Das wenig demokratische Virus

8. April 2020

Die Corona-Pandemie, Migration und die Geschlechterfrage

In dem Film Elysium von 2013 ist die Erde ein von Krankheit, Ausbeutung und Ungerechtigkeit geplagter Ort. Die reiche Minderheit hat die Erde verlassen und lebt in einer Kolonie im Weltraum mit dem Namen Elysium. An den populären Science Fiction Filmen der letzten Jahre sind die Gegenwart und Zukunft des Kapitalismus nicht unbemerkt vorbeigegangen. Filme zeigen nicht selten, dass in katastrophalen und krisenhaften Situationen die Armen, Kranken, Arbeitslosen und Obdachlosen in sogenannte Schutzgebiete gedrängt werden, während die Reichen in schwerbewaffneten Sicherheitszonen leben. Die in diesen Filmen dargestellte Zukunft ist nicht weit entfernt von unserer aktuellen Gegenwart. Denn auch wenn immer wieder behauptet wird, Corona könne alle treffen und dies auch abstrakt stimmt, sind weltweit Arme und Kranke, die wenig oder gar keinen Zugang zu erschwinglicher oder kostenloser medizinischer Versorgung haben, diejenigen die gesundheitlich und finanziell am dramatischsten von der Krise betroffen sind. In Deutschland sind es zentral Frauen und Migrantinnen, die überproportional die Last der Pandemie tragen.

Der stellvertretende Gesundheitsminister der Islamischen Republik Iran, Iradsch Harirchi, erklärte am 25. Februar, nachdem er schweißtriefend und hustend eine Pressekonferenz und einen live Fernsehauftritt hinter sich hatte, via Videobotschaft, dass auch er an COVID-19 erkrankt sei und sich nun in freiwilliger häuslicher Quarantäne befinde. „Dies ist ein sehr demokratisches Virus. Es unterscheidet nicht zwischen arm und reich. Jeder kann dieses Virus bekommen“ so der Politiker.

Diese Aussage wurde in den letzten Tagen verschieden formuliert immer wieder getroffen. Dass jede Krankheit, auch eine Pandemie, offensichtlich jede Person, egal welcher Klassenzugehörigkeit gesundheitlich treffen kann, stimmt objektiv. Was diese Aussage jedoch verschleiert ist, dass offensichtlich die eigene Klassenposition, mit finanzieller Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit und den Zugängen zu (hochwertiger) medizinischer Versorgung, klar zusammenhängt. COVID-19 trifft also nicht alle gleichermaßen, denn nicht alle müssen sich der gleichen Ansteckungsgefahr aussetzen, noch haben alle Menschen bei starken Symptomen die Möglichkeit eine symptombegleitende Behandlung, die im Ernstfall lebensrettend ist, in Anspruch zu nehmen.

Wenn die Lage in den imperialistischen Ländern jetzt schon so dramatisch ist, deren Gesundheitssysteme, die medizinischen Ressourcen an ihre Grenzen stoßen, sowie sich Personalmangel verbreitet, wie wird dann die Auswirkung der Pandemie in peripheren Ländern aussehen? Wie wird z.B. die Arbeiterklasse in Ländern wie dem Iran, die durch imperialistische Sanktionen zum Elend verurteilt sind überleben? Die Ausdehnung der Pandemie wird vor allem in den durch Kriege und Besatzungen zerstörten Ländern wie in Syrien, Jemen, im Irak, in Afghanistan, in Kurdistan oder in Palästina mehr als katastrophal sein. Millionen Menschen aus diesen Ländern sind geflohen und Tausende von ihnen sind aktuell Geiseln der „Flüchtlingsabkommen“ des Türkischen Staates mit der imperialistischen EU an der mörderischen Grenze dieses „ humanistischen Zivilisationskontinentes“.

Lager, Asyl und Leben ohne Papiere

Zeitgleich sitzen mehr als 42.000 Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen in den Lagern auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos fest, eingepfercht hinter Stacheldrahtzaun in völlig überfüllten Lagern. So will es die EU. Abstand halten, ist dort unmöglich. Es gibt kaum mehr fließendes Wasser und im Lager Moria müssen sich 1.300 Menschen ein Waschbecken teilen. Die Überfüllung und mangelnde hygienischen Bedingungen machen auch hier einen Corona-Ausbruch zu einer viel dramatischereren Bedrohung. Der Grad der rassistischen Eskalation seitens der Inselbewohner steigt täglich. „Besser, sie finden das Virus nicht bei den Migranten,“ wird eine Frau auf Chios in einem Artikel in der Welt am 19. März zitiert. „Sonst verbrennen wir sie einfach.“

Bei aller Empörung um die unmenschlichen Zustände in den Lagern in Griechenland, wird aber oft vergessen, dass es auch Lager in Deutschland gibt. In den Erstaufnahmeeinrichtungen, sowie in den längerfristigen Zwangsunterkünften für Asylsuchende, leben die Menschen dicht an dicht, ohne jegliche Privatsphäre. Gerade hier besteht ein erhöhtes Risiko der Ausbreitung der Corona-Viren. Das Leben in abgelegenen Lagern glich schon vor Corona einer absoluten sozialen und politischen Isolation. In Zeiten von Corona kann es ein Todesurteil – mit behördlicher Auflage – sein, wie viele Asylsuchende aktuell berichten. Asylsuchenden-Solidaritätsnetzwerke explodieren aktuell mit Anfragen für Übernachtungsmöglichkeiten für Geflüchtete im Asylprozess.

Hinzu kommt die Lage der Illegalisierten, die keinen Aufenthalt haben und ohne Krankenversicherung von jeglicher medizinischen Versorgung ausgeschlossen sind. Existenziell sind aktuell Tausende Illegalisierte in ganz Deutschland betroffen, da sie oft putzen, babysitten, Alte und Kranke zu Hause bei reichen Familien pflegen, gärtnern oder auf dem Bau arbeiten. Fast alle Aufträge fallen diesen Menschen – primär aus Osteuropa, Russland und Lateinamerika – aktuell weg. Von ihrem Einkommen hier im imperialistischen Zentrum sind jedoch meist ganze Familien zu Hause abhängig. Das Schul- und Uniformgeld ihrer Kinder, die Medikamente ihrer Eltern oder auch Schulden, können aktuell nicht bezahlt werden. Und da ihre Familien zu Hause auch nicht außerhalb des Hauses arbeiten dürfen, stehen sie vor einer Sackgasse. Raus gehen und riskieren sich mit Corona anzustecken oder zu Hause bleiben und die gesamte Existenz der eigenen Familie aufs Spiel zu setzen.

Migrant_innen und systemrelevante Berufe

Aber auch legal hier lebende Migrant*innen sind überproportional hart von Corona betroffen, bzw. einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Ein kürzlich bei marx21 erschienener Beitrag erläutert, dass es in drei „systemrelevanten“ Berufsgruppen gibt, „in denen der Anteil von Arbeiterinnen und Arbeitern ohne deutsche Staatsbürgerschaft am höchsten ist“ „Reinigungskräfte (31,9 Prozent), Lebensmittelherstellung und -verarbeitung (31,7 Prozent) sowie in der Tier- und Landwirtschaft (31,1 Prozent).“ Die aktuelle Situation kommt zur allgemeinen Situation och dazu, denn sowieso sind selbst „bei gleicher Qualifikation […] ausländische Beschäftigte im Durchschnitt um bis zu 44 Prozent schlechter bezahlt als ihre deutschen Kollegen. Eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung von 2018 zeigt, dass Pflegekräfte mit Migrationshintergrund unter schlechteren Arbeitsbedingungen arbeiten als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund.“

Die Geschlechterfrage

„Am besten zu hause bleiben“! Diese Empfehlung ist nicht für alle machbar, denn die meisten Arbeitsbereiche können nicht ins Home-Office nach Hause verlegt werden. Dies sind Bereichen, in denen die Arbeit überwiegend feminisiert, migrantisiert und prekarisiert ist. Frauen arbeiten oft im Einzelhandel und im Pflegebereich. An der Kasse sitzen meisten Frauen und nicht selten Migrantinnen; in Apotheken, therapeutischen Berufen, in der Lebensmittelbranche, in der Gebäudereinigung. Zwei Drittel aller Minijobs in Deutschland werden von Frauen gemacht.

Noch dazu garantieren die Frauen die gesellschaftliche Reproduktion bzw. die Reproduktion der Bedingungen der Produktion, die Reproduktion der Arbeitskraft und Sorge- und Pflegearbeit und das tragen sie zum großen Teil unbezahlt auf ihren Schultern. Eine unverzichtbare Arbeit, aber eine unsichtbare. Diese zusätzliche patriarchale Arbeitsteilung wird meist gar nicht oder wenn dann sehr schlecht entlohnt. Dies führt dazu, dass die Folgen des Corona-Krise eh schon arme und prekäre Frauen, Familien und ihre Kinder besonders treffen – und zwar vor allem die migrantischen Frauen, Familien und Kinder. Vor allem für migrantischen Arbeiterinnen, und hier besonders bei den neu migrierten, fehlen oft die familiären Unterstützungsnetzwerke um Lohnarbeit und Kinderbetreuung in Zeiten der Schließung von Kitas und Schulen hinzubekommen. Außerdem müssen schulpflichtige Kinder täglich bei ihren Schulaufgaben betreut werden, was allein aufgrund der Schulsprache Deutsch für die meisten Migrant_innen eine unmögliche Aufgabe darstellt. Millionen Kinder drohen den Anschluss komplett zu verlieren, da vielen proletarischen Familien –und Migrant_innen sind in Deutschland überproportional unter den Armen und Prekären – ein schneller Internetanschluss und überhaupt ein Laptop zum arbeiten fehlt, geschweige denn nicht jedes Kind einen eigenen, leisen Arbeitsplatz zu Hause zur Verfügung hat. Für Alleinerziehende ergeben sich all diese Probleme nochmal zugespitzt.

Die der Coronakrise folgende Wirtschaftskrise, trifft die Arbeiterklasse weltweit jetzt schon hart. Viele werden ihren Job verlieren, und wenn es zu Massenentlassung kommt, sind es zuerst die Mütter, die Migrant_innen und die über Zeitarbeitsfirmen Eingestellte, die ihre Jobs verlieren.

Die seit Jahrzehnten wütenden neoliberalen Angriffe auf die wenigen sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse in diesem Land, die Privatisierungen und Kürzungsprogramme von Bund und Länder (wie in Berlin der rot-rot-grüne Senat), werden sich in naher Zukunft aufgrund der Corona-Krise verschärfen. Unsere Klasse soll diese Krise nicht bezahlen, sondern diejenigen die für diese Politik der Privatisierung der Gesundheit etc. verantwortlich sind: die Bosse, die Kapitalist_innen und ihre Parteien in Parlament.

Nur als vereinte Arbeiterklasse – migrantisch, weiblich, queer etc. – können wir die Hegemonie, die Macht aufbauen, um diese Forderungen für uns, unsere Familien und unsere Kinder durchzusetzen. Nur wir, die den gesamten Reichtum der Welt erschaffen, können die Produktion und das Gesundheitswesen unter der Kontrolle der Arbeiter_innen so neu organisieren, dass sie die Bedürfnisse von uns allen vor die Profite der Wenigen stellt. Dies sehen wir als unsere zentrale Aufgabe an.

#Narges Nassimi und Eleonora Roldán Mendívil

#Titelbild: Gemeinfrei

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