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Zwei ehemalige Berliner Polizeischüler wurden am Freitag vom Landgreicht Berlin vom Vorwurf freigesprochen „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verwendet zu haben. Den beiden Angeklagten war vorgeworfen worden bei einem Basketballspiel in Berlin am 27. April 2018 „Sieg Heil“ gerufen zu haben, als sie dort privat einen Geburtstag feierten. In der ersten Instanz waren die beiden Angeklagten B. und W. noch zu Geldstrafen verurteilt worden. Ein dritter in der ersten Instanz Angeklagter hatte seine Berufung zurückgezogen und ist damit rechtskräftig verurteilt. Nach Angaben der B.Z. ist er auch seinen Job als Polizist los. Die beiden jetzt Freigesprochenen dürfen, sofern das Urteil rechtskräftig wird, ihren Job behalten.

Das Verfahren war zur Anklage gekommen, weil zwei Sozialarbeiter*innen, zusammen mit von ihnen betreuten Jugendlichen, im selben Block waren, wie die Angeklagten. Die Gruppe der Angeklagten war den beiden schon vor den von Ihnen beobachteten und gehörten „Sieg Heil“ Rufen unangenehm aufgefallen. Sie hätten bei Ballkontakten von Schwarzen Spielern „Affengeräusche“ gemacht und als Cheerleader auftraten „Ausziehen“ gebrüllt. Der Anwalt von B. bezeichnete das vor Gericht als „unflätiges Verhalten“. Teil der juristischen Auseinandersetzung war diese Zurschaustellung von rassistischem und chauvinistischen Gedankengut aber nicht. Der Angeklagte B. Habe dann, was er auch vor Gericht eingeräumte, „den Adler gemacht“, also die Arme ausgebreitet, und „Sieg“ gerufen. Die beiden Zeug*innen haben dann gesehen und gehört, wie die beiden anderen Angeklagten W. Und F. „Heil“ gerufen haben, was der Angeklagte W. im Verfahren vehement bestritt.

Die Sozialarbeiter*innen kontaktierten daraufhin den Sicherheitsdienst, damit die pöbelnde Gruppe der Halle verwiesen werden konnte was dann, nach Aufnahme einer Anzeige und Gegenüberstellung, auch geschah. Dass es sich bei den Angeklagten um angehende Polizisten handelte wurde erst im Laufe der ersten Gerichtsverhandlung klar.

Im Laufe des Prozesses wurden auch weitere Polizeischüler, die auf der Geburtstagsfeier waren, als Zeugen gehört. Diese gaben an weder “Sieg” noch “Heil” gehört zu haben. Einem von ihnen, H., hatte der in der ersten Instanz rechtskräftig verurteilte F. allerdings gestanden „Heil“ gerufen zu haben.

Ein in der jetzigen Verhandlung zentraler Punkt war die Frage, ob es denn in der Halle laut gewesen sei. Diese angenommene Laustärke war dann auch ausschlaggebend für den Freispruch. Der vorsitzende Richter und die beiden Schöffinnen sahen es nicht als erwiesen an, dass erstens der „Sieg“ brüllende Angeklagte B. die – trotz der zwei Zeug*innenaussagen – nicht als gesichert gewerteten „Heil“-Rufe der beiden neben ihm Sitzenden gehört habe. Zweitens müssten die „Heil“-Rufe, die das Gericht wie gesagt nicht als erwiesen ansah, so leise gewesen, dass der Vorsatz, diese an die Öffentlichkeit zu richten, nicht nachzuweisen sei.

Das Gericht ist damit wohl einem alten Trick aus der rechten Fußballfanszene auf den Leim gegangen. Zum einen sind „Sieg“- Rufe bei weitem nicht so üblich, wie vom Gericht angenommen, auch nicht beim Fußball. „Das war in den 90er Jahren in den Stadien vor allem in Ostdeutschland so, dass Leute „Sieg“ gerufen haben und die anderen im Wechsel dann „Heil“. So dass die Leute einzeln nicht belangt werden konnten. Später sind Fanszenen darauf umgestiegen, das nicht mehr ganz so eindeutig zu machen und nur noch „Sieg“ zu rufen“, erklärt Max Kulik, aktiver Fußballfan dem LCM. „Fanszenen die permanent „Sieg“ rufen sind aber auf jeden Fall verdächtig, der Nachweis ist natürlich schwierig. Im Verlauf der Zeit haben sich dann durch die Umpolitisierung von Ultras Fanszenen gebildet, die das nicht mehr ganz eindeutig herleiten, die das einfach rufen, weil das schon immer gerufen wurde.“

Der Zeuge und Polizeischüler H. hat übrigens wegen des Verfahrens den Kontakt zu allen Angeklagten abgebrochen. Er finde der Vorwurf sei „schwerwiegend“ und gehe nicht mit dem zusammengehe, wofür er stehe.

Rassismus, Chauvinismus und ein Hang zum laxen Umgang mit Nazis in den eigenen Reihen sind in der jüngeren Vergangenheit immer wieder an die Öffentlichkeit geraten. Nach den diversen Skandalen der letzten Zeit um Chatprotokolle und rechte Preppergruppen innerhalb des Polizeiapparats, ist der hier verhandelte Fall ein weiterer in in einer langen Reihe von sogenannten Einzelfällen.

Sollte H. Seine konsequente Haltung weiterhin durchziehen, wird er in Zukunft also wohl öfter Selbstgespräche führen müssen. Der in der ersten Instanz verurteilte F. wird sich hingegen wohl ärgern, dass er nicht auf die Milde und das Verständnis des Gerichts gewettet hat.

# Titelbild: Christian Zeiner, CC BY-SA 2.0, Symbolbild, Mercedes Benz Arena, Alba Berlin vs. BBC Bayreuth 2011

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Manchmal nimmt man sich einen Apfel aus der Obstschale und denkt: Na, der hat zwar drei, vier braune Stellen, aber essen kann man ihn schon noch. Wenn man dann reinbeißt, stellt man fest, dass das Fruchtfleisch fast durchweg braun und der Apfel mithin ungenießbar ist. Dieses Bild verdeutlicht vielleicht ganz gut, wie es sich mit der Polizei in diesem Land verhält. Auch wenn die Meldungen über rechte Polizisten nicht abreißen, werden diese Fälle gemessen an der Gesamtzahl von Polizeibeamten zwar noch eher als vereinzelte „braune Stellen“ wahrgenommen. Aber immer mehr drängt sich doch die Frage auf: Ist der „Apfel“, sprich: die Polizei, nicht von innen heraus schon längst braun, verfault, also von rechtem Gedankengut infiziert?

Es ist weniger die reine Zahl von Fällen, in denen rechte Polizeibeamte geoutet werden oder sich selbst outen, die dafür spricht, sondern mehr noch die Dimension der Skandale. Mitte September etwa flogen in Nordrhein-Westfalen rechte Chatgruppen von mindestens 30 Beamten auf. Sie hatten über WhatsApp Hakenkreuze und Bilder von Adolf Hitler getauscht, sich an der fiktiven Darstellung der Ermordung eines Flüchtlings in einer Gaskammer ergötzt. Beteiligt war eine komplette Dienstgruppe der Polizei in Mülheim an der Ruhr, die zum Polizeipräsidium Essen gehört. Dieses Präsidium scheint so etwas wie ein Epizentrum für die Ausbreitung rechten Gedankenguts in Polizeikreisen zu sein, wie sich inzwischen zeigte.

Nur wenige Tage nachdem der Skandal um die rechten Chatgruppen hochgekocht war, berichtete das Springerblatt Welt über ein vom Essener Polizeipräsidium herausgegebenes internes Papier zum Thema „Arabische Familienclans“. Wer dieses rassistische Machwerk, das man als zumindest protofaschistisch, wenn nicht im Kern schon faschistisch bezeichnen muss, gelesen hat, wird sich nicht mehr darüber wundern, dass im Bereich dieses Präsidiums rechte Chatgruppen gedeihen. Sogar die sonst der Polizei eher nahe stehende Welt konnte da offenbar nicht mehr mitgehen, bezeichnete die Schrift als „eine Mischung aus „Der Pate“ und „Expeditionen ins Tierreich“.

Angesichts der kritischen Berichte der Welt und dann auch weiterer Medien hat das Polizeipräsidium Essen, das von dem SPD-Mann Frank Richter geführt wird, die Broschüre inzwischen online gestellt, versehen mit einem Statement, so dass sich jede/r ein eigenes Bild machen kann. Weder aus dem Statement noch aus der Tatsache der Veröffentlichung der Broschüre lässt sich herauslesen, dass es bei den Verantwortlichen auch nur ansatzweise so etwas wie ein Problembewusstsein gibt. Im Gegenteil: Man klopft sich für das Machwerk auch noch auf die Schulter!

Es handle sich um eine „interne Kurzinformation für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“, heißt es da. Um „Hintergrundwissen zu erlangen und erfolgversprechende Arbeitsansätze bei der Bekämpfung“ sei es vor allem bei „neuen Kriminalitätsphänomenen“ durchaus „üblich, Fakten und Strukturen, beispielsweise in Form einer Broschüre oder auch Flyern zusammenzutragen, um die Handlungskompetenz operativ tätiger Polizeibeamter zu erhöhen“. Das Polizeipräsidium Essen habe sich als „eine der ersten Behörden im Land NRW der intensiven Bekämpfung krimineller Familienangehöriger von Clanfamilien“ angenommen. Ausführlich werden im Statement die Verdienste und Erfahrungen der Autorin der Broschüre herausgestrichen.

Bei dieser Autorin handelt es sich um Dorothee Dienstbühl, Professorin an der Fachhochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (FHöV) NRW, und zwar an der Außenstelle Mülheim an der Ruhr, also just dort, wo die rechten Chatgruppen von Polizisten aufgeflogen sind. Gibt es da vielleicht einen genius loci, ein unguter Geist des Ortes? Dienstbühl ist jedenfalls schon mehrfach auffällig geworden, etwa im Juli, als sie im Mitgliedermagazin der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Titelgeschichte unter der Überschrift „Linksextremismus: Die Erben der RAF – Verstörende Menschenbilder“ gegen Links austeilte. In einem Rundumschlag denunzierte sie radikale Linke sämtlich als unpolitische Kriminelle, „entlaufene Wohlstandskinder“, bemühte sämtliche Klischees, die über „Linksextremisten“ im Umlauf sind.

Diesem Stil des Zitierens von Klischees und der pauschalen Denunziation ganzer Bevölkerungsgruppen bleibt die Polizeiprofessorin auch in der Broschüre über „arabische Clans“ treu. Eine Schrift, die auf jedem Büchertisch der AfD gut aufgehoben und sicher auch als Beilage zu einem der Bestseller von Thilo Sarrazin geeignet wäre. Schon Überschrift und Foto auf der Vorderseite der Broschüre lassen den Inhalt erahnen. Unter der Überschrift „Arabische Familienclans. Historie. Analyse. Ansätze zur Bekämpfung.“ ist das Foto einer Shisha-Bar zu sehen, schön kitschig, wie sich Otto Normalverbraucher so eine Lokalität vorstellt. Im Zentrum des Fotos ist eine Polizistin zu sehen, flankiert durch einen Kollegen. Sie kontrolliert drei Gäste, die vor ihr auf Sofas sitzen.

Das Bild passt tatsächlich zum Inhalt. Dienstbühl rührt ein abstoßendes Gemisch von Klischees und Ressentiments an, das – gewollt oder ungewollt – all den Hetzern im Netz und anderswo, die in „arabischen Clans“ und einer „Islamisierung des Abendlandes“ die größte Gefahr sehen, Stichworte liefert. Sie beschreibt die „Familienclans“ als rückständige, in jahrhundertealten Wertevorstellungen gefangene Strukturen, die mit der von Dienstbühl apostrophierten modernen Demokratie westlicher Prägung in diesem Land auf Kriegsfuß stehen. Die „Clans“ werden in der Schrift durchweg als Feind präsentiert, die mit allen Mitteln zu bekämpfen seien.

Zwischentöne und Differenzierungen oder gar so etwas wie eine soziologische Analyse zugrunde liegender Phänomene sind bei einer solchen Einstellung natürlich nicht zu erwarten. Dienstbühl geht es durchaus darum, „die Clans zu verstehen und zu begreifen, wie sie strukturiert sind“, aber eben doch nur um zu ermitteln, „was ihnen schadet“, wo die „Schwachstellen“ sind. Merke: „Vorläufige Festnahmen und Gerichtsprozesse haben sich häufig als wenig schädlich für das Familiengefüge erwiesen.“

Es handle sich um eine „notwendige Kollektivbetrachtung, die sich auf Mitglieder von Familienclans mit krimineller Neigung bezieht“, heißt es in der Broschüre weiter. Großzügig wird konstatiert, es seien „natürlich“ keineswegs alle „Mitglieder, die einem Clan zuzuordnen sind“, kriminell. Auf eine „stetige Abgrenzung zwischen Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind,“ müsse aber verzichtet werden. Zum einen, „weil grundlegende Denkmuster „häufig auch bei Familienmitgliedern verankert sind, die nicht kriminell auffällig sind“, zum anderen weil „auch bei Kenntnis über Kriminalität einzelner Familienmitglieder der Rest schweigt“. Hier wird also nach der Devise verfahren: Die haben doch alle Dreck am Stecken! Eine mehr als merkwürdige Rechtsauffassung für eine Polizeibehörde.

Über die „Lebenswelt arabischer Familienclans“ ist in der Broschüre zum Beispiel Folgendes zu lesen. Der Mann sei „der Stammhalter und Entscheidungsträger“. Er sei „zuständig für die Beschaffung von Geld und Ressourcen für die Familie, sowie die Vertretung nach außen“ und das „Bewahren der Familienehre“. Die Frau ist dagegen „Hüterin der Familie“, ihre Rolle beziehe sich „auf ihre Gebärfunktion zur Gewährleistung des Clanerhalts und die Erziehung der Nachkommen im Sinne der Tradition“. Und: „Je mehr Kinder eine Frau für den Clan gebärt, desto besser.“

Überhaupt das Ehrverständnis. Das sei in „stammesgeprägten Familien“ ein ganz anderes als in westlichen Vorstellungen. In westlichen Demokratien werde die Ehre „auf das eigene Verhalten bezogen“, weiß Dienstbühl. Nach dem „Verständnis im islamischen Kulturkreis“ werde der Mensch „und vor allem der Mann mit Ehre geboren“. Diese Ehre müsse er verteidigen, denn sie könne durch das Verhalten anderer Person verletzt werden. Die Schwelle für eine Ehrverletzung liege recht niedrig und begründe Misstrauen und einen hohen Kontrollbedarf untereinander.

„Kurdische Familienclans“ nimmt sich die Autorin noch einmal gesondert vor. Sie seien „patriarchalisch und darwinistisch geprägt und sie haben Jahrhunderte Jahre alte Stammesstrukturen und Regelwerke kultiviert“, erfahren die LeserInnen. Macht werde dort vor allem „durch Luxus demonstriert. Dieser sei „zum Teil allerdings Show“. Da würde mit Leihwagen oder „aufbereiteten Unfallautos geprotzt oder mit aufwendigen Brautkleidern, die tatsächlich aus minderwertigem Material gefertigt seien. „Betrug und Hochstapelei ist innerhalb der Clans und sogar den einzelnen Familien untereinander verbreitet“, heißt es wörtlich. Mit derartigen Sätzen wäre Dienstbühl auf jeder Versammlung von AfD-Mitgliedern oder bei den Demonstrationen von Pegida eine umjubelte Rednerin.

Das ist bis dahin alles schon widerlich genug, aber die rechte Polizeipopulistin setzt noch einen drauf. Sie erstellt allen Ernstes Tabellen unter den Überschriften: „Wovor haben sie Angst?“, „Was schwächt sie?“ und „Wo sind sie zu treffen?“. Da ist dann zu lesen, dass man in „kurdischen Clans“ nicht nur Angst vor Ehrverlust und Verlust von Geld hat, sondern auch vor einer Unterordnung unter „Ehrlose“ und eine „Aversion vor regulärer Arbeit“. Zu treffen seien Clanmitglieder, indem etwa „vorhandenes Misstrauen in die eigene Community“ geschwächt werde, durch „Schwächung der Männlichkeit“ oder indem man ihnen Geld und Luxusartikel nehme.

Der Skandal lässt sich aber immer noch toppen – und zwar mit Empfehlungen für den Einsatz, die auch in der Berichterstattung der Medien skandalisiert worden sind. Dienstbühl empfiehlt allen Ernstes den Einsatz von Hundestaffeln bei sämtlichen Maßnahmen von Polizei und Zoll gegen „Clans“. Beamte hätten immer wieder die Erfahrung gemacht, „dass aggressive Clanmitglieder ängstlich auf Hunde reagieren“. Die Angst vor Hunden habe ihren Ursprung im sunnitischen Islam, „in welchem diese als minderwertig und insbesondere ihr Speichel oder nasses Fell als unrein gelten“. Aber die Autorin hat noch einen Tipp in petto. Der Einsatz weiblicher Beamte habe „bei Clanmitgliedern ebenfalls eine Wirkung“. Denn „deren Rollenvorstellungen besagen, dass sich Frauen den Männern fügen müssen“. Insbesondere junge Polizistinnen stünden dem „gelebten Weltbild der Clans diametral entgegen“. Daraus folgt: „Treten Polizistinnen entsprechend aggressiv auf, setzen sich durch und dominieren den Mann (z.B. in der Festnahme), kann dies dessen Ehre verletzen.“
Man sieht sie förmlich vor sich: die junge blonde Polizistin mit dem deutschen Schäferhund an der Kette, die das „arabische Clanmitglied“ dominiert. Spätestens an dieser Stelle wird der Rassismus der Broschüre unerträglich.

Wie kann man ein derartiges Machwerk gut heißen in einem Jahr, in dem ein rechter Terrorist in Hanau Menschen erschossen hat, weil die Shisha-Bar für ihn der typische Ort war, an dem sich „kriminelle Ausländer“ aufhalten?! Wie ist es möglich, dass eine Dozentin, die in der Schulung von Polizeibeamten eine erhebliche Rolle spielt, solche Theorien ungestraft äußern und in einer offiziellen Schrift verbreiten darf?! Es sind offenbar doch mehr als nur ein paar braune Stellen am „Apfel“. Das Innere scheint schon ganz schön braun zu sein.

#Titelbild: RubyImages/APN
Hanau-Gedenkdemo in Berlin unter dem Motto “Kein Vergessen”, 19.08.2020

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„Ich dachte er wäre sicher im Gefängnis – und musste realisieren, dass niemand der in den Knast muss sicher ist…“ sagt Dahman Mayouf. Dahman ist Bruder von Ferhat Mayouf, der am 23. Juli bei einem Brand in seiner Zelle in der JVA Moabit starb. Die Todesumstände sind grausam, die Bedingungen unter denen er untergebracht war genauso. Drei Tage vor seinem Tod hatte er bei einem Haftprüfungstermin über Depressionen und Selbstverletzung geredet und gesagt, dass er in eine Haftklinik müsse. Dies sei in einem ihm vorliegenden Protokoll auch so vermerkt, ergänzt Dahman. Die Richterin sprach wohl auch eine Empfehlung zu ärztlicher Behandlung aus. Die Untersuchung durch den Anstaltsarzt erfolgte allerdings nie. Für den Dahman, ist damit die Vernachlässigung seines 38 jährigen Bruders bewiesen. Stattdessen benutzt die Vollzugsanstalt selbiges Protokoll um ihre Behauptung des Suizids zu untermauern. Nachforschungen von Criminals for Freedom zeichnen allerdings ein gänzlich anderes Bild.

Zusammen mit Ferhats Familie und über Berichte von Mitgefangenen konnten sie die Todesumstände von Ferhat rekonstruieren. Das Licht in den meisten Zellen war in den Abendstunden aus, als einige Gefangene einen Brandgeruch wahrnahmen. Es war ein dumpfes Wummern von Schlägen an einer Zellentür zu hören. Verzweifelte Hilferufe. Ein anderer Gefangener benachrichtigt die Wärter. „Die Insassen hörten, wie es 5 Minuten lang aus der Brandzelle Hilferufe gab und lautstark gegen die Zellentür wummerte. Ein Insasse sah durch ein Loch seiner Zellentür, wie zwei Schlusen (Gefängniswärter, Anm. d. Red.) im Gang standen und nichts unternahmen, obwohl er um Hilfe und immer wieder ‚Feuer‘ schrie. Bis es verstummte. Einer hörte auch, wie sich die Schlusen wohl berieten, aber nichts unternahmen. Sie standen die ganze Zeit vor seiner Zelle.“, so berichtet es ein Mitgefangener Criminals for Freedom. Als zwanzig Minuten später die Tür von der Feuerwehr geöffnet wird, ist Ferhat Mayouf bereits tot.

Todesfälle durch Brände in Gewahrsam sind keine Einzelfälle. Ferhat Mayoufs Geschichte weckt Erinnerungen an den Fall von Oury Jalloh, der vor 15 Jahren in Dessau gefesselt in seiner Zelle verbrannte, sein Tod und die Verwicklung von Polizeibeamten ist nie befriedigend aufgeklärt worden. Oder an den Fall von Amad Ahmad der am 17.09.2018 in der JVA Kleve durch einen Brand in seiner Zelle starb. Nicht nur sein Tod wirft Fragen auf, sondern auch der Umstand, dass er durch eine Verwechslung inhaftiert wurde. Zudem war die Verwechslung der Polizei bereits wochenlang vor dem Tod bekannt. Auch wenn dies erst nach dem Brand öffentlich gemacht wurde.

Immer wieder sterben Gefangene, vor allem People of Color und Schwarze Menschen, in den Knästen. Diese als Suizid zu bestimmen hilft dabei, die Verantwortung des Knastes auszublenden. Gefangene sind bei Vorkommnissen wie Brandausbrüche absolut wehrlos. „Du bist eingeschlossen und hast keine Chance“ so Dahman Mayouf. Aber tatsächlich sind sie aller Gewalt vollkommen ausgeliefert. Im Fall von Ferhat ;ayouf spricht Dahman von „Folterungen im Knast, durch Prügel aber auch Isolation“. Nach Berichtenvon Mitgefangenen war Ferhat Mayouf von Schließern vor seinem Tod zusammengeschlagen und zwei Tage im sogenannten „Bunker“ isoliert worden. Körperliche Verletzungen wie Rippenbrüche seien auch ärztlich dokumentiert.

Rassismus, rassistische Polizei- und Justizgewalt und Unterdrückung sind keine Phänomene, welche ausschließlich vor den Knasttoren zu finden sind, im Gegenteil. In Knästen sind die Verhältnisse im Vergleich zu draußen sogar verschärfter. Nicht nur rassistische Justizangestellte sind Teil des „Normalzustandes“ im Knast. Regelmäßig gibt es Fälle, wie eben den von Ferhat Mayouf, die das eindrücklich zeigen.

Gesellschaftlich ist das ein massives Problem. Knäste sind im Gegensatz zur Todesstrafe in breiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Selbst unter radikalen Linken scheint die unbewusste Überzeugung verbreitet, dass es doch ein paar Menschen gibt, die da hingehören. Durch die Kategorisierung „kriminiell“, und das Wegsperren, befreien Knäste die Gesellschaft von der Verantwortung, sich mit den drängenden gesellschaftlichen Problemen auseinander zu setzen. Die Inhaftierung ist zur ersten Antwort auf viel zu viele der sozialen Probleme geworden, die Menschen in Armut belasten. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen und vieles anderes. All das sind Probleme, von denen PoC wesentlich stärker betroffen sind, als Weiße, der rassistische Charakter dieser Gesellschaft zeigt sich am Ende auch in den Knästen.

Dort sind alle Gefangenen dem System Knast ausgesetzt. „Sie pushen die Leute sich selbst umzubringen. Nicht nur das sie ihnen Feuerzeuge und Seile in die Zelle geben, sie zerstören sie seelisch. Das ist falsch!“ meint Dahman Mayouf. Vereinzelung im Knast und die verschiedenen Formen von Gewalt machen die Gefangenen psychisch kaputt. Knäste isolieren Menschen von der Gesellschaft, sie foltern und töten. Unter Knastumständen kann niemals von einem sogenannten Selbstmord die Rede sein, auch nicht im Fall von Ferhat Mayouf.

# Text: Selma Ali-Sherwan von Sabot44

# Am 29.08.2020, 19 Uhr, U-Bahnhof Turmstraße findet eine Demo statt, um an Ferhat Mayouf und alle anderen im Knast ermordeten zu erinnern und sich an die Seite all jener zu stellen, die gefangen gehalten werden

# Titelbild: JVA Moabit, wikimedia commons, G.Elser, CC BY 3.0

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Anfang vergangener Woche machten auf Instagram Bilder eines jungen Mannes mit mehreren Kopfverletzungen die Runde. Zwei Brüder, Jecki und King_S, waren in der Nacht vom 16. auf den 17. August von Berliner Beamten festgenommen worden. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei, von Schlägen, Beschimpfungen und Misshandlungen ist die Rede.

Eine Pressemeldung der Berliner Polizei zu dem Vorgang gibt es nicht, eine schriftliche Anfrage von lower class magazine blieb bislang unbeantwortet. Wir haben uns mit den beiden jungen Männern getroffen und mit ihnen über den Vorfall gesprochen.

Ihr habt auf Instagram eure Begegnung mit der Berliner Polizei vom vorvergangenen Wochenende öffentlich gemacht. Was ist an diesem Abend geschehen?

Jecki: Wir waren zu zweit mit zwei Freundinnen im Mauerpark, haben Musik gehört und gechillt. Es war schon etwas später, ein bisschen dunkel und schon menschenleerer. Da kam so ein Typ vorbei, der Glasflaschen gesammelt hat. Der wollte eine halbvolle Flasche von uns nehmen, wir haben gesagt, er soll die nicht mitnehmen. Dann gab es eine verbale Auseinandersetzung, der Typ hat angefangen, uns zu beleidigen und so. Aber dann ist er zunächst wieder gegangen.

Nach zwanzig Minuten kam er wieder, aber nicht allein. Ein Kumpel von ihn, eine Frau waren dabei und sie hatten jetzt zwei Kampfhunde. Dann haben sie meine Bruder angegriffen und es kam zu einer Auseiandersetzung.

Gab es während des Angriffs rassistische Bemerkungen?

Jecki: Ja, die haben ihn auch N**** genannt und so.

King_S: Er hat seinen Hund auf mich gehetzt. Ich habe davon auch Bissverletzungen.

Was ist dann passiert?

Jecki: Wir sind dann weggegangen, zur Tram an der Bernauer. Wir sind losgefahren, ein paar Stationen später kam dann aber die Polizei rein. Einer der Beamten hat gesagt, wir sollen mitkommen. Ich habe gefragt, warum. Er hat nichts dazu gesagt, sondern mich nur aufgefordert, aufzustehen und mich umzudrehen. Ich habe wieder gefragt, warum. Auch da hat er nicht geantwortet, sondern direkt versucht, mich mit Gewalt festzunehmen. Dann hat er meinen Bruder am Nacken gepackt. Sie waren sehr grob zu ihm, sodass auch drei, vier Passantinnen sich beschwert haben und gefragt haben, warum die so mit ihm umgehen. Er hat nur gesagt, das gehe sie nichts an.

King_S: Dann hat er mich aus der Bahn rausgeholt. Und als ich draußen war, hat er mir ins Ohr gesagt: „Du Wichser, du wirst sehen, was ich mit Dir mache.“ Meine Handschellen waren sehr fest, man sieht ja immer noch die Narben. Ich sagte: Können Sie bitte meine Handschellen lockern? Aber ich wurde nur beschimpft, als Arschloch, als Affe. Und ich wurde bedroht. Er hat mich dann hinter das Auto mitgenommen, sein Bein war vor meinem und er hat zwischen den Handschellen nach oben gerissen. Er hat mich so auf den Boden geworfen und auf dem Boden war eine Bordsteinkante, da bin ich dann mit dem Kopf dagegen. Ich habe nur noch Blut gesehen und gesagt: Mein Kopf blutet. Und er antwortete nur: Halt deine Fresse, Halt dein Maul.

Du warst zu diesem Zeitpunkt auch schon festgenommen, Jecki?

Jecki: Ich war da noch in der Tram. Sie haben ihn zuerst rausgezogen. Und als sie mich rausgezogen haben, habe ich nur gesehen, wie er bewusstlos auf dem Boden lag.

King_S: Als ich da lag knieten sich ein Polizist auf meine Beine, einer auf meinen Nacken. Und ich habe dann irgendwann keine Luft mehr gekriegt. Auch als ich schon am Boden lag und blutete, haben sie nicht aufgehört, mich zu schlagen. Ich hatte ja viel Blut verloren und wurde einfach bewusstlos. Dann kam irgendwann ein Krankenwagen, ich kann mich noch erinnern, dass ich kurz aufgewacht wird und eine Krankenschwester meinen Kopf gestützt hat. Ich wurde dann ins Krankenhaus gebracht. Ich habe immer gefragt, wo sie meinen Bruder hinbringen, aber es hat niemand geantwortet.

Bei Dir ging es dann in die Gefangenensammelstelle?

Jecki: Mich haben sie in einen nahegelegnen Polizeiabschnitt gefahren. Von dort dann zu einem anderen Abschnitt. Dann wurde ich wieder entlassen. Ich habe die auch gefragt, was sie mit meinem Bruder gemacht haben. Einer hat mich angeguckt und meinte, er wäre gestolpert und dumm hingefallen. Er hatte ein Lächeln im Gesicht, als er das sagte. Ich habe die ganze Zeit Fragen gestellt, warum, wieso, dies und das, weil die uns keinen Grund genannt haben, warum sie uns festnehmen. Aber auch das Fragen hat denen anscheinend nicht gepasst, der eine hat mich dann als Arschloch bezeichnet. Und es gab immer wieder Übergriffe. Etwa bei der Fahrt von der Tramstation zum Abschnitt habe ich mit den Handschellen das Fenster ein wenig runtergemacht, weil mir warm war. Dann hat einer von denen die Handschellen verdreht, dass sie noch enger werden. Als wir auf dem Abschnitt waren, habe ich schon beim ersten Schritt aus dem Auto ein Knie abbekommen. Da waren fünf, sechs Beamte um mich rum. Ich hab ein paar Tritte bekommen und sie meinten, ich solle mein Maul halten, wenn ich auf dem Abschnitt bin und dass ich mich benehmen soll.

Hat man euch irgendeine Anzeige vorgelegt? Irgendeinen Grund, warum sie euch mitgenommen haben?

Jecki: Sie haben uns angezeigt wegen Widerstand und weil wir sie angeblich beleidigt hätten.

Das bezieht sich aber ja, wenn überhaupt, auf die Zeit nach der Verhaftung. Das Delikt, wegen dem man euch überhaupt erst mitgenommen hat, hat man euch nicht mitgeteilt?

Jecki: Nein. Wir haben vermutet, dass sie wegen dieser Auseinandersetzung davor gekommen sind. Aber gesagt haben sie uns nichts, also wissen wir es eigentlich auch nicht.

Du hast ja ein Attest vom Arzt bekommen, was für Verletzungen hast du davongetragen?

King_S: Vor allem die Wunden am Kopf. Zwei der Platzwunden mussten genäht werden. Aber ich hatte auch noch eine verletzte Schulter von der Festnahme. Und Bisswunden von dem Hund, aber das war ja vor der Festnahme.

Hattet ihr ähnlich schlechte Erfahrungen mit der Polizei schon zuvor?

King_S: Für mich ist es das erste Mal, dass ich so von Polizisten geschlagen wurde. Aber jetzt, da das passiert ist, will ich es auch öffentlich machen. Das kann ja jedem jederzeit passieren.

Jecki: Bei mir genauso. Derartige Gewalt von Beamten habe ich bisher noch nie erlebt, das war das erste Mal.

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Am 18. Juni diesen Jahres wurde der 54-Jährige Mohamed Idrissi in Bremen Gröpelingen von einem Polizisten ermordet. Der Fall wurde durch ein online veröffentlichtes Video der Tat medial bekannt. Unsere Autorin Leila Aadil hat Nadia und Aicha, Schwägerin und Tochter des Opfers zu dem Fall befragt. Die Gesprächspartnerinnen haben die Fragen gemeinsam beantwortet.

Nach den tödlichen Schüssen auf Mohamed Idrissi wurde bekannt, dass er an einer psychischen Erkrankung litt. Wie hat sich seine Krankheit ausgewirkt? Und wie behaltet ihr Mohamed in Erinnerung?

Mohamed war ein liebevoller, ruhiger und introvertierter Mann. Er lebte zurückgezogen, das heißt, er verließ seine Wohnung nur sehr selten und trotzdem hatte er ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn. Diese berichteten nur Gutes über ihn. Er war sehr kinderlieb und hat den Nachbarskindern immer Bonbons oder einen Euro für Süßigkeiten gegeben. Leider litt Mohamed an psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel einer paranoiden Schizophrenie. Er lebte in ständiger Angst, von irgendjemandem getötet zu werden. Außerdem entwickelte er im Zuge dessen einen Reinlichkeitsdrang, der sich durch ständiges Reinigen der Fenster und der kompletten Wohnung, inklusive Wände, deutlich machte. Des Weiteren machte sich seine Krankheit darin bemerkbar, dass er uns, seine eigene Tochter und Familie, des Öfteren nicht erkannte und sich vor uns erschrak.

Wir als Familie und seine, für ihn sprechenden, solidarischen Freunde, bleiben mit gebrochenem Herzen zurück.

Was hat sich am 18. Juni zugetragen?

Am Donnerstag, den 18. Juni 2020, wurde Mohamed, am helllichten Tag vor seiner Wohnung in Bremen, Gröpelingen bei einem fehleingeschätzten Polizeieinsatz erschossen. Ursprünglich sollte eine Kellerräumung stattfinden, da sich durch seinen Reinlichkeitsdrang Schäden in diesem zugetragen haben. Allerdings waren vier bewaffnete Beamte vor Ort, die ihre Waffen schon auf ihn gerichtet haben noch bevor er auf irgendeine Weise bedrohlich wirkte. Es war der Polizei bekannt, dass Mohamed psychisch krank war und trotzdem war keiner seiner Betreuer oder der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort. Bei der Polizei entstand der unnötige Wille zur unmittelbaren und eigenständigen Lösung der Situation und diese schien einzig und allein der Griff zur Waffe zu sein. Nachdem er von den Beamten provoziert und mit Pfefferspray besprüht wurde, floh er aus Angst in Richtung eines Beamten und wurde von ihm zwei Mal in die Brust geschossen, woraufhin er starb.

Inwiefern glaubt ihr hat das Verhalten der Vermietungsgesellschaft Espabau zu Mohameds Tod beigetragen?

Der Vermietungsgesellschaft war Mohameds psychischer Zustand bekannt. Inwieweit diese mit zur Verantwortung gezogen werden können, bleibt erst einmal fraglich. Dies hätten wir gerne lückenlos aufgeklärt. Leider fehlen uns dazu jegliche Informationen. Die Firma Espabau ist weder auf uns zugekommen, noch haben sie sich unseren Wissens nach zur ganzen Angelegenheit geäußert.

Wie bewertet ihr den Einsatz der Polizei?

Der komplette Einsatz war eine einzige Katastrophe. Ein sogenannter Fehleinsatz. Man hat einen psychisch kranken Mann mit Pfefferspray besprüht und zu viert in einem hysterischen Ton auf ihn eingeredet. Man hat eine Eskalationssituation provoziert. Was erwartet man von einem psychisch kranken Menschen nach so einem Verhalten?

Jeder der schon einmal in Kontakt mit Pfefferspray gekommen ist, weiß dass dieses sehr starke Auswirkungen hat und man die Sicht verliert. In unseren Augen hat er niemanden attackiert, er ist geflohen. Geflohen vor einer für ihn bedrohlichen Situation. Außerdem waren die dort anwesenden Polizisten mit der kompletten Situation überfordert. Sie waren, wie man augenscheinlich in dem Video erkennen kann, kein Team. Zu jung, zu unerfahren und überhaupt nicht zuständig.

Wie hätte die Tat verhindert werden können?

Die Anwesenheit der Polizei war völlig falsch koordiniert, diese hätten unserer Meinung nach gar nicht da sein dürfen. Zunächst hätten primär die Betreuer vor Ort sein müssen. Menschen, die ihn verstehen und mit ihm umgehen können. Dazu hätte der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort sein sollen. Diese hätten die Situation anständig bewältigen können, da sie speziell für solche Menschen und Fälle ausgebildet wurden. Da aber die Polizei schon vor Ort war, hätten sie großen Abstand wahren, in einem ruhigen, gemäßigten Ton mit ihm sprechen und auf die oben genannten Fachleute warten müssen.

Nach diesen Verhaltensmustern, wäre die Situation gar nicht erst eskaliert, vielmehr wäre diese dann deeskaliert. Aufgrund des Fehlverhaltens der Beamten war Mohamed aber schon aufgewühlt und selbst danach hätte man andere Mittel wie simple Hilfe der Nachbarn annehmen können, welche vergeblich versucht haben, die Beamten davon zu überzeugen, dass sie ihn verstehen und beruhigen könnten. Doch dieses Vorhaben wurde maßlos ignoriert, stattdessen reagierte man mit Gewalt. Zuletzt hätte man im absoluten Notfall andere Mittel wie z.B. den Einsatz von Schildern oder Netzen zur Überwältigung nutzen können.

Seht ihr im Tathergang Parallelen zu anderen Fällen, in denen Menschen von der Polizei ermordet wurden?

Wir sehen Parallelen zu so unendlich vielen (über 160) von der deutschen Polizei getöteten psychisch kranken und/oder Menschen of Colour. An dieser Stelle erinnern wir an Laya-Alama Condé, der mittels Brechmitteleinsatz von der Polizei getötet wurde. Das war Mord! Oury Jalloh, welcher in seiner Zelle fixiert und angezündet wurde. Das war Mord! Maria B., eine ebenfalls psychisch kranke Frau wurde in Berlin-Friedrichshain von einem Polizisten erschossen. Auch das war Mord! Dies waren nur ein paar Beispiele, um deutlich zu machen, dass Mohameds Fall leider nicht der erste war.

Wofür kämpft Justice for Mohamed?

Das Bündnis JusticeForMohamed, setzt sich aus der Familie von Mohamed und sozial engagierten Gruppen und Menschen zusammen. Zusätzlich haben wir als Familie Dr. Jan von Lengerich als Rechtsbeistand hinzugezogen. Dieser kämpft mit uns auf rechtlicher Ebene. Wir wollen in erster Linie Gerechtigkeit für Mohamed, das heißt wir fordern eine lückenlose Aufklärung seines Falls.

Wir fordern, dass Verantwortung übernommen wird und Schuldeingeständnisse seitens der Polizei bzw. der Verantwortlichen folgen. Der strukturelle Rassismus innerhalb der Polizei muss erkannt und thematisiert werden. Außerdem fordern wir eine höhere Sensibilisierung im Umgang mit psychisch Erkrankten seitens der Polizei. Diese sollte viel mehr auf die Thematik in Aus- und Fortbildungen eingehen, da bekanntlich ein deutliches Defizit besteht. Unsere Kampagne richtet sich zunächst an die Öffentlichkeit. Uns ist bewusst, dass solche Fälle des Öfteren unter den Tisch gekehrt werden, weshalb wir mittels unserer Medienpräsenz, den Demonstrationen und Kundgebungen Aufmerksamkeit erregen, damit auch der letzte Verantwortliche mitbekommt, dass wir nicht schweigen werden. Statistisch gesehen werden Fälle, in denen Polizisten zu Unrecht morden zum größten Teil als Notwehrhandlungen dargestellt, weshalb die Anklagen relativ schnell fallen gelassen werden. Wir haben uns allerdings zum Kampf gerüstet und werden weder schweigen noch aufgeben bis wir Gerechtigkeit erfahren.

Wie kann man euch unterstützen?

Wir benötigen die Unterstützung von jedem, der nicht mehr länger bereit ist wegzuschauen. Menschen, die es leid sind, immer wieder mit anzusehen, wie psychisch kranke Menschen of colour oder Schwarze Menschen von der Polizei, den vermeintlichen „Freunden und Helfern“, aufgrund ihrer Hautfarbe erschossen werden.

Wir wünschen uns Solidarität. Seid mit uns laut, schaut nicht weg und kommt mit uns auf die Straßen. Teilt und folgt uns auf unseren Social Media Accounts, welche alle unter dem Namen @justiceformohamed zu finden sind, damit auch der letzte der Verantwortlichen, die Angelegenheit eben nicht unter den Tisch kehren kann.

Wir sind vom System allein gelassen worden. Wir stehen mit unglaublich hohen, aus dem Mord resultierenden Kosten da. Diese ergeben sich unter anderem aus den Beerdigungskosten, Kosten für eine unabhängige Obduktion und Rechtsanwaltskosten. Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet und hoffen, dass ihr uns auch bei diesem Kampf zur Seite steht.

# Bildquelle: Initiative JusticeForMohamed

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Vorweg lass mich Axiome streuen. Einfach so.

1. Es reicht nicht nicht-rassistisch zu sein, du musst antirassistisch sein.

2. Antifaschismus ist kein „Extrem“ einer radikalen Linken, sondern das Mindestmaß an demokratischer Vernunft.

3. Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus sind dieser kapitalistischen, nationalstaatlichen Grundordnung inhärent und notwendig, um sie aufrechtzuerhalten.

4. Die Polizei dient als Apparat der Interessen des Nationalstaates und es ist ihre Aufgabe, diese mit Gewalt durchzusetzen.

Deutschland, die Ausgeburt der Stammbaumforschung.

Ausgehend von den USA entzündete sich wegen mordenden Polizisten eine weltweite Bewegung gegen rassistische Polizei Gewalt –

Parallel dazu randalieren, frustriert von anhaltender Polizei-Schikane, hunderte Jugendliche in Stuttgart.

Der entpolitisierende Terminus „Partyszene“ geistert durch die Medien, die Antwort der Stuttgarter Polizei lautet: Stammbaumforschung.

Derweil sieht Horst „Migration ist die Mutter aller Probleme“ Seehofer keinen Grund für eine Studie zum Vorkommen des sog. „racial profiling“ bei seinen Beamt*innen.

Let that sink in. Oury Jalloh, „Dönermorde“, Nsu.2.0., Stammbaumforschung.

Ich habe ja nicht Geschichte studiert und vielleicht irre ich mich, aber als das letzte Mal versucht wurde, in Deutschland nationale Interessen mit Stammbaumforschung durchzusetzen, führte es zur maschinellen Ermordung von mehreren Millionen Menschen.

Wenn nun also deine „Herkunft“ irgendwas darüber aussagen soll, wie du dich warum verhältst, dann wäre für mich eine „Stammbaumforschung“ anderer Art interessanter. Wie viele Polizist*innen sind wohl aus rechten Milieus? Wie viele verkehren mit Neonazis?

Der Witz ist, dass die Polizei sich permanent als Opfer stilisiert. Es fehle, speziell der migrantischen Jugend, der grundsätzliche Respekt vor ihrer Autorität. Mit Schlachtrufen wie dem der „Stammbaumforschung“ will auch davon abgelenkt werden, wie schlecht es um das Ansehen ihres Berufes wirklich steht.

Aber das ist vor allem selbst verschuldet.

Noch so eine Behauptung von mir, die ich einfach nicht belegen werde, such doch selber nach den „Einzelfällen“ und „Fehltritten“ und liste sie auf.

Und dann such gleich nach Statistiken zu internen Ermittlungen und Konsequenzen, die daraus gezogen worden. (Spoiler1: Verbotenes ist verboten und passiert deshalb nicht; Spoiler2: wenn du erst gar nicht ermittelst, kannst du nichts feststellen)

Dass es noch immer kein externes Untersuchungsorgan für den Polizeiapparat gibt, ist der echte Skandal. In wessen geistiger Tradition steht der absurde Gedanke einer „sauberen“ unfehlbaren Polizei eigentlich?

Es ist pure Ironie wie der liberale Mittejournalismus die letzten Wochen parierte, als es zum Beispiel um eine Satire gegen die Polizei ging. Den Begriff Korpsgeist hätte ich nie auf Zivilist*innen übertragen, aber da steckt ein erschreckend williger Glaube an „die Guten“ in dem einem Stefan oder der anderen Gabi.

Dabei ist das alte „Dein Freund und Helfer“ nichts als semantische Manipulation, ein offenbar bis heute tief in den Köpfen festsitzendes Erbe des Faschismus.

Ursprünglich ein Ausdruck in der Weimarer Republik hatte Heinrich Himmler die Idee, ihn für die Polizei unter Hitler zu nutzen. Bis heute wird die Polizei zum Beispiel zynischer Weise auf der AnkommenApp.de unter diesem Motto vorgestellt.

Wie sieht es eigentlich mit historischer Strukturforschung aus? Die Rolle der Polizei im Hitler-Faschismus scheint bis heute nicht klar aufgearbeitet zu sein und ich vermisse Transparenz, wenn es um die neu gegründeten Polizeistrukturen nach 1945 geht.

Man könnte, statt sich an Menschen rassistisch abzuarbeiten, sich kritisch mit der dritten Gewalt auseinandersetzten, ganz als ob wir in einer Demokratie leben würden. Stattdessen aber lieber die Stammbäume. Auf Stammbaumforschung folgte damals Sippenhaft, what’s next Deutschland?

# Bildquelle: wikimedia.commons

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Von der Kampagne Shut Down Schweinesystem

Die Corona-Krise ist vorbei. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen, wenn man sich anschaut in welchem Tempo eine Maßnahme nach der anderen gelockert wird. Insbesondere Nordrhein-Westfalen nimmt hierbei unter Ministerpräsident Armin Laschet eine Vorreiterrolle ein. Dass breite Teile der Bevölkerung wieder die Einkaufsstraßen fluten, ihre sozialen Kontakte reaktivieren, dicht an dicht gedrängt in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, ist kaum verwunderlich.

Denn der staatlicherseits angestrebte Spagat zwischen fortlaufendem Zwang zur Arbeit und den sogenannten Social Distancing Maßnahmen im Privaten war schwer nachvollziehbar. Die großen Corona-Partys fanden schließlich staatlich angeordnet in Großbetrieben, wie Amazon-Fulfillment-Centern, dem Bausektor oder Schlachtbetrieben statt und auch überall sonst, wo man auf Saisonarbeiter*innen aus dem (EU-)Ausland angewiesen ist. Diejenigen die nicht weiter arbeiten durften, sahen sich aus dem Nichts mit existenziellen Fragen konfrontiert, auf die der Staat mit Tropfen auf den heissen Stein, wie etwa einem viel zu gering ausfallenden Kurzarbeiter*innengeld, keine angemessene Antwort gab.

Die haarsträubenden Arbeits- und Wohnbedingungen tausender Saisonarbeiter*innen, die, einzig zum Wohl des deutschen Wirtschaftsstandorts und gegen jede Corona-Schutzverordnung, tausendfach eingeflogen wurden, sprechen Bände über die Prioritäten, die während der Pandemie gesetzt werden. Es geht hierbei nicht um den Schutz von Menschenleben, sondern um die Sicherung von Kapitalinteressen und die Fortführung des kapitalistischen Normalvollzugs.

Was die Kampagne #LeaveNoOneBehind schon zu Beginn der Pandemie voraussagte, wird spätestens jetzt Realität: Die Marginalisierten und Prekarisierten trifft die Krise – die auch ohne Corona-Pandemie zu erwarten gewesen wäre und jetzt noch verschärft zu Tage tritt – am stärksten. Die Beispiele aus Ernte- und Schlachtbetrieben wie in Bornheim oder Gütersloh, zahlreichen Geflüchtetenlagern (bspw. in Bremen, Suhl und Ellwangen), aus den Wohnkomplexen Maschmühlenweg und Groner Landstraße in Göttingen und zuletzt aus den Landkreisen Coesfeld und Oldenburg weisen trotz lokaler Besonderheiten viele Gemeinsamkeiten auf.

All diese Orte wurden während der noch immer grassierenden Pandemie zu Corona-Hotspots. Betroffen sind zum Großteil migrantische und prekarisierte Arbeiter*innen. Schon vor der Corona-Krise von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, bis zur Unsichtbarkeit marginalisiert und nun von den implementierten Corona-Schutzmaßnahmen fast schon mehr betroffen als geschützt: Wo man dazu gezwungen ist, auf engstem Raum nebeneinander zu wohnen und zu arbeiten, sich mit hunderten oder gar tausenden Anderen eine prekäre Lebensrealität teilt und es gleichzeitig am Nötigsten für einen effektiven Infektionsschutz fehlt, ist Armut der Grund für Krankheit oder sogar Tod.

Der Fall des am Virus verstorbenen Feldarbeiters in Bad Krozingen, wie auch die unzähligen Ausbrüche in Göttingen oder im Schlachtbetrieb Tönnies strafen die vielzitierte Phrase “Vor dem Virus sind wir alle gleich” mit frappierender Evidenz Lügen. Die Corona-Krise zeigt überdeutlich auf, dass soziale Lage und Gesundheit unmittelbar miteinander verbunden sind und, dass man für Kohle bereit ist, über Leichen zu gehen.

Als wäre das für sich noch nicht genug, befeuern Politik und Medien eine rassistische Mobilisierung gegen die am schlimmsten von der Pandemie Getroffenen. So sprach etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet vor dem Hintergrund der jüngsten Ausbrüche in den Schlachtbetrieben davon, dass das Virus aus Rumänien oder Bulgarien eingeschleppt worden sei, während die von ihm forcierte Lockerung der Maßnahmen in keinem Zusammenhang damit stünde. Gleichermaßen bediente etwa die bundesweite Presse rassistische Motive, wonach migrantische Großfamilien für die steigenden Infektionszahlen in Göttingen verantwortlich seien und fütterten somit jenes rassistische Narrativ, welches dem Terroranschlag von Hanau am 19. Februar 2020 den Nährboden bereitete.

Im Rahmen des jüngsten Skandals trifft es also wieder eine Produktionsstätte, in der mehrheitlich osteuropäische Saisonarbeiter*innen unter prekären Bedingungen beschäftigt und untergebracht sind: Wochenlang werden die Arbeiter*innen in die Schlachthöfe gekarrt, arbeiten und leben auf engstem Raum und sind so einem unverantwortlichen Infektionsrisiko ausgesetzt. Die öffentlich gewordenen Bilder zeigen überfüllte Kantinen, mangelhafte Schutzausrüstung und bereitgestellte Unterkünfte, die eher den Ställen der geschlachteten Tiere ähneln, als einer menschenwürdigen Wohnsituation. Den Arbeiter*innen werden mitunter 7-Bett-Zimmer zu horrenden Preisen bereitgestellt, deren Kosten bereits vom ohnehin unwürdig geringen Lohn abgezogen werden. Die Lebensmittelversorgung während des Lockdowns, die von Tönnies übernommen werden sollte, ist unzureichend und hat bereits zu massiven Versorgungsengpässen gesorgt.

Die rigorose Durchsetzung des Lockdowns in den betroffenen Landkreisen durch massive Polizeipräsenz an den Unterkünften der Belegschaft macht auch hier wieder den rassistischen Charakter der staatlichen Institutionen deutlich. Nirgendwo sonst wurde in solch einer repressiven Weise das Leben der Menschen während der Pandemie kontrolliert und durchleuchtet wie bei den betroffenen, meist osteuropäischen Saisonarbeiter*innen.

Ausgestattet mit Werk- und Leiharbeitsverträgen von Sub-Subunternehmen, ist es den Arbeiter*innen kaum möglich ihre Arbeitsrechte wahrzunehmen und gegen die miserablen Arbeitsbedingungen vorzugehen. Drohender Lohnausfall stellt die Betroffenen von einem Tag auf den anderen vor existenzielle Bedrohungen. Die Angst in Armut und Obdachlosigkeit abzurutschen und die neuerlich verabschiedeten Maßnahmen verschärfen die Abhängigkeit von diesem Schweinesystem und verhindern eine solidarische Praxis der Belegschaft untereinander.

Die Beschäftigung über Subunternehmen in Werksverträgen, menschenunwürdige Unterbringung, schlechte Verpflegung und der ausbleibende Seuchenschutz in Zeiten der Pandemie sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Der deutsche Wirtschaftsstandort im Allgemeinen, das einzelne Unternehmen im Besonderen, profitieren hier von der ökonomischen Abgeschlagenheit osteuropäischer Nachbarstaaten. In Zeiten eines globalisierten Arbeitsmarktes wird hier ein internationaler Klassenwiderspruch deutlich: Es wurde eine Armee billiger Arbeitskräfte geschaffen, deren prekäre Situation sie dazu nötigt, unter widrigsten Bedingungen als Arbeitsmigrant*innen in der Reproduktion, auf Spargelfeldern oder in Schlachtbetrieben diejenigen Tätigkeiten zu verrichten, für die sich Deutsche noch zu schade sind und müssen dann auch noch froh darüber sein, damit ihre Familien ernähren zu können.

Dennoch zeigt der Arbeitskampf der Feldarbeiter*innen in Bornheim, dass sich, zumindest im Ansatz, gegen solche Zustände gewehrt werden kann. Sie legten die Arbeit nieder und organisierten sich, nachdem ihnen ihre Lohnzahlungen vorenthalten wurden. Die Folge waren acht Tage wilde Streiks, die es den Arbeiter*innen am Ende ermöglichten zumindest einen Teil ihrer rechtmäßig zustehenden Kohle zu erkämpfen. Es wurde deutlich, dass durch Organisierung und Solidarisierung gegen die Arbeitsbedingungen die Arbeiter*innen eine Selbstermächtigung herbeigeführt haben, das welche die strukturelle Benachteiligung der ausländischen Arbeiter*innen aufbrechen konnte.

Wir rufen dazu auf, die negative mediale Öffentlichkeit, die Tönnies gerade hat, nicht abbrechen zu lassen und sich mit den Arbeiter*innen sichtbar und praktisch zu solidarisieren. Das ist auf vielfältige Art und Weise möglich! Als anlassbezogenes Bündnis “Shut Down Schweinesystem” werden wir in den nächsten Tagen und Wochen weiterhin Imageschaden gegen Tönnies und dem Schweinesystem als solchem betreiben und dabei Solidarität mit den Beschäftigten ausdrücken. Dementsprechend wollen wir auch alles tun, den Arbeiter*innen das zur Verfügung zu stellen, was praktisch gebraucht wird; seien es materielle Hilfsgüter oder Kanäle, um ihre Stimmen Widerhall zu verleihen. Als radikale Linke können wir die Geschehnisse mit skandalisieren, aber was benötigt wird, das wissen die Arbeiter*innen am Ende noch immer am besten.

#Titelbild: shut down schweinesystem, twitter, Aktion von Shut Down Schweinesystem, bei Besselmann, einem Subunternehmen von Tönnies

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Gut eine Woche ist der Riot in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni in Stuttgart her. LCM konnte mit Leuten sprechen, die Samstagnacht vor Ort waren. Wir sprachen darüber, was sie dort erlebt haben, wie die Polizei im Stuttgarter Zentrum agiert und was die Ursachen für die Riots sein könnten.

Du warst eine Woche vor der Krawallnacht am Eckensee. Kannst du beschreiben, was da los war? Was da für Leute waren und was sie dort gemacht haben?

Es waren richtig viele Leute um den Eckensee im Park, überwiegend Jugendliche, in größeren Gruppen mit 5-20 Personen. Die haben dort gechillt, getrunken und Musik gehört. Es waren eher Jugendliche, die nicht unbedingt das haben Geld haben, jeden Abend in eine Shishabar zu gehen, wo ein Cocktail um 7-10 Euro kostet.

Wie ist die Polizeipräsenz am Eckensee generell? Gibt es oft Kontrollen?

Ja, die Bullen kontrollieren regelmäßig Leute. Sie habe auch kleine Kessel gemacht, Leute an die Wand gestellt und gefilzt. Natürlich kann es auch sein, dass Deutsche kontrolliert wurden und so viele Kontrollen habe ich auch nicht gesehen, aber die Beispiele, die ich gesehen habe, waren alles MigrantInnen. Am Wochenende, an dem auch die Black Lives Matter Proteste waren, war die Polizeipräsenz enorm. Die Cops waren sicher mit über 20 Wannen da. Sie hatte sich aber wieder zurückgezogen, als sie gemerkt haben, dass es da eine Dynamik gegen sie gibt.

Es gab ja auch schon eine Woche vor den Riots Situationen, wo sich Leute bei Kontrollen solidarisiert haben. Zum Beispiel haben die Bullen Jugendliche auf der Treppe neben dem Königsbau vertrieben und es wurden Flaschen geworfen. Und etwas später gab es eine ähnliche Situation bei der Theodor-Heuss-Straße. Da hat angeblich jemand behauptet, dass einer abgestochen wurde und dann kamen Bullen und haben einen Schwarzen sehr brutal festgenommen. Leute, die dort waren haben dann angefangen, ‚ACAB‘ zu rufen und es sind Flasche geflogen. Die Lage hat sich dann aber wieder entspannt und ist nicht weiter hochgekocht.

Du warst ja auch an dem Samstag vor Ort, an dem die Lage dann eskalierte. Wie hast du die Leute und die Stimmung wahrgenommen?

Als ich ankam waren schon hunderte von Leuten auf dem Schlossplatz versammelt. Einige waren betrunken und die Stimmung war aufgeheizt. Die Cops waren auch schon da, in voller Montur mit Schutzschildern usw. Sie haben eine Riesenkette vor der Köningsstraße gemacht und es flogen immer wieder Sachen auf die. Mir wurde bei der Ankunft direkt klar, um was es geht. Die Leute haben Parolen gerufen wie ‚No Justice, No Peace‘ und ‚ACAB‘. Die Stimmung wurde immer emotionaler und auch kämpferischer. Man hat gemerkt, dass alle Wut auf die Polizei haben. Und die kommt natürlich nicht von irgendwo her.

Nachdem man da eine Weile stand, Parolen gerufen hat und Flaschen auf die Cops geflogen sind, wurde es plötzlich hektisch. Alle Leute sind losgerannt, weil die Bullen von oben kamen. Das war der Punkt, an dem ich eigentlich dachte, jetzt gehen die Leute nach Hause. Aber die Leute sind nicht gegangen. Mit einem Bauzaun wurde versucht, den Bullen den Weg zu versperren, man hat weiter Flaschen geworfen. Die Leute waren voll entschlossen, sich zu wehren, sich die Stadt zu erkämpfen.

Wie nimmst die mediale Darstellung der Ereignisse wahr?

Die Politik gesteht sich ihre eigenen Fehler nicht ein. Sie haben jetzt gesehen, dass ihre repressive Politik zu so was führen kann, aber das können sie natürlich nicht sagen, weil das eine Bankrotterklärung wäre. Sie versuchen den Unruhen nun die politische Dimension zu nehmen und behaupten, es waren Leute, die Bock auf Randale hatten. Das hat vielleicht mitgeschwungen, aber das ist nicht die Ursache, die liegt viel tiefer. Man hat das auch schon bei G20 gesehen, da wurde auch gesagt, das sind RandaliererInnen, obwohl es konkret politisch war. Sobald Proteste die Autorität des Staates in Frage stellen und in einem Rahmen stattfinden, der auch nur im Ansatz eine Bedrohung darstellen könnte, werden sie entpolitisiert. Woran man das gerade gut erkennen kann, ist das vor allem der geplünderte 1€-Laden als Symbol für die Krawalle dargestellt wird und deshalb kann es ja nicht politisch sein. Was völlig außer Acht gelassen wird, ist, dass auch Banken angegriffen wurden oder „Das Gerber“ (Einkaufszentrum in Stuttgart, Anm. d. Red.), was für Aufwertung steht. Ich glaube das wurde bewusst weniger in den Zeitungen erwähnt, da sonst fast jeder Laden benannt wurde. Natürlichen waren das keine geplanten Aktionen aus einem politischen Bewusstsein heraus. Wenn solche Dynamiken entstehen und sich Wut unkontrolliert auf der Straße entlädt, dann erwischt es auch Ziele, die nicht unbedingt sinnvoll sind anzugreifen.

Nach der der Ereignissen begann gleich am nächsten Tag die Suche nach der Ursachen für die Riots. Über Alkohol und „das sind alles Kriminelle“ gehen die Analysen kaum. Was sind aus deiner Sicht Faktoren, die zu dieser Situation geführt haben?

Erstmal kann man sagen, dass die Jugendlichen so etwas nicht gemacht hätten, wenn sie mit den Verhältnissen, in denen sie leben, zufrieden wären. Corona hat sicher auch was damit zu tun. Die Leute hatte mehrere Monate wenig bis keine sozialen Kontakte. In der Corona-Phase gab es außerdem eine sehr starke Bullenpräsenz in der Stadt. Immer wieder wurden unverhältnismäßige Bußgelder verteilt und die Cops haben sich bei jeder Verhaltensweise eingemischt. Man konnte nicht selbstbestimmt draußen sein und das erzeugt natürlich Unmut gegenüber der Polizei.

Das andere sind die Ereignisse in den USA, die für die MigratInnen und Schwarze hier ein Bewusstsein geschaffen haben. Für sie war es Alltag, nichts besonders, andauernd von den Cops kontrolliert zu werden, weil sie angeblich kriminell aussehen. Jetzt hinterfragen sie das Vorgehen der Cops und wissen, dass sie das nicht verdient haben und das sie nicht schlechter sind, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Sie haben gesehen, das man sich gemeinsam dagegen wehren kann und das nicht nur mit Worten.

Und unabhängig von der rassistischen Polizei wurden die Leute auch auf allgemeine Benachteiligung sensibilisiert. Sei es bei der Wohnungs- oder Jobsuche. Leute mit ausländischem Namen oder Aussehen haben es immer schwerer. Die Cops stehen als Repräsentant für diese Benachteiligung. Das erzeugt zusätzlich berechtigte Wut. Ich glaube die Jugendlichen dachten sich dann einfach, es reicht, wir lassen uns nicht mehr alles gefallen.

#Titelbild: Jens Volle, Ein bei den Riots entglastes Polizeiauto wird der Presse präsentiert.

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Die 2019 gegründete Kampagne Death in Custody (Tod in Gewahrsam) recherchiert und arbeitet zu in Gewahrsam um‘s Leben gekommenen POC und Schwarzen. Das LCM sprach mit Niko von der Kampagne über Ihre Rechercheergebnisse, strukturellen Rassismus und wie man gegen rassistische Polizeigewalt vorgehen kann.

LCM: Ihr habt ja mit eurer Kampagne vor kurzem eure Rechercheergebnisse veröffentlicht. Kannst du diese kurz zusammenfassen?

Niko: Seit 1990 sind mindestens 159 POC und Schwarze in Gewahrsam umgekommen. Angesichts der Öffentlichkeit, die rassistische Polizeigewalt gerade hat, wolten wir unsere Ergebnisse so schnell wie möglich veröffentlichen. Wir haben bis jetzt nur Namen und Todesdaten veröffentlicht, unsere Daten sind aber noch umfangreicher was Einzelfälle betrifft, mit den Todesumständen und beispielsweise dem gerichtlichen Nachspiel.

Die Kampagne kam durch Todesfälle in den letzten Jahren auf, wie Amad Ahmad in Kleve, der in der Zelle verbrannt ist, oder Rooble Warsame der in Schweinfurt in Gewahrsam starb – angeblich durch Suizid. Bei der Recherche haben wir gemerkt, dass es Sinn macht den Begriff von Gewahrsam zu erweitern. Unsere Definition ist, dass Menschen durch Polizei oder andere staatliche Institutionen in eine Situation gebracht werden, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr rauskommen. Das kann eben auch sein, dass die Polizei Schusswaffen einsetzen, und die Person nicht mehr aus dem Schussfeld rauskommt, oder dass die Polizei Leute hetzt, die dann einen „Unfall“ haben und dabei ums Leben kommen. Oder auch Todesfälle in Gewahrsam, die als Suizid gelabelt werden. Aus zwei Gründen: Im Knast kann es keinen Freitod geben, weil in dieser Situation Leute so zermürbt werden, dass man nicht mehr von einer Freiwilligkeit sprechen kann. Außerdem kann man den Behördenangeben einfach nicht trauen. Wenn behauptet wird es sei Suizid, wird das nicht wirklich überprüft. Wie beim Fall von Oury Jalloh, wo ganz klar ist, dass das kein Suizid war, dieser aber die ganze Zeit als solcher bezeichnet wurde.

Was waren denn eure Probleme bei der Recherche? Weil von offiziellen Stellen werden solche Fälle ja nicht systematisch erfasst.

Eben! Es gibt keine systematische Erfassung. Man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist, als diese 159, die wir jetzt gerade haben. Wir rufen auch dazu auf, dass Leute uns Fälle, die wir nicht kennen zuschicken. Es werden auf jeden Fall noch einige Fälle dazu kommen.

Die Recherche war generell nicht immer einfach. Es gibt generell wenig Informationen und zum anderen wird auch selten erfasst, ob die Person POC oder Schwarz war. Zum Teil konnten wir das indirekt rausfinden, in einem Fall z.B. über einen Polizisten, der zitiert wird und eine rassistische Aussage macht. Es gibt auf jeden Fall Unschärfe.

Es fällt auch auf, dass es bestimmte Jahre gibt, in denen unglaublich viele Fälle dokumentiert sind, z.B. 1994/1995 oder 2019. 2003 haben wir hingegen keinen einzigen Fall. Das ist relativ unwahrscheinlich und weist darauf hin, dass die Datenlage mittelmäßig ist. Die Recherche ist der Versuch zumindest herauszufinden, wie groß das Problem eigentlich sein könnte. Und es ist deutlich größer, als es in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird und erst recht als es von den Behörden beschrieben wird.

Wieso geht Ihr davon aus, dass POC und Schwarze stärker von Tod in Gewahrsam betroffen sind?

Eine Schwierigkeit ist, dass es ja keine Zahlen gibt, wie groß der Bevölkerungsanteil von POC und Schwarzenin Deutschland ist. Einen statistischen Vergleich anzustellen, wie die Betroffenheit von Schwarzen und POC, die in Gewahrsam ums Leben gekommen sind, versus weiße, können wir gar nicht machen

Viele Todesfälle entstehen aber aus Situationen, die für Schwarze und POC deutlich häufiger auftreten. Das sind dann beispielsweise sogenannte „anlasslose Kontrollen“, bei denen offensichtlich Schwarze und POC mehr und ständig kontrolliert werden. Diese Situationen eskalieren dann manchmal bis zum Tod. Dann sind es noch Situationen wie Abschiebehaft. Das ist ja eine Situation in die Deutsche gar nicht kommen können. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass die Gruppe stärker betroffen ist.

Dass es in der Polizei in Deutschland Rassismus geben könnte, wird ja gerade von Polizeifunktionären und Politikern aller Parteien vehement geleugnet.

Das zu leugnen ist offensichtlich totaler Quatsch. Was wir mit dieser Recherche zusammengestellt haben, sind ja nur die Todesfälle. Und das ist ja nur das extremste Ergebnis, das durch Polizeigewalt entstehen kann. Aber auch die nicht-tödliche rassistische Polizeigewalt ist leider alltäglich. Alle möglichen Stellen wie Reach-out oder KOP können das aus ihrer Arbeit bestätigen. Gerade zu Corona-Zeiten ist das wesentich mehr geworden. Wir denken, dass das daran liegt, dass die Polizei auf der Straße weniger gesehen wird und sie deswegen machen was sie wollen. Es ist aber in jedem Fall offensichtlich, dass Rassimus in der Polizei ein Problem ist. Man muss zwar nicht unbedingt davon ausgehen, dass alle Polizisten Nazis sind, auch wenn es Fälle gibt, wo das offensichtlich der Fall ist. Es sind aber eher Alltagsrassismus und Klischees, wie „Drogendealer haben diese und jene Hautfarbe“, die zeigen, dass das alltäglich in der Polizei ist.

Was auch ganz interessant ist, ist dass das neue Antidiskriminierungsgesetz in Berlin von der Polizei sehr kritisch kommentiert wurde. Das ist ziemlich entlarvend, weil sie ja im Prinzip sagen, dass sie mit diesem Gesetz ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen könnten. Und eigentlich sagen sie damit ja selbst, dass sie rassistisch vorgehen und nicht mehr arbeiten könnten, wenn sie es nicht mehr dürften. Letztendlich ist es doch so, dass wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt, es total offensichtlich ist, dass es Rassismus in der Polizei gibt. Ich hoffe, dass durch die Debatte die Polizei und auch Politiker*innen es sich weniger leisten können, das komplett zu leugnen. Weil so wie es jetzt gerade ist, wird einfach gesagt, „Rassismus in der Polizei gibt es nicht, darf es nicht geben“. Und Fälle die aus rassistischen Situationen entstehen, müssen im Nachhinein dann anders legitimiert werden. Dadurch gibt es eben das Problem, dass Betroffene von Polizeigewalt – auch tödlicher – im Nachhinein kriminalisiert werden. Dass sie, wenn sie überleben, sofort Anzeigen bekommen, und wenn sie nicht überleben im Nachhinein konstruiert wird sie seien gefährlich.

Wie im Fall von Hussam Fadl.

Ja genau, der Fall von Hussam Fadl 2016 in Moabit. Da wurde von Polizeiseite behauptet, er habe ein Messer gehabt. Von den Augenzeugen hat aber niemand ein Messer gesehen. Irgendwann tauchte dann ein Messer auf, auf dem aber nicht mal DNA-Spuren, geschweigen denn Fingerabdrücke von Hussam Fadl gefunden. Dieses Vorgehen ist Folge von dieser Herangehensweise, dass es keinen Rassismus gebe. Und wenn es keine Rassismus gibt, dann müssen eben andere Vorgehensweisen herangezogen werden. Die Täter*innen kommen dann in den meisten Fällen ungestraft davon.

Abseits von der Sichtbarmachung, was erhofft Ihr euch von der Veröffentlichung von der Recherche?

Ein großes Ziel ist, dass bisherige Fälle aufgeklärt werden. Wir wollen auch die Betroffenen- und Angehörigeninitiativen und anderen Gruppen die zu dem Thema arbeiten vernetzen, damit ein Wissensaustausch stattfinden kann. Und dass so vielleicht sogar selber Ermittlungen angestellt werden können und damit Fälle anders bewertet werden. Das hat ja im Fall der Oury-Jalloh-initiative ziemlich erfolgreich geklappt.

Unser Forderung ist natürlich, dass es mit diesen Toden und Morden aufhören muss. Deswegen fordern wir auch die Einrichtung von effektiven und unabhängigen Beschwerde- und Ermittlungsstellen. Es gibt da kleiner Pilotprojekte in Deutschland, in Hamburg und NRW und in anderen Orten. Die Projekte die es gibt, können aber in keinem Maße arbeiten, dass das effektiv wäre. Zum einen sind sie nicht ausreichend unabhängig von Justiz- und Polizeibehörden, sie haben nicht die ausreichende Ausstattung mit Befugnissen und Personal, dass sie ermitteln können. Die Polizei muss einfach kontrolliert werden, weil bisher kontrolliert sie sich selbst. Polizisten ermitteln gegen Polizisten in Fällen von Polizeigewalt und da kommt seltenst was bei raus.

Wie kann man verhindern, dass so eine Stelle nicht nur ein Feigenblatt wird?

Ja, das ist eine unserer Befürchtungen. Eine ineffektiv aufgebaute Stelle kann eine negative Auswirkung haben. Weil dann wird halt gesagt „Wir haben hier doch diese unabhängige Beschwerdestelle, was wollt ihr denn?“ Damit wird jeglicher Kritik der Wind aus den Segeln genommen.

Ich denke da müsste es eine viel klareren Bezug zur und eine Rechenschaft vor der Zivilgesellschaft geben. In den USA gibt es ein paar ganz spannende Projekte wo independent police monitoring betrieben wird. In New Orleans z.B. hat diese Ombudsperson relativ viele Befugnisse, kann in die Daten der Polizei Einsicht nehmen und diese dann auch Organisationen zur Verfügugn stellen. Und dort hat die Zahl polizeilicher Todesschüsse stark abgenommen.

Eure Forderungen richten sich ja vor allem an den Staat.

Wir wollen auf jeden Fall, dass die Gesellschaft auch involviert ist, insbesondere rufen wir zu Solidarität mit Betroffenen von Polizeigewalt auf, um dieses Narrativ zu brechen. Und wir wollen, dass die Verantworlichen zur Rechenschaft gebracht werden.

Es gibt aber ja auch wesentlich radikalere Ansätze, wie die der Black Panthers, die selber auf Streife gegangen sind und die Polizei kontrolliert haben. Denkst du dass so etwas in Deutschland möglich oder nötig ist?

Prinzipiell ist es immer wichtig der Polizei und den Behörden auf die Finger zu schauen bei dem was sie machen. Wenn das nicht passiert, hat das zur Folge, dass sie noch mehr Mist bauen. Wie eben der Anstieg von racial profiling in Corona-Zeiten. Die Polizei selbst zu kontrollieren macht natürlich total Sinn, weil die Kontrolle durch andere staatliche Instanzen nie ausreichend ist. Eine permanente Wachsamkeit der Zivilgesellschaft ist total wichtig!

# Titelbild: miss_millions, CC BY 2.0, Gefängniszellen in Alcatraz (Symbolbild)

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Seit #Blacklivesmatter Millionen Menschen weltweit auf die Straßen mobilisiert, versprechen diverse Regierungen die ein oder andere „Verbesserung“ und Reform. Doch reicht das? Oder sind Rassismus und Polizeigewalt nur zu überwinden, wenn man gegen den Kapitalismus insgesamt angeht? Wir veröffentlichen einen Gastbeitrag des Musikers Disarstar.

Am 25. Mai 2020 wurde George Floyd im US-Bundesstaat Minnesota von Polizisten gemeinschaftlich ermordet. Der Mord wurde gefilmt und das Video ist viral gegangen. Als Reaktion auf die Tat entstand eine globale Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt. Demonstrationen fanden und finden in allen US-Bundesstaaten, sowie in 18 weiteren Ländern statt.

Ich habe mich bis auf einen Storypost bislang nicht zu alledem geäußert und das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass mich die momentane globale Situation total trifft und überfordert. Klar, die Welt ist kompliziert, das ist nichts Neues. Nur habe ich das Gefühl, dass sie in Zeiten von Corona, (gefährlichen) Spinnern wie Attila Hildmann und einem gefilmten Polizeimord, der Proteste von globalem Ausmaß verursacht, von Tag zu Tag unübersichtlicher wird und auch ich will von diesem ganzen Wahnsinn manchmal nichts wissen. Doch Bertolt Brecht hatte Recht als er sagte: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Und darum ist es mir wichtig auch nochmal ein paar Worte zu verlieren. Zum einen weil ich – so sehr ich mich auch über die Proteste und die Tatsache, dass sich so viele positionieren freue – Sorge habe, dass das alles schnell in Vergessenheit geraten wird und die Dinge im Anschluss weiter den gewohnten Gang gehen; zum anderen, weil ich befürchte, dass der Kampf gegen Rassismus ein oberflächlicher bleibt.

Denn den kapitalistischen bürgerlichen Staat der liberalen „Demokratie“, seine Strukturen und die Polizei als eine seiner Institutionen abfeiern, aber gleichzeitig Rassismus bekämpfen wollen wird perspektivisch höchstens temporär Erfolge hervorbringen. Um dem Rassismus zu bekämpfen und hoffentlich eines Tages zu überwinden, müssen wir das System, die Strukturen angreifen (und überwinden), die ihn produzieren und reproduzieren. Schon Malcolm X wusste: „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus.“

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Der Tod von George Floyd hat eine Bewegung und eine mit ihr verbundene Diskussion über Rassismus hervorgerufen bzw. flächendeckend neu entflammt. Rassistische Polizeigewalt ist für Nicht-Weiße in den USA alltäglich. Diesmal wurde ein Fall auf Video festgehalten, ging zuerst durch die sozialen und dann durch die „offiziellen“ Medien. Ein Mord vor laufender Kamera weckt mehr Empathie als eine Statistik über Tote durch Polizeigewalt.

Hinzu kommt, dass die USA von der Coronakrise schwer getroffen sind. Darunter leidet vor allem die schwarze Bevölkerung. Im Südstaat Louisiana bilden Schwarze 33 Prozent der Bevölkerung, aber 70 Prozent der Corona bedingten Todesfälle. In Illinois, wo der Bevölkerungsanteil von Afroamerikanern 14 Prozent beträgt, sind 42 Prozent der Toten Schwarze. Ähnlich sind die Werte für Inhaftierte und auch Statistiken über die Verteilung von Vermögen passen dazu. Auch wenn die Sklaverei seit Jahrhunderten offiziell vorbei ist, bleibt die ökonomische Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung real. Sie wohnt überproportional in Elendsvierteln, verdient deutlich weniger und landet um ein vielfaches häufiger im Gefängnis. Auch wenn Schwarze vereinzelt, vor allem durch die Musikindustrie oder Popkultur (auch in Form von Sport) gesellschaftlich aufsteigen können, ändert sich an der Lage des Großteils nichts.

Einzelne Schwarze werden Führungspositionen dieses Systems integriert und dennoch bleibt für die Mehrheit alles gleich. Der Kapitalismus ist eben sehr flexibel und kann sich durch Integration Einzelner anpassen. Das hat Obama extrem verdeutlicht. Teile der antirassistischen Bewegung wurden ins Establishment aufgenommen und verändert hat sich quasi nichts. Was bringen Schwarze Polizisten oder Bürgermeister, wenn die Unterdrückung bleibt?

Zudem ist es ein Trugschluss zu glauben, dass das Problem des Rassismus ein US-Amerikanisches wäre. Auch hier in Deutschland sterben Menschen durch rassistische Polizeigewalt. Oury Jalloh ist in der Zelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannt. Im Sommer 2018 verbrannte der 26-jährige syrische Kurde Amad Ahmad in seiner Zelle in Kleve. Er war angeblich mit einem gesuchten Malier verwechselt worden, obwohl beide lediglich ihr Geburtsdatum gemeinsam hatten. Sieben Wochen vor seinem Tod informierte die Staatsanwaltschaft die Polizei über den Irrtum, Ahmad blieb trotzdem in Haft. Zu den Toten in Haft muss auch Yaya Jabbi gerechnet werden. Der 21-Jährige aus Gambia nahm sich im Februar 2016 in einer Hamburger Haftanstalt das Leben. Er war mit weniger als zwei Gramm Marihuana erwischt worden, einer geringen Menge, auf die normalerweise keine Strafe folgt. Jabbi kam dennoch ins Gefängnis. Das sind nur einige Beispiele. Von 2000 Anzeigen gegen Polizisten pro Jahr kommen 2-3% zur Anklage. Die NSU-Akten bleiben unter Verschluss.

Der Rassismus geht bei der Betrachtung der Menschen davon aus, dass sich die Menschheit in verschiedene „Rassen“, welche alle über ihre eigenen genetischen wie historisch gewachsenen Merkmale verfügen, unterteilen lässt. Bei den angeblich historisch gewachsenen Merkmalen sind besonders nationale, religiöse und kulturelle Herkunft von entscheidender Bedeutung. Diese Einteilung der Menschen durch den Rassismus führt dann zu einer Bewertung der verschiedenen „Rassen“ und schafft so die Grundlage für die Herabwürdigung anderer, während die eigene Identität als Zugehöriger zu einer bestimmten „Rasse“ gestärkt wird. Für den Kapitalismus ist dieser Umstand äußerst nützlich. Der Rassismus als eine Form der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse vergrößert dessen Spaltung.

Verwertbare Menschen werden im Ausland abgeworben, dadurch werden die jeweiligen Herkunftsländer indirekt in Unterentwicklung gehalten, auf der anderen Seite wird dann in Deutschland nicht mehr ausreichend in Bildung investiert, weil sich das Kapital sein Menschenbedarf wo anders beschafft. MigrantInnen dienen auf verschiedenste Weise so als Sündenböcke für gesellschaftliche Probleme. Der Zorn der Arbeiterklasse kanalisiert sich so von der herrschenden Klasse auf eine rassistisch definierte Minderheit. Rassismus spaltet also Menschen, die eigentlich die gleichen Bedürfnisse und Interessen haben, in verschiedene, sich feindlich gesinnte Lager. Natürlich versuchen Menschen, sich aus dem vom Imperialismus geschaffenem Elend der „Dritten Welt“ zu retten und machen sich auf den Weg in die westlichen Metropolen. Falls sie es bis hierhin schaffen, werden sie in Lager gesperrt und durch den institutionellen Rassismus terrorisiert.

Geflüchtete werden in eine Situation gedrängt, in der ihnen weder die Almosen des Staates reichen noch legale Zuverdienstmöglichkeiten bleiben. Praktisch in die Kriminalität gezwungen, werden sie so zu Sündenböcken für alle möglichen Probleme der Mehrheitsgesellschaft. Medial aufgeheizt können Neofaschist*innen ihre Taten mit der Stimmung in der Bevölkerung legitimieren. Dadurch glauben sie, dass sie im Interesse „ihres“ Volkes handeln. Diese Grundstimmung wurde vom Rassismus der Mitte, auch durch etablierte Parteien, geschaffen und institutionalisiert. Somit nähren sie den Boden, auf dem die Faschist*innen und Rechtspopulist*innen gedeihen können. Rassismus ist schon lange kein Randphänomen und somit wird der Kampf dagegen auch immer elementarer, denn nur, wenn jede Form der Diskriminierung und Kategorisierung der Menschen in Wertigkeit überwunden wird, ist eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung möglich. Aktive Solidarität mit den Betroffenen und das Benennen der Verhältnisse, die den Nährboden für Rassismus schaffen und derer, die von ihm profitieren, sind daher notwendig.

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Immer wenn man sich abfällig über die Polizei äußert heißt es, man würde von den Handlungen einiger weniger Cops auf alle schließen. Das ist falsch. Ich glaube nicht, dass alle Polizist*innen wegen der Handlungen einiger weniger schlecht sind. Ich weiß, dass alle Bullen schlecht sind, weil alle Bullen als Grundvoraussetzung für ihre Arbeit schwören, alle geltenden Gesetze durchzusetzen, einschließlich der Gesetze, die ganz offensichtlich ungerecht und/oder grausam sind. Nicht der*die Polizist*in ist der bestimmende Faktor in der Gleichung, sondern die Aufgabe, die ein jede*r Polizist*in geschworen hat, zu erfüllen. Es ist moralisch vollkommen inakzeptabel, als selbstverständlich hinzunehmen, dass Polizist*innen beim Ausüben ihrer Arbeit Moral und Vernunft ausschalten, um den Willen einiger (in Form von geltendem Recht) gegen alle in der Nachbarschaft durchzusetzen.

Alle Polizist*innen in diesem System sind schlecht, aber nicht wegen der Handlungen einiger weniger. Es gibt gute Leute. Und es gibt Polizis*innten, die sonst gute Leute sind, aber sie sind keine „guten“ Polizist*innen. Die gibt es hier nicht. Die Disbalance zwischen geltendem Recht und Gerechtigkeit liegt alltäglich auf der Hand. Die Aufgabe der Polizei ist es, mit Gewalt durchzusetzen, dass die gegenwärtigen Verhältnisse fortbestehen. Verhältnisse die (insbesondere global betrachtet) für einige wenige nützlich sind, die große Masse der Bevölkerung jedoch an der dauerhaften Befriedigung ihrer Bedürfnisse hindern. Die Aufgabe der Polizei ist es, den Armen zu bestrafen, der sich durch Diebstahl das Nötige beschafft, das er durch Kauf nicht erwerben kann. Ihre Aufgabe ist es, Arbeiter*innen auf die Straße zu jagen, der die von ihren Vermieter*innen (Erpresser*innen) geforderten Summen nicht mehr aufbringen kann. Ihre Aufgabe ist es, den Obdachlosen zu vertreiben und zu bestrafen, der in eine leerstehende Spekulationswohnung einbricht, um sich zu wärmen. Ihre Aufgabe ist es, jene Flüchtlingsfamilie zum Flughafen zu prügeln und in Elend und Tod zu deportieren, die die politischen Vertreter der Bourgeoisie als volkswirtschaftlich überflüssig eingeschätzt haben.

Die Aufgabe der Polizei ist es, den den Rotstift ansetzenden Manager*innen vor der Wut der von ihm entlassenen Arbeiter*innen zu schützen. Ihre Aufgabe ist es, demonstrierende Linke zu drangsalieren und einzuschüchtern, die für die Überwindung dieses per se schlechten, per se ungerechten, per se grausamen Systems werben. Ihre Aufgabe ist der notfalls gewaltsame Schutz eines Systems, in dem eine parasitäre Minderheit über die von ihr ausgebeutete arbeitende Mehrheit herrscht. Die Bullen sind Leibgarde der Bonzen, nicht in dem Sinne, dass sie die Interessen des konkreten Kapitalisten A oder B vertreten, sondern indem sie die universelle Gültigkeit der Regeln erzwingen, unter denen Kapitalist*in A und B reich sein und die Arbeiter*in X und Y auf dem Arbeitsamt und in der Gosse landen müssen. Und ja, die Polizei rettet Kätzchen von Bäumen.

Der aktuelle Diskurs ist immens wichtig. Er darf nicht oberflächlich sein. Er muss die Strukturen angreifen. Unser Widerspruch und Widerstand darf nicht gelegentlich bleiben. Er muss permanent werden.

# Titelbild: https://twitter.com/Nabalzbhf_anon/status/1268867188074729473/photo/1

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