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Alexander, mein Interview Partner, gehört der „Gruppe von Angehörigen und Freund:innen von Rainer Löhnert“ an.

Ihre Gruppe unterstützt einen Menschen, der seit 1986 in der forensischen Psychiatrie untergebracht ist, also in Kliniken für Straftäter*innen, die als psychisch krank gelten. Seit etwa 10 Jahren in der LVR-Klinik Bedburg-Hau, mit rund 950 Betten eine der größten Psychiatrien in NRW. Wie kam es dazu?

Der 60 Jahre alte Rainer Löhnert ist seit über 36 Jahren in verschiedenen Forensiken Nordrhein-Westfalens eingesperrt. Verhaftet worden ist er wegen diverser körperlicher Übergriffe und vieler Sachbeschädigungen. Begründet wird das mit dem Paragraphen 63 des Strafgesetzbuches, der im deutschen Faschismus zur langfristigen oder dauerhaften Aussonderung „psychisch kranker“ und/oder nonkonformistischer Menschen geschaffen wurde.

Nach einer körperlichen Auseinandersetzung wurde Rainer am 21. August 2022 im sogenannten Bunker eingekerkert. Was war konkret passiert und wie muss man sich das vorstellen?

Er soll einen Mitpatienten attackiert haben und wurde deshalb isoliert. Allein im Bunker, auf einer neuen Station, mit anderem Personal – das bedeutet zusätzlichen Stress für ihn. Einzelhofgang ist dort nur begleitet von Personal möglich. Alle Kleidung und sonstigen Gegenstände – wie etwa ein Radio – sind ins Magazin gebracht worden. Er hat lediglich ein reduziertes Maß an Lektüre. Anträge auf weitere Kleidung, Bücher und ein Album mit Familienfotos wurden einfach abgelehnt.

Es gibt noch weitere Schikanen.

Sein für ihn besonders wichtiges Adressbuch und die Schreibmaschine hat er auch nicht erhalten. Rainer hat aufgrund einer Handverletzung und der starken Nebenwirkungen der Psychopharmaka keine leserliche Handschrift. Das ist eine gravierende Einschränkung in der Kommunikation. Dann wird die Post in seinem Beisein kontrolliert. Er kann nur zu bestimmten Zeiten angerufen werden und ihm selbst ist das Telefonieren untersagt. Besuche sind generell verboten.

Laut Gericht sollte Rainer bis zum 17. September im Bunker bleiben. Er musste länger darin bleiben, ist aber inzwischen wieder halbwegs draußen.

Ja. Seit dem 1. November, also nach 71 Tagen, kann Rainer endlich für zwei Stunden in der Zeit von 11 bis 13 Uhr den Bunker verlassen, das heißt, er kann sich dann frei bewegen auf der Station, telefonieren und draußen im Campus zum Beispiel rauchen. Zuvor war er nur einmal kurz draußen, wurde dann aber sofort wegen „Regelbruchs“ wieder mit richterlichem Beschluss eingebunkert. Danach befand er sich in „modifizierter Isolation“, das bedeutete für ihn: Zwar war er wieder auf Station, aber weiter in einer bunkerähnlichen und abgeschlossenen Zelle. Er konnte da weder selbst auf die Station, noch allein auf den Hof gehen und durfte, als starker Raucher, auch nicht in seinem Verlies rauchen.

Wie steht es um Rainers psychischen und körperlichen Zustand angesichts der langen Zeit der Isolation?

Er befindet sich seit 36 Jahren in seinem Kerker. Rainer sagte, ihm sei klar, dass er „nun nie mehr rauskommen“ wird. Wir machen uns große Sorgen um seine psychische und physische Gesundheit. Rainer, der sich als Anarchist bezeichnet und viele Gefangene solidarisch unterstützt, war unterschiedlichsten Repressalien ausgesetzt. Er erklärte schon vor Jahren in einem Brief, dass er sich nicht sicher sei, ob er eine weitere Bunker-Isolation überstehen könnte. Dazu kommen die Medikamente mit ihren dramatischen Nebenwirkungen. Von der Anstalt wurde ganz offen gesagt, dass die „Isolation wirken“ müsse. Zudem wurde Rainer jetzt eine Anklageschrift vom Amtsgericht Kleve zugestellt, in der ihm „versuchter Mord“ vorgeworfen wird.

Die bezieht sich auf dem Vorfall vom 21. August. Die Anklage gegen ihn soll zementieren, das er weiter drakonischen Bedingungen ausgesetzt bleiben wird. Angeblich als Schutz vor der Allgemeinheit. Rainer wird in der Forensik nur verwahrt und mit Tabletten vollgepumpt, und zwar nach dem Paragraphen 63 Strafgesetzbuch.

Was hat es mit dieser Bestimmung auf sich?

Dieser Paragraph 63 ist eine Rechtsnorm, welche im Faschismus zur langfristigen oder dauerhaften Aussonderung „psychisch Kranker“ und/oder nonkonformistischer Menschen geschaffen wurde. Dieses Norm ist von der BRD 1945 übernommen worden. Wegen dieses Paragraphen, werden Menschen weggesperrt, und zwar wie es heißt, wegen „verminderter oder vollständig aufgehobener Schuldfähigkeit“. Alle diese Insassen, die nach diesem Paragraphen weggesperrt werden, werden länger inhaftiert, als ihre Parallelhaftstrafe hergibt. Therapeutische Hilfe findet nur am Rande oder gar nicht statt. 

Was kann man tun, um ihm zu helfen?

Man kann bei den zuständigen Stellen protestieren. Das ist etwa: Sozialminister Laumann, Mail: poststelle@mags.nrw.de. Oder: Fachbereich Recht des Landschaftsverbandes Rheinland, Mail: beschwerden@lvr.de Zu fordern wäre da zum Beispiel die umgehende Prüfung der Haftbedingungen von Rainer Löhnert, die Aufhebung des Besuchsverbots und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Wer ihm Briefe oder Karten schicken möchte – Briefmarken freuen ihn auch immer -, adressiert das an: Rainer Löhnert, z. Zt. Haus 1, Station 1.2, Südlicher Rundweg 20A, 47551 Bedburg-Hau.

#Foto: LVR-Klinik Bedburg-Hau

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Am vergangenen Dienstag fanden zeitgleich in mehreren Städten im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg Hausdurchsuchungen statt, unter anderem von einer Person, die im Linken Zentrum Lilo Herrmann lebt. Sie bauen auf fadenscheinigen Vorwürfen auf, bei denen es um die Beteiligung an Aktionen gegen die faschistische Gruppe „Identitäre Bewegung“ und um eine angebliche Beteiligung an der sogenannten „Stuttgarter Krawallnacht“ gehen soll. Diese aktuellen Ereignisse sind dabei nur das neueste Kapitel im Agieren der Repressionbehörden gegen linke Aktivist*innen und Strukturen.

Das rechte Auge zuzudrücken, während man solch harte Vorgehensweisen gegen Antifaschist*innen und Kommunist*innen einsetzt, hat Kontinuität. Wir erinnern uns noch gut daran, als 2020 in Hamburg 28 Hausdurchsuchungen – als Teil des größten Verfahrens gegen eine linke Organisation in Deutschland seit Jahrzehnten – stattfanden. Ziel des Angriffs der Staatsgewalt, der mit dem „Schnüffel-Paragraphen“ 129a geführt wurde, war der Rote Aufbau Hamburg. Der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft wird kriminalisiert, faschistische Organisierungen werden aber vom Staat gedeckt.

Gerade erst informierte die Rote Hilfe e.V. zum Tag der politischen Gefangenen am 18. März darüber, dass in Deutschland aktuell mindestens 15 Menschen wegen ihrer politischen Betätigung im Knast sitzen. Die Antifaschistin Lina ist trotz geringer Beweislast seit über 500 Tagen inhaftiert. Der linke Aktivist Jan aus Nürnberg ist seit sechs Monaten in Haft, acht weitere hat er laut Urteil noch vor sich. Allein im Raum Stuttgart saßen in den letzten Monaten, teils bis heute, mit Findus, Dy und Jo drei aktive Linke im Knast. Ebenso mehrere kurdische Aktivist*innen, darunter Merdan – für den Vorwurf einer Mitgliedschaft in der PKK, deren Kriminalisierung dem türkischen Staat in die Hände spielt. Am kommenden Freitag, 25.03., ist der Prozess des Kommunisten Chris angesetzt, bei dem von der Anklage mehrere Monate Haft ohne Bewährung gefordert werden. Vorgeworfen wird ihm, nach jahrelanger Kriminalisierung seines politischen Einsatzes, eine Beteiligung an den Silvesterspaziergängen an der JVA Stuttgart-Stammheim, die dort seit den Zeiten der RAF-Gefangenen Tradition haben.

„Ganz allgemein und konkret im Fall von Chris geht es bei staatlicher Repression nicht nur darum, Einzelne für angebliche Straftaten zu verurteilen; den Verfolgungsbehörden geht es um viel mehr“, schreibt das Solibündnis zu Chris’ Prozess. „Politische Strömungen der Linken, die Widerstandsformen entwickeln und anwenden, die das Maß des Konformen überschreiten, werden mit Repression überschüttet. Sobald Proteste und Strukturen als potenzielle Gefahr wahrgenommen werden, wird zugelangt und in akribischer Kleinarbeit alles verfolgt, was kriminalisierbar ist.“

Gefängnisstrafen stellen die momentan extremste Forme der Repression gegen linke Aktive in der BRD dar, denen verschiedene andere vorausgehen: von Kontrollen, Geldstrafen und Arbeitsstunden über Einträge im Führungszeugnis, Hausdurchsuchungen bis hin zu Gewahrsam und Bewährung. Das Vorgehen der BRD gegen antikapitalistische und antifaschistische Bewegungen scheint seit Jahren an Aggression zuzunehmen. Auffällig sind die Bündelung unzusammenhängender Tatvorwürfe sowie immer häufigere absurd hohe Strafmaße, die Kriminalisierung von Praktiken, welche früher gerade so als Ordnungswidrigkeiten galten, und Paragraphen, die offensichtlich vor allem der Überwachung linker, antiimperialistischer, revolutionärer Gruppierungen dienen.

Dabei sollte unsere Empörung über all diese Umstände keineswegs als Überraschung missverstanden werden. Revolutionäre linke Praxis stellt die herrschende Ordnung nicht nur in Frage, sondern greift sie an. Die Staatsgewalt, die der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems dient, wird natürlich gegen diejenigen Aktivist*innen und Bewegungen gerichtet, die ihm gefährlich werden können. Die Krisen des Kapitalismus spitzen sich zu und mit ihnen wächst der Widerstand, der von den Repressionsorganen des Staates niedergeschlagen werden soll.

Diese Vorgehensweisen sind vor allem Spaltungs- und Einschüchterungsversuche, denen wir nicht nachgeben dürfen. Wir müssen ihre Unterteilung in „gute und schlechte“ Protestformen, in „legitimen und kriminellen“ Widerstand ablehnen, denn diese Unterteilung folgt den Definitionen des bürgerlichen Staates. Konsequenter linker Widerstand wird unumgänglich in Konfrontation mit der Staatsgewalt geraten, da er sich gerade gegen diese richtet. Fügen sich Teile der linken Bewegung der staatlichen Einteilung unserer Protestformen, entfernen wir uns voneinander. Die einen sollen in reformistische Bahnen gelenkt werden, bis sie nicht mehr im Antagonismus zum herrschenden System stehen, die anderen werden weiter die volle Brutalität des Staates zu spüren bekommen und damit in ihrer Praxis gehindert.

Das Aufgeben revolutionärer antikapitalistischer Politik darf keine Option sein. Ein organisierter Umgang mit Repression gegen unsere Genoss*innen und konsequenter Zusammenhalt ist stattdessen unsere Antwort auf staatliche Angriffe. Das äußert sich in den zahlreichen Solikreisen, die sich für die Betroffenen bilden, in der Arbeit der Roten Hilfe und insgesamt in der Fortsetzung antifaschistischer, antimilitaristischer, klassenkämpferischer und nicht zuletzt revolutionärer Praxis.

„Wir dürfen uns nicht von ihren Schikanen und Machenschaften einschüchtern lassen, sondern gemeinsam Widerstand leisten. Ihr draußen, ich drinnen.“ – Dy, inhaftierter Antifaschist aus dem „Wasen-Verfahren“

Dass die revolutionäre Bewegung in Deutschland sich nicht einschüchtern lässt und handlungsfähig bleibt, zeigt sich auch in den direkten Antworten auf die Hausdurchsuchungen in Baden-Württemberg am vergangenen Dienstag. Nachdem den Betroffenen schon direkt am Morgen von ihren Genoss*innen Beistand geleistet wurde und es erste Solidaritätsbekundungen aus zahlreichen anderen Städten gab, kam es noch am Abend desselben Tages zu spontanen Kundgebungen, Aktionen und Demonstrationen unter anderem in Stuttgart, Tübingen, Magdeburg und Hamburg. Mehrere hundert Menschen, aus verschiedenen Spektren und mit verschiedenen Hintergründen, gingen in Stuttgart als direkte Reaktion gemeinsam auf die Straße und machten klar, dass sie sich nicht abschrecken lassen und auch hinter der verfolgten Praxis stehen.

Unsere Parolen sind keine leeren Phrasen, wenn wir sie umsetzen. Zeigt euch also solidarisch, indem ihr weitermacht!

# Titelbild: indymedia, Knastspaziergang 2021/22 in Stuttgart Stammheim

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Wenn man Aktivitäten von Aufständischen verfolgen möchte, sind die Sozialen Medien eines der stärksten Werkzeuge. Bei meiner Recherche nach kolumbianischen Guerill@s auf Facebook bin ich auf etwas Außergewöhnliches gestoßen.
Ich konnte es selbst nicht glauben: Sind diese ELN-Guerill@s offen im Gefängnis organisiert?
Was, sie hosten gerade einen Facebook-Livestream?
Warte, hat dieser Typ eine AK-47, die an seiner Zellenwand lehnt?
Ich stieß auf das Profil eines Guerilleros in einem kolumbianischen Gefängnis, der die typische ELN-Uniform trug und Bilder mit seiner Waffe online postete.

Dieser Typ ist nicht die Ausnahme. Die ELN-Guerilla ist in kolumbianischen Gefängnissen stark und prahlt damit in den sozialen Medien. Auf zentralen ELN-Kanälen werden unter anderem Live-Streams gesendet und Aufnahmen von großen Paraden militanter Gefangener unter ihrer Flagge gepostet.

Was bisher von keiner Fernsehkamera aufgezeichnet werden konnte, wird nun von den Häftlingen selbst über geschmuggelte Smartphones öffentlich gemacht: Der kolumbianische Staat hat wenig Kontrolle über das Geschehen in seinen Gefängnissen, während die Guerilla-Opposition landesweit Häftlingskollektive organisiert.

Ich habe einen Insassen des “Sicherheitsgefängnisses” in El Cauca interviewt.

Wer sind Sie und warum sitzen Sie im Knast?

Ich bin Andres „El Indio“ (der Inder), so nennt man mich in der Familie der „Ejercito de Liberación Nacional“ (ELN – Nationale Befreiungsarmee). Ich verbüße eine Haftstrafe für die Verbrechen der organisierten Rebellion und der schweren Erpressung. Derzeit bin ich bereits fünf Jahre im Hoch- und Mittelsicherheitsgefängnis in der Provinz Cauca.

Mit welchen Bedingungen sind Sie im Gefängnis konfrontiert?

Ich sag mal so, die Bedingungen eines Häftlings in Gefängnissen des kolumbianischen Staates sind ziemlich prekär. Aus dem einfachen Grund, dass in Gefängnissen Grundrechte verletzt werden. Ein Gefängnis sollte kein Ort außerhalb des Gesetzes sein, die Menschen, die in einer Justizvollzugsanstalt festgehalten werden, sollten nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Jede Person, der die Freiheit entzogen ist, sollte menschlich und mit der Achtung vor der Menschenwürde behandelt werden. Aber hier in Kolumbien stehen die verfassungsmäßigen Rechte nur auf dem Papier, in Wirklichkeit werden sie nicht umgesetzt.

Droht ihnen eine andere Behandlung, weil Sie ein Revolutionär sind?

Als Revolutionäre in kolumbianischen Gefängnissen werden wir wie einfache gewöhnliche Kriminelle behandelt, es gibt keinen Unterschied zwischen einem „einfachen“ Gefangenen und einem Revolutionär. Die Arbeit eines Revolutionärs ist Vollzeit, für uns Revolutionäre gibt es keine Grenzen, Kerker können kein Grund sein, unsere revolutionären Ziele aufzugeben. Dieses Regime kümmert sich nicht um die universelle Erklärung der Menschenrechte oder das Recht auf Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, es verstößt gegen Artikel 19, der da lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit, dieses Recht beinhaltet das Recht, sich nicht wegen seiner Meinungen beunruhigen zu lassen und sie zu verbreiten, ohne Begrenzung und mit jedem Ausdrucksmittel.”

Ein Revolutionär hat die Aufgabe, Initiativen zu ergreifen und von jedem Ort aus, an dem wir uns auf dieser beschwerlichen Reise befinden, weiterzukämpfen. Von diesen Gefängnissen aus arbeiten wir weiterhin für die Gefängnisinsassen, denn wir werden Tag für Tag wie Tiere behandelt. Es gibt keinen Respekt für unser Leben, es gibt kein Programm oder keine Politik, die die Rehabilitation von Gefangenen unterstützt. Wir gehen, wie wir gekommen sind. Einige werden vielleicht nachdenken, aber die meisten anderen werden den gleichen kriminellen Weg einschlagen und keine Alternativen sehen. Man kann sagen, dass dieses Gefängnis nicht zur Resozialisierung des Einzelnen beiträgt.

Die Gefängnisse sind nur für die Armen da, denn die korrupten Anzugträger, die Verbrechen aus Machtkreisen begehen, befinden sich in 5-Sterne-Hotels oder auf privaten Grundstücken, mit allem erdenklichen Komfort. Genauso wie die „Catedra“, das selbst entworfene Gefängnis des Narco Pablo Emilio Escobar Gaviria.

Können Sie uns mehr über das Leben eines Guerilleros im Gefängnis erzählen?

Die Mission eines Revolutionären ist es, weiterhin für die Bürgerrechte zu kämpfen, die das Regierungssystem weiterhin verletzt. Als Gefangene werden alle unsere Rechte verletzt, die auf Gesundheit, Ernährung, Diskriminierung, kurz viele lebenswichtige Dinge für den Menschen Einfluss nehmen. Von den Kollektiven übermitteln wir schriftliche Forderungen mit Hilfe von Genoss*innen, die über zivil- und strafrechtliche Kenntnisse verfügen.

Das Leben eines Gefangenen ist nicht dasselbe, wenn er Geld hat. Freiheit ist unbezahlbar, aber einige, die eine stabile wirtschaftliche Position haben, genießen den Luxus, mehr Komfort zu haben, weil es keine aufrichtigen Beamten mit ethischen Werten gibt, ja sie sind in der Lage, sogar die Seele ihrer Mütter zu verkaufen. Ein Revolutionär mit reinem Gewissen behält immer eine hohe Moral, standhaft, während er die Jahre durchsteht, die ihm das System auferlegt.

Revolutionäre sind nur in ihrer körperlichen Freiheit eingeschränkt, weil wir in unserem Gewissen frei sind und unserer Fantasie freien Lauf lassen und träumen, ein Revolutionär durchbricht jeden Tag diese körperlichen Grenzen der Gefangenschaft.

Viele Bilder und Videos zeigen die offene Organisation der ELN-Guerilla in Gefängnissen. Wie ist das möglich?

Die ELN organisiert landesweit politische Häftlingskollektive. Überall, wo ein Revolutionär ins Gefängnis geht, muss gemeinsam mit den anderen Gefangenen eine Bewusstseinsentwicklung für unseren Kampf stattfinden. Es gibt keine verbotenen Orte für uns, wir müssen uns den Unterdrückern überall stellen. Heute trennen uns vier Wände, aber unser Kampfwille bleibt intakt, denn wenn die Menschen das gleiche Ideal in ihren Köpfen tragen, kann sie nichts isolieren, weder die Mauern eines Gefängnisses noch die Erde eines Friedhofs. Von den Friedhöfen werden unsere Ideen wie Wasser sprudeln sowie Quellen nach dem Winter.

Das Gefängnissystem verbietet den revolutionären Organisationen jegliche politische Aktivität, aber durch unsere Initiativen haben wir viele Wege gefunden, um die Propaganda unserer Organisation zu verbreiten. In einem Land, in dem Korruption herrscht, ist es nicht schwer, Zugang zu verbotenen Dingen zu haben. Wie Sie gerade sehen, führe ich dieses Gespräch mit einem Smartphone.

Es ist auch möglich, dass Hochsicherheitsgefängnisse Zentren des Handels von psychoaktiven Substanzen wie Crack, Kokain, Marihuana und Schnaps sind. Auch zur Zeit der ultra-rechten Uribe-Regierung kam es im Picota-Gefängnis von Bogota zu großen Auseinandersetzungen zwischen Guerillas und Paramilitärs mit allen Arten von Schusswaffen. Das ist in einem von Korruption durchdrungenen Land nichts Neues.

Auch Fotos von Waffen im Gefängnis scheinen da kein Problem zu sein…

Waffen sind Mittel zur Selbstverteidigung, wie ich in einem vorherigen bereits Absatz sagte. Die Guerilla und die Paramilitärs befinden sich in denselben Abteilungen und es ist nicht selten, Waffen zu tragen, sei es ein Messer oder eine Schusswaffe. Wir haben aus den Geschichten der Gefängnisse in Picota, Modelo oder Bogota gelernt. (Anm. d. Autors: Dort gab es Zusammenstöße zwischen linken Guerril@s und rechten Paramilitärs.)

Ich hoffe, ich konnte Ihnen die besten Antworten auf Ihre Fragen geben, aber es ist nicht einfach, in einer Justizvollzugsanstalt angemessen zu schreiben. Wir müssen sehr wachsam sein, um nicht von den Kameras oder den Augen der Wachen entdeckt zu werden, die uns gerne jagen. Wachen verdienen Geld, wenn sie uns erwischen. Es wird sicherlich Vergeltungsmaßnahmen des Gefängnissystems für diese Anschuldigungen geben.

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„Ich dachte er wäre sicher im Gefängnis – und musste realisieren, dass niemand der in den Knast muss sicher ist…“ sagt Dahman Mayouf. Dahman ist Bruder von Ferhat Mayouf, der am 23. Juli bei einem Brand in seiner Zelle in der JVA Moabit starb. Die Todesumstände sind grausam, die Bedingungen unter denen er untergebracht war genauso. Drei Tage vor seinem Tod hatte er bei einem Haftprüfungstermin über Depressionen und Selbstverletzung geredet und gesagt, dass er in eine Haftklinik müsse. Dies sei in einem ihm vorliegenden Protokoll auch so vermerkt, ergänzt Dahman. Die Richterin sprach wohl auch eine Empfehlung zu ärztlicher Behandlung aus. Die Untersuchung durch den Anstaltsarzt erfolgte allerdings nie. Für den Dahman, ist damit die Vernachlässigung seines 38 jährigen Bruders bewiesen. Stattdessen benutzt die Vollzugsanstalt selbiges Protokoll um ihre Behauptung des Suizids zu untermauern. Nachforschungen von Criminals for Freedom zeichnen allerdings ein gänzlich anderes Bild.

Zusammen mit Ferhats Familie und über Berichte von Mitgefangenen konnten sie die Todesumstände von Ferhat rekonstruieren. Das Licht in den meisten Zellen war in den Abendstunden aus, als einige Gefangene einen Brandgeruch wahrnahmen. Es war ein dumpfes Wummern von Schlägen an einer Zellentür zu hören. Verzweifelte Hilferufe. Ein anderer Gefangener benachrichtigt die Wärter. „Die Insassen hörten, wie es 5 Minuten lang aus der Brandzelle Hilferufe gab und lautstark gegen die Zellentür wummerte. Ein Insasse sah durch ein Loch seiner Zellentür, wie zwei Schlusen (Gefängniswärter, Anm. d. Red.) im Gang standen und nichts unternahmen, obwohl er um Hilfe und immer wieder ‚Feuer‘ schrie. Bis es verstummte. Einer hörte auch, wie sich die Schlusen wohl berieten, aber nichts unternahmen. Sie standen die ganze Zeit vor seiner Zelle.“, so berichtet es ein Mitgefangener Criminals for Freedom. Als zwanzig Minuten später die Tür von der Feuerwehr geöffnet wird, ist Ferhat Mayouf bereits tot.

Todesfälle durch Brände in Gewahrsam sind keine Einzelfälle. Ferhat Mayoufs Geschichte weckt Erinnerungen an den Fall von Oury Jalloh, der vor 15 Jahren in Dessau gefesselt in seiner Zelle verbrannte, sein Tod und die Verwicklung von Polizeibeamten ist nie befriedigend aufgeklärt worden. Oder an den Fall von Amad Ahmad der am 17.09.2018 in der JVA Kleve durch einen Brand in seiner Zelle starb. Nicht nur sein Tod wirft Fragen auf, sondern auch der Umstand, dass er durch eine Verwechslung inhaftiert wurde. Zudem war die Verwechslung der Polizei bereits wochenlang vor dem Tod bekannt. Auch wenn dies erst nach dem Brand öffentlich gemacht wurde.

Immer wieder sterben Gefangene, vor allem People of Color und Schwarze Menschen, in den Knästen. Diese als Suizid zu bestimmen hilft dabei, die Verantwortung des Knastes auszublenden. Gefangene sind bei Vorkommnissen wie Brandausbrüche absolut wehrlos. „Du bist eingeschlossen und hast keine Chance“ so Dahman Mayouf. Aber tatsächlich sind sie aller Gewalt vollkommen ausgeliefert. Im Fall von Ferhat ;ayouf spricht Dahman von „Folterungen im Knast, durch Prügel aber auch Isolation“. Nach Berichtenvon Mitgefangenen war Ferhat Mayouf von Schließern vor seinem Tod zusammengeschlagen und zwei Tage im sogenannten „Bunker“ isoliert worden. Körperliche Verletzungen wie Rippenbrüche seien auch ärztlich dokumentiert.

Rassismus, rassistische Polizei- und Justizgewalt und Unterdrückung sind keine Phänomene, welche ausschließlich vor den Knasttoren zu finden sind, im Gegenteil. In Knästen sind die Verhältnisse im Vergleich zu draußen sogar verschärfter. Nicht nur rassistische Justizangestellte sind Teil des „Normalzustandes“ im Knast. Regelmäßig gibt es Fälle, wie eben den von Ferhat Mayouf, die das eindrücklich zeigen.

Gesellschaftlich ist das ein massives Problem. Knäste sind im Gegensatz zur Todesstrafe in breiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Selbst unter radikalen Linken scheint die unbewusste Überzeugung verbreitet, dass es doch ein paar Menschen gibt, die da hingehören. Durch die Kategorisierung „kriminiell“, und das Wegsperren, befreien Knäste die Gesellschaft von der Verantwortung, sich mit den drängenden gesellschaftlichen Problemen auseinander zu setzen. Die Inhaftierung ist zur ersten Antwort auf viel zu viele der sozialen Probleme geworden, die Menschen in Armut belasten. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen und vieles anderes. All das sind Probleme, von denen PoC wesentlich stärker betroffen sind, als Weiße, der rassistische Charakter dieser Gesellschaft zeigt sich am Ende auch in den Knästen.

Dort sind alle Gefangenen dem System Knast ausgesetzt. „Sie pushen die Leute sich selbst umzubringen. Nicht nur das sie ihnen Feuerzeuge und Seile in die Zelle geben, sie zerstören sie seelisch. Das ist falsch!“ meint Dahman Mayouf. Vereinzelung im Knast und die verschiedenen Formen von Gewalt machen die Gefangenen psychisch kaputt. Knäste isolieren Menschen von der Gesellschaft, sie foltern und töten. Unter Knastumständen kann niemals von einem sogenannten Selbstmord die Rede sein, auch nicht im Fall von Ferhat Mayouf.

# Text: Selma Ali-Sherwan von Sabot44

# Am 29.08.2020, 19 Uhr, U-Bahnhof Turmstraße findet eine Demo statt, um an Ferhat Mayouf und alle anderen im Knast ermordeten zu erinnern und sich an die Seite all jener zu stellen, die gefangen gehalten werden

# Titelbild: JVA Moabit, wikimedia commons, G.Elser, CC BY 3.0

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Seit mehr als hundert Tagen stehen die Chilen*innen gegen jenes neoliberale System auf, das ihr Leben seit Jahrzehnten prekarisiert hat. Trotz aller Bemühungen der Regierung, die Proteste zum Schweigen zu bringen, ist der Wille, mit jenem Gesellschaftsmodell zu brechen, das Ungleichheit, Unrecht und die Misshandlung der Arbeiter*innenklasse verewigt, so groß wie am ersten Tag des Aufstandes.

Bis zum 30.1.2020 starben im Zuge der Proteste 31 Menschen; 3.746 wurden verwundet; 427 erlitten Verletzungen an den Augen und 268 wurden durch Tränengaskanister verletzt. 418 Fälle von Folter und 192 Fälle von sexualisierter Gewalt durch die Polizei wurden dokumentiert. Die Repression wird ausgeführt von den Agenten des Staates, die totale Straflosigkeit genießen. Mehr als lächerliche Urteile gibt es für ihre Verbrechen nicht. So muss Muricio Carillo, der kriminelle Bulle, der den Demonstranten Oscar Perez am 20. Dezember mit seinem Polizeitruck überfuhr, sich einmal mi Monat zum Unterschreiben melden – bis die 150 Tage der Ermittlung des Falles abgeschlossen sind. Carlos Martinez, der Cop, der am 28. Januar einen Fußballfan überfuhr und tötete, muss sich einmal im Monat für 90 Tage zum Unterschreiben melden.

I

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn es um die Bestrafung der Kämpfer*innen der sozialen Revolte geht. Den meisten von ihnen droht schon im Vorfeld eines eventuellen Prozesses Haft. Diese Untersuchungshaft wird länger und länger, die Ausrede lautet stets, dass man mehr Zeit brauche, um richtig ermitteln zu können. Im Normalfall sollte der Gewahrsam nicht länger als 45 Tage dauern – dochsind die Behörden nicht willens das einzuhalten. Die Untersuchungshaft wird ausgedehnt, oft monatelang. In einigen Fällen könnten es Jahre der Einkerkerung ohne Prozess werden, wie das in der Vergangenheit in verschiedenen Fällen politischer Gefangener des Mapuche-Widerstands war.

Im Knast und rund um die Ingewahrsamnahmen gibt es eine große Anzahl von Unregelmäßigkeiten. Vielen Demonstrant*innen wurden von der Polizei gefälschte Beweise untergeschoben. Eines der Opfer dieser Praxis ist Diego Ulloa, ein Student, der in den Demonstrationen die Aufgabe übernahm, Tränengas mit einer Mischung aus Wasser und Backpulver unschädlich zu machen. Am 3. Dezember wurde er verhaftet. Er leistete keinen Widerstand und wurde dennoch brutal zusammengeschlagen. Ihm wird vorgeworfen, Molotow-Cocktails transportiert zu haben. Die Cops schoben ihm „Beweise“ unter, nutzten auch seinen Wasserkanister, der zum Neutralisieren der Tränengasgranaten diente, als Beweis.

Oder Nicolas Ríos, der am 10. Januar von Zivilpolizisten entführt wurde. Seine Verhaftung erinnert an die dunkelsten Jahre der Diktatur. Während er dasaß und rauchte, sprangen fünf Männer aus einem Transporter, schlugen ihn zusammen und verschleppten ihn. Wer weiß, ob er je wieder aufgetaucht wäre, hätten nicht Passant*innen die Szene gefilmt und somit die Identifizierung des Kennzeichens ermöglicht. Auch Nicolas Ríos wird das Werfen von Brandsätzen vorgeworfen. Sie testeten ihn auf chemische Spuren – das Resultat war negativ. Auf dem Video, das die Cops der Verhaftung zu Grunde legten, kann man unmöglich erkennen, wer geworfen hat. Und dennoch, die zuständige Richterin ließ ihn in Haft, schwieg über die offenkundige Rechtswidrigkeit seiner Verhaftung, verweigerte ihm, überhaupt gehört zu werden und untersagte seinen Eltern den Zutritt zum Verfahren.

Es gibt tausende Fälle wie diese beiden.

II

Wie reagierte der Staat auf die Proteste von Millionen? Er rührte jenes Modell, das die Privilegien der Eliten garantiert nicht an. Kein Gesetz wurde erlassen, das diese Privilegien abschafft oder auch nur beschneidet. Dagegen wurden sehr effizient neue Gesetze verabschiedet, die Protest kriminalisieren.

Nach Kontroversen im Kongress und im Zusammenspiel mit der parlamentarischen Opposition, die sich – mit Ausnahme einiger weniger Fälle – auf die Seite der Regierung schlug, wurden Gesetze gegen „Plünderungen“ und gegen den „Barrikadenbau“ durchgesetzt. Ein Vermummungsverbote durchläuft derzeit das Gesetzgebungsverfahren. Das einzige Ziel dieser Gesetze ist es, die soziale Bewegung zu bestrafen und längere Haftstrafen für die Aktivist*innen zu ermöglichen.

III

Die Situation der Gefangenen wird zudem unsichtbar gemacht. Informationen und Möglichkeiten zu ihrer Unterstützung finden sich nur in den sozialen Medien. Als Antwort auf diese Lage wurde die „Coordinadora 18 de octubre“ gegründet, ein Zusammenschluss von Familienmitgliedern, Freund*innen der Gefangenen und Freiwilligen sowie Aktivist*innen und Organisationen. Sie gewährleisten Unterstützung und versuchen, Orientierung zu geben. Vom 18. Oktober 2019 bis zum heutigen Tag wurden 23.400 Personen zumindest kurzfristig festgenommen; mehr als 2500 verblieben im Knast, sie warten auf ihren Prozess. Ohne klare Vorstellung, wie lange das dauern wird.

Maria Rivera ist die Koordinatorin der Defensoria Popular Penal, einer Gruppe von Anwält*innen, die sich der Verteidigung der Kämpfer*innen der Revolte und der Kriminalisierten verschrieben hat. Sie verlangen keine Gebühren von ihren Mandant*innen. Seit dem 18. Oktober, erzählt Maria Rivera, habe sich ihre Arbeit verdoppelt. Sie haben viele Jugendliche der „primera linea“, der ersten Reihe der Demonstrationen verteidigt, die nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre körperliche Unversehrtheit zur Verteidigung des Aufstandes in die Waagschale werfen.

„Die Gerichte haben gezeigt, dass sie am liebsten alle sozialen Kämpfer*innen einsperren wollen“, so Maria Rivera. „Wir haben einige schrecklich symbolische Fälle. Zwei Teenager, beide 16 Jahre alte und ohne Vorstrafen, Kevin Uribe und Mauricio Soto, befinden sich in Vorbeugehaft in einem Jugendknast. Das Berufungsgericht, der höchste Gerichtshof, alle zuständigen Instanzen haben verweigert, die Untersuchungshaft umzuwandeln, etwa in Hausarrest. Es gab Richter, die die Auffassung vertraten, dass die beiden auch zu Hause auf das Verfahren warten könnten, aber die höheren Gerichte lehnten ab.“

Die politischen Gefangenen der Revolte seien auf verschiedene Gefängnisse verteilt, aber gerade Module 14 des Knasts Santagio-1 sei vollgestopft mit Protestierenden, so Rivera. Verwaltet wird diese Strafanstalt von dem multinationalen Unternehmen SODEXO, einem Konzern, der in zahllose Skandale verwickelt war, wegen prekärer Arbeitsbedingungen, genauso wie den Bedingungen für die Gefangenen in seinen Knästen. „Einige von den Gefangenen waren verwundet, als sie festgenommen wurden und haben keine angemessene Versorgung im Gefängnis erhalten“, erzählt Rivera. Der chilenische Staat zahlt SODEXO monatlich 700.000 pesos, umgerechnet etwa 850 Euro, pro Gefangenen. Wo auch immer dieses Geld hinfließt, in das Wohlbefinden der Eingesperrten fließt es nicht.

Einmal in der Woche können Angehörige oder Freund*innen zum Gefängnis gehen und ein Paket für eine*n Gefangene*n abgeben. Meistens Basisgüter, Toilettenartikel oder Nahrung, die eigentlich von der Betreiberfirma zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Prozedur ist eine einzige Schikane und dauert drei, vier Stunden. Dasselbe gilt für den Besuchstag. Man wartet stundenlang, die Durchsuchungen können, abhängig von der Laune der Wärter*innen, kurz, lang oder erniedrigend ausfallen. Dennoch kommen Woche für Woche Familienmitglieder, Freund*innen und Freiwillige, die sich diesem Mechanismus unterziehen, der zeigt, was der Knast ist: ein Klassenmechanismus, der die Armen kriminalisiert und die schlimmsten Werte der verrotteten neoliberalen Gesellschaft reproduziert.

Und dennoch lohnt sich der Besuch bei den gefangenen Kämpfer*innen, wie Maria Rivera betont: „Trotz alledem haben sie nichts von ihrer Stärke verloren. Wenn ich sie besuche, berührt mich das sehr. Und ich schöpfe Hoffnung, weil ich weiß, das wird nicht für immer andauern. Sie werden rauskommen und in den Kampf zurückkehren. Denn sie wissen ganz genau, dass das System bis an die Grundfesten verändert werden muss.“

# Titelbild: frentefotográfico

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Am 15. Mai gab der oberste Gerichtshof Griechenlands dem Druck der Straße schließlich nach. Das Ausgangsverbot gegen den politischen Gefangenen DimitrisKoufontinas wurde aufgehoben und angeordnet, die endgültige Entscheidung an einen neu zusammengesetzten Verwaltungsrat zu übergeben.

Noch am selben Tag erklärte allerdings Kyriakos Mitsotakis, Präsident der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, dass, sollte seine Partei die anstehenden Parlamentswahlen gewinnen, das Gesetz, das solche Hafturlaube erlaubt, sofort geändert würde und die von der derzeit regierenden Syriza abgeschafften Kategorie-C Isolationszellen wieder eingeführt würden.

Dimitris Koufontinas ist ehemaliges Mitglied der griechischen Stadtguerrillagruppe Bewegung 17. November. Im Jahr 2002 tauchte er bewusst aus dem Untergrund auf, um die Geschichte seiner Organisation und deren revolutionäre Ziele zu verteidigen. Er wurde zu elfmal lebenslänglich verurteilt und sitzt zur Zeit im Kassavetia-Gefängnis in Volos. Kyriakos Mitsotakis ist der Schwager des 1989 von der Bewegung 17N erschossenen Politikers Pavlos Bakoyannis.

Seit dem Jahr 2010 steht Koufontinas – wie allen mehrfach lebenslänglich Verurteilten – ein mehrtägiger Hafturlaub alle paar Monate zu. Sein erster Freigang wurde ihm allerdings erst im November 2017 unter strengen Auflagen gewährt, begleitet von empörten Protesten aus den Reihen rechter Politiker*innen und Parteien sowie der bürgerlichen Presse. Die US-Botschaft monierte den Freigang eines „reuelosen Mörders“.

Die Reaktionen fielen auch deshalb so heftig aus, weil Koufontinas bis heute zu den Ideen und Aktionen der Bewegung 17N steht und sich weder distanziert, noch Aussagen gemacht hat. Diese aufrechte Haltung sorgt nicht nur in rechten Kreisen jedes mal, wenn er eine Fuß vor die Tür des Knastes setzt, für ängstliche Schnappatmung. Sie führt auch dazu, dass sich spektrenübergreifend rebellische Kräfte in Griechenland und außerhalb solidarisch auf ihn beziehen.

Nachdem ihm Anfang 2018 sein dritter Freigang schließlich unter vorgeschobenen Gründen verweigert wurde, trat Koufontinas in den Hungerstreik, begleitet von vielfältigen solidarischen Aktionen außerhalb der Knastmauern. Während dieses Hungerstreiks erklärte Koufontinas: „Weil uns nichts jemals geschenkt wird und all die sogenannten Rechte nichts anderes sind, als die Errungenschaften langer und langjähriger Kämpfe, ist die einzige Antwort, die wir geben können, den roten Faden dieser Kämpfe wieder zu ergreifen.“ Nach etwas mehr als zwei Wochen gab die Justiz nach und Koufontinas konnte seinen Hafturlaub antreten.

Obwohl ihm seither drei weitere Hafturlaube gewährt wurden, nahm der zuständige Staatsanwalt die obige Erklärung Anfang 2019 zum Anlass, um gegen seinen siebten Freigang von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Der Gefängnisdirektor, die Mehrheit des Disziplinarrates und sein Sozialarbeiter hatten dem Hafturlaub dagegen bereits zugestimmt. Aufgrund von Koufontinas‘ Erklärung darüber, die rote Fahne der Kämpfe wieder zu ergreifen, könne er, so der Staatsanwalt, es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, ihm einen weiteren Freigang zu gewähren. Eigentlich entscheiden Gefängnisdirektor, Sozialarbeiter und Disziplinarrat darüber, ob ein Gefangener die Voraussetzungen für einen Freigang erfüllt. Das Vetorecht der Staatsanwaltschaft macht diese Entscheidung im Grunde überflüssig.

Der Verwaltungsrat, die Instanz über der Staatsanwaltschaft, bestätigte das Veto mit der Begründung, dass Koufontinas weder bereit sei, seine bisherige Lebensart zu ändern, noch Reue zu zeigen. Er stelle weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft dar.

Um ein weiteres mal seine ihm zustehenden Rechte zu erkämpfen, trat Koufontinas am 2. Mai erneut in den Hungerstreik. Seine Forderungen waren neben der Ausgangserlaubnis die Abschaffung des staatsanwaltlichen Vetorechtes. Er erklärte: „Der Hungerstreik ist das äußerste Mittel, das einem Gefangenen zur Verfügung steht, um seine Rechte gegen die Willkür der Herrschenden zu verteidigen. Der Hungerstreik ist schon oftmals von politischen Gefangenen in Griechenland verwendet worden und ich wäre als Kommunist unwürdig, wenn ich diese kämpferische Tradition nicht fortsetzen würde.“

Schon nach wenigen Tagen wurde er wegen seiner kritischen gesundheitlichen Verfassung in ein Krankenhaus verlegt, wo er im zweiten Kellergeschoss neben der Leichenhalle unter Bedingungen festgehalten wurde, die er selbst als „unmenschliche Behandlung und Folter“ beschrieb. Er ließ mitteilen, dass er, sollte er das Bewusstsein verlieren, jegliche lebenserhaltenden Maßnahmen wie Zwangsernährung ablehnt.

Von Anfang an stand ihm dabei eine breite Solidaritätsbewegung zur Seite. Durch vielfältige Aktionen von Demos in Thessaloniki und Athen mit tausenden Teilnehmer*innen über tägliche Farbangriffe unter anderem auf das Parlament und die US-Botschaft bis hin zu Angriffen mit Molotow-Cocktails auf Polizeistationen in diversen Städten gelang es, massiven Druck auf die Herrschenden auszuüben.

Die Willkür mit der Koufontinas’ Hafturlaub mal genehmigt, mal verweigert wird, die Skrupellosigkeit mit der in Kauf genommen wird, dass er seinen Körper wieder und wieder der Hungerfolter aussetzen muss, um seine selbstverständlichen Rechte zu erkämpfen, zeigt, worum es den Herrschenden dabei eigentlich geht: darum, ihn zu zermürben und dazu zu bringen, sich von seinen politischen Positionen und Aktionen zu distanzieren. Es zeigt, wie wenig dem Staat seine eigenen Gesetze wert sind, wenn es darum geht, seine politische Gegner zu bekämpfen. Der Umgang mit Koufontinas sendet eine Nachricht an alle, die sich gegen die Barbarei von Staat und Kapital stellen. Die Nachricht, dass man sich entweder von den eigenen politischen Ideen distanziert und sie verleugnet, oder die physische und politische Auslöschung zu erwarten hat.

Deshalb geht Koufontinas‘ Kampf alle an, die für eine Welt in Würde und Solidarität kämpfen, unabhängig davon was man von den politischen Aktionen und Positionen der Bewegung 17N hält. Er selbst erklärte: „Die Sache betrifft nicht nur eine persönliche Erlaubnis, sondern den Angriff auf das Recht, frei zu sprechen, auf die Rechte der Gefangenen, auf die Rechte des Volkes“.

Angesichts der Welle der Solidarität und der Intensität der Angriffe hob der oberste Gerichtshof am 15. Mai, wie gesagt, die Bestätigung des Vetos durch den Verwaltungsrat auf.

Am selben Tag war Koufontinas wegen Herzrhytmusstörungen in die Intensivstation verlegt worden. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes hat er seinen Hungerstreik am 23. Mai beendet. Er wies darauf hin, dass nun ein Präzedenzfall für alle Gefangenen geschaffen sei und dem neu zusammengesetzten Verwaltungsrat im Grunde nichts übrig bleibe, als den Hafturlaub zu gewähren. Bis er wieder normal gehen und Nahrung zu sich nehmen kann, bleibt Koufontinas im Krankenhaus.

# Katerina Savala

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