Heute, am 06.08.19, wurde eine Wohngemeinschaft in Dubliner Straße 8 in Berlin-Wedding zwangsgeräumt – allerdings nicht ohne Widerstand. Die WG kämpft seit vier Jahren zusammen mit linksradikalen Stadtteilgruppen für ihre Wohnung. Was hat es gebracht und welche Konsequenzen können gezogen werden?
Mobilisiert hat die WG auf jeden Fall, auch zur heutigen
Zwangsräumung. Schon Tage zuvor waren im Wedding überall Plakate zu
sehen. „Zwangsräumung stoppen“ als Aufruf, am 06. August um 6
Uhr morgens zur Dubliner Straße 8 zu kommen und die Räumung zu
verhindern. Auch online wurde auf allen Kanälen mobilisiert, die man
sich vorstellen kann: Homepages verschiedener Gruppen, auf
de.indymedia.org, Facebook und Twitter. Aber auch kiezübergreifend
ist die Dubliner 8 bekannt. So mobilisierte zum Beispiel auch die
geräumte Friedel54
. „Man darf nicht vergessen: die meisten halten solche Prozesse
nicht ewig durch und ziehen lieber aus, als sich den ewigen Stress
mit den Eigentümern zu geben. Die WG in der Dubliner aber kämpft
entschlossen und antikapitalistisch seit vier Jahren. Das finden
viele toll und deswegen unterstützen auch so viele.“, so Alex vom
Bündnis Zwangsräumung verhindern.
Stress haben die Bewohner*innen der seit 2010 bestehenden WG schon
lange: 2012 wurde das Haus an die italienische Briefkastenfirma
„Großvenediger GmbH“ verkauft, darunter ist seit 2014 die
Martina-Schaale-Hausverwaltung zuständig. Seitdem musste sich die WG
immer wieder mit falschen Betriebskostenabrechnungen, absurden
Vorwürfen und mehreren fehlerhaften Kündigungen herumschlagen.
„Zunächst kämpften wir gegen die Eigentümerfirma und die
Hausverwaltung. Allein das war schon anstrengend.“ so Flo, einer
der Bewohner der Dubliner 8.
Der Rechtsanwalt der Briefkastenfirma Hans Georg Helwig hatte
schon in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, was er damit meint,
wenn er auf seiner Homepage mit “kreativen rechtlichen Lösungen”
wirbt. So verklagte er die WG zum Beispiel wegen einer vermeintlich
unzulässigen Mietminderung. Diese erfolgte, weil ein Wasserschaden
nicht behoben wurde. Vor Gericht meinte Helwig anschließend, dass
die Mietminderung zwar zulässig war, sie aber in den darauffolgenden
Wochen nicht dem Abtrocknungsgrad des Wasserschadens angepasst worden
sei. Die WG wurde daraufhin zu einer Räumung zum 25.04.18
verurteilt, das Urteil wurde aber wegen schwerer Rechtsfehler in der
Berufung aufgehoben und die Räumung kurzerhand wieder abgesagt.
Helwig blieb weiterhin kreativ.
So behauptete er nun, dass die WG gar keine WG sei, sondern eine
“Personenmehrzahl”. Während man in einer WG die
Mieter*innen selbstständig wechseln kann, bedeutet ein Wechsel bei
einer Nicht-WG eine “unerlaubte Überlassung der Wohnung an
Dritte” – und ist dadurch ein Kündigungsgrund. Richter
Reifenrath bestätigte den gegnerischen Anwalt darin, dass die vier
jungen Menschen in der Wohnung keine WG seien. Reifenraths
Begründung: bei zwei Frauen und zwei Männern in einer Wohnung
handle es sich ganz klar um Paarbeziehungen. Diese konservative
Vorstellung von Beziehungen führte schließlich zum Räumungstitel.
Den Stress mit Eigentümer, Hausverwaltung und Justiz macht die WG
seit vier Jahren öffentlich und bettet sie durch die Zusammenarbeit
mit dem Bündnis „Zwangsräumung
verhindern“ und der linksradikalen Stadtteilinitiative „Hände
weg vom Wedding“ in antikapitalistische Stadtteilkämpfe ein.
„Eigentlich war alles dabei, was man sich vorstellen kann.
Menschen haben im Kiez plakatiert und geflyert, ständig auf unsere
Situation aufmerksam gemacht. Wir haben an vielen Demonstrationen und
öffentlichen Veranstaltung teilgenommen, zum Beispiel auch beim dem
Lauf ‚Run for Rebels‘. Dieser wurde von der Radikalen Linken
Berlin (RLB) organisiert und ging an vielen bedrohten Projekten und
Wohnungen vorbei. Wir waren mit einem Stand vertreten. Insgesamt
haben wir viel Zuspruch, vor allem von der Nachbarschaft, bekommen.“,
so Flo. Eine besondere Aktionsform: die Online-Soap „Verdrängt
in Berlin“. Sie dokumentiert all die Einzelheiten rund um die
WG, die Vermietung und Hausverwaltung und deren Zusammenarbeit mit
dem staatlichem Repressionsapparat. Denn diesen bekommt die WG, seit
sie ihren Stress mit dem Eigentümer und der Hausverwaltung zusammen
mit antikapitalistischen Gruppen öffentlich macht, auch deutlich zu
spüren. „Am 30.04.19 gab es zum Beispiel im Rahmen der Organize
Demo eine Kundgebung vor unserem Haus. Das ganze Haus war von einer
Polizeikette umstellt.“ Aber nicht nur bei Demonstrationen, wo die
Präsenz von Polizist*innen schon Normalität geworden ist, war die
WG mit ihnen konfrontiert.
Als die angedrohte Räumung zum 25.04.2018 zwei Tage vorher
abgesagt wurde, veranstaltete die WG in Freude darüber vor ihrem
Haus ein gemeinsames „Käffchen statt Räumkommando“. Nicht
eingeladen, trotzdem vor Ort: uniformierte Bullen, welche die
Aktivist*innen und solidarischen Nachbar*innen stundenlang beim
Kaffeetrinken beobachten. Im Innenhof des Hauses waren die
Beamt*innen auch schon mal, „wahrscheinlich, um sich für die
Zwangsräumung vorher die Lage anzuschauen“. Flo sieht sich seit
der intensiven Stadtteilarbeit auch mit vielen Anzeigen konfrontiert.
Die Vorwürfe: „eine Anzeige wegen angeblicher Verleumdung durch
Verbreitung eines Plakats, eine weitere wegen geklebten
DIN-A4-Zetteln an Haustüren. Das Klebeband soll wohl Rückstände an
den Türen hinterlassen haben, woraus eine Sachbeschädigung
konstruiert wurde. Die meiner Meinung nach lächerlichste Anzeige war
wegen Hausfriedensbruch. Die Hausverwaltung hatte uns wegen
Betriebskosten betrogen, weswegen wir direkt zu ihnen gingen. Sie
ließen uns rein, aber als ich nach den Betriebskostenbelegen fragte,
rief sie die Polizei und erstattete Anzeige. Die wurde auch
angenommen.“
Die WG ist der Hausverwaltung und den Repressionsbehörden offensichtlich ein Dorn im Auge, weshalb, lassen sie auch durchsickern: im Zuge der Anzeige wegen Sachbeschädigung bekam Flo im Dezember 2017 von der Polizei eine schriftliche Befragung zugesandt. In dieser wird er nach seiner Beziehung zur linksradikalen Gruppe „Hände Weg vom Wedding“ gefragt.
Eindeutig: wenn linksradikale Gruppen eng mit der Nachbarschaft,
wie in dem Fall der WG der Dubliner 8 zusammen arbeiten und von
dieser auch viel Zuspruch erfahren, stellt das eine Bedrohung für
den Staatsapparat dar. Anders ist die Aufdringlichkeit der Bullen
nicht zu erklären. „Umso mehr wir mobilisieren und mit
antikapitalistischen Perspektiven in die Nachbarschaft reingehen,
desto mehr betreibt natürlich auch die Gegenseite, um uns im Keim zu
ersticken“, so Alex von dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“.
Heute ist der Tag, an dem diese Mobilisierung und intensive Arbeit
von vier Jahren um 6 Uhr zusammentrifft in Form von über 100
Menschen, die sich gegen die Zwangsräumung wehren wollen. Die
Gerichtsvollzieherin hat sich um 7 Uhr angekündigt. „Unsere
Erfahrung ist aber, dass es besser ist, früher da zu sein. Sonst
machen die Bullen vielleicht alles um sieben dicht, dann kommt man
nicht mehr zum Haus und kann nicht blockieren“, so Alex. Es gibt
eine angemeldete Kundgebung direkt am Eingang der Dubliner Straße 8
mit bis zu 30 Demonstrant*innen, zwei Sitzblockaden vor Eingängen in
der Glasgowerstraße, jeweils mit etwa 20-30 Blockierenden. „Wir
sitzen hier, weil wir denken, dass die Bullen und die
Gerichtsvollzieherin über die Eingänge zur Wohnung wollen.“, so
eine Aktivistin in den Blockaden.
Vor Ort sind anfänglich nur wenige Polizist*innen, sowie
allerdings die Zahl Demonstrant*innen steigt, kommen auch immer mehr
Einsatzfahrzeuge und Wannen dazu. Zwischenzeitlich sind sieben
Einsatzfahrzeuge und fünf Wannen vor Ort. „Fast eins zu eins
Betreuung hier“, kommentiert ein Aktivist. Von Anfang an mit dabei:
Zivilkräfte vom Staatsschutz, der PMS („Politisch Motivierte
Straßengewalt“), welche das Geschehen beobachten . Die PMS-Einheit
umfasst etwa 60 Polizeibeamt*innen zur Überwachung, Verfolgung und
Einschüchterung politischer Aktivist*innen. Wer bei einer Demo von
ihnen ins Visier genommen wird, kann später in der Datei
„Straftäter-Links“ auftauchen. Angesicht der sehr freidlichen
Proteste vor der Dubliner Str. 8 völlig absurd. Zwar dröhnt es
durch die Lautsprecherboxen laut und kämpferisch, von einer
Gewaltbereitschaft kann aber weder bei der angemeldeten Kundgebung
noch bei den Sitzblockaden ausgegangen werden.
Unter den
Demonstrierenden sind linke Aktivist*innen, sowie Nachbar*innen–
der Protest ist vielfältig. Sie sind laut und wütend, mit vielen
Parolen, Transparenten und Schildern gekommen und machen mit Pfannen
und Kochlöffeln Lärm. „Nicht wir sind kriminell, sondern das
System, was solche Schweinereien wie heute hier zulässt!“ dröhnt
es vom Lautsprecher.
Es zeigt sich wieder einmal, dass es nicht einmal konfrontative
Aktionsformen braucht, um die Staatsgewalt im Nacken zu haben. So
wird auch die gewaltfreie Sitzblockade um 6:35 Uhr von den Bullen
angegriffen. Allerdings ziehen diese auch schnell wieder ab, nachdem
die Blockierenden lautstark demonstrieren. „Insgesamt wirken die
Bullen heute ganz schön verwirrt. Vielleicht können die hier im
Wedding nicht mit so etwas umgehen? Auch ist ihre Präsenz im
Vergleich zu einer Zwangsräumung in Kreuzberg nicht so stark“, so
Alex.
Allzu verwirrt scheinen sie dann aber doch nicht zu sein. So wie
sich Flo damals schon dachte, dass die Polizei den Innenhof der
Dublinerstr. 8 ausspäht, um sich über mögliche Wege zur Wohnung zu
erkunden, bestätigt sich diese Vermutung heute. Gegen 7:20 Uhr, also
kurz nach Ankündigung der Gerichtsvollzieherin, verschafft sich
diese mitsamt Polizeiunterstützung einen völlig anderen Zugang zum
Haus als die Blockierten. „Alle Innenhöfe zwischen der Dubliner
und der Parallelstraße sind miteinander verbunden, beziehungsweise
nur abgetrennt durch Zäune“, erklärt ein Aktivist vor Ort. So
wird ein Maschendrahtzaun von den Bullen zerstört, die
Gerichtsvollzieherin nutzt einen Eingang der Parallelstraße und
räumt zusammen mit der Polizei gegen 7:30 Uhr die WG.
Die Räumung bleibt nicht unkommentiert. Gegen 8 Uhr zieht
anschließend eine Spontandemonstration durch den Kiez Richtung
Leopoldtplatz. Auch hier sind die Leute laut und wütend. Die
Nachbarschaft wird über den Lautsprecher auf die Räumung
hingewiesen, was Wirkung zeigt. Trotz der Uhrzeit schließen sich
einige Passant*innen an und laufen bis zum Endpunkt mit.
Obwohl die WG heute geräumt wurde und in der Vergangenheit
Repression erfahren musste, bereut sie ihren Kampf nicht, im
Gegenteil. Es hat sich gezeigt, dass linksradikale nachbarschaftliche
Organisierung sehr viel bringen kann. „Ein Mal stand auf einem
„Verdrängt in Berlin Plakat“ mit Kuli geschrieben: ‚Weiter so
– ihr seid stark!‘. Auch die Unterstützung und der Zuspruch beim
Flyern war viel größer als wir dachten, was uns Mut gemacht hat.
Ganz viele berichteten von eigenen Problemen durch die
Gentrifizierung und haben uns Unterstützung zugesagt. Das fand ich
cool!“., so Flo.
„Antikapitalistische Perspektiven müssen aber noch viel mehr in
die aktuelle Mietenbewegung einfließen.“, so Alex. Diese sind im
Wedding durch die WG der Dubliner. 8, dem Bündnis „Zwangsräumung
verhindern“ und „Hände weg vom Wedding“ heute auf jeden Fall
schon einmal angekommen. Für zukünftige antikapitalistische und
herrschaftsfeindliche Kämpfe, welche nicht in der linken Blase
verharren wollen, kann das nur vom Vorteil sein. Linksradikale
Stadtteilarbeit und nachbarschaftliche Organisierung sind bitter
nötig. Laut dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ gibt es in
Berlin jährlich 5.000 Räumungsurteile, 30.000 Menschen leben in
Notunterkünften, 10.000 auf der Straße. Aktuell sind Alex, Cora,
Diesel A, Gerald, die Habersaathstraße, Lene, die Meuterei, Munir,
der Oranien-Späti, die Potse, die Liebig 34, die Reiche 73 und das
Syndikat von Zwangsräumung bedroht, wobei dass nur diejenigen sind,
welche ihre Situation öffentlich gemacht haben.
Aber auch berlinweit werden, angesichts dieser zuspitzenden
Wohnungspolitik, linksradikale antikapitalistische Positionen lauter.
Kiezkommunen bilden sich, Aktivist*innen besetzen leere Häuser und
Wohnungen, in Kreuzberg verhinderten Kiezinitiativen weltweit zum
ersten Mal einen Google Campus und die Zahl der militanten Aktionen
gegen Verdrängung und in Solidarität mit bedrohten Projekten nimmt
stetig zu. „Für tatsächliche Veränderungen ist ziviler
Ungehorsam notwendig. Davon braucht es auf jeden Fall noch mehr!“,
so Alex.
Am Beispiel der Dubliner 8 zeigen sich beide Seiten wachsender
linksradikaler Kämpfe: Wenn antikapitalistische Perspektiven in die
Mietenbewegung einfließen, fühlt sich der Staat bedroht, „denn
man könnte ja ein gemeinsames Klassenbewusstsein entwickeln und
damit die herrschende kapitalistische Ordnung in Frage stellen, sich
gegen sie organisieren und rebellieren“, sagt Alex zwinkernd.
Infolgedessen schwingt der Staat die Repressionskeule, um es gar
nicht erst zu einer Organisierung kommen zu lassen. Und manchmal
funktioniert diese Keule auch ganz gut. „Durch die zunehmende
Repression nehmen an unseren Aktionen zivilen Ungehorsams immer
weniger Leute Teil. Da merkt man dann leider schon, dass deren
Strategie ganz gut aufgeht“, so Alex.
Die WG ließ und lässt sich aber nicht einschüchtern. „Wir
machen auf jeden Fall weiter. Solange, bis alle in dieser Stadt leben
können, unabhängig von ihrem Geld auf dem Konto.“
#Titelbild: Spontandemonstration nach der Zwangsräumung zum
Leopoldtplatz