Stell dir vor, du sitzt an einer Supermarktkasse, verdienst 1.300 Euro Netto im Monat und hast jeden Tag bei der Arbeit Angst, dass dir jemand aus Frust das Gesicht zu Brei schlägt. Stell dir vor, du beerdigst deinen Sohn weil ein Mann, der keine Maske tragen wollte, ihn erschoss.
Das sind keine Symptome einer Pandemie, das sind Symptome eines Staatsversagens.
Korrupte Politiker:innen erstreiten vor Gericht, schmutziges Masken-Deal-Geld behalten zu dürfen, während Gesundheitsämter sowie das Pflegesystem kurz vor dem Kollaps stehen. Impfzentren werden in Zeiten höchster Inzidenz gegen Weihnachtsmärkte getauscht und das föderale Wirrwarr noch einmal bis auf die Spitze getrieben, bevor die Ampel-Koalition Lockdowns gesetzlich verbieten wird.
Während auf realpolitischer Ebene alles gegen die Wand gefahren wird, radikalisiert sich sich vor den Augen aller ein Teil der Gesellschaft immer mehr in eine Richtung, die Individuen zu tickenden Zeitbomben werden lässt.
Betrachte ich das Versagen des Staates allein rund um die Impfkampgane, kann ich nicht ausblenden, dass deutschsprachige Länder die höchste Nicht-Impf-Quote in Europa haben. Vom fehlenden Informationsfluss über falsche Balance in den Medien bis hin zum logistischen, infrastrukturellen Dilemma: Alles lief schief.
Fast verzweifelt wirkt nun die Impfpflicht-Debatte, staatliche Autorität soll also regeln was die Vernunft der Einzelnen nicht schafft.
Ich bin gespannt, wie das durchgesetzt werden wird. Ob die Knastzellen, die sonst mit Schwarzfahrenden gefüllt sind, nun von Impf-Verweigernden besetzt werden. Die Summe an Bußgeldern, die der Staat letztes Jahr wegen Versammlungsverboten oder Nichteinhaltung der Abstandsregelungen eingenommen hat, wird hoch sein. Aber was sonst hat der Staat an Maßnahmen angestrebt, damit Vorgaben im Alltag eingehalten werden?
Zu wenig. Vielmehr hat er letztlich die Verantwortung der Durchsetzung jeglicher Maßnahmen an jene abgegeben, die ohnehin schon weitestgehend schutzlos dem Versagen des Staates ausgeliefert sind: Arbeiter:innen. Genauer: Prekär Beschäftigte.
Die Freizeit einer vollbeschäftigten Person ist rar, das Sozialleben wird aus pandemischen Gründen pausiert. Dieselbe Person muss aber mit überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln zu dem Supermarkt fahren, in dem sie dann 8 Stunden an der Kasse sitzt. Das klingt belastend, aber belastender ist, dass eben diese Person einen weiteren Aspekt des Staatsversagens abfedern muss, bei dem sie alleine gelassen wird:
Die Gewalt von Masken Verweigernden, Impfgegner:innen, Querdenkenden, Verschwörungsgläubigen und Neurechten.
Im September wurde der Student Alex W. von einem fast 50-jährigen verschwörungsgläubigen Maskenverweigerer erschossen und natürlich wird das als Einzeltat eines Verwirrten abgetan.
Kaum beunruhigt sieht der Staat dabei zu, wie sich seit zwei Jahren ein Milieu neurechter Gewalttäter entwickelt und radikalisiert, deren Eskalationspotential bedrohlich ist.
Einer Kassiererin in Lüttjenburg wurde vor kurzem die Nase gebrochen weil sie die Maskenpflicht durchsetzen musste. Aggressive Pöbeleien oder gewaltvolle Auseinandersetzungen im Einzelhandel scheinen die Spitze des Vulkans.
Was im Untergrund vor sich hin schwelt macht Angst.
Während CDU-Kommunalwahlkandidaten 600 Sprengsätze horten und rassistische Manifeste schreiben, überlegen sich Kassierer:innen dreimal ob sie eine Person auf die fehlende Maske ansprechen, wenn die Konsequenz daraus Nasenbrüche, Kopfschüsse oder anderer stochastischer Terrorismus sein können.
Deutschland sei auf dem rechten Augen blind heißt es und ich Frage mich, ob das rechte Auge nicht das Einzige ist, durch das dieses Deutschland sieht. Rechte talking points hatten schon lange vor der Pandemie öffentliche Diskurse unterwandert sowie Rechte die Staatsorgane – aber die Dynamiken neurechter Bewegungen aller Couleur nehmen Ausmaße an, die schleunigst erkannt und benannt werden müssen. Benennen der rechten Materie und vor allem deren Bekämpfung ist keine deutsche Kernkompetenz. Aber es ist allerhöchste Zeit es zu einer werden zu lassen.
# Titelbild: Collage LCM: Coronaleugnerdemo Anfang 2021, Ivan Radic, CC BY 2.0, Impfzentrum Ludwigsburg, Rudolf Simon, CC BY-SA 3.0
| Pandemiepolitik, Staatsversagen und der Aufstieg der Neuen RechtenMaulwuerfe 1. Dezember 2021 - 9:59
[…] lowerclassmag.com… vom 1. Dezember […]