Wagenknecht, Maaßen & Palmer: Die Supergroup der Reaktion

7. Juni 2021


Was dem einen sein Sarrazin, ist dem anderen sein Palmer. So könnte man in leichter Abwandlung eines bekannten Sprichworts aktuelle Entwicklungen in der Parteienlandschaft der Republik kommentieren. In einer Zeit spätkapitalistischer Zerfallsprozesse und einer unübersehbaren Verrohung des Bürgertums nehmen zwangsläufig auch die Fliehkräfte in den bürgerlichen Parteien zu. Wobei die Linkspartei in diese Kategorie leider einzubeziehen ist, da sie – von lobenswerten Ausnahmen abgesehen – die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie weitgehend akzeptiert hat und nicht wirklich daran arbeitet, das System zu überwinden. Folglich hat sie auch Anteil an den systemischen Defiziten und Krankheiten.

Vor dem Hintergrund der geschilderten gesellschaftlichen Prozesse ist es wohl kaum ein Zufall, dass sich fast zeitgleich drei der im Bundestag vertretenen Parteien mit prominenten Abweichlern in den eigenen Reihen herumärgern müssen: Bündnis 90/Die Grünen mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, die CDU mit dem früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und Die Linke mit der früheren Fraktionschef der Partei im Bundestag, Sahra Wagenknecht. So unterschiedlich die drei Fälle im Detail sind, sind sie doch im Kern auf ein- und dieselbe Problematik, ein- und dasselbe Grundmotiv zurückzuführen. Während Emerson, Lake & Palmer in den 1970ern mit ihrem progressiven Rock den Hörer*innen neue musikalische Sphären erschlossen, heißt der Hit des Trios Wagenknecht, Maaßen & Palmer, bei dem all die reaktionären Angstbeißer, vor allem aus der Mittelschicht, lauthals mitsingen: „Das wird man wohl noch sagen dürfen“.


Im Kern geht es bei diesen Dreien und ihrem Vorläufer und Wegbereiter, dem früheren Sozialdemokraten Thilo Sarrazin, letztlich doch nur um Eines: die xenophobische Grundstimmung im Bürgertum zu bedienen und zu nähren. Alle vier sind in ihren jeweiligen Milieus Sprachrohr einer sich in der Regel missverstanden fühlenden Gruppe, die ihre Ressentiments gegen Geflüchtete und andere marginalisierte Menschen pflegen möchte, ohne dafür irgendwie moralisch in Frage gestellt oder gar beschuldigt zu werden, ohne „in die rechte Ecke gestellt zu werden“. Sarrazin, Wagenknecht, Maaßen und Palmer geben den Ressentiments vor allem der Mittelschicht, die sich letztlich aus deren Angst vor dem sozialen Abstieg und von ihr als bedrohlich empfundenen Dynamiken speist, in je eigener Prägung Ausdruck und sprechen sie pauschal von aller Kritik frei.

Sarrazin hat auf sehr plumpe und offen rassistische Art und Weise mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ schon 2010 den Aufschlag gemacht. Für die SPD hat das den unschätzbaren Vorteil, dass sie ihren Abweichler schon los geworden ist, auch wenn das Ausschlussverfahren etwas gedauert hat. CDU, Grüne und Linke müssen sich dagegen noch mindestens im gesamten Bundestagswahlkampf mit den Sarrazin-Epigonen herumärgern. Bei der Union und der Linken haben es Maaßen resp. Wagenknecht bekanntlich sogar geschafft, sich trotz ihrer Außenseiterpositionen für den Bundestag aufstellen zu lassen. Maaßen wurde im tiefschwarzen Südthüringen nominiert, Wagenknecht gar auf Platz 1 der Landesliste in Nordrhein-Westfalen gewählt. Gegen die beiden wird offenbar auch kein Ausschlussverfahren in den jeweiligen Parteien erwogen, während Palmer seit kurzem bei den Grünen eines am Hals hat, nachdem er es mit dem Provozieren etwas übertrieben hatte.

Wagenknecht, Maaßen & Palmer arbeiten nicht ganz so mit dem Holzhammer wie Sarrazin, am ehesten noch Maaßen. Seine Äußerungen sind kompatibel mit denen von AfD-Vertretern und anderen reaktionären Gestalten. Maaßen verkörpert den hetzerisch-paranoiden Typus, dessen verzerrte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht anders als pathologisch genannt werden muss. Er glaubt offensichtlich tatsächlich daran, dass die Republik von einer „links-grün-versifften“ Mafia regiert wird, die das Land ins Unglück stürzt und in der „aufrechte Bürger“ wie er, die sich tagtäglich um die Rettung des Abendlandes und seiner Werte bemühen, eine verfolgte Minderheit sind. Seine Bemerkungen sind oft unfreiwillig komisch, etwa als er einst „linksradikale Kräfte in der SPD“ ausgemacht haben wollte. Ob Maaßen wegen seiner verschrobenen politischen Positionen zum Chef des Inlandsgeheimdienst gemacht wurde oder erst durch die Tätigkeit in dem Laden durchgeknallt ist, lässt sich nicht sagen.

Der Tübinger Lockdown-Lockerer Boris Palmer, dem in dieser Kolumne bereits ein eigener Beitrag gewidmet war, würde wohl nie so holzschnittartig wie Maaßen argumentieren. Er steht eher für den grün lackierten Wohlstandsbürger, der es versteht, wortreich zu begründen, warum seine Ressentiments keine sind. Als typischen Anhänger Palmers kann man sich vielleicht, um ein Klischee zu zitieren, einen Oberstudienrat vorstellen, der gern als linksliberaler Intellektueller gesehen werden will, tatsächlich in vielem aber ein Reaktionär ist. Ein ähnliches Klientel dürfte Sahra Wagenknecht bespielen, wenn man sich dieses vielleicht auch insgesamt noch jünger und sich noch eher als links verstehend vorstellen muss.

Die rote Diva verbindet mit Maaßen, dass sie sich auch als verfolgte Unschuld sieht. Da es bei einer Linken natürlich noch viel weniger akzeptiert wird, gegen Geflüchtete oder andere Marginalisierte Stellung zu beziehen, ist der rhetorische Aufwand und das Maß an Verdrehtheit in der Argumentation von Wagenknecht noch mal erheblich größer als bei Sarrazin, Palmer und Maaßen. Sie hat bekanntlich kürzlich ein ganzes Buch geschrieben, um klar zu stellen, dass sie keine Rassistin ist, sondern tatsächlich ganz vorn an der Barrikade steht, Arm in Arm mit den revoltierenden Massen. Ihr Machwerk „Die Selbstgerechten“ ist selbstredend genauso ein Bestseller, wie es Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ oder Palmers „Wir können nicht allen helfen“ waren. Von Maaßen gibt es übrigens bisher nur trockene juristische Fachliteratur, etwa über die „Stellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“ – da kommt der Bestseller wohl noch.

Bedenklich ist an all dem vor allem, dass vier so defizitäre Charaktere mit politisch mehr als bedenklichen Positionen von den bürgerlichen Medien, voran den Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dermaßen gehypet werden. Das hat natürlich etwas mit den Funktionsweisen und Imperativen von Medien im Kapitalismus zu tun. Radau sorgt für Quote. Die öffentliche Präsenz der Drei hat aber auch damit zu tun, dass sie ein Thema repräsentieren, das trotz der seit 2015 zurückgehenden Zahlen bei den Asylbewerbern keineswegs verschwunden ist und unterschwellig auch den Bundestagswahlkampf mitbestimmt: die Angst vor den anderen, den Fremden. Das Thema an die AfD zu delegieren und aus den bürgerlichen Parteien herauszuhalten, funktioniert ganz offenbar nicht.

Wagenknecht, Maaßen & Palmer bleiben weiter in den Charts und wir werden sicher noch manchen „Hit“ von ihnen hören.

# Titelbild: Emerson, Lake & Palmer, Gorupdebesanez CC BY-SA 3.0, Boris Palmer © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)“, Maaßen, Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme CC BY-SA 3.0, Wagenknecht © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons), Collage: LCM

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