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In diesen Tagen wird ein Geheimnis gelüftet, das nie wirklich eins war: die Deutschrapszene ist durchzogen von sexuellem Missbrauch und Typen, für die Frauenverachtung nicht nur Stilmittel, sondern Weltanschauung ist. Wie in der ursprünglichen Metoo-Bewegung wird weniger über unbewusste Grenzüberschreitungen und mehr über gezielten, kalkulierten Machtmissbrauch gesprochen. Das ist auch sinnvoll, denn in den jeweiligen Branchen – Hollywood beziehungsweise Deutschrap – ist Machtmissbrauch das alles überschattende Thema. Es ist deshalb an uns Außenstehenden, uns klarzumachen, was aus dieser Debatte eigentlich für uns folgt, damit die Wut der Betroffenen nicht nur ein paar Wochen Gehör findet und dann wieder verhallt.

Stellvertretend für die größte Hürde, die wir überschreiten müssen, steht ein Satz, den ein mutmaßlicher Täter in der Stellungnahme zu der ihm vorgeworfenen Tat immer wieder wiederholte: „Ich bin kein Vergewaltiger“. Das oberflächliche Problem zu erkennen, fällt nicht schwer: diese Person weiß wahrscheinlich nicht, was eine Vergewaltigung ist. Täter und Opfer würden vor Gericht womöglich ein und dasselbe Geschehen schildern, und der Täter wäre sich trotzdem keiner Schuld bewusst. Widerlicher Typ.

Und sonst so? Wird die zugrundeliegende Ursache erkannt? Wird das Muster erkannt, das schon in viel früheren Stadien als beim Sex ansetzt und Frauen tagtäglich das Leben zur Hölle macht? Wird erkannt, dass hier nicht nur die individuelle Ekelhaftigkeit dieses Menschen zutage tritt, sondern die gesamtgesellschaftliche Missachtung der Autonomie des weiblichen Körpers? Ich behaupte nein, auch wegen diversen Kommentaren von Männern aus meinem Umfeld, die ausschließlich diese eine Person in Grund und Boden schimpfen, als wäre seine Mentalität ein grotesker Ausnahmefall.

Sicherlich gibt es viele, viele Männer, die willentlich und wissentlich körperliche Grenzen überschreiten. Aber gerade die „Guten“ tun das meistens einfach deshalb, weil sie nie gelernt haben, wie so eine Grenze aussieht und dass sie nicht erst da beginnt, wo sie mit physischer Kraft durchgesetzt werden muss.

Ausführliches Aufklärungsmaterial zu diesem Thema gibt es in Hülle und Fülle, und das ist auch gut und richtig so. Aber was wir derzeit erleben und die Gespräche, die wir wieder und wieder aufs Neue führen müssen, zeigen, dass es einfach nicht reicht. Es reicht nicht, mit pädagogischem Wohlwollen auf Männer zuzugehen und zum hundertsten Mal zu erklären, dass auch das Ignorieren einer Anmache genauso ein „Nein“ ist, wie eine aufgezwungene Umarmung ein Übergriff. Es reicht nicht, die Erzählungen des romantischen Eroberers in fiktiven Werken zu problematisieren, dessen unablässiges Bezirzen einer Frau, die ihn bereits abgelehnt hat, am Ende mit Sex belohnt wird. All das ist gut und muss unbedingt weiter stattfinden, aber dabei darf es nicht bleiben.

Was wir brauchen, was das Ziel unserer Bemühungen sein muss, ist ein Klima der permanenten Wachsamkeit unter Männern.

Wir müssen eine gesellschaftliche Atmosphäre schaffen, die jeden Flirtversuch zum Spießrutenlauf macht. Das ist keine edgy Übertreibung, ich meine das genau so, wie ich es sage. Jedes Mal, wenn ein Mann beim Feiern, im Café oder im Park eine hübsche Frau sieht, die er ansprechen möchte, müssen bei ihm die Alarmglocken angehen. Jedes Date muss mit der Angst verbunden sein, Grenzen zu überschreiten. Männern muss klar sein, dass sie bei allen Avancen, die von ihnen ausgehen, Gefahr laufen, zum Täter zu werden. Ja, jedes Mal.

Wer beim Lesen des letzten Absatzes gedacht hat, so kann man doch nicht leben, den beglückwünsche ich zu der Erkenntnis darüber, wie es ist, eine Frau zu sein. Für uns ist jeder Flirtversuch, dem wir abgeneigt sind, ein Spießrutenlauf, denn wir können nie sicher sein, ob eine Ablehnung akzeptiert wird. Bei uns gehen aus diesem Grund jedes Mal die Alarmglocken an, wenn sich beim Feiern, im Café oder im Park jemand an uns ranmacht. Vor Dates verschicken wir Livestandorte und vereinbaren „Rettungsanrufe“, weil wir nicht einschätzen können, ob unsere Grenzen respektiert werden. Weil uns zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens klar ist, dass wir Gefahr laufen, zum Opfer zu werden.

Und wer sich bisher nicht angesprochen gefühlt hat, weil er sowieso nicht datet oder zumindest keine fremden Frauen anspricht, der sei daran erinnert, dass er etliche Homies hat, die diesen Text niemals lesen werden. Wenn die Atmosphäre der Wachsamkeit der Männer Realität werden soll, müssen vor allem andere Männer dafür sorgen. Es muss soziale Ächtung nach sich ziehen, wenn einer eine Frau mehr als ein Mal nach ihrer Nummer fragt. Man muss im Freundeskreis Probleme kriegen, wenn man jedes Mal, wenn man besoffen ist, merkwürdig touchy wird oder seinen Tindermatches ekliges Zeug schreibt. Es muss ein Skandal sein, wenn einer von diesem Mädel erzählt, das sich erst voll lange geziert hat, bis sie endlich rummachen wollte. Es muss sich endlich mal eingemischt werden.

Und wer jetzt denkt, dann kann ich es ja gleich ganz lassen mit dem Flirten, dem schlage ich in aller Ernsthaftigkeit vor: ja. Lass es. Gönn den Frauen dieser Welt den Freiraum, der sich ihnen dadurch eröffnet, dass du sie in Ruhe lässt. Jeder von uns kann aus #deutschrapmetoo eine Menge lernen. Wenn die einzige Lehre ist, die man für sich aus der Debatte zieht, eine Frau im Zweifel einfach mal nicht anzusprechen, ist schon viel gewonnen. Ansonsten gilt wie immer: reflektieren, Haltung zeigen, Betroffenen glauben und ihre Stimmen verstärken.

Man kann einen Text über sexualisierte Gewalt eigentlich nur auf eine Weise beenden, Jane hat es hier vorgemacht. Einer von drei Männern in deinem Umfeld ist wahrscheinlich ein Täter. Wenn du glaubst, keiner zu sein, liegst du vermutlich falsch und wenn du glaubst, keinen zu kennen, auf jeden Fall. Und wenn du nicht willst, dass alle Frauen in deinem Umfeld in Angst leben, musst du aktiv dafür sorgen, dass die Täter es tun.

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Der Rapper Zynik hat gerade seine neue EP „Wahnsinn der Normalen“ veröffentlicht. Im Interview spricht er über linke Kunst, Sexismus im Rap und darüber, was Rap für ihn bedeutet.

Du verarbeitest auf deiner neuen EP ganz unterschiedliche Themen. Was ist das Konzept?

Es war jetzt kein klassisches Konzeptding. Die Themen sind auch recht breit gestreut. Trotzdem gibt es einen roten Faden, der sich auf unterschiedliche Weise durch alle Tracks zieht. Es geht kurz gesagt darum, wie wahnsinnig vieles ist, was als normal wahrgenommen wird, wie wahnsinnig die gesellschaftlichen Verhältnisse mit all ihren Perversionen eigentlich sind. (mehr …)

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Ein Gastkommentar von Hannes Loh und Martin Seeliger

Zum Auftakt zwei Hypothesen: Wenn N.W.A. einen Film über ihre Geschichte machen, wird dort wahrscheinlich ein kulturindustriell vereinnahmter Rebellionsgestus zur Schau gestellt. Und wenn ein Geschichtslehrer und ein Doktorand der Politikwissenschaft einen Kommentar hierzu schreiben, ist das wahrscheinlich intellektualistisches Geschiss. Wo das geklärt ist, wollen wir die erste Behauptung einer praktischen Überprüfung unterziehen.

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