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Seit Frühjahr letzten Jahres existiert der Bund der Kommunist:innen (BdK) in Berlin, erst jetzt hat die Gruppe ihre Gründung öffentlich gemacht. Ab dem 1. Mai gibt sie die Organisationszeitung “Die Proletin” heraus, in der dieses Interview mit zwei Sprecher:innen erschienen ist, das wir hier vorab publizieren.

Mit dem Bund der Kommunist:innen (BdK) gibt es eine neue kommunistische Gruppierung in Berlin. Was ist das programmatische Fundament der Gruppe und für welche Positionen steht ihr ein?

Daniel: Wir haben uns ein Programm gegeben, das einerseits sehr „klassische“ Positionen vertritt, die einer klassenbewussten, revolutionären Linken. Wir sind eine kommunistische Organisation, das heißt, der Zweck unserer Organisation ist das Erstreiten einer klassenlosen Gesellschaft, in der keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen existiert. Wir stellen uns dabei in die Tradition der Arbeiterbewegung und der antikolonialen Bewegungen, wobei wir deren Erfahrungen aufgreifen und weiter entwickeln wollen. Das ist ziemlich old school, aber wir haben auch alle die Erfahrung gemacht, dass das doch sinnvoller ist, als diverse Modetrends.

Dilan: Es gibt vieles, was in unserem Programm Konsens unter Kommunist:innen sein dürfte: Es ist antimilitaristisch und antiimperialistisch im Sinne der Unterstützung progressiver Bewegungen gegen den Imperialismus; es ist selbstverständlich feministisch und antirassistisch; es ist internationalistisch in dem Sinne, dass wir die hiesige Arbeiterklasse als Sektion der Weltarbeiterklasse sehen und gegen sozialchauvinistische, nationalistische Krisenlösungen eintreten. Und so weiter.

Aber ich will vielleicht zwei „Besonderheiten“ im deutschen Kontext hervorheben: Erstens, wir halten die Schaffung einer militanten Avantgarde der Klasse für notwendig – ‚militant‘ nicht in dem landläufigen Sinne von gewaltsam oder aggressiv, sondern als Haltung der Unversöhnlichkeit und als Anspruch an uns selbst, so diszipliniert wie möglich an unseren Zielen zu arbeiten. Und zweitens wir setzen strategisch auf einen Ansatz der „Gegenmacht“, also des schrittweisen Aufbaus von offenen Basis-Institutionen in Nachbarschaften, Betrieben und kulturellen Milieus, die sozusagen Massenorganisationen werden sollen.

Eine Frage, die sich aufdrängt, ist: Warum angesichts der Zersplitterung der Linken überhaupt eine neue Gruppe?

Daniel: Nun, wir sind ja zum einen eine Fusion aus Kreisen, die zuvor in anderen Organisationen waren. Da bildete sich ein Pol von Genoss:innen heraus, denen die bestehenden Formen, sich zusammen zu schließen, zu unverbindlich waren. Für uns war entscheidend: Wir wollen ein klares politisches Programm. Wir wollen eine Arbeitsweise, die auf Verankerung im Proletariat abzielt. Und wir wollen ein Statut, Institutionen und klare Verantwortlichkeiten, auch eine Überprüfbarkeit von Erfolg und Misserfolg. Also haben wir das ausgehandelt und eine Grundlage für so eine Organisation geschaffen.

Insgesamt ist es wohl der Versuch, auf ein augenscheinliches Missverhältnis zu antworten: Einerseits leben wir in einer Zeit, in der eine sozialistische, kommunistische Antwort auf die vielfachen Krisen des Kapitalismus offensichtlich erscheint. Und dann leben wir aber doch in einer Zeit, in der die „Linke“ – insgesamt, nicht nur diese Partei – den Menschen diese Antworten nicht vermitteln kann. Wir wollen mit unseren bescheidenen Mitteln helfen, dieses Missverhältnis zu beseitigen. Wir sehen dabei auch andere, die sich in eine ähnliche Richtung entwickeln und das finden wir gut, wir haben ja kein Monopol auf dieses Konzept.

Der BdK wurde schon vor über einem Jahr gegründet, ihr habt euch entschieden, erst jetzt an die Öffentlichkeit zu treten. Warum?

Daniel: Wir wollten etwas vorweisen können, das Hand und Fuß hat. Und es gab keine Notwendigkeit, bevor man einigermaßen stabil aufgestellt ist, an die Öffentlichkeit zu treten und irgendwelche Erklärungen ins Internet zu schreiben. Wir mussten zunächst einmal die interne Gliederung, Statut und Programm ausformulieren und mit Leben füllen, mit der Arbeit beginnen. Dann erschien es uns der richtige Zeitpunkt mit der Öffentlichkeitsarbeit zu beginnen.

Wir finden es auch richtig, uns im Aufbau einer Organisation einen eigenen Rhythmus zu geben, also nicht hektisch alles auf einmal zu wollen, sondern kollektiv zu planen und dann nach diesem Plan vorzugehen.

Welche Themen und Arbeitsfelder werden dieses Jahr bei euch im Mittelpunkt stehen?

Dilan: Wir haben ja langfristige Arbeitsfelder: Die Arbeit an der Basis in den Stadtteilen, die Mitarbeit in politischen und sozialen Bewegungen. Da geht es uns um Aufbau-Arbeit, um die Verwurzelung in der Nachbarschaft oder in politischen Widerstandsbewegungen. Unsere Stadtteilkomitees betreiben drei Ladenlokale, im Wedding, in Neukölln und in Lichtenberg. Das ist oft sehr kleinteilig, aber entscheidend, weil ohne Ansprechbarkeit und Sichtbarkeit im Alltag wird man nicht weit kommen.

Dann haben wir andere Arbeitsfelder wie zum Beispiel regelmäßige in- und externe Bildungsveranstaltungen, weil wir viel Wert darauf legen, uns die eigene Theorie anzueignen und da auch alle gemeinsam auf der selben Grundlage zu stehen.

Daniel: Dazu kommen jetzt, da wir den Schritt in die Öffentlichkeit getan haben, die jeweils tagesaktuellen Lagen: Die Kriegsgefahr und Militarisierung und die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter:innen und Erwerbslosen Weltweit.

Wie schätzt ihr die Perspektive der Kommunist:innen in Deutschland mittelfristig ein?

Dilan: Man darf sich da nicht selbst anlügen. Wir wissen ganz gut, dass wir heute in der Defensive sind. Einerseits ist der Antikommunismus eine weit verbreitete und wirksame Ideologie. Zum anderen muss man eben auch ehrlich sagen: Die außerparlamentarische Linke hat die Arbeiter:innen und Armen in den vergangenen Jahrzehnten nicht mal als Adressat ihrer oft völlig abgehobenen, abstrakten Debatten gesehen. Da darf man sich auch nicht wundern, wenn die Klasse einen im besten Fall ignoriert. Da haben wir viel wieder gut zu machen.

Die Kämpfe der kommenden Zeit werden vor allem Abwehrkämpfe sein, aber auch gerade deshalb ist es wichtig, in diesen Auseinandersetzungen den Organisationsgrad zu erhöhen, um irgendwann wieder in die Offensive gehen zu können. Das mag jetzt weit weg klingen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Außerdem sind wir ja selbst Arbeiter:innen, Erwerbslose, Studierende – viele davon mit sogenanntem Migrationshintergrund. Also was haben wir zu verlieren? Nicht viel. Aber wie heißt es so schön: wir haben eine Welt zu gewinnen.

Das hier ist ja eine Verteilzeitung, also wie kann eine Person, die dieses Blatt in die Hand bekommt und die bei euch mitmachen will, das tun?

Dilan: Zu dem Ansatz der Verbindlichkeit, den wir oben kurz angerissen haben, gehört auch, dass wir in die Kernorganisation nur Menschen aufnehmen, mit denen uns bereits ein paar Monate Zusammenarbeit in den Stadtteilkomitees und an der Basis verbindet. Der richtige Ort ist also dort: Da gibt es jede Menge gemeinsamer Arbeit im Alltag, man lernt sich kennen und wer sich dann auch weitergehend organisieren will, kann von dort aus beitreten.

# Bild: wikimedia.commons

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Ein Europäer in den Tiefen des kolumbianischen Dschungels, bewaffnet, ausgebildet im Guerillakampf und im Krieg gegen einen rücksichtslosen Feind. Wir hatten die Möglichkeit, einen Internationalisten aus dem kolumbianischen Ejército de Liberación Nacional (ELN) zu interviewen.

Die Nationale Befreiungsarmee, die in Castellano das Akronym ELN trägt, befindet sich seit über 50 Jahren im Krieg mit dem kolumbianischen Staat und hat das Ziel, diesen zu stürzen. Eine marxistisch-leninistische Guerilla, inspiriert von der kubanischen Revolution und kommunistischen befreiungstheologischen Priestern. Während des jahrzehntelangen Krieges mit der Armee, rechten Paramilitärs, Narco-Kartellen und multinationalen Kooperationen hat die ELN gelernt, fast jede politische Situation zu überleben, und wächst nun wieder rasant. Die ELN ist nicht nur eine militärische Organisation, sondern de facto eine Regierung für die Menschen, die die kolumbianische Regierung vernachlässigt hat. Nachdem die zweite große kolumbianische Guerilla FARC-EP einen „Friedensvertrag“ unterzeichnet hat, ist die ELN nun Staatsfeind Nummer eins in Kolumbien. Das südamerikanische Land befindet sich immer noch im Krieg, auch wenn die Massenmedien diese Tatsache verschweigen.

Wir hatte die seltene Möglichkeit, einen internationalistischen Freiwilligen in der ELN zu interviewen. Wenn die Behörden von seiner Anwesenheit wüssten, wären sie außer sich, wie damals, als sie den Ursprung der berühmten FARC-EP-Guerillera und niederländischen Internationalistin Tanja aufdeckten. Die Sicherheitsvorkehrungen für dieses Interview waren hoch, die wahre Identität unseres Interviewpartners bleibt geheim. Zum ersten Mal gibt dieses Gespräch einen Einblick in das Leben eines freiwilligen europäischen Internationalisten, der in der ELN diente.

Um anzufangen, wo in Kolumbien warst Du stationiert?

Kolumbiens Llano-Region und die umliegenden Gebiete Arauca, Meta und Boyacá. Ich war größtenteils auf dem Land und in den Bergen stationiert, anstatt ein „Urbano“ zu sein – ein Stadtguerillero.

Wie kam es dazu, dass Du Dich der ELN angeschlossen hast? Was war Dein Ziel?

Ich hatte Freunde durch staatliche Repression in Kolumbien verloren, bevor ich überhaupt daran gedacht hatte, der ELN beizutreten. Meine Entscheidung, mich anzuschließen, beruhte auf meinen Erfahrungen in Kolumbien und wurde natürlich von meiner revolutionären Einstellung angetrieben. Der ganze Prozess verlief organisch. Ich bin nicht aus dem Westen aufgebrochen, um mich anzuschließen. Obwohl, ich würde sagen, dass ich als Marxist-Leninist natürlich meine Sympathien mit den Rebellen und auch der legalen politischen Bewegung hatte.

Ich habe lange und gründlich studiert und nachgedacht, und mir war klar, dass es sehr starke strategische Gründe gibt, Kolumbien als schwaches Glied in der imperialistischen Kette, die die gesamte Welt erstickt, zu priorisieren. Kolumbien ist für die Interessen der USA in Lateinamerika von entscheidender Bedeutung. Und das Land hat auch eine lange und bedeutende Geschichte marxistischen Widerstands, die diese Tatsache bestätigt. Die USA betrachten das Land als ihre Hochburg, als ihren wichtigsten Verbündeten auf dem Kontinent, daher wäre ein Sieg hier ein massiver Erfolg im Kampf gegen den Imperialismus für die ganze Welt. Es wäre unglaublich transformativ – auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent würde nach Jahrzehnten der Einmischung, die oft von Kolumbien selbst ausgerichtet wurde, ein Stiefel vom Hals gehoben. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, an diesem Kampf teilzunehmen, so bescheiden meine Beiträge auch gewesen sein mögen.

Wie war dein tägliches Leben als internationaler Guerillero?

Ich war Mitglied eines offensiv ausgerichteten Bataillons. Unsere Operationsbasis war hauptsächlich in den Bergen, aber manchmal befanden wir uns auch in zivilen Communities. Unser Hauptziel war es, den Feind in dieser Region in kleinen Gefechten anzugreifen und wir zielten auf die Infrastruktur großer multinationaler Konzerne ab. Unsere Existenz als Einheit in der Region, die sich zwischen sicheren Gebieten in den Bergen bewegt und die lokalen ländlichen Communities schützt, zwingt den Staat dazu, viel Zeit, Geld und Arbeitskräfte zu investieren. Wir betrachten dies als eine Errungenschaft für unsere Bewegung, komme was wolle.

Unser Tagesablauf beinhaltete viel Marschieren und körperliches Training, das Aufspüren des Feindes, Waffentraining – im Grunde alles, was man als Vorbereitung auf offensive Aktivitäten in Betracht ziehen könnte. Jeder verbringt zwei Stunden am Tag im Wachdienst und jeder kocht und putzt, wenn er an der Reihe ist. Wann immer möglich, findet auch politische Bildung statt.

Ich werde ehrlich sein – das Leben in den Bergen ist sehr hart. Du bist extrem isoliert, Hunger und Unterernährung sind keine Seltenheit, und das kolumbianische Militär ist ständig mit Drohnen und Flugzeugen über Dir und sucht nach Anzeichen Deiner Anwesenheit, eine Tatsache, an welche die Armee Dich ständig erinnern möchte. Der Umgang mit diesen Bedingungen ist selbst für die hartgesottensten Veteranen in diesem Kampf schwierig.

Hast Du andere internationale Freiwillige in der ELN getroffen?

Mir sind keine anderen westlichen Internationalist:innen bekannt, die derzeit bei der ELN sind. Davon abgesehen gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Internationalist:innen aus Spanien, darunter Manuel Perez, der die ELN bis zu seinem Tod 1998 leitete. Es gibt jedoch viele Internationalist:innen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, wie beispielsweise aus Venezuela und Ecuador. Zu Kolumbiens FARC-EP gesellte sich eine Niederländerin, Tanja Nijmeijer, die sich über viele Jahre als große und engagierte Revolutionärin bewährt hat. Ich bin sicher, Tanja hat sich für den kolumbianischen Revolutionskampf als weitaus nützlicher erwiesen, als wenn sie in den Niederlanden geblieben wäre.

Ich wollte ursprünglich nicht der ELN beitreten. Die Gelegenheit ergab sich spontan, nachdem ich einige Zeit in Kolumbien verbracht hatte. Die Klandestinität, die die Rebellen aufgrund der Gewalt des kolumbianischen Staates benötigen, macht es schwierig, eine bewaffnete Bewegung in Kolumbien aus dem Ausland zu kontaktieren, insbesondere wenn man ein Außenseiter mit geringen Kenntnissen der lokalen Realität ist. Darüber hinaus muss man von einem vertrauenswürdigen Mitglied einer lokalen Community bestätigt werden, bevor man überhaupt für eine Mitgliedschaft in Betracht gezogen wird.

Die ELN sind offen für den Beitritt von Internationalist:innen, aber es ist kein einfacher Prozess.

Wenn Du an Deine Zeit in Kolumbien zurückdenkst, welche Momente kommen Dir als erste in den Kopf?

Das erste Mal als ich meine Uniform trug war ein sehr wichtiger Moment, aufgrund dessen, was sie darstellt und impliziert. Die Uniform repräsentiert die Verpflichtung des Widerstands gegen Kapitalismus und Imperialismus, eine Akzeptanz, dass man an einem Krieg teilnimmt, in dessen Verlauf man möglicherweise sein Leben verliert.

Die besten Zeiten waren die kleinen Momente unter Genoss:innen. Ich erinnere mich, wie wir zusammen gelacht haben, einige der Gespräche, die wir geführt haben – die einfachen Dinge. Wir unterhielten uns zur Mittagszeit oder bei einem Abendkaffee. Die Bäuerinnen und Bauern (die natürlich die große Mehrheit der ländlichen Guerilla-Reihen der ELN ausmachen) haben einen brillanten Sinn für Humor und versuchen, sich nicht zu ernst zu nehmen. Während der Trainingseinheiten wird viel gelacht, wenn Genoss:innen dazu neigen, sich auf die eine oder andere Weise zu blamieren.

Es tut sehr weh, wenn deine Genoss:innen getötet werden. Von Zeit zu Zeit erhalte ich immer noch Nachrichten über den Tod von Genoss:innen, mit denen ich gedient habe. Es tut noch mehr weh zu wissen, dass meine Genoss:innen oft vom venezolanischen Militär getötet wurden. Einige der bemerkenswertesten Kommunist:innen, die ich je kennengelernt habe, wurden vom venezolanischen Militär getötet. Andere haben die ELN mit Erlaubnis und bei guter Stimmung verlassen, wie es nach einer gewissen Zeit der Mitgliedschaft üblich ist.

Eine andere Sache, an die ich mich immer erinnern werde, ist das Gefühl wahrer Genoss:innenschaftlichkeit – eine wahre, tiefe und natürliche Wertschätzung für einander und jeden in ihrer Einheit. Sie alle bringen die gleichen Opfer, sie sind Mitglieder des gleichen Kampfes und sie sind den gleichen Risiken ausgesetzt. Dies schafft natürlich eine tiefere Bindung als die, welche man in legalen, städtischen politischen Bewegungen finden könnte. Wir beweisen uns selbst, beweisen unser Engagement füreinander und den Kampf jeden Tag, an dem wir weiterkämpfen. Es ist schwierig, ein vergleichbares Beispiel zu finden.

Das venezolanische Militär bekämpft die ELN, obwohl die Mainstream-Medien argumentieren, Venezuela unterstütze die Guerilla?

Es ist nicht wahr, dass das venezolanische Militär die Rebellen unterstützt – dies ist eine Lüge, um eine Aggression gegen den venezolanischen Staat zu rechtfertigen. Venezuela wird von den USA als sozialistisches Land und Bedrohung für den Imperialismus, als Feind, angesehen. Die Aussage, dass sie “Terroristen” in einer fremden Nation unterstützen, ist ein alter Trick im Handbuch, um die Zustimmung für einen möglichen zukünftigen Krieg und für “Intervention” herzustellen. Beweise für diese Art von Haltung gibt es überall – sieh Dir nur die Guiado-Saga und die fehlgeschlagenen Putschversuche im letzten Jahr an und wie der Irak und Afghanistan 2003 als „staatliche Sponsoren des Terrorismus“ galten.

Die Ermordung kolumbianischer Kommunist:innen durch das venezolanische Militär ist unter kolumbianischen Revolutionär:innen bekannt, aber die Medien berichten nicht darüber und es wird international totgeschwiegen. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum Venezuela kolumbianischen Rebellen feindlich gegenübersteht. Vielleicht aus Angst, echte Beweise für die Behauptung „Sponsoren des Terrors“ zu liefern. Eventuell versteht das venezolanische Militär seine Souveränität auf eine rechte und reaktionäre Weise und sieht in dem Tod von kolumbianischen Kommunist:innen die Sicherung ihrer Grenzen gegenüber ausländischen bewaffneten Gruppen, welche dort Schutz vor Luftschlägen und Angriffen im Morgengrauen suchen.

Ich weiß jedoch nur Folgendes: Das venezolanische Militär tötet routinemäßig kolumbianische Kommunist:innen, die es innerhalb seiner Grenzen findet. Sie arbeiten nicht mit der ELN zusammen – so sehr wir uns das alle wünschen.

Wie gefährlich ist das Leben als Guerilla? Wie gefährlich war es für Dich?

Eines Nachmittags, kurz bevor es völlig dunkel wurde – es wird gegen 18 Uhr in den Bergen pechschwarz und man kann nichts sehen -, wurde unsere Einsatzbasis durch das ohrenbetäubende Geräusch mehrerer Arten von Militärflugzeughubschraubern und Sturzkampfflugzeugen alarmiert, welche direkt auf uns zukamen, als ob sie wussten, dass wir da waren. Feindliche Bodentruppen machten sich auf den Weg zu unserer provisorischen Küche, in der wir den Tag verbracht hatten (wir nutzten sie oft als Treffpunkt während des Tages), aber wir hatten sie glücklicherweise erst zwanzig Minuten zuvor geräumt, um zu unseren Hängematten zu gehen und dort zu schlafen. Wir waren jedoch nicht in Sicherheit, da das Militär nur zehn Minuten entfernt war und schnell näherkam. Die gesamte Soundkulisse wurde vom Dröhnen der Motoren dominiert. Wir dachten das wär’s mit uns.

Ich ging hinter einem Baum in Deckung, wie es mir beigebracht worden war, aber es schien fast sinnlos, als der Feind von allen Seiten auf uns zukam – sie hatten uns flankiert und ihre Operation war eindeutig gut organisiert. Zum Glück haben der Anführer unserer 14-köpfigen Gruppe und mein engster Genosse bis zu seinem Tod durch das venezolanische Militär beschlossen, uns vom Berg herunterzuführen. Man konnte die Spannung in der Einheit spüren, es war eine schwierige Situation.

Ihre Hubschrauber hatten unsere üblichen Wege, Ein- und Ausgänge entdeckt. Soldaten hatten ihre Fahrzeuge in unserer Küche geparkt, um nach Beweisen für unsere Anwesenheit zu suchen, und wir wussten, dass es nicht lange dauern würde, bis sie unseren genauen Standort lokalisiert hätten, es sei denn, wir überlegten uns eine unberechenbare Lösung. Das kolumbianische Militär hatte Nachtsichtgeräte, welche wir nicht hatten, und die Nacht war pechschwarz. Wir waren umzingelt und die Zeit, um zu fliehen, wurde knapper. Wir beschlossen, dass unsere einzige Chance darin bestand, den steilen, überwucherten Berghang hinunterzusteigen, indem wir ihn hinunterrutschten und auf unserem Rückzug einen völlig neuen Weg einschlugen.

Wir brauchten ungefähr eine Stunde, um von der Spitze des Berges abzusteigen, gefolgt von einem 8-stündigen Marsch flussabwärts und einen anderen Berg hinauf, um genügend Abstand und Deckung für etwas Schlaf zu gewinnen. Wir haben am steilen Hang eines weiteren Berges geschlafen. Ich schlief mit meinen Beinen um einen Baumstamm, um zu verhindern, dass ich den Berghang hinunterfiel. Wir brauchten ungefähr zwei Tage, mit dem Militär immer dicht auf den Fersen, um in die Ebene zu gelangen, wo uns eine lokale indigene Gruppe die Unterstützung anbot, die wir dringend brauchten.

Manchmal konnten wir sogar das Geräusch ihrer Drohnen über unseren Köpfen hören. Am Ende jedoch, trotz der intensiven Operation gegen uns konnte unser Wissen über das Terrain, kombiniert mit unserer Erfahrung des Überlebens in den Bergen und der Umsetzung von Guerillataktiken, uns das Leben retten – und wir haben einen gut geplanten Hinterhalt zur Aufstandsbekämpfung ausmanövriert, der von dem militärisch gefährlichsten Staat finanziert und ausgerüstet wurde, den die Welt je gesehen hat, den USA.

Was würdest Du zur Perspektive zukünftiger internationaler Freiwilliger sagen? Wie war es, der einzige Westler zu sein?

Als ich der ELN beitrat, wurde ich von mehreren hochrangigen politischen Kommandeur:innen begrüßt, die eine Rede hielten, die ich nicht so schnell vergessen werde. Sie erklärten, dass die ELN „dem internationalen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus verbunden“ sei und von der internationalen Unterstützung stark profitieren würde, vor allem der aus den Ländern des Westens. Die Kommandeur:innen legten großen Wert darauf, zwischen den Regierungen und dem Proletariat in den imperialistischen Nationen zu unterscheiden. Sie erkannten, dass die Arbeiter:innen im Westen trotz der geopolitischen Stärke von ihrer herrschenden Klasse immer noch bösartig ausgebeutet werden.

Es gibt einige Marxist:innen, die in Bezug auf Revolution übermäßig dogmatisch und starr sind und glauben, dass man als Franzose nur in Frankreich für den Sozialismus kämpfen muss, ein Mexikaner in Mexiko, ein Deutscher in Deutschland und so weiter. Ja, jemand, der selbst aus einer Nation stammt, wird die Bedingungen in dieser Nation besser und tiefer verstehen, aber das bedeutet nicht immer, dass er nur dort kämpfen kann, wo er herkommt. Das bedeutungsvolle Erbe von Che Guevara zeigt deutlich den Nutzen internationaler Freiwilliger. Ein jüngeres Beispiel ist Tanja Nijmeijer der FARC-EP. Ich vermute, dass sie im kolumbianischen Kampf wahrscheinlich wirksamer war als in den Niederlanden. Das Internationale Freiheitsbataillon in Kurdistan war maßgeblich an der Befreiung von Minbij und Raqqa während des antifaschistischen Krieges gegen ISIS beteiligt, und ich habe bereits Manuel Perez von der ELN erwähnt. Obwohl Perez einst unter dem Verdacht gefangen genommen wurde, ein ausländischer Spion zu sein, stieg er zum höchsten politischen Führer der ELN auf und bewies sich während mehrerer Jahrzehnte bewaffneter Kämpfe als ein großer Revolutionär. Viele andere Internationalist:innen in der Geschichte haben bewiesen, dass es manchmal nicht immer die beste Strategie für Kommunist:innen ist, dort zu bleiben, wo sie gerade geboren wurden.

Manuel Marulanda, Gründer der FARC-EP und ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kolumbiens, argumentierte einmal: „Auf 100 Kommunist:innen kommen nur etwa 30, die bereit sind, für ihre Überzeugung zu sterben. Und von diesen 30 werden nur etwa 10 bereit sein, das Opfer und den Kampf im bewaffneten Kampf zu ertragen.“ Es gibt immer viele städtische Aktivist:innen auf der ganzen Welt, die sich an legalen Kämpfen beteiligen, insbesondere im Westen, mit der romantischen Vorstellung, eines Tages an einem glorreichen bewaffneten Kampf teilzunehmen – aber es gibt normalerweise einen Mangel an Kommunist:innen, die bereit sind, wirklich zu kämpfen, die bereit sind, sich für ein solches Leben mit all seinen Schwierigkeiten zu entscheiden, besonders in Ländern wie Kolumbien, in denen der Feind aufgrund jahrzehntelanger Bürgerkriege sehr erfahren ist.

Wenn jemand wirklich bereit ist, diesen Weg zu gehen, wenn jemand demütig akzeptieren möchte, dass vielleicht niemand jemals von seinen Erfahrungen erfahren wird und dass er leicht sein Leben verlieren könnte, wenn er bereit ist, die Risiken, Verantwortlichkeiten und das ständige Lernen zu akzeptieren und selbstkritisch zu sein, wie es im Guerilla-Leben verlangt wird, dann würde ich sagen, dass diese Person für den bewaffneten Kampf wahrscheinlich wertvoller ist als in dem städtischen, legalen Kampf.

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Die kommunistische Bewegung der Philippinen findet in Deutschland wenig Beachtung, obwohl sie einen der ältesten und erfolgreichsten revolutionären Kämpfe der Gegenwart führt. Unsere Autorin Leila Aadil hat sich mit Crisanto von Anakbayan Germany getroffen, um mit ihm über die Bewegung zu sprechen. In einem dreiteiligen Interview schildert er die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung der Bewegung geführt haben, die Beschaffenheit der Bewegung und ihre strategischen Grundlagen sowie die gegenwärtige politische Situation. Teil 1 zur Geschichte der antikolonialen Kämpfe auf den Philippinen erschien hier, Teil II könnt ihr hier nachlesen.

Wie ist die politische Situation auf den Philippinen aktuell?

In der Amtszeit von Duterte, seit 2016, wurden 250 Farmer ermordet, ohne Prozess. Ähnlich wie im Zuge des durch Duterte ausgerufenen Krieg gegen die Drogen in den urbanen Gebieten. Im Endeffekt ist das ein Krieg gegen die Armen, weil die Leute die gejagt werden, Endkonsumenten oder Kleindealer sind, also einfach nur irgendwelche armen Schweine. Es geht da vor allem um Crystal Meth, das sehr einfach herzustellen ist und krass abhängig macht. Im Zuge dieses Krieges gegen die Drogen knallen von der Regierung bezahlte Söldner und Polizisten Leute auf offener Straße ab. Die fahren teilweise maskiert durch die Gegend und schießen von ihrem Motorrad. Oder sie klopfen an deiner Tür und erschießen dich, sobald du sie aufmachst. Dabei sterben oft alle möglichen Menschen, die gerade zur falschen Zeit am falschen Ort sind, weil in den urbanen Gegenden die Leute auf engstem Raum zusammen wohnen. Die Großdealer, also die Leute, die mit dem Drogengeschäft viel Geld verdienen und die Sachen ins Land schmuggeln, interessieren die Regierung dabei gar nicht. Im Gegenteil: Es gab diverse Skandale, durch die ans Licht kam, dass Beamte in den Drogenschmuggel involviert sind.

Diese extralegalen Hinrichtungen der armen Stadtbevölkerung sind eine Sache. Seit kurzem gibt es zudem ein Anti-Terror-Gesetz (ATL), das die krasse Repression gegen Aktivisten sehr verstärkt hat. Das ist momentan die prägnanteste Sache die passiert. Vor allem auf dem Land, wo es wenig Aufmerksamkeit gibt und wo gleichzeitig die meiste politische Arbeit läuft, werden viele Aktivisten einfach durch von der Regierung bezahlte Söldner oder der reaktionären Armee ermordet. Die ermordeten Farmer sind auch größtenteils organisierte Farmer gewesen. In der Duterte Adminsitration werden Aktvist*innen sehr hart verfolgt. Am Anfang gab es noch Friedensgespräche zwischen der National Democratic Front of the Philippines (NDFP) und der reaktionären Regierung, die aber auf Eis gelegt wurden, weil die Regierungen immer wieder gegen die Vereinbarungen verstoßen hat. Aktivist*innen werden natürlich schon immer verfolgt, aber die Duterte-Adminsitration hat das noch weiter getrieben.

War es ein Fehler mit der reaktionären Regierung zu verhandeln?

Viele Maoist*innen und andere Linke aus dem Westen haben die Friedensgespräche als ein Zeichen von Revisionismus gedeutet, verstehen aber einfach nicht die Beschaffenheit der philippinischen Gesellschaft und unsere politische Situation. Wir haben zum Beispiel auch verschiedene Parteien, die im Parlament waren oder sind. Es ist für uns ein Weg, an der parlamentarischen Entscheidungsfindung teilzuhaben, aber wir wissen ganz genau, dass wir damit keine Umstülpung der Gesellschaft erreichen. Wir wissen aber, dass es rein pragmatisch einfach Sinn macht, auch dort unsere Ziele und Werte zu vertreten. Und die werden auch dort von niemandem kompromittiert. Im Gegenteil. Die Leute, die im Parlament sitzen, haben auch andere Möglichkeiten, als die Farmer oder Studenten, die auf dem Land bei der NPA sind. Sie werden nicht einfach von der Polizei oder der Armee ermordet, ohne dass es irgendjemanden interessiert. Jeder hat seine Rolle, wenn man eine Bewegung hat. Das sehen viele europäische Marxist*innen echt ein bisschen zu dogmatisch.

Sind die kommunistische CPP, die Volksarmee NPA und NDFP das primäre Ziel des Antiterrorgesetzes?

Ja. Es werden immer die CPP, die NPA und NDFP als Beispiel vorgeführt und argumentiert, dass die kommunistische Bewegung aus Terroristen besteht. Leute aus dem Umfeld, und jeglicher Opposition, die ähnliche Argumente hervorbringen, wird dann Unterstützung von Terrorist*innen vorgeworfen. So macht die Regierung Jagd auf Leute aus der Opposition. Es gibt auch eigentlich keine andere Opposition als die kommunistische Bewegung. Nicht wie zum Beispiel in Deutschland, wo es eine krass diverse, gespaltene und unorganisierte Opposition gibt, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht. Wenn du in den Philippinen Kritik an der Regierung hast, dann entstammt das meistens der revolutionären Bewegung. Aber es gibt auch Leute, die einfach nur keinen Bock mehr auf Duterte haben und seinen Rücktritt fordern, weil die Regierung in der Pandemie auf vollster Linie versagt hat. Auch die werden mittlerweile festgenommen. Das Antiterrorgesetz gibt der Regierung eine rechtliche Grundlage für die Verfolgung von Aktivist*innen. Man kann für Facebook-Kommentare in Gefängnis kommen, monatelang festgehalten werden, ohne dass einem Gründe genannt werden.

Und neulich haben sie auch noch eins der größten Medienhäuser zugemacht?

Genau. ABS CBN ist eins der größten privaten Medienhäuser. 10.000 Angestellte haben innerhalb einer Woche ihren Job verloren. Die ganze Medienlandschaft ist größtenteils über die gelaufen. Auch viele Filme, Serien und anderes kulturelles Programm wurde von denen gemacht.

Wie war die Situation während Covid-19?

Die philippinischen Massenorganisationen wirken als Brücken, die kleinbürgerliche Schichten, also die Studenten, Ärzte und so weiter mit Kleinbauern und Farmern verbindet. Während der Pandemie war das krass zu beobachten. Im März ging dort gar nichts, du durftest nicht raus, nicht einkaufen, nicht arbeiten. In einem Land, in dem die Armut so stark ist, haben die Leute keine Rücklagen, von denen sie leben können. Die leben von der Hand in den Mund und waren dann richtig aufgeschmissen. Die Regierung hat sehr wenig getan, sehr spät gehandelt und nicht für die Leute gesorgt. Deswegen haben verschiedene Massenorganisationen Hilfsoperationen gestartet, davon war ich auch Teil. Wir haben zuerst Spenden gesammelt und davon dann alles, was die Leute brauchen, gekauft. Das Obst und Gemüse haben wir von organisierten Farmerkollektiven bezogen. Damit haben wir auch die unterstützt, weil die sonst keine Einnahmen mehr hatten. Für die Bedürftigen in Manila haben wir dann Hilfspakete gepackt, mit allem möglichen Sachen von Lebensmitteln bis hin zu Arzneimitteln. Beim Austeilen haben wir kleine Kundgebungen abgehalten, in denen über die Situation aufgeklärt wurden und die Leute darüber gesprochen haben, was sie gerade anpisst. Bei diesen Aktionen wurden aber auch Leute festgenommen, es gab Checkpoints und man durfte eigentlich gar nicht unterwegs sein. Es gab auch Community-Küchen, bei denen riesige Mengen an Essen für Bedürftige gekocht wurde.

Wie kann man die revolutionäre Bewegung auf den Philippinen von Europa aus unterstützen?

Wir haben diverse Massenorganisationen wie Migrante oder Gabriela, die in der Diaspora existieren. Wir freuen uns wenn Menschen außerhalb der Community zu unseren Veranstaltungen und Kundgebungen kommen. Es gibt auch ein „Immersion Program“ auf den Philippinen. Geld kann zum Beispiel Anak Bayan Europa gespendet werden. Ansonsten haben wir gerade einen Petition gegen das Antiterrorgesetz.

Was können wir im deutschen Kontext von der philippinischen Bewegung lernen?

Die Massenlinie ist auf jeden Fall eine Sache, die auch die deutsche Bewegung anwenden sollte. Solche Sachen wie SICA (Social Invetigation, Class Analysis) sind Werkzeuge, um die Wünsche und Nöte der Massen auf dem Schirm zu haben. Das Problem hier in Deutschland ist zum Beispiel, dass vermeintlich Linke bourgeoise Medien lesen und sich ihre Meinung und ihre Haltung daraus bilden. Das ist erstens unmarxistisch und zweites auch einfach dumm. Warum sollten wir auf das hören, was der Feind uns sagt, anstatt den Leuten, für die wir da sein sollten, zuzuhören. Die Leute, für die wir unseren politischen Kampf machen.

Ein anderer Punkt ist, dass die konkreten politischen Umstände mit in die Analyse mit einbezogen werden müssen. Herausfinden, dass gewisse Dinge in diesem Kontext hier gar nicht klappen und die Leute nicht drauf reagieren und somit der Handlungsspielraum auf gewisse Dinge begrenzt ist. Auf legaler Ebene hat man hier zum Beispiel viel mehr Spielraum. Es geht auch darum, herauszufinden, mit wem man taktisch zusammenarbeiten kann, ohne seine Werte zu verraten. Es gilt hier auch das Prinzip von „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ zu verstehen. Anstatt im reichen Europa zu sitzen, sich selbst zu geißeln und über Privilegien zu weinen, sollte man diese Privilegien nutzen. Natürlich nicht im Dienst von einem selbst als Person, um sich in Szene zu setzen, sondern im Dienste der Unterdrückten.

Dafür bräuchte es hier aber erst mal eine revolutionäre Organisation die es schafft diese Dinge miteinander zu verknüpfen, eine kollektive Organisierung schafft und nicht nur eine Ansammlung von Individuen ist...

Ja. Dafür ist es auch wichtig, dass man Rechenschaft für seine Arbeit abgibt. Bei uns kann auch keiner einfach machen, was er will. Es gibt bei uns auch das Konzept von Kritik/Selbstkritik. Das bedeutet, dass nach jeder Aktion Auswertungen stattfinden, um herauszufinden, was lief gut, was lief schlecht, was kann verbessert werden. Auch um zu sehen, was die Stärken und die Schwächen sind und wie Leute sich verbessern. Das gibt es hier viel zu wenig. Man kann hier immer nur sagen, was scheiße ist, aber man kann keine Schlüsse daraus ziehen, um voran zu schreiten. Klar, es gibt keine richtigen revolutionären Organisationen, die diesen Rahmen bieten, aber auch im kleinen funktioniert es nicht, weil Menschen kein Verständnis dafür haben, dass Politik kollektiv laufen muss.

Und das auch auf persönlicher und menschlicher Ebene. Die Leute hier laufen teilweise wie so Politroboter rum. Bei uns ist klar, dass wir keine Maschinen sind und dass auch Gefühle und Probleme der Leute sehr wichtig sind. Wir sind Menschen, mit Ängsten und Nöten. Solche Dinge wie Gastfreundschaft und Empathie, dass Leute sich gegenseitig helfen, das ist bei uns selbstverständlich. Das habe ich hier in oft in manchen politischen Kreisen sehr vermisst, die Leute reden, als ob sie Politiker wären und nicht als ob sie Genoss*innen und Verbündete wären.

Oft fehlt es hier natürlich auch an einem revolutionären Verständnis. Wer sind hier die Massen, die von einer Revolution profitieren würden und wie werden sie angesprochen? Die wenigsten machen sich darüber überhaupt Gedanken.

Trotz dieser Kritik, bin ich der Auffassungen, dass auch die Bewegung in Deutschland lernen und sich verbessern kann. Das kostet viel Arbeit und Zeit und passiert nicht einfach so von heute auf morgen. Ich sehe, dass viele Genoss*innen hart arbeiten, um eine Veränderung voran zu bringen. Wir müssen auch hier kreativ werden, indem wir unsere theoretischen Kenntnisse auf den spezifischen Kontext hier anwenden lernen. Das bedeutet auch scheitern, aus den Fehlern lernen und weiter machen. Auch wenn vieles hier aussichtslos scheint, weil der Staat in vielen Aspekten sehr stark ist, haben wir hier andere Möglichkeiten und werden nicht für unseren Aktivismus auf offener Straße erschossen. Die philippinische Bewegung kann für die revolutionären Kräfte in Deutschland als Inspiration dienen, die ihnen einen Anstoß gibt, um den eignen Weg im deutschen Kontext zu beschreiten.

# Titelbild: concerned artists of the philippines Instagram: @concerenedartists_ph

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Die kommunistische Bewegung der Philippinen findet in Deutschland wenig Beachtung, obwohl sie einen der ältesten und erfolgreichsten revolutionären Kämpfe der Gegenwart führt. Unsere Autorin Leila Aadil hat sich mit Crisanto von Anakbayan Germany getroffen, um mit ihm über die Bewegung zu sprechen. In einem dreiteiligen Interview schildert er die historischen Zusammenhänge, die zur Entstehung der Bewegung geführt haben, die Beschaffenheit der Bewegung und ihre strategischen Grundlagen sowie die gegenwärtige politische Situation.

Da die Geschichte der revolutionären Bewegung auf den Philippinen in Deutschland eher unbekannt ist, kannst Du mit einem kleinem historischen Überblick beginnen?

Die revolutionäre Geschichte der Philippinen beginnt mit der Kolonialgeschichte. Davor bestanden die Philippinen aus vielen einzelnen selbstorganisierten Barangays, Siedlungen, mit verschiedenen Religionen, Bräuchen, also keine monolithische Einheit wie nach der Kolonialisierung. Das geschah dann erst, als die Spanier im 16. Jahrhundert die Inseln unterwarfen.

Die spanische Kolonialisierung bestand 333 Jahre, von 1565 bis 1898. In dieser Zeit wurde die komplette philippinische Gesellschaft der spanischen Herrschaft unterworfen: Religiös, kulturell, die Ressourcen. Sie haben mit Schwert und Kreuz regiert, mit Gewalt und Religion. Die präkoloniale Gesellschaft davor, war auch keine kommunistische, hatte ein Kastensystem, ähnlich wie in Indien. Aber die Unterdrückung war nicht so festgefahren, wie in der Kolonialzeit danach.

Mit den Spaniern wurde das zu einem feudalen Kastensystem, in dem ganz oben die spanische Krone, dann die Ordensbrüder, Soldaten und so weiter standen. Diese Feudalherrschaft besteht zu einem gewissen Grad bis heute. Die Haciendas, die riesigen Ländereien, die einem Großgrundbesitzer gehören, gibt es bis heute. Die Arbeiter sind mittellose Kleinbauern, die zwar auf dem von ihnen bebauten Land leben, aber denen nichts gehört. Sie arbeiten unter grauenvollen Bedingungen. Sie schuften den ganzen Tag in der prallen Sonne, sind völlig rechtlos. Es gibt Landlords, die sie körperlich bestrafen, damit sie schneller arbeiten. Sie sind Leibeigene, wie im Feudalismus.

Gegen Ende der spanischen Kolonialherrschaft hat sich die erste revolutionäre Kraft gebildet, die Katipunan. Geführt wurde sie von Andrés Bonifacio. Der kam übrigens aus dem Proletariat, im Unterschied zu den meisten Mitgliedern von Katipunan, die Intellektuelle, Schriftsteller, Poeten waren, aus reichem Hause kamen und spanische Bildung genossen hatten. Für das Volk gab es keinerlei Bildung in dieser Periode. Die Eliten waren damals „gemischte“, also Mestizofamilien, die ihre Kinder in die Obhut der Ordensbrüder gegeben haben. Es waren die Datus, die Oberhäupter von Communities, die die Spanier als erstes überzeugen konnten, ihre Kinder in die spanischen Schulen zu geben. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Kolonialisierung.

1898 fand dann der spanisch-amerikanische Krieg statt. Zu der Zeit fielen auch Kuba und Puerto Rico unter US-Herrschaft. Die amerikanische Periode dauerte dann bis zur formalen Unabhängigkeit 1946 an. Die USA erklärten die Philippinen dann für „independent“, aber wir nennen es „hindiependent“, hindi heisst „nein“, da es keine richtige Unabhängigkeit ist. Denn die USA behielten ihre Militärbasen und ihr imperialistischer Einfluss blieb.

Auch die US-Zeit, die die spanische Kolonialzeit ablöste, war eine Periode des Kolonialismus – was man daran sehen kann, wie mit den Ressourcen umgegangen wurde. Die USA haben zwar ein öffentliches Schulsystem eingeführt, aber eben nach amerikanischem Modell. Schule kostet und viele der Ärmsten bleiben ausgeschlossen. Durch die US-Kolonialzeit wurden die englische Sprache und die US-Kultur ein großer Faktor. Eigentlich gab es auf den Philippinen ja hunderte Sprachen. Selbst die Nationalsprache Filipino, die auf Tagalog, einem Dialekt aus dem Norden beruht, sprechen die Schüler*innen nur im Tagalog-Unterricht. Ansonsten sprechen sie nur Englisch. Sie werden sogar bestraft, wenn sie außerhalb des Unterrichts nicht Englisch sprechen und es wird schlecht angesehen, wenn man nicht Englisch spricht.

Was die Ressourcen angeht: Die USA haben ihre eigenen Fabriken errichtet, keine wirkliche Industrialisierung, aber eben so Fabriken, in denen zum Beispiel Dosennahrung hergestellt wird, Ananas in Dosen und ähnliches. Die Philippinen sind eigentlich ein ressourcenreiches Land. Es gibt Bodenschätze, eine reiche Landwirtschaft, viel Gemüse, Obst. Und dennoch sind die Leute arm.

Die Arbeitskraft der Bevölkerung wurde natürlich auch von den USA genutzt. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es massenhaft Arbeiter*innen, die in die USA gegangen sind und dort auf den Feldern gearbeitet haben oder im Pflegebereich. Philippinische Arbeitsmigration ist ja ein großes Thema und eine der ältesten Beziehungen dieser Art ist die zu den USA.

Aber schon während der spanischen Kolonialzeit gab es die „Manila-Galeone“, eine Handelsroute zwischen Manila und Acapulco, wo viele Filipinos auf den Schiffen gearbeitet haben. Manche sind auch abgehauen und haben in Mexiko Siedlungen gegründet. Es gibt auch eine Siedlung in Süd-Louisiana. Schon damals war es so, dass es wenig Zukunft auf den Philippinen gab, ähnlich wie heute mit den oversea-workers, die täglich zu tausenden das Land verlassen.

Mit der US-Zeit und der Errichtung von Fabriken entstand ein Proletariat, das sich gewerkschaftlich organisierte. Und aus dieser Arbeiter*innenschaft ging dann die Partido Komunista ng Pilipinas, die Kommunistische Partei der Philippinen, hervor. Die PKP ist die alte Kommunistische Partei. Die haben sich vor allem an legalen Aktionen und Arbeitskämpfen beteiligt. 1930 wurde sie offiziell gegründet und 1931 wurde sie schon verboten, nachdem eine von ihnen organisierte Demonstration niedergeschlagen worden war.

Was war der Unterschied zwischen Katipunan und der alten PKP?

Die Katipunan war eine revolutionäre Vereinigung, die gegen die Spanier gekämpft hat; es war eine Art Guerilla.

Aber noch ohne proletarischen Anhang aus den Fabriken?

Genau, denn die gab es da noch nicht. Es waren Menschen wie Jose Rizal, ein sehr bekannter Dichter und einer der Nationalhelden der Philippinen. Gebildete Menschen aus gehobenen Familien. Rizal war auch in Europa, in Heidelberg steht eine Statue von ihm.

Rizal etwa hat ein Buch gegen die spanische Herrschaft geschrieben. Im Volk war ohnehin schon viel Wut, diese Intellektuellen haben dieser Wut eine Stimme gegeben und die Katipuneros waren das Resultat.

Wie ging es dann mit der Kommunistischen Partei der Philippinen weiter?

Nach ihrer Illegalisierung war sie im Untergrund und während des Zweiten Weltkriegs haben sie eine Volksarmee gegründet, die Hukbalahap. Die Philippinen wurden im Zweiten Weltkrieg von den Japanern angegriffen und die Volksarmee leistete gegen sie Widerstand.

Obwohl Japan ja in einer Allianz mit Deutschland und Italien war, haben die USA, deren Kolonie die Philippinen damals waren, ihren Fokus nur auf Europa gerichtet und das Land den Japanern überlassen. Die Japaner sind in das Land eingefallen, ohne aufgehalten zu werden und haben schlimme Gräeultaten verübt – etwa durch die Versklavung und Vergewaltigung von Trostfrauen. Ähnlich wie beim Nanking-Massaker haben sie die Menschen grausam abgeschlachtet.

Die Hukbalahap waren die stärkste, organisierte und bewaffnete Kraft gegen diese Besatzung. Es gibt zwar bis heute eine positive Erinnerung an diesen Widerstand der Kommunist*innen, aber das verliert sich dann mit der Zeit auch. Heute ist es nicht einfach, Kommunist auf den Philippinen zu sein.

Wie ging der Kampf nach dem Zweiten Weltkrieg weiter?

1946 wurden die Philippinen formal unabhängig. Aber natürlich sah man in der Folge, etwa wie bei jemandem wie Ferdinand Marcos, der von 1965 bis 1986 Präsident war, wie stark der Einfluss der USA noch blieb. Es waren Marionettenregimes, die immer noch US-Interessen wahrten. Sie waren so neoliberal und korrupt, dass sich schon in dieser Marcos-Periode wieder eine große radikale Bewegung bildete.

Zu diesem Zeitpunkt war die alte PKP von 1930 nicht mehr wirklich relevant. Die einzigen Elemente, die von dieser KP noch aktiv waren, war die Kabataang Makabayan, die „Patriotsche Jugend“. Zu der gehörte damals auch Jose Maria Sison, Kampfname Amado Guerrero. In den 1960er hat diese Organisation sich noch einmal radikalisiert, auch unter dem Einfluss des globalen antikolonialen Kampfes.

Daraus ging dann die neue Partido Komunista ng Pilipinas hervor. Sie orientierte sich an Mao Tse-Tung, die Parteistrukuren wurden umgekrempelt. In der Parteigeschichte spricht man von der ersten „Great Rectification“. „Rectification“ bedeutet, dass die politischen und ideologischen Grundsätze überdacht wurden.

War das Verhältnis zur Sowjetunion einer der ausschlaggebenden Punkte?

Genauso wie es in der kommunistischen Weltbewegung einen Split entlang dieser Linie gab – China oder UdSSR –, so auch hier. Es gab diejenigen, die aus der chinesischen Revolution lernen wollten und das als Verbesserung der marxistischen Lehren anerkannten. Und es gab diejenigen, die am „traditionellen“ Marxismus-Leninismus festhalten wollten, aber im Endeffekt revisionistisch wurden.

1968 hat sich dann die bis heute bestehende Kommunistische Partei der Philippinen, die Communist Party of the Philippines (CPP) gegründet. Sie feiert dieses Jahr im Dezember ihr 52. Jubiläum und zählt damit zu den ältesten aktiven Kommunistischen Parteien dieser Welt. Ein Jahr später wurde dann bereits die NPA gegründet, die New Peoples Army oder Bagong Hukbong Bayan.

Wichtig zu erwähnen ist, dass dieser ganze Wandel und die Gründung der CPP von der Jugend ausging. Studierende, auch Intellektuelle wie Amado Guerrero hatten es sich zur Aufgabe gemacht, in diesen Zeiten, in denen politischer Aktivismus schwierig war, zur Agitation aufs Land zu gehen. Ähnlich wie PKP von 1930 haben sie 1970 auch eine große Volksdemonstration organisiert, „First Quater Storm“ hieß sie. Sie sind zum Regierungspalast marschiert, haben demonstriert gegen die neoliberale Politik von Marcos, die Inflation, die Arbeitslosigkeit. Und schon da nahmen Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschen teil.

Die politische Situation damals war sehr brisant. Die Antwort der Herrschenden war: Martial Law, die Verhängung des Kriegsrechts. Die Armee sollte jetzt für die Sicherheit des Staates sorgen.

Das war alles in der Regierungszeit von Marcos?

Ja. Er ist eine sehr relevante Figur für die Geschichte der Philippinen. Rodrigo Duterte, der aktuelle Präsident, macht ihm zwar diesen Rang jetzt streitig, aber bis dahin war Marcos der schlimmste Diktator.

1972 wurden die Medien geschlossen, die Aktivist*innen der kommunistischen Bewegung mussten in den Untergrund gehen. Sie gingen aus der Stadt aufs Land. Das Kriegsrecht ermöglichte die Inhaftierung, Folterung, Tötung von allen möglichen Leuten, die sich staatskritisch geäußert haben oder revolutionär organisiert waren. Die heutige Antiterrorgesetzgebung hat übrigens ähnliche Charakteristika wie dieses Kriegsrecht damals.

Was die Zeit des Kriegsrechts aber auch bedeutet hat, war dass die urbanen kleinbürgerlichen Aktivist*innen, die Studierenden, aufs Land gegangen sind und dort von den Massen der ausgebeuteten Bauern gelernt haben. So wurde die NPA eigentlich richtig stark, weil während der Zeit des Kriegsrechts, die Aktivist*innen keine andere Wahl hatten, als den bewaffneten Kampf. Sie wussten, in der Stadt sterben sie gewiss, dann lieber mit Waffe in der Hand, als von der Armee festgenommen, vergewaltigt, gefoltert und getötet zu werden.

In den späten 1970er und 1980er Jahren gab es dann die zweite „Great Rectification“, weil manche Teile der Bewegung in ein militärisches Abenteurertum verfallen waren. Das Level der Gewaltsamkeit war zu hoch und die Massen konnten damit nicht Schritt halten. Seitdem steht das Wohl der Massen an erster Stelle – die Volksarmee muss diesen dienen.

Das drückt sich ja auch darin aus, dass es keinen Unterschied zwischen militärischer und politischer Tätigkeit gibt. Dieselben Leute, die kämpfen, sind auch die, die von Dorf zu Dorf gehen und mit den Leuten sprechen …

Ja, genau. Und interessant ist auch, dass es oft Leute sind, die an der Universität studieren, sich dort politisieren. Die University of the Philippines Diliman ist eine richtige Brutstätte für politischen Aktivismus, eben weil es da eine historische Tradition gibt. Viele, die da lehren und studieren, sind dem politischen Kampf verpflichtet. Das Resultat ist, dass viele von den Vollzeitkadern, die in den Roten Zonen leben, auch abgeschlossene Ausbildungen haben, also Ärzt*innen oder ähnliches sind. Die sind dann aber zugleich die einzige medizinische Versorgung, die die Leute da haben. Das ist sehr beeindruckend, das zu sehen. Dadurch, dass die Geografie der Philippinen archipelartig ist und es viele Orte gibt, die vom staatlichen Zugriff abgeschnitten ist, ist das möglich. Da gibt es viele, die haben noch nie einen Arzt in ihrem Leben gesehen.

Die NPA-Einheiten, die dort sind, haben ihre Guerilla-Zonen, die sogenannten Red Zones. Außerhalb davon sind die sogenannten White Zones, die Massenbasis. Die NPA-Mitglieder gehen aus den Red Zones in die White Zones, diskutieren mit der Bevölkerung, fragen sie nach ihren Problemen und nehmen sich ihrer Anliegen an. Gerade im medizinischen Bereich gewährleistet die NPA einen großen Teil der Versorgung, von Zahnbehandlungen bis zu Operationen. Das Gesundheitssystem auf den Philippinen ist übrigens Schrott. Es ist komplett privatisiert, öffentliche Kliniken sind völlig unterentwickelt und schlecht. Die privaten Kliniken kann sich niemand leisten.

#Titelbild: Katipunan-Kämpfer

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„Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute“, betont Greta Thunberg, die bekannteste Sprecherin der gegenwärtigen Klimabewegung.

Darüber, dass das so ist, scheint sich ein nicht kleiner Teil der Menschheit einig: Mehrere Millionen Menschen beteiligten sich am 20. September an Demonstrationen im Rahmen des Global Climate Strike sowie der sogenannten Fridays for Future; anerkannte Expert*innen auf dem Gebiet der Klimaforschung finden drastische Worte dafür, was jetzt zu tun wäre. Und das Beste: Skrupellose Ausbeuter wie Friedrich Merz kriegen kalte Füße und fürchten um ihre zusammengeraubte “Lebensweise”.

Die Ausgangslage ist gut. Und dennoch stehen wir ganz am Anfang. Denn trotz aller Unkenrufe von einer “linksextremistischen Unterwanderung” sind eben jene Inhalte, die eine radikale außerparlamentarische Linke einbringen kann, noch gar nicht so weit verankert. Und umgekehrt haben vielleicht auch viele eher “traditionelle” Linke die Brisanz der ökologischen Krise und der imperialistischen Lebensweise noch nicht voll verinnerlicht.

Das Zusammengehen von Ökologiebewegung und antikapitalistischer Linke könnte also fruchtbar sein. Und furchtbar – zum Beispiel für Leute wie Merz.

Denn die radikale Linke könnte die Frage stärker machen, worin eigentlich die Spielregeln bestehen, die wir jetzt ändern wollen? Und ob die ohne wirklichen Umbruch des Ganzen überhaupt änderbar sind?

Denn die bürgerlich-liberale Antwort ist so einfach wie heuchlerisch: „Wir alle“ müssen unsere individuelle Lebensweise ändern. Ein bisschen Flugscham, kein Strohhalm im Aperol-Spritz und die Anschaffung eines Elektro-Autos trennen die Spreu vom Weizen. Für die Industrie gibt´s dann den Green New Deal – and we lived happily ever after.

Der blinde Fleck dieser Denkweise ist, dass es dieses „wir alle“ nicht gibt. Wir leben in einer globalen Klassengesellschaft. Und der Riss zwischen denen, die Produktionsmittel und Macht ihr eigen nennen, und jenen, die nichts dergleichen haben, formt eben auch unseren Gestaltungsspielraum in Sachen Klimawandel und Umweltzerstörung. Fakt ist: Die reichsten zehn Prozent der Menschheit verursachen die Hälfte aller Co2-Emmissionen; und die größten Verbraucher fossiler Brennstoffe sind nicht Jochen und Maria, die mit dem Auto zur ohnehin ungeliebten Lohnarbeit pendeln, sondern die riesigen Militärmaschinerien der kapitalistischen Nationen, allen voran der USA, und diverse globale Großkonzerne.

Die Spielregeln der Welt, in der wir leben, sind hinsichtlich ihres fundamentalen Prinzips gar nicht so kompliziert: Kapital muss zu mehr Kapital werden. Dieser Prozess ist schrankenlos. Und für ihn müssen die natürlichen Ressourcen und die menschliche Arbeitskraft mehr und mehr ausgebeutet und verschlissen werden. Oder wie Karl Marx schrieb: Die kapitalistische Produktion entwickelt sich, „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“

Die erste entscheidende Einsicht, die Linke in der sich formierenden Klimabewegung – gerade auch gegen den grün-liberalen Mainstream – durchsetzen sollten, ist: Ohne die Zerschlagung der Grundlagen der Gestaltungsmacht von Großkonzernen und Staat, bleiben alle Schwüre, jetzt aber wirklich etwas für die Natur machen zu wollen, vielleicht ehrlich gemeinte, aber doch letztlich völlig wirkungslose Willensbekundung. Am Ende braucht´s den Kommunismus – oder wie man die zukünftige Gesellschaft sonst nennen will, um Worte muss man ja nicht streiten.

So richtig nun auf der einen Seite diese alte marxistische Wahrheit immer noch ist, dass es sich beim Kampf um die Umgestaltung des Mensch-Natur-Verhältnisses um einen antikapitalistischen Kampf handeln muss, so sehr haben aber auch wir eher traditionellen Linken in einer entscheidenden Frage umzurüsten: Der Frage der Konsumkritik. Die Standardantwort, die wir viele Jahre und Jahrzehnte gaben, war: Lasst den Quatsch, das hilft nichts, es geht um die Produktion und am Ende gibt es eh Luxus für alle.

Gerade für jene super-modernen und akademischen Linken, die sich Freude nur als Steigerung des bürgerlichen Hedonismus und „Luxus“ nur nach dem Vorbild kapitalistischer Warenvielfalt vorstellen können, fanden in dieser These eine beliebte Rechtfertigung dafür, am eigenen Leben so wenig wie möglich ändern zu müssen.

Dass über Konsumkritik der Kapitalismus nicht überwunden wird, bleibt zwar dennoch richtig. Aber zugleich ignoriert diese Auffassung, dass eine neue Gesellschaft auf anderen Prinzipien basieren müssen wird, als die heutige. Und dass sich in der noch zu gestaltende Welt die reichsten imperialistischen Länder nicht auf dem Rücken des überwiegenden Teils der Weltbevölkerung einen Lenz machen werden können. Wer weltweiten Kommunismus will, muss auch darüber nachdenken, unseren Blick darauf zu ändern, was uns glücklich macht, was uns erstrebenswert scheint, worin Komfort besteht, welche Bedürfnisse wie zu befriedigen sind.

Ein dritter entscheidender Punkt aber, den wir als Linke in die Klimabewegung tragen sollten, ist, dass die ganze Nummer nicht einfach wird. Wenn wir ernst nehmen, was wir die ganze Zeit sagen, nämlich, dass es eines Systemwechsels bedarf, dann ist die Aufgabe nur mit langem Atem zu bewältigen. Das aber heißt, sich zu organisieren – langfristig und über die Höhe- und Tiefpunkte der Bewegungskonjunkturen hinweg. Illusionen darin, wie viel durch Demonstrationen – seien sie noch so groß – und Appelle an Parteien oder Institutionen erreicht werden kann, sind da eher hinderlich.

Und sich zu organisieren, schließt immer auch ein, gemeinsam zu lernen, sich selbst zu verteidigen. Denn diejenigen, die heute die Zügel in der Hand halten, geben sie nicht freiwillig ab. Dafür sorgt im Zweifelsfall ein genau zu diesem Zweck eingerichteter Staatsapparat, der sich zudem gerade in rasantem Tempo in Richtung Faschisierung bewegt.

Wer, wie die Macher*innen der NGO „Extinction rebellion“ schon polizeikritische Parolen anderer Demonstrant*innen zum Grund nimmt, um eine Aktion zu verlassen, die anderen Teilnehmer*innen zu denunzieren und staatliche Gewalt zu rechtfertigen, wird keine besonders tragende Rolle bei der notwendigen „Rebellion“ spielen können.

#Titelbild: intersoz.org

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Die Diskussionen innerhalb der radikalen Linken über Gedenkkultur, Eventpolitik und Instrumentalisierung flammen regelmäßig auf, wenn es darum geht gefallene Genoss*innen in die eigenen Kämpfe mit einzubeziehen. Solch ein Event oder zumindest wiederkehrender Termin ist die seit über 25 Jahren stattfindende Silvio-Meier-Demo, welche meist im Berliner Szenekiez Friedrichshain stattfand.
Wir benutzen im Folgenden bewusst den Begriff „Gefallene*r“. Wir glauben, dass dieser Begriff eine Möglichkeit ist, sich von eher passiven Begriffen und ihren Konsequenzen in der Praxis wie „Ermordete*r“ oder „Opfer“ abzuwenden. Unsere Genoss*innen sind gefallen. Gefallen in einem Kampf, der sich immer an ihre Haltung rückkoppelte und diese gilt es in den Vordergrund zu setzen. (mehr …)

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