Tunnelblick statt Panorama – Kritikaufschlag die Zweite

29. Oktober 2017

Autor*in

Karl Plumba

Liebe Kolleg*innen von Panorama.

Vorweg schon einmal danke, dass ihr euch bemüht habt, euch unserer Kritik anzunehmen und an dieser Stelle sei auch selbstkritisch angemerkt: unsere Kritik war sehr polemisch und an einigen Stellen überzogen. Selbstredend halten wir euch nicht für „Lügenpresse“ oder „Fake News“, diese Kategorien halten wir insgesamt für, sagen wir, schwierig.

Allerdings ist es in der Tat ein Problem, dass sich die Medien heutzutage immer häufiger boulevardesker Methoden bedienen und somit an ihrer Glaubwürdigkeit gezweifelt wird. Eben weil wir die Arbeit von Panorama schätzen, waren wir vom Ton und der scheinbaren „Botschaft“ des Beitrags nicht bloß überrascht, sondern frustriert. Unser Ziel war es nicht, Kolleg*innen zu diffamieren, sondern sie an Prinzipien journalistischer Ethik zu erinnern. Darunter sind unter anderem die enorme Wichtigkeit direkter Observation vor Ort statt ideologischer Schwarzweißmalerei aus europäischen Büros, kritischem Engagement mit komplexen Themen statt Banalisierung der Simplizität halber und dem korrekten Übersetzen und Wiedergeben der Worte wichtiger Akteure.

Es ist jedoch so und da kommen wir auch schon zur inhaltlichen Kritik, dass ihr euch eben der selben Erklärungsmuster bedient, die in der Türkei für die Jagd auf Oppositionelle benutzt werden. Es ist eben nicht so, dass jede und jeder mit Bezug auf Abdullah Öcalan gleich Mitglied der PKK ist. Abdullah Öcalan ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans und wurde 1999 in einem internationalen Komplott entführt und sitzt seit dem im Gefängnis. Er hat zwar schon vorher diverse Schriften und Bücher publiziert, seit seiner Inhaftierung hat er jedoch einen enormen Output an ideologischen Überlegungen und hat ein komplett neues Gesellschaftsmodell erdacht. Der Demokratische Konföderalismus ist stark beeinflusst von den Ideen Muray Bookchins, der eher der libertär-sozialistischen und öko-anarchistischem Schule angehört, als dem klassischen Marxismus.

Es ist keineswegs das Ziel unserer Argumentation vom Anfang gewesen, der PKK die marxistischen Einflüsse abzusprechen, vielmehr geht es uns darum zu zeigen, dass eure Darstellung der PKK als marxistische Befreiungsbewegung der 70er-Jahre eine, der journalistischen Sorgfaltspflicht geschuldete, Trennungsschärfe vermissen lässt.

Die eindeutig negative Konnotation des Schlagwortes „Marxismus“ sollte den Redakteuren der Sendung nicht unbekannt sein. Diese dramatische, clever dargestellte Kluft zwischen den beiden Weltanschauungen dient vor allem in einer Zeit rechter Mobilisierung einem dominanten Mainstream, der linke Politik dämonisiert.
Historisch habt ihr recht, die PKK wurde als klassisch-marxistische nationale Befreiungsbewegung gegründet, hat sich jedoch von diesem Weg vor 15 Jahren abgewandt und eine ideologische Kehrtwende hingelegt. Es geht ihr nicht um die Erkämpfung eines neuen Staates Kurdistan oder um die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Vielmehr geht es um ein basisdemokratisches Rätesystem, in dem die wichtigste Einheit die Kommune, die Nachbarschaft ist.

Mal davon abgesehen, dass es doch schwerlich ein ehrliches Argument sein kann, dass jede Organisation, die sich auf den gleichen Vordenker bzw. Auf die gleiche Vordenkerin bezieht ein und dieselbe ist. Demnach müsste jede marxistisch-leninistische Organisation dieser Welt eigentlich die KPDSU sein. Das behauptet ihr ja auch nicht wirklich. Auch, dass Bilder von Öcalan in Räumen hängen und damit die Bewohner*innen PKK-Mitglieder sind, kann nun wirklich schwerlich als Argument gelten. In wie vielen WG-Küchen hängen Bilder von Che Guevara, ohne dass die Bewohner*innen kubanische Revolutionäre sind? Wir werden ja auch nicht Mitglieder der CDU, nur weil wir uns ein Portrait von Angela Merkel oder Helmut Kohl ins Wohnzimmer hängen.

Das gleiche Argument bringt ihr immer und immer wieder: „Sie beziehen sich auf Öcalan, also sind sie im Grunde PKK“. Im Übrigen sagt auch Raymond Thomas an der von euch nachträglich zitierten Stelle der Gesamtfassung keinesfalls, dass die YPG bloß die PKK in anderem Gewand sind. Er sagt: „Wenn sie weiter ihre Verbindungen zur PKK aufrechterhalten, steht unsere Beziehung vor vielen Problemen“. Der „Raum“ in dem die Besprechung, auf die ihr euch Bezieht, stattgefunden hat ist übrigens ein Platz in Kobanê, auf dem ein großes Öcalan Bild aufgestellt wurde.
Wer also unserer Meinung nach die „military leaders“ und „technocrats“ gewesen sein sollen?
Mit „military leaders“ meint er ganz offensichtlich hohe Kommandeure der YPG und YPJ, über die spricht er nämlich auch namentlich. Wer genau die „technocrats“ gewesen sind, können wir nicht sagen, da er da nicht drauf eingeht, was unseren Punkt untermauert, denn genauso wenig könnt ihr das sagen.

Auf euren Verstoß gegen journalistische Ethik, bei eurer schlichtweg falschen deutschen Übersetzung der Worte Raymond Thomas seid ihr in eurer Antwort leider nicht eingegangen. Natürlich dient es eurem Argument, die Worte „Führungskräfte der PKK“ in Raymonds Mund zu legen, auch wenn er selbst von der YPG spricht. Dennoch ist die Frage immer noch nicht geklärt, weshalb es ein Teil des in euren Worten „Weltwissens“ sein soll, dass die PKK und die YPG und damit die SDF ein und dasselbe sein sollen, wenn die obersten Militärsprecher der Vereinten Staaten, in unzähligen öffentlichen Statements, ihre Position klar gemacht haben und zwar dass die YPG und die PKK zwei unterschiedliche Organisationen sind.

Ganz nebenbei bemerkt finden wir es ja schon fast lustig, wie ein hochrangiger Vertreter des US-Militärs fast ins Schwärmen gerät, wenn es um Sozialismus und Frauenbefreiung geht.

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Ihr kommt immer wieder auf Öcalan zurück. Wo Fotos von Öcalan hängen, leben PKK-Funktionäre. Wer sich auf Öcalan bezieht, ist PKK-Funktionär. Wer in einer Organisation aktiv ist, die sich an der Philosophie Öcalans orientiert, ist PKK-Funktionär. (Hierbei noch einmal ein Hinweis darauf, dass das von euch unbegründete und schlichtweg falsche labeling von Sinem Mohammed als „PKK-Funktionärin“ bedeutet, sie verschiedenen Staaten, die die PKK als Terrororganisation einstufen, als potentielles Opfer zu servieren. Hoffentlich war das „nur“ ein Fehler und kein bewusster Versuch, euer Argument zu stärken, denn das wäre ein schwerwiegender Verstoß gegen jegliche Ethik und hätte eventuell legale Konsequenzen). Das diese Aussage richtig ist, begründet ihr mit „Weltwissen“ und einem vermeintlichen „Konsens“ der Mehrheit, da die „Belege für [diesen] Sachverhalt so überwältigend und ubiquitär sind[…].“ Das könnt ihr doch nicht wirklich ernst meinen? Ihr habt in eurem Beitrag und auch in eurer Stellungnahme keinen einzigen stichhaltigen Beweis für diese These angebracht und sagt nun, die Beweise sind so erdrückend, dass die These stimmen muss? Das andere Argument darin „Es muss stimmen, weil ein Großteil der Menschen denkt, dass es stimmt“ ist auch nicht mehr als ein schlechter Scherz. Die Erde ist keine Scheibe, das Universum dreht sich nicht um die Erde, der Mensch wurde nicht von einem omnipotenten Wesen geschaffen, sondern ist Ergebnis von Jahrtausenden der Evolution. Das sind Dinge, die ein Großteil der Menschheit über lange Zeit für Fakten gehalten haben (und teilweise immer noch tun) und dennoch sind sie keineswegs richtig.

Zumal sollte es eine Aufgabe aufrichtigen Journalismus sein, sich eben nicht den Wahrheitsregimes der Mehrheit und unkritisch konstruierten Wahrheiten zu ergeben, sondern sozial und politisch gefährliches Halbwissen zu erleuchten und eine komplexere Wahrnehmung der Welt zu vermitteln. Das hat Panorama von der BILD-Zeitung unterschieden.

Man muss nicht Freund*in der PKK sein, um vom unnötig süffisanten Ton, der den Bericht von Anfang bis Ende begleitet und der sich in zwanghaft konstruierten Dichotomien zwischen politischen Ideologien verfängt, irritiert zu sein. Obwohl ihr zwar anmerkt, dass „Theoriediskussionen“ andere führen müssen, wirkt das nicht so bei euren mehrfachen Versuchen, eben diese Theorien als antagonistische, ideologisch unvereinbare Welten darzustellen – und genau in dieser Schwarzweißmalerei gehen die Realitäten der Menschen, die einen Kampf um Leben und Tod führen, verloren.

Die Frage, die die Redaktion in diesem Bericht stellt und zwar, wie es denn sein kann, dass zwei solche Ideologien kooperieren wird zwischen den Zeilen deutlich: nämlich, dass beide Seiten Heuchler sind. Allerdings beantworten es beide Seiten (in unbeschnittener Form) in mehreren öffentlichen Statements sehr gut: die Notwendigkeit des Kampfes gegen den IS hat nun mal Gruppen, die sonst nicht die gleichen Interessen teilen, gezwungen, taktische militärische Kooperation zu führen. Das ist eigentlich, wenn man von dramatisierten Kontrasten zwischen zwei Gruppen ablässt, gar nicht so schwer nachzuvollziehen. Vor allem nicht für die Menschen, die solche Kalte-Kriegs-Kategorien beiseite lassen, wenn es darum geht Hunderttausende von Menschen zu schützen.

Man hätte zu diesem Schluss auch ohne einen fast gehässigen Unterton kommen können, der die Widersprüche, Ungereimtheiten und Inkonsequenz linker Kreise aufzeigt. So ist euer Beitrag in Einheit mit der Antwort auf unsere Kritik leider nur ein Paradebeispiel journalistischer Arroganz und Kritikresistenz, die mit zur Vertrauensmisere der Medien in Deutschland beiträgt.

# Dilar Dirik, Manî Cûdî, Kerem Schamberger, Karl Plumba

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Hier gehts zum ursprünglichen Panorama-Beitrag

Hier gehts zu unserer ersten Kritik

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4 Kommentare

    BLKHWKDWN 1. November 2017 - 9:58

    Insgesamt eine interessante Debatte, in der es zwar vordergründig (und hier vereinfacht) um „Kurdistan“ geht, letztlich aber eben eher um tendenziöse Berichterstattung und journalistische Sorgfaltspflicht. Von daher war schon die ursprüngliche Analyse des Panorama-Beitrags ein wichtiger Beitrag. Allerdings stört mich ein wenig, dass ihr zwar die „eindeutig negative Konnotation“ des Begriffs Marxismus anprangert, den Begriff aber selbst durch diesen Beitrag wiederholend negativ konnotiert. Das gleiche gilt für die Figur Öcalan. Entgegen der sonstigen guten Ausrichtung der Artikel, klingt das für mich etwas anbiedernd…

    lowerclassmag 1. November 2017 - 15:16

    Das war nicht unsere Absicht und es ist ärgerlich, wenn es in den Artikeln so rüberkam.

    Syndikalistin 14. November 2017 - 4:55

    Meldet ihr euch, wenn die Panorama-Redaktion noch ein Statement abgibt? Peinliche Nummer, hätte ich von denen nicht erwartet. Danke für eure Arbeit!

    lowerclassmag 15. November 2017 - 14:15

    Klar