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Pflegebonus und Impfpflicht, Zuckerbrot und Peitsch – die Bundesregierung nimmt Pfleger:innen als Adressat:innen ihrer Politik ins Visier. Wir haben mit Eileen (25), die auf der Intensivstation in einem Berliner Krankenhaus arbeitet darüber, was der viel beschworene Pflegenotstand eigentlich bedeutet, sowie über Pflege in Zeiten von Corona gesprochen.

Du hast ja im April 2020, als die Pandemie richtig losging, direkt nach Abschluss deiner Ausbildung auf der Intensivstation angefangen. Wie war das?

Ich habe als Berufsanfängerin direkt in dem Fachbereich der Intensivstation angefangen. Eigentlich sollte man das mit einer Berufserfahrung von ein bis zwei Jahren machen, aber dadurch, dass der Notstand so hoch war, konnte ich direkt nach der Ausbildung dort anfangen. Das Pensum, das ich zu lernen hatte war enorm hoch, mit Fähigkeiten, die ich in der Ausbildung gar nicht an die Hand bekommen habe. Dazu kam dann noch die Situation mit der Pandemie. Wir waren erst in anderen Räumen, um die Patient:innen zu isolieren, weil gar nicht klar war, wie lange das anhalten wird. Es gab viel extremere Maßnahmen als jetzt um die Pandemie einzudämmen. Das hat sich ein bisschen entspannt; nicht vom Arbeitspensum, sondern von den Maßnahmen, die von den hygienebeauftragten Personen gemacht wurden.

Hast du im Laufe der Pandemie einen Unterschied gemerkt, in der Art und Weise wie Ihr arbeiten musstet?

Auf jeden Fall. Nach zwei Jahren Pandemie sind wir zumindest mit den Arbeitsmaterialien auf einem guten Weg. Es gibt genug FFP2-Masken und Schutzkleidung für die Pflegekräfte. D.h.wir müssen nicht mehr für zwei Dienste die selbe Maske tragen oder den selben Kittel für unterschiedliche Patient:innen. Ein Mindestmaß an Arbeitsschutz ist jetzt gegeben, aber das war nach zehn Monaten in denen wir nicht sicher sein konnten, dass wir genug Schutzkleidung haben. Deswegen sind auch viele Kolleginnen und Kollegen an Corona erkrankt.

Was super traurig ist, ist wie sich das im Zwischenmenschlichen entwickelt hat. Durch die Maske kann man mit Mimik nicht viel ausrichten. Man kann nicht richtig miteinander sprechen, sich nicht richtig sehen, Emotionen und Gefühle ausdrücken. Es ist natürlich essentiell die Masken zu tragen. Aber im Laufe der Pandemie ist die Anonymität größer geworden und dadurch kann man für die Patienten nicht so viel emotionale Arbeit leisten.

Wie ist denn die Situation aktuell bei euch auf der Station?

Es gibt wenige Covidpatient:innen auf der Intensivstation, zumindest bei mir im Krankenhaus. Dafür sind aber die Normalstationen komplett voll. Und die meisten Patient:innen, denen es auf der Intensivstation sehr schlecht geht, haben Vorerkrankungen, konnten sich deshalb vielleicht nicht impfen lassen. Es ist ein ganz anderer Zustand als im letzten Jahr. Das ist zumindest bei mir auf Station so.

Insgesamt haben ja im Laufe der Pandemie viele Leute gekündigt. War das bei euch auch so?

Ja. Konsequenz daraus ist ein noch stärkerer Pflegenotstand. Ich habe einige Kolleg:innen, die vorher Vollzeit gearbeitet haben und jetzt reduziert haben, weil so intensiv im Schichtdienst zu arbeiten nicht mit einem normalen Leben vereinbar ist. Wir werden z.B. sehr oft aus dem Frei geholt. Das kann man sich in einem normalen 9 to 5 Job ja kaum vorstellen. Ich wurde schon sonntags beim Frühstück angerufen wurde, ob ich nicht einspringen und Montag Dienst machen kann. Ich sehe so oft die Telefonnummer vom Krankenhaus auf meinem Handy und will eigentlich gar nicht rangehen; kriege Herzrasen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich gleich absagen muss. Und das ist ein Stressfaktor unabhängig davon, ob man gerade auf Station ist, oder nicht. Wenn man dann sowieso insgesamt nur acht Tage im Monat frei hat und dann noch zwei Dienste übernommen hat, bleibt nicht viel übrig. Ich selber habe jetzt auch Stunden reduziert und angefangen zu studieren.

Bei uns auf Station haben aber auch einige neue Leute angefangen. Wenn so viele Leute neu auf der Intensivstation anfangen, ist aber auch die Frage, inwieweit wir dem gewachsen sind. Ich z.B. hatte eine Einarbeitung von fünf Wochen, eigentlich ist Vorschrift mindestens zwei Monate. Und das ist auch eingeschränkt worden, damit wir schnell als souveräne Arbeitskraft in den Schichtplan eingeführt werden konnten. Dadurch leidet dann unter Umständen die Arbeitsqualität, was dann der Rest des Teams kompensieren muss. Bei mir hat das auch zu extremer Überforderung geführt. Man wird dann einfach so in diese Ausnahmesituation reingeworfen. Dir bleibt dann nicht so eine richtige Wahl.

Stichwort Pflegenotstand. Was hat das für euch bedeutet?

Dass Leute Überstunden machen, dass Kolleginnen und Kollegen länger arbeiten müssen, dass die körperliche Belastung extrem hoch ist. Patient:innen richtig zu versorgen ist oft nicht möglich. Es ist eher so dass man eine Liste an essentiell notwendigen Dingen abarbeitet, ohne mal nach rechts und links gucken zu können, damit es den Menschen gut geht. Und wenn‘s nur darum geht mal zwei Minuten mit der Person zu sprechen. Der Puls ist die ganze Zeit auf 180. Man versucht jedem die Medikamente zu geben und den Grundbedarf sicherzustellen. Das ist nicht die Art von Pflege, wie ich sie gelernt habe und wie wir arbeiten möchten.

Pflegenotstand ist auch ganz viel Ungewissheit. Dass man zum Dienst kommt und nicht weiß, ob man richtig besetzt ist. Angst davor, dass zu wenig Menschen da sind, um die Patient:innen zu versorgen. Resignation und Unmut. Unterschwellig macht sich auch ein schlechtes Gewissen breit, wenn man krank ist und nicht arbeiten kann, weil man das Gefühl hat, seine Kolleg:innen im Stich zu lassen. Das ist doch eine perfide Vorstellung, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich krank bin, weil es nicht die personellen Möglichkeiten gibt, das zu kompensieren. Auch das ist für mich Pflegenotstand.

„Ich kann meine Arbeit nicht beenden, dann lass ich das für morgen liegen“ – das geht in dem Job nicht. Entweder müssen das dann meine Kolleg:innen machen, oder es wird halt nicht gemacht. Und das ist dann zu Lasten der kranken Personen. Das ist auch eine sehr gefährliche Arbeitsweise.

Meistens geht ja auch alles gut. Aber wir müssen ja auch den schlimmsten Fall vorbereitet sein und nicht hoffen, dass der schlimmste Fall nicht eintritt. Sodass ich dann dastehe und zwei instabile Patient:innen habe, die ich nicht versorgen kann, weil ich nicht genug Hände habe.

Hast du denn den Eindruck, dass sich an den grundlegenden Problemen etwas ändert im Laufe der Pandemie?

Zum einen bin ich dankbar dafür, dass der Pflege so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das hat sehr viel Kraft gegeben. Aber z.B. über den Sommer, als weniger Menschen wegen Corona in den Krankenhäusern waren, habe ich gar keinen Rückhalt gespürt. Es gab ja punktuell den Pflegestreik, wo noch Solidarität da war, aber unser Kampf ist immer nur Thema, wenn der größte Ausnahmezustand erreicht ist. Und das ist unfair, weil unabhängig von der Pandemiesituation, die Situation angespannt und überfordernd ist. Und nicht nur Covidpatient:innen versorgt werden müssen, sondern mit mindestens genau so hohem Aufwand andere Patient:innen, die auf der Intensivstation liegen.

Die Arbeit der Pflege wird wahrscheinlich wieder in den Hintergrund geraten, weil die Pandemie von einigen schon als beendet gefeiert wird und die Kontaktbeschränkungen schrittweise gelockert werden und Krankheit, Pandemie und sterbende Patient:innen das Leben der meisten Menschen in den nächsten Monate nicht mehr dominieren wird.

Und was hältst du von dem angekündigten Pflegebonus?

Den Pflegebonus halte ich für Quatsch. Das ist Symptombehandlung. Weil‘s sich schön anhört, wenn man liest, dass die Pfleger:innen eine Milliarde bekommen. Aber mir ist es egal, wie viele Nullen da sind. Es geht generell um eine bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Zeit, mehr Sicherheit.

Und was ist mit Leuten, die nicht direkt am Krankenbett von Covidpatient:innen arbeiten, aber genauso essentiell für das Gesundheitssystem sind? Was ist mit Leuten in der ambulanten Pflege? Was ist mit Leuten, die in der ersten und zweiten Welle gearbeitet haben, aber danach aufgehört haben? Und einen genauso großen Anteil daran hatten, der Pandemie Herr:in zu werden. Das ist alles gar nicht berücksichtigt. Ich habe das nicht mehr oder weniger verdient als jemand der an einem Bett von einem Krebspatienten steht.

An den Strukturen wird also nichts gemacht, sondern Geld rausgeworfen um die Sache zu beruhigen. Es wird ja auch über eine Impfpflicht diskutiert, insbesondere für Pflegepersonal. Wie siehst du das? Wie wird das bei euch diskutiert?

Ich halt es schon für eine Voraussetzung, dass medizinisches Fachpersonal, welches mit kranken Menschen arbeitet geboostert ist. Denn dass die Impfung mehr als essentiell ist, um die Pandemie einzudämmen, Menschenleben zu retten und uns gegenseitig zu schützen, steht außer Frage.

Ich kenne aber auch einige Menschen, die in der Pflege arbeiten und nicht geimpft sind. Die lieben ihren Job und sind unglaublich gewissenhaft im Umgang mit Patient:innen, wie alle anderen auch. Die würden ihren Job gefährden, bzw. kündigen, wenn die Impfpflicht kommen würde. Das muss man sich mal vorstellen, was da für Prinzipien und Überzeugungen dahinterstehen, das in Kauf zu nehmen. Und ich denke nicht, dass eine Impfpflicht diese Prinzipien aufweichen würde, sondern eher die Situation noch verschärft. Ich denke, dass es mittlerweile nicht mehr irgendeine Angst vor der Wirkung oder Langzeitfolgen ist, die viele davon abhält, sondern eher ein Misstrauen, nach dem Motto „Ich mache nichts wozu ich gezwungen werde“ und „Ich mache nichts was eine Regierung mir sagt, der ich nicht mehr so richtig vertraue“. Es wäre wichtiger gewesen frühzeitig, im Sommer Überzeugungsarbeit zu leisten, aber da war halt Wahlkampf. Und da wurde der Zeitpunkt verpasst und jetzt sind die Fronten verhärtet.

Im Sommer wurde in Berlin gestreikt, hast du daran teilgenommen?

Ich arbeite in einem Klinikum, das von der Kirche getragen wird und wir dürfen nicht streiken, was mehr als frustrierend ist, aber man fügt sich dem. Man erwartet, dass sich dann auch kirchliche Häuser einem Tarifvertrag anpassen, weil sie sonst nicht mehr konkurrenzfähig sind. Verdi hatte dazu aufgerufen, dass Pflegepersonal in der Charité und den Vivantes-Kliniken und dem Facility Managements in den Streik gehen, um zu erreichen, dass bei nicht-Einhaltung der Personaluntergrenzen ein Freizeitanspruch entsteht oder auch Geld gezahlt wird.

Ich habe den Streik und die Demos als sehr motivierend wahrgenommen. Die Solidarität war auf jeden Fall spürbar, auch aus medizinischen Berufen, die nicht aus der Pflege sind. Das sind alles kleine Schritte, von denen ich weiß, dass sie wichtig sind und Kämpfe, die geführt werden müssen, aber es ist wieder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, weil das ändert nichts daran, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt.

Für die Zukunft von der Arbeit in der Pflege, was würdest du dir wünschen?

Die Privatisierung im Gesundheitswesen hat dazu geführt, dass alles immer an Zahlen festgemacht wird und es um Finanzen geht. Es sollte nicht daran bemessen werden, wie viel Geld ein kranker Mensch kostet, um daran festzulegen wie viele Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Ich wünsche mir mehr Zeit für meine Patienten:innen, damit ich sie über das Technische hinaus versorgen kann, weil man in der Ausbildung unglaublich schöne Dinge in der Patientenbegleitung lernt, die komplett in Vergessenheit geraten, weil man dafür keine Zeit hat.

# Titelbild: SnaPsi Сталкер, CC BY-NC-ND 2.0, Intensivstation, Symbolbild

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Seit mittlerweile zwei Wochen streiken die Pflegekräfte der Charité- und Vivantes-Kliniken, sowie Angestellte diverser Tochterunternehmen für bessere Arbeitsbedingungen. Diese sind sowohl für die Gesundheit der Angestellten, als auch der Patient:innen dringend notwendig: Überlastung, Unterbesetzung und damit eine Gesundheitsversorgung auf Minimalniveau brachten die Arbeitenden auch schon vor der Pandemie vielfach an ihre Belastungsgrenzen. Doch obwohl es im letzten Jahr viel Aufmerksamkeit für das Thema gab, hat sich nichts verändert. Das macht diesen Streik umso notwendiger. Um mehr über die Hintergründe, den aktuellen Stand und den Streikalltag zu erfahren, waren wir heute bei der Vivantes-Zentrale, wo momentan über die Forderungen verhandelt wird. Dort haben wir uns mit Laura unterhalten.

Hallo, magst du dich einmal kurz vorstellen?

Ich bin Laura, ich bin seit drei Jahren Krankenschwester in der Rettungsstelle in einem Krankenhaus von Vivantes. Ich mag meinen Job eigentlich sehr gerne, aber jetzt gerade bin ich im Streik.

Wann habt ihr angefangen zu streiken und wie kam es dazu?

Die ganze Geschichte fängt eigentlich schon im März an, als wir angefangen haben diese Aktionen vorzubereiten. Im Mai gab es dann eine Übergabe von Forderungen an den Berliner Senat und es wurde ein 100 Tage Ultimatum gestellt, innerhalb dessen wir unsere Forderungen erfüllt sehen wollten – nach mehr Personal, besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege, besseren Ausbildungsbedingungen und einer fairen Bezahlung, also nach TVöD, für die Beschäftigten der Tochterunternehmen von Charité und Vivantes. Dieses Ultimatum ist ohne Reaktion geblieben und dementsprechend sind wir dann vor drei, vier Wochen in den Streik getreten.

Gab es Versuche euer Streikrecht einzuschränken?

Erstmal war es ein Warnstreik über drei Tage, dort haben wir auch eine einstweilige Verfügung von unserer Arbeitgeberin Vivantes kassiert, Charité hat das nicht gemacht. Die wurde dann nach dem Wochenende vom Berliner Arbeitsgericht wieder gekippt. In dieser Zeit wurde noch nicht mal eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen. Wir haben natürlich eine eingereicht, die wird dann einseitig geschlossen – das ist geltendes Streikrecht und nach der verhalten wir uns auch nach wie vor – die wurde aber nie von der Arbeitgeberin angenommen. Die Arbeitgeberin hat Besetzungen gefordert, die weit über das hinausgehen, was wir in der Normalbesetzung haben.

Wir waren die ganze Zeit verhandlungsbereit, es wurden aber keine Verhandlungen aufgenommen. Deswegen sind wir jetzt seit zwei Wochen in einem unbefristeten Erzwingungsstreik um eben unsere Forderungen durchzusetzen. Unser Credo ist, dass nicht der Streik die Patient:innen gefährdet, sondern der Normalzustand.

Wie sieht eure Notdienstvereinbarung aktuell aus?

Das ist ein bisschen differenziert. Für die normalen Stationen gilt die Wochenendbesetzung, bei uns in der Rettungsstelle haben wir für jede Vivantes Rettungsstelle eine individuelle Vereinbarung getroffen. Die orientiert sich aber an der schlechtesten Besetzung der letzten Monate vor dem Streik.

Kannst du uns mehr über die Arbeitsbedingungen im „Normalzustand“ erzählen?

Ja. Wenn wir so besetzt sind, drei Pflegepersonen zur Patient:innenversorgung, versorgen wir teilweise bis zu 70 Patient:innen. Und das sind nicht einfach nur Leute die einen verstauchten Fuß haben. Das sind Leute mit Frakturen oder in psychischen Ausnahmezuständen aber auch Leute mit Akutsituationen, also Herzinfarkten, Schlaganfällen. Und das sind Menschen in akut lebensbedrohlichen Situationen, die reanimiert werden müssen, die beatmet werden müssen, die Herz-Kreislauf-Stillstände haben. Das sind auch Leute mit starken Schmerzen oder Patient:innen mit Demenz, die eine intensive Betreuung erfordern, genauso wie die Psych.-Patienten um die man sich eigentlich individuell kümmern müsste. Und davon haben wir dann quasi zu dritt bis zu 70. In einem Dienst, gleichzeitig. Da kann man sich vorstellen wie das abgeht. Dann müssen wir überlegen, wen wir von der Trage schicken, damit wenn die Feuerwehr wiederkommt sich jemand hinlegen kann und wo wir überhaupt jemanden hinsetzen können. Da bleiben die Grundbedürfnisse der Patient:innen – also Essen, Trinken, mal auf die Seite gedreht oder gewindelt werden – komplett auf der Strecke.

Und nach so einem Dienst fühlt man sich eigentlich immer wie eine richtige Versagerin. Du kommst nicht hinterher, du schaffst nicht alles. Menschen müssen auf vieles warten, es kommt zu vielen Aggressionsereignissen. Alles Dinge, die man mit einer guten Personalbesetzung verhindern könnte. Jetzt hat man eigentlich nur noch das Gefühl, dass man aufpasst, dass niemand stirbt. Und das ist nicht das Ideal, warum ich Krankenschwester geworden bin. Ich möchte Menschen gut versorgen und in schlimmen Situationen für sie da sein. Das geht alles nicht.

Welche Forderungen habt ihr aufgestellt, damit ihr in Zukunft mit einer besseren Besetzung arbeiten könnt?

Es gibt quasi zwei große Säulen für die Pflege in allen Bereichen. Von unserer Seite läuft alles auf einen Tarifvertrag Entlastung hinaus, also einen zusätzlichen Tarifvertrag zum TVöD nach dem wir aktuell arbeiten. Der soll eine schichtgenaue Mindestbesetzung für jeden Bereich vorsehen. Wir wollen ganz genau verhandeln, an welcher Stelle wir wie viel Personal brauchen. Bei uns würde das zum Beispiel bedeuten, dass in jedem Dienst mindestens acht Pflegepersonen da sind. Das ist an unseren Patientenzahlen orientiert. Es gibt Richtlinien von der DGINA (Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin, Anm. d. Red..)welche als Personalunterbesetzung einen Schlüssel von 1:5 oder 1:6 vorsehen, aktuell arbeiten wir mit einem Personalschlüssel von 1:15 bis 1:30. Man kann sich vorstellen, was das für einen Unterschied macht. In unserer Rettungsstelle haben wir aktuell 31 Vollkräfte und wir würden dann eher so auf 50 kommen. Also ein riesigen Unterschied in jedem Dienst. Das würde dazu führen, dass wir nicht mehr so überbelastet sind und so schnell aus dem Beruf ausscheiden müssen, wie das gerade häufig passiert. Das kann man auch auf andere Bereiche übertragen. In der Intensivmedizin ist es eigentlich notwendig und auch von der Gesetzgeberin gefordert, dass es eine 1:2 Betreuung gibt. Momentan ist es häufig 1:4 oder schlimmer. Dem wird man nicht gerecht, das ist unmöglich.

Es gibt ja auch die Forderung nach einem Punkte-Modell. Kannst du das noch einmal erläutern?

Genau, das ist die zweite Säule. Wenn diese Personalunterbesetzungen unterschritten werden, fordern wir Belastungspunkte. Wenn ich also zum Beispiel in einem Dienst arbeite in dem wir nicht zu acht sind, sondern nur zu viert, dann bekomme ich einen Belastungspunkt. Und unsere Forderung wäre, dass wenn wir eine bestimmte Anzahl davon gesammelt haben, wir einen Freizeitausgleich bekommen. Langfristig soll das die Arbeitgeber dazu zwingen, Personal aufzubauen, weil diese Belastungspunkte für sie natürlich teuer sind. Punkte soll es auch geben, wenn wir mehrere starke Belastungen wie beispielsweise Reanimationen in einer Schicht haben. Oder auch für Auszubildende, wenn sie in Situationen geraten, wo sie als Vollkraft missbraucht werden.

Wie wirkt sich der Streik aktuell auf euren Arbeitsalltag aus?

Ich muss ganz ehrlich sagen, in meiner Rettungsstelle und in vielen anderen Bereich auch ist es so, dass oft niemand streiken gehen kann, weil wir schon von Haus aus nicht besser besetzt sind, als es die Notdienstbesetzung vorsieht. Wenn jemand von uns streiken kann, ist es für die Kolleg:innen, die den Notdienst dann tragen müssen natürlich hart. Weil man weiß, dass gerade eigentlich noch mehr Personal da sein könnte. Deswegen fühlen wir uns da häufig sehr in der Zwickmühle, aber es ist gerade eben wichtig weiter zu streiken und das durchzuziehen. In meinem Team ist es zum Glück auch so, dass von 42 Kolleg:innen nur eine Person nicht streikbereit ist. Deswegen läuft das ganz gut, aber mittlerweile gehen wir auf dem Zahnfleisch. Es ist hart, man trifft auch auf viel Unverständnis bei anderen Kolleg:innen. Aber eigentlich muss man sagen, dass wir sonst auch mit ähnlich wenig Personal arbeiten. Und wenn die Arbeitgeberin argumentiert, dass das jetzt Patient:innengefährdung sei, dann ist das ein Riesenskandal und quasi Rufmord an der Pflege und an den Streikenden. 

Kommen wir noch einmal zu den Verhandlungen zurück, die gerade hier laufen. Was gibt es von dort zu berichten?

Für Vivantes hatten wir gestern Sondierungsgespräche, die liefen für einige Bereiche wirklich vielversprechend. Es wurde viel abgenickt von unseren sehr detailliert ausgearbeiteten Forderungen. Für andere Bereiche wie die Stationen mit Betten, die Azubis und Hebammen lief es eher schlecht. Für Auszubildende gab es gar kein Angebot, die Hebammen wurden ignoriert. Die können eigentlich nicht bei drei Geburten gleichzeitig sein und dass das gerade so passiert ist nicht menschenwürdig. Und für die bettenführenden Stationen scheint Vivantes ein Flexibilisierungmodell zu fordern. Also, dass nicht mehr nach Fachrichtung geteilt wird, sondern ganz viele Patient:innen interdisziplinär zusammenliegen. Das bringt mehrere Probleme mit sich. Zum einen müssen die Ärzt:innen die ganze Zeit hin und her laufen, was für viel Zeitverlust sorgt. Die haben eh schon genug Stress, auch nicht weniger als wir. Außerdem führt das zu einer Entprofessionalisierung in der Pflege. Das wertet das Selbstverständnis der Pflege total ab. Und es ist natürlich das Ziel bei Arbeitsausfällen einfach viele Patient:innen auf eine Station zu schieben. Man möchte ganz viel Geld sparen, wodurch die Qualität der Gesundheitsversorgung krass leidet. Dementsprechend wollen die bei uns nicht nach Fachbereich verhandeln. Deswegen sind wir gestern mit gemischten Gefühlen aus den Verhandlungen gegangen. 

Und wie ging es heute weiter?

Heute ist es katastrophal. Uns wird signalisiert, dass es denen relativ egal ist, wie lange die Verhandlungen dauern. Wir haben den Eindruck, dass die jetzt eine Verschleppungstaktik fahren um ein Ergebnis bis nach der Wahl am Sonntag zu vertagen, weil die genau wissen, dass wir jetzt gerade Momentum haben und dass gerade alle Augen aus der Politik auf uns gerichtet sind. Wahrscheinlich ändert sich das nach der Wahl. Dementsprechend wurde heute total viel zurückgenommen, was uns gestern zugesagt wurde. Es gibt aktuell eigentlich null befriedigende Ergebnisse. Sie sagen, dass sie nur noch bis heute früher Nachmittag mit uns verhandeln und dann wollen sie ins Wochenende gehen.

Du hast die Wahl am Sonntag angesprochen. Wie ist denn aktuell die Rückmeldung aus der Politik?

Bis jetzt habe ich da heute noch nichts gehört. Wahrscheinlich wird gerade in der Tarifkommission darüber diskutiert, wie wir jetzt darauf reagieren sollen. Wir haben in den letzten Wochen insgesamt 600 Erfahrungsberichte über die schlimmsten Situationen, die wir auf Stationen erlebt haben, gesammelt. Am Montag haben wir Politiker:innen von SPD, Grünen und Linken in der Zionskirche 16 davon vorgestellt. Wir haben uns bis jetzt darauf geeinigt davon nichts zu veröffentlichen, aber ich kann sagen, dass bei den Politiker:innen Tränen geflossen sind. Und ich denke mal unser nächstes Druckmittel wird sein, diese Berichte zu veröffentlichen wenn uns nichts anderes übrig bleibt.

Insgesamt ist es so, dass wir nicht mitbekommen, was im Hintergrund läuft. Aber nach diesem Montag hatten wir schon das Gefühl, dass da massiv Druck ausgeübt wurde. Danach gab es viele Zugeständnisse von Herr Danckert (Dr. Johannes Danckert, kommissarischer Vorsitzender der Vivantes-Leitung, Anm. d. Red.). Eigentlich hieß es, dass sie bis Ende der Woche ein abschlussfähiges Verhandlungsergebnis haben wollen. Und heute hatten wir dann den Eindruck, dass Dorothea Schmidt (Geschäftsführerin d. Personalmanagement bei Vivantes, Anm. d. Red.) dass alles ad absurdum führt. Es ist auch wichtig zu wissen, dass Schmidt uns sehr klein hält und uns immer wieder signalisiert, dass Pflege nichts wert ist, obwohl sie selbst gelernte Krankenschwester ist. Sie sagt, dass wir keine Belastungssituation hätten und dass das eine emotionale Wahrnehmung von Individuen sei. Das istaus einem Awareness-Standpunkt schon grob übergriffiges Verhalten uns gegenüber. Hier streiken jeden Tag 2.000 Beschäftigte. Und die Streikbereitschaft wäre eigentlich noch viel höher, aber wir fühlen uns unseren Patient:innen verpflichtet und wollen niemanden im Stich lassen. Genau diese Garantie der Versorgung unsererseits bedeutet ja auch die Notdienstvereinbarung. Wenn uns so etwas gesagt wird, ist das fast so, wie als Herr Spahn sagte, dass wir alle kündigen sollen, wenn wir es nicht aushalten.

Wann war das?

Das ist schon eine ganze Weile her und wurde nie öffentlich gemacht. Aber das war bei einer Veranstaltung, bei der Kolleg:innen von mir aus dem Klinikum am Urban anwesend waren.

Und wie sieht es aus mit der Solidarität aus der Bevölkerung, besonders nachdem diese während der letzten eineinhalb Jahre Covid-19-Pandemie immer wieder beteuert wurde. Zeigt sich das auch jetzt?

Ja, auf jeden Fall! Es gibt eine Petition zur Berliner Krankenhausbewegung, die wurde oft unterschrieben. Auch an den Streikposten vor den Krankenhäusern werden wir wahnsinnig häufig von der Zivilbevölkerung angequatscht. Es kommen ganz oft Leute vorbei und sagen uns, dass es toll ist, was wir machen und wollen die Petition unterschreiben. Teilweise gibt es auch andere Stimmen, aber wenn man mit den Menschen spricht, kommt dann meistens auch die Erkenntnis, dass es wichtig ist, was wir machen. Ich habe schon überwiegend den Eindruck, dass die Unterstützung in der Bevölkerung da ist. Ich bin nur ein bisschen enttäuscht über das mediale Echo. Die Berliner Gesundheitsversorgung steht an einem Scheideweg und den können wir gerade mit bestimmen. Absolut jede Person kommt irgendwann mal in ein Krankenhaus und Vivantes und Charité stellen zusammen nunmal elf der größten Krankenhausbetriebe in der Stadt. Das heißt es geht wirklich jeden etwas an und dafür finde ich das Interesse noch zu gering.

Kannst du uns zum Schluss noch einen Ausblick geben, wie ihr weiter verfahren wollt, auch über das Wahl-Wochenende hinaus?

Wenn sich das weiterhin so unbefriedigend gestaltet, wie es das bisher tut dann werden wir – auch wenn wir alle auf dem Zahnfleisch gehen und nicht mehr wollen – weiter streiken müssen. Und wahrscheinlich auch noch Mal Druck ausüben müssen. Vielleicht mit einer Veröffentlichung der Erfahrungsberichte.

Vielen Dank und viel Erfolg noch beim Streik!

Danke.

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Die Corona-Pandemie hat Gesundheitsbereich wie Gesellschaft insgesamt zu einem Pulverfass werden lassen. Ausbaden müssen die enormen Mehrbelastungen unter anderem die Arbeiter:innen im Gesundheitssektor, die öffentlich beklatscht und zugleich verheizt werden. In Hamburg ist nun deshalb ein Arbeitskampf ausgebrochen. Unsere Autorin Lena Padberg ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin aus Hamburg, politisch innerhalb und außerhalb gewerkschaftlicher Zusammenhänge aktiv.

Sie will den Leser:innen einen Einblick hinter die Kulissen der Hamburger Krankenhäuser gewähren und über den Widerstand der Beschäftigten gegen die Profitinteressen der Klinikaktionäre berichten.

Insbesondere der Gesundheitssektor, der schon vor der Corona-Krise am Limit war, musste in den letzten Monaten eine nie dagewesene Krise unter menschenunwürdigsten Arbeitsbedingungen bewältigen.

Die Pandemie trifft auf absoluten Personalmangel in allen Bereichen. Die Organisation in den Kliniken ist in vielen Krankenhäusern mehr auf Gewinnmaximierung als auf sinnvolles Handeln im Sinne der Gesundheit der Patient:innen ausgerichtet. Unterbesetzung, Fallpauschalen in Krankenhäusern, Zeitvorgaben in der Pflege und Patient:innen als “Gewinnfaktor” dominieren weiterhin die Versorgung in Hamburger Krankenhäuser. Die angekündigten Pflegebonuszahlungen sind bislang nicht ausgezahlt worden und werden auch nie ausgezahlt werden. Der Personalmangel ist an seinem absoluten Höhepunkt angekommen, unter anderem aufgrund der Aussetzung der Personaluntergrenzen.

Zweite Welle: Völlig überlastet

Zum Vergleich ist anzumerken, das in der ersten Pandemiewelle im Frühjahr ganze Abteilungen im Krankenhaus für Coronapatient:innen frei gemacht werden konnten. Kliniken erhielten Finanzspritzen und Personal aus der Anästhesie und den Operationssälen wurde auf die Intensivstation verlegt. Es gab Schulungen für Beatmungsgeräte, ein Krisenmanagement und vieles mehr.

In der zweiten Welle gibt es davon nichts mehr.

Kein Bett wird für Corona freigehalten, Anästhesiepersonal hilft nicht auf den Intensivstationen aus, kein Krisenmanagement ist vorhanden und Stationen, die für Corona geplant waren, wurden im September sogar geschlossen. Gleichzeitig haben einige Krankenhäuser sogar Personal im Bereich des Services (Versorgung der Patient*innen mit Essen usw.) abgebaut – und diese Tätigkeit muss nun vom Pflegepersonal übernommen werden.

Die geplanten Krankenhausbetten für Corona-Patient*innen sind in Hamburg weitestgehend belegt. Drastische Folge dessen ist, dass Coronapatient*innen auf allen Stationen verweilen. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich die anderen Patient*innen über das Personal mit Corona infizierten.

Zudem werden Patient*innen weiterhin regelmäßig auf den Fluren der Krankenhäuser geparkt.

Diese Zustände führten dazu, dass es in den letzten Wochen zu massiven Corona-Ausbrüchen unter dem Personal und den Patient*innen in den Hamburger Krankenhäusern gekommen ist.

Es ist kein Geheimnis, dass für medizinisches Personal andere Quarantäne-Vorschriften gelten.

Personal in “Freizeitquarantäne”

Quarantäne bedeutet für das Gesundheitspersonal nämlich eigentlich Freizeitquarantäne. Verboten ist alles, außer das Verlassen des eigenen Zuhause zum Arbeiten. Alles andere – wie zum Beispiel das Wegbringen der eigenen Kinder in den Kindergarten und das Einkaufen usw. – ist nicht erlaubt. Zudem ist es verboten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Was das für die Gesundheitsbeschäftigten bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.

Außerdem stellen die knappen Ressourcen der Gesundheitsämter ein großes Problem dar. Oftmals kommen sie mit der Kontakt-Verfolgung innerhalb der Krankenhäuser nicht mehr hinterher. Dies nutzen die Klinikbetreiber aus, denn solange den Krankenhäusern keine staatliche Quarantäneauflagen für ihr Personal vorliegen, müssen alle weiterarbeiten. Gleichzeitig bekommen einige Pflegekräfte auch Arbeitsverbote (Also richtige Quarantäne). Dies führt wiederum dazu, dass manchmal ganze Stationen bis hin zu Abteilungen kein Personal mehr hatten, um die Patient*innen zu versorgen. Ab diesem Moment wird Personal von anderen Stationen abgezogen, das wiederum dort fehlt, ein Teufelskreis.

Um all den Personalmangel zu kompensieren, kamen die Verantwortlichen in Niedersachsen auf die Idee, die 60 Stunden Woche und den 12 Stunden Tag für die Beschäftigten aus dem Krankenhaus zu ermöglichen. Dieses führt dazu, dass die Kliniken auch in anderen Bundesländern versuchen, Lockerungen des Arbeitszeitgesetzes durchzusetzen.

Schutzkleidung Mangelware

Schutzkleidung ist – wie schon in der ersten Welle – weiterhin Mangelware und deren Qualität ist mehr als nur unzureichend, sie ist miserabel. Die Klinikbetreiber geben sogar vor, dass der Mundschutz nur bei enormer Verschmutzung, nach einer Schicht oder sogar erst nach einer Woche gewechselt werden darf. Dass der medizinische Mund-Nasenschutz laut Herstellerangaben aber niemals eine so lange Wirksamkeit garantiert, wird vernachlässigt. Manche Kliniken geben Schutzkleidung sogar nur rationiert raus, sodass die Kolleg*innen keine andere Wahl haben, als den Mundschutz für 8 Stunden oder länger zu tragen.

Das gesamte Klinikpersonal wird immer noch nicht großflächig getestet. Pflegekräfte müssen um Coronatests betteln und dann noch bestimmte Kriterien erfüllen, um einen Test zu bekommen.Das Testergebnis aber spielt in vielen Fällen aber sowieso keine Rolle, da egal, ob negativ oder positiv, die Arbeit weitergeführt werden muss. Also halten wir fest: Für den Fußball gibt es den Test. Für das Personal im Krankenhaus gibt es Ausbeutung bis zum Umfallen.

Pfleger:innen vor dem Zusammenbruch

Elektive medizinische Eingriffe – also nicht unaufschiebbare Operationen – wurden in der ersten Welle noch ausgesetzt. Jetzt aber werden so viele Patient*innen wie möglich durch die Krankenhausfabrik geschleudert, damit die Klinikmanager und die Aktionäre sich an dem Leiden und an der Pandemie bereichern können.

Die Angst davor, sich mit Corona zu infizieren, sowie die psychische und körperliche Belastung aufgrund der menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen im Krankenhaus, ist in vielen Fällen aktuell so groß, dass sich Pfleger:innen wochenlang krankschreiben lassen und das emotionale Ausbrüche, wie zum Beispiel das plötzliche Zusammensacken des Körpers oder panisches Schreien, Wutanfälle und heftiges Weinen unter uns Beschäftigten im Gesundheitswesen zu einer Alltäglichkeit geworden sind. Diese Ängste sind nicht unberechtigt, einige Krankenhausbeschäftigte liegen nun in dem Bett und an der Beatmungsmaschine, die sie zuvor selbst betreut haben.

Ein Arbeitskampf beginnt

Im Jahr 2019 wurde der sogenannte Volksentscheid für mehr Personal im Krankenhaus vom Hamburger Senat als verfassungswidrig eingestuft. Ein Grund lag darin, dass auf Bundesebene eine Personalregelung schon verabschiedet worden sei, nämlich die am Ist-Zustand orientierende Personaluntergrenzen. Diese haben in der Vergangenheit zu Personalabbau, dauerhaften Patient*innen-Verschiebungen geführt und ganze Stationen wurden einfach umbenannt, damit sie nicht in die Personaluntergrenzenregelung hereinfallen.

Während das Verfahren gegen den Volksentscheid lief, hatten sich schon längst viele Beschäftigte aus den Krankenhäusern organisiert. Es fanden sich Pfleger:innen, Hebammen, Therapeut:innen usw. zusammen. All diese hatten schon lange die Idee von der Organisierung “von unten“, also der eigenen Kolleg:innen. Es wurden alte und neue Arbeitskämpfe aufgearbeitet, aus denen sich die theoretische Grundlage für die Praxis gebildet hatte.

In den darauf folgenden Monaten wurden in den Krankenhäusern immer mehr Kolleg:innen dazugewonnen. Gleichzeitig kam es zu mehreren Veranstaltungen, in denen gemeinsam der Inhalt der Forderungen ausdiskutiert worden ist. Denn nur die Kolleg:innen selbst wissen, was es braucht, um die Arbeit und die Versorgung im Krankenhaus menschenwürdiger zu machen.

Kurz darauf standen schon die Hamburger Senatswahlen an.

Wir wollten die Wahlen bestimmen und das Thema Pflegenotstand zurück in den Wahlkampf bringen. Dies war von der politischen Seite nicht erwünscht. Jedoch waren die Krankenhausbeschäftigten unermüdlich. Zunächst gab es eine Unterschriftenaktion, die dem Senat überreicht worden ist, danach eine Fotoaktion, Besuche von Pfleger:innen in den Wahlkampfveranstaltungen, Demonstrationen und zum Schluss eine Anhörung, in der z.B. auch Frau Fegebank, Vorsitzende der Grünen, teilnahm. In der Anhörung hatten die Beschäftigten des Krankenhauses ihren Klinikalltag und ihre Forderungen geschildert. Diese Aktionsform, sowie all die anderen Aktivitäten, haben dazu geführt, dass die Kolleg*innen einen großen Erfolg erleben konnten.

Am Anfang des Jahres 2020, noch vor dem Beginn der Pandemie, ließ die Gesundheitsbehörde berichten, dass vier große Forderungen von den Krankenhaus-Beschäftigten ins Koalitionsprogramm aufgenommen worden sind.

Die vier Koalitionspunkte enthalten sinngemäß:

  • Keine Hebamme soll mehrere Geburten gleichzeitig betreuen;
  • Keine Pflegekraft soll alleine im Nachtdienst für über 30 Patient:innen zuständig;
  • Einführung einer Personalbemessung;
  • Auszubildende erhalten eine dauerhafte Praxisbetreuung

Viele von diesen Aktionen hatten natürlich ihren Zweck darin, das Thema Krankenhaus in die Öffentlichkeit zu bringen. Dennoch haben uns am Ende nicht die Unterschriften interessiert, sondern die Kolleg:innen, die hinter ihnen stehen. Der eigentliche Zweck lag nämlich darin, Strukturen aufzubauen. Denn je größer der Organisationsgrad, desto schwieriger die Aktionen. Dabei ist der größte Strukturtest am Ende der Streik.

Tarifrunde und Arbeitsstreiks

Im Laufe des Jahres wurden mehrere Umfragen, Fotoaktionen, Pressekonferenzen usw. durchgeführt. Nachdem die erste Coronawelle abgeflacht war, ging es erst richtig los.

Die Tarifrunde wurde gestartet.

Hamburg hatte aufgrund der effektiven Organisation in der Vergangenheit einen leichten und guten Start in die Tarifrunde. Erstmals wurde mit der Gewerkschaft und der organisierten Basis neue Methoden des Arbeitskampfes ausprobiert. Dies beinhaltet zum Beispiel die Durchführung von “Arbeitsstreiks”, regelmäßig Treffen, direkte Absprachen mit der Tarifkommission und einer hohen Teilnehmer:innenzahl bei den beiden durchgeführten Warnstreiks.

Trotz des ernüchternden Tarifergebnisses müssen sich Linke und die Beschäftigten vor Augen führen, dass in früheren Tarifrunden meistens pro Krankenhaus nicht Mal hundert Menschen die Arbeit niedergelegt hatten. Diese Tarifrunde aber haben sogar 350 Kolleg:innen nur an einem Krankenhaus gestreikt und insgesamt 3500. Gleichzeitig hat die Tarifrunde den gewerkschaftlichen und außer-gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Krankenhäusern enorm erhöht. Die Warnstreiks in der letzten Tarifrunde haben damit ein großes Potenzial innerhalb der Arbeiter*innenklasse gezeigt.

Es war nie unser Ziel, diese lächerlichen 4,5 Prozent zu erhalten. Es war verständlich, dass am Ende der Tarifrunde einige Kolleg*innen über das Ergebnis enttäuscht waren. Zudem hatte die Gewerkschaft in Hamburg wieder einmal gezeigt, wie eng sie mit der arbeiter*innenfeindlichen Sozialdemokratie zusammenarbeitet. Trotzdem haben die meisten den wahren Erfolg erkannt und wissen, dass es nicht unser Ziel war, die Gewerkschaftsforderungen durchzusetzen, sondern eben die Organisierung von unten.

Schwierigkeiten im Arbeitskampf

Es ist natürlich zu vermerken, dass die Organisation von Beschäftigten in der aktuellen Zeit eindeutig mehr Feingefühl benötigt. Es mussten immer wieder Veränderungen innerhalb der Strategie vorgenommen werden. Zusammenkünfte mussten ins Virtuelle verlagert werden. Ausfälle von Organizer*innen und Aktivist*innen mussten kompensiert werden. Es ist ein dauerhaftes Auf und Ab in den letzten Monaten gewesen, jedoch konnten wir durch die sich stetig veränderten Situationen auch neue Wege der Organisation von Krankenhausbeschäftigten erlernen, die uns ohne Pandemie nicht gegeben wären.

Gleichzeitig scheint es aktuell so zu sein, dass je schlimmer die Arbeitsbedingungen durch Corona und den bestehenden Personalnotstand werden, desto schwieriger der Arbeitskampf wird. Es wird davon ausgegangen, dass im Dezember die letzte Chance für uns Beschäftigten im Krankenhauswesen liegt, um den Arbeitskampf in einer noch höheren Phase führen zu können. Danach wird es wahrscheinlich erschwert sein, den Arbeitskampf weiterzuführen, da die Lage im Gesundheitswesen aller Wahrscheinlichkeit nach eskalieren wird.

Derzeit wird versucht, die Politik in die Verantwortung zu nehmen. Des Weiteren sind noch andere Aktionen und Wege geplant, die jedoch natürlich aus strategischen Gründen nicht beschrieben werden. Dennoch kann man festhalten, dass auch Streiks in dieser Zeit als eine Option und nicht nur als eine Option angesehen werden, sondern als eine Notwendigkeit. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass es zu spontanen Kampfmaßnahmen in den Krankenhäusern kommt. Dergleichen gab es z.B. schon im Jahre 2019 in einem Operationssaal, als die OP-Pfleger*innen sich an einem Morgen in den Sitzstreik begeben hatten.

Repressionen: Ausprägung und Folgen

Repressionen waren und sind im Arbeitskampf der Krankenhäuser auf der Tagesordnung. Mal kommt es zu Versuchen, Unterschriftenlisten oder andere Dokumente in den Kliniken von Aktivist*innen einzuziehen oder diese durch den Arbeitgeber zu entwenden. Es kommt zur Ausübung von psychischem Druck über die Ärzteschaft und durch Personalgespräche. Die meisten Repressionen bestanden aus: Zwangsversetzungen von Pflegekräften auf andere Stationen, Abmahnungen, Kündigungsandrohungen, Teamtrennungen und Arbeitsverpflichtungen vor den Streiks.

Zudem versuchte die Arbeitgeberseite in der Corona-Krise, die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu bekommen, damit die gesellschaftliche öffentliche Meinung sich gegen die Streikenden in den Krankenhäusern richtet. Es wurde auf hetzerische Weise in den sozialen Medien, Zeitungen usw. die Streiks, als eine Gefahr für die Versorgung von Patient*innen dargestellt.

Doch die Streikenden konnten mit einer hervorragenden Community-Arbeit, die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass nicht der Streik, die Versorgung in deutschen Krankenhäusern verschlechtert, sondern der Normalzustand des Personalnotstands.

All diese Repressionen haben uns gelehrt, das die bestehende Solidarität, die wir in den letzten Jahren durch die Organisation aufbauen konnten, unsere größte Waffe gegenüber der Kapitalseite ist. Jedoch hat auch konsequente Antirepressionsarbeit im voraus eine zentrale Rolle gespielt. Denn wer seine Rechte kennt, kann sich besser wehren.

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Dieser Artikel ist ein Vorabdruck aus der neu erschienenen Nachbarschaftszeitung “Kiezecho” der Kiezkommune Friedrichshain.

Hallo, mein Name ist Raul, ich bin 36 Jahre alt und Gesundheits- & Krankenpfleger für Intensivmedizin in Berlin. Ich habe acht Jahre lang im Vivantes-Klinikum im Friedrichshain auf einer großen Intensivstation (ITS) gearbeitet.

Berufsausbildung und erste Eindrücke auf der Intensivstation

Krankenpfleger bin ich nur zufällig geworden, denn einen expliziten Berufswunsch hatte ich nie. Nach dem mühsamen Abschluss der Fachhochschulreife für Sozialwesen stand ich recht ahnungslos da. Ein Glück konnte ich daraufhin den Zivildienst in einer Hauskrankenpflege in Kreuzberg leisten. Der plötzliche Kontakt mit hilfsbedürftigen Menschen aus allen sozialen Schichten war überwältigend. Man bekam einen Einblick in das Leben hinter den Berliner Altbaufassaden. Die Leute und die Erfahrungen dort bewegten mich dazu, mich für die Ausbildung zum Gesundheits- & Krankenpfleger zu bewerben. Dank meines ausgezeichneten Arbeitszeugnisses der Hauskrankenpflege und meinem miserablen Hochschulreifeabschluss (5 in Mathe) war Vivantes die einzige Krankenpflegeschule, die mir eine Chance gab. Damals waren die Anforderungen für einen Ausbildungsplatz noch etwas höher als heute und die Not gefühlt noch nicht zu groß.

Die dreijährige Ausbildung von 2007 bis 2010 war eine aufregende, schöne und prägende Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Ich hatte zuvor noch nie wirklich ein Krankenhaus betreten, hatte keine Ahnung vom beruflichen Alltag oder von den komplexen theoretischen Inhalten. Durch das medizinische Wissen erwirbt man einen ganz anderen Blick auf den menschlichen Körper.

Eines Tages hatte ich dann einen Einsatz auf einer ITS im Krankenhaus Friedrichshain. Ich hatte vorher keine Ahnung was mich erwarten würde und es war ein Schock. Regungslose Körper in den Betten, das Rauschen der Beatmungsgeräte, die Bettplätze umzingelt von Medizintechnik und überall ertönen verschiedene Alarme. Der Umgang mit lebensbedrohlich, schwerst erkrankten Menschen ist eine ganz besondere Herausforderung. Ich konnte mich sofort mit der Station identifizieren und wollte nach dem Examen dort anfangen.

Über die Auswirkungen des Sparkurses der Klinikleitung

Vivantes wollte eigentlich nur sehr wenige Auszubildende übernehmen. Wir konnten das damals gar nicht verstehen, sahen wir doch während unserer Praktika die Not, die auf den Stationen herrschte. Der Sparkurs der Kliniken offenbarte seine hässliche Fratze. Überall überlastetes und frustriertes Pflegepersonal. Für Menschlichkeit blieb oft nicht viel Zeit. Die Jugendauszubildendenvertretung der Ver.di organisierte mehrere Streiks, um Druck auf die Geschäftsführung auszuüben. Das erste Mal musste ich für meine Arbeit kämpfen. Wir hatten Erfolg und sehr viele wurden übernommen.

Das Leben der Patienten auf der ITS ist oft ein Akt auf Messers Schneide. Die Patienten sind rund um die Uhr auf die Betreuung von Pflegenden und Ärzten angewiesen. Mindestens eine oder mehrere Organfunktionen werden unterstützt oder übernommen, um das Überleben zu sichern.

Viele Menschen schaffen es nicht. Meine erste Erfahrung mit dem Tod war ein junger Mann, genauso alt wie ich, der am Ostbahnhof als Radfahrer von einem Auto überfahren wurde. Der Körper wurde auf Station noch am Leben erhalten, aber der Schaden am Hirn war zu groß und irreversibel und der Patient verstarb. Für seine weinende Mutter schnitt ich eine Locke von seinem blutigen Kopf. So etwas läuft einem eiskalt den Rücken herunter und lässt einen anfangs nicht so schnell los.

Dauerstress und kollektive Erfahrungen

Oft muss man im Alltag 110% geben, um den Patienten irgendwie gerecht zu werden. Man verzichtet auf seine Pause, hat acht Stunden nichts getrunken und war nicht einmal auf Toilette. Anerkennung gibt es dafür nicht oder viel zu selten. Kein Arzt, der dir auf die Schulter klopft und sagt, das hast du gut gemacht, Danke. Die Patienten können einem ja nur selten Feedback geben. Also habe ich immer versucht, meine Patienten so gut wie ich es kann zu pflegen. Aus der Bibel abgeleitet, pflege jeden so wie dich selbst. Also Patienten sollten auch optisch gut gepflegt sein und sollten so viel Therapie wie möglich erfahren. So konnte ich wenigstens am Feierabend zu mir sagen, ich habe mein Bestes gegeben und konnte mit guten Gewissen nach Hause gehen.

Ein Glück hatte ich immer ein tolles Team an meiner Seite. Dann wurde die Station vergrößert und der Arbeitsaufwand wurde größer. Gefühlt betreute man jetzt im Frühdienst nicht mehr zwei, sondern drei Patienten, nachts sogar vier. Trotzdem war es ein schönes Arbeiten. Immer mehr junge Kollegen brachten Dynamik und Freude in den Arbeitsalltag. Junge Kollegen profitierten vom Wissen der Erfahrenen und anders herum. Durch die Teamstärke konnten wir die Belastungen des Alltags gut puffern. Wir traten für einander ein und halfen uns aus. Man hatte sich nie allein gefühlt. Auch außerhalb der Arbeit unternahmen wir viel. Es war sehr schön.

Viele Kollegen konnten sich jedoch nicht vorstellen ihre Zukunft unter diesen beruflichen Belastungen und dem Dauerstress fortzuführen und gingen. Entweder wollten sie studieren oder in Kliniken mit besseren Bedingungen arbeiten. In den letzten Jahren kamen und gingen die Kollegen, die Fluktuation war groß.

Ein Interesse der Klinik, daran etwas zu ändern, schien es nicht zu geben. Einmal riefen wir eine Notsitzung mit der Pflegedienstleitung ein, ein Hilfeschrei über die katastrophalen Arbeitsbedingungen. Die Leitung sagte am Ende nur, Hauptsache die Medikamente laufen und niemand stirbt. Hätte die Arbeit einen solchen Qualitätsanspruch, würde sie die Schulnote 4- bekommen. Wer möchte so gepflegt werden? Diese Leitung verbot es uns auch, die Personallücken mit Leiharbeitern zu füllen. Das Personal sollte dies kompensieren und wurde völlig verheizt.

Frustration und gewerkschaftliche Organisierung

Dass es so nicht weitergehen kann, war allen klar, nur etwas dagegen tun wollten die wenigsten. Der Gewerkschaft Ver.di gehörte fast niemand an. Auch der Betriebsrat wurde hämisch beäugt, bzw. fühlten sich die Kollegen dort nicht vertreten. Sie waren sogar genervt vom Betriebsrat und dessen Kleinkariertheit, z.B. bei der Kontrolle der Dienstpläne.

Ich habe deren Arbeit anders wahrgenommen. Es waren engagierte Arbeiter. Von der Putzfrau über die Physiotherapeutin bis zur Krankenschwester waren diese gewillt, mit Hilfe der Gewerkschaft die Arbeitsbedingungen zu verbessern und dafür zu streiken. Und so kam es auch, es wurde Streik angeordnet! Von meinem 60-köpfigen Team waren vielleicht zwei dabei. Sehr ernüchternd.

Wer kümmere sich dann um die Patienten, hieß es. Was soll das schon bringen? Bringt doch eh nichts. Das hörte man immer wieder von den älteren Kollegen. Manche hatte sogar Angst vor Repressalien des Arbeitgebers. Diese devote Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber konnte ich mir immer nur mit der DDR-Vergangenheit der meisten Kollegen erklären. Arbeit hat einen ganz anderen Stellenwert in deren Leben. Durchhalten ist die Devise, aber nicht beim Streiken, sondern beim Arbeiten. Hauptsache man kann meckern.

In mir wuchs die Frustration ebenfalls stetig. Zu oft bin ich fix und fertig und mit den Nerven am Ende nach dem Feierabend nach Hause. Immer öfter hatte ich schlechte Laune nach dem Feierabend und konnte nicht abschalten. Schlafstörungen kamen dazu. Nachts lag ich wach im Bett, schlecht gelaunt und demotiviert und habe mir Szenarien für den Dienst vorgestellt, die mich richtig nerven würden. Oft traten diese dann auch auch ein. Ich war schon vor Dienstbeginn genervt. Vor ein paar Jahren hätte ich niemals daran geglaubt, zu gehen. Ich hatte mich mit der Arbeit, den Kollegen und der Station identifiziert. Ich hatte eine Reputation, war ein angesehener Mitarbeiter und hatte trotzdem viel Spaß. Es gab auch weiter viele schöne und lustige Momente auf Arbeit. Aber das Negative schien immer mehr zu überwiegen. Mir war jedoch klar, dass ich etwas ändern musste.

Ich tat das, was viele Kollegen taten. Ich ging in die Zeitarbeit. Das heißt, ich arbeite auf sämtlichen Intensivstationen in Berlin und helfe dort aus. Meine Bezahlung ist besser, ich bestimme meinen Dienstplan komplett selber und gehe nur an den Tagen arbeiten, an denen ich möchte.

Erlauben tut dies das völlig desolate Gesundheitssystem. Es fehlt überall an Fachkräften und die Kliniken sind auf Zeitarbeiter angewiesen. Anders können sie ihrem Versorgungsauftrag nicht nachkommen. Und es ist günstiger als festes Personal. Natürlich nur auf sehr kurze Sicht.

Mir geht es aktuell damit viel besser, weil es mit dem Familienleben besser vereinbar ist. Des Weiteren habe ich mit all den Quereleien auf Station nichts mehr zu tun und die mangelhaften Zustände tangieren mich auch nur wenig. Ich bin Dienstleister. Ich versuche überall mein Bestes zu geben. Die Qualität leidet dadurch natürlich. Du kannst nirgends gleich gut und effizient arbeiten, wenn du die Gegebenheiten vor Ort nicht kennst. So gesehen wäre es für die Patienten besser, die Kliniken würden ihr Personal besser bezahlen und behandeln, damit diese von derer Expertise besser profitieren können.

Ich vermisse meine alte Reputation auf Station und all die Späße, die ich mir dadurch erlauben konnte. Die Kollegen die man schon seit Jahren kennt. Alles, was man hat, wenn man im festen Team arbeitet. Die Station kannte ich in und auswendig und jeder Handgriff saß. Das war echt toll.

Eine Rückkehr ist für mich jedoch aktuell nicht vorstellbar. Ich fühle mich für meine Arbeit zum ersten Mal angemessen und fair bezahlt.

#Raul Dahn

Das Kiezecho gibts in Friedrichshain bisher an folgenden Adressen:

  • Café Tasso
    Frankfurter Allee 11, 10247 Berlin
  • Café & Bäckerei CaMelina  
    Waldeyerstraße 12, 10247 Berlin
  • Espressobar La Tazza D’Oro
    Grünberger Str. 40, 10245 Berlin
  • Weder gestern noch morgen
    Gärtnerstraße 22, 10245 Berlin
  • Getränkemarkt Soso
    Schreinerstraße 12, 10247 Berlin
  • Kiez Coffee & Wash Center
    Samariterstr. 12, 10247 Berlin
  • Bier und Mehr Bier
    Rigaer Str. 77, 10247 Berlin
  • Eco-Express Waschsalon
    Warschauer Str. 22, 10243 Berlin
  • SB Waschsalon Schleudertraum
    Frankfurter Allee 33, 10247 Berlin
  • Wash Box
    Boxhagener Str. 114, 10245 Berlin
  • Waschsalon Friedrichshain Lavanderia
    Lenbachstraße 1, 10245 Berlin
  • Pizzeria Castello       
    Rigaer Str. 2, 10247 Berlin
  • Bäckerei 2000       
    Rigaer Str. 12, 10247 Berlin
  • Bäckerei Spätkauf OLIVE 
    Proskauer Str. 13, 10247 Berlin
  • FRIEDA-Frauenzentrum e. V.
    Proskauer Str. 7, 10247 Berlin
  • Vétomat – Siebdruckcafé
    Wühlischstraße 42, 10247 Berlin
  • UBI KLiZ e. V. / Mieterladen
    Kreutzigerstraße 23, 10247 Berlin
  • Bezirkszentralbibliothek Frankfurter Allee
    “Pablo-Neruda-Bibliothek”       
    Frankfurter Allee 14 A, 10247 Berlin
  • Filmclub K18       
    Kreutziger Strasse 18, 10245 Berlin
  • b-ware! Ladenkino
    Gärtnerstraße 19, 10245 Berlin
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In Berlin organisieren sich seit gut drei Jahren Auszubildende aus den 15 verschiedenen Pflegeschulen der Stadt. Im Rahmen dieser regelmäßigen unabhängigen Pflegestammtische wird jährlich die »Walk-of-Care«-Demonstration für bessere Bedingungen in der Pflegeausbildung organisiert. Dieses Jahr fand die Demo zum ersten mal zeitgleich in Berlin, Stuttgart, Aachen und Hamburg statt. Wir sprachen mit zwei Pfleger*innen aus Berlin über den Ruf der Pflege und ihre Vorstellungen für ein würdiges Gesundheitssystem.

Last uns doch einfach damit anfangen was der Pflegestammtisch ist und wer sich dort organisiert. Wann ging das denn los und mit welcher Intention seit ihr gestartet?

Daria: Los ging es damit, dass es eine große Demotivation während der Ausbildung gab. Wir haben festgestellt, dass wir uns untereinander eigentlich gar nicht kannten. Wir wussten nicht, was an anderen Schulen so läuft und wir kannten auch kaum Leute aus den anderen Kursen.

Dann haben einige angefangen sich untereinander zu vernetzen. Auch mit den anderen Schulen. Welche Probleme habt ihr? Was steht bei euch im Fokus? Worüber können wir uns austauschen? Vor uns haben ja schon so viele die Ausbildung gemacht. Es sind ja auch immer wieder ähnliche Probleme. Können wir diese negative Stimmung gemeinsam überwinden und das Schlechte, was generell über diese Ausbildung gesagt wird, wieder in ein positives Bild wandeln. So ist der Stammtisch als Vernetzung von Auszubildenden entstanden. Das war Ende 2015.

Andre: Es ist einfach auch krass zu sehen, was passiert. Viele Jugendliche haben ja auch eine Sehnsucht, mehr zu machen. Einen Sinn und Zweck in ihrer Arbeit zu sehen und sich für ihren Beruf zu engagieren. Nicht umsonst gibt es an den DRK-Kliniken mittlerweile die BIZ-Pflegekonferenz, bei mir an der Wannseeschule gibt es ebenfalls jedes Jahr eine Konferenz, die wir Auszubildenden organisieren.

Aus der Vernetzung ist dann auch schnell der »Walk of Care« entstanden. Welche Forderungen habt ihr seitdem formuliert? Habt ihr damit schon etwas bewirkt?

Daria: Also es gibt ein paar Forderungen, auf die wir uns im Kollektiv geeinigt haben. Zum einen, dass die Personalbemessung am Pflegebedarf gemessen werden muss und nicht an irgendwelchen Untergrenzen, wie es derzeit der Fall ist. Wir wollen auch eine gute Regelung für Fort- und Weiterbildung. Also beispielsweise Freizeitausgleich und Bezahlung, denn das findet ja neben der eigentlichen Arbeit statt und ist notwendig, um gut arbeiten zu können.

Es gibt auch die Forderung, dass wir eine gute Praxisanleitung brauchen. Das sind die Menschen, die uns zeigen, wie der Beruf praktisch geht. Das ist leider in vielen Fällen nicht selbstverständlich.

Das liegt auch daran, dass die Pflegekräfte auf den Stationen meistens total ausgelastet sind mit der Arbeit und keine Zeit für die Schüler*innen haben.

Es ist halt etwas anderes wenn du Sachen in der Schule theoretisch lernst, aber dann auf Station mit Menschen zu tun hast, und es immer ordentlich machen musst. Das ist ja am Ende auch eine Gefährdung für Patienten, wenn du es dort nicht praktisch lernst. Das will niemand von uns. Dieser unmögliche Spagat zwischen Theorie und Praxis fördert auch ungeheuer die Frustration bei uns jungen Leuten. Das ist ein innerer Konflikt den wir Schüler*innen mit uns selbst ausfechten müssen und der dazu führt, dass viele einfach die Reißleine ziehen. Wir haben innerhalb der Pflegeausbildung eine der höchsten Abbruchquoten. Ungefähr jede dritte Person bricht die Ausbildung ab. Auch deshalb haben wir den Pflegestammtisch gegründet.

Wie waren denn die Reaktionen auf eure Forderungen bei den Kolleginnen und Kollegen?

Daria: Ich will noch sagen: Unsere Forderungen sind jetzt nicht super radikal, aber doch richtungsweisend. In den DRK-Kliniken waren einige Auszubildende dermaßen frustriert. Die wollten einfach streiken, weil niemand auf sie gehört hat. Aus dieser Drohung ist dann die selbstorganisierte Pflegekonferenz entstanden. Das war ein großer Erfolg für uns.

Andre: Generell finden die Auszubildenden die Forderungen super. Sie würden ja massiv davon profitieren. Auf den Stationen ist es sehr unterschiedlich. Da merkt man, wie die Rahmenbedingungen auf manche Menschen über Jahre schon eingewirkt haben. Mir wird dann gesagt: „Ja ja, fordert mal. Es wird sich eh nix ändern.“ Die haben innerlich schon den Pflexit gemacht und mit dem Beruf an sich abgeschlossen.

Daria: Sie haben halt die Hoffnung aufgegeben, dass sich was ändert. Ich glaub viele wollten vor uns den Kampf schon kämpfenm aber wussten vielleicht nicht wie und jetzt haben sie keine Kraft mehr. Da war sicher auch oft die persönliche Grenze erreicht. Wir haben einfach Glück, dass wir die Gruppe haben.

Beschäftigt ihr euch als Auszubildende auch mit den allgemeinen Forderungen für ein Ende der Ökonomisierung der Pflege und mehr Personal im Krankenhaus?

Daria: Natürlich ist es für uns alle auch Thema, denn wir werden ja bald auch selbst damit konfrontiert sein. Allerdings haben wir im Rahmen des Stammtischs auch keine einheitliche Meinung dazu. Aber wir sprechen natürlich darüber.

Andre: Mich beschäftigt schon die Frage, ob ein Krankenhaus wirklich Gewinne erwirtschaften muss. Das ist ja ein riesiger ethisch-moralischer Konflikt, dass Unternehmen Gewinne erwirtschaften und Renditen zahlen mit Menschen, die krank sind. Das ist dann aus meiner Sicht auch gesellschaftlich eine zentrale Frage. Wollen wir Krankheit wirklich mit einem Preis versehen?

Es gibt ja genügend Leute die sagen: „Der Markt wird das schon richten“. Nein tut er eben nicht und das zeigt die Pflege. Diese ganzen Rahmenbedingungen führen dazu, dass in der Pflege die Verweildauer nur 8-12 Jahre ist. Das ist einfach nicht viel und das motiviert auch niemanden, in diesem Beruf zu arbeiten. Aber das wollen wir zusammen ändern.

# Der Autor Björn Tvätt arbeitet in der Redaktion der Weddinger Stadtteilzeitung „Plumpe“ und in Nachbarschaftsinitiative “Kiezkommune Wedding”

#Bildquelle: Facebook, @PflegeKultur

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