Stammbaumforschung ist Abfall

21. Juli 2020

Autor*in

Jane

Vorweg lass mich Axiome streuen. Einfach so.

1. Es reicht nicht nicht-rassistisch zu sein, du musst antirassistisch sein.

2. Antifaschismus ist kein „Extrem“ einer radikalen Linken, sondern das Mindestmaß an demokratischer Vernunft.

3. Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus sind dieser kapitalistischen, nationalstaatlichen Grundordnung inhärent und notwendig, um sie aufrechtzuerhalten.

4. Die Polizei dient als Apparat der Interessen des Nationalstaates und es ist ihre Aufgabe, diese mit Gewalt durchzusetzen.

Deutschland, die Ausgeburt der Stammbaumforschung.

Ausgehend von den USA entzündete sich wegen mordenden Polizisten eine weltweite Bewegung gegen rassistische Polizei Gewalt –

Parallel dazu randalieren, frustriert von anhaltender Polizei-Schikane, hunderte Jugendliche in Stuttgart.

Der entpolitisierende Terminus „Partyszene“ geistert durch die Medien, die Antwort der Stuttgarter Polizei lautet: Stammbaumforschung.

Derweil sieht Horst „Migration ist die Mutter aller Probleme“ Seehofer keinen Grund für eine Studie zum Vorkommen des sog. „racial profiling“ bei seinen Beamt*innen.

Let that sink in. Oury Jalloh, „Dönermorde“, Nsu.2.0., Stammbaumforschung.

Ich habe ja nicht Geschichte studiert und vielleicht irre ich mich, aber als das letzte Mal versucht wurde, in Deutschland nationale Interessen mit Stammbaumforschung durchzusetzen, führte es zur maschinellen Ermordung von mehreren Millionen Menschen.

Wenn nun also deine „Herkunft“ irgendwas darüber aussagen soll, wie du dich warum verhältst, dann wäre für mich eine „Stammbaumforschung“ anderer Art interessanter. Wie viele Polizist*innen sind wohl aus rechten Milieus? Wie viele verkehren mit Neonazis?

Der Witz ist, dass die Polizei sich permanent als Opfer stilisiert. Es fehle, speziell der migrantischen Jugend, der grundsätzliche Respekt vor ihrer Autorität. Mit Schlachtrufen wie dem der „Stammbaumforschung“ will auch davon abgelenkt werden, wie schlecht es um das Ansehen ihres Berufes wirklich steht.

Aber das ist vor allem selbst verschuldet.

Noch so eine Behauptung von mir, die ich einfach nicht belegen werde, such doch selber nach den „Einzelfällen“ und „Fehltritten“ und liste sie auf.

Und dann such gleich nach Statistiken zu internen Ermittlungen und Konsequenzen, die daraus gezogen worden. (Spoiler1: Verbotenes ist verboten und passiert deshalb nicht; Spoiler2: wenn du erst gar nicht ermittelst, kannst du nichts feststellen)

Dass es noch immer kein externes Untersuchungsorgan für den Polizeiapparat gibt, ist der echte Skandal. In wessen geistiger Tradition steht der absurde Gedanke einer „sauberen“ unfehlbaren Polizei eigentlich?

Es ist pure Ironie wie der liberale Mittejournalismus die letzten Wochen parierte, als es zum Beispiel um eine Satire gegen die Polizei ging. Den Begriff Korpsgeist hätte ich nie auf Zivilist*innen übertragen, aber da steckt ein erschreckend williger Glaube an „die Guten“ in dem einem Stefan oder der anderen Gabi.

Dabei ist das alte „Dein Freund und Helfer“ nichts als semantische Manipulation, ein offenbar bis heute tief in den Köpfen festsitzendes Erbe des Faschismus.

Ursprünglich ein Ausdruck in der Weimarer Republik hatte Heinrich Himmler die Idee, ihn für die Polizei unter Hitler zu nutzen. Bis heute wird die Polizei zum Beispiel zynischer Weise auf der AnkommenApp.de unter diesem Motto vorgestellt.

Wie sieht es eigentlich mit historischer Strukturforschung aus? Die Rolle der Polizei im Hitler-Faschismus scheint bis heute nicht klar aufgearbeitet zu sein und ich vermisse Transparenz, wenn es um die neu gegründeten Polizeistrukturen nach 1945 geht.

Man könnte, statt sich an Menschen rassistisch abzuarbeiten, sich kritisch mit der dritten Gewalt auseinandersetzten, ganz als ob wir in einer Demokratie leben würden. Stattdessen aber lieber die Stammbäume. Auf Stammbaumforschung folgte damals Sippenhaft, what’s next Deutschland?

# Bildquelle: wikimedia.commons

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