Bürgerliche Mitte, spürst du dich noch?

7. März 2019

Autor*in

Jane


Das Versagen bei den Ermittlungen in Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz, die fortwährenden Drohungen gegen die Anwältin Seda Basay-Yildiz aus Polizeikreisen, die Erkenntnisse über die staatlichen Verwicklungen in den NSU, mysteriös sterbende Menschen in Einzelhaft. Viele Schrauben eines unabsehbar großen, gefährlichen Defektes eines maroden Apparates. Organisierte Rassist*innen und aktive Gegner*innen jedes Antifaschismus sitzen fest und geschützt in staatlichen Strukturen.

Eine mediale Verarbeitung dieser Vorfälle findet in Anbetracht der Schwere der Vorkommnisse zu wenig statt. Es gibt auch kaum öffentliches Interesse oder laute Rufe nach Aufklärung. Party-Skandale, Drogenhandel und Amtsmissbrauch, Eskalation bei Demonstrationen, eine Sektion des Ku-Klux-Klans, Kontakte zu Reichsbürgern Gewalt und noch mehr Gewalt – bei der deutschen Polizei nichts Ungewöhnliches. Und nichts führt zu einer großen Empörung. Wenn es um die Auseinandersetzung mit der Polizei geht, sind die meisten deutschen Demokrat*innen träge.

Oder feige. Oder beides.

Aber was auch erwarten von einer Gesellschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten über Empörung (wenn es denn zu dieser reicht) in ihrer Widerstandskultur nur selten hinaus kam. Es bedarf im Grunde keiner besonders kritischen, oder gar subversiven Denkweise um derart eklatantes polizeiliches Fehlverhalten zu bemängeln. So demokratisch sind die selbsternannten Demokrat*innen nur einfach nicht. Zu ignorieren wie reformbedürftig der Apparat Polizei ist, wie fragil das Konstrukt der angeblichen Ordnung, bedarf einer geschulten Art des Wegsehens.

Das Dach der ach so liberalen Freiheit steht auf schon in ihrer Bausubstanz mangelhaften Säulen: Kollektive Stille – Grasballen rollen durch die Protestwüste Deutschland; und der mangelnden Erkenntnis, dass das Gewaltmonopol mehr als ein grundlegendes Problem hat.

„Der Gehorsam heuchelt Unterordnung, so wie die Angst vor der Polizei Anständigkeit heuchelt“, sagte George Bernard Shaw. Nur dass das Schweigen in all diesen Fällen extreme Unanständigkeit ist und die angebliche deutsche Mitte vermutlich keine Angst hat. Vielleicht spürt sie sich einfach nicht mehr.

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3 Kommentare

    Mari 7. März 2019 - 12:40

    Wow,ich danke dir Jane!
    Props.

    Julia 7. März 2019 - 14:39

    Sehr schöner Text, gefällt mir sehr gut.
    Beschreibt auch gut das Problem mit der Polizei in Deutschland, weil auch ich teilweise wenig Vertrauen in die Polizei oder in die Gerichte hab, wenn es um so Themen wie beispielsweise AfD geht. Bei einem Mal kann man vielleicht von Zufall sprechen, bei zwei Malen von Unfähigkeit, beim dritten Mal wird man doch skeptisch, wenn bei bestimmten Themen wie Rechtsextremismus wenig unternommen wird. Ich finde es sehr schade, dass man heutzutage oftmals den Eindruck gewinnt, dass die Polizei bei vielen Demos halt da steht, damit sie da steht.
    Nur meine Meinung was so zuvor meine Gedanken waren, daher danke nochmal an Jane, dass sie es besser formuliert hat als ich könnte, was das eigentliche Problem ist. Die eigene subjektive Wahrnehmung ist dann doch oft anders als das, was andere sehen. <3

    Morgentau 10. März 2019 - 15:29

    Zitat:
    „Wenn es um die Auseinandersetzung mit der Polizei geht, sind die meisten deutschen Demokrat*innen träge.“

    Das Problem ist wohl eher, dass die Polizei den Staat schützt und nicht die Bürger! Polizei, Militär und Staat sind und waren schon immer rechts! Nachfolgene Beispiele belegen, das es nicht unbedingt Trägheit ist, sondern eher polizeiliche/staatliche Repressalien sind, die deutschen Demokrat*innen zu schaffen machen. Hier einige Beispiele:

    2010
    Allein in NRW gab es im Jahre 2010 1400 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, wovon nur 17 zur Rechenschaft gezogen wurden. Amnesty International resümierte in ihrem 118 Seiten starken Bericht (PDF) u.a. auch, dass die Justizbehörden seit dem 1. Januar 2009 alle relevanten Daten zu Beschwerden, Ermittlungsverfahren, Hauptverfahren und Urteilen gegen Polizeibeamte erfassen müssen, aber nur einige Bundesländer dem nachkommen. Grob zusammen gefasst gibt es jährlich bundesweit mehr als 2000 Straftaten von Polizisten, von denen weniger als 5% zu Verurteilungen führen. Die Dunkelziffer wird auf mehr als das doppelte geschätzt.
    Darunter sind auch schwerste Misshandlungen und Folter zu verzeichnen. Die Polizisten gehen meist straffrei aus, da bekanntlich eine Krähe einer anderen kein Auge aushackt. Aber auch Staatsanwaltschaften drücken gerne ein Auge zu, denn wo keine unabhängige Justiz, da auch kein unabhängiges Verfahren, wenn es überhaupt dazu kommen sollte.

    2013
    Gegen etwa 4500 Polizisten ermittelten die Behörden im Jahr 2013 wegen Straftaten im Amt. Weniger als jeder siebte Verdächtigte wird überhaupt angeklagt. Und fast alle kommen ohne Strafe davon. Genaue Zahlen gibt es nicht: Verurteilungen von Polizisten werden nicht erfasst.

    2015
    Strafanzeigen gegen Polizisten führen auffällig selten zu einem Verfahren und fast nie zur Verurteilung der Beschuldigten. Geschädigte, die sich dagegen wehren, bekommen dagegen die ganze Härte des Gesetzes zu spüren. Wird der Rechtsstaat seinem Anspruch noch gerecht? Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt werden Polizisten nur sehr selten verurteilt: Im Jahr 2015 wurden im Schnitt 54,8 Prozent aller Strafverfahren eingestellt, bei Verfahren gegen Polizisten waren es 97,7 Prozent. Im gleichen Jahr gab es rund 2200 Verfahren wegen Polizeigewalt.

    2018
    Fakt ist: In Deutschland gibt es keine unabhängige Beschwerdestelle, um ein etwaiges Fehlverhalten der Polizei zu melden. In solchen Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft also gegen ihre eigenen Leute – oder lässt es bleiben. Zudem werden bei Anzeigen gegen die Polizei immer Gegenanzeigen von der Polizei gestellt.

    Oder Demonstrative Polizeigewalt in:
    Genua, Barcelona, Hamburg, Frankfurt, Berlin, Paris, London, Istanbul, Brüssel, Budapest…

    Hier einige Auszüge der neuen Polizeigesetze die nach und nach in allen Bundesländern eingeführt werden sollen und teilweise schon Gesetz sind:

    • Die zulässigen Anwendungsfälle zum Einsatz der elektronischen Fußfessel werden ausgeweitet, die in diesem Zusammenhang erfassten sehr sensiblen Daten des „Gefesselten“ werden nicht mehr als besonders sicherungswürdig bewertet. (§ 17c Abs. 1 und 3)

    • Die Videoüberwachung von Gefangenen wird nicht nur eingeführt, sondern deren Begründungskatalog inhaltlich wesentlich erweitert – persönlichkeitsrechtlich höchst fragwürdig. (§ 20 Abs. 4)

    • Der Zeitraum richterlich begründeter Untersuchungshaft für unbestimmte Fälle wird von vier auf sechs Tage erhöht. (§ 21)

    • Deutliche Reduzierung der Bedingungen, unter denen die Polizei Aufzeichnungen privat oder gewerblich betriebener Videoüberwachungskameras die Herausgabe dieser Daten erzwingen kann. (§ 32a Abs. 1)

    • Erleichterung der Bedingungen, unter denen eine Telekommunikations-Überwachung (Abhören von Telefon, Abfangen von E-Mails, Mitlauschen und -lesen von Chats und Messenger-Nachrichten) zulässig sein soll. (§ 33a Abs. 1)

    • Ebensolche Erleichterungen der Bedingungen, unter denen der große Lauschangriff auf Wohnungen (Abhören mittels Wanzen & Co.) zulässig sein soll. (§ 35a Abs. 1)

    • Einfügung einer Ausschlussklausel, nach der der Einsatz von verdeckt, also heimlich agierenden Polizeispitzeln unter bestimmten, möglicherweise dehnbaren Bedingungen nicht mehr durch einen Richter genehmigt werden muss. (§ 36 Abs. 2)

    • Streichung der sinnvollen Klausel, wonach Menschen, die bereits bekundet haben, aus einer kriminellen Szene aussteigen zu wollen und ein entsprechendes Ausstiegs-Angebot der Behörden angenommen haben, grundsätzlich nicht mehr als Polizeispitzel angeworben oder eingesetzt werden dürfen. (§ 36 Abs. 5)

    • Gänzliche Streichung von Regularien und Bedingungen, die zur „Führung“ von Polizeispitzeln angedacht gewesen sind. (§ 36 Abs. 6)

    • Ebenso vollständige Streichung der Vorgabe, dass Polizeispitzel, die im Verdacht stehen, im Zuge ihrer Spitzeltätigkeit eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen zu haben, nicht weiter als Spitzel eingesetzt („in Anspruch genommen“) werden dürfen. (§ 36 Abs. 7)

    • Einfügung der neuen Erlaubnis für die Polizei, Polizeispitzel im Einzelfall sogar ohne (vorherige) richterliche Genehmigung einsetzen zu dürfen. (§ 36a Abs. 4)

    • Es soll zukünftig nicht (mehr) festgehalten werden, ob Rasterfahndungen zu einem Ergebnis geführt haben oder nicht. (§ 48 Abs. 1)

    • Der Einsatz von Tasern (Elektroschocker-Pistolen bzw. im euphemistischen Behördendeutsch als „Elektroimpulsgerät“ bezeichnet) werden nicht nur ausdrücklich erlaubt, Taser sollen sogar durch eine Neuordnung der Reihenfolge polizeilicher Waffen als erstes einzusetzendes Mittel noch vor dem Schlagstock definiert. (§ 69 Abs. 4)

    • Hilfspolizisten soll – anders als zunächst geplant – nun doch gesetzlich das Knüppeln mit dem Polizeischlagstock (in bestimmten Situationen) erlaubt werden. (§69 Abs. 8 und § 95)

    Also was tun, Jane? Geschult wegsehen, weiterhin erfolglos demonstrieren, oder die verantwortlichen Beamten gleich Vorort erschiessen?
    Spürst Du die Ohnmacht der bürgelichen Mitte…?