Berlin: Ferhat Mayoufs Tod war kein Suizid

28. August 2020

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Gastbeitrag

„Ich dachte er wäre sicher im Gefängnis – und musste realisieren, dass niemand der in den Knast muss sicher ist…“ sagt Dahman Mayouf. Dahman ist Bruder von Ferhat Mayouf, der am 23. Juli bei einem Brand in seiner Zelle in der JVA Moabit starb. Die Todesumstände sind grausam, die Bedingungen unter denen er untergebracht war genauso. Drei Tage vor seinem Tod hatte er bei einem Haftprüfungstermin über Depressionen und Selbstverletzung geredet und gesagt, dass er in eine Haftklinik müsse. Dies sei in einem ihm vorliegenden Protokoll auch so vermerkt, ergänzt Dahman. Die Richterin sprach wohl auch eine Empfehlung zu ärztlicher Behandlung aus. Die Untersuchung durch den Anstaltsarzt erfolgte allerdings nie. Für den Dahman, ist damit die Vernachlässigung seines 38 jährigen Bruders bewiesen. Stattdessen benutzt die Vollzugsanstalt selbiges Protokoll um ihre Behauptung des Suizids zu untermauern. Nachforschungen von Criminals for Freedom zeichnen allerdings ein gänzlich anderes Bild.

Zusammen mit Ferhats Familie und über Berichte von Mitgefangenen konnten sie die Todesumstände von Ferhat rekonstruieren. Das Licht in den meisten Zellen war in den Abendstunden aus, als einige Gefangene einen Brandgeruch wahrnahmen. Es war ein dumpfes Wummern von Schlägen an einer Zellentür zu hören. Verzweifelte Hilferufe. Ein anderer Gefangener benachrichtigt die Wärter. „Die Insassen hörten, wie es 5 Minuten lang aus der Brandzelle Hilferufe gab und lautstark gegen die Zellentür wummerte. Ein Insasse sah durch ein Loch seiner Zellentür, wie zwei Schlusen (Gefängniswärter, Anm. d. Red.) im Gang standen und nichts unternahmen, obwohl er um Hilfe und immer wieder ‚Feuer‘ schrie. Bis es verstummte. Einer hörte auch, wie sich die Schlusen wohl berieten, aber nichts unternahmen. Sie standen die ganze Zeit vor seiner Zelle.“, so berichtet es ein Mitgefangener Criminals for Freedom. Als zwanzig Minuten später die Tür von der Feuerwehr geöffnet wird, ist Ferhat Mayouf bereits tot.

Todesfälle durch Brände in Gewahrsam sind keine Einzelfälle. Ferhat Mayoufs Geschichte weckt Erinnerungen an den Fall von Oury Jalloh, der vor 15 Jahren in Dessau gefesselt in seiner Zelle verbrannte, sein Tod und die Verwicklung von Polizeibeamten ist nie befriedigend aufgeklärt worden. Oder an den Fall von Amad Ahmad der am 17.09.2018 in der JVA Kleve durch einen Brand in seiner Zelle starb. Nicht nur sein Tod wirft Fragen auf, sondern auch der Umstand, dass er durch eine Verwechslung inhaftiert wurde. Zudem war die Verwechslung der Polizei bereits wochenlang vor dem Tod bekannt. Auch wenn dies erst nach dem Brand öffentlich gemacht wurde.

Immer wieder sterben Gefangene, vor allem People of Color und Schwarze Menschen, in den Knästen. Diese als Suizid zu bestimmen hilft dabei, die Verantwortung des Knastes auszublenden. Gefangene sind bei Vorkommnissen wie Brandausbrüche absolut wehrlos. „Du bist eingeschlossen und hast keine Chance“ so Dahman Mayouf. Aber tatsächlich sind sie aller Gewalt vollkommen ausgeliefert. Im Fall von Ferhat ;ayouf spricht Dahman von „Folterungen im Knast, durch Prügel aber auch Isolation“. Nach Berichtenvon Mitgefangenen war Ferhat Mayouf von Schließern vor seinem Tod zusammengeschlagen und zwei Tage im sogenannten „Bunker“ isoliert worden. Körperliche Verletzungen wie Rippenbrüche seien auch ärztlich dokumentiert.

Rassismus, rassistische Polizei- und Justizgewalt und Unterdrückung sind keine Phänomene, welche ausschließlich vor den Knasttoren zu finden sind, im Gegenteil. In Knästen sind die Verhältnisse im Vergleich zu draußen sogar verschärfter. Nicht nur rassistische Justizangestellte sind Teil des „Normalzustandes“ im Knast. Regelmäßig gibt es Fälle, wie eben den von Ferhat Mayouf, die das eindrücklich zeigen.

Gesellschaftlich ist das ein massives Problem. Knäste sind im Gegensatz zur Todesstrafe in breiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Selbst unter radikalen Linken scheint die unbewusste Überzeugung verbreitet, dass es doch ein paar Menschen gibt, die da hingehören. Durch die Kategorisierung „kriminiell“, und das Wegsperren, befreien Knäste die Gesellschaft von der Verantwortung, sich mit den drängenden gesellschaftlichen Problemen auseinander zu setzen. Die Inhaftierung ist zur ersten Antwort auf viel zu viele der sozialen Probleme geworden, die Menschen in Armut belasten. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen und vieles anderes. All das sind Probleme, von denen PoC wesentlich stärker betroffen sind, als Weiße, der rassistische Charakter dieser Gesellschaft zeigt sich am Ende auch in den Knästen.

Dort sind alle Gefangenen dem System Knast ausgesetzt. „Sie pushen die Leute sich selbst umzubringen. Nicht nur das sie ihnen Feuerzeuge und Seile in die Zelle geben, sie zerstören sie seelisch. Das ist falsch!“ meint Dahman Mayouf. Vereinzelung im Knast und die verschiedenen Formen von Gewalt machen die Gefangenen psychisch kaputt. Knäste isolieren Menschen von der Gesellschaft, sie foltern und töten. Unter Knastumständen kann niemals von einem sogenannten Selbstmord die Rede sein, auch nicht im Fall von Ferhat Mayouf.

# Text: Selma Ali-Sherwan von Sabot44

# Am 29.08.2020, 19 Uhr, U-Bahnhof Turmstraße findet eine Demo statt, um an Ferhat Mayouf und alle anderen im Knast ermordeten zu erinnern und sich an die Seite all jener zu stellen, die gefangen gehalten werden

# Titelbild: JVA Moabit, wikimedia commons, G.Elser, CC BY 3.0

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