„Warum kontrollieren Sie eigentlich immer nur uns Kanaken?”

8. Mai 2020

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Gastbeitrag

Unsere Genossin Narges Nassimi ist gestern in München erst Zeugin einer aggressiven Polizeikontrolle eines migrantischen Mannes gewesen und dann selber Ziel von Polizeigewalt geworden. Die Polizisten nahmen ihre Daten auf und werfen ihr nun „rassistische Beleidigung” und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” vor.

Was ist passiert?

Narges kam gestern um kurz nach 16 Uhr von ihrem Arbeitsplatz in der Münchner Innenstadt. Drei weiße Polizisten und eine weiße Polizistin waren dabei, einen jungen migrantischen Mann an seinem Fahrzeug zu kontrollieren. „Der Mann suchte im Auto nach etwas. Er war ganz jung und in Panik”, erzählt Narges. Eine Szene, wie wir sie täglich aus deutschen Großstädten kennen. „Verdachtsunabhängige Kontrollen” im Straßenverkehr treffen meist Braune und Schwarze Autofahrer. Narges näherte sich der Szene und fragte im Vorbeigehen: „Warum kontrollieren Sie eigentlich immer nur uns Kanaken?” Zwei Beamte drehten sich sofort zu ihr um und sagten, dies sei eine rassistische Beleidigung gegen den Mann. Narges konnte ihren Ohren nicht trauen. Sofort forderten sie sie auf, sich auszuweisen. Narges verweigerte dies und erklärte, dass es völliger Unsinn sei, ihr jetzt Rassismus vorzuwerfen, wo sie doch gerade bei dieser rassistischen Polizeikontrolle interveniert habe. Die Beamten meinten, dass den Mann auch indirekt („uns Kanaken”) „Kanake” zu nennen, rassistisch sei. Narges sprach die Beamten daraufhin auf einen kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel an, nachdem 67 bayerische Polizisten aktuell suspendiert seien. Es geht um Drogenbesitz, Kinderpornografie und Zugehörigkeit zu sogenannten Reichsbürgern. Das war den Beamten dann zu viel. Brutal warfen sie Narges zu Boden und schleiften sie von der einen Straßenseite bis zur Polizeiwanne. Sie verdrehten ihr minutenlang durch brachiale Gewalt die Hände und die Polizistin durchsuchte ihren Rucksack. Zwei deutsche Kolleg_innen aus ihrem Betrieb beobachteten die Szene reglos. Nur eine nicht-weiße Kollegin setzte sich für Narges ein und protestierte gegen die Polizeigewalt. Die Beamten nahmen ihre Personaldaten auf und teilten ihr mit, dass sie wegen „rassistischer Beleidigung” und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” angezeigt würde. Als sich die Beamten von ihr abwandten fragten sie die beiden weiß-deutschen Zeuge_innen, ob sie ihre Personalien als Zeug_innen aufnehmen könnten, damit sie bezeugen, dass sie freundlich waren und keine Gewalt angewandt hätten. Beide bejahten. „Freundlich? Ernsthaft? Muss unbedingt jemanden ermordet werden, dann bedeutet es erst Gewalt für euch?” erwiderte Narges. Die beiden antworteten „Die Polizisten müssen ihre Pflicht erledigen und manchmal müssen sie auch so reagieren”. Von Solidarität unter Arbeiter_innen eines Betriebes war keine Spur.

Rassismus und Kapitalismus

Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, welcher in seiner jetzigen Form der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer bürgerlichen Demokratie entspringt. Die kapitalistische Gesellschaft lädt so ihre eigenen Widersprüche auf die migrantischen bzw. (je nach konkretem historischen Verhältnis) nicht-weißen Teile der Arbeiterklasse ab, die, durch den niedrigeren Wert ihrer Arbeitskraft, in direkter Konkurrenz mit „deutscher” Arbeit tritt und so als Sündenbock für die Konkurrenzsituation um vermeintlich knappe Resourcen verantwortlich gemacht wird. Der Rassismus unterbindet so unter anderem die Solidarität und das gemeinsame Kämpfen innerhalb der Arbeiterklasse gegen die herrschende Klasse der Kapitalisten, und dient der gewaltvollen körperlichen Kontrolle der migrantischen bzw. nicht-weißen Teile der Arbeiterklasse, welche sich sowohl durch Gesetze als auch durch alltäglichen, interpersonellen Rassismus ausdrückt.

Rassistische Polizeigewalt

Dass Rassismus also strukturell auch in deutschen Polizeibehörden tief verankert ist, liegt auf der Hand. Aber auch individuelle Menschen mit rassistischer Weltanschauung, also der Idee von „arischer” Vorherrschaft und der „Überlegenheit der arischen Rasse,” sowie Alltags-Rassisten werden in Deutschland Polizeibeamte. Immer wieder werden rassistische und rechte Polizeinetzwerke aufgedeckt, wie z.B. 2012, als zwei damals noch aktive schwäbische Polizisten der Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan überführt wurden, dessen Prinzipien der „Überlegenheit der weißen Rasse” Hand in Hand mit der systematischen Auslöschung von Schwarzen geht. Im gleichen Artikel wird beleuchtet, wie Verfassungsschützer den rassistischen Geheimbund in Baden-Württemberg gedeckt haben sollen. Zudem war einer der beschuldigten Beamten Chef der von der NSU erschossenen Polizistin Kiesewetter.

Auch wenn bürgerliche Medien kaum davon berichten, sterben in Deutschland regelmäßig meist migrantische Menschen durch Polizeigewalt oder in Gewahrsam. Die Todesfälle der letzten Zeit – Hussam Fadl, Amad Ahmad, Matiullah Jabarkhil, Rooble Warsame, William Tonou-Mbobda, Aman Alizada – weisen indes auf Morde durch von Rassismus durchzogene staatliche Institutionen hin. Sollte ein Fall doch mehr Aufmerksamkeit erregen, geben die staatlichen Behörden ihr Äußerstes, um die Verstrickung der Polizei oder anderer staatlicher Behörden unter den Teppich zu kehren. Zu einer juristischen Aufarbeitung kommt es fast nie, die Angehörigen sind oft gezwungen, ein Klageerzwingungsverfahren einzuleiten, damit es überhaupt zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt. Die Täter:innen können einfach weitermachen wie zuvor und werden nicht zur Verantwortung gezogen. An den Haaren herbeigezogene Schutzbehauptungen von Notwehr werden selbst dann noch geglaubt, wenn ihnen die gesamte Beweislage widerspricht.

Erklärungs- und Relativierungsversuche

Die aufgedeckte rassistische Polizeigewalt wird regelmäßig damit relativiert, dass rassistische Polizist_innen Einzelfälle seien und behördenintern verfolgt würden. Es wird angeführt, die Polizei sei nicht rassistischer als andere Berufsgruppen oder die Gesamtgesellschaft. Sie sei daher nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaft selbst. Einige gehen sogar so weit, den Rassismus in der Polizei als Konstrukt der Medien darzustellen, die dazu diene, die Polizei als Ganzes zu diffamieren. Die Thesen sind jedoch schnell widerlegt. Entgegen der Vorstellung von Einzeltäter_innen spricht selbst ein liberaler Kriminologe wie Tobias Singelstein von einem strukturellen Problem. Die Behauptung, die Polizei sei lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft, vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte, ist schlichtweg falsch und wird durch Skandale von rechten Netzwerken in der Polizei der letzten Jahre immer wieder entkräftet. Erklärungs- und Relativierungsversuche, um die Polizei als Behörde nicht grundlegend in Frage zu stellen, sondern sie als reformierbares Organ der bürgerlichen Demokratie zu verkaufen, sind nichts weiter als institutionelle Selbstentlastung und Täter_innenschutz.

8. Mai – Tag des Zorns

Heute am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, versuchen migrantische Aktivist_innen deutschlandweit unter der Kampagne „Tag des Zorns”, als Tag gegen Rassismus und rechte Hetze und Gewalt zu etablieren. Gerade jetzt zu Zeiten migrantischer Selbstorganisierung – von den Lagern bis zu den Universitäten – ist es besonders wichtig, auf die strukturellen Dimensionen von Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt mit vertieften Analysen zu weisen. Das, was Narges erlebt hat, ist kein Einzelfall. Polizei und Verfassungsschutz sind bekanntlich nicht nur durchsetzt von Rassismus auf institutioneller Ebene, sondern es befinden sich auch organisierte faschistische Netzwerke innerhalb der Polizei, Armee, im Verfassungsschutz und dem Rest des tiefen Staates.

Deswegen müssen wir heute Antworten suchen auf die Zerstreutheit und den Defätismus der deutschen Linken und uns wieder organisieren: in unseren Betrieben, an unseren Ausbildungsorten und unter Nachbar_innen. Wir können nicht zulassen, dass uns rassistische Gewalt als Klasse spaltet und den dahinter liegenden Konflikt als „ein weiteres Machtverhältnis” abtun. Kapitalismus ist kein Nebenprodukt, neben einem rassistischen System. Es ist die kapitalistische Produktionsweise und die sie schützende bürgerlichen Demokratien, die diese Form der Spaltung unserer Klasse in deutsche und migrantische Arbeitskraft, in Weiße und Nicht-Weiße, erst durch spezifische Gesetze institutionalisiert und somit rassistische Überausbeutung und rassistische Gewalt legitimiert. Und es ist diese Produktionsweise, die es umzustürzen gilt.

Nehmt teil an den heutigen #Migrantifa Aktionen und zeigt: Wenn sie eine_n angreifen, dann greifen sie uns alle an!

# Von Lea Dalmazia, Debora Darabi, Ramsis Kilani, Nadia Rohi und Eleonora Roldán Mendívil

Die Autor_innen sind aktiv in antiimperialistischen, klassenkämpferischen Kreisen in NRW, München und Berlin.

# Titelbild: pixabay

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3 Kommentare

    […] werfen ihr nun „rassistische Beleidigung” und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” vor.https://lowerclassmag.com/2020/05/08/warum-kontrollieren-sie-eigentlich-immer-nur-uns-kanaken/ +++RECHTSPOPULISMUS «Jagt sie weg!» – Schwarzenbachs Initiative gegen «Überfremdung» Am 7. […]

    Rea Kurmann 9. Mai 2020 - 21:35

    Hallo – danke an Narges, dass sie sich so solidarisch einsetzt.
    Mir ist der Name aufgefallen – es gibt keine Lower class – es ist das System der andern – sie wollen das – bitte nicht akzeptieren – sie, die lower class, existiert in unseren Köpfen und in den Köpfen derer, die sich abheben wollen – sie manifestiert sich dann – ja in vielen Formen – der Geist ist politisch – lässt uns solidarisch aus der Angst rausgehen… Konsequent. Schritt für Schritt. Danke für eure Arbeit. Rea

    Dreamdance 11. Mai 2020 - 0:43

    super krass.
    die zwei weißen Zeug*innen haben sich ja mal
    übelst scheiße verhalten.
    man könnte wenigstens ne kritische und solidarische Position
    einnehmen vor Ort, auch wenn man Angst hat was zu tun.
    wie widerlich.
    ich hätte zumindest zu den Bullen gesagt :
    “ehm, sie HABEN gewalt angewandt und das völlig unverhältnismäßig,
    ich hoffe das ist ihnen klar.”
    warum muss diese deutsche gesellschaft so ein feiges, über-passives
    stück scheiße sein ?
    es erschwert sovieles und macht sovieles möglich, was nicht nötig wäre.
    òó.
    Narges, deine zwei Kolleg*innen sind rassistische Arschlöcher, die sich
    innerlich an der Situation aufgegeilt haben.

    ACAB.