Schrankenlose Ausbeutung – zur „imperialen Lebensweise“ (II)

6. Juli 2017

Die Konsumseite der imperialen Lebensweise

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und den weit verbreiteten Wohlstandssteigerungen verallgemeinerte sich die imperiale Lebensweise in den kapitalistischen Zentren. Im Kampf um die Verteilung der Produktivitätsfortschritte rückten für die ArbeiterInnenbewegung Fragen der Arbeitszeit zugunsten einer Teilhabe am kapitalistisch produzierten Warenreichtum immer weiter in den Hintergrund, ebenso die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln. Bei den Lohnabhängigen entwickelte sich eine konsumorientierte Lebensweise heraus. „Auf einen Zuwachs an frei verfügbarer Zeit wurde … zugunsten von mehr Konsum verzichtet.“1 Produktivitätsfortschritte sowie billige Rohstoffe verringerten die Kosten für Konsumgüter und damit auch die Reproduktionskosten für die Ware Arbeitskraft, die Lohnabhängigen nahmen dadurch am Zuwachs des gesellschaftlichen Reichtums durch Reallohnsteigerungen teil und konnten ihr Konsumniveau ausweiten.

Interessensüberschneidung

Mit den Steigerungen des frei verfügbaren Einkommens und der Konsumorientierung im globalen Norden wurden einerseits die Interessen der Lohnabhängigen an eine einigermaßen störungsfreie Kapitalakkumulation in den kapitalistischen Zentren geknüpft, andererseits „die Basis für die gesellschaftliche Verallgemeinerung der imperialen Lebensweise geschaffen, die bis dahin der Ober- und (oberen) Mittelklasse vorbehalten war.“2 Mit der steigenden Konsumorientierung weitete sich auch die Abhängigkeit der Lohnabhängigen von funktionierenden imperialen Beziehungen aus. Für die Herstellung und den Gebrauch der Konsumgüter wurde eine möglichst ungestörte Ressourcenversorgung mit mineralischen und agrarischen Rohstoffen notwendig, die überwiegend im globalen Süden gefördert bzw. angebaut werden. Zusätzlich wurden vermehrt arbeitsintensive und/oder umwelt- bzw. gesundheitsschädliche Branchen in den globalen Süden verlagert.

Des einen Leid, des andren Freud

Eine ökologisch oft zerstörerische Produktion, billige Arbeitskräfte und entsprechende Arbeitsbedingungen (z.B. in der asiatischen Textilindustrie oder beim Obst- und Gemüseanbau in Südspanien) schaffen neben den Produktivitätsfortschritten eine Grundlage für billige Ressourcen und billige Konsumgüter in den Zentren des globalen Nordens. Dass diese sozialen und ökologischen

Voraussetzungen der Produktion in den Konsumgütern schwer bzw. nicht sichtbar sind, ist wesentlicher Bestandteil der Selbstverständlichkeit ihres Kaufs und ihrer Nutzung. Zudem handelt es sich bei den ökologisch oft desaströsen Konsummustern (z.B. beim Flugverkehr) um Handlungen und Entscheidungen, die trotz Problemerkennung im gesellschaftlichen Kontext als rational oder normal erscheinen und dadurch kaum durchbrochen werden.

Stabilisierende Wirkung

„Die imperiale Lebensweise ist … zugleich Notwendigkeit und Versprechen, Zwang und Voraussetzung des Lebens sowie der gesellschaftlichen Teilhabe“3 in den kapitalistischen Zentren. Denn über die ungleiche Aneignung von Arbeitskraft und Natur ermöglicht sie im globalen Norden Einkommen schaffende Produktion, sprich sichert sie auch Arbeitsplätze. Gleichzeitig schafft sie die Voraussetzung dafür, viel und billig zu kaufen, bzw. ermöglicht sie es jenen, die zum Billigkauf gezwungen sind, ein gewisses Konsumniveau zu erreichen. Sie erweitert damit die den Alltag erleichternde bzw. lebenswerter erscheinen lassende Masse an Konsumgütern, Freizeitaktivitäten und Reisezielen. In Krisensituationen hilft die imperiale Lebensweise über die Versorgung mit, auf Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden beruhenden, billigen Konsumgütern eine reale oder zumindest gefühlte Sicherheit zu schaffen, ein Konsumniveau aufrecht zu erhalten oder sogar auszuweiten. Trotz aller sozialen Verwerfungen, die die gegenwärtige multiple Krise auch in den kapitalistischen Zentren hervorruft, stabilisiert sie im globalen Norden die gesellschaftlichen Verhältnisse, schwächt Verwerfungen ab, hilft etwas wie Normalität zu schaffen. Ungeachtet der damit einhergehenden krisenverschärfenden Phänomene im globalen Süden, die etwa der Klimawandel hervorruft.

– Bendedicto Pacifico

Hier gehts zum I. Teil der Besprechung

Ulrich Brand und Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. oekom verlag 2017. 224 S., € 14,95,-

Anmerkungen:
1Brand, Wissen, S 86
2Brand, Wissen, S 53
3Brand, Wissen, S 56

 

Fotos: Gabriel Esteffan, Max Pixel

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert