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Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form hat für die Mächtigen den Nachteil, dass er Dynamiken erzeugt, die nicht immer vorherzusehen und zu beherrschen sind. Weil das System am besten gedeiht, wenn es den Beherrschten einen gewissen Grad an politischen Freiheiten genehmigt, kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen. In diese Kategorie muss wohl der Wirbel eingeordnet werden den das Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo vor der Europawahl erzeugte.

Bei aller Skepsis, was die langfristigen Wirkungen angeht: Das war ein Coup! Im dahinplätschernden Wahlkampf schlug der 55minütige Film, in dem Rezo vor allem die Politik der CDU zerlegte, granatenmäßg ein, erzielte in einer Woche mehr als elf Millionen Aufrufe. Die Union, aber auch die Mainstreammedien wurden komplett auf dem falschen Fuß erwischt. Aus der Ecke hatte mit einer solchen Intervention einfach keiner gerechnet.

Und das ist eine auch für Linke bemerkenswerte Entwicklung. Eigentlich ist die Welt der Youtuber*innen und Influencer*innen ein Teil der Marketingmaschinerie, bei der es um das Propagieren und Verfestigen bestimmter Lebensstile und eines damit kompatiblen Konsumverhaltens geht. Da werden Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika gepusht, Musiktitel oder alberne Challenges gehypt. Mit der großen Politik hatte diese Welt bisher wenig zu tun – und das sollte sie sicher auch nicht.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, der CDU-Zentrale, reagierte man entsprechend kopflos auf die unerwartete Attacke. Erst ließ man sich tagelang Zeit mit einer Antwort, dann zog die Parteiführung ein schon produziertes Antwort-Video des Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor – wegen seines streberhaft-spießigen Habitus eine Spottfigur im Netz – kurzfristig zurück. Vermutlich befürchtete die CDU, sich damit noch mehr zu blamieren.

Als Rezo und mehr als 70 Youtuber-Kolleg*innen kurz vor der Wahl nachlegten und dazu aufrief, am Sonntag nicht CDU, CSU oder SPD zu wählen, brannten bei der Union alle Sicherungen durch. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schlug allen Ernstes vor, politische Äußerungen im Netz vor Wahlen zu „regulieren“. Das sorgte in den „sozialen Medien“ für Entsetzen und ungläubiges Erstaunen, wurde allgemein als Anschlag auf die Meinungsfreiheit und Zensur bezeichnet. Und sogar die Bild-Zeitung zählte Kramp-Karrenbauer an.

Für Linke war das, was Rezo in seinem Video durchaus flott und gekonnt vortrug, inhaltlich natürlich nichts Neues. Ob es um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich oder das Versagen der CDU, der CSU und auch der SPD in der Klimapolitik oder der Drogenpolitik ging. Aber das ist auch nicht der Punkt. Es ist etwas anderes, ob Linken-Parteichef Bernd Riexinger oder Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband zum 100mal auf die soziale Kluft hinweisen – oder ob das ein Youtuber tut, dessen junges Publikum sich mehrheitlich bisher wenig mit Politik befasst hat.

Als „unterkomplex“ haben manche Lohnschreiber*innen in den bürgerlichen Medien Rezos Ausführungen bekrittelt. Die konservativen Leitmedien wie die FAZ haben das gesamte Video mit Schaum vor dem Mund vom Tisch gewischt. Es sind die üblichen Reflexe, wenn an dem größte gesellschaftliche Tabu gerührt wird – wenn der Skandal der sozialen Apartheid beim Namen genannt wird. Rezos Video entspricht da gewissermaßen dem Ausruf des Kindes in Hans-Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: „Aber der hat ja nichts an!“

Das ist genau das, was reaktionäre Journalisten wie Jasper von Altenbockum von der FAZ oder die CDU so auf die Zinne bringt: dass sich hier ein junger Mann mit blauen Haaren hinstellt und ganz naiv eine Frage stellt. Dass er auf eine Grafik zeigt, auf der eine Kurve, die Vermögenden des Landes, nach oben geht und die andere, die Habenichtse, konstant nach unten, und dass er fragt: Die CDU hat in 29 der 36 vergangenen Jahre das Land regiert – wenn sie wirklich eine Volkspartei wäre, die Politik für alle macht, warum bewegen sich diese Kurven dann immer weiter auseinander?

Das ist nicht „unterkomplex“, sondern Rezo spricht eine schlichte Wahrheit aus. Die bürgerlichen Parteien machen Politik für Aktienbesitzer und andere Absahner. Für die Helfershelfer im Mittelstand wird ein bescheidener Wohlstand garantiert, für den Rest gibt’s ALG II und RTL 2. Rezos Video ist nach Friday’s for Future ein zweiter überraschend erfolgreicher Vorstoß junger Leute in den politischen Raum. Man muss nicht gleich eine neue Jugendbewegung ausrufen, aber es ist natürlich erfreulich, wenn Jugendliche anpolitisiert werden, weil sie so zumindest potentiell aufnahmefähig für radikale Systemkritik werden. Bloß sollte niemand den Fehler machen, die Fähigkeiten des Systems zu unterschätzen, Protest und Widerstand einzudämmen und einzugemeinden.

#Titelbild: Rezo – Die Zerstörung der CDU

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Alte, junge, durchaus weiße und vermutlich besonders männliche Männer, sind es, die nicht aufhören, in Kommentarspalten Sophie Passmanns angebliche sexuelle Unverwertbarkeit zu betonen. Diese Form der „Kritik“ bedarf keiner Kreativität. Sie ist der einfache Ausdruck des misogynen Grundrauschens im Abendland.

Es gibt aber auch weibliche Kritik an Sophie Passmann. Eine österreichische Lehrerinnentochter zum Beispiel, Lisa Eckhart, die sich nicht zu schade ist, in einer Polemik über Passmann, mit einer Me-Too-Lamoryanz-Keule die Debatte um strukturellen Sexismus zu zertrümmern, um sodann Passmanns augenscheinlich identitätspolitischen Ansatz zu demontieren, haut im Standard, bumm bumm, auf die Pauke. Dabei hätten Passmann und Eckhardt so viel gemeinsam. Beide sind female, beide sind future. Junge weiße Frauen. Gymnasial sozialisierte, durchsetzungsfähige Kleinstadt-Emporkömmlinge mit bisher erfolgreichem Berufsweg. Beide sind im Entertainment-Business. Und dann wird eine Göre von einer Göre als Göre bezeichnet. Die eine Göre erntet Schulterklopfen von bürgerlichen Konservativen, die andere Göre von bürgerlichen Liberalen. Zwei Frauen stehen gegeneinander im Ring. Statt eines Faustkampfes bewerfen sie sich gegenseitig mit ihren Poetryslam-Preisen und der Hauptgewinn ist ein eingeölter reicher weißer Mann – Ulf-Poschardt-Type – im Julius-Cäsar-Kostüm der glücklich #Teamkarriere ruft.

Stell dir vor, es ist Pop-Feminismus und alle machen mit.

Eine Frau, die mit Mitte zwanzig ihre Hausbibliothek alphabetisch sortiert, am meisten Geld für Weißwein ausgibt, eine junge Frau, die sagt, dass es angenehm ist, mit Andrea Nahles den Vormittag im »Arbeitskreis Pferd« zu verbringen. Eine junge weiße Frau, die bisher offenbar sehr gut funktionieren konnte in der Mühle Kapitalismus, deren Leben fast einer Blaupause für eine reibungslose Medienkarriere gleicht, Sophie Passmann, will die Frauen befreien.

Das ist an sich noch kein Widerspruch.

Eines ihrer Bücher heißt: „Alte weiße Männer, ein Schlichtungsversuch“. Darin isst, trinkt und plaudert sie nett mit weißen Männern. Leuten aus der gehobenen Mittelschicht, mehr oder weniger alten und mächtigen Leuten. (Btw. warum eigentlich nicht mit ihrem Parteigenossen Sarrazin?) Welche wirtschaftliche oder ob gesellschaftliche Macht sich allein daraus ergibt, als weiß und männlich geboren zu sein, so zu altern, warum das so sein soll, der versprochene Versuch einer Schlichtung worüber auch immer, all das bleibt offen. Sie reproduziert lediglich einen von ihr kritisierten Missstand: alte weiße Männer und ihre Standpunkte bekommen zu viel Raum.

Das ist dann schon ein Widerspruch.

Dabei hätte ein Passmann-Buch mit Geschichten von jungen schwarzen Frauen in meinem Regal stehen können. Jetzt steht nur ein Buch in Sophie Passmans Regal, eines dass von ihr selbst handelt, voller Worte von mitunter sehr reaktionärer Typen, aber immerhin neben Philip Roth.

Erste Regel der Leistungsgesellschaft: man spricht nicht über die Leistungsgesellschaft. Wir leben in einer weißen, hetero- und cis-normativen Klassengesellschaft, werden in einer von Silberrücken dominierten Kultur erzogen. Sexismus, Rassismus, Ableismus und der Ausschluß von wirtschaflich schwachen Menschen, sind allgegenwärtige Symptome einer Ökonomie, die frühstmöglich in Gewinnende und Verlierende, in verwertbar und unverwertbar aufteilt.

Diese Verhältnisse sind umzustürzen und es ist wichtig, dass so viele Menschen wie möglich darüber Sprechen. Wenn die Substanz einer feministischen Agenda aber selten darüber hinauskommt, „ich war früher hässlich und es ist egal“ und „hahaha du weißt ja gar nichts über den Menstruationszyklus!“ ins Internet zu schreiben, dann veralbert sich dieser Diskurs selbst und leistet der Bewegung einen Bärendienst.

Wenn eine junge weiße Sophie Passmann eine junge schwarze Beyoncé neoliberal nennt, ist das keine feministische Kritik, es ist heuchlerisch und undurchdacht. Du kannst deine eigenen Bücher mit dem Argument einer Hautfarbe vor dir hertragen, aber dann sei selbst keine neoliberale Sophie mit unreflektiertem white privilege im Unterhaltungsfernsehen, die einer Debatte um ihrem eigenen Rassismus nicht einmal bei Twitter standhält.

Sophie Passmann profitiert mehr von dem System der alten weißen Männer, als sie sich eingestehen will. Keine Frau braucht emanzipatorische Authentizität, um etwas zu vermarkten. Aber Feminismus braucht mehr als Selbstvermarktung der gehobenen Mittelschicht. Es ist der Lauf der Dinge, dass alte weiße Männer sterben, aber wenn dann alte weiße Sophies auf ihre Plätze nachrücken, verändert sich vielleicht gar nicht so viel.

Ich bin dafür über alte weiße Männer zu reden, über ihren Raum in der Gesellschaft, was stört, was zu ändern ist, ich bin dafür Feminismus in einen popkulturellen Diskurs einzubinden. Auch bin ich dafür, dass mehr Frauen Bücher veröffentlichen.Vor allem aber bin ich dafür, dass Feminismus das Umstürzen der Verhältnisse stärkt und dafür muss er klar formuliert, konfrontativ, unbequem und klassenbewusst sein. All das ist Sophie Passmann nicht.

#Titelbild: re:publica/CC BY-SA 2.0

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Deutsche Wohnen enteignen“ ist eine populäre Forderung geworden – und die Sozialdemokratie reagiert wie immer mit einem konzernfreundlichen Vorschlag der Entschärfung.

Die Deutsche Wohnen SE (DW), Berlins größter privater Vermieter, ist in den vergangenen Jahren mächtig unter Druck geraten. Die Geschäftspraxis, Filetstücke zu modernisieren und ihre Bewohner*innen gegen reichere Kund*innen auszutauschen, während man andere Gebäude völlig verwahrlosen und verfallen lässt, erzeugte Unmut unter den Mieter*innen. (mehr …)

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