird Zeit.

Was Aktionen und Äußerungen zum Thema Liebig 34 angeht, ließ sich all das nur noch von einem toppen: vom grünen Ultra Cem „Halt die Fresse, wir sind in Deutschland!“ Özdemir. Der griff bei Twitter eine Äußerung einer Bewohnerin der Liebig 34 auf einer Pressekonferenz auf. Laut Spiegel hatte sie gesagt, man kämpfe für das Projekt „mit allen Mitteln, mit allen Kräften“ und sehe sich „in Konflikt und Konfrontation mit diesem kapitalistischen Staat und seinen Repressionsorganen“. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Aber Özdemir fiel dazu folgender Satz ein: „Als gegen Sexismus, Faschismus & Nationalismus kämpfendes migrantisches Arbeiterkind sage ich: wer so redet & handelt steht auf der anderen Seite!“

Was lehrt uns das? Man kann ein migrantisches Arbeiterkind sein und glauben, gegen Faschismus und Nationalismus zu kämpfen – der Oberleutnant d. R. Cem Özdemir bleibt dabei doch am Ende ein Reaktionär, Kriegstreiber und glühender Fan von Militärinterventionen und Sanktionen, der dieses marode System, in dem er sich ganz prima eingerichtet hat, mit „allen Mitteln und Kräften“ verteidigt.

# Titelbild: ©PM Cheung, Bullen und ein Ball am Morgen der Räumung

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Anfang vergangener Woche machten auf Instagram Bilder eines jungen Mannes mit mehreren Kopfverletzungen die Runde. Zwei Brüder, Jecki und King_S, waren in der Nacht vom 16. auf den 17. August von Berliner Beamten festgenommen worden. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei, von Schlägen, Beschimpfungen und Misshandlungen ist die Rede.

Eine Pressemeldung der Berliner Polizei zu dem Vorgang gibt es nicht, eine schriftliche Anfrage von lower class magazine blieb bislang unbeantwortet. Wir haben uns mit den beiden jungen Männern getroffen und mit ihnen über den Vorfall gesprochen.

Ihr habt auf Instagram eure Begegnung mit der Berliner Polizei vom vorvergangenen Wochenende öffentlich gemacht. Was ist an diesem Abend geschehen?

Jecki: Wir waren zu zweit mit zwei Freundinnen im Mauerpark, haben Musik gehört und gechillt. Es war schon etwas später, ein bisschen dunkel und schon menschenleerer. Da kam so ein Typ vorbei, der Glasflaschen gesammelt hat. Der wollte eine halbvolle Flasche von uns nehmen, wir haben gesagt, er soll die nicht mitnehmen. Dann gab es eine verbale Auseinandersetzung, der Typ hat angefangen, uns zu beleidigen und so. Aber dann ist er zunächst wieder gegangen.

Nach zwanzig Minuten kam er wieder, aber nicht allein. Ein Kumpel von ihn, eine Frau waren dabei und sie hatten jetzt zwei Kampfhunde. Dann haben sie meine Bruder angegriffen und es kam zu einer Auseiandersetzung.

Gab es während des Angriffs rassistische Bemerkungen?

Jecki: Ja, die haben ihn auch N**** genannt und so.

King_S: Er hat seinen Hund auf mich gehetzt. Ich habe davon auch Bissverletzungen.

Was ist dann passiert?

Jecki: Wir sind dann weggegangen, zur Tram an der Bernauer. Wir sind losgefahren, ein paar Stationen später kam dann aber die Polizei rein. Einer der Beamten hat gesagt, wir sollen mitkommen. Ich habe gefragt, warum. Er hat nichts dazu gesagt, sondern mich nur aufgefordert, aufzustehen und mich umzudrehen. Ich habe wieder gefragt, warum. Auch da hat er nicht geantwortet, sondern direkt versucht, mich mit Gewalt festzunehmen. Dann hat er meinen Bruder am Nacken gepackt. Sie waren sehr grob zu ihm, sodass auch drei, vier Passantinnen sich beschwert haben und gefragt haben, warum die so mit ihm umgehen. Er hat nur gesagt, das gehe sie nichts an.

King_S: Dann hat er mich aus der Bahn rausgeholt. Und als ich draußen war, hat er mir ins Ohr gesagt: „Du Wichser, du wirst sehen, was ich mit Dir mache.“ Meine Handschellen waren sehr fest, man sieht ja immer noch die Narben. Ich sagte: Können Sie bitte meine Handschellen lockern? Aber ich wurde nur beschimpft, als Arschloch, als Affe. Und ich wurde bedroht. Er hat mich dann hinter das Auto mitgenommen, sein Bein war vor meinem und er hat zwischen den Handschellen nach oben gerissen. Er hat mich so auf den Boden geworfen und auf dem Boden war eine Bordsteinkante, da bin ich dann mit dem Kopf dagegen. Ich habe nur noch Blut gesehen und gesagt: Mein Kopf blutet. Und er antwortete nur: Halt deine Fresse, Halt dein Maul.

Du warst zu diesem Zeitpunkt auch schon festgenommen, Jecki?

Jecki: Ich war da noch in der Tram. Sie haben ihn zuerst rausgezogen. Und als sie mich rausgezogen haben, habe ich nur gesehen, wie er bewusstlos auf dem Boden lag.

King_S: Als ich da lag knieten sich ein Polizist auf meine Beine, einer auf meinen Nacken. Und ich habe dann irgendwann keine Luft mehr gekriegt. Auch als ich schon am Boden lag und blutete, haben sie nicht aufgehört, mich zu schlagen. Ich hatte ja viel Blut verloren und wurde einfach bewusstlos. Dann kam irgendwann ein Krankenwagen, ich kann mich noch erinnern, dass ich kurz aufgewacht wird und eine Krankenschwester meinen Kopf gestützt hat. Ich wurde dann ins Krankenhaus gebracht. Ich habe immer gefragt, wo sie meinen Bruder hinbringen, aber es hat niemand geantwortet.

Bei Dir ging es dann in die Gefangenensammelstelle?

Jecki: Mich haben sie in einen nahegelegnen Polizeiabschnitt gefahren. Von dort dann zu einem anderen Abschnitt. Dann wurde ich wieder entlassen. Ich habe die auch gefragt, was sie mit meinem Bruder gemacht haben. Einer hat mich angeguckt und meinte, er wäre gestolpert und dumm hingefallen. Er hatte ein Lächeln im Gesicht, als er das sagte. Ich habe die ganze Zeit Fragen gestellt, warum, wieso, dies und das, weil die uns keinen Grund genannt haben, warum sie uns festnehmen. Aber auch das Fragen hat denen anscheinend nicht gepasst, der eine hat mich dann als Arschloch bezeichnet. Und es gab immer wieder Übergriffe. Etwa bei der Fahrt von der Tramstation zum Abschnitt habe ich mit den Handschellen das Fenster ein wenig runtergemacht, weil mir warm war. Dann hat einer von denen die Handschellen verdreht, dass sie noch enger werden. Als wir auf dem Abschnitt waren, habe ich schon beim ersten Schritt aus dem Auto ein Knie abbekommen. Da waren fünf, sechs Beamte um mich rum. Ich hab ein paar Tritte bekommen und sie meinten, ich solle mein Maul halten, wenn ich auf dem Abschnitt bin und dass ich mich benehmen soll.

Hat man euch irgendeine Anzeige vorgelegt? Irgendeinen Grund, warum sie euch mitgenommen haben?

Jecki: Sie haben uns angezeigt wegen Widerstand und weil wir sie angeblich beleidigt hätten.

Das bezieht sich aber ja, wenn überhaupt, auf die Zeit nach der Verhaftung. Das Delikt, wegen dem man euch überhaupt erst mitgenommen hat, hat man euch nicht mitgeteilt?

Jecki: Nein. Wir haben vermutet, dass sie wegen dieser Auseinandersetzung davor gekommen sind. Aber gesagt haben sie uns nichts, also wissen wir es eigentlich auch nicht.

Du hast ja ein Attest vom Arzt bekommen, was für Verletzungen hast du davongetragen?

King_S: Vor allem die Wunden am Kopf. Zwei der Platzwunden mussten genäht werden. Aber ich hatte auch noch eine verletzte Schulter von der Festnahme. Und Bisswunden von dem Hund, aber das war ja vor der Festnahme.

Hattet ihr ähnlich schlechte Erfahrungen mit der Polizei schon zuvor?

King_S: Für mich ist es das erste Mal, dass ich so von Polizisten geschlagen wurde. Aber jetzt, da das passiert ist, will ich es auch öffentlich machen. Das kann ja jedem jederzeit passieren.

Jecki: Bei mir genauso. Derartige Gewalt von Beamten habe ich bisher noch nie erlebt, das war das erste Mal.

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In Magedeburg steht der Nazi Stephan Balliet wegen des Anschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle vor Gericht, in Frankfurt am Main zeitgleich der Nazi Stephan Ernst, der Anfang Juni 2019 den hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss. In Hanau tötete vor einem halben Jahr der Nazi Tobias Rathjen neun Menschen aus rassistischen Motiven. Faschistische Terroristen ziehen eine Blutspur durchs Land. Die Öffentlichkeit debattiert währenddessen über rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, über zunehmende Polizeigewalt und Racial Profiling. Dass all das Leuten nicht gefällt, die seit Jahren die Gefahr von links beschwören und vor allem nach dem G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg Oberwasser hatten, liegt auf der Hand.

Regelmäßig versuchen Polizeibehörden, die beiden großen Polizeigewerkschaften und die Verfassungsschutzämter im Verein mit ihnen verbundenen Konzernmedien, das Thema „linke Gewalt“ – gern wird auch von „linkem Terror“ gesprochen – wieder auf die Agenda zu setzen. Einen neuen Versuch dieser Art konnte man Anfang August beobachten. Das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtete von einem „vertraulichen Lagebild“ des Bundeskriminalamtes, das vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft von „Linksextremisten“ gegen politische Gegner warne.

In der Analyse sei von einer „neuen Qualität“ die Rede. Autonome trieben ihre Aktionen so „kompromisslos“ voran, dass in Einzelfällen auch „von einem bedingten Tötungsvorsatz“ auszugehen sein dürfte. Insbesondere die Leipziger Szene, die neben Berlin und Hamburg als Hochburg gelte, radikalisiere sich immer mehr. Offensichtlich wärmt der Spiegel diese Schauermärchen jetzt im Halb-Jahres-Abstand auf. Bereits Anfang Februar fabulierten die Lohnschreiber aus Hamburg unter der Dachzeile „Linksextreme Gewalt in Deutschland“, für die „militante Linke“ seien Angriffe auf Menschen wie in Leipzig und Hamburg „kein Tabu mehr“. Nachsatz: „Die Politik wirkt hilflos.“

Die „neue Qualität der Gewalt“ wird, wie Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken in Hamburg in junge Welt süffisant bemerkte, „alle paar Monate neu entdeckt“. Das habe nichts mit der Realität zu tun, sondern sei „ganz einfach rechte Stimmungsmache“. Zur Unterfütterung der gewagten These vom „bedingten Tötungsvorsatz“ wird vom BKA laut Spiegel unter anderem der Überfall von rund 20 Angreifern auf drei Vertreter der neofaschistischen Arbeitnehmervertretung „Zentrum Automobil“ im Mai in Stuttgart erwähnt. Einer der Überfallenen soll dabei so schwer verletzt worden sein, dass er nach Angaben von Medien bleibende Schäden davon tragen werde. Inzwischen sind linke Aktivisten als tatverdächtig festgenommen worden. Selbst wenn dieser Angriff tatsächlich von Linken ausgeführt wurde, wäre das ein Ausnahmefall und aus solchen Fällen eine zunehmende Gewaltbereitschaft Linker abzuleiten, ist reine Kaffeesatzleserei.

Vor allem aber ist es grotesk, ausgerechnet in dieser Zeit, in der rechte Terroristen Angst und Schrecken verbreiten, das Thema „linke Gewalt“ hochzuziehen. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Bundestag, hat das in junge Welt zutreffend eingeordnet. Das Lagebild des BKA scheine ein „durchschaubares Ablenkungsmanöver“ zu sein. Während „faschistische Zellen bis hinein in Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei auffliegen“, Waffen gebunkert und Todeslisten angelegt würden, schwadroniere das BKA von einer zunehmenden Gewaltbereitschaft von Linken. Angesichts der Tatsache, dass etwa das „Massaker“ an den Besuchern von Shisha-Bars in Hanau gerade mal ein halbes Jahr zurückliege, sei es absurd, wenn die Behörden von einem „bedingten Tötungsvorsatz“ Linker sprächen. „Nazis töten – und zwar nicht nur mit ‚bedingtem Vorsatz‘ sondern kaltblütig und gezielt“, sagte die Linke-Politikerin.

Völlig ins Absurde kippte übrigens der Focus ab, das reaktionäre Magazin für die ganz Schlichten. Im Gefolge des Spiegel fantasierte das Blatt, die „linksextremische Antifa“ bereite sich nach Kenntnis von Sicherheitsbehörden auf „Angriffe gegen Polizisten, politische Gegner und vermeintliche Rechtsextremisten“ vor. Bei „der Antifa und ihren 50 regionalen Unterstützergruppen“ gebe es eine „Professionalisierung der Gewaltausübung“. Laut Berliner Verfassungsschutz seien „gezielte Tötungen“ denkbar. Westlichen Nachrichtendiensten lägen Hinweise vor, dass deutsche „Antifa-Mitglieder“ bei der kurdischen YPG in Syrien ein Kampftraining absolvierten. Blöder geht es wirklich kaum! Ulla Jelpke gab dem Focus in junge Welt kostenlos Nachhilfeunterricht: „Es ist kein Geheimnis, dass auch deutsche Antifaschisten heute in Nordsyrien in den Reihen der kurdischen YPG aktiv sind. Der Kampf gegen den IS und andere Dschihadisten ist ein Teil des weltweiten antifaschistischen Kampfes.“

Durchaus aufschlussreich an der ganzen Sache ist auch, dass BKA, Verfassungsschutz und Konzernmedien en passant das auch von US-Präsident Donald Trump fleißig gepflegte Narrativ von „der Antifa“ als homogener Organisation mit bösen Absichten verbreiteten. Diesen Mythos will man offenbar weiter nach Kräften befördern.

Übrigens schwadronieren auch die Polizeigewerkschaften regelmäßig über die Gewalt von links, der die „Kollegen auf der Straße“ zunehmend ausgesetzt seien. Dabei bemüht sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) offenbar immer mehr, mit der reaktionären kleinen Schwester, der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in puncto Hetze gegen Links gleichzuziehen. Das Berliner Schundblatt BZ war nur zu gern bereit, bei der Berichterstattung über die Räumung der Kiezkneipe Syndikat in Neukölln Anfang August eine Tirade des Berliner GdP-Vize Stephan Kelm abzudrucken. „Die militante, linksautonome Szene geht zurzeit offensiv und strukturiert gegen meine Kollegen bei Demos und Protesten vor“, fabulierte der Mann und beklagte die Verletzung eines Beamten bei den Auseinandersetzungen in Neukölln. Da werde sogar „der Tod von Menschen in Kauf genommen“. Und: „Wir haben es mit Personengruppen zu tun, die ohne jedes Zögern auch Molotow-Cocktails werfen würden.“

Vielleicht sollte dem Herrn mal jemand erklären, dass Molotow-Cocktails bereits länger in Gebrauch sind, und das durchaus auch bei Straßenschlachten. Und dass für die Eskalation auf der Straße nicht Autonome oder andere Linke verantwortlich sind, sondern erstens die Polizei, die immer mehr aufrüstet und immer brutaler vorgeht, und zweitens die kapitalistische Ausbeutung und Ausgrenzung, die bei immer mehr Menschen nichts als Wut und Hass erzeugt. Dabei gibt es natürlich auch Verletzte, auf beiden Seiten. „Wir sind der Prellbock auf der Straße“, klagte der Herr Kelm noch. Jawohl, da hat er recht! Aber das ist noch nicht die Schuld der radikalen Linken. Die Herrschenden verheizen Euch, liebe Leute in Uniform! Also: Augen auf bei der Berufswahl.

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Am 18. Juni diesen Jahres wurde der 54-Jährige Mohamed Idrissi in Bremen Gröpelingen von einem Polizisten ermordet. Der Fall wurde durch ein online veröffentlichtes Video der Tat medial bekannt. Unsere Autorin Leila Aadil hat Nadia und Aicha, Schwägerin und Tochter des Opfers zu dem Fall befragt. Die Gesprächspartnerinnen haben die Fragen gemeinsam beantwortet.

Nach den tödlichen Schüssen auf Mohamed Idrissi wurde bekannt, dass er an einer psychischen Erkrankung litt. Wie hat sich seine Krankheit ausgewirkt? Und wie behaltet ihr Mohamed in Erinnerung?

Mohamed war ein liebevoller, ruhiger und introvertierter Mann. Er lebte zurückgezogen, das heißt, er verließ seine Wohnung nur sehr selten und trotzdem hatte er ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn. Diese berichteten nur Gutes über ihn. Er war sehr kinderlieb und hat den Nachbarskindern immer Bonbons oder einen Euro für Süßigkeiten gegeben. Leider litt Mohamed an psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel einer paranoiden Schizophrenie. Er lebte in ständiger Angst, von irgendjemandem getötet zu werden. Außerdem entwickelte er im Zuge dessen einen Reinlichkeitsdrang, der sich durch ständiges Reinigen der Fenster und der kompletten Wohnung, inklusive Wände, deutlich machte. Des Weiteren machte sich seine Krankheit darin bemerkbar, dass er uns, seine eigene Tochter und Familie, des Öfteren nicht erkannte und sich vor uns erschrak.

Wir als Familie und seine, für ihn sprechenden, solidarischen Freunde, bleiben mit gebrochenem Herzen zurück.

Was hat sich am 18. Juni zugetragen?

Am Donnerstag, den 18. Juni 2020, wurde Mohamed, am helllichten Tag vor seiner Wohnung in Bremen, Gröpelingen bei einem fehleingeschätzten Polizeieinsatz erschossen. Ursprünglich sollte eine Kellerräumung stattfinden, da sich durch seinen Reinlichkeitsdrang Schäden in diesem zugetragen haben. Allerdings waren vier bewaffnete Beamte vor Ort, die ihre Waffen schon auf ihn gerichtet haben noch bevor er auf irgendeine Weise bedrohlich wirkte. Es war der Polizei bekannt, dass Mohamed psychisch krank war und trotzdem war keiner seiner Betreuer oder der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort. Bei der Polizei entstand der unnötige Wille zur unmittelbaren und eigenständigen Lösung der Situation und diese schien einzig und allein der Griff zur Waffe zu sein. Nachdem er von den Beamten provoziert und mit Pfefferspray besprüht wurde, floh er aus Angst in Richtung eines Beamten und wurde von ihm zwei Mal in die Brust geschossen, woraufhin er starb.

Inwiefern glaubt ihr hat das Verhalten der Vermietungsgesellschaft Espabau zu Mohameds Tod beigetragen?

Der Vermietungsgesellschaft war Mohameds psychischer Zustand bekannt. Inwieweit diese mit zur Verantwortung gezogen werden können, bleibt erst einmal fraglich. Dies hätten wir gerne lückenlos aufgeklärt. Leider fehlen uns dazu jegliche Informationen. Die Firma Espabau ist weder auf uns zugekommen, noch haben sie sich unseren Wissens nach zur ganzen Angelegenheit geäußert.

Wie bewertet ihr den Einsatz der Polizei?

Der komplette Einsatz war eine einzige Katastrophe. Ein sogenannter Fehleinsatz. Man hat einen psychisch kranken Mann mit Pfefferspray besprüht und zu viert in einem hysterischen Ton auf ihn eingeredet. Man hat eine Eskalationssituation provoziert. Was erwartet man von einem psychisch kranken Menschen nach so einem Verhalten?

Jeder der schon einmal in Kontakt mit Pfefferspray gekommen ist, weiß dass dieses sehr starke Auswirkungen hat und man die Sicht verliert. In unseren Augen hat er niemanden attackiert, er ist geflohen. Geflohen vor einer für ihn bedrohlichen Situation. Außerdem waren die dort anwesenden Polizisten mit der kompletten Situation überfordert. Sie waren, wie man augenscheinlich in dem Video erkennen kann, kein Team. Zu jung, zu unerfahren und überhaupt nicht zuständig.

Wie hätte die Tat verhindert werden können?

Die Anwesenheit der Polizei war völlig falsch koordiniert, diese hätten unserer Meinung nach gar nicht da sein dürfen. Zunächst hätten primär die Betreuer vor Ort sein müssen. Menschen, die ihn verstehen und mit ihm umgehen können. Dazu hätte der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort sein sollen. Diese hätten die Situation anständig bewältigen können, da sie speziell für solche Menschen und Fälle ausgebildet wurden. Da aber die Polizei schon vor Ort war, hätten sie großen Abstand wahren, in einem ruhigen, gemäßigten Ton mit ihm sprechen und auf die oben genannten Fachleute warten müssen.

Nach diesen Verhaltensmustern, wäre die Situation gar nicht erst eskaliert, vielmehr wäre diese dann deeskaliert. Aufgrund des Fehlverhaltens der Beamten war Mohamed aber schon aufgewühlt und selbst danach hätte man andere Mittel wie simple Hilfe der Nachbarn annehmen können, welche vergeblich versucht haben, die Beamten davon zu überzeugen, dass sie ihn verstehen und beruhigen könnten. Doch dieses Vorhaben wurde maßlos ignoriert, stattdessen reagierte man mit Gewalt. Zuletzt hätte man im absoluten Notfall andere Mittel wie z.B. den Einsatz von Schildern oder Netzen zur Überwältigung nutzen können.

Seht ihr im Tathergang Parallelen zu anderen Fällen, in denen Menschen von der Polizei ermordet wurden?

Wir sehen Parallelen zu so unendlich vielen (über 160) von der deutschen Polizei getöteten psychisch kranken und/oder Menschen of Colour. An dieser Stelle erinnern wir an Laya-Alama Condé, der mittels Brechmitteleinsatz von der Polizei getötet wurde. Das war Mord! Oury Jalloh, welcher in seiner Zelle fixiert und angezündet wurde. Das war Mord! Maria B., eine ebenfalls psychisch kranke Frau wurde in Berlin-Friedrichshain von einem Polizisten erschossen. Auch das war Mord! Dies waren nur ein paar Beispiele, um deutlich zu machen, dass Mohameds Fall leider nicht der erste war.

Wofür kämpft Justice for Mohamed?

Das Bündnis JusticeForMohamed, setzt sich aus der Familie von Mohamed und sozial engagierten Gruppen und Menschen zusammen. Zusätzlich haben wir als Familie Dr. Jan von Lengerich als Rechtsbeistand hinzugezogen. Dieser kämpft mit uns auf rechtlicher Ebene. Wir wollen in erster Linie Gerechtigkeit für Mohamed, das heißt wir fordern eine lückenlose Aufklärung seines Falls.

Wir fordern, dass Verantwortung übernommen wird und Schuldeingeständnisse seitens der Polizei bzw. der Verantwortlichen folgen. Der strukturelle Rassismus innerhalb der Polizei muss erkannt und thematisiert werden. Außerdem fordern wir eine höhere Sensibilisierung im Umgang mit psychisch Erkrankten seitens der Polizei. Diese sollte viel mehr auf die Thematik in Aus- und Fortbildungen eingehen, da bekanntlich ein deutliches Defizit besteht. Unsere Kampagne richtet sich zunächst an die Öffentlichkeit. Uns ist bewusst, dass solche Fälle des Öfteren unter den Tisch gekehrt werden, weshalb wir mittels unserer Medienpräsenz, den Demonstrationen und Kundgebungen Aufmerksamkeit erregen, damit auch der letzte Verantwortliche mitbekommt, dass wir nicht schweigen werden. Statistisch gesehen werden Fälle, in denen Polizisten zu Unrecht morden zum größten Teil als Notwehrhandlungen dargestellt, weshalb die Anklagen relativ schnell fallen gelassen werden. Wir haben uns allerdings zum Kampf gerüstet und werden weder schweigen noch aufgeben bis wir Gerechtigkeit erfahren.

Wie kann man euch unterstützen?

Wir benötigen die Unterstützung von jedem, der nicht mehr länger bereit ist wegzuschauen. Menschen, die es leid sind, immer wieder mit anzusehen, wie psychisch kranke Menschen of colour oder Schwarze Menschen von der Polizei, den vermeintlichen „Freunden und Helfern“, aufgrund ihrer Hautfarbe erschossen werden.

Wir wünschen uns Solidarität. Seid mit uns laut, schaut nicht weg und kommt mit uns auf die Straßen. Teilt und folgt uns auf unseren Social Media Accounts, welche alle unter dem Namen @justiceformohamed zu finden sind, damit auch der letzte der Verantwortlichen, die Angelegenheit eben nicht unter den Tisch kehren kann.

Wir sind vom System allein gelassen worden. Wir stehen mit unglaublich hohen, aus dem Mord resultierenden Kosten da. Diese ergeben sich unter anderem aus den Beerdigungskosten, Kosten für eine unabhängige Obduktion und Rechtsanwaltskosten. Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet und hoffen, dass ihr uns auch bei diesem Kampf zur Seite steht.

# Bildquelle: Initiative JusticeForMohamed

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Vorweg lass mich Axiome streuen. Einfach so.

1. Es reicht nicht nicht-rassistisch zu sein, du musst antirassistisch sein.

2. Antifaschismus ist kein „Extrem“ einer radikalen Linken, sondern das Mindestmaß an demokratischer Vernunft.

3. Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus sind dieser kapitalistischen, nationalstaatlichen Grundordnung inhärent und notwendig, um sie aufrechtzuerhalten.

4. Die Polizei dient als Apparat der Interessen des Nationalstaates und es ist ihre Aufgabe, diese mit Gewalt durchzusetzen.

Deutschland, die Ausgeburt der Stammbaumforschung.

Ausgehend von den USA entzündete sich wegen mordenden Polizisten eine weltweite Bewegung gegen rassistische Polizei Gewalt –

Parallel dazu randalieren, frustriert von anhaltender Polizei-Schikane, hunderte Jugendliche in Stuttgart.

Der entpolitisierende Terminus „Partyszene“ geistert durch die Medien, die Antwort der Stuttgarter Polizei lautet: Stammbaumforschung.

Derweil sieht Horst „Migration ist die Mutter aller Probleme“ Seehofer keinen Grund für eine Studie zum Vorkommen des sog. „racial profiling“ bei seinen Beamt*innen.

Let that sink in. Oury Jalloh, „Dönermorde“, Nsu.2.0., Stammbaumforschung.

Ich habe ja nicht Geschichte studiert und vielleicht irre ich mich, aber als das letzte Mal versucht wurde, in Deutschland nationale Interessen mit Stammbaumforschung durchzusetzen, führte es zur maschinellen Ermordung von mehreren Millionen Menschen.

Wenn nun also deine „Herkunft“ irgendwas darüber aussagen soll, wie du dich warum verhältst, dann wäre für mich eine „Stammbaumforschung“ anderer Art interessanter. Wie viele Polizist*innen sind wohl aus rechten Milieus? Wie viele verkehren mit Neonazis?

Der Witz ist, dass die Polizei sich permanent als Opfer stilisiert. Es fehle, speziell der migrantischen Jugend, der grundsätzliche Respekt vor ihrer Autorität. Mit Schlachtrufen wie dem der „Stammbaumforschung“ will auch davon abgelenkt werden, wie schlecht es um das Ansehen ihres Berufes wirklich steht.

Aber das ist vor allem selbst verschuldet.

Noch so eine Behauptung von mir, die ich einfach nicht belegen werde, such doch selber nach den „Einzelfällen“ und „Fehltritten“ und liste sie auf.

Und dann such gleich nach Statistiken zu internen Ermittlungen und Konsequenzen, die daraus gezogen worden. (Spoiler1: Verbotenes ist verboten und passiert deshalb nicht; Spoiler2: wenn du erst gar nicht ermittelst, kannst du nichts feststellen)

Dass es noch immer kein externes Untersuchungsorgan für den Polizeiapparat gibt, ist der echte Skandal. In wessen geistiger Tradition steht der absurde Gedanke einer „sauberen“ unfehlbaren Polizei eigentlich?

Es ist pure Ironie wie der liberale Mittejournalismus die letzten Wochen parierte, als es zum Beispiel um eine Satire gegen die Polizei ging. Den Begriff Korpsgeist hätte ich nie auf Zivilist*innen übertragen, aber da steckt ein erschreckend williger Glaube an „die Guten“ in dem einem Stefan oder der anderen Gabi.

Dabei ist das alte „Dein Freund und Helfer“ nichts als semantische Manipulation, ein offenbar bis heute tief in den Köpfen festsitzendes Erbe des Faschismus.

Ursprünglich ein Ausdruck in der Weimarer Republik hatte Heinrich Himmler die Idee, ihn für die Polizei unter Hitler zu nutzen. Bis heute wird die Polizei zum Beispiel zynischer Weise auf der AnkommenApp.de unter diesem Motto vorgestellt.

Wie sieht es eigentlich mit historischer Strukturforschung aus? Die Rolle der Polizei im Hitler-Faschismus scheint bis heute nicht klar aufgearbeitet zu sein und ich vermisse Transparenz, wenn es um die neu gegründeten Polizeistrukturen nach 1945 geht.

Man könnte, statt sich an Menschen rassistisch abzuarbeiten, sich kritisch mit der dritten Gewalt auseinandersetzten, ganz als ob wir in einer Demokratie leben würden. Stattdessen aber lieber die Stammbäume. Auf Stammbaumforschung folgte damals Sippenhaft, what’s next Deutschland?

# Bildquelle: wikimedia.commons

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Seit Februar 2018 hat sich das Leben des Neuköllners Ferat Kocak grundlegend verändert. Neonazis hatten seinen PKW vor der Wohnung seiner Eltern in Brand gesetzt. Leicht hätten die Flammen auf das Wohnhaus übergreifen können, in dem Menschen schliefen. Kocak zog in der Folge des Attentats weg aus Berlin. „Wenn ich bei meinen Eltern bin, dann sehe ich immer noch die Flammen vor mir, da konnte ich nicht bleiben“, sagt der Linken-Politiker mit kurdischen Wurzeln gegenüber lower class magazine. Und er verlor zwei Jobs, den Arbeitgebern war seine Präsenz in der Öffentlichkeit zu viel.

Der Anschlag auf Ferat Kocak ist kein Einzelfall. Seit 2016 lassen sich dutzende Brandanschläge, Steinwürfe, politische Drohungen an Privatwohnungen in Neukölln einer Serie von rechten Gewalttaten zuordnen. Die nach zahlreichen „Ermittlungspannen“ eingerichtete BAO Fokus der Berliner Polizei bilanziert in ihrem Zwischenbericht vom Februar 2020, insgesamt seien 72 Straftaten, davon 23 Brandstiftungen Gegenstand ihrer Ermittlungen.

Die Ziele: Linke, Sozialdemokrat*innen, Migrant*innen und Lokale, die im Zuge der Hetze gegen sogenannte „kriminelle Clans“ öffentlich diffamiert wurden. Die Strategie der Taten ist nicht schwer zu verstehen: Nadelstiche, die politische Gegner*innen einschüchtern und im besten Fall zur Aufgabe zwingen sollen – in einem Bezirk, der sowohl von der NPD, wie auch von der AfD als ein Schwerpunktbereich ihrer Tätigkeit gesehen wird.

Zumindest für einen Teil der Anschläge weiß man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, aus welchen Kreisen sie kommen. Und dennoch wurden die betreffenden Personen nicht belangt. Bereits mindestens seit Januar 2017 beobachtete der Verfassungsschutz (VS) zwei Neonazis, Sebastian T. und Tilo P. Diese spähten das spätere Opfer Ferat K. vor dem Anschlag aus, der VS übermittelte seine Informationen an das Landeskriminalamt (LKA) noch vor dem Brandanschlag. Es passierte nichts. Warum nicht?

Die Personalien T. und P. verweisen auf ein bestimmtes Milieu. T. ist ein seit Jahrzehnten bekannter rechter Gewalttäter, den antifaschistische Gruppen zusammen mit Julian B. schon für eine frühere Anschlagsserie in Neukölln im Jahr 2011 verdächtigten. Sebatsian T. galt als eines der wichtigsten Verbindungsglieder der rechtsterroristischen Gruppierung „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW Berlin) und der NPD.

Und Tilo P. erfüllt dieselbe Scharnierfunktion für die Neuköllner AfD. Die Neuköllner AfD-Gruppe gilt seit langem als besonders rechter Teil in einer ohnehin weitgehend offen faschistischen Partei. Über die Jahre entstand ein Netzwerk von in „Freien Kameradschaften“ organisierten Neonazis, AfD-Funktionären und rechten Hooligans. Das „Bindeglied“ zwischen diesen Milieus, laut Recherche-Antifaschist*innen: Tilo P.

Weitere Personalien der Neuköllner AfD verweisen darauf, dass hier durchaus eine Bereitschaft zur Teilnahme an Angriffen auf politische Gegner*innen vorhanden ist: Christian B. und Danny D. waren Teil des Umfelds der Nazihool-Gruppe „Wannsee Front 83“, die u.a. für den rechten Mord an Peter Konrad 1993 verantwortlich ist. Christian B. stand zudem mit einer Reihe von Neonazis in Kontakt, die dem Netzwerk „NW Berlin“ zugerechnet werden können – von denen immer wieder Angriffe auch in Neukölln ausgingen.

Woher kommen die Daten der Rechtsterroristen?

Nach dem Anschlag, so erinnert sich Ferat K., sei irgendwann ein Polizist aus der für rechte Straftaten zuständigen Abteilung des LKA zu ihm gekommen, habe ihm von den abgehörten Telefonaten Sebastian T.´s und Tilo P.´s erzählt und gesagt: „Jetzt haben wir sie.“ Aber wieder nichts. „Offenbar hat das für die Staatsanwaltschaft nicht gereicht“, ist K. erstaunt.

Die Anschläge gehen weiter, auch nachdem im Frühjahr 2018 eine Hausdurchsuchung bei T. zur Beschlagnahmung von Datenträgern führt. Die Auswertung gestalte sich schwierig, weil die Festplatten verschlüsselt seien, hieß es aus Polizeikreisen zunächst. Ein Haftbefehl gegen T. wird vom Amtsgericht Tiergarten abgelehnt – obwohl augenscheinlich Wiederholungsgefahr besteht. Die Festplatten, so stellt sich Jahre später heraus, waren überhaupt nicht verschlüsselt. Wieder eine Panne?

Ferat K. glaubt daran nicht mehr so richtig. „Ich habe schon manchmal den Eindruck, dass hier so etwas wie ein „tiefer Staat“ im Spiel ist. Dass Behörden diese Nazis decken“, vermutet er. Und der Verdacht ist nicht unbegründet.

Szenenwechsel: Als die Daten des Computers von T. nun doch endlich „entschlüsselt“ wurden, stießen die Behörden auf umfassende Listen politischer Gegner*innen. Diese umfassten nicht nur Opfer bereits vollzogener Anschläge und Drohungen, sondern auch – Medienberichten zufolge – hunderte weitere Personen.

Spät, aber doch machte sich die von der Polizei eingerichtete BAO (Besondere Aufbau-Organisation) Fokus daran, die Betroffenen zu informieren. Eine der Gelisteten, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, wird seit Jahren von Neonazis verfolgt und bedroht. An Emails und Nachstellungen hatte sie sich bereits gewöhnt, als 2018 eine Mail bei ihr eintraf, die ein geheim angefertigtes Foto von ihr und ihrer Familie enthielt. „Besonders gruselig fand ich, dass ich nicht mitbekommen habe, dass uns da jemand fotografiert hat. Ich habe die Person absolut nicht wahrgenommen“, sagt sie. Handelt es sich um technisch besonders versierte Neonazis, die die Observation ihrer Opfer perfektioniert haben? Oder könnte das Foto aus einer Polizeiobservation stammen?

2020 wird die Betroffene darüber informiert, dass der Neuköllner Neonazi T. auch ihre Daten hortete. Sie gibt gegenüber lower class magazine zu Protokoll: „Ich wurde angerufen und mir wurde mitgeteilt, dass sich unter der Datensammlung eines Rechtsextremisten Bilder und Videomaterial sowie mein Name und meine Personalausweisnummer befanden“, so die Berlinerin. Woher hat Sebastian T. die Personalausweisnummer einer fremden Person?

Abwegig sind auch diese Fragen nicht. Wie antifaschistische Kreise aus Neukölln berichten, richtete sich eine der Droh-Graffitis in Neukölln gegen die Wohnung einer Person, die dort zwar gemeldet war – aber dort nicht wohnte. Würden alle Daten der Täter aus eigenen Observationen stammen, hätten sie das bemerken müssen. Aber nicht, wenn die Meldeadresse der Ziele etwa in einem Polizeicomputer abgefragt wird.

Das erste Mal wäre das nicht. Ende 2017 verschickte der Berliner Polizist Sebastian K. Drohbriefe an Linke. Als nichts mehr zu leugnen war, gestand er die Tat und die Behörden erklärten den Fall rasch für abgeschlossen. Nach möglichen Mittätern wurde nicht mehr gesucht, obwohl die Lebensgefährtin von K. für das Landeskriminalamt tätig war. Und das obwohl sich sogar ein Zusammenhang mit der absurden Verlagerung von Observationsteams weg vom späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri hin zu ach so gefährlichen „Linksextremisten“ vermuten ließe.

Auf einen weiteren Weg des Datenabflusses hin zu Rechtsterroristen machen Aktivist*innen der Antifa-Plattform neuköllnwatch gegenüber lower class magazine aufmerksam: „Ein weiteres interessantes Beispiel ist das Verfahren wegen eines Angriffs auf den Rechtsrockmusiker Peter B. in Kreuzberg, wo willkürlich ausgewählte Antifas als Beschuldigte geführt wurden, um so ihre persönlichen Daten in die Ermittlungsakten aufzunehmen und über die Akteneinsicht an die Neonazis weiterzugeben. B. wurde von einem rechten Szeneanwalt vertreten, der auch schon Sebastian T. vertreten hat.“ Ähnlich sei die behördliche Datenübertragung gelaufen, als drei rechte Youtuber vor dem linken Haus in der Rigaer Straße 94 vertrieben wurde: „ Das LKA führte sämtliche in der Rigaer94 gemeldeten Leute als Beschuldigte, die Nazis nahmen Akteneinsicht und veröffentlichten anschließend die Daten.“

Direkte Kontakte?

Das ARD-Magazin Kontraste und der rbb berichteten bereits im April 2019, dass sie über Erkenntnisse verfügten, nach denen ein Beamter des Landeskriminalamts in einer einschlägig bekannten Neuköllner Kneipe von einer anderen Behörde – man darf annehmen, dem Verfassungsschutz – beobachtet worden sei, wie er sich mit Neonazis traf. Unter den Kontakten: Sebastian T. Dienstlich ist das Treffen nicht und W., so wird der Beamte abgekürzt, steigt danach zusammen mit dem mutmaßlichen Rechtsterroristen in sein Auto und fährt weg.

Mediennachfragen bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft bleiben ohne inhaltliches Ergebnis, bis mitgeteilt wird, dass das Verfahren gegen W. eingestellt wurde und eine Auskunftserteilung „im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren, bei dem eine Auskunftserteilung einer Ermittlungsgefährdung entgegensteht“ abgelehnt werde – was auch immer das heißen mag. Im zitierten Zwischenbericht der angeblich zur Aufarbeitung von Polizeifehlern eingerichteten BAO Fokus nimmt dieser vermutete Kontakt gerade einmal zwei Absätze ein, deren Resultat: Es gebe „nach Auffassung der BAO Fokus mehr Zweifel daran als Anhalte dafür“, dass besagter Polizist W. Kontakte zu Sebastian T. hatte. Fall erledigt und damit auch das ganze Kapitel zum „Informationsabfluss“ von Polizei zu Neonazis, den die Polizei – welch Wunder – als nicht beweisbar ansieht.

Dabei dürfte er ein durchaus gängiges Problem sein, da die Rechtspartei AfD, die – so auch in Neukölln – generell sehr häufig im Umfeld von Rechtsterroristen zu finden ist, unter Polizisten überdurchschnittlich beliebt ist. Und mit guten Kameraden teilt man eben. So leitete der Berliner Polizist Detlef M., selbst Mitglied in der Neuköllner AfD, an seine Parteikameraden Interna zum Fall Anis Amri weiter. Unter denen, an die die Informationen ergingen: Tilo P., Sebatian T.s mutmaßlicher Komplize zumindest bei Teilen der Brandanschläge. Detlef M. sei, so berichtet neuköllnwatch, „an Absprachen zu einem Buchladen in Rudow beteiligt gewesen, der danach mehrmals heftig angegriffen wurde“.

Neuköllnwatch bilanziert: „Wir haben also: Polizisten in Chatgruppen mit Neonazis, Polizisten, die sich mit Neonazis in rechten Kneipen treffen, Polizisten die Drohbriefe an Linke schreiben, Polizisten die Ermittlungsakten nutzen, um darüber persönliche Daten von Linken an Neonazis weiterzugeben, und Polizisten, die die Prioritäten der Observationsziele manipulieren, um statt Neonazis oder Islamisten die Linken zu gängeln.“ Eine ganze Menge zu tun für einen vermeintlich „linken“ Senat, möchte man meinen. Doch Aufklärung bleibt aus.

Eine „neue“ Serie von Bränden?

Die Brandanschläge gehen auch im Jahr 2020 weiter – mal mit Bekennerschreiben, mal ohne, was Beobachter*innen aus Medien und Polizei zur Schlussfolgerung veranlasst hat, es handle sich nun um eine „andere“ Serie und „neue“ Täter*innen. Bei neuköllnwatch sieht man das anders: „Wir gehen davon aus, dass die Angriffe der letzten Wochen mit denen der letzten Jahre zusammenhängen. Was auch sonst? Selbst wenn es individuell andere Neonazis waren, die hier aktiv geworden sind, sind sie definitiv mit den anderen bekannten Neonazis zusammenzurechnen.“ Die Vernetzung des Milieus faschistischer Gewalttäter in Berlin ist hoch. Gerade die Recherchearbeit antifaschistischer Strukturen in den vergangenen Jahrzehnten hat ein Netzwerk älterer rechtsterroristischer Kader und ihres Nachwuchses fast lückenlos dokumentiert. Doch wo der Wille fehlt, fehlen auch Ermittlungen.

Dabei ist die Anschlagsserie bis zum 19.6. weiterhin klar als rechte identifizierbar: Am Tatort des Anschlags auf einen Transporter vor einer Konditorei in der Sonnenallee finden sie Nazi-Sprühereien, ebenso am 5.6. in Wohnhäusern und an Geschäftsräumlichkeiten in der Wildenbruchstraße oder am 10.5. in der Laubestraße, wo vier Autos ausbrennen.

Interessant sei so neuköllnwatch, dass seit dem 19.6. keine Nazisymbole mehr an den Tatorten hinterlassen wurden. “Das heißt dass entweder Trittbrettfahrer unterwegs sind, oder dass die Nazis inzwischen sicher sind, dass ihre Message angekommen ist, und dass sie sich nun nicht mehr explizit bekennen müssen. Die Taten hätten damit eine doppelte Wirkung, einerseits der Angriff, andererseits der „zweite Angriff“, wenn Polizei und Presse das rechte bzw. rassistische Motiv leugnen, weil es kein explizites Tatbekenntnis gibt.“ In der Tat passiert seit dem 19.6. genau das: Die Brände, die immer noch mit Regelmäßigkeit geschehen, werden von vornherein zu unpolitischen Ereignissen erklärt. So wird bei einer schweren Brandstiftung, bei der sich die Bewohner eines Hauses Ecke Jahnstraße/Buschkrugallee in Lebensgefahr befanden, der Fall von der Polizei zunächst als unpolitisch behandelt, anstatt in Erwägung zu ziehen, dass es sich um eine Fortsetzung des rechten Terrors handeln könnte.

Was tun?

Einige der Opfer der Terrorserie haben sich zurückgezogen. Ferat K. will mit den Attacken anders umgehen, sich organisieren, mit anderen gegen den Terror aufstehen. „Für mich ist das sehr wichtig. Ich mache politisch mehr und mehr, das ist mein Weg, mich damit auseinanderzusetzen“, sagt er.

Im Moment seien es dabei zwei Strategien, die er für richtig hält. Am wichtigsten sei es, dass die Menschen in Neukölln sich den Nazis entgegenstellen: „Wir müssen uns hier im Kiez organisieren, da sehe ich Migrantifa als einen guten Anfang“, so K.

Zum anderen gebe es auch noch parlamentarische Möglichkeiten: Das Erzwingen eines Untersuchungsausschusses. Und: „Wir wollen, dass auch auf Landesebene anerkannt wird, dass es sich um rechten Terror handelt. Dann könnte sich die Bundesanwaltschaft einschalten.“ K. weiß aber auch: Dass in dieser Legislatur noch ein U-Ausschuss kommt, ist äußerst unwahrscheinlich. Den Ärger darüber, auch über K.´s eigene Partei „Die Linke“, merkt man dem Aktivisten an: „Es gibt einen einstimmigen Beschluss der Landespartei für einen Untersuchungsausschuss, aber was tun die Regierungsfunktionär*innen der Partei dafür? Gar nichts. Ich überlege manchmal, ob ich nächstes Mal CDU wählen soll, weil wenn wir eine rechte Regierung hätten, hätten die linken Parteien längst einen U-Ausschuss beschlossen, schon um denen eins reinzudrücken.“

#Titelbild: PM Cheung

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Man könnte eine launige Glosse darüber schreiben, dass die Bundespolizei jetzt auch noch Geld dafür haben will, wenn sie jemanden schikaniert. Aber bei genauem Hinsehen ist das Thema viel zu ernst, um darüber zu schmunzeln. Die vom Bundesministerium für Inneres im September so gut wie unbemerkt von der Öffentlichkeit eingeführte Gebührenverordnung für „individuell zurechenbare öffentliche Leistungen“ ist ein weiterer Schritt hin zum Polizeistaat. Natürlich soll der Eindruck vermittelt werde, es handle sich dabei um eine rein verwaltungstechnische Maßnahme – aber in einer Zeit, in der in Bund und Ländern überall die Sicherheitsbehörden mehr Durchgriffsrechte erhalten und Polizei und Justiz an der Repressionsschraube drehen, ist das eine gefährliche Verharmlosung.

Welche Gebühren sind nun eingeführt worden und was ist mit „individuell zurechenbaren Leistungen“ gemeint? Die Formulierung klingt wohl nicht zufällig ähnlich schwammig wie bestimmte Begriffe, mit denen die Behörden zuletzt ihre Definitionsmacht erweitert haben, zum Beispiel die viel diskutierte Figur des „Gefährders“. Zur Kasse sollen Personen gebeten werden, die vorsätzlich oder fahrlässig eine „Gefahrenlage“ schaffen. Natürlich bestimmt die Bundespolizei vor Ort, wann eine Gefahrenlage eintritt. Die taz hat die neuen Gebühren Anfang Februar in einem Beitrag recht anschaulich erklärt. Und zwar mit dem Beispiel eines Fußballfans, der auf einem Bahnhof einen Bengalo gezündet hat und deshalb von der dort zuständigen Bundespolizei eingesackt, auf die Wache mitgenommen und erkennungsdienstlich behandelt wird.

Der Fan müsse sich auf eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz einstellen, heißt es in dem Artikel. Aber davor gebe es noch „eine Strafe vor der Strafe“. Nach der neuen Verordnung muss der Fan in diesem Beispiel nämlich folgende Gebühren für die nicht bestellte „Dienstleistung“ bezahlen: Identitätsfeststellung: 53,75 Euro, Anordnung zur Gewahrsamnahme 74,15 Euro, eine Viertelstunde Fahrt auf die Wache 15,69 Euro, erkennungsdienstliche Behandlung mit Fotos und Fingerabdrücken 59,50 Euro und für jede Viertelstunde in Gewahrsam 6,51 Euro. Für einen „stinknormalen Polizeieinsatz“ müsse man also eine hohe dreistellige Summe auf den Tisch legen, noch bevor der Rechtsstaat über Schuld und Unschuld befunden und die eigentliche Strafe verhängt hat.

Das Prinzip ist schon bisher nicht ganz unbekannt im Bereich der Landespolizeibehörden. Wer zum Beispiel als Betrunkene*r aufgegriffen wird, muss bereits jetzt für den Polizeieinsatz und die Unterbringung in der Ausnüchterungszelle zahlen. In Berlin, so erläuterte die taz, kostet der Gewahrsam für „hilflose, nicht vorläufig festgenommene Personen“, also Betrunkene oder Berauschte, 208,89 Euro zuzüglich der Fahrt auf die Wache. Nachts werde es noch teurer.

Die Logik dieser neuen Verordnung ist bestechend einfach: Fußballhooligans und Betrunkene haben es ja nicht anders verdient. Was fällt den Leuten auch ein kriminell zu werden? Abgesehen davon, dass diese Vorverlagerung von Strafe in einen vorjuristischen Raum eine offensichtliche Aushölung des sonst gern bemühten Rechtsstaats ist, ist sie auch eine politische Repressionsverschärfung. Diese wird mit hundertprozentiger Sicherheit auch bald politisch Aktive treffen. So ist in der Verordnung eine mündliche Platzverweisung in Verbindung mit Identitätsfeststellung mit 44,65 Euro gelistet, eine schriftliche Platzverweisung mit 88,85 beim ersten Mal und 52 Euro bei Wiederholung. Für eine gut verdienende Person aus der Mittelschcht ist das nicht viel Geld, aber zu denen zählen viele Linke nicht. Mit Verwaltungs-, Gerichtskosten und ähnlichem ist schon manche*r in die Pleite getrieben und zum Schweigen gebracht worden. Es handelt sich bei der neuen Gebührenverordnung also eindeutig um ein Disziplinierungsinstrument, das abschreckend wirkt und mit dem die Versammlungsfreiheit im Ergebnis weiter eingeschränkt wird.

Und noch eines: Das Ministerium für Inneres wird bekanntlich vom früher CSU-Chef Horst Seehofer geführt, also dem Kader einer Partei, die sich derzeit mit Macht gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen stemmt. Dass dort gerast, gedrängelt und genötigt wird, bis der Arzt kommt, dass die Autobahnen im Grunde rechtsfreie Räume sind, interessiert die Herrschaften nicht. Aber wehe du zündest ein Bengalo. Dass die ultrarechte Deutsche Polizeigewerkschaft im März 2019 jubelte, als ein Entwurf der Gebührenverordnung vorlag, liegt auf der Hand. „Endlich werden damit zukünftig zum Beispiel polizeiliche Maßnahmen gegen Verhaltens- oder Zustandsverantwortliche gebührenpflichtig“, freute sich Heiko Teggatz, erster stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG. Unter den „Leistungen“, die künftig kostenpflichtig seien, führte die Gewerkschaft übrigens auch den Einsatz von Wasserwerfern und die „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ an. Gut, dass diese Verordnung beim G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 noch nicht galt. Das wäre für viele, die in den Genuss der „Dienstleistung“ Wasserwerfereinsatz gekommen sind sonst sehr teuer geworden.

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Seit mehr als hundert Tagen stehen die Chilen*innen gegen jenes neoliberale System auf, das ihr Leben seit Jahrzehnten prekarisiert hat. Trotz aller Bemühungen der Regierung, die Proteste zum Schweigen zu bringen, ist der Wille, mit jenem Gesellschaftsmodell zu brechen, das Ungleichheit, Unrecht und die Misshandlung der Arbeiter*innenklasse verewigt, so groß wie am ersten Tag des Aufstandes.

Bis zum 30.1.2020 starben im Zuge der Proteste 31 Menschen; 3.746 wurden verwundet; 427 erlitten Verletzungen an den Augen und 268 wurden durch Tränengaskanister verletzt. 418 Fälle von Folter und 192 Fälle von sexualisierter Gewalt durch die Polizei wurden dokumentiert. Die Repression wird ausgeführt von den Agenten des Staates, die totale Straflosigkeit genießen. Mehr als lächerliche Urteile gibt es für ihre Verbrechen nicht. So muss Muricio Carillo, der kriminelle Bulle, der den Demonstranten Oscar Perez am 20. Dezember mit seinem Polizeitruck überfuhr, sich einmal mi Monat zum Unterschreiben melden – bis die 150 Tage der Ermittlung des Falles abgeschlossen sind. Carlos Martinez, der Cop, der am 28. Januar einen Fußballfan überfuhr und tötete, muss sich einmal im Monat für 90 Tage zum Unterschreiben melden.

I

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn es um die Bestrafung der Kämpfer*innen der sozialen Revolte geht. Den meisten von ihnen droht schon im Vorfeld eines eventuellen Prozesses Haft. Diese Untersuchungshaft wird länger und länger, die Ausrede lautet stets, dass man mehr Zeit brauche, um richtig ermitteln zu können. Im Normalfall sollte der Gewahrsam nicht länger als 45 Tage dauern – dochsind die Behörden nicht willens das einzuhalten. Die Untersuchungshaft wird ausgedehnt, oft monatelang. In einigen Fällen könnten es Jahre der Einkerkerung ohne Prozess werden, wie das in der Vergangenheit in verschiedenen Fällen politischer Gefangener des Mapuche-Widerstands war.

Im Knast und rund um die Ingewahrsamnahmen gibt es eine große Anzahl von Unregelmäßigkeiten. Vielen Demonstrant*innen wurden von der Polizei gefälschte Beweise untergeschoben. Eines der Opfer dieser Praxis ist Diego Ulloa, ein Student, der in den Demonstrationen die Aufgabe übernahm, Tränengas mit einer Mischung aus Wasser und Backpulver unschädlich zu machen. Am 3. Dezember wurde er verhaftet. Er leistete keinen Widerstand und wurde dennoch brutal zusammengeschlagen. Ihm wird vorgeworfen, Molotow-Cocktails transportiert zu haben. Die Cops schoben ihm „Beweise“ unter, nutzten auch seinen Wasserkanister, der zum Neutralisieren der Tränengasgranaten diente, als Beweis.

Oder Nicolas Ríos, der am 10. Januar von Zivilpolizisten entführt wurde. Seine Verhaftung erinnert an die dunkelsten Jahre der Diktatur. Während er dasaß und rauchte, sprangen fünf Männer aus einem Transporter, schlugen ihn zusammen und verschleppten ihn. Wer weiß, ob er je wieder aufgetaucht wäre, hätten nicht Passant*innen die Szene gefilmt und somit die Identifizierung des Kennzeichens ermöglicht. Auch Nicolas Ríos wird das Werfen von Brandsätzen vorgeworfen. Sie testeten ihn auf chemische Spuren – das Resultat war negativ. Auf dem Video, das die Cops der Verhaftung zu Grunde legten, kann man unmöglich erkennen, wer geworfen hat. Und dennoch, die zuständige Richterin ließ ihn in Haft, schwieg über die offenkundige Rechtswidrigkeit seiner Verhaftung, verweigerte ihm, überhaupt gehört zu werden und untersagte seinen Eltern den Zutritt zum Verfahren.

Es gibt tausende Fälle wie diese beiden.

II

Wie reagierte der Staat auf die Proteste von Millionen? Er rührte jenes Modell, das die Privilegien der Eliten garantiert nicht an. Kein Gesetz wurde erlassen, das diese Privilegien abschafft oder auch nur beschneidet. Dagegen wurden sehr effizient neue Gesetze verabschiedet, die Protest kriminalisieren.

Nach Kontroversen im Kongress und im Zusammenspiel mit der parlamentarischen Opposition, die sich – mit Ausnahme einiger weniger Fälle – auf die Seite der Regierung schlug, wurden Gesetze gegen „Plünderungen“ und gegen den „Barrikadenbau“ durchgesetzt. Ein Vermummungsverbote durchläuft derzeit das Gesetzgebungsverfahren. Das einzige Ziel dieser Gesetze ist es, die soziale Bewegung zu bestrafen und längere Haftstrafen für die Aktivist*innen zu ermöglichen.

III

Die Situation der Gefangenen wird zudem unsichtbar gemacht. Informationen und Möglichkeiten zu ihrer Unterstützung finden sich nur in den sozialen Medien. Als Antwort auf diese Lage wurde die „Coordinadora 18 de octubre“ gegründet, ein Zusammenschluss von Familienmitgliedern, Freund*innen der Gefangenen und Freiwilligen sowie Aktivist*innen und Organisationen. Sie gewährleisten Unterstützung und versuchen, Orientierung zu geben. Vom 18. Oktober 2019 bis zum heutigen Tag wurden 23.400 Personen zumindest kurzfristig festgenommen; mehr als 2500 verblieben im Knast, sie warten auf ihren Prozess. Ohne klare Vorstellung, wie lange das dauern wird.

Maria Rivera ist die Koordinatorin der Defensoria Popular Penal, einer Gruppe von Anwält*innen, die sich der Verteidigung der Kämpfer*innen der Revolte und der Kriminalisierten verschrieben hat. Sie verlangen keine Gebühren von ihren Mandant*innen. Seit dem 18. Oktober, erzählt Maria Rivera, habe sich ihre Arbeit verdoppelt. Sie haben viele Jugendliche der „primera linea“, der ersten Reihe der Demonstrationen verteidigt, die nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre körperliche Unversehrtheit zur Verteidigung des Aufstandes in die Waagschale werfen.

„Die Gerichte haben gezeigt, dass sie am liebsten alle sozialen Kämpfer*innen einsperren wollen“, so Maria Rivera. „Wir haben einige schrecklich symbolische Fälle. Zwei Teenager, beide 16 Jahre alte und ohne Vorstrafen, Kevin Uribe und Mauricio Soto, befinden sich in Vorbeugehaft in einem Jugendknast. Das Berufungsgericht, der höchste Gerichtshof, alle zuständigen Instanzen haben verweigert, die Untersuchungshaft umzuwandeln, etwa in Hausarrest. Es gab Richter, die die Auffassung vertraten, dass die beiden auch zu Hause auf das Verfahren warten könnten, aber die höheren Gerichte lehnten ab.“

Die politischen Gefangenen der Revolte seien auf verschiedene Gefängnisse verteilt, aber gerade Module 14 des Knasts Santagio-1 sei vollgestopft mit Protestierenden, so Rivera. Verwaltet wird diese Strafanstalt von dem multinationalen Unternehmen SODEXO, einem Konzern, der in zahllose Skandale verwickelt war, wegen prekärer Arbeitsbedingungen, genauso wie den Bedingungen für die Gefangenen in seinen Knästen. „Einige von den Gefangenen waren verwundet, als sie festgenommen wurden und haben keine angemessene Versorgung im Gefängnis erhalten“, erzählt Rivera. Der chilenische Staat zahlt SODEXO monatlich 700.000 pesos, umgerechnet etwa 850 Euro, pro Gefangenen. Wo auch immer dieses Geld hinfließt, in das Wohlbefinden der Eingesperrten fließt es nicht.

Einmal in der Woche können Angehörige oder Freund*innen zum Gefängnis gehen und ein Paket für eine*n Gefangene*n abgeben. Meistens Basisgüter, Toilettenartikel oder Nahrung, die eigentlich von der Betreiberfirma zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Prozedur ist eine einzige Schikane und dauert drei, vier Stunden. Dasselbe gilt für den Besuchstag. Man wartet stundenlang, die Durchsuchungen können, abhängig von der Laune der Wärter*innen, kurz, lang oder erniedrigend ausfallen. Dennoch kommen Woche für Woche Familienmitglieder, Freund*innen und Freiwillige, die sich diesem Mechanismus unterziehen, der zeigt, was der Knast ist: ein Klassenmechanismus, der die Armen kriminalisiert und die schlimmsten Werte der verrotteten neoliberalen Gesellschaft reproduziert.

Und dennoch lohnt sich der Besuch bei den gefangenen Kämpfer*innen, wie Maria Rivera betont: „Trotz alledem haben sie nichts von ihrer Stärke verloren. Wenn ich sie besuche, berührt mich das sehr. Und ich schöpfe Hoffnung, weil ich weiß, das wird nicht für immer andauern. Sie werden rauskommen und in den Kampf zurückkehren. Denn sie wissen ganz genau, dass das System bis an die Grundfesten verändert werden muss.“

# Titelbild: frentefotográfico

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Eigentlich ist zu den Ereignissen im Leipziger Stadtteil Connewitz in der Silvesternacht schon alles gesagt worden. Die bürgerlichen Medien haben ausufernd berichtet, in den „sozialen Netzwerken“ wurde das Thema rauf und runter diskutiert. Erst lief die Empörungsmaschinerie auf Hochtouren, zuletzt rückte immer mehr – zumindest in den Medien, die ihren journalistischen Anspruch noch nicht ganz aufgegeben haben – die Rolle der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit in den Fokus. Immerhin.

Die Geschehnisse in der Silvesternacht an sich sind nicht groß von Belang, ein paar Scharmützel zwischen Polizei und Feiernden, nichts wirklich Besonderes. Spannend ist an dem Vorgang eigentlich nur, was daraus geworden oder besser gemacht worden ist. Gleich zu Jahresbeginn wurde exemplarisch vorgeführt, wie einfach es ist, mit Fake-News einen reaktionären Hype zu erzeugen. Dies war eine Eskalation mit Ansage – es war die Stunde der Scharfmacher.

„Einen Einsatz zur Aufrechterhaltung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ nannte die Staatsmacht selbst, was sie zum Jahreswechsel in Leipzig veranstaltete. So wie sie auftrat, erzeugte sie das Gegenteil. Ab mittags kreiste ein Hubschrauber über dem Viertel, Wannen rasten hin und her. Abends griffen die Cops aggressiv ins Geschehen ein, schubsten etwa unbeteiligte Feiernde. Die Polizei wollte offenbar zeigen, wer in Connewitz das Sagen hat.

Kurz nach dem Jahreswechsel kam es dann am Connewitzer Kreuz zu dem Vorfall, der hinterher im Zentrum des Hypes stand. Die Polizeidirektion Leipzig haute noch in der Nacht eine Pressemitteilung raus, die innerhalb weniger Tage von vorn bis hinten als Fake-News entlarvt wurde. Eine „Gruppe von Gewalttätern“ habe einen brennenden Einkaufwagen „mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben“ versucht, fabulierte die Polizei, und diese „massiv mit Pyrotechnik beschossen“. Ein Beamter sei dabei so schwer verletzt worden, dass er „das Bewusstsein verlor und im Krankenhaus notoperiert werden musste“. Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze delirierte: „Es ist erschreckend, wie skrupellos Personen in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz durch offensichtlich organisierte Angriffe schwerste Verletzungen von Menschen verursachen.“

Linke Krawalle, schwer verletzter Polizist, Not-OP – das kam den bürgerlichen Leitmedien am traditionell nachrichtenarmen Neujahrstag wie gerufen. Das klang nach brutalen Autonomen, nach Lebensgefahr und Koma. Von Spiegel über Focus bis Handelsblatt und Zeit stiegen alle auf die Geschichte ein, übernahmen die Mitteilung der Polizei kritiklos und ungeprüft. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon verdächtig, warum über die Verletzung des Polizisten nicht Konkreteres verlautbart wurde. Recht schnell stellte sich heraus, dass es keine Not-OP gegeben hatte und von einer schweren Verletzung nicht wirklich die Rede sein konnte. Der Beamte war wegen eines Risses am Ohr im Krankenhaus behandelt und nach zwei, drei Tagen bereits wieder entlassen worden. Auch die Behauptung, ein brennender Einkaufswagen sei „mitten in eine Einheit“ geschoben worden, brach in sich zusammen.

Politiker aller Couleur hatten da aber ihre Statements schon längst abgesondert. Mit Abscheu und Entsetzen reagierten sie allesamt auf den bösen „linksextremistischen“ Überfall, von Innenminister Hotte Seehofer (CSU) über FDP-Chef Christian Lindner bis zu Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, dessen Gedanken bei dem verletzten Beamten waren. Den Vogel schoss mal wieder Rainer Wendt ab, Chef der reaktionären Deutschen Polizeigewerkschaft, der in der Bild von einer neuen RAF faselte.

Da wollte der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, nicht nachstehen und warnte wenig später vor einem sich abzeichnenden neuen „Linksterrorismus“. „Taten der linksextremen Szene zeichnet eine neue Eskalationsstufe aus, weil sie sich nicht mehr nur gegen Sachen wie Wohnungen, Parteibüros oder Fahrzeuge richten, sondern mittlerweile auch direkt gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen“, behauptete er dreist in der Welt am Sonntag und verwies auf die Vorfälle in Connewitz. Das Hamburger Abendblatt untermauerte den Vorstoß von Voss mit Angaben des Landeskriminalamtes Hamburg, das von 36 „herausragenden Farb-, Stein- oder Brandanschläge“ wusste, die der „linksextremen Szene“ zuzuordnen seien. Anschläge gegen Gebäude, Fahrzeuge et cetera wohlgemerkt, nicht gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen.

In den „sozialen Netzwerken“ wurde zu recht vielfach darauf hingewiesen, wie grotesk es ist, von linkem Terrorismus zu schwafeln, während in den vergangenen Monaten und Jahren die Taten rechter Terroristen für Angst und Schrecken gesorgt haben – da gab es bekanntlich tatsächlich Tote. Radikale Linke sollten sich aber fragen, ob es wirklich Sinn macht, sich mit obskuren Vorstößen von Leuten wie Wendt oder Voß überhaupt sachlich zu befassen. Die Ereignisse von Connewitz und die Debatte danach, sollten eher Anlass sein, sich das Vorgehen der bürgerlichen Hetzer in Politik und Medien, Polizei und Diensten mit gesunder Distanz anzusehen und daraus zu lernen.

Hier ist offensichtlich die Gelegenheit genutzt worden, gleich zum Jahresbeginn ein Thema zu setzen und eine bestimmte Lesart durchzusetzen – und es ist erschütternd wie leicht das war. Natürlich lässt sich die Verletzung eines Polizisten nicht planen, aber dass bei Krawallen mal ein Bulle was abbekommt, liegt auf der Hand. Jedenfalls kam die Verletzung des Beamten in der Silvesternacht der Polizeidirektion Leipzig sehr gelegen. In der Pressemitteilung der Silvesternacht spricht die heimliche Genugtuung, mal wieder ordentlich gegen die Linken vom Leder ziehen zu können, aus jeder Zeile. Und natürlich hat der Pressesprecher der Direktion genau die Reizwörter verwendet, von denen er weiß, dass die Journaille auf sie anspringt.

Von schlampiger Pressearbeit zu sprechen, ist hier also komplett verfehlt, ebenso verfehlt wie die Appelle an die Redaktionen, doch gegenüber Pressemitteilungen der Polizei misstrauischer zu sein. Die Mitteilung der Polizei sollte so sein, wie sie war, und in den meisten Redaktionen ist man nur allzu bereit, solche Köder zu schlucken. Ich denke, man kann angesichts des Vorgangs davon sprechen, dass hier ein Stein ins Wasser geworfen wurde, um sich anzuschauen, welche Kreise er zieht. Wir werden in diesem Jahr sicher noch mehr derartige Inszenierungen erleben.

Auf diese Weise lässt sich nämlich prima von den Faschisierungstendenzen in den Apparaten ablenken. Und dazu sind solche Debatten auch eine Art „Beschäftigungstherapie“ für viele Linke, die sich immer wieder aufs Neue in Abwehrschlachten um die Deutungshoheit verstricken lassen, ihre Energie mit endlosen Diskussionen bei Twitter und Co oder anderswo vergeuden. Natürlich müssen bestimmte Diskurse geführt werden, auch wenn ihr Sinn nicht immer zu erkennen ist. Entscheidend ist aber, sich dabei immer wieder klar zu machen, dass von dieser Polizei, diesen Geheimdiensten und diesen Medien gar nichts anderes zu erwarten ist als Lüge, Repression und der Abbau von demokratischen Rechten und Räumen. Motto auch für 2020 sollte also sein: Erwarte nichts, analysiere alles und kämpfe weiter ums Ganze!

# Titelbild: Streetballplatz in Connewitz, Quelle: wikimedia.commons

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Ich saß vor kurzem im ICE neben einem Polizeibeamten in Uniform, der „Scherze“ darüber machte, dass er, seit es das Antidiskriminierungsgesetz gibt, nicht mehr machen könne was er wolle. Er stammelte, nachdem er die erschrockenen Gesichter sah, hinterher, dass das natürlich nicht heißt, dass er es vorher konnte, aber es war zu spät. Alle um ihn herum schauten peinlich berührt weg. Alle haben den „Scherz“ verstanden. Diese Art von Humor ist nicht selten bei Polizist_innen und lässt tief blicken. Erst vor kurzem machte sich die Polizei Berlin in einem Twitterkommentar über Polizeigewalt lustig. Das verursachte viel Empörung, zu Recht. Aber allein Empörung über dergleichen Witze reicht nicht aus. Das Problem liegt nicht am unsensiblen Umgang mit Polizeigewalt, sondern eben an der Gewalt und ihren Ermöglichungsbedingungen selbst.

Die Schenkelklopfer der Cops sind mehr als markaberer Humor. Die Polizei ist vor allem in der Lage, sich über Polizeigewalt lustig zu machen, weil es für sie in der Regel keinerlei Konsequenzen gibt. So wie wir eben Witze darüber machen, bei rot über die Straße zu gehen. Betroffene von Polizeigewalt haben kaum Aussicht auf Ahndung des Unrechts. Die Polizei hat einen unvergleichlichen Korpsgeist: Kolleg_innen sagen meistens nicht gegeneinander aus oder ermitteln nicht gegen andere Polizist_innen. Unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen gibt es bislang auch keine. Was Gewaltopfer in der Regel bekommen ist eine Gegenanzeige, meistens Widerstand gegen die Polizeigewalt, wenn sie es wagen der Polizei auf die Uniform zu bluten, manchmal noch Sachbeschädigung von Staatseigentum.

Gerade die Polizei Berlin tut sich durch Rassismus immer wieder hervor. Das liegt vor allem daran, dass sie sogenannte „kriminalitätsbelastete Orte“ geschaffen hat, die der Polizei die Möglichkeit geben wahllos (vor allem nicht-weiße) Menschen zu kontrollieren, ohne dass sie die Kontrollen rechtfertigen müssen. Das wird natürlich voll ausgenutzt.

Polizeigewalt ist kein Problem individueller Polizist_innen und es ist auch kein Problem mangelnder Reflektion. Sie wissen was sie tun und sie tun es, weil sie es können. Also muss man dafür sorgen, dass sie es nicht mehr können, indem ihnen die Befugnisse entzogen werden und ernsthafte Konsequenzen im Raum stehen. Die eigene Gewalt wird für die Polizei erst dann aufhören, ein Witz zu sein, wenn die Konsequenzen für sie ernst sind.

#Titelbild, Quelle: https://www.flickr.com/photos/rczajka/6427732389

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Seit dem 7. April 2019 wurde die 32-jährige Kenianerin Rita Awour Ojunge vermisst (wir berichteten). Sie lebte im Flüchtlingslager Hohenleipisch, welches von der Firma „Human Care“ betrieben wird. Obwohl Ritas Sohn seinem Vater erzählte, dass ein Mitbewohner des Lagers seine Mutter am Tag ihres Verschwindens niedergeschlagen und weggeschleppt habe und der Vater die Polizei vor Ort am 10. April verständigte, gaben die Behörden erst nach über zwei Wochen eine Suchmeldung heraus. Umfangreiche Maßnahmen erfolgten sogar erst im Juni. In einem Gebüsch in einem benachbarten Wald des Lagers wurden dann Mitte Juni skelettierte menschliche Überreste gefunden, welche der vermissten Rita Awour Ojunge zugeordnet werden. Wir sprachen mit Dana von „Women in Exile & Friends“ über Rita‘s Tod und die politische Einordnung, die dabei nicht übersehen werden darf.

Ganz zu Anfang: Kannst du kurz beschreiben, wer Rita Awour Ojunge war?

Wir kannten Rita alle als eine sehr freundliche Frau. Sie hat immer gelächelt. Sie war ruhig und hat nicht so viel geredet. Ich weiß, dass sie ihre Kinder geliebt hat. Als zunächst gesagt wurde, sie sei einfach abgehauen und hätte ihre Kinder verlassen, konnte ich das nicht glauben.

Was geschah am 7. April 2019?

An diesem Tag verschwand Rita. Anscheinend hatte sie mit einer Freundin verabredet, an diesem Tag zusammen nach Berlin zu fahren. Als ihre Freundin morgens an ihre Tür klopfte, um einen Besen, den sie ausgeliehen hatte, zurückzubringen und ihr zu sagen, dass sie nach Berlin losfahren könnten, sah sie Rita nicht. Im Zimmer waren die Kinder und der Nachbar, den alle als Freund Ritas kannten (Anmerkung Red.: der selbe Nachbar, den Ritas Sohn beschuldigt). Sie fragte ihn, wo Rita sei, aber er sagte, sie wäre schon zum Markt losgefahren. Details konnte er ihr nicht sagen. Die Freundin fuhr also allein nach Berlin, wurde aber mehrfach von anderen Nachbarinnen aus dem Heim angerufen und gefragt, ob sie Rita gesehen habe. Anscheinend hat auch der Heimleiter ein paar Tage, nachdem die Nachbarinnen ihn mehrfach auf das Verschwinden Ritas aufmerksam gemacht hatten, bei der Polizei angerufen. Die Polizei kam und durchsuchte das Lager und die nähere Umgebung, ging aber nicht gründlich vor. Deshalb denken wir alle, dass der Mörder gute Gelegenheit hatte, alle Beweise rund um Ritas Tod verschwinden zu lassen.

Bis zum 9. Mai ging die Polizei anscheinend nicht von einem Verbrechen aus, weswegen Ritas Verschwinden weiterhin als Vermisstensache behandelt wurde. Gleichzeitig gab es von Anfang an Hinweise auf ein Verbrechen durch die Aussagen des Sohnes. Wie verhält sich die Polizei gegenüber Angehörigen?

Am Tag von Ritas Verschwindens befragte die Polizei auch den älteren Sohn Ritas. Uns wurde von Nachbarinnen, die dabei waren, erzählt, dass er nur sagen konnte: „Mama Blut auf der Hand und auf dem Kopf.“ Und trotzdem hat die Polizei nie etwas zu ihrem Tod oder den Umständen, die zu ihrem Tod geführt haben, gesagt. Niemand weiß, was los ist, weil weder Polizei noch Heimleitung die Bewohner*innen informieren. Gerüchten zufolge sei der „Freund“ in ein nahegelegenes Heim transferiert wurde.

Nach all der Zeit, in der Rita vermisst worden ist, wurden ihre Überreste erst sehr spät an dem Ort aufgefunden, an dem die Polizei angeblich die ganze Zeit nach ihr gesucht hatte. Ihr schreibt auf euer Seite selbst, dass sich wieder „ganz deutlich die Vernachlässigung und der Rassismus“ zeigen. Inwiefern lässt sich behördlicher Rassismus an Ritas Fall erkennen?

Anscheinend rief der Heimleiter erst einige Tage, nachdem Bewohner*innen ihn mehrfach auf Ritas Verschwinden aufmerksam gemacht hatten, die Polizei. Letztlich brauchte es einen Anruf bei der Berliner Polizei, die dann Druck auf die Polizei in Brandenburg ausübte, damit überhaupt mal eine Vermisstenanzeige aufgenommen wird.

Ich glaube, die Suche nach Rita war so langsam, weil wir Geflüchteten nie Priorität haben, im speziellen noch einmal Schwarze Geflüchtete. Wenn die Polizei schneller reagiert hätte, hätten sie sicherlich ihren Körper gefunden, bevor es nur noch „Überreste“ waren.

Rassismus ist eine Realität. Als die Nachbarinnen meldeten, dass Ritas Kinder schreien und es keine Spur von ihrer Mutter gibt, dachten die Verantwortlichen zunächst, dass sie einfach irgendwo hin gegangen sei und bestimmt bald wieder käme. Es gab zunächst keinerlei Reaktionen von Heimleitung und Polizei, trotz des Alarms, den die Nachbarinnen von Rita schlugen.

Durch Ignoranz und Hass gegenüber Asylsuchenden, vor allem solchen, die in den Augen des Staats nicht genug „Wert“ haben, um hier bleiben zu können, wird eine Atmosphäre kreiert, in der die Person oder Personen, die Rita getötet haben, fast schon sicher sein können, dass sie davonkommen. In dem Kontext konnten sie auch von Anfang an, wie es ja auch eingetroffen ist, mit verlangsamten Ermittlungen rechnen.

Das Flüchtlingslager, in dem Rita lebte, wird von der Firma „Human Care” betrieben – allein der Name ist ja schon mehr als schlechter Sarkasmus. Inwiefern trägt konkret dieses Lager und die Firma Verantwortung für den Tod von Rita?

Der Firma „Human Care” sind wir egal. Es ist ein Business von Firmen, auf dem Rücken der Geflüchteten Geld zu machen. Das Lager in Hohenleipisch ist sehr abgelegen in einem Wald. Es ist ein Ort mit dünnen Wänden, Schimmel und Kakerlaken. Es gibt keine Nachbarn. Eigentlich gibt es drumherum nichts, außer wilden Tieren und Minen aus dem Krieg. Es muss leicht für den oder die Täter gewesen sein, Rita dort heraus zu schleppen und mit ihr zu machen, was immer sie gemacht haben.

Ich finde Securities nicht so super, denn meistens sind sie Teil des Problems. Aber in anderen Heimen machen sie wenigstens ihren Job – für Sicherheit sorgen – und drehen nachts Runden außerhalb der Wohnblöcke, um zu schauen, ob alles okay ist. Nicht so in Hohenleipisch. Oder wie hätte ihr Körper lebend oder tot einfach so mitten in der Nacht aus dem Heim verschwinden können?

Als Frauen* in den Lagern erleben wir täglich Gewalt: und zwar von Männern innerhalb und außerhalb des Lagers und durch Security-Mitarbeitende. In einem Fall von sexualisierter Gewalt zum Beispiel meldete die Frau den Täter bei der Security. Deren Antwort war, dass sie nur etwas tun könnten, wenn sie den Täter in Aktion erwischen, daher solle sie einfach zu ihnen kommen, wenn er sie das nächste Mal angreift. Wie soll das gehen? Wir wissen auch von verschiedenen Fällen, in denen Menschen auf mysteriöse Weise aus den Lagern verschwunden oder gestorben sind. Oder von Frauen wie Juliet H., die von ihrem weißen deutschen Ex-Mann in Hamburg mit 50 Messerstichen ermordet wurde.

Das Lagersystem ist ein System der Abhängigkeit. Für schutzbedürftige Gruppen wie alleinreisende Frauen* oder Kinder ist das sehr gefährlich. Rita wäre nicht gestorben, wenn es dieses Lager nicht gäbe und sie keine Schwarze asylsuchende Frau gewesen wäre.

Also muss sich grundlegend was ändern, damit solche Fälle wie Rita‘s nicht mehr passieren….

Ich beharre darauf, dass wir diese sehr harschen Asylgesetze ändern müssen. Für Rita war es eigentlich unmöglich, aus diesem Ort herauszukommen. Sie hatte zwei kleine Kinder, ihr Asylantrag war abgelehnt, ihre Sozialleistungen gekürzt und sie steckte mit ihrer Duldung in Hohenleipisch fest. Das machte sie sehr verletzlich. Und die Situation im Lager lässt Menschen durchdrehen…

Außerdem gab und gibt es viel Hass von Menschen, die Ritas Tod feiern. Der offene Rassismus in der Gegend von Hohenleipisch ist ein weiterer Faktor, der die Leute, die dort leben müssen, in stetige Furcht versetzt. Als wir dort letztens zu Besuch waren, erzählten uns die Frauen und Kinder im Lager, dass sie nach Ritas Tod in ständiger Angst leben. Sie können nicht schlafen und trauen sich nicht einmal mehr allein zur Toilette.

Ritas Tod lässt uns wiederholen, was Women in Exile seit 17 Jahren fordert: Keine Lager für Frauen* und Kinder. Alle Lager abschaffen.

Planen Women in Exile weitere Schritte? Gibt es Allianzen mit anderen Schwarzen Gruppen?

Wir stehen mit anderen Gruppen in Kontakt, die Ritas Tod aufarbeiten, sich um ihre Beerdigung kümmern und die Kinder unterstützen. Wir denken, dass der Mord an Rita einer von so vielen tragischen Feminiziden ist, die durch das sexistische und rassistische System, in dem wir leben, hervorgebracht werden. Es ist ein System, in dem (vornehmlich Männer) Gewalt mit Gewalt beantworten. Wir schließen uns als Frauen* zusammen, um diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Außerdem ruft Women in Exile am 27.08.19 um 14:30 Uhr zur Kundgebung „Gerechtigkeit für Rita!“ vor dem brandenburgischen Innenministerium in Potsdam auf. (Anmerkung Red.)

#Dana ist bei Women in Exile aktiv und musste selbst einige Zeit im Lager Hohenleipisch wohnen.

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Kommentar

Eine Schwarze Frau wird laut Aussage ihres Sohnes von einem Mitbewohner in einem Flüchtlingslager niedergeschlagen und weggeschleppt. Vor Ort will die Polizei Tage nach dem Verschwinden der jungen Mutter keine Vermisstenanzeige aufnehmen. Eine Suchmeldung wird erst knapp drei Wochen später eingeleitet. Über ihren Tod und den Rassismus bei deutschen Behörden will fast keiner sprechen.

Seit dem 7. April 2019 wurde die 32-jährige Kenianerin Rita Awour Ojunge vermisst. Sie lebte im Flüchtlingslager Hohenleipisch, Landkreis Elbe-Elster in Süd-Brandenburg, das von der Firma „Human Care“ betrieben wird. Ritas Sohn erzählte seinem Vater, der in Berlin lebt, sowie gegenüber Helfer*innen, dass ein Mitbewohner des Lagers seine Mutter am Tag ihres Verschwindens niedergeschlagen und weggeschleppt habe. Der Vater des Jungen hatte die Polizei vor Ort am 10. April verständigt, um eine Vermisstenanzeige aufnehmen zu lassen, wurde von dieser aber abgewimmelt. Erst als er die Berliner Behörden kontaktierte und diese wiederum die Polizei in Elbe-Elster anriefen, wurde eine Anzeige aufgenommen. Dabei hatte der Vater darauf hingewiesen, was der Sohn am Tag des Verschwindens seiner Mutter gesehen hatte. Der Mitbewohner war der Lagerleitung bekannt – er habe schon vor dem Verschwinden der Kenianerin Probleme gemacht, was Rita der Leitung auch mitteilte. Trotz dieser Hinweise gab die Polizei erst am 25. April eine Suchmeldung raus. Ritas Sohn wurde erst am 30. April vernommen.

Bis zum 9. Mai ging die Polizei anscheinend nicht von einem Verbrechen aus, weswegen Ritas Verschwinden weiterhin als Vermisstensache behandelt wurde. Erst durch weiteren Druck des Vereins Opferperspektive und einer von ihnen erstatteten Anzeige am 10. Mai wegen eines Tötungsdeliktes änderte sich das. Bis der Wald um das abgelegene Lager umfangreich von der Polizei abgesucht wurde, dauerte es aber noch rund einen Monat und benötigte den zusätzlichen Druck des Vaters. Nach all der Zeit, in der Rita als vermiss galt, wurden ihre skelettierten Überreste erst am 20. Juni in einem benachbarten Waldstück des Lagers gefunden. Die Leiche hatte zweieinhalb Monate in der Nähe ihres Wohnorts gelegen – obwohl die Polizei hier angeblich die ganze Zeit nach ihr gesucht hatte. Der Mitbewohner, den Ritas Sohn belastete, wurde wohl nach Protesten weiterer Mitbewohner*innen in ein anderes Lager verlegt. Weitere Konsequenzen sind nicht bekannt.

Nicht nur durch die Behörden, auch in den Leitmedien ist die Haltung bezüglich Ritas wahrscheinlich gewaltsamen Todes bestimmt durch Desinteresse. Intensive Recherchen fehlen in weiten Teilen der Presselandschaft. Lediglich die Junge Welt und die TAZ berichteten ausführlicher über ihren Tod.

Es handelt sich dabei nicht um einen Einzelfall. Der Umgang deutscher Behörden mit migrantischen und nicht-weißen Gewaltopfern zeugt von behördlichem, bzw. institutionellem Rassismus. Das zeigt der NSU Komplex genauso wie viele fast schon alltägliche Fälle von Gewaltverbrechen gegenüber Ausländer*innen und Menschen, die für Ausländer*innen gehalten werden.

Als zum Beispiel in Essen Mitte Juni ein Polizist auf Adel B. schoss, hieß es zunächst, dieser sei angeblich auf die Beamten gestürmt. Durch ein Handy-Video (welches kurzzeitig verschwunden war, nachdem die Polizei das Handy in den Händen hatten, aber online wieder auftauchte) weiß man jetzt, dass es genau anders herum war; die Polizisten preschten vor und ermordeten Adel. Oder der Mord an Hussam Hussein: 2016 wurde der irakische Asylsuchende vor einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Moabit von einem Polizisten erschossen – er soll angeblich ein Messer in der Hand gehabt haben. Erst jetzt, drei Jahre später, werden Zweifel an der damaligen Darstellung der Staatsanwaltschaft öffentlich benannt. Auch Amad Ahmad und William Tonou-Mbobda sind in jüngerer Vergangenheit in staatlichen Institutionen gestorben – im Knast und in einem Krankenhaus. Die Aufarbeitung und Berichterstattung in Anbetracht ihres Todes völlig unzureichend.

Das sind nur einige jener Fälle, die in der letzten Zeit mehr Aufmerksamkeit erhielten. Viele weitere Schwarze und/oder migrantische Tote und Ermordete in staatlichen Einrichtungen bleiben anonym.

Wenn ein*e weiße*r Deutsche*r jedoch zum Opfer wird, sieht das meist ganz anders aus. Weißes Leben scheint in dieser Gesellschaft sehr viel mehr „Wert“ zu haben als nicht-weißes. Wäre das anders, würden ernstzunehmende Konsequenzen z.B. für Polizist*innen, die für den Tod Schwarzer und/oder migrantischer Menschen verantwortlich sind, folgen. Ermittlungen würden schneller (oder überhaupt) laufen, die Medien würden Morde an Migrant*innen und institutionellen Rassismus klar benennen.

Das tun sie aber nicht, im Gegenteil. Kommerzielle Berichterstattung trägt ihren Teil dazu bei, oben genannte Fälle gar nicht oder nur widerwillig und langsam aufzuarbeiten.

So auch bei Rita Awour Ojunge. Wahrscheinlich wären die polizeilichen Ermittlungen viel schneller verlaufen, wenn Rita keine schwarze Frau gewesen wäre. Die Aussagen des Sohnes hätten mehr Aufmerksamkeit bekommen. Es hätte weniger Druck von außen gebraucht, die Polizei wäre zügiger von einem Verbrechen ausgegangen. „Human Care“ hätte aus ihrem Namen Programm gemacht.

Ganz offen zeigt sich in Fällen, wie dem von Rita, institutioneller Rassismus. Benannt wird er aber nicht. Hinterfragt und kritisch beleuchtet werden die Ursachen ihres Todes – welcher nicht losgelöst werden darf von der Zwangssituation, in die sie der Deutsche Staat steckte: Sich in einem Lager Mitten im Nichts, ohne Kontakt zur Außenwelt aufhalten zu müssen – nur von wenigen. Wäre Rita eine weiße Frau gewesen, hätte ihr Verschwinden es sicher in die 20 Uhr Nachrichten beim Ersten geschafft.

Institutioneller und struktureller Rassismus bleiben in Deutschland Alltag. Polizist*innen ermitteln in Fällen von Schwarzen und/oder Migrant*innen nur langsam oder überhaupt nicht (oder lügen, wie im Fall von Oury Jalloh, um eigene Verbrechen zu verschleiern), Medien berichten kaum oder gar nicht darüber. Rassismus wird dadurch unsichtbar gemacht.

Trotzdem ist er da, der Rassismus. In der Gesellschaft, in allen Organen und Institutionen des Staates und in den Medien. Der Versuch, ihn zu verschweigen oder ihn nur halblaut zu benennen, macht ihn nicht weniger gefährlich.

# Titelbild: Bahnhof Hohenleipisch, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Bahnhof_Hohenleipisch_14_Apr_2018_P1120420.jpg

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In der Law-and-Order Fraktion der Bundesregierung wird seit Jahren immer wieder über die Legalität und die Hintertüren von Hard- und Software diskutiert.  Ein neuer Anstoß kam dieses Jahr auf dem europäischen Polizeikongress im Februar durch Günter Krings, Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Krings schwadronierte, dass das sogenannte Darknet „keinen legitimen Nutzen“ in „einer freien, offenen Demokratie“ hätte und wer es nutzen würde, führe „in der Regel nichts Gutes im Schilde. Diese einfache Erkenntnis sollte sich auch in unserer Rechtsordnung widerspiegeln.“

Nach seinem Gefasel ging es dann aber auch ziemlich flott: keine vier Wochen nach dem Polizeikongress beschloss der Bundesrat einen umfassenden Gesetzesentwurf, das „IT Sicherheitsgesetz 2.0“. Wir haben mit Mike vom IT-Kollektiv darüber gesprochen, was das Gesetz genau beinhaltet, welche Konsequenzen es hätte und ob eine praktische Umsetzung überhaupt möglich ist.

Das neue IT Sicherheitsgesetz 2.0. sieht eine ganze Reihe neuer Straftaten, Strafverschärfungen und auch Befugnisse für die Polizei vor – könnt ihr einen Abriss darüber geben, welche Veränderungen neu sind?

Von dem Gesetz würden vor allem Leute mit IT-Kenntnissen betroffen sein – in erster Linie Administratorinnen und Aktivisten, die jeden Tag am freien Internet arbeiten. Die „Zielgruppe“ des Gesetzes hat mit Drogenhandel, Kinderpornographie, oder Terrorismus in der Regel nichts am Hut. Das Gesetz richtet sich gegen eine Technologie und ihre Betreiberinnen, in erster Linie gegen das Tor-Netzwerk.

Das Tor-Netzwerk dient zur Anonymisierung, es schützt Whistleblower und Dissidentinnen genauso wie Gesetzesbrecher, indem es ihre IP-Adresse verschleiert. Wer sich gegen die Datensammelwut der Surveillance-Capitalism-Konzerne wie Google, Facebook und Amazon schützen will, für die ist der Tor-Browser auch die beste Wahl. Außerdem ermöglicht es den Zugang zum bekanntesten Teil des Darknets, den Onion-Services oder auch Hidden Services. Dort werden Marktplätze betrieben, auf denen man Drogen, Waffen, gefälschte Ausweise und Kinderpornographie erwerben kann.

Aber auch andere Anonymisierungs-Dienste wie VPNs und Freifunk-Netze könnten davon betroffen sein. Alle diese Dienste haben eins gemeinsam: sie laufen nicht von selbst, sondern werden von Adminstratorinnen am Laufen gehalten. Das Tor-Netzwerk besteht aus Servern von NGOs, Einzelpersonen, und vor allem konkurrierenden Geheimdiensten; kommerzielle VPN-Anbieter verdienen an der Anonymisierung; und Freifunk ist ein ehrenamtliches Bürgerinnennetzwerk, das durch seine Dezentralität schwerer kontrollierbar ist als das Internet der kommerziellen Internetprovidern, und die teilweise auch Tor-Knoten betreiben.

Das Muster ist: der Staat ist frustriert, weil Tor so viele Gesetzesbrecherinnen vor der Strafverfolgung schützt. Da er an die nicht mehr herankommt, richtet er sich stattdessen gegen die Betreiber. So werden größtenteils ehrenamtliche Helferinnen kriminalisiert, die durch ihren Einsatz niemanden schaden, sondern das Recht auf Anonymität und Meinungsfreiheit schützen. Denn nachdem der Gesetzesentwurf im Bundesrat verschärft wurde, betrifft er nicht mehr nur Darknet-Marktplätze – auch das Betreiben von Relay- und Exit-Knoten, die das Tor-Netzwerk ausmachen, lässt sich künftig als Straftat auslegen.

Das ist vor allem wegen den neuen polizeilichen Befugnissen relevant; sowohl Telekommunikationsüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, als auch die sogenannte Online-Durchsuchung, also Staatstrojaner, dürfen gegen Leute eingesetzt werden, die beschuldigt werden, solche Dienste zu betreiben.

Die Motivation für die Gesetzesänderung ist also die Frustration des Staates, nicht die totale Kontrolle über das, was im Internet passiert, zu haben. Kann die Gesetzesveränderung als ein weiterer Schritt zum autoritären Staat angesehen werden?

Absolut. Der Rechtsstaat wurde mal erfunden, um die Bürgerinnen vor dem Staat zu schützen – Herrschaft sollte keine Einbahnstraße mehr sein, sondern die Autorität musste sich plötzlich an ihren eigenen Maßstäben messen. Daran gibt es viel zu kritisieren, zum Beispiel den Umgang mit Nichtbürgern und die tatsächliche Umsetzung, die in Deutschland vor allem an unvollständiger Gewaltenteilung und unmündigen Bürgerinnen krankt.

Ein untrügliches Zeichen, dass man sich vor dem Rechtsstaat mehr fürchten muss als sich auf ihn verlassen zu können, ist immer, wenn die Obrigkeit selbst besonders viel vom Rechtsstaat redet. Das würde sie nicht, wenn der Rechtsstaat auf unserer Seite wäre. Ein besonderes Exemplar ist hier Armin Laschet, der Ministerpräsident von NRW, dessen Name unter dem Gesetzesentwurf steht – wer ihn aus dem Hambacher Forst kennt, weiß, dass er und sein Innenminister nichts so sehr hassen wie rechtsfreie Räume.

Rechtsfreie Räume sind aber wichtig – weil Rechte eben immer nur gegen die Institutionen des Rechtsstaats durchgesetzt werden. Sich der Kontrolle zu entziehen ist ein rebellischer Akt, der einem Raum gibt, um an einem Danach oder Daneben zu arbeiten.

Und welche Konsequenzen hätten die Veränderungen des Gesetzes für Betreiber*innen und Nutzer*innen?

Für VPN-User wird sich nicht viel ändern – VPN-Dienste, die für Anonymisierung optimiert wurden, werden in der Regel in Panama betrieben. Die müssen sich jetzt schon nicht am deutschen Recht messen. Freifunk-Initiativen werden sich wahrscheinlich auch nicht davon beirren lassen, sondern ihren Datenverkehr wieder über einen VPN ins Ausland routen. Das sind die aus Zeiten der Störerhaftung noch gewohnt.
Tor funktioniert aber leider so, dass die Knoten-Anbieter eben nicht anonym sind. Wer einen solchen Knoten in Deutschland betreibt, muss sich auf Totalüberwachung und eventuell Strafe einstellen, wenn dieser Gesetzesentwurf so durchkommt. Die Höchststrafe liegt bei fünf Jahren Haft, wobei die Höchststrafe im Strafrecht selten angewandt wird. Betreiberinnen von Tor-Knoten ist ihre Privatsphäre jedoch in der Regel sehr wichtig, weswegen allein schon die Überwachungsbefugnisse viele abschrecken dürften.

Das gesamte Tor-Netzwerk wird darunter leiden, vor allem die Sicherheit, und die Geschwindigkeit, die in den letzten Jahren ja stark gestiegen ist. Viele Tor-Knoten stehen in Deutschland, weil die digitale Zivilgesellschaft hier im internationalen Vergleich recht stark ist.

Wir erinnern uns an Merkels „Das Internet ist für uns alle Neuland“ und „in gewisser Weise noch nicht durchschrittenes Terrain“. Weiß die Regierung überhaupt, wovon sie spricht, wenn sie das „Darknet“ verbieten will?

Die größte Bedrohung ist wohl die Vorbildfunktion des Gesetzes, ohne die es auch einfach nicht besonders viel bringt. Deutschland alleine wird das Darknet nicht austrocknen können. Für sich genommen ist das Gesetz zwar für deutsche Internet-Aktivistinnen sehr ärgerlich, aber für den Rechtsstaat ziemlich nutzlos. Nicht nur das, auch Geheimdienste betreiben viele Tor-Knoten, alleine schon um ihre Agenten vor den Geheimdiensten anderer Staaten zu schützen.

Auch deswegen glaube ich nicht, dass es hier wirklich um die Aufklärung von Gesetzesbrüchen geht, oder darum, die Opfer zu schützen. „Neuland“ heißt zwar nicht, dass Laschet und Konsorten das Internet nicht verstanden hätten, oder dass sie keine Ratgeberinnen hätten, die es besser wüssten. Aber es spricht eine Angst daraus, weil es ihnen ihre Grenzen aufzeigt – weil das Tor-Netzwerk wie das Internet eben nicht an Landesgrenzen aufhört.

Das sieht man auch daran, dass der neue Paragraph zu den Auslandstaten mit Inlandsbezug nach §5 StGB gezählt werden soll. Ich bezweifle, dass die das außerhalb Deutschlands verfolgen können – Telefone abhören können sie dort nicht so leicht. Und es wird schwer sein, einen Bezug zu Straftaten nachzuweisen, die in Deutschland begangen worden sind. Aber sie sind eben sauer, dass das Internet jetzt plötzlich kommt und ein rechtsfreier Raum ist. Und weil sie mit dem Spielzeug nichts anfangen können, versuchen sie, anderen ihr Spielzeug kaputtzumachen.

Weit kommen werden sie damit nicht. Solange es Rechenzentren in Panama oder auf den Cayman-Inseln gibt, und solange Geheimdienste das Tor-Netzwerk nutzen wollen, werden Gesetzesbrecherinnen das Tor-Netzwerk nutzen können.

#Interview mit Mike vom IT-Kollektiv

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Kommentar

„Niemand muss Bulle sein“ heißt es in einer Textzeile der Punkband Feine Sahne Fischfilet. Viel präsenter sind in letzter Zeit aber die Fragen „Wer ist eigentlich Bulle?“ und „Wer darf eigentlich Bulle sein?“. Anscheinend ist die deutsche Polizei nämlich massiv von Faschisten durchsetzt. Preppernetzwerke die vermutlich von SEK-Beamten mit Munition versorgt werden, LKA-Mitarbeiter, die Drohbriefe an Linke schicken oder Cops aus Hessen, die als „NSU 2.0“ einer Anwältin und ihrer Familie drohen oder zumindest die persönlichen Informationen weitergegeben haben bestimmen die Diskussion.

Dass Schlagstock schwingen, Knöllchen und Pfefferspray verteilen und – jetzt ganz neu – mit Elektroschockern spielen Tätigkeiten sind, die tendenziell eher autoritäre Charaktere anziehen ist nichts Neues. In den letzten drei Wochen gab es allerdings über das „Wer haut mir da gerade eifgentlich den Schädel ein?“ Gerichtsentscheidungen, die die Perspektive der Justiz auf die Ordnungshüter*innen in den Fokus rückt.

Zum einen ist da ein ehemaliger Kriminalkommissaranwärter der entlassen wurde, weil er 2018 ein Video bei Youtube eingestellt hat, in dem er eine „Betrugsmasche“ nachstellt. Die Pressemitteilung des Amtsgerichts beschreibt das Video folgendermaßen: „Darin führt er an der Kasse eines Cafés ein fingiertes Telefonat mit dem angeblichen Geschäftsführer und gibt unter dem Vorwand einer Absprache Bestellungen auf, ohne diese zu bezahlen.“ Dieses Fehlverhalten war für das Verwaltungsgericht so schlimm, dass es schwerwiegende Zweifel an seiner Eignung für den Polizeidienst gebe, weswegen seine Klage gegen die Entlassung abgeschmettert wurde. Weiter heißt es „Aufgabe der Polizei sei es, Straftaten zu verhindern und aufzuklären, nicht aber für vermeintliche Betrugsmaschen – selbst in Form eines Sketches – zu werben“. Somit ist der Ex-Cop nun seit dem 11. Juni arbeitslos.

Zum anderen ist da der Fall von drei Polizeianwärtern, die ein Basketballspiel in Berlin besuchten. „Schräg gegenüber von unseren Plätzen fielen meiner Kollegin und mir sieben Männer auf, die kurz nach Spielbeginn einen schwarzen Spieler der gegnerischen Mannschaft mit Affengeräuschen beleidigten“ so erzählt der Sozialarbeiter Sören S. der taz von deren Verhalten. Die drei angehenden Cops haben mitgemacht. Alltagsrassimus könnte man meinen, spezieller Charakter in der Behörde eben. In einer auf den Vorfall folgenden Gerichtsverhandlung kam dann heraus, dass die drei nicht nur rassistische Beleidigung, sondern auch „Sieg Heil“ gebrüllt hätten. Am 16. Mai wurden die drei Cops in Ausbildung zu jeweils 40 Tagessätzen verurteilt. Ihren Job durften sie behalten. Einer von ihnen wurde inzwischen zum Polizeimeister auf Probe befördert.

Und dann wird ein Schuh draus. Wer auch nur so tut, als würde er ein Eigentumsdelikt begehen, hat bei den Cops nichts zu suchen. Wer „Sieg Heil“ ruft und nicht-weiße Menschen rassistisch beleidigt offensichtlich schon. Angesichts solcher Entscheidungen wird auch deutlich, dass Drohbriefe, Alltagsrassismus, und Hitlerverehrung ganz offensichtlich keine „unglücklichen Einzelfälle“ sind, wie sonst so gerne betont wird. Die Aufgabe der Polizei ist die Sicherung der bestehenden Eigentumsverhältnisse und solange sie diese Aufgabe erfüllt, sind Staat und Justiz gerne bereit, rassistisches und faschistisches Verhalten in Kauf zu nehmen. „NSU 2.0“, Preppernetzwerke und Konsorten sind da nur die logische Konsequenz. Hauptsache sie bezahlen ihren Kaffee.

Foto: Vanis/CC-BY-SA 3.0

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Der Anschlag vom Breitscheidplatz hätte verhindert werden können. Ein Grund, warum er gelang, liegt in der Prioritätensetzung von Berliner Polizisten und Politikern.

Reden wir Klartext: Das Landeskriminalamt (LKA) Berlin hat Mitschuld am Tod von 12 Menschen. Es hat – weil es in seinem grenzenlosen Hass auf radikale Linke andere Aufgaben vernachlässigte – einen Terroranschlag geschehen lassen. Das wiederum war keineswegs ein „Behördenversagen“, sondern eine fast logische Konsequenz aus der im Berliner Staatsschutz vorherrschenden Prioritätensetzung: Der Feind steht links. Diejenigen, wie der frühere Innensenator Frank Henkel (CDU), die seit Jahren diese Unkultur in der Behörde nicht nur tolerieren, sondern fördern, können sich ebenfalls für den Verlust von einem dutzend Menschenleben auf die Schultern klopfen.

Sehen wir uns die Geschichte an. (mehr …)

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