Koordinierter Arbeitskampf von ver.di und EVG – Interview mit einem Streikenden der Berliner Stadtreinigung

28. März 2023

Während in Paris die Gewerkschaften Emanuel Macrons Rentenreform bekämpfen tobt auch in Deutschland ein erbitterter Arbeitskampf: Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) haben am Montag, 27.03.2023 im Verkehrs- und Infrastrukturbereich gestreikt. Bestreikt wurden ÖPNV, Flughäfen, die Autobahngesellschaft, Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Für 2,5 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Diensts ist das die dritte Runde der Tarifverhandlungen, während die EVG erst eine Runde hinter sich hat. In beiden Fällen war das Angebot der Arbeitgeberseite, vor dem Hintergrund der steigenden Preise, hoher Energiekosten und Mieten, laut den Gewerkschaften unzureichend. Am 25.03.2023 fand in Berlin eine Demonstration unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ in Unterstützung für den laufenden Arbeitskampf statt. Ca. 2000 Teilnehmer bekräftigten die Forderungen nach einem echten Inflationsausgleich, bezahlbaren Mieten, sozial gerechten Energiepreisen und bezahlbarem ÖPNV auf den Straßen der Hauptstadt. Auch Beschäftigte der Berliner Stadtreinigung (BSR), die sich ebenfalls seit dem 11.03.2023 im Streik befinden, nahmen daran teil. Wir haben mit Carlos, der bei der BSR arbeitet, über den Hintergrund und die Perspektive der aktuellen Kämpfe gesprochen.

Warum streikt die BSR und wie kam es konkret dazu? Habt Ihr das im Betrieb beschlossen, oder kam das eher von der Gewerkschaft ver.di?

Die BSR streikt, weil wir im Rahmen der anstehenden Tarifverhandlungen eine Forderung aufgestellt haben und diese bisher nicht erfüllt wurde. In der ersten Verhandlungsrunde gab es nicht einmal ein Angebot, daher war klar, dass es als Gegenmaßnahme zu Streiks kommen wird. Dazu war keine Anregung notwendig. Allerdings ruft immer die Gewerkschaft zum Streik auf.

Was sind Eure konkreten Forderungen? Und was sind die generellen Forderungen der aktuellen Arbeitskämpfe?

Die aktuellen Forderungen sind 10,5 % Lohnerhöhung, mindestens aber einen Festbetrag von 500 €. Darüber hinaus 200 € für die Auszubildenden und eine unbefristete Übernahme für die Auszubildenden. In dieser Tarifrunde wurden explizit keine weiteren Nebenforderungen gestellt, um eine starke Verhandlungsbasis zu haben.

Nicht nur die BSR streikt, sondern auch Kliniken, Infrastruktur- und Verkehrsbetriebe. Wieso streiken momentan so viele verschiedene Branchen?

Das hat mit den Laufzeiten der Tarifverträge zu tun. Streiken kann nur, wer sich im Arbeitskampf befindet. Während der Laufzeit der Tarifverträge herrscht eine Friedenspflicht. Von den genannten Unternehmen sind aber die Tarifverträge aktuell ausgelaufen, außerdem beinhaltet der TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) schon von sich aus viele verschiedene Branchen, die aber alle einen gemeinsamen Tarifvertrag haben.

Am 27.03.2023 haben ver.di und EVG einen koordinierten Streik gemacht, was ist daran besonders?

Das besondere ist, dass an diesem Streiktag Betriebe aus der kompletten Bundesrepublik kommen und nicht nur aus einzelnen Städten. Auch wird durch die gemeinsame Aktion deutlich, wie viel in Deutschland nicht funktioniert, wenn die Betriebe des öffentlichen Dienstes den Schulterschluss suchen.

Was passiert, wenn die Arbeitgeberseite den Forderungen nicht zustimmt? Sind weitere Aktionen geplant?

Es gibt dafür einen festen Ablauf: Sollte die Arbeitgeberseite den Forderungen nicht zustimmen und man sich auch auf keinen Kompromiss einigen können, hat jede Seite die Möglichkeit die „Schlichtung“ anzurufen, um eine Lösung durch eine dritte Partei herbeizuführen. Schlägt auch diese Maßnahme fehl (während der Schlichtung herrscht Friedenspflicht), wird es möglicherweise zu unbefristeten Streiks kommen, bis eine Einigung erzielt werden kann.

Am 10.03 haben ver.di und die Deutsche Post nach der Ankündigung eines Warnstreiks einen Tarifvertrag mit 11,5% mehr Lohn geschlossen, wie bewertest Du dieses Ergebnis?

Die Tariferhöhung sind leider nicht wirklich 11,5%, da durch die Einmalzahlung vieles verwässert wird. Dieser ist nicht tabellenwirksam und bringt daher aus meiner persönlichen Sicht kaum etwas. Ich persönlich denke, man hätte mit dem Votum der Beschäftigten mehr erreichen können. Am Ende ist das aber die Entscheidung der Verhandlungskommission der Post und der Beschäftigten.

Wie schwierig ist es, einen solchen Kampf vor dem Hintergrund der Gefahr von leeren Streikkassen und „Union-Busting“ zu führen?

Die hohe Streikbeteiligung zeigt, dass so viele Menschen wie nie unter der Inflation leiden und der öffentliche Dienst an vielen Stellen nur unzureichend funktioniert. Gerade in solchen Zeiten ist es daher wichtig, sich zu organisieren und nicht von seinen Ängsten leiten zu lassen. Insofern beeinflussen die genannten Themen unseren Arbeitskampf kaum.

In vielen Medien liest man eher gewerkschaftskritische Bewertungen, obwohl eigentlich die Mehrheit der Bevölkerung für Lohnerhöhungen und bessere Tarifverträge sein müsste, warum ist das so?

In der aktuellen Tarifrunde habe ich bisher eher das Gefühl, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger hinter der Tarifforderung stehen. Aber grundsätzlich ist die mediale Berichterstattung immer ein bisschen einseitig und gewerkschaftskritisch, da die meisten Medien nun mal eher arbeitgeberfreundlich sind. Daher kann dieser Eindruck entstehen. Gerade in dieser Tarifrunde wird aber immer wieder deutlich, dass es eher zu einer Befürwortung der Maßnahmen durch die Bevölkerung kommt.

Bei der Demonstration am Brandenburger Tor waren „nur“ 2000 Menschen versammelt, obwohl so viele Menschen betroffen sind. Was sind die Gründe dafür?

Das hat mMn mit den vielen unterschiedlichen Aktionen zu tun, die parallel laufen. Es gab Donnerstag und Freitag Streik, und am Montag (27.03.) war eine bundesweite Aktion geplant, da haben die Leute am Samstag evtl. nur begrenzt Motivation gehabt. Insgesamt ist die Beteiligung an der Tarifrunde aber sehr gut.

Zwar nehmen Streiks in Deutschland zu, von einer streikfreudigen Arbeiter:innenschaft zu sprechen wäre aber übertrieben. Siehst Du die aktuellen Kämpfe als generelle Konjunktur von entschlosseneren Arbeitskämpfen vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Vielfachkrise?

Ich denke es zeigt, wie vielen Menschen es aktuell merklich schlechter geht. Die persönliche Lebensqualität ist aufgrund gestiegener Lebensmittelpreise, hoher Mieten und schwacher Tariferhöhungen in den letzten Jahren spürbar gesunken. Das hat dazu geführt, dass sich auch Leute organisieren, die sonst in den Tarifrunden eher zurückhaltend waren. Ich halte es aber für verfrüht, von einer Arbeitskampfkonjunktur zu sprechen.

# Titelbild: eigenes Archiv.

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