Frauen an der Macht: Kein Grund zur Freude

21. April 2020

Einmal applaudieren für die Ladys, denn der Durst nach vorzeigbaren Superheldinnen ist noch nicht gestillt. Das Forbes-Magazin verteilt in einem Artikel vom 13. April Lob und Bienchen für den Führungsstil der Politikerinnen Dänemarks, Deutschlands, Finnlands, Islands, Neuseelands, Norwegens und Taiwans. Denn im Gegensatz zu den polternden männlichen Machtgeprotze-Kollegen, begeistern diese Frauen laut Forbes durch ihr besonnenes Krisenmanagement, ihr „Einfühlsvermögen“ und ihre „Fürsorge“ im Umgang mit Corona. „Es ist, als kämen ihre Arme aus den Videos, um uns in einer herzlichen und liebevollen Umarmung festzuhalten,“ schwärmt die Autorin und verteilt pinke Good-Vibes in düsteren Corona-Zeiten. Dass Forbes auf Anspielungen zu gekonnten Hochsteckfrisuren oder tiefblickenden Dekolletés der Politikerinnen verzichtet, ist fast ein Wunder.

Dieser „feministische“ Artikel offenbart eine Haltung, die uns seitens eines der erfolgreichsten Managermagazine mit Hauptsitz in der New Yorker Fifth Avenue nicht überrascht. Umso verwunderlicher aber, wie unkritisch die These des erfolgreichen weiblichen Führungsstils in so manchen links-feministischen Online-Kanälen bejubelt wird. Dabei ist diese angeblich feministische Haltung nichts anderes als eine Karikatur dessen, was Populismus und Aneignung radikaler sozialer Kritiken für bürgerliche Interessen bedeutet.

Verschiebung der Klischees?

Wahrscheinlich fasziniert es, dass Frauen nun endlich nicht mehr nur als Sexobjekt oder demütige Hausfrau im Scheinwerferlicht stehen, sondern auch zunehmend ein Bild gezeichnet wird, in denen besonders „weibliche“ Führungsqualitäten hervorgehoben werden. Auf den ersten Blick mag es fortschrittlich erscheinen, denn die Klischees der gegenübergestellten Geschlechterbilder erleben eine Verschiebung. Diese Verschiebung führt aber nicht dazu, dass Stereotype abgebaut werden, sondern im Gegenteil wird die Annahme verfestigt, weibliche und männliche Personen hätten von Natur aus „angeborene,“ sich binär gegenübergestellte Charaktereigenschaften, also jeweils eine grundverschiedene “Essenz”. Frauen sind demnach von Natur aus „friedliche“ und „besonnene“ Wesen, die grundsätzlich für Harmonie sorgen wollen und deshalb die bessere Politik bzw. hier das bessere, empathischere Krisenmanagement betreiben würden.

Ein derartiger „feministischer“ Personenkult, wie er im Forbes-Artikel betrieben wird, verschleiert vollkommen, welche politischen Interessen eigentlich hinter diesen Repräsentantinnen stehen: die Interessen der herrschenden Klasse der Länder, die sie repräsentieren.

Beispiellos ignorant ist auch, wie geschichtliche und wirtschaftliche Hintergründe der herangezogenen Nationalstaaten ausklammert. Die Frage hier ist: Welche ökonomischen Bedingungen liegen einem Land und/oder einer bestimmten Klasse zugrunde, damit ihre Frauen es sich leisten können, sich aus ihren unterdrückenden Verhältnissen zu emanzipieren und Seite an Seite mit den Männern in der Führungsetage mitzumischen?Wenn man sich sich die herangezogenen, von Frauen regierten Länder betrachtet, sellt man fest, dass diese mit die stärksten Volkswirtschaften der Welt sind. Es überrascht nicht, dass ausgerechnet diese Länder im weltweiten Vergleich über stärkere Gesundheitssysteme verfügen und bessere Präventionsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Epidemien oder Pandemien treffen können – auf dem Rücken der Peripherien des Imperialismus. Es würde den Rahmen sprengen, darzulegen, auf welchem Reichtum die Volkswirtschaften dieser Länder aufbauen – aber sicher nicht auf den „Fleiß“ ihrer Bevölkerung. Jahrhundertelange Plünderug von Ressourcen und Arbeitskraft aus dem Globalen Süden zahlt sich nun aus für den imperialistischen Feminismus.

Es ist richtig, dass viele Frauen eine Schnittmenge an Erfahrungen teilen, die sie durch biologische und/oder vorherrschende gesellschaftliche Bedingungen machen. Das heißt aber nicht, dass sie deswegen etwa gleiche Eigenschaften („Umsorge,“ „Mutterinstinkt“ etc.) teilen. Diese Auffassung führt dazu, die ungleichen Verhältnisse, die sich aus den realen materiellen Zugängen von Männern und Frauen speisen, zu akzeptieren, als natürlich hinzunehmen und somit weiter als “naturgegeben” in Stein zu meißeln.

Frausein schützt vor Ausbeutung, Sexismus und Rassismus nicht

Nicht nur, dass dieser „weibliche Führungsstil“ also konstruiert und völlig nebulös ist, was das eigentlich sein soll. Auch stellt sich die Frage, wie es eine feministische Errungenschaft sein soll, dass statt Männer nun Frauen an der Spitze einer Politik stehen, die die allergrößte Mehrheit der Menschen auf der Erde ausbeutet, die Umwelt zerstört, Kriege führt, Menschen hungern lässt, sie foltert und Schutzsuchende vor den Außengrenzen Europas ertrinken und sterben lässt?

Die Politik, für die diese Frauen stehen, ist nicht weniger frauenfeindlich, rassistisch oder imperialistisch als die ihrer männlichen Kollegen. Schlimmer noch: Statt den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und sich gegen diese imperialistische Politik – gerade als Frauen, als Queers und als Feminist*innen – zu wehren, lässt sich die Mehrheit, bis in linken Dunstkreise hinein, vom Teufel im Schafsgewand allzu gern in den Schlaf wiegen. Anders gesagt: Frausein schützt vor Ausbeutung, Sexismus und Rassismus nicht.

In den Bereich des sogenannten „Privaten“ fallen Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege der Alten und Kranken in der eigenen Familie, Beziehungsarbeit, Auffangen zwischenmenschlicher Konflikte und therapeutische Angelegenheiten typischerweise auf Frauen zurück. Im Lohnarbeitsbereich bleibt diese Art feminisierter Arbeit, die – oh Wunder – im Kontext von Corona plötzlich systemrelevant genannt wird, weil sie eben lebenserhaltend ist, besonders prekär. Denn etwas, das als natürlich und angeboren angesehen wird, wie dass Frauen sich selbstverständlich um Angehörige sorgen und die Böden sauber halten, muss nicht entlohnt oder gesellschaftlich besonders gewertschätzt werden. Für’s Atmen wird man ja schließlich auch nicht bezahlt.

Frauen der Arbeiterklasse

Als Feminist*innen sollten wir wütender denn je sein, denn es sind nun schon wieder vor allem die Frauen der Arbeiterklasse, die die Auswirkungen der Corona-Krise durch eine brutal vorangetriebene neoliberale Politik – ein auf Profit ausgerichtetes, zunehmend privatisiertes und zusammengespartes Gesundheitswesen – ausbaden müssen. Laut Weltgesundheitsorganisation sind 70 Prozent der weltweit Beschäftigten im Bereich Gesundheitswesen Frauen. Es sind die Berufe, die meist schlecht bezahlt sind und prekäre Arbeitsbedingungen mit sich bringen; die von Überstunden bis zu hoffnungsloser, körperlicher Überlastung gezeichnet sind; und wo es obendrein, trotz besonders hohem Ansteckungsrisiko, an sicherer Schutzkleidung an allen Ecken und Enden fehlt. Neben dieser Lohnarbeit, werden Frauen auch meist zu einem Mehr an Sorgearbeit in der Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege und im Haushalt gezwungen. Das liegt an der, wir erinnern uns, patriarchalen Erzählung der „Natur“ der fürsorglichen Frau (denn Frauen passen sich diese patriarchalen Norm auch an), aber auch daran, weil Männer häufiger Hauptverdiener und in ihrer Karriereplanung weniger flexibel sind. Prominentes Beispiel hierfür ist der Virologe Alexander Kekulé, der seine Frau „nah an der Verzweiflung“ sieht, sie aber leider nicht unterstützen kann, weil er dafür zu wichtig ist. Nicht nur, dass damit bestehende patriarchal-kapitalistische Strukturen verfestigt werden, auch sind diese Frauen in erzwungener Isolierung zu Hause, geschlechterbezogener Gewalt um ein vielfaches stärker ausgesetzt sind. Und auch in Post-Corona Zeiten ist davon auszugehen, dass Frauen der Arbeiterklasse – und darin die prekärsten Sektoren von migrantischen, asylsuchenden und illegalisierten Frauen – am meisten leiden: da Frauen häufiger in Teilzeit, Mini-Jobs oder im informellen Sektor beschäftigt sind, verlieren sie in Krisenzeiten schneller den Job und brauchen länger, um zu ihrem ursprünglichen Einkommen zurückzukommen.

Die Erkenntnis, dass diese Art des Feminismus auf dem Vormarsch ist, bestätigt nur, wie ungefährlich er für die etablierte Norm, den weltweiten, patriarchalen Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase, ist. Dieser bürgerliche, liberale Feminismus eignet sich die Kämpfe der nicht mehr zu ignorierenden, weltweit erstarkenden Welle radikaler feministischer Bewegungen an, die unermüdlich Freiheit, Emanzipation und Selbstbestimmung aller Menschen und Lebewesen verfechten, jenseits von Kapitalismus und patriarchaler Unterdrückung. Ein liberaler Feminismus suggeriert, dass es keine strukturellen Missstände und Ungleichheiten gäbe, und jede Frau alles erreichen könne, wenn sie sich nur stark genug anstrengt. Gerechtigkeit ist aber nicht, wenn ein paar Frauen in Spitzenpositionen lächelnd in die Kamera winken. Die Klassenherrschaft samt aller patriarchaler Privilegien bleibt unangetastet. Der Feind bekommt nur ein weibliches Gesicht.

# Text: Meret Ava, Hannah Simón und Eleonora Roldán Mendívil

#Titelbild: Marie Antoinette, Margaret Thatcher und Angela Merkel
Marie Antoinette & Margaret Thatcher: gemeinfrei; Angela Merkel: Armin Linnartz CC BY-SA 3.0
Collage: LCM

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