Labert nicht von Notwehr

19. August 2019

Kommentar

Es gibt wieder mal einen tragischen Einzelfall, in dem Polizisten sich nicht anders zu helfen wussten, als den „finalen Rettungsschuss“, wie der tödliche Knarrengebrauch im Behördensprech euphemistische genannt wird, abzugeben. Ein bisher namenloser junger Mann wurde am vergangenen Samstag von der Polizei im niedersächsischen Stade erschossen. Das Opfer, ein 20-jähriger Afghane, der in einer Unterkunft für Geflüchtete untergebracht war, soll die Polizisten angeblich mit einer Eisenstange angegriffen haben, woraufhin mehrjährige Ausbildung nur einen Schluss ließ: Abknallen. Mit Sicherheit wird festgestellt werden, dass es sich um Notwehr gehandelt hat.

Notwehr, wie im Fall von Adel B., der Mitte Juni nach offizieller Darstellung auch von Polizisten in Notwehr erschossen wurde. B. Hatte vorher per Telefon angekündigt, sich umbringen zu wollen. Die Cops verfolgten den mit einem Messer hantierenden Mann bis nach Hause, wo er – so hieß es – auf auf die Polizisten losgestürmt sei. Die Beamten beteuerten, sich nicht anders zu helfen gewusst zu haben und erschossen ihn. Erst als Wochen später ein von der Polizei ursprünglich beschlagnahmtes (und dabei praktischerweise vom Handy gelöschtes – die Cloud hat es gerettet) Video auf sozialen Netzwerke auftauchte, auf dem zu sehen ist, dass Adel B. in den Hauseingang seiner Wohnung geht und dann im Haus erschossen wird, wurde selbst der bürgerlichen Presse klar klar: Es war eben keine Notwehr.

Wie im Fall von Fall von Hussam Fadl. Fadl wurde am 16. September 2016 in einer Unterkunft für Geflüchtete in Berlin-Tempelhof von einem Polizisten erschossen. Nachdem Fadls Tochter sexuell belästigt worden war, kam es zu einem Polizeieinsatz, bei dem der Tatverdächtige festgenommen wurde. Fadl soll dann mit einem Messer bewaffnet auf die Polizisten zugestürmt sein und wurde dann in „Notwehr/Nothilfe“ abgeknallt, so der offizielle Tathergang. Das Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizisten wurde im September 2017 eingestellt.

Bis auf den Polizisten, der den Schuss abgegeben hatte, hatte allerdings von Anfang an niemand, nicht einmal die anderen beteiligten Polizisten, ein Messer gesehen. Und Fadl wurde von hinten erschossen. Und auf dem Messer, dass Fadl angeblich in der Hand hielt, und das sichergestellt wurde, wurden keine Fingerabdrücke von Fadl gefunden. Trotzdem mussten die Angehörigen erst ein Klageerzwingungsverfahren einleiten, damit die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Mittlerweile hat sie die Ermittlungen wieder aufgenommen, die Erfahrung aus zahllosen anderen Fällen tödlicher Polizeigewalt lassen aber wenig Hoffnung auf irgendeine Form von Gerechtigkeit aufkommen.

Polizisten, die morden, haben von der Klassenjustiz nichts zu befürchten. Sie können ballern wie sie wollen, Leute in Arrestzellen in Brand stecken, psychisch Kranke erschießen – juristisch gesehen alles egal. Das sie das machen können liegt in der Logik des Systems, staatliche Gewalt muss immer legitim erscheinen. Jegliches Infragestellen staatlichen Handelns stellt ein Infragestellen staatlicher Gewalt an sich dar.

# Titelbild: Dennis Skley CC BY-ND 2.0

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