Fortschrittliche, außerparlamentarische Linke im deutschsprachigen Raum, wir müssen reden! Ich versuche es, so solidarisch wie ich kann. Was wollt ihr eigentlich genau für eine Zukunft?
Es wird Zeit für einen linken Populismus. Wenn extrem reichweitenstarke, aber apolitische Menschen auf rattenfängerische Methoden, der gut organisierten, internationalen Rechten hereinfallen und deren Inhalt multiplizieren, ist es akut Zeit zu handeln.
Eine Behauptung vorweg: völlig verakademisierter Intellektualismus und eine ganze Menge Ego zerficken linke Diskurse und die sogenannte Nähe zur Masse gleichzeitig. ALSO, was wollt ihr für eine Zukunft? Wollt ihr mir jetzt die Kommentare vollkleistern, weil ich „zerficken“ gesagt hab? Oder weiterlesen? Beides?
Sprache formt Denken, heißt es so schön und Brisanz will erstmals vermittelt werden. Ich bekomme mehr und mehr den Eindruck, dass mit dem Wort SOLIDARITÄT eine Art semantische Sättigung einhergeht. „Semantische Sättigung (auch verbale Sättigung) ist ein psychologisches Phänomen, bei dem die mehrfache Wiederholung eines Wortes zu einem temporären Bedeutungswandel oder -verlust führt.“ Während alle möglichen rechts gesinnten Ideologien weltweit irgendeinen verdammten Konsens finden, gilt angewandte solidarische Praxis in der Linken eher den abstrakten Anderen, den Marginalisierten, mit denen man dann aber selber nie irgendwas zu tun hat oder haben will. Provokant formuliert. Untereinander wird sich häufig mit deutungshoheitlichem Moralismus begegnet. Der verführt zur Selbstdarstellung, aber selten zu einem fruchtbaren und für alle Parteien nahrhaften Diskurs. Ich denke an diese ewigen Twitterdiskussionen, die durch feindselige Besserwisserei, statt durch wohlwollenden Gedankenaustausch bestimmt sind. Diese paralysierenden Plena, die Bündnisse, die sich gegenseitig sabotieren, „Allies“, bei denen eine seichte parentale Überlegenheit mitschwingt.
Das ist alles so sehr beschäftigt mit sich selbst, dass die Gesellschaft als Masse, nun in Corona-Ruhe, von rechten Demagogen gespalten wird. Die richtigen Fragen werden von den falschen Leuten gestellt und falsch beantwortet. Seit den neuesten Querfront-Demonstrationen sieht die Welt noch ein wenig düsterer aus. Uns sollte allen klar sein, wo das hinführen kann, wenn die politischen Strukturen so weiter wirken, wie sie es bisher taten. Eine Linke, die stark genug sein will, dem entgegentreten zu können, muss Kritik und Widersprüche aushalten, wohlwollend ihr Umfeld politisieren und gesellschaftliche Resilienz dort mitentwickeln, wo der Staat Unfug treibt.
Ich war sehr lange wütend und habe wild um mich geschlagen, aber nun bin ich wütend und will gezielt treffen. Es wird Zeit, sich zu konzentrieren und nicht allein über Privilegien, sondern auch über Feindbilder nachzudenken. Es sollte weder Berührungsängste noch Konfliktscheuheit geben, weder mit den eigenen Standpunkten und Toleranzfähigkeiten, noch mit denen von anderen. Wenn wir Verständnis haben, was nicht damit zu verwechseln ist, einverstanden zu sein, und verkopfte, eitle Diskurse nicht vor den alltäglichen Klassenkampf stellen, das wäre großartig.
Antifa bleibt Handarbeit. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
john 17. Mai 2020 - 20:21
„Untereinander wird sich häufig mit deutungshoheitlichem Moralismus begegnet. Der verführt zur Selbstdarstellung, aber selten zu einem fruchtbaren und für alle Parteien nahrhaften Diskurs. Ich denke an diese ewigen Twitterdiskussionen, die durch feindselige Besserwisserei, statt durch wohlwollenden Gedankenaustausch bestimmt sind. Diese paralysierenden Plena, die Bündnisse, die sich gegenseitig sabotieren, „Allies“, bei denen eine seichte parentale Überlegenheit mitschwingt.“
– Dann müssen wir anfangen, darüber zu reden, wie das funktionieren kann. Ich denke dabei an eine soziale Plattform, in der wir uns finden und solidarisch miteinander streiten können. Da könnten wir zumindest anfangen es zu üben. Viele Linke nutzen Twitter und Facebook also könnten wir genauso gut bei diesen oder noch besser anderen Plattformen anfangen, uns als jene zu finden, die Lust haben auf dieses solidarische Streiten trotz großer Differenzen. Oder gibt es so etwas schon – gruppen-übergreifend? Ich habe Lust, das wirklich langsam anzugehen. Es gibt so viele Menschen, die unzufrieden sind mit der radikalen Linken und die Perspektiven suchen. Wir müssen es ausprobieren, sonst ändert sich das nicht.
phryk 18. Mai 2020 - 14:53
Kurz und knackig, bleibt aber auch etwas im Abstrakten stecken; ein paar Beispiele für Gruppen, die es geschafft haben, es besser zu machen wären da vielleicht hilfreich gewesen. Sind dir solche bekannt?
Handkantennestor 21. Mai 2020 - 23:45
Das ist das Allerfeinste und Zutreffendste was ich seit Ewigkeiten lesen durfte. Ich zähle mich zum politisierten Subproletariat / Präkariat und der vermittelten Dringlichkeit möchte ich heftigst Nachdruck verleihen.
08/15 24. Mai 2020 - 13:30
ok, der x-tausendste Kommentar bei lower class über die Linke, die Angst vor der eigenen Klasse hat bzw sich zu fein ist, sich als solche zu begreifen und danach zu handeln. Ja, gibt es immer noch zu viele davon und ja, das ist blöd, wissen wir aber auch alle schon. Ich finde solche Kommentare nur noch nervig. Bitte berichtet doch einfach noch mehr über alle, die es anders machen, die auch jetzt aktiv sind, gute Sachen machen, soziale Proteste auf die Beine stellen, Nachbarschaftshilfen etc etc. Fragt sie, wie sie es machen, was für Erfahrungen sie machen. Ich weiß das macht ihr schon aber da geht noch mehr! Das bringt allen, die vielleicht einfach nicht wissen, wie sie es angehen sollen, wesentlich mehr als diese destruktiven Kommentare!
Timo Ollech 25. Mai 2020 - 23:49
Da empfehle ich die „Anleitung zum Populismus“ von Fritz B. Simon: https://www.carl-auer.de/anleitung-zum-populismus 😉
Steff Brenner 26. Mai 2020 - 11:17
Bin da im wesentlichen bei 08/15. Nichts von dem was du schreibst ist falsch aber es ist auch alles nicht neu. Ich mein du und auch Teile des LCM arbeiten sich auch lieber weiterhin an der neuen Rechten ab. Ein Bericht über Bornheim, kein Bericht über die Leiharbeitsklage der FAU Kaiserslautern oder die Streiks in Spanien, kein Interview mit guten Nachbarschafts-Initiativen die seit Monaten genau die Arbeit machen von der ihr behauptet sie fehlt. Kein Wort über „Mietwahnsinn stoppen!“ Einfach mal besser hingucken und den Kopf aus dem Arsch der Berliner Bubble ziehen würde vielleicht schon helfen. Wer gebannt auf die Rechten und die Kleinbürger_innen starrt wird auch nur Rechte und Kleinbürger_innen entdecken. Sorry.