Philippinen: Ein Krieg gegen die Armen [Interview Teil III]

20. August 2020

Autor*in

Leila Aadil

Die kommunistische Bewegung der Philippinen findet in Deutschland wenig Beachtung, obwohl sie einen der ältesten und erfolgreichsten revolutionären Kämpfe der Gegenwart führt. Unsere Autorin Leila Aadil hat sich mit Crisanto von Anakbayan Germany getroffen, um mit ihm über die Bewegung zu sprechen. In einem dreiteiligen Interview schildert er die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung der Bewegung geführt haben, die Beschaffenheit der Bewegung und ihre strategischen Grundlagen sowie die gegenwärtige politische Situation. Teil 1 zur Geschichte der antikolonialen Kämpfe auf den Philippinen erschien hier, Teil II könnt ihr hier nachlesen.

Wie ist die politische Situation auf den Philippinen aktuell?

In der Amtszeit von Duterte, seit 2016, wurden 250 Farmer ermordet, ohne Prozess. Ähnlich wie im Zuge des durch Duterte ausgerufenen Krieg gegen die Drogen in den urbanen Gebieten. Im Endeffekt ist das ein Krieg gegen die Armen, weil die Leute die gejagt werden, Endkonsumenten oder Kleindealer sind, also einfach nur irgendwelche armen Schweine. Es geht da vor allem um Crystal Meth, das sehr einfach herzustellen ist und krass abhängig macht. Im Zuge dieses Krieges gegen die Drogen knallen von der Regierung bezahlte Söldner und Polizisten Leute auf offener Straße ab. Die fahren teilweise maskiert durch die Gegend und schießen von ihrem Motorrad. Oder sie klopfen an deiner Tür und erschießen dich, sobald du sie aufmachst. Dabei sterben oft alle möglichen Menschen, die gerade zur falschen Zeit am falschen Ort sind, weil in den urbanen Gegenden die Leute auf engstem Raum zusammen wohnen. Die Großdealer, also die Leute, die mit dem Drogengeschäft viel Geld verdienen und die Sachen ins Land schmuggeln, interessieren die Regierung dabei gar nicht. Im Gegenteil: Es gab diverse Skandale, durch die ans Licht kam, dass Beamte in den Drogenschmuggel involviert sind.

Diese extralegalen Hinrichtungen der armen Stadtbevölkerung sind eine Sache. Seit kurzem gibt es zudem ein Anti-Terror-Gesetz (ATL), das die krasse Repression gegen Aktivisten sehr verstärkt hat. Das ist momentan die prägnanteste Sache die passiert. Vor allem auf dem Land, wo es wenig Aufmerksamkeit gibt und wo gleichzeitig die meiste politische Arbeit läuft, werden viele Aktivisten einfach durch von der Regierung bezahlte Söldner oder der reaktionären Armee ermordet. Die ermordeten Farmer sind auch größtenteils organisierte Farmer gewesen. In der Duterte Adminsitration werden Aktvist*innen sehr hart verfolgt. Am Anfang gab es noch Friedensgespräche zwischen der National Democratic Front of the Philippines (NDFP) und der reaktionären Regierung, die aber auf Eis gelegt wurden, weil die Regierungen immer wieder gegen die Vereinbarungen verstoßen hat. Aktivist*innen werden natürlich schon immer verfolgt, aber die Duterte-Adminsitration hat das noch weiter getrieben.

War es ein Fehler mit der reaktionären Regierung zu verhandeln?

Viele Maoist*innen und andere Linke aus dem Westen haben die Friedensgespräche als ein Zeichen von Revisionismus gedeutet, verstehen aber einfach nicht die Beschaffenheit der philippinischen Gesellschaft und unsere politische Situation. Wir haben zum Beispiel auch verschiedene Parteien, die im Parlament waren oder sind. Es ist für uns ein Weg, an der parlamentarischen Entscheidungsfindung teilzuhaben, aber wir wissen ganz genau, dass wir damit keine Umstülpung der Gesellschaft erreichen. Wir wissen aber, dass es rein pragmatisch einfach Sinn macht, auch dort unsere Ziele und Werte zu vertreten. Und die werden auch dort von niemandem kompromittiert. Im Gegenteil. Die Leute, die im Parlament sitzen, haben auch andere Möglichkeiten, als die Farmer oder Studenten, die auf dem Land bei der NPA sind. Sie werden nicht einfach von der Polizei oder der Armee ermordet, ohne dass es irgendjemanden interessiert. Jeder hat seine Rolle, wenn man eine Bewegung hat. Das sehen viele europäische Marxist*innen echt ein bisschen zu dogmatisch.

Sind die kommunistische CPP, die Volksarmee NPA und NDFP das primäre Ziel des Antiterrorgesetzes?

Ja. Es werden immer die CPP, die NPA und NDFP als Beispiel vorgeführt und argumentiert, dass die kommunistische Bewegung aus Terroristen besteht. Leute aus dem Umfeld, und jeglicher Opposition, die ähnliche Argumente hervorbringen, wird dann Unterstützung von Terrorist*innen vorgeworfen. So macht die Regierung Jagd auf Leute aus der Opposition. Es gibt auch eigentlich keine andere Opposition als die kommunistische Bewegung. Nicht wie zum Beispiel in Deutschland, wo es eine krass diverse, gespaltene und unorganisierte Opposition gibt, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht. Wenn du in den Philippinen Kritik an der Regierung hast, dann entstammt das meistens der revolutionären Bewegung. Aber es gibt auch Leute, die einfach nur keinen Bock mehr auf Duterte haben und seinen Rücktritt fordern, weil die Regierung in der Pandemie auf vollster Linie versagt hat. Auch die werden mittlerweile festgenommen. Das Antiterrorgesetz gibt der Regierung eine rechtliche Grundlage für die Verfolgung von Aktivist*innen. Man kann für Facebook-Kommentare in Gefängnis kommen, monatelang festgehalten werden, ohne dass einem Gründe genannt werden.

Und neulich haben sie auch noch eins der größten Medienhäuser zugemacht?

Genau. ABS CBN ist eins der größten privaten Medienhäuser. 10.000 Angestellte haben innerhalb einer Woche ihren Job verloren. Die ganze Medienlandschaft ist größtenteils über die gelaufen. Auch viele Filme, Serien und anderes kulturelles Programm wurde von denen gemacht.

Wie war die Situation während Covid-19?

Die philippinischen Massenorganisationen wirken als Brücken, die kleinbürgerliche Schichten, also die Studenten, Ärzte und so weiter mit Kleinbauern und Farmern verbindet. Während der Pandemie war das krass zu beobachten. Im März ging dort gar nichts, du durftest nicht raus, nicht einkaufen, nicht arbeiten. In einem Land, in dem die Armut so stark ist, haben die Leute keine Rücklagen, von denen sie leben können. Die leben von der Hand in den Mund und waren dann richtig aufgeschmissen. Die Regierung hat sehr wenig getan, sehr spät gehandelt und nicht für die Leute gesorgt. Deswegen haben verschiedene Massenorganisationen Hilfsoperationen gestartet, davon war ich auch Teil. Wir haben zuerst Spenden gesammelt und davon dann alles, was die Leute brauchen, gekauft. Das Obst und Gemüse haben wir von organisierten Farmerkollektiven bezogen. Damit haben wir auch die unterstützt, weil die sonst keine Einnahmen mehr hatten. Für die Bedürftigen in Manila haben wir dann Hilfspakete gepackt, mit allem möglichen Sachen von Lebensmitteln bis hin zu Arzneimitteln. Beim Austeilen haben wir kleine Kundgebungen abgehalten, in denen über die Situation aufgeklärt wurden und die Leute darüber gesprochen haben, was sie gerade anpisst. Bei diesen Aktionen wurden aber auch Leute festgenommen, es gab Checkpoints und man durfte eigentlich gar nicht unterwegs sein. Es gab auch Community-Küchen, bei denen riesige Mengen an Essen für Bedürftige gekocht wurde.

Wie kann man die revolutionäre Bewegung auf den Philippinen von Europa aus unterstützen?

Wir haben diverse Massenorganisationen wie Migrante oder Gabriela, die in der Diaspora existieren. Wir freuen uns wenn Menschen außerhalb der Community zu unseren Veranstaltungen und Kundgebungen kommen. Es gibt auch ein „Immersion Program“ auf den Philippinen. Geld kann zum Beispiel Anak Bayan Europa gespendet werden. Ansonsten haben wir gerade einen Petition gegen das Antiterrorgesetz.

Was können wir im deutschen Kontext von der philippinischen Bewegung lernen?

Die Massenlinie ist auf jeden Fall eine Sache, die auch die deutsche Bewegung anwenden sollte. Solche Sachen wie SICA (Social Invetigation, Class Analysis) sind Werkzeuge, um die Wünsche und Nöte der Massen auf dem Schirm zu haben. Das Problem hier in Deutschland ist zum Beispiel, dass vermeintlich Linke bourgeoise Medien lesen und sich ihre Meinung und ihre Haltung daraus bilden. Das ist erstens unmarxistisch und zweites auch einfach dumm. Warum sollten wir auf das hören, was der Feind uns sagt, anstatt den Leuten, für die wir da sein sollten, zuzuhören. Die Leute, für die wir unseren politischen Kampf machen.

Ein anderer Punkt ist, dass die konkreten politischen Umstände mit in die Analyse mit einbezogen werden müssen. Herausfinden, dass gewisse Dinge in diesem Kontext hier gar nicht klappen und die Leute nicht drauf reagieren und somit der Handlungsspielraum auf gewisse Dinge begrenzt ist. Auf legaler Ebene hat man hier zum Beispiel viel mehr Spielraum. Es geht auch darum, herauszufinden, mit wem man taktisch zusammenarbeiten kann, ohne seine Werte zu verraten. Es gilt hier auch das Prinzip von „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ zu verstehen. Anstatt im reichen Europa zu sitzen, sich selbst zu geißeln und über Privilegien zu weinen, sollte man diese Privilegien nutzen. Natürlich nicht im Dienst von einem selbst als Person, um sich in Szene zu setzen, sondern im Dienste der Unterdrückten.

Dafür bräuchte es hier aber erst mal eine revolutionäre Organisation die es schafft diese Dinge miteinander zu verknüpfen, eine kollektive Organisierung schafft und nicht nur eine Ansammlung von Individuen ist...

Ja. Dafür ist es auch wichtig, dass man Rechenschaft für seine Arbeit abgibt. Bei uns kann auch keiner einfach machen, was er will. Es gibt bei uns auch das Konzept von Kritik/Selbstkritik. Das bedeutet, dass nach jeder Aktion Auswertungen stattfinden, um herauszufinden, was lief gut, was lief schlecht, was kann verbessert werden. Auch um zu sehen, was die Stärken und die Schwächen sind und wie Leute sich verbessern. Das gibt es hier viel zu wenig. Man kann hier immer nur sagen, was scheiße ist, aber man kann keine Schlüsse daraus ziehen, um voran zu schreiten. Klar, es gibt keine richtigen revolutionären Organisationen, die diesen Rahmen bieten, aber auch im kleinen funktioniert es nicht, weil Menschen kein Verständnis dafür haben, dass Politik kollektiv laufen muss.

Und das auch auf persönlicher und menschlicher Ebene. Die Leute hier laufen teilweise wie so Politroboter rum. Bei uns ist klar, dass wir keine Maschinen sind und dass auch Gefühle und Probleme der Leute sehr wichtig sind. Wir sind Menschen, mit Ängsten und Nöten. Solche Dinge wie Gastfreundschaft und Empathie, dass Leute sich gegenseitig helfen, das ist bei uns selbstverständlich. Das habe ich hier in oft in manchen politischen Kreisen sehr vermisst, die Leute reden, als ob sie Politiker wären und nicht als ob sie Genoss*innen und Verbündete wären.

Oft fehlt es hier natürlich auch an einem revolutionären Verständnis. Wer sind hier die Massen, die von einer Revolution profitieren würden und wie werden sie angesprochen? Die wenigsten machen sich darüber überhaupt Gedanken.

Trotz dieser Kritik, bin ich der Auffassungen, dass auch die Bewegung in Deutschland lernen und sich verbessern kann. Das kostet viel Arbeit und Zeit und passiert nicht einfach so von heute auf morgen. Ich sehe, dass viele Genoss*innen hart arbeiten, um eine Veränderung voran zu bringen. Wir müssen auch hier kreativ werden, indem wir unsere theoretischen Kenntnisse auf den spezifischen Kontext hier anwenden lernen. Das bedeutet auch scheitern, aus den Fehlern lernen und weiter machen. Auch wenn vieles hier aussichtslos scheint, weil der Staat in vielen Aspekten sehr stark ist, haben wir hier andere Möglichkeiten und werden nicht für unseren Aktivismus auf offener Straße erschossen. Die philippinische Bewegung kann für die revolutionären Kräfte in Deutschland als Inspiration dienen, die ihnen einen Anstoß gibt, um den eignen Weg im deutschen Kontext zu beschreiten.

# Titelbild: concerned artists of the philippines Instagram: @concerenedartists_ph

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