Mit dem Faustkeil in die Hofburg

19. September 2016

Ein vom FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten Norbert Hofer herausgegebenes Buch gibt Einblicke in die bizarre Gedankenwelt „freiheitlicher“ Ideologen. Eine Erkundungstour in die Niederungen der Neo-Paläo-Fantasien der österreichischen parlamentarischen Rechten.

Bevor Norbert Hofer, der auch Nationalrat und dritter Nationalratspräsident der FPÖ ist, in die erhabene Maske des Bundespräsidentschaftskandidaten geschlüpft ist, hinter der er über den Dingen steht, war er als Buch-Herausgeber tätig und als Parteiideologe maßgeblich am „Handbuch freiheitlicher Politik“ beteiligt. Im Jahr 2013 hat Hofer „Für ein freies Österreich. Souveränität als Zukunftsmodell“ des Autors Michael Howanietz für den Freiheitlichen Parlamentsklub ediert. Wie sehen die politischen Visionen aus, die Norbert Hofer noch vor drei Jahren für wichtig genug erachtete, um sie in Buchform zu publizieren?

Autor Michael Howanietz ist FPÖ-Bezirksrat in Wien-Brigittenau und veröffentlicht regelmäßig in rechtsextremen Publikationen wie Junge Freiheit, Zur Zeit, Aula und Umwelt & Aktiv – letztere herausgegeben vom Verein „Midgard e.V.“, der vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird – und auch immer wieder in der Neuen Freien Zeitung, dem Parteiblatt der FPÖ. Hofer hat noch zwei weitere Publikationen mit Howanietz herausgegeben, die sich beide mit Umweltthemem befassen. In „Für ein freies Österreich“ ist die Souveränität das zentrale Thema, bzw. genauer eigentlich die von der FPÖ geleitete Wende von der kommenden (EU-)fremdbestimmten „Unrechtsgesellschaft“ hin zu einer Zukunft in einem „souveränen“ Österreich und einem Europa der unabhängigigen Kleinstaaten. Es ist eine Programmschrift erheblicher gesellschaftlicher Umgestaltung auf nationaler und internationaler Ebene: Howanietz’ Idee der Souveränität betrifft hier alle Lebensbereiche. Das Buch wurde von der österreichischen Presse wenig beachtet, was wegen seiner Abstrusität einerseits nachvollziehbar ist, anderseits aber doch verwundert angesichts dessen, dass der Herausgeber dieser Ideen derzeit annähernd 50 Prozent der Wählerstimmen für sich beanspruchen kann.

Gegengesellschaften, Gutmenschen und Bürgerkrieg

Als roter Faden zieht sich die disjunkte Aufteilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Freund und Feind, durch den Text. Howanietz spricht von „Gegengesellschaften“, die sich in Europa entwickelten, das politische Gegenüber seien „Volksseelenverkäufer“, „Familienzerstörer“ jene, die traditionelle Familienmuster aktualisieren wollen, Vergangenheitsaufarbeitung „Selbstgeißelung der Schuldpropheten“. Es ständen sich die Religionen von „Schönheit, Licht und Gerechtigkeit“ und von „Chaos und Willkür“ gegenüber. Man könne zwischen ihnen wählen.

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Wir beschränken uns auf den Inhalt – das Layout kritisiert sich selbst

Die „Gegengesellschaften“ bestehen aus „kulturfremdem Zuwanderernachwuchs“, der sich „von der das Gastrecht nehmenden“ Seite her abschotte und unsere Sozialsysteme belaste. Einerseits würden Gutmenschen diesen anlocken, weil sie sich durch den Import von Kriminellen Ausgleich für koloniale und postkoloniale Fehler der westlichen Gesellschaft erhofften. „Grundfalsch und verstandesfern ist der gutmenschliche Ansatz, afrikanische Drogendealer, die unsere Kinder hierzulande in Sucht und Unglück treiben, als Kompensation für die Verbrechen westlicher Firmen in Afrika zu sehen“ erklärt Howanietz.

Anderseits würden Wirtschaftspersonen aus Profitgier „Gastarbeiter“ als „Billigarbeitskräfte“ anfordern, unter denen dann aber doch wieder „sehr viele Arbeitsverweigerer“ seien und so „auf ein paar Gastarbeiter sehr viele Gastarbeitslose“ kämen. Einmal vor Ort könne man sie nur durch Sozialtransfers ruhig halten: „Noch können aggressiv und fordernd auftretende ethnische Gruppen durch Geldgaben ruhiggestellt werden. Wenn der Wohlfahrtsstaat aber, etwa mit dem wahrscheinlichen Ende des Euro, das eigene Ende nahen sieht, wird sich das rasch ändern. Dann werden alle die (vor allem ethnisch motivierten) Konflikte aufbrechen“. Infolge drohten „soziale Unruhen und im schlimmsten Fall ein an Brutalität nicht zu überbietender Bürgerkrieg, der unterschiedliche soziale Schichten und Ethnien zu erbitterten Feinden macht“. Am Tag, an dem Europa „numerisch und/oder administrativ hinter den Migrationsvordergrund“ trete, werde der Kontinent „dann brennen und die Europäer sind das Holz“, so die Zukunftsprognose, die nicht viel Spiel läßt.

In der EU sieht er Geheimkräfte am Werk (z.B. Bilderberger, Lobbyisten), der Europäische Stabilitätsmechanismus sei ein „Umbau Europas in einen Zentralstaat nach Sowjetvorbild“, geplant in „Geheimdokumenten des UdSSR-Politbüros“. Aber vielleicht ist das auch schon egal, denn Europa sei sowieso in seiner „letzten Phase, der Niedergangsphase“ und als Zukunftsperspektive gäbe es nur noch zwei Möglichkeiten: einen „würdevollen Alterungsprozesses, der den Leistungen dieser unserer Kultur gerecht wird, oder aber durch einen rohen, gewaltvollen Verdrängungsprozeß, indem wir jene, die uns ans Fell wollen, auch noch einladen, dies aus dem Inneren zu tun, wie die Wespenlarve die Made langsam von innen zerfrißt“.

Familien-Blues

Während zugewanderte Familien sich staatliche Eingriffe ins Familienleben gewaltsam verbieten würden – „Denn kein Clan aus aggressiv archaischem Milieu würde diese ‚äußere Einmischung‘ akzeptieren. Das zuständige Jugendamt wäre binnen kurzem umstellt und ginge möglicherweise in Flammen auf“ – , hätten Familien der „konfliktscheuen, verwöhnten, überalternden, chronisch von tausenden Reizen überfluteten und abgelenkten Mitteleuropäer“ längst nicht mehr soviel Brio: der Österreicher ist „von fortschreitender Sippenauflösung verunsichert, in Autoritätshörigkeit und Duldsamkeit geschult“.

An der beabsichtigten Verewigung dieser Misere arbeiteten„Zerstörungsprediger“ des Gender-Mainstreaming, welche die Kinder vorsätzlich in die geschlechtslose Lebensuntauglichkeit trieben. Laut Howanietz weichen deren Lehren vom „evolutionären Konzept, das sich an biologischen Gegebenheiten orientiert“, der „von keiner anderen Emotion überragbaren Mutter-Kind-Bindung und des mütterlichen Brutpflegetriebes sowie des Vaters als Versorger und Beschützer der Familie“, ab. Burschen fehlten durch die „Verweiblichung“ ihres Erziehungsumfelds „maskuline Prinzipien wie Abgrenzung, Außenausrichtung oder Durchsetzung“ und müssten dieses Defizit u.a. durch „Kindesmißhandlung und amoklaufendes Aggressionsverhalten“ ausgleichen. Kindern mangele es an Vorbildern, die „soldatische Tugenden“ vermitteln, und an einem familiären Umfeld, in dem „Ehre“ und „Treue“ noch nicht als Schimpfworte verkommen sind.

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Prominenter Herausgeber und Vorwortschreiber

Aber auch für weibliche Lebensentwürfe sieht es trist aus: „Die Schaffung eines dritten Geschlechts, der ‚Frau, die ihren Mann steht‘, wirft ebenso große Hürden für Mädchen auf, sich mit dem als reaktionär stigmatisierten, in ihrem Innersten aber naturgemäß verankerten Wunsch, fürsorgliche Mutter zu sein, zu identifizieren“. Und weiter: „Das beglückende Wunder der Mutterschaft wurde erfolgreich persifliert, sodaß manche junge Dame ihre zunächst gewollte Schwängerung bald für einen sexistischen Übergriff hält. Mindestens aber für ein untragbares Hindernis auf dem Weg zu Selbstverwirklichung“.

Letztendlich stehen sich beide Geschlechter geschädigt in einem lädierten Patt gegenüber: „Die von feministischem Dekonstruktionsehrgeiz zur selbstverwirklichungsverpflichteten Geburtsscheinmutter umdefinierte Frau sehnt sich unverändert nach einem ganzen Kerl, der ihr alle die emotionalen und ökonomischen Sicherheiten gibt, die eine junge Mutter braucht, um sich mit weitgehend sorgloser Hingabe dem Nachwuchs zuwenden zu können“, aber „der vom Thron des Familienoberhaupts gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die, trotz hipper den-Mädels-gehört-die Welt-Journale, in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt“. Rien ne va plus. Außerhalb der Brutpflege findet man im Buch keine weiteren Vorschläge passender Aktivitäten für souveräne Frauen.

Politische Neo-Paläo-Schlankheitskur

Seine Lösungsstrategien findet Howanietz ironischerweise beim Gegner: „die selbsternannten Eroberer des Abendlandes […] sind uns in maßgeblichen Facetten ihrer Lebenstüchtigkeit um Welten überlegen“, stellt er fest. Mit „Facetten“ meint er „straffe Glaubensausrichtung, Kinderreichtum, Zugehörigkeits- und Sendungsbewußtsein“. Er fürchtet die archaische Überlegenheit der „zugereisten Warlords“, möchte aber die Gesellschaft selbst nach gleichem Vorbild umgestalten.

Howanietz sieht den Menschen „in seinem innersten Schaltplan immer noch nach Steinzeitprägung“ funktionieren, gibt die Parole „Archaisch siegt!“ aus und rät zur Rückkehr in eine ländlich-wehrbäuerliche Lebensweise in Kleinverbänden: „Die Politik hat den Bürgern das bäuerlich inspirierte Landleben schmackhaft zu machen“. „Kleinstrukturierte Landwirtschaft“ sei das „einzige zuverlässige Zukunftsmodell“.

Der Bezirksrat befürchtet „Das Stadtleben befördert die Entmenschung“, versichert dennoch großzügig , dass aber niemand erwarte, dass „Städte geschlossen werden“. Zur Verbesserung empfiehlt er aber Anleihen bei der Tierwelt: „Der verinselte Großstadtmensch könnte hier viel von den Singvögeln lernen. Sie stellen sich in ihrem sogenannten Morgenchor nicht nur selbst der Nachbarschaft vor, sondern lernen diese gleichzeitig auch kennen“.

Wirtschaftlich sei es lebensnotwendig das Handwerk zu fördern. Schuster, Tischler und Schmiede seien Schlüsselkräfte, da deren Reparaturfähigkeiten nach dem Kollaps der Überflussgesellschaft vonnöten. Banalmarxistisch analysiert Howanietz, dass der Arbeiter mit dem Endprodukt seiner Arbeit kaum noch in Berührung käme, und in Handwerk und Gartenpflege fände der „Produktionsschrittbegleiter“, der „Industrieroboter“ wieder zurück in eine erfüllte, souveräne Existenz. Tourismus kommt im Text nur als Negativbeispiel vor: als ein „Straßenstrich des globalisierten Menschenflusses“ und „ein Fremdenverkehrsland ist leichter als Einwanderungsland zu deklarieren“. Detto neue Kommunikationstechnologien: mehr als „fehlgeleitete Internetjunkies“ und „systemimmanente Manipulations-und Suchtgefahr“ findet sich nicht.

Howanietz spräche sich für „mehr Bildung“ aus, argumentiert aber dennoch ungeniert mit Esoterischem: „Der menschliche Körper kann auf feinstofflicher Ebene aus der nachbarschaftlichen Nahrung mehr gewinnen als aus der von weit her importierten“. Oder auch: „Die Qualität des Wassers kann vom Bewußtsein gesteuert werden“, „Wer sein Glas Wasser mit der Erwartung füllt, mit jedem Schluck ein Stück Gesundheit zu trinken, wird das Wasser entsprechend beeinflussen“. „Dauermeditieren“ müsse, wer die „tägliche Sturmflut an negativen Medieninhalten“ erfolgreich „durch postitive Visualisierungen“ abbauen wolle.

Entschieden weniger harmonisch malt er sich die Zukunft der heute noch regierenden Politiker aus, jener, die „nicht reagieren, wie sie müßten, um die Revolte abzuwenden“. Sie verdienten „nichts anderes als vom Sturm der Entrüstung hinweggefegt zu werden“. Die „Auswahl der [neuen] herrschenden Klasse“ habe sich aber „an anderen Direktiven zu orientieren, als sie das heute tut“, um nicht wieder in einem „Parteienstaat, in dem gnadenlos die Interessen teilkorrumpierter Eliten regieren“ zu enden. Ähnlich den „naturgegeben Rollenbildern“ der Familienpolitik verfügt Howanietz, dass „der Mensch nicht ermächtigt ist, künstliche Ordnungen über Naturgesetze zu stellen“, Bevölkerung und Politik hätten dem „Primat der Werteerhaltung einhellig zu folgen“ und Das Gegenteil von Einigkeit ist der Zerfall“. Gleich ganz am Anfang konstatiert er selbstherrlich „Ich weiß, was Österreich ausmacht“.

Demokratie sei nur ein „geeigneter Rahmen für kleine Einheiten“, daher sei internationale Kooperation auf bilaterale Verträge, den Austausch von Überschüssen und gelegentliche (Zwangs-)Zusammenarbeit im Katastrophenfall – „situative internationale Zusammenarbeit“ nennt er es – zu reduzieren. Um sein Gegenmodell zu „europäischem Einheitsstaat“ zu illustrieren, zitiert Howanietz einen Risikoforscher: „Kleine Einheiten, die sich im Wettbewerb gegenseitig stressten, wären überlebensfähiger“.

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Wenn Satire und Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind…

Im Anschluß entwickelt Howanietz eine regelrechte Dominotheorie des Rückschritts: die Nachbarländer würden – vom Erfolg des archaisch-isolationistischen österreichischen Vorbild beeindruckt – nach und nach auf gleichen Kurs einlenken. In Gegensatz zur Politik der Abgrenzung in der näheren Umgebung stehen seine Ideen für die „Dritte Welt“: der „fortgesetzten Massenproduktion von Kindern“ müsse man Einhalt gebieten, „indem Eltern vorab den Nachweis zu erbringen haben, die von ihnen in die Welt gesetzten Kinder auch mit allem Lebenswesentlichen, auf emotionaler und Güter-Ebene, ausreichend versorgen zu können“ – zusammengefasst: internationale Prä-Parental-Diagnostik statt Fairtrade und Entwicklungshilfe.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schreibt im Vorwort, das Buch skizziere die Probleme, „vor denen wir heute stehen“, die Österreich an der Verwirklichung der FPÖ-Ziele hinderten, es illustriere Wege aus dem „Korsett“. Im zweiten Vorwort von Norbert Hofer, dem Herausgeber, steht, beim Lesen erkenne man, dass die „Politik in unserem Land die falschen Fragen gestellt hat“, es sei aber „nicht zu spät die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen“.

Howanietz möchte „fremde Einflüsse“ nur in „verträglichen, homöopathischen Dosen“ in eine Gesellschaft lassen. In vergleichbar nicht-vorhandener Konzentration finden sich realpolitisch durchführbare, konkrete Vorschläge im Buch von Norbert Hofer und Michael Howanietz. Es wird moralisiert, verschwörungstheoretisiert und schwarzgemalt vor apokalyptischer Kulisse. Wo „Maßnahmen“ gefordert werden, werden diese selten konkretisiert, sondern bloß blanko gefordert. Anstatt beklagt Howanietz, in neuer rechter Opferrolle eingelebt, man würde „fremdenfeindlich“ geheißen, wenn man klar mache, dass „das Hemd näher ist als die Hose“, und es habe das „Demokratieverständnis der ‚linken Reichshälfte‘ Konservative für vogelfrei erklärt“. Der Text liefert zum größten Teil die üblichen Gemeinplätze (Gurkennormierung) und manchmal niedlich-unsinnige Ulkigkeiten (Heimatliebe habe zur „Amtssprache künftiger Politik“ zu werden). Übrig bleibt man mit der Frage: Sind politische Weichenstellungen, die wie selbstverständlich von Bürgerkriegsausbrüchen und weiterem gesellschaftlichem Zusammenbrechen ausgehen, wirklich die richtigen? Vielleicht wird sich Österreich tatsächlich noch wundern müssen, was alles möglich ist.

M.M.

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