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Während die Weltöffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit den Krieg in der Ukraine verfolgt, sieht der türkische Diktator Erdogan die Chance auf einen neuen Einmarsch in Syrien. Hier in den selbstverwalteten Gebieten Nordost-Syriens laufen die Verteidigungsvorbereitungen auf Hochtouren. Und die Linke in Deutschland?

Mit einem Lappen wische ich das letzte Körnchen Staub von meinem Maschinengewehr. Blitzblank ist es nun, bereit, um die Menschen hier gegen einen erneuten Angriffskrieg Erdogans und seiner jihadistischen Banden zu verteidigen. Später sitze ich bei kurdischen Revolutionsliedern mit meinen Genossen von unserer internationalistischen Einheit am Feuer. Wir alle denken an die nächsten Tage. Ich weiß, dass er kommen wird, der Angriff. Erdogan braucht den Krieg. Er hat die Türkei in den letzten Jahren in eine tiefe ökonomische Krise getrieben und versucht nun mit seinem Krieg gegen Rojava davon abzulenken. Im Anschluss will er vorgezogene Wahlen abhalten und hofft durch den militärischen Sieg doch noch, an der Macht zu bleiben.

Vor knapp zehn Jahren entfaltete sich in Rojava eine Revolution auf Basis von Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie. Eine Region, in der heute Kurd*innen und Araber*innen mit allen anderen Völkern friedlich zusammenleben. Mit ihrem Modell der Selbstverwaltung durch Räte stellt die Revolution eine enorme Hoffnung für die Völker der Region, aber auch weltweit dar. Das war der Grund, warum ich mich vor mehren Jahren auf den Weg gemacht habe, mit den Menschen hier diese Errungenschaften zu verteidigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur ein System, in dem die vielen verschiedenen Völker gleichberechtigt zusammenleben und in dem Frauenbefreiung eine zentrale Säule darstellt, in dieser Region eine positive Veränderung bringen kann. Während die Kriegsrhetorik Erdogans jeden Tag lauter wird, treffen wir (YPG-Kämpfer*innen) alle nötigen Vorbereitungen für einen neuen Angriffskrieg durch die Türkei. Erdogan betreibt eine Art Kuhhandel: Für den Beitritt Schwedens und Finnlands in die NATO, fordert er grünes Licht für seinen Angriffskrieg.

Ich weiß, was auf dem Spiel steht. Die letzten Angriffskriege der Türkei gegen Nordost-Syrien 2016, 2018 und 2019 haben nicht nur viel Tod und Vertreibung gebracht, in den besetzten Gebieten wird bis heute täglich von Gräueltaten, durch die von der Türkei unterstützen Jihadisten berichtet. Viele von ihnen sind ehemalige IS oder Al-Nusra Kämpfer. Deswegen ist es auch keine Überraschung, dass die letzten beiden Anführer des IS sich dort versteckt hatten. Ich fühle auch die Verantwortung. Ich schätze mich glücklich, Teil dieser Revolution sein zu dürfen. Das heißt aber auch, dass ich für geselschaftlichen Wandel bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Eigene Schwächen zu überwinden. Und mit fester Überzeugung für die Werte Rojavas zu kämpfen. Ein gesellschaftlicher Aufbruch, der Menschen weltweit Hoffnung gibt, dass ein anderes Leben möglich ist. Doch dieser Angriff, so die türkische Propaganda, soll über die gesamte Grenzlänge einen 30 km tiefe Zone besetzen. Das wäre das Ende Rojavas.

Ich frage mich, was die Linke in Deutschland machen wird? Während auf die letzten beiden Angriffskriege mit ein paar kleineren Demonstrationen und Aktionen reagiert wurde, konnte sie den Krieg nicht verhindern. Jetzt aber geht es um die Frage des Fortbestehens der Revolution. Um Sein oder Nicht-Sein. Eine internationalistische Revolution muss international verteidigt werden. Daher kann ich in diesem Moment, kurz vor dem Sturm, nur an alle appellieren, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden. Was werdet ihr im Falle einer Niederlage dieses einmaligen gesellschaftlichen Aufbruchs hier, der zukünftigen Generation erzählen?

Und wenn sich viele fragen, was sie eigentlich Rojava interessieren soll? Liegt doch in Syrien. Ist weit weg. Dann kann ich nur antworten: Rojava zeigt allen von uns, dass eine andere Welt möglich ist. Schon allein die Hoffnung, die von der Existenz dieser Revolution ausgeht, gibt Menschen weltweit enorme Kraft und Stärke.

Ich habe mir geschworen, dem Faschismus keinen Fußbreit kampflos zu überlassen. Weder dem deutschen, dem türkischen, noch dem des IS. Mir ist aber auch klar, dass wir ihn nur gemeinsam besiegen können. Ich schultere meine Waffe, um mich dann an den Ort zu begeben, an dem ich in den kommenden Tagen den Vormarsch des Feindes erwarten werde. Dabei frage ich mich, was wirst du machen, wenn der türkische Einmarsch gegen Rojava beginnt?

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„Serê cîlo çarçella
Benda te me ey Zagros
Baranek hûr hûr barî
Mervanê’m şehîd ketî“

Wenn Genossen und Genossinnen fallen tut das weh. Tausende Emotionen, Erinnerungen, Versatzstücke kommen hoch, ziehen an den Augen vorbei. Und heute ist genau so ein Tag.

Heval Serfiraz Nîdal ist am 10. April 2022 in Rojava nach Kampf gegen eine Krebserkrankung von dieser Welt gegangen.

Wenn ich mich mit Genossen und Genosssinnen über Gefallene unterhalte kommt manchmal die Frage auf, ob man viel Zeit gemeinsam verbracht habe, sich besonders intensiv kennen würde. Denke ich an Heval Serfiraz müsste ich auf den ersten Blick wohl beide Fragen verneinen. Gerade einmal vier Wochen begegneten wir uns, kannten uns nicht aus unseren Kindheitstagen oder gemeinsamer politischer Organisierung.

Revolutionen sind mächtig. Sie bringen tausende Dinge hervor, das Gute, das Schlechte und das Unbestimmte. Und die Revolution in Kurdistan hat ihren Beitrag dazu geleistet, dass sich die Wege von mir und Heval Serfiraz in Rojava kreuzten, für 28 Tage. Und 28 Tage gemeinsam in einer Revolution zu kämpfen, zu leben, zu lachen und zu weinen sind intensiv, lehrreich und unvergesslich.

Die Märtyrer sterben nicht. All diejenigen, die länger mit der kurdischen Freiheitsbewegung und revolutionären Organisationen weltweit zusammengearbeitet haben kennen diesen Satz. Er ist weit mehr als eine Floskel oder pathetisches Gerede, denn der Satz drückt eine grundlegende philosophische Annäherung an das Leben selbst aus. Denn Märtyrer sterben deshalb nicht, weil die Militanten sie weiterhin in ihren Herzen tragen und in ihren Handlungen, Werte und Prinzipien repräsentieren. Dabei geht es nicht um einen Todeskult. Denn wie es viele Revolutionär:innen bereits gelebt haben, lieben wir das Leben so sehr, dass wir bereit sind dafür das eigene Leben zu geben.

Heval Serfiraz war unser Kommandant für den Frontabschnitt an welchem wir im Februar 2021 eingesetzt waren. Wir waren drei Freunde, Internationalisten, welche im Februar noch etwas unsicher in dem Dorf eintrafen, in welchem Serfiraz uns in Empfang nahm und welches für die kommenden Wochen unser Zuhause wurde.

Was uns allen direkt auffiel war die Wärme und der unglaublich gute Humor unseres Verantwortlichen und das in einer Situation in der uns zuerst nicht zu Lachen zu Mute war. Die türkische Armee und ihre dschihadistischen Söldnertruppen hatten sich seit ein paar Wochen wortwörtlich auf das kleine Dorf festgeschossen, welches von kurdischen, assyrischen und arabischen Kämpfern verteidigt wurde.

Eines Abends war ich zur Nachtwachse gemeinsam mit Serfiraz eingeteilt. Meine erste an diesem Abschnitt und es lag ein Schleier dichten Nebels über dem Gebiet. Kein gutes Wetter, sofern man davon ausgeht ein Angriff könnte stattfinden. Meine Hände waren schwitzig, mein Körper angespannt und ich versuchte Krampfhaft die tausenden Geräusche zu unterscheiden. Serfiraz legte seine Hand an meine Schulter und sagte, dass Angst ein normales Gefühl sei, es ginge aber darum sie steuern zu können. Heval Serfiraz schaffte es mit nur wenigen Worten genau die Ruhe zu erzeugen die es an einem Ort wie der Front braucht, unterschätzte die Lage aber auch nicht. Er verstand es sehr gut eine militante Führung im Alltag und organisatorisch zu entwickeln. Das notwendige Gleichgewicht aus Zärtlichkeit, Zugewandtheit und notwendiger Härte. Allen und vor allem auch sich selbst gegenüber.

Es regnete viel in diesen Tagen, das Dorf glich einem Moor, so tief sanken wir teilweise in den Schlamm ein. Er ließ es sich dennoch nie nehmen, einen tägliche Rundgang zu machen, jede Position und jeden Freund einmal am Tag zu sehen und sich nach deren Befinden zu erkundigen. Serfiraz war zwar unser Kommandant, aber er delegierte nicht nur arbeiten, sondern packte selbst da an wo es notwendig war, für keine Arbeit war er sich zu schade.

Er hatte das große Talent militärische Disziplin mit menschlicher Art und Weise zu leben. Es gab kaum einen Abend, an welchem wir nicht zusammen saßen, Tawla spielten, dutzende Teegläser leerten, an manchen Tagen gemeinsam aßen an anderen gemeinsam nichts aßen oder in der feuchten Erde froren. Serfiraz sprach drei Sprachen, kurdisch, türkisch, arabisch. Denn auch für ihn war die Sprache ein Schlüssel zur Welt, zumal in unserer Einheit wirklich die gesamte Sprachbreite Rojavas repräsentiert war, und die Sprache des Gegenübers zu erlernen bzw. zu sprechen war für ihn eine wichtige Geste des gegenseitigen Respekts. Für mich legte er damit eine große Wertschätzung den eigenen Genossen gegenüber an den Tag, da er selbst bereit war neues zu lernen um sie zu verstehen, er ging nicht davon aus, dass alle ihn verstehen müssten.

Heval Serfiraz war ein sehr neugieriger Mensch, er wollte alles Wissen, über die Lage der revolutionären Kräfte in Europa, über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Vor allem aber begrenzte sich sein Interesse nicht lediglich auf die „harten“ politischen Fragen. Wir diskutierten über den Einfluss von Mode, Popkultur und Musik auf die jeweiligen Gesellschaften. Und Heval Serfiraz hatte eine Eigenschaft, die uns allen als Militante leitend sein sollte: Er schämte sich nicht zu fragen, wenn er etwas nicht wusste oder verstand. So saßen wir teilweise Abende zusammen und übersetzten gemeinsam die Bedienungsanleitungen notwendiger Gerätschaften vom englischen ins kurdische und anschließend ins arabische oder türkische. In all diesen Erinnerungen bleibt für mich immer besonders prägend, dass er bei weitem kein Dogmatiker war. Unsere Diskussionen reichten von Lenins Imperialismustheorie, der Rolle Stalins, Neuerungen in den Programmen der weltweiten kommunistischen Parteien, Diskussionen mit einem anarchistischen Genossen über die Ukraine und Machno, über unsere Lieblingsrezepte unserer jeweiligen Küchen bis hin zur zentralen Rolle der LGTBIQ-Bewegung bei den Gezi-Protesten in der Türkei.

Er war ein wandelnder Erzähler, konnte seine Werdung zu einem militanten der MLKP mit Leben füllen, erzählte auch von seinen eigenen Erfahrungen in der Türkei, Kurdistan oder den türkischen Gefängnissen. Er machte diese Entwicklung greifbar. Ein lebendes Vorbild.

Als wir nach mehreren Worten aufbrachen, erinnere ich mich noch an unseren Händedruck des Abschieds und unser Versprechen, uns wiederzusehen, die feste Umarmung und unser gemeinsames herzliches Lachen.

Lieber Freund, heute habe ich den Namen kennengelernt, den dir deine Mutter bei deiner Geburt gab. Welat. Dein Familienname Yildiz. Land der Sterne. Serfiraz yoldaş, ich werde dich vermissen, genau wie hunderte Andere dich vermissen und in ihren Herzen tragen werden. Und auch ich werde dich bei mir tragen, unabhängig davon wo ich mich befinde und in den Sternenhimmel schauen werde. In meinem oder in deinem Land. Welat.

#Deniz Nîdal

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In der Schweiz beginnt ein großer politischer Prozess. Andrea, Kommunistin, Mitglied des Revolutionären Aufbaus Schweiz und Sekretärin der Roten Hilfe International, soll sich ab dem 18. November vor Gericht u.a. für Angriffe auf Institutionen des türkischen Staates verantworten. Ein Prozess, der nicht nur von den Schweizer Sicherheitsbehörden forciert wird.
Ein Interview mit der Angeklagten.

Erst einmal viel Kraft für den nun beginnenden Prozess gegen dich. Was wird dort eigentlich verhandelt?

Es geht hauptsächlich um zwei Sachen: Ein Angriff mit Pyrotechnik gegen das türkische Generalkonsulat in Zürich im Winter 2017 und verschiedene Delikte während Mobilisierungen in Zürich während des Covid-Lockdowns im Frühling 2020. Der Prozess findet vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona statt, weil beim Angriff gegen das Konsulat sog. „Unkonventionelle Brand- und Sprengvorrichtungen“ zum Einsatz kamen, bei denen jeweils der Bund die Ermittlungen und Strafverfolgung übernimmt.

In welchem Kontext fanden die Angriffe auf türk. Institutionen statt?

Der Angriff auf das türkische Generalkonsulat fand zeitgleich mit dem „World Economic Forum“ in Davos statt, dem jährlichen internationalen Stelldichein der Herrschenden. Damals waren hochrangige Minister der AKP in den Bündner Bergen zu Besuch, um ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu pflegen und sich grünes Licht für ihre Angriffskriege bei den anwesenden imperialistischen Kräften zu holen – wie ein Jahr später gegen Afrin.

Welche Rolle spielt der türkische Staat bei diesem Prozess?

Der türkische Staat ist die treibende Kraft in diesem Verfahren. Er hielt über seine diplomatischen Vertreter_innen in der Schweiz den Druck im Verfahren stets aufrecht: Angesichts der kümmerlichen Beweislage bezüglich dem Angriff gegen das türkische Generalkonsulat versuchte die Bundesanwaltschaft mehrfach diesen Teil des Verfahrens einzustellen. Stets intervenierte die türkische Diplomatie, um eine solche Einstellung zu verhindern.

Derlei Interventionen sind kein Alleinstellungsmerkmal des Prozesses gegen mich oder andere Genossen und Genossinnen. Vielmehr ist allgemein zu beobachten, dass Versuche der Kriminalisierung der praktischen internationalen Solidarität in Westeuropa eine Front des türkischen Staats in ihrem Krieg niedriger Intensität gegen die kurdisch-türkische Linke ist. Wir verweisen dazu auf die Erklärung der Roten Hilfe International, welche diese Zusammenhänge ausführlich beleuchtet – der Prozess zielt auf Andi, bedeutet aber einen Angriff auf Rojava.

Was bedeutet dieser Prozess der Klassenjustiz für die revolutionären Kräfte in der Schweiz?

Hier könnte man zwei Sachen ansprechen. Erstens: Getroffene Hunde bellen – die Angriffe gegen die Institutionen des türkischen Staats treffen ins Schwarze, provozieren große Reaktionen. Wieso? Weil es ihren Nimbus der Macht durchbricht, weil es ihre Propaganda als hohl entlarvt, weil es aufzeigt, dass die Front jene, die gegen ihre Politik stehen, breit ist.

Zweitens: Die Dinge sind volatiler als man denkt – entsprechend die Reaktion des bürgerlichen Staats in der Covid-Pandemie. Die Widersprüche spitzen sich weltweit zu einer historischen politischen Krise zu, das ist nicht nur in der Schweiz so. Darin ist der Ausbau von Instrumenten zur präventiven Aufstandbekämpfung – wie Staatsschutz, Polizei, Militär – nur ein Ausdruck. Diese «Brüche» sollten wir als Linke genau verfolgen, antizipieren und unsere Strategien entsprechend ausrichten.

Wie ist eure Prozessstrategie?

Es ist klar, dass dieser Prozess ein politischer Prozess ist – die Konfrontation vor den Schranken der Klassenjustiz beschränkt sich nicht auf eine juristische Ebene, sondern ist hochpolitisch. Mit der Kampagne zum Prozess wollen wir diesem Charakter Rechnung tragen – wir kehren den Spieß um und richten den Angriff auf den Kapitalismus, den schweizer und den türkischen Staat! Dazu gehört zum Beispiel die Vertiefung der internationalen Solidarität mit Rojava – nicht nur angesichts der aktuellen akuten Bedrohung eines neuen Angriffskriegs in Nordostsyrien durch das türkische Militär oder der Giftgaseinsätze in den nordirakischen Bergen, wo die freien Berge der PKK-Guerilla liegen, sondern auch angesichts der Bedeutung des revolutionären Prozesses in Rojava, welcher seit bald zehn Jahren weltweit ausstrahlt und die revolutionäre Linke inspiriert.

Dazu gehört auch die konsequente Kritik des bürgerlichen Staats als Herrschafts- und Gewaltinstrument der bürgerlichen Klasse, dessen Charakter im Umgang mit der Covid-Pandemie für viele fassbar wird – ihrem Schutz der Interessen des Kapitals stellen wir den selbstorganisierten Schutz der Menschen gegenüber, also ein System, in dem der Schutz des schwächsten Gliedes der Gesellschaft im Zentrum, steht oder wo die schwächeren Länder und Kontinente durch die reicheren in den Zentren solidarisch getragen werden. Eine Gesellschaftsformation, in der wir die Dinge in die eigenen Hände nehmen. Dazu haben wir jeweils inhaltliche Veranstaltungen organisiert, zudem treffen laufend Solidaritätsaktionen ein, die auf unserer Homepage gesammelt werden.

Was sind eurer Meinung nach die Aufgaben der revolutionären Kräfte in Europa im Bezug auf die internationalen Kämpfe, beispielsweise in Kurdistan? Wie ist das jeweilige Verhältnis und welche Aufgaben resultieren daraus für euch?

Wenn wir den großen geostrategischen Kontext mit all seinen Widersprüchen und kriegerischen Auseinandersetzung betrachten und darin wiederum die Rolle der sich entwickelnden reaktionären, faschistischen Strömungen, anschauen, dann erkennen wir ohne Zweifel, dass in der historischen Phase von «Sozialismus oder Barbarei» alle revolutionären Kräfte sich zwingend einheitlicher und geschlossener positionierend aufstellen müssen. Es geht darum, die Einheit ins Zentrum zu setzen und den objektiven Bedingungen wie auch subjektiven Ungleichzeitigkeiten Rechnung tragend, einen internationalen strategischen Strang zu entwickeln. In diesem Strang lässt sich der revolutionäre Prozess im eigenen Land mit solchen wie in Kurdistan dialektisch aufeinander beziehen und sich auch hier konkret niederschlagen. Bestimmt ist davon ein Teil auch der sich ausbreitende türkische Faschismus. Kampagnen wie #riseup4rojava oder #fight4rojava sind Ansätze dazu.

Die letzten Worte gehören dir.

Lasst uns uns gemeinsam gegenüber den konterrevolutionären Angriffen auf alles, was sich in diesem und anderen Kontexten entwickelt, aufstellen, vereint den Spieß umdrehen und unsere internationalen Prozesse verstärken.

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Am Sonntag den 24. Oktober erreichte die türkische Lira ein Rekordtief und mit Bange beobachtete die Bevölkerung des Landes wie ihre wirtschaftliche Situation sich wieder ein Stück weiter verschlimmerte. Aber nicht allen geht es so – für viele andere ist der politisch-mediale Apparat des faschistischen türkischen Staates nämlich wieder so effektiv, dass kaum eine Minute bleibt, um an Inflation und eine horrende Suizidrate aufgrund von Armut im Land zu denken, denn die weitere rechtsnationalistische Sau muss durch das Land gejagt werden. So wurden kürzlich beispielsweise Verfahren und sogar sofortige Abschiebebefehle gegen mehrere syrische Flüchtende ausgesprochen, die „provokativ“ Bananen auf social media aßen, nachdem sich ein türkischer Bürger auf Social Media darüber beschwerte, dass die durchschnittliche türkische Person sich diese im Gegensatz zu den Geflüchteten nicht leisten könne. In Denizli beging wieder einmal ein Mann einen Femizid an seiner Ex-Freundin und wieder einmal wird in den Kommentarspalten darüber diskutiert, was die Frau alles gemacht haben muss, um den Mann so provoziert zu haben. Und schließlich beschloss das türkische Parlament öffentlichkeitswirksam, dass sowohl die militärischen Einsätze in Syrien als auch im Irak um zwei Jahre verlängert werden sollen – gemeint ist natürlich der vermeintliche Krieg gegen die PKK. Wieso man sich Bananen nicht leisten können sollte, wieso FLINTA* Personen täglich sterben müssen, wieso das kurdische Volk bei jeder noch so kleinen Gelegenheit vernichtet werden muss, das fragen sich die wenigsten in einem Land, wo vor allem eins intersektional ist: Das Elend und die Krisen.

Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass in Konsequenz dieser parlamentarischen Entscheidung eine größere neue Militäroffensive in Rojava von Seiten der Türkei ansteht. Genau wie bei den Operationen Euphrates Shield 2016/2017, Olive Branch 2018 (bekannter als der Krieg um Afrin) und Peace Spring (eine böswillige Untertreibung der ethnischen Säuberungskampagne zwischen Girespi und Serekaniye im Herbst 2019) werden sowohl türkische Luftkräfte, türkische Spezialkräfte am Boden und eine Horde an islamistischen Schergen der SNA (Syrian National Army, ehemals bekannt unter FSA/TFSA) mobilisiert. Dabei ist man sich nach wie vor nicht zu schade vormalige IS oder al-Kaida Kräfte mit einzubinden, wie der Sprecher des SDF Medienzentrums, Farhad Shami, feststellt.

Diesmal sieht es so aus, als würde die Türkei weiter ihrem Projekt nachkommen, die Verbindung zwischen den größeren Gebieten Rojavas zu kappen, wie auch schon zuvor geschehen. Afrin konnte die Türkei erfolgreich durch die Operation Euphrates Shield isolieren, um sich so auf die Einnahme des Gebiets vorzubereiten. Und auch der Vorstoß in Girespi und Serekaniye im Jahr 2019 lief vor allem darauf hinaus, das Gebiet bis zum M4 Highway (der Schnellstraße, die alle wichtigen Städte entlang der syrisch-türkischen Grenze verbindet) einzunehmen. Damals musste die türkische Armee den Highway nach einigen Wochen wieder freigeben, weil auch alle anderen Kräfte, unter anderem die russischen und US-amerikanischen, über diesen verkehrten. Doch ein strategisches Auge hat der NATO-Partner weiterhin darauf geworfen – besonders auf die am Highway gelegene Stadt Ain Issa, die südwestlich vom durch die Türkei besetzten Girespi (arabisch: Tel Abiyad) liegt.

In Ain Issa sammeln sich mitunter einige der wichtigsten Strukturen der Syrisch Demokratischen Kräfte (SDF) und wer etwa vom Nordosten also von Qamishlo oder Heseke nach Kobani will, muss durch diese Stadt hindurch. Man kann also davon ausgehen, dass die nächste größere türkische Operation genau dieses tendenziell abgehängte Glied Rojavas einnehmen und vor allem Kobani isolieren will – ein militärischer und vor allem symbolischer Vorstoß, der ohne Gleichen wäre. 

In der Region Kurdistan (KRI) im Irak, wo der türkische Drohnenkrieg gegen die kurdische Bevölkerung allerhöchstens zum Eklat von Gare führte, konnte hingegen noch kein symbolischer Sieg errungen werden, der ausreichend von den eigenen Krisen ablenken könnte. Während die Türkei mit allen Mitteln die gesamte Grenzregion zwischen dem Irak bzw. der KRI und der Türkei mit Drohnen und Giftgas bombardiert und ganze Waldflächen rodet, fliegt sie mittlerweile bis in das östlich von Kirkuk gelegene Chamchamal Drohnenangriffe gegen vermeintliche PKK-Stellungen. Besonders zugute kommt der Türkei eine schwache PUK – Jene Partei, welche im Osten der KRI das Sagen hat und durch interne Machtkonflikte enorm an Kraft verlor. Der bis dato mächtigste Mann der PUK, Lahur Sheikh Jangi, der als im weitesten Sinne als PKK-freundlich gilt, wurde infolge dieser Auseinandersetzungen seines Amtes enthoben. Zwischenzeitlich war sogar die Rede davon, ihn des Landes zu verweisen. Kurz nach diesen schicksalshaften Tagen hagelte es in der sonst sicheren und eher links eingestellten Stadt Sulaimaniya Kugeln. Mehrere PKK-Kader wurden getötet, darunter Yasin Bulut. Die türkischen NATO-Truppen bombardieren in Südkurdistan also weiterhin so gut wie alle Gebiete und dank dem erneuten Parlamentsmandat ist kein Ende dieser Kampfhandlungen in Sicht. Besonders makaber in diesem Kontext: Nur wenige Tage nach der Entscheidung des türkischen Parlaments postet die Twitter-Seite der NATO einen Ehrentweet an den NATO-Alliierten Türkei um mit ihnen den Nationalfeiertag zu zelebrieren. 

Wie gegen Ende des Jahres die Sicherheitslage der Kurd*innen im Irak aussehen wird, ist absolut unklar. Denn bis auf Weiteres sollen alle US-Truppen das Land verlassen, wie Präsident Biden schon im Juli nach Absprache mit Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi ankündigte. Das irakische politische Establishment hat wiederholt keinerlei Einspruch gegen das kilometerweite Eindringen der Türkei geäußert und mit einem Ende der US-Präsenz und somit einem Vorteil für den Iran und iranische Milizen gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Region Kurdistan von freundlichen Kräften umzingelt und besetzt sein wird. Ein Szenario, in dem die KRI weiter von türkischen NATO-Drohnen bombardiert und gleichzeitig von iranischen Raketen angegriffen wird, ist nicht besonders unwahrscheinlich. Es zeichnet sich ab, dass 2022 das Jahr des Überlebenskampfes der Region Kurdistan wird. Dafür sprechen nicht zuletzt die Rekordzahlen an flüchtenden Kurd*innen aus der KRI, die vor allem gerade an der polnisch-belarussischen Grenze feststecken. Denn zwischen der Korruption von KDP und PUK sowie dem fortwährenden Vernichtungskrieg der Türkei bleibt für die Zivilbevölkerung kaum eine Alternative. Und so nehmen viele eher den Tod auf der Fluchtroute in Kauf, als weiter dort im Elend zu leben.

An der vermutlich künftigen Koalition der Bundesregierung ist allerdings nur ihre Farbkombination pro-kurdisch, denn zum Thema Türkeipolitik hüllt man sich in Ampelkreisen in Schweigen. Nachdem Erdogan fast ohne Konsequenzen die Ausweisung verschiedener Botschafter*innen, unter anderem des Deutschen, verlangte und auch dies in Deutschland höchstens Mahnungen zur Besonnenheit hervorgerufen hat, gab es keinerlei weitere Statements zum Kameraden vom Bosporus. Gerade in bei SPD und Grünen begnügt man sich damit, politisch akzeptierte Oppositionelle wie Can Dündar oder Osman Kavala mit Phrasen  – oder mit einem netten Abendessen, wenn sie denn nun frei sind – zu beehren, anstatt sich wirklich zur Vernichtungspolitik der Türkei gegen Kurd*innen oder Armenier*innen zu positionieren. Man feiert 60 Jahre Gastarbeiter*innenabkommen, aber schweigt zur allgegenwärtigen Kriminalisierung kurdisch-linker und türkisch-linker Organisationen in Deutschland.

Vielleicht eint das Deutschland und die Türkei also am meisten: Während ökonomische Krisen, fundamentale Verteilungsfragen, tägliche Femizide und vieles mehr die Systemfrage hervorrufen sollten, vergnügt man sich lieber mit besonders emotionalisierten und symbolischen Debatten. So kann man leider davon ausgehen, dass die sich anbahnende neue Militäroffensive nicht die geringsten Reaktionen in den Kreisen des deutschen politischen Establishments auslösen wird. So wenig man mit diesen rechnen kann, so wenig sollten sie ein Standard politischen Handelns sein. Die nächsten Monate müssen vor allem dafür genutzt werden auf allen Ebenen Widerstand gegen den Vernichtungskrieg der NATO in Kurdistan – an allen Fronten – zu leisten. Sowohl in Südkurdistan als auch in Rojava geht es um nichts weniger, als um den Überlebenskampf der einzigen existierenden kurdischen Autonomieregionen – ihnen und vor allem ihrer Bevölkerung sollte nichts als grenzenlose Solidarität gelten.

#Bildquelle: ANF

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Jedes Jahr seit nunmehr über zwei Jahrzehnten kommen in Deutschland kurdische und internationalistische Aktivist:innen im Februar zu einem „Langen Marsch“ zusammen. Gewidmet ist die Aktion dem PKK-Mitgründer Abdullah Öcalan. Das Datum erinnert an die Festnahme des prominenten Vordenkers des Demokratischen Konföderalismus, denn im Februar 1999 wurde dieser auf die türkische Gefängnisinsel Imrali verbracht, wo er bis heute in nur selten unterbrochener völliger Isolation gefangen gehalten wird.

Vorangegangen war dieser Verschleppung eine lange Odyssee Öcalans, der durch türkischen Druck aus seinem Exil in Syrien vertrieben worden war. Öcalan begab sich auf die Suche nach einem Ort, an dem er politisches Asyl bekommen und die Kurdenfrage auf die Tagesordnung der internationalen Politik setzen konnte. Russland, Griechenland, Italien wurden Stationen dieser Reise, doch wo immer sich eine Verschnaufpause abzeichnete, intervenierte die US-Regierung, die ihrem türkischen Partner den gesuchten Staatsfeind in die Arme treiben wollte. Öcalan endete schlussendlich in der griechischen Botschaft in Nairobi, nachdem deutsch-italienische Initiativen für einen Prozess vor einem internationalen Gericht abgewürgt worden waren.

Dort landete am 14. Februar 1999 ein Flugzeug mit malaysischem Hoheitszeichen, in dem sich ein Kommando des türkischen Geheimdienstes MIT befand. Öcalan wurde in die Maschine verschleppt und via Tel Aviv nach Istanbul geflogen. Die kurdische Bewegung geht von einer Mittäterschaft von CIA und Mossad aus und spricht deshalb bis heute von einem „internationalen Komplott“, das nicht nur gegen Öcalan gerichtet gewesen sei, sondern gegen die gesamte Unabhängigkeitsbewegung.

In der Tat erhoffte man sich nicht nur in der Türkei, sondern auch in den USA und Deutschland, das bei der Kriminalisierung der PKK stets eine Vorreiterrolle eingenommen hatte, einen raschen Zerfall der Arbeiterpartei Kurdistans. Doch es kam anders.

Neues internationales Komplott

Abdullah Öcalan nahm Debatten der 1990er-Jahre innerhalb der PKK wieder auf und nutzte die Zeit in Gefangenschaft zur Überarbeitung von Strategie und Taktik der Organisation. Es kam zu einem Paradigmenwechsel und die Orientierung auf die in erster Linie militärische Befreiung eines sodann zu einem sozialistischen Nationalstaat umzubauenden kurdischen Territoriums trat hinter den Aufbauprozess eines grenzüberschreitenden Geflechts politischer, zivilgesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Institutionen zurück. Die Guerilla wurde zur Verteidigungskraft dieses Aufbaus.

Das global bekannteste, keineswegs aber einzige Resultat dieser Neuorientierung trägt den Namen Rojava, Westkurdistan, oder eigentlich korrekter: Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien, und ist seit langem keine rein kurdische Angelegenheit mehr. Vielmehr gelang es, in einem Teil des durch den imperialistischen Krieg und die islamistische Reaktion verwüsteten Syriens ein Gebiet des demokratischen Aufbaus zu errichten, in dem sich unterschiedliche Gemeinschaften auf Basis von Räten selbst organisieren.

Doch der unversöhnliche Hass der Türkei und der imperialistischen Hauptmächte blieb. Die Strategien zur Zerschlagung mögen sich unterscheiden, doch USA, Russland, Deutschland und die Erdogan-Diktatur teilen ein Ziel: Das Experiment in Rojava muss beendet, die PKK zerstört werden. Die Türkei verfolgt dieses Ziel durch rein repressive Mittel: Massenverhaftungen, Invasion und Besatzung, Ermordung und Vertreibung von Kämpfer:innen und Zivilist:innen, Förderung des Dschihadismus von IS bis „Freie Syrische Armee“. Russland lässt Erdogan gewähren und erhofft sich die Zuspitzung von Widersprüchen zwischen Ankara und Washington, die USA wiederum versuchen sich in der Spaltung und Entpolitisierung der kurdischen Bewegung. Deutschland liefert Waffen, nickt militärische Angriffe der Türkei ab und kriminalisiert die große exilkurdische Community hierzulande.

Hungerstreik für Freiheit Öcalans

Für die kurdische Bewegung nimmt die andauernde Inhaftierung Abdullah Öcalans eine zentrale Rolle in diesem Kampf ein. Denn Öcalan gilt Millionen Kurd:innen als legitimer politischer Repräsentant und ohne seine Freiheit bleibt auch nur der Gedanke an irgendeine Verhandlungslösung perspektivlos. Die Türkei hält Öcalan indes wie eine Geisel – und ihre deutschen Verbündeten verbieten sein Konterfei und stampfen seine Schriften ein.

Die kurdische Bewegung begann nun, um die Situation des gefangenen Revolutionärs erneut zum Mittelpunkt politischer Auseinandersetzung zu machen, die Kampagne „Die Zeit ist reif – Freiheit für Abdullah Öcalan“, die von hunderten Organisationen und Einzelpersonen getragen wird. Zeitgleich befinden sich politische Gefangene in der Türkei in einem Hungerstreik, der ebenfalls die Forderung nach Freiheit Öcalans aufgreift.

International gibt es eine Reihe von Beteiligungsmöglichkeiten: Eine Briefkampagne an die Vereinten Nationen, Dauerkundgebungen in Solidarität mit dem Hungerstreik und eben auch die Teilnahme am Langen Marsch, der am 4. Februar in Frankfurt beginnt und am 13. Februar mit einer Großdemonstration in Straßburg endet. In ihrem Aufruf betonen die Organisator:innen die Chance, die diese Aktion darstellt. Aktivist:innen unterschiedlicher Nationen kommen zusammen, um den von Rojava ausgehenden internationalistischen Zusammenschluss zu verbreitern. „Die Philosophie des Demokratischen Konföderalismus, die vom kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan entwickelt wurde, lässt sich mittlerweile nicht mehr nur in Rojava oder den Bergen Kurdistans wiederfinden, sondern ist mittlerweile überall dort präsent, wo Menschen sich damit auseinandersetzen“, heißt es im Aufruf zum Langen Marsch.

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Im Norden und Osten Syriens hat sich in den vergangenen Jahren ein basisdemokratisches, sozialistisches Rätesystem etabliert. Die kurdische, arabische, christliche und assyrische Bevölkerung erkämpfte sich ein Zusammenleben auf demokratischen Prinzipien, Gleichberechtigung der Frauen und kooperativer Wirtschaft. Doch die Türkei, zusammen mit islamistischen Terrorgruppen bedroht dieses Zusammenleben. Felix Anton hat den Prozess im Norden Syriens lange begleitet. Derzeit lebt und arbeitet er in Til Temer. Wir haben mit ihm gesprochen und ihm Leser* innenfragen gestellt.

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Am 02.11.2019, dem -World Resistance Day- kamen tagsüber mehr als 10.000 Menschen zusammen, um in Berlin gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf Nordost-Syrien Widerstand zu leisten. Bei einer weiteren Demonstration am Abend, setzten rund 2.000 Menschen ein Zeichen gegen die Stadt der Reichen und den Erhalt von alternativen Wohn- und Kulturprojekten. Beide Demonstrationen bezogen sich klar auf Rojava und riefen zum Widerstand gegen Krieg und Faschismus.

#Titelbild: Po Ming Cheung

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Seit neun Tagen halten einige hundert sozialistische Freiwillige aus den kurdischen Selbst- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie Kämpfer*innen der Syrisch-Demokratischen Kräfte eine NATO-Armee davon ab, eine Kleinstadt einzunehmen. Serekaniye, arabisch Ras al-Ain, liegt auf syrischer Seite der türkischen Stadt Ceylanpinar gegenüber und ist schon neun Tage nach der Invasion türkischer Truppen und deren dschihadistischen Sammeltruppen SNA nur noch Geröll und Schutt.

Seit neun Tagen bombardieren Kampfjets aus der Luft, Artillerie aus der Ferne und Panzer aus dem Belagerungsring jedes einzelne Haus in der Stadt – Krankenhaus und Schulen eingeschlossen. Ein ziviler Konvoi, der zur Unterstützung der Kämpfer*innen in die Stadt gekommen war, wurde am 13. Oktober direkt angegriffen. Wie viele Menschen insgesamt in Serekaniye bislang von Erdogans Truppen ermordet wurden, ist schwer zu sagen. In das Hauptkrankenhaus in al-Hasakah werden aus Serekaniye Kinder mit schwersten Verbrennungen eingeliefert, verstümmelte Zivilist*innen, verletzte Kämpfer*innen in ihren letzten Zügen.

Serekeniye ist eine Hölle aus Feuer und Asche. Ein Ort, der traurig und wütend macht. Wie ist so etwas möglich? Wieso werden den schäbigen Interessen imperialistischer, mörderischer Kriegstreiber so viele Menschenleben geopfert? Wer auf Ras al-Ain nur aus diesem Blickwinkel sieht, muss verzweifeln.

Doch Serekaniye ist heute mehr als das. Es ist ein Symbol der Hoffnung – so abwegig das auf den ersten Blick auch erscheinen mag. Serekaniye ist, wie 2014 Kobane, ein klares Zeichen einer Bewegung, die keine Unterwerfung – wie widrig die Umstände auch sein mögen. Jede Nacht kommen die Bomber. Und jeden Morgen meldet sich Ersin Caksu für die kurdische Nachrichtenagentur ANF aus den Trümmerhaufen der Stadt, spricht mit den Verteidiger*innen. Sie wirken nicht traurig. Sie wirken nicht verzweifelt. Sie wirken wie Menschen, die wissen, wofür sie gerade kämpfen. Und denen es wichtiger ist, ein möglicherweise kurzes Leben in Würde als ein langes in Siechtum und Knechtschaft zu führen.

„Es geht nicht darum, zu leben oder nicht zu leben, sondern richtig zu leben. Selbst wenn uns das richtige Leben nicht gelingen sollte, das Wichtigste ist, sich niemals von dieser Suche abbringen zu lassen und Reisender auf diesem Weg zu sein“, schreibt Abdullah Öcalan, der inhaftierte Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung. Und er meint damit nicht die individuelle Suche nach einem immer neuen Modelifestyle, wie sie ein an Langeweile zugrunde gehendes liberales Kleinbürgertum betreibt. Er meint das kollektive Leben in einer Gesellschaft der Gleichen, die Rehevaltî, die Weggefährtenschaft im Kampf genauso wie das solidarische, demokratische Zusammenleben im Frieden.

Das, woran sich die NATO-Armee in Serekaniye seit neun Tagen die Zähne ausbeißt, ist diese Kollektivität. Es ist nicht der einzelne Soldat, gedrillt wie ein US-Marine. Es ist auch nicht die Technik, davon haben die Verteidiger*innen ja nicht allzu viel. Es ist die Freundschaft und Genossenschaft untereinander, die einen immer wieder durchhalten lässt, immer wieder weitermachen lässt. Klar, die Spezialkräfte von YPG und YPJ sind ausgezeichnete Kämpfer*innen. Aber was sie bestehen lässt, ist das Wissen um ein aus einer gemeinsamen Idee von Leben gespeisten Netz, das bei ihnen anfängt, sich über die Mütter, die ihr Brot backen, die Dorfbewohner*innen, die ihnen ihre Tür öffnen, die Reporter*innen, die bei ihnen bleiben, wenn die bomben einschlagen, die Ärzt*innen, die ihre Verwundeten zusammenflicken, bis zu den Genoss*innen in den irakischen Bergen, den türkischen Metropolen oder ins europäische und US-amerikanische Hinterland zieht.

Die kurdische Bewegung hat eine Geschichte geschrieben, die ihre eigenen Landmarken hat. Vom Gefängniswiderstand im Folterknast Diyarbakir in den 1980er-Jahren über die Verteidigung Kobanes gegen den Islamischen Staat zieht sich diese Erzählung bis in die winzig kleine Grenzstadt Serekaniye. Jeder Schuss, den die Verteidiger*innen Rojavas dort abgeben, ist ein Buchstabe in dem Buch, das diese Bewegung schreibt.

Und unabhängig davon, ob diese Stadt fallen wird oder sich hält, diese Buchstaben bleiben geschrieben. Die Frage ist, ob sie jemand lesen wird. Ob auch wir hier in Deutschland die Sprache verstehen lernen werden, in der sie verfasst sind.

Bild: YPJ – presse

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Am 9. Oktober begann, zunächst mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss, der Angriff der türkischen Armee auf Rojava, Nordsyrien. Eine von mehreren zehntausend islamistischen Terroristen verschiedener Fraktionen begleitete, hochgerüstete NATO-Armee versucht seitdem, in die Städte an der türkisch-syrischen Grenze einzurücken. Die unter dem Label „Freie Syrische Armee“ vermarktete Dschihadisten-Streitmacht schließt nicht nur Kämpfer von Ahrar al-Sham oder dem früheren al-Qaida-Ableger Nusra-Front ein, sondern nachweislich auch Kombattanten des Islamischen Staates.

Trotz der technischen Überlegenheit der Invasionsarmee ist es den Syrisch-Demokratischen Kräften (SDF) zusammen mit lokalen Militärräten der kurdischen, arabischen und assyrischen Bevölkerung bisher gelungen, den Einmarsch an vielen Stellen zurückzudrängen. Ein schnelles Vorrücken ist der türkischen Armee unmöglich. Insbesondere die „Freie Syrische Armee“, aber auch reguläre türkische Truppen haben Verluste zu verzeichnen.

Die türkische Armee greift dabei immer stärker auf Mittel der Kriegsführung zurück, die international geächtet, teilweise verboten sind. Schon jetzt sind zahlreiche Kriegsverbrechen gut dohttps://twitter.com/glennbeck/status/1182093500218773504kumentiert und nachweisbar.

Beschuss von Wohngegenden

In mehreren Städten – insbesondere in Qamislo, Dörfern in der Umgebung von Derik sowie in Kobane – beschießt die türkische Armee gezielt zivile Wohngegenden, um die Bevölkerung zur Flucht zu zwingen. Die Angriffe in Qamislo führten zum Tod mehrerer Kinder sowie einer ganzen christlichen Familie. Auch die libanesische Journalistin Jenan Moussa, eine der wenigen ausländischen Reporter*innen vor Ort, dokumentiert die Auswirkungen der Angriffe.

Wie hoch die Zahl der getöteten Zivilist*innen ist, ist derzeit schwer festzustellen. Ein Arzt des Kurdischen Roten Halbmondes sprach am Freitag von 27 Toten und 30-35 verletzten Kindern – allerdings dürfte das nur einen Teil der Opfer widerspiegeln.

Die Muster der Angriffe zeigen ein klares Ziel: Vertreibung der Bevölkerung, um deren Unterstützung für die Verteidigungseinheiten zu brechen. Konservativen Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge befanden sich am Freitag bereits 100 000 Menschen auf der Flucht.

Zerstörung ziviler Infrastruktur

Die türkische Armee zerstört zudem gezielt zivile Infrastruktur. Schulen wurden bombardiert, mehrfach wurde die Wasserversorgung zum Ziel der türkischen Armee. So berichten Augenzeugen aus Til Temir von der Unterbrechung ihrer Wasserversorgung. Am Freitag meldete SDF-Pressesprecher Mustafa Bali die weitgehende Zerstörung des Alouk-Staudammes, der die Wasserversorgung für 1,5 Millionen Menschen gewährleistet.

Misshandlung von Gefangenen

Mehrere Videos zeigen zudem die Misshandlung von Gefangenen durch die türkische Armee. Aus 2017 und 2018 geleakten Videos ist der Umgang mit Gefangenen durch die türkische Armee gut dokumentiert. Eines zeigt die Exekution gefangener Guerilla-Kämpferinnen, ein anderes, wie türkische Soldaten die Köpfe von (angeblichen) PKK-Kämpfern abschneiden und in die Kameras halten. Da die Türkei keinen Unterschied zwischen kurdischen Zivilist*innen und Guerilla macht, und zugleich offen islamistische Prediger sowie Politiker in der Türkei ihre Truppen zu maximaler Rücksichtslosigkeit aufrufen, sind massenhafte Folter sowie extralegale Erschießungen eine erwartbare Folge der Besetzung nordsyrischen Gebiets.

Kooperation mit dem Islamischen Staat

Die Zusammenarbeit mit den Terroristen des Islamischen Staates ist während des Vormarsches der Türkei immer deutlicher zutage getreten. Sie besteht nicht allein in dem Umstand, dass die Milizen, mit denen die Türkei kooperiert, sich ideologisch nicht vom IS unterscheiden – sondern weist Anzeichen einer direkten militärischen Kooperation mit IS-Schläferzellen in Syrien auf. Während die Armee Erdogans vom Norden angreift, fanden zahlreiche Attentate statt: Vor einem Gefängnis in Hassakeh explodierte eine Autobombe, in Qamislo ebenso. Die Türkei beschießt direkt Gefängnisse, in denen IS-Kämpfer festgehalten werden. Bei einer dieser Attacken gelang mehreren Terroristen die Flucht. Im berühmt-berüchtigten al-Hol-Camp, in dem 70 000 Dschihadisten und ihre Angehörigen festgehalten werden, kommt es zu Aufständen. Zufall sind diese Aktionen der Fünften Kolonne Erdogans nicht. Bereits in der Vergangenheit wurden Kontakte des türkischen Geheimdienstes MIT zum Islamischen Staat unzweifelhaft dokumentiert.

#Bildquelle: ANF (anfkurdi.com)

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Die ersten Demonstrationen gegen türkischen Einmarsch in Rojava, Nordsyrien, brachten bundesweit zehntausende Menschen auf die Straßen. In über 40 Städten wurde protestiert, die Veranstaltungen waren politisch breit aufgestellt – migrantische Gruppen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, kurdische Verbände über Parteigrenzen hinweg -, und gemessen an deutschen Verhältnissen kann man die Stimmung als kämpferisch beschreiben.

Ein Erfolg also? Das kommt darauf an, wie es weitergeht. Wenn wir die Dynamik nutzen, um mehr und anderes als Demonstrationen zustande zu bekommen, ja. Wenn wir in eingespielte Muster zurückfallen, routiniert das Demo-Einmaleins abspulen, das wir kennen und können, dann nein.

Denn die gelernte und tausend Mal wiederholte Demo-Performance mag zwar ein wichtiger Teil des Gesamtkonzepts sein. Aber sie alleine reicht zu nichts. Sie übt keinen Druck aus. Und im schlimmsten Fall dient sie als eingehegte, kontrollierte Entladung von Wut: Man sieht das Unrecht, man will etwas tun, man geht auf die Demo – und hat danach das Gefühl, seinen Beitrag geleistet zu haben.

Aber das wird dem Anlass nicht gerecht. Während Jugendliche mit selbst zusammengeschraubten Motorrädern, auf denen Doschkas montiert sind, versuchen gegen Leopard-II-Panzer, Artillerie und eine NATO-Luftwaffe syrische Grenzstädte zu verteidigen; während über 70 Jahre alte Frauen, mit nichts als einer Kalaschnikow und einem Funkgerät in der Hand sich zehntausenden anrückenden Dschihadisten in den Weg stellen; und während Freiwillige in improvisierten Krankenhäusern um das Leben von Kindern, die ohne Beine, mit inneren Blutungen und Kopfverletzungen eingeliefert werden, kämpfen – während all das passiert, können wir uns nicht mit unserem Standard-Solidaritätsprogramm zufrieden geben, uns auf die Schultern klopfen, zurück in den Hörsaal, an den Arbeitsplatz oder in die Kneipe laufen und behaupten, wir waren ja auch dabei, beim großen Widerstand.

Wir müssen Druck aufbauen. Aber wie? In erster Linie müssen wir kreativer werden. In Bristol blockierten gestern vier aneinandergekettete Aktivist*innen mehrere Stunden lang den Waffenproduzenten BAE Bristol, auf dem Flughafen in Barcelona fand eine kleine Blockade gegen Turkish Airlines statt. Während des Afrin-Widerstandes haben sich Störungen von Bundespressekonferenzen als probates Mittel erwiesen, mit wenigen Genoss*innen und überschaubarem Repressionsdruck bundesweite und bis in die Türkei reichende Medienöffentlichkeit herzustellen.

Auch aus anderen Kontexten kennen wir wirksame Mittel, mehr Druck zu erzeugen, als mit dem Standard-Demoprogramm. Massendemonstrationen in Flughäfen, Ankett- oder Abseilaktionen an neuralgischen Punkten, Go-Ins bei Rüstungsfirmen oder in Parteibüros, Outings von Kriegsprofiteuren in ihrem privaten Umfeld – und vieles mehr.

Sicher, manche dieser Aktionen mögen den Repressionsbehörden missfallen. Wir werden es aushalten. Im Unterschied zu den Jugendlichen, Frauen und Männern Rojavas wird uns selbst bei der entschlossensten Blockadeaktion niemand eine Gliedmaße abtrennen, niemand wird uns durch die Brust schießen und niemand wird unsere Kinder verschleppen und auf Sklavenmärkten verkaufen. Wir verpassen eine Vorlesung, haben etwas Freizeit weniger und im schlimmsten Fall müssen wir Prozesse vor Gericht führen – so what?

Die Revolution in Rojava kämpft ums Überleben. Und selbst diejenigen, die mit dem politischen Aufbruch im Norden Syriens nichts anfangen können, sollten verstehen, dass es sich um einen imperialistischen Krieg handelt, in dem NATO-Staaten tausende Leben auslöschen werden.

Protest reicht hier nicht aus. Eine Aussicht auf diplomatische Vermeidung des mörderischen Feldzugs gibt es nicht mehr. Wir haben nicht viel an Organisation, Struktur und Logistik in diesem Land. Aber das, was wir haben, sollten wir jetzt in die Waagschale werfen. Ein Später gibt es nicht.

# Bildquelle: : @momozumkreis

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