Dauerbrenner: Thema Revolution

16. Februar 2018

Drei neue Bücher zum Thema und ein wenig eigener Senf

Was mich allerdings an Teilen der deutschen Linken nervt, ist, dass die immer wirklich viel lesen und meinen, alles zu verstehen, aber dann nicht danach handeln. Revolution ist nicht nur Theorie.” Das sagt Heval Rûken, organisiert in der PKK, im März 2017 in einem Interview mit LCM (das es mittlerweile auch in dem Buch Konkrete Utopie. Die Berge Kurdistans und die Revolution in Rojava nachzulesen gibt). Die Kritik hat viel für sich. Die einzig taugliche Verteidigung ist der Verweis darauf, dass sich eine Revolution nicht aus dem Arsch ziehen lässt. Wenn die Bedingungen für Massenaufstände nicht gegeben sind, bleibt denen, die nach ihr streben, oft wenig mehr als die Reflexion darüber, wie diese Bedingungen zu schaffen sind. Dazu gehört auch Lesen. Das ist immer noch besser, als sich zynisch dem Status quo hinzugeben. Hier ein Blick auf drei Bücher, die im revolutionären Gedenkjahr 2017 zum Thema erschienen sind.

Beate Landefeld: Revolution

Mit diesem Einführungsband hat der Kölner Verlag PapyRossa seine Reihe „Basiswissen“ bereichert. Das Buch ist genauso schnörkellos wie der Titel. Es beginnt vielversprechend: „der Begriff ‚Revolution‘ gehört heute, als Euphemismus für Intervention, Regime Change oder Restauration zum Sprachgebrauch der Medien [und] wird durch Inflationierung entwertet.“

Mit Marx werden Revolutionen definiert als „‚Lokomotiven der Geschichte‘, nicht richtungslose Umwälzungen, sondern solche, die einer neuen Produktionsweise und Gesellschaftsordnung zum Durchbruch verhelfen und damit den Menschheitsfortschritt voranbringen“. Letzterer umfasst für die Autorin „die Erleichterung der Arbeit und Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit, die wachsende Befähigung, Krisen, Kriege und Katastrophen zu vermeiden und die Geschichte durch planvolle Kooperation der Menschen, bei schonendem Umgang mit Ressourcen, bewusst zu gestalten.“

Die ideologische Basis des Textes wird spätestens auf der zweiten Seite der Einleitung klar: „Zu Revolutionen kommt es nicht durch bloßen Willensakt. Es sind Widersprüche in der objektiven Realität, die die Fundamente überlebter Ordnungen erschüttern.“ Landefeld klärt in der Folge wichtige Begriffe: Leitrevolution, Revolutionszyklus, revolutionäre Situation, revolutionäres Subjekt. Dass dabei auch der Begriff der Volksmassen auftauchen darf, wird ein bestimmtes linkes Milieu in Rage versetzen, was uns freilich egal sein kann. Nach der Einleitung gibt es einen Abriss über bedeutende Revolutionen der Moderne: England 1640-1660, Amerika 1775-1783, Frankreich 1789, Europa 1848/49, Paris 1871, Russland 1905-1921, Deutschland 1918/19, China 1949, Kuba 1959, Portugal 1974, alles dabei. Das Buch bietet einen vorzüglichen Überblick. Alles kompakt zusammengefasst und verständlich geschrieben.

Spannung verspricht das letzte Kapitel: „Hat die Revolution eine Zukunft?“ Auch hier werden die Dinge ohne Umschweife auf den Punkt gebracht:

„Krieg, Armut und Unterentwicklung, ökologische Krisen und Folgen des Freihandels verwüsten ganze Länder und vertreiben Millionen. Die abgeschottete US-Grenze zu Mexiko, die Stacheldrahtzäune der ‚Balkanroute‘, die Leichen im Mittelmeer bezeugen die Negation von Offenheit und Universalisierbarkeit seitens reicher Länder. Die Erfahrung aus bürgerlichen Revolutionen, dass die wirklich, nicht nur die abstrakte Universalisierung von Menschenrechten die Überwindung des Gegensatzes von Arm und Reich erfordert, wiederholt sich.“

Die Zurückweisung der These, dass die Arbeiterklasse aus der westlichen Welt verschwunden sei, ist überzeugend:

„Veränderungen in der Zusammensetzung der Lohnarbeiterschaft gab es immer, ohne dass die Ausbeutung und die Vergesellschaftung der Arbeit unter Kontrolle des Kapitals verschwanden. […] Konzerne, Unternehmerverbände und Regierung [leiten] mit ‚Industrie 4.0‘ die vierte industrielle Revolution ein, die die Arbeitswelt für High-Tech-Fachkräfte ebenso wie für prekär Beschäftigte der Logistikbranche erneut verändern wird.“

Das Buch stößt erst dort an die Grenzen einer streng marxistischen Herangehensweise, wo die Frage zur Zukunft der Revolution allzu vage und allgemein beantwortet wird:

„Solange es Klassen gibt, von denen eine die andere ausbeutet, in einem System, das Ungleichheit, Krisen, Kriege und ökologische Katastrophen produziert, gibt es auch einen Boden für Revolutionen. Doch der Übergang zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft verläuft nicht linear, sondern langwierig, widersprüchlich, auf vielen Wegen und mit Rückschlagen. Dennoch wird es immer wieder Anläufe und Versuche in dieser Richtung geben.“

Frank Deppe: 1917 | 2017. Revolution & Gegenrevolution

Dieses im VSA Verlag erschienene Buch ist dem von Landefeld im Aufbau nicht unähnlich. Auch hier wird Revolutionsgeschichte betrieben, obwohl der Fokus stark auf die Russische Revolution gerichtet bleibt. Wie der Untertitel andeutet, beschäftigt sich der Autor eingehend mit konterrevolutionären Kräften.

Der größte Unterschied zu Landefelds Buch ist, dass wir es hier mit einer charakteristisch akademischen Arbeit zu tun haben. Aufgrund der Informations- und Quellenfülle wird das manche begeistern, andere werden vielleicht nur schwer Zugang zum Text finden. Sicherlich von Relevanz für alle ist die folgende, einleitende Bemerkung des Autors:

„Die entscheidende Frage jeder Revolution ist die der politischen Macht – im Kampf gegen die Konterrevolution, beim Aufbau einer neuen Ordnung. Ebenso entscheidend für den Fortgang der Revolution ist freilich auch die Frage, wie der Exzess an politischer Macht, der zur Verteidigung der Revolution notwendig schien, zurückgenommen wird und das Programm der Freiheit, das jede Revolution begleitet, auch in der Praxis des gesellschaftlichen Lebens lebendig wird.“

Inmitten ausführlicher Studien zur Geschichte der Sowjetunion und ihrer Ausstrahlungskraft sowohl auf das Zentrum als auch die Peripherie des kapitalistischen Weltsystems stechen ein paar Aspekte hervor. Zu diesen zählt die Auflistung der Wirkungen der Oktoberrevolution: die Tatsache, dass einst ein Drittel der Menschheit unter Regierungen lebte, die direkt von ihr inspiriert waren; die Hoffnung auf eine „andere“ Gesellschaft, die sie weckte; die positive Auswirkung auf antikoloniale und antiimperialistische Kämpfe; die Inspiration zur Gründung von kommunistischen Parteien und Kaderorganisationen; die Bedeutung für den westlichen Klassenkompromiss und Wohlfahrtsstaat; schließlich das Schaffen einer Pattstellung auf globaler politischer Ebene, die seit dem Zerfall der Sowjetunion zunehmend von inter-imperialistischen Konflikten gekennzeichnet ist. Ebenso hilfreich ist die Liste einiger „Merkmale, die […] die Vorgeschichte der großen Revolutionen charakterisiert haben“: Hegemonieverfall, Staatskrise, Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse sowie Veränderungen in den internationalen Kräfte- und Machtverhältnissen.

Deppe spricht davon, dass jüngere gesellschaftliche Entwicklungen „die Politik, die Programmatik und die politische Kulturen von Bewegungen und Organisationen herausfordern, die die Vergesellschaftung und die Aufhebung von Lohnarbeit und Ausbeutung nach wie vor als zentrale Bestandteile einer sich am Marxismus orientierenden Politik betrachten“. Dem folgt eine Erläuterung, die der Ansicht Heval Rûkens nicht unähnlich ist, auch wenn sie in einem anderen Kontext formuliert wird: „Das bloße Bekenntnis zum Kommunismus und der Glaube an den ‚Blitz‘ einer Revolution, der irgendwann zwangsläufig einschlagen wird, vermag dieser Herausforderung nicht gerecht zu werden; er wird sich in philosophischen Traktaten erschöpfen.“

Treffend ist das Zitat von Antonio Gramsci, das Deppe bemüht, um die „krisenhafte Übergangsperiode“ zu beschreiben, in der wir uns befinden und in der „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“. Zu der Frage, wie wir dem Neuen auf die Beine helfen könnten, hält sich Deppe bedeckt, gibt aber nichtsdestotrotz hilfreiche Hinweise: „Ohne den Zusammenbruch der alten Macht und ohne Organisationen, die in der Lage sind, Massenbewegungen strategisch zu orientieren und auch selbst ein für die Massen überzeugendes Programm einer Neuordnung zu vertreten, kann die Revolution sich nicht – vor allem in der unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der Gegenrevolution – behaupten.“

Bini Adamczak: Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende

Schon der Titel deutet an, dass dieses im Suhrkamp Verlag erschienene Buch höhere literarische Ansprüche trägt als die beiden oben besprochenen. Im Gegensatz zu deren stringenten Aufbau ist Adamczaks Text voller Schleifen, Wendungen und Anekdoten. Stilistisch wird experimentiert, was Freunde des schönen Wortes glücklich machen wird, aber auch zu Kapitelüberschriften wie „Revolution als synaptische Konstruktion“ oder „Im chronomatischen Zerrspiegel“ führt. Geschmackssache. Beobachten lässt sich in jedem Fall ein Generationsunterschied. Adamczak geht mit der Sprache der Postmoderne genauso vertraut um wie mit jener des klassischen Marxismus. Der Kontrast zu den oben besprochenen Autor*innen wird besonders deutlich, wenn von „affektiven Zuständen“, „perlokutionären Sprechakten“ oder der „Quasistruktur der Iterabilität“ die Rede ist. Das soll jedoch niemanden abschrecken. Das Buch beinhaltet auch Leckerbissen für jene, die universitärem Vokabeltraining entkommen sind: „Solange Kommunismus eine Welt ist, in der Kommunistinnen nicht leben können, sollte es jedenfalls nicht verwundern, wenn sie wenig Anstalten machen, ihn zu erreichen.“

Wie Deppe konzentriert sich Adamczak auf die Russische Revolution, schreibt aber weniger Geschichte, sondern widmet sich – wie schon in ihren früheren Büchern – der zentralen Frage, warum sich deren hehres Versprechen nicht hat einlösen lassen. Das führt zu einer Auseinandersetzung mit sonst wenig beachteten Problemen, etwa dem, was Adamczak „postrevolutionäre Depression (PRD)“ nennt; einen Gemütszustand, unter dem der Autorin zufolge schon „in den zwanziger Jahren in Russland viele Menschen, insbesondere Kommunistinnen“ litten. Von mindestens ebenso hohem Originalitätswert ist Adamczaks ausführliche Auseinandersetzung mit dem „Geschlecht der Revolution“:

„Geschlecht wird […] nicht als Kategorie des Subjekts verstanden, nicht als Attribut oder Identität von sozialen Individuen oder Gruppen, sondern als Atmosphäre oder Ladung, die Körper wie Texte, Räume wie Dinge, Institutionen wie Sphären durchläuft, auflädt oder umschließt. Geschlechterverhältnisse können soziale Bereiche statisch voneinander abgrenzen und zueinander ordnen oder diese Bereiche dynamisch passieren, transformieren und auflösen. Die revolutionären Wellen von 1917 und 1968 stellen solche Dynamisierungen dar, in denen das Geschlecht der Gesellschaft bewegt und verschoben wird.“

Dass wir der Frage „Wie geht Revolution?“ nicht unbedingt nahe kommen, hat auch mit den rhetorischen Hürden zu tun. Die Revolution als „transzendentale Wende auf dem Terrain der Geschichte“ zu beschreiben, hat Klang, kann aber leicht überfordern, wenn es um die praktische Umsetzung geht. Deutlich wird jedoch, dass Adamczak eine Offenheit für antiautoritäre und anarchistische Impulse pflegt, nicht zuletzt im Gegensatz zu den oben besprochenen Autor*innen. Das belegen nicht nur Verweise auf Gustav Landauer und einen „Transformationsprozess, in welchem der Sozialismus gemacht wird“, sondern auch eine deutliche Kritik am Ansatz Lenins: „Die Idee, dass Linke eben auch gerade darum Linke sein könnten, weil sie von ‚Führern‘ ebenso wenig Befehle entgegennehmen wollen, wie sich unter das Kommando von Kapitalistinnen zu begeben, ist ihm fremd. Revolutionärinnen sind scheinbar Revolutionärinnen, weil sie noch ordentlicher, disziplinierter, gehorsamer funktionieren als ihre Feinde. Weil mit ihnen der bessere Staat zu machen ist.“

Niemand kann die kommende Revolution vorhersehen. Doch auch Adamczak hilft bei der Vorbereitung:
„Historisch war das Begehren nach solidarischen Beziehungsweisen nicht intelligibel, weil es über keine politische Sprache verfügte, um sich zu artikulieren. Es flüchtete in den Bereich des Religiösen, des Träumerischen, des Rauschs, des Wahnsinns. Die hier unternommene Arbeit hatte auch den Zweck, jenem unartikulierten Begehren zu einer Sprache zu verhelfen, um den traurigen Revolutionärinnen einen anderen Trost und der tragischen Geschichte der Revolutionen ein alternatives Ende anzubieten.“

Schluss

Was bleibt zu tun? Wenn die eingangs zitierte Einschätzung von Heval Rûken an uns nagt, ist das nur gut so. Sich ewig auf fehlende revolutionäre Bedingungen herauszureden, gilt nicht. Noch weniger gilt, mit den Augen zu rollen oder süffisant zu grinsen, wenn die Rede auf die Notwendigkeit der Revolution kommt. Alle drei der hier besprochenen Bücher dokumentieren, dass revolutionäre Situationen im Laufe der Geschichte immer und immer wieder aufgetreten sind, und es ist töricht anzunehmen, dass das in der Zukunft nicht der Fall sein wird. Die entscheidende Frage ist, was wir aus diesen Situationen machen können. Die oben besprochenen Autor*innen geben einige nützliche Hinweise. Aber um hier nicht ausschließlich in der Rolle des Referenten zu verharren, füge ich ein paar der für mich wesentlichen hinzu. Das mag Widerspruch provozieren, aber ohne Widerspruch keine Debatte, und ohne Debatte geht nichts weiter. Also, meine Top Vier:

1. Ein Ende dem Sektierertum. Die radikale Linke ist schwach und jede zusätzliche Spaltung schwächt uns weiter. 2011 schrieb Joel Olson in einem Aufsatz mit dem Titel „Movement, Cadre, and the Dual Power“ den wichtigen Satz: „Wir denken, dass die alten Streitigkeiten zwischen Kommunisten und Anarchisten heute großteils hinfällig sind.“ Das sollte unser Ausgangspunkt sein.

2. Theoretisch müssen wir den heute oft aufgemachten, aber nur vermeintlichen Widerspruch zwischen „Klassenkämpfen“ und „Kulturkämpfen“ überwinden. Die „Neue Klassenpolitik“, wie sie seit einigen Monaten in der Zeitschrift ak diskutiert wird, ist hier der richtige Ansatz. Einen Überblick über relevante Texte gibt es im „digitalen Schaukasten“ des ehemaligen ak-Redakteurs Sebastian Friedrich.

3. Organisierung ist Trumpf. Wir brauchen Zusammenhänge, die über Bezugsgruppen hinausgehen, aber nicht in avantgardistischen Parteiphantasien enden. Zum Glück gibt es diesbezüglich schon seit Längerem fruchtbare Diskussionen. Als Beispiel mag das vor zwei Jahren auch auf LCM veröffentlichte Diskussionspapier „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik“ gelten. Dass sich entsprechende Diskussionen fortsetzen, bestätigen die Autor*innen in einem Interview auf kritisch-lesen.de im Oktober 2017.

4. Während postmodern-anarchistische Bewegungsansätze der 2000er Jahre oft in neoliberale Fahrwasser geraten sind, bleibt eine Kritik am ökonomischem Determinismus und ein damit verbundener Fokus auf die subjektiven Kräfte der Revolution wichtig. Wenn wir schon mit einem Zitat aus einem LCM-Text eingeleitet haben, warum nicht mit einem aufhören? Bitte schön:

“Das, was die ‚Revolutionär*innen‘ hier [in Kurdistan] ‚Liberalismus‘ nennen – Egoismus, ausufernder Alkohol- und Drogenkonsum, die Unfähigkeit zu kollektivem Leben, Disziplinlosigkeit, die Trennung von ‚Privatleben‘ und Politischem, Karrierismus –, gibt es bei uns in wesentlich größerem Ausmaß als hier. Wenn wir sie nicht überwinden oder sie im Gefolge bürgerlicher Ideologien sogar zur ‚Freiheit‘ verklären, reproduzieren wir jene Mechanismen, die uns an das kapitalistische System binden. Unsere ‚revolutionäre‘, ‚radikale‘ Politik bleibt ein wohlfeiles Austoben innerhalb des Bestehenden, das an keinem Punkt eine wirkliche Gefahr für die herrschenden Verhältnisse darstellt.”

# Gabriel Kuhn

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Beate Landefeld, Revolution. PapyRossa Verlag, Köln 2017. 146 Seiten, 9,90 EUR.

Frank Deppe, 1917 | 2017. Revolution & Gegenrevolution. VSA Verlag, Hamburg 2017. 256 Seiten, 19.80 EUR.

Bini Adamczak: Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 314 Seiten, 18 EUR.

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