Schrankenlose Ausbeutung – zur „imperialen Lebensweise“ (V)

9. Juli 2017

Konturen einer solidarischen Lebensweise

Wie besprochen liegen die Ursachen des Auseinanderklaffens sozial-ökologischer Problemfelder und deren Lösung auf verschiedenen Ebenen: im Wachstumszwang, in der Notwendigkeit von Profit und Kapitalakkumulation der kapitalistischen Gesellschaft oder in der hegemonialen Vorstellung eines „guten Lebens“ und den damit zusammenhängenden Interessen der Subalternen an einer möglichst störungsfreien Kapitalakkumulation und funktionierenden imperialen Beziehungen. Für Brand und Wissen steht fest, dass die sozialen und ökologischen Probleme innerhalb des kapitalistischen Systems nicht gelöst werden können, dass es einer „kritisch-emanzipatorischen Transformation“ der Gesellschaft bedarf.

Zunächst bedeutet das Ziel einer gesellschaftlichen Transformation für Brand und Wissen einen Abwehrkampf zu führen, um problematischen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Strategisch ist für sie sodann eine Einhegung und Zurückdrängung imperialer Praxen unumgänglich. Denn die imperiale Lebensweise ist sozial und ökologisch nicht verallgemeinerbar, sie bedarf eines Äußeren, auf das die Kosten abgeschoben werden können, und geht damit systemimmanent zulasten anderer. Was v.a. im globalen Norden und zunehmend auch in den Schwellenländern als „gutes Leben“ angesehen wird, hat zur Folge, dass viele in unterschiedlichem Ausmaß verlieren werden müssen. Gewohnte Alltagspraxen und Alltagsstrukturen müssen aufgebrochen und neugestaltet werden, um die sozialen und ökologischen Kosten der imperialen Lebensweise zu beseitigen, um eine solidarische Gesellschaft entwickeln zu können.

Was bedeutet „solidarische Lebensweise“?

Eine solidarische Lebensweise „muss verallgemeinerbar sein, ohne ihre Voraussetzungen und negativen Folgen zu externalisieren, ohne andere Menschen auszubeuten und ohne ihre eigenen Grundlagen zu zerstören.“1 Dafür bedarf es einer drastischen Reduktion von Ressourcenverbrauch und Emissionen sowie einer Veränderung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. An Stelle der bisherigen Strukturen müssen solidarische Formen der Naturaneignung, der Produktion und des Arbeitens, des kollektiven Zusammenlebens, des Treffens von Entscheidungen und Bearbeitens von Konflikten treten.

Dazu ist es ebenso notwendig, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel zu besitzen – sprich die Produktionsmittel zu vergesellschaften –, als auch bestimmte Alltagspraxen und Alltagsstrukturen nicht mehr leben zu wollen oder einfach nicht mehr zu leben. Dabei geht es nicht pauschal um Verzicht, es ist durchaus auch mehr erlaubt: etwa im Bildungs- und Gesundheitssystem, bei den öffentlichen Dienstleistungen oder an guten Lebensmitteln. Die entscheidende Frage ist, was gesellschaftlich erwünscht und sozial-ökologisch zu verantworten ist. Welche konkreten Konsumgüter, Produktionsmittel und Dienstleistungen mit einer solidarischen Lebensweise vereinbar sind, was und wie viel „genug“ ist.

Erste Schritte

Es stellt sich sodann die Frage, wie die Menschheit zu einer derartig solidarischen Lebensweise gelangen soll. Für Brand und Wissen bildet etwa das gegenwärtig zu beobachtende weitverbreitete Unbehagen an den gesellschaftlichen Verhältnissen einen Ansatzpunkt. Die Wucht der kapitalistischen Krise, die Naturzerstörung und die Brutalität der Eliten, die sich ihre Privilegien zu sichern suchen, erzeugen eine diffuse Ahnung, dass die imperiale Lebensweise unsolidarisch und zerstörerisch ist. Obwohl die imperiale Lebensweise mit ihrem strukturellen Wachstumszwang der Wirtschaft und ihrer ressourcen-, energie- und emissionsintensiven Produktions- und Konsumnorm vielerorts als Problemkern einer höchst bedrohlichen Krise erkannt wird, ist sie dennoch dermaßen in den Verhaltensmustern der Menschen eingebrannt, dass für viele bestenfalls ihre ökologische Modernisierung, nicht aber ihre grundlegende Überwindung denkbar erscheint.

Brand und Wissen regen daher an, „die vielfältigen Alternativen als Teil von Suchprozessen für eine solidarische Lebensweise, für ein ganz anderes, nämlich gerechtes, demokratisches, friedliches und ökologisch wirklich nachhaltiges Wohlstandsmodell jenseits kapitalistischer, patriarchaler und rassistischer Zumutungen und solcher der Unterwerfung und Ausbeutung der Natur zu verstehen.“2 Das klingt alles sehr allgemein, ist auch pluralistisch gemeint und spiegelt, neben der hegemonialen Verankerung der imperialen Lebensweise, in gewisser Weise auch den momentanen Zustand der Linken wider. Wesentlich ist für Brand und Wissen, zunächst die Externalisierung der sozialen und ökologischen Kosten der imperialen Lebensweise sichtbar zu machen. Denn die Aufhebung der Externalisierungsmechanismen gehört zu den schwierigsten Aufgaben in Hinblick auf eine solidarische Lebensweise. Forderungen und Konflikte, die zur Überwindung der imperialen Lebensweise führen können, müssen dazu in der eigenen Gesellschaft und andernorts anerkannt und unterstützt werden. Die Frage, wie eine Gesellschaft verfasst sein muss, die eine solidarische Lebensweise entfalten kann, rückt in den Vordergrund. Ebenso, wie sie gegen reaktionäre Angriffe institutionell abgesichert werden kann, ohne ihre reflexive Weiterentwicklung zu gefährden.

– Benedicto Pacifico

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Ulrich Brand und Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. oekom verlag 2017. 224 S., € 14,95,-

Fotos: Oriana Eliçabe, Pushkara Sally Ashford

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Ein Kommentar über “Schrankenlose Ausbeutung – zur „imperialen Lebensweise“ (V)”

    Anon 9. Juli 2017 - 22:30

    Ich glaube, der Mensch ist einfach so gepolt. Irgendwo kommt immer ein Querschläger (zu denen ich Fidel Castro zähle) und will mehr! Ich nähere mich zunehmend dem Schmuss, dass Marx irrte; wir können den Kapitalismus gar nicht (ultimativ) überwinden…