Die kommunistische Bewegung der Philippinen findet in Deutschland wenig Beachtung, obwohl sie einen der ältesten und erfolgreichsten revolutionären Kämpfe der Gegenwart führt. Unsere Autorin Leila Aadil hat sich mit Crisanto von Anakbayan Germany getroffen, um mit ihm über die Bewegung zu sprechen. In einem dreiteiligen Interview schildert er die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung der Bewegung geführt haben, die Beschaffenheit der Bewegung und ihre strategischen Grundlagen sowie die gegenwärtige politische Situation.
Da die Geschichte der revolutionären Bewegung auf den Philippinen in Deutschland eher unbekannt ist, kannst Du mit einem kleinem historischen Überblick beginnen?
Die revolutionäre Geschichte der Philippinen beginnt mit der Kolonialgeschichte. Davor bestanden die Philippinen aus vielen einzelnen selbstorganisierten Barangays, Siedlungen, mit verschiedenen Religionen, Bräuchen, also keine monolithische Einheit wie nach der Kolonialisierung. Das geschah dann erst, als die Spanier im 16. Jahrhundert die Inseln unterwarfen.
Die spanische Kolonialisierung bestand 333 Jahre, von 1565 bis 1898. In dieser Zeit wurde die komplette philippinische Gesellschaft der spanischen Herrschaft unterworfen: Religiös, kulturell, die Ressourcen. Sie haben mit Schwert und Kreuz regiert, mit Gewalt und Religion. Die präkoloniale Gesellschaft davor, war auch keine kommunistische, hatte ein Kastensystem, ähnlich wie in Indien. Aber die Unterdrückung war nicht so festgefahren, wie in der Kolonialzeit danach.
Mit den Spaniern wurde das zu einem feudalen Kastensystem, in dem ganz oben die spanische Krone, dann die Ordensbrüder, Soldaten und so weiter standen. Diese Feudalherrschaft besteht zu einem gewissen Grad bis heute. Die Haciendas, die riesigen Ländereien, die einem Großgrundbesitzer gehören, gibt es bis heute. Die Arbeiter sind mittellose Kleinbauern, die zwar auf dem von ihnen bebauten Land leben, aber denen nichts gehört. Sie arbeiten unter grauenvollen Bedingungen. Sie schuften den ganzen Tag in der prallen Sonne, sind völlig rechtlos. Es gibt Landlords, die sie körperlich bestrafen, damit sie schneller arbeiten. Sie sind Leibeigene, wie im Feudalismus.
Gegen Ende der spanischen Kolonialherrschaft hat sich die erste revolutionäre Kraft gebildet, die Katipunan. Geführt wurde sie von Andrés Bonifacio. Der kam übrigens aus dem Proletariat, im Unterschied zu den meisten Mitgliedern von Katipunan, die Intellektuelle, Schriftsteller, Poeten waren, aus reichem Hause kamen und spanische Bildung genossen hatten. Für das Volk gab es keinerlei Bildung in dieser Periode. Die Eliten waren damals „gemischte“, also Mestizofamilien, die ihre Kinder in die Obhut der Ordensbrüder gegeben haben. Es waren die Datus, die Oberhäupter von Communities, die die Spanier als erstes überzeugen konnten, ihre Kinder in die spanischen Schulen zu geben. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Kolonialisierung.
1898 fand dann der spanisch-amerikanische Krieg statt. Zu der Zeit fielen auch Kuba und Puerto Rico unter US-Herrschaft. Die amerikanische Periode dauerte dann bis zur formalen Unabhängigkeit 1946 an. Die USA erklärten die Philippinen dann für „independent“, aber wir nennen es „hindiependent“, hindi heisst „nein“, da es keine richtige Unabhängigkeit ist. Denn die USA behielten ihre Militärbasen und ihr imperialistischer Einfluss blieb.
Auch die US-Zeit, die die spanische Kolonialzeit ablöste, war eine Periode des Kolonialismus – was man daran sehen kann, wie mit den Ressourcen umgegangen wurde. Die USA haben zwar ein öffentliches Schulsystem eingeführt, aber eben nach amerikanischem Modell. Schule kostet und viele der Ärmsten bleiben ausgeschlossen. Durch die US-Kolonialzeit wurden die englische Sprache und die US-Kultur ein großer Faktor. Eigentlich gab es auf den Philippinen ja hunderte Sprachen. Selbst die Nationalsprache Filipino, die auf Tagalog, einem Dialekt aus dem Norden beruht, sprechen die Schüler*innen nur im Tagalog-Unterricht. Ansonsten sprechen sie nur Englisch. Sie werden sogar bestraft, wenn sie außerhalb des Unterrichts nicht Englisch sprechen und es wird schlecht angesehen, wenn man nicht Englisch spricht.
Was die Ressourcen angeht: Die USA haben ihre eigenen Fabriken errichtet, keine wirkliche Industrialisierung, aber eben so Fabriken, in denen zum Beispiel Dosennahrung hergestellt wird, Ananas in Dosen und ähnliches. Die Philippinen sind eigentlich ein ressourcenreiches Land. Es gibt Bodenschätze, eine reiche Landwirtschaft, viel Gemüse, Obst. Und dennoch sind die Leute arm.
Die Arbeitskraft der Bevölkerung wurde natürlich auch von den USA genutzt. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es massenhaft Arbeiter*innen, die in die USA gegangen sind und dort auf den Feldern gearbeitet haben oder im Pflegebereich. Philippinische Arbeitsmigration ist ja ein großes Thema und eine der ältesten Beziehungen dieser Art ist die zu den USA.
Aber schon während der spanischen Kolonialzeit gab es die „Manila-Galeone“, eine Handelsroute zwischen Manila und Acapulco, wo viele Filipinos auf den Schiffen gearbeitet haben. Manche sind auch abgehauen und haben in Mexiko Siedlungen gegründet. Es gibt auch eine Siedlung in Süd-Louisiana. Schon damals war es so, dass es wenig Zukunft auf den Philippinen gab, ähnlich wie heute mit den oversea-workers, die täglich zu tausenden das Land verlassen.
Mit der US-Zeit und der Errichtung von Fabriken entstand ein Proletariat, das sich gewerkschaftlich organisierte. Und aus dieser Arbeiter*innenschaft ging dann die Partido Komunista ng Pilipinas, die Kommunistische Partei der Philippinen, hervor. Die PKP ist die alte Kommunistische Partei. Die haben sich vor allem an legalen Aktionen und Arbeitskämpfen beteiligt. 1930 wurde sie offiziell gegründet und 1931 wurde sie schon verboten, nachdem eine von ihnen organisierte Demonstration niedergeschlagen worden war.
Was war der Unterschied zwischen Katipunan und der alten PKP?
Die Katipunan war eine revolutionäre Vereinigung, die gegen die Spanier gekämpft hat; es war eine Art Guerilla.
Aber noch ohne proletarischen Anhang aus den Fabriken?
Genau, denn die gab es da noch nicht. Es waren Menschen wie Jose Rizal, ein sehr bekannter Dichter und einer der Nationalhelden der Philippinen. Gebildete Menschen aus gehobenen Familien. Rizal war auch in Europa, in Heidelberg steht eine Statue von ihm.
Rizal etwa hat ein Buch gegen die spanische Herrschaft geschrieben. Im Volk war ohnehin schon viel Wut, diese Intellektuellen haben dieser Wut eine Stimme gegeben und die Katipuneros waren das Resultat.
Wie ging es dann mit der Kommunistischen Partei der Philippinen weiter?
Nach ihrer Illegalisierung war sie im Untergrund und während des Zweiten Weltkriegs haben sie eine Volksarmee gegründet, die Hukbalahap. Die Philippinen wurden im Zweiten Weltkrieg von den Japanern angegriffen und die Volksarmee leistete gegen sie Widerstand.
Obwohl Japan ja in einer Allianz mit Deutschland und Italien war, haben die USA, deren Kolonie die Philippinen damals waren, ihren Fokus nur auf Europa gerichtet und das Land den Japanern überlassen. Die Japaner sind in das Land eingefallen, ohne aufgehalten zu werden und haben schlimme Gräeultaten verübt – etwa durch die Versklavung und Vergewaltigung von Trostfrauen. Ähnlich wie beim Nanking-Massaker haben sie die Menschen grausam abgeschlachtet.
Die Hukbalahap waren die stärkste, organisierte und bewaffnete Kraft gegen diese Besatzung. Es gibt zwar bis heute eine positive Erinnerung an diesen Widerstand der Kommunist*innen, aber das verliert sich dann mit der Zeit auch. Heute ist es nicht einfach, Kommunist auf den Philippinen zu sein.
Wie ging der Kampf nach dem Zweiten Weltkrieg weiter?
1946 wurden die Philippinen formal unabhängig. Aber natürlich sah man in der Folge, etwa wie bei jemandem wie Ferdinand Marcos, der von 1965 bis 1986 Präsident war, wie stark der Einfluss der USA noch blieb. Es waren Marionettenregimes, die immer noch US-Interessen wahrten. Sie waren so neoliberal und korrupt, dass sich schon in dieser Marcos-Periode wieder eine große radikale Bewegung bildete.
Zu diesem Zeitpunkt war die alte PKP von 1930 nicht mehr wirklich relevant. Die einzigen Elemente, die von dieser KP noch aktiv waren, war die Kabataang Makabayan, die „Patriotsche Jugend“. Zu der gehörte damals auch Jose Maria Sison, Kampfname Amado Guerrero. In den 1960er hat diese Organisation sich noch einmal radikalisiert, auch unter dem Einfluss des globalen antikolonialen Kampfes.
Daraus ging dann die neue Partido Komunista ng Pilipinas hervor. Sie orientierte sich an Mao Tse-Tung, die Parteistrukuren wurden umgekrempelt. In der Parteigeschichte spricht man von der ersten „Great Rectification“. „Rectification“ bedeutet, dass die politischen und ideologischen Grundsätze überdacht wurden.
War das Verhältnis zur Sowjetunion einer der ausschlaggebenden Punkte?
Genauso wie es in der kommunistischen Weltbewegung einen Split entlang dieser Linie gab – China oder UdSSR –, so auch hier. Es gab diejenigen, die aus der chinesischen Revolution lernen wollten und das als Verbesserung der marxistischen Lehren anerkannten. Und es gab diejenigen, die am „traditionellen“ Marxismus-Leninismus festhalten wollten, aber im Endeffekt revisionistisch wurden.
1968 hat sich dann die bis heute bestehende Kommunistische Partei der Philippinen, die Communist Party of the Philippines (CPP) gegründet. Sie feiert dieses Jahr im Dezember ihr 52. Jubiläum und zählt damit zu den ältesten aktiven Kommunistischen Parteien dieser Welt. Ein Jahr später wurde dann bereits die NPA gegründet, die New Peoples Army oder Bagong Hukbong Bayan.
Wichtig zu erwähnen ist, dass dieser ganze Wandel und die Gründung der CPP von der Jugend ausging. Studierende, auch Intellektuelle wie Amado Guerrero hatten es sich zur Aufgabe gemacht, in diesen Zeiten, in denen politischer Aktivismus schwierig war, zur Agitation aufs Land zu gehen. Ähnlich wie PKP von 1930 haben sie 1970 auch eine große Volksdemonstration organisiert, „First Quater Storm“ hieß sie. Sie sind zum Regierungspalast marschiert, haben demonstriert gegen die neoliberale Politik von Marcos, die Inflation, die Arbeitslosigkeit. Und schon da nahmen Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschen teil.
Die politische Situation damals war sehr brisant. Die Antwort der Herrschenden war: Martial Law, die Verhängung des Kriegsrechts. Die Armee sollte jetzt für die Sicherheit des Staates sorgen.
Das war alles in der Regierungszeit von Marcos?
Ja. Er ist eine sehr relevante Figur für die Geschichte der Philippinen. Rodrigo Duterte, der aktuelle Präsident, macht ihm zwar diesen Rang jetzt streitig, aber bis dahin war Marcos der schlimmste Diktator.
1972 wurden die Medien geschlossen, die Aktivist*innen der kommunistischen Bewegung mussten in den Untergrund gehen. Sie gingen aus der Stadt aufs Land. Das Kriegsrecht ermöglichte die Inhaftierung, Folterung, Tötung von allen möglichen Leuten, die sich staatskritisch geäußert haben oder revolutionär organisiert waren. Die heutige Antiterrorgesetzgebung hat übrigens ähnliche Charakteristika wie dieses Kriegsrecht damals.
Was die Zeit des Kriegsrechts aber auch bedeutet hat, war dass die urbanen kleinbürgerlichen Aktivist*innen, die Studierenden, aufs Land gegangen sind und dort von den Massen der ausgebeuteten Bauern gelernt haben. So wurde die NPA eigentlich richtig stark, weil während der Zeit des Kriegsrechts, die Aktivist*innen keine andere Wahl hatten, als den bewaffneten Kampf. Sie wussten, in der Stadt sterben sie gewiss, dann lieber mit Waffe in der Hand, als von der Armee festgenommen, vergewaltigt, gefoltert und getötet zu werden.
In den späten 1970er und 1980er Jahren gab es dann die zweite „Great Rectification“, weil manche Teile der Bewegung in ein militärisches Abenteurertum verfallen waren. Das Level der Gewaltsamkeit war zu hoch und die Massen konnten damit nicht Schritt halten. Seitdem steht das Wohl der Massen an erster Stelle – die Volksarmee muss diesen dienen.
Das drückt sich ja auch darin aus, dass es keinen Unterschied zwischen militärischer und politischer Tätigkeit gibt. Dieselben Leute, die kämpfen, sind auch die, die von Dorf zu Dorf gehen und mit den Leuten sprechen …
Ja, genau. Und interessant ist auch, dass es oft Leute sind, die an der Universität studieren, sich dort politisieren. Die University of the Philippines Diliman ist eine richtige Brutstätte für politischen Aktivismus, eben weil es da eine historische Tradition gibt. Viele, die da lehren und studieren, sind dem politischen Kampf verpflichtet. Das Resultat ist, dass viele von den Vollzeitkadern, die in den Roten Zonen leben, auch abgeschlossene Ausbildungen haben, also Ärzt*innen oder ähnliches sind. Die sind dann aber zugleich die einzige medizinische Versorgung, die die Leute da haben. Das ist sehr beeindruckend, das zu sehen. Dadurch, dass die Geografie der Philippinen archipelartig ist und es viele Orte gibt, die vom staatlichen Zugriff abgeschnitten ist, ist das möglich. Da gibt es viele, die haben noch nie einen Arzt in ihrem Leben gesehen.
Die NPA-Einheiten, die dort sind, haben ihre Guerilla-Zonen, die sogenannten Red Zones. Außerhalb davon sind die sogenannten White Zones, die Massenbasis. Die NPA-Mitglieder gehen aus den Red Zones in die White Zones, diskutieren mit der Bevölkerung, fragen sie nach ihren Problemen und nehmen sich ihrer Anliegen an. Gerade im medizinischen Bereich gewährleistet die NPA einen großen Teil der Versorgung, von Zahnbehandlungen bis zu Operationen. Das Gesundheitssystem auf den Philippinen ist übrigens Schrott. Es ist komplett privatisiert, öffentliche Kliniken sind völlig unterentwickelt und schlecht. Die privaten Kliniken kann sich niemand leisten.
#Titelbild: Katipunan-Kämpfer
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