In Österreich herrscht seit knapp einem Jahr Wahlkampf um das Bundespräsidentenamt. Die JournalistInnen der etablierten Medien wissen längst nicht mehr, welche Fragen sie den Stichwahl-Kandidaten stellen sollen. Wir konnten weiterhelfen.
Vorspiel
Vor einigen Wochen bekam ich eine Nachricht von Kollege M.M. „Willst was probelesen?“, fragte er. Ich hatte Zeit und sagte zu. M.M. schickte mir einen längeren Text, der im Kern aus einer Analyse eines abstrusen Buches rechtsextremen Inhalts bestand. Ein obskures Werk von Michael Howanietz, Bezirksrat der FPÖ in Wien-Brigittenau, das bereits vor zwei Jahren erschienen ist. M.M. war zufällig darauf gestoßen; was ihn aber stutzig gemacht hatte, war der durchaus prominente Herausgeber des Machwerks:
Norbert Hofer. Dieser ist immerhin nicht irgendwer, sondern einer der beiden Kandidaten bei der – wiederholten und nun erneut verschobenen – Stichwahl um das höchste Amt der Republik Österreich.
Ich fand M.M.‘s Text ganz interessant, erläuterte ihm, dass ich dies oder jenes etwas straffen würde, vielleicht ein paar Stellen ganz weglassen etc. Von den Socken haute mich die ganze Geschichte nicht – immerhin weiß ja mittlerweile jeder, welch ideologischer Sumpf sich unter der Oberfläche des Bildes verbirgt, das die FPÖ der medialen Öffentlichkeit präsentiert. M.M. war anderer Meinung. Das von Hofer herausgegebene Buch müsse unbedingt einem größeren Publikum bekannt gemacht werden, da würden sich einige ganz schön wundern. M.M. bot mir an, seine Analyse via Lower Class Magazine zu veröffentlichen. Ich nahm das Angebot gerne an, auch wenn ich M.M.‘s Hoffnung nicht teilte, dass der von Norbert Hofer herausgegebene rechte Schwachsinn in der politisch interessierten Öffentlichkeit aufgrund unserer Veröffentlichung seiner Analyse diskutiert werden würde. Ich sollte mich irren.
Erster Akt: die Twitter-Blase
Zunächst lief die Sache so ab, wie ich vermutet hatte. Wir stellten M.M.‘s Text online, es gab ein paar Likes, ein paar Kommentare, das wars. Mehr hatte ich nicht erwartet und hoffte, das M.M. nicht enttäuscht sei, dass sein Text keine große Debatte über den Charakter der FPÖ und ihres Präsidentschaftskandidaten ausgelöst hatte. Für Enttäuschung blieb allerdings nicht viel Zeit. Am nächsten Tag machte M.M.‘s Text die Runde. Ein paar Twitterer verbreiteten zunächst den LCM-Text, bald wurde aber nur mehr das Howanietz-Buch diskutiert. Binnen weniger Stunden wusste die gesamte österreichische Journalisten-Twitter-Blase Bescheid: von ORF-Anchor Armin Wolf über Profil-Redakteur Georg Hoffman-Ostenhoff bis zu Woman-Chefredakteurin Euke Frank – alle kommentierten das freiheitliche Machwerk. Was insbesondere unseren Autor erstaunte, waren zwei Dinge: die professionellen Journalisten wunderten sich keine Sekunde darüber, dass ihnen nach einem Jahr Dauerwahlkampf das Buch selbst noch nicht untergekommen war. Die Frage ist berechtigt: Wie und was
recherchieren diese Menschen eigentlich? Und gerade vor diesem Hintergrund noch erstaunlicher: die Rechercheleistung anderer gilt den gutbezahlten Promi-Journalisten nichts. Klar: das Ausgraben eines online verfügbaren Buches ist keine investigative Rekordleistung. Aber genau deshalb hätten das andere doch längst machen müssen! Und immerhin hatte sich M.M. die ganz und gar nicht erfreuliche Mühe gemacht, den ganzen rechtsextremen Käse von vorne bis hinten durchzulesen und die prägnantesten Zitate zusammenzustellen. Genau diese Zitate tauchten plötzlich überall auf. Jene, die das Howanietz-Buch nun skandalisierten, fanden es allerdings nicht der Mühe wert, die Frage zu stellen, wer das alles recherchiert und zusammengestellt hat – sprich: wer die grundlegende
journalistische Arbeit geleistet hat. M.M. indes ist nicht schüchtern und mahnte bei einigen der Twitterer direkt an, doch bitte die Quelle zu nennen, die das Buch nun in die Öffentlichkeit getragen hatte. Und einige kamen diesem Hinweis auch nach.
Zweiter Akt: Tageszeitung
Ich war erstaunt, dass unser Text (jetzt, wo das Ding erfolgreich war, sprach ich natürlich von „unserem“ Text) so eine große Runde gemacht hatte. Denn auch wenn es sich nur um die Twitter-Blase handelte: wir hatten Aufmerksamkeit in einem Bereich geschaffen,
der weit über die StammleserInnenschaft des Lower Class Magazine reichte. Und das war das erst der Anfang. Noch am Abend des zweiten Tages nach unserer Veröffentlichung von M.M.‘s Text schrieb mir dieser, dass die österreichische Tageszeitung Die Presse die Sache am nächsten Tag in einer kleinen Notiz bringen würde – leider erneut ohne Nennung von Lower Class Magazine als jenem Medium, dass die Sache angestoßen hatte. Ich gratulierte M.M. zum Erfolg seines Textes und meinte, dass das wohl unser Schicksal sei, von den großen Medien „vergessen“ zu werden. Er lehnte diese Sichtweise ab und schrieb an die Redaktion der Presse. Der anwesende Redakteur sagte M.M. zu,
dass er den Text online noch ändern und Lower Class Magazine als Urheber der Debatte um das Howanietz-Buch nennen werde.
Dritter Akt: TV
Die Woche verging, und immer wieder tauchten in den sozialen Netzwerken Wortmeldungen zu dem Buch auf, das Thema wurde von anderen Blogs aufgegriffen. Wir hatten tatsächlich das geschafft, was M.M. vorgeschwebt war: den esoterisch-rechtsradikalen Unsinn publik zu machen, den der FPÖ-Kandidat als Herausgeber verbreitet. Und die Sache schien kein Ende zu nehmen. Eine Woche nachdem wir den Text online gestellt hatten, erreichte uns ein Mail einer Redakteurin des österreichischen TV-Senders Puls 4. Sie arbeite an einem Bericht über das Hofer-Howanietz-Buch und würde gerne mit jemandem von Lower Class Magazine sprechen. Am Telefon erklärte ich ihr, dass unser Autor kein Interview geben wolle; er habe das Buch ausgegraben, gelesen und darüber geschrieben, mehr könne und wolle er dazu nicht sagen. Nichtsdestotrotz bitte ich
darum, Lower Class Magazine in ihrem Bericht zu erwähnen. Immerhin käme die Story ja von uns. Die Redakteurin sicherte mir zu, dass dies passieren würde. Am Abend lief die Geschichte in den Puls-4-Abendnachrichten. Ein Schauspieler war engagiert worden, der ein paar Zitate aus dem Buch vorlas – vorwiegend solche, die auch in M.M.‘s Text zu finden sind. Wurde Lower Class Magazine erwähnt? Fehlanzeige.
Nachspiel
Das Fazit der Karriere von M.M.‘s Text ist bittersüß. Fest steht: wir haben ein Thema in die nationalen News gebracht und dabei einen vielsagenden Einblick in die Arbeits- und Funktionsweise des österreichischen Mainstream-Journalismus bekommen. KeinE JournalistIn, keinE RedakteurIn dürfte das Howanietz-Buch selbst gelesen haben, alle verließen sich auf die Recherche unseres Autors – ohne dies zu erwähnen. Im Grunde ist das wenig verwunderlich, denn immerhin ist es für die bezahlten JournalistInnen und RedakteurInnen ja durchaus peinlich, dass ein kleines No-Budget-Onlinemagazin Themen setzt, die sie selbst längst setzen hätten müssen. Es sei wiederholt: der Bundespräsidentschafts-Wahlkampf nähert sich seinem einjährigen Jubiläum. In dieser Zeit haben dutzende Interviews und TV-Debatten von, mit und über die Kandidaten stattgefunden. Private Details wurden ausgegraben, unsinnige und langweilige Diskussionen über Hobbys, Aussehen, Freizeitverhalten oder den Gesundheitszustand der beiden Stichwahl-Kandidaten wurden inszeniert. Und bei alldem wurde dem rechten Hofer reichlich Gelegenheit geboten, sich als
freundlicher, biederer und gemäßigter Kandidat zu inszenieren. Alle Hinweise auf Hofers rechtsextreme Gesinnung redete dieser mit den eingelernten Stehsätzen weg – weil sich alle diesbezüglichen Fragen immer wieder um dieselben Dinge wie seine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft oder die unsäglichen Kornblumen am Revers drehten. Die Herausgeberschaft eines Buches mit eindeutig rechtsextremem Inhalt jedoch hätte er nicht wegdiskutieren können – wenn irgendein Redakteur oder eine Redakteurin es je der Mühe Wert gefunden hätte, dies zu recherchieren.
– Karl Schmal
Neoprene 3. Oktober 2016 - 21:47
Auch aus dieser Story könnten Linke lernen, daß die bürgerliche, demokratische Öffentlichkeit eben nur für bürgerliche demokratische Propaganda gut ist. Aber wie schon immer denken viele Linke, daß sie die für sie betrübliche Tatsache der recht geringen Reichweite der eigenen Agitation und Propaganda dadurch wettmachen könnten, daß die bürgerlichen Medien ihnen doch irgendwie als Multiplikator dienen könnten. Tun sie aber nicht.