Pflegebonus und Impfpflicht, Zuckerbrot und Peitsch – die Bundesregierung nimmt Pfleger:innen als Adressat:innen ihrer Politik ins Visier. Wir haben mit Eileen (25), die auf der Intensivstation in einem Berliner Krankenhaus arbeitet darüber, was der viel beschworene Pflegenotstand eigentlich bedeutet, sowie über Pflege in Zeiten von Corona gesprochen.
Du hast ja im April 2020, als die Pandemie richtig losging, direkt nach Abschluss deiner Ausbildung auf der Intensivstation angefangen. Wie war das?
Ich habe als Berufsanfängerin direkt in dem Fachbereich der Intensivstation angefangen. Eigentlich sollte man das mit einer Berufserfahrung von ein bis zwei Jahren machen, aber dadurch, dass der Notstand so hoch war, konnte ich direkt nach der Ausbildung dort anfangen. Das Pensum, das ich zu lernen hatte war enorm hoch, mit Fähigkeiten, die ich in der Ausbildung gar nicht an die Hand bekommen habe. Dazu kam dann noch die Situation mit der Pandemie. Wir waren erst in anderen Räumen, um die Patient:innen zu isolieren, weil gar nicht klar war, wie lange das anhalten wird. Es gab viel extremere Maßnahmen als jetzt um die Pandemie einzudämmen. Das hat sich ein bisschen entspannt; nicht vom Arbeitspensum, sondern von den Maßnahmen, die von den hygienebeauftragten Personen gemacht wurden.
Hast du im Laufe der Pandemie einen Unterschied gemerkt, in der Art und Weise wie Ihr arbeiten musstet?
Auf jeden Fall. Nach zwei Jahren Pandemie sind wir zumindest mit den Arbeitsmaterialien auf einem guten Weg. Es gibt genug FFP2-Masken und Schutzkleidung für die Pflegekräfte. D.h.wir müssen nicht mehr für zwei Dienste die selbe Maske tragen oder den selben Kittel für unterschiedliche Patient:innen. Ein Mindestmaß an Arbeitsschutz ist jetzt gegeben, aber das war nach zehn Monaten in denen wir nicht sicher sein konnten, dass wir genug Schutzkleidung haben. Deswegen sind auch viele Kolleginnen und Kollegen an Corona erkrankt.
Was super traurig ist, ist wie sich das im Zwischenmenschlichen entwickelt hat. Durch die Maske kann man mit Mimik nicht viel ausrichten. Man kann nicht richtig miteinander sprechen, sich nicht richtig sehen, Emotionen und Gefühle ausdrücken. Es ist natürlich essentiell die Masken zu tragen. Aber im Laufe der Pandemie ist die Anonymität größer geworden und dadurch kann man für die Patienten nicht so viel emotionale Arbeit leisten.
Wie ist denn die Situation aktuell bei euch auf der Station?
Es gibt wenige Covidpatient:innen auf der Intensivstation, zumindest bei mir im Krankenhaus. Dafür sind aber die Normalstationen komplett voll. Und die meisten Patient:innen, denen es auf der Intensivstation sehr schlecht geht, haben Vorerkrankungen, konnten sich deshalb vielleicht nicht impfen lassen. Es ist ein ganz anderer Zustand als im letzten Jahr. Das ist zumindest bei mir auf Station so.
Insgesamt haben ja im Laufe der Pandemie viele Leute gekündigt. War das bei euch auch so?
Ja. Konsequenz daraus ist ein noch stärkerer Pflegenotstand. Ich habe einige Kolleg:innen, die vorher Vollzeit gearbeitet haben und jetzt reduziert haben, weil so intensiv im Schichtdienst zu arbeiten nicht mit einem normalen Leben vereinbar ist. Wir werden z.B. sehr oft aus dem Frei geholt. Das kann man sich in einem normalen 9 to 5 Job ja kaum vorstellen. Ich wurde schon sonntags beim Frühstück angerufen wurde, ob ich nicht einspringen und Montag Dienst machen kann. Ich sehe so oft die Telefonnummer vom Krankenhaus auf meinem Handy und will eigentlich gar nicht rangehen; kriege Herzrasen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich gleich absagen muss. Und das ist ein Stressfaktor unabhängig davon, ob man gerade auf Station ist, oder nicht. Wenn man dann sowieso insgesamt nur acht Tage im Monat frei hat und dann noch zwei Dienste übernommen hat, bleibt nicht viel übrig. Ich selber habe jetzt auch Stunden reduziert und angefangen zu studieren.
Bei uns auf Station haben aber auch einige neue Leute angefangen. Wenn so viele Leute neu auf der Intensivstation anfangen, ist aber auch die Frage, inwieweit wir dem gewachsen sind. Ich z.B. hatte eine Einarbeitung von fünf Wochen, eigentlich ist Vorschrift mindestens zwei Monate. Und das ist auch eingeschränkt worden, damit wir schnell als souveräne Arbeitskraft in den Schichtplan eingeführt werden konnten. Dadurch leidet dann unter Umständen die Arbeitsqualität, was dann der Rest des Teams kompensieren muss. Bei mir hat das auch zu extremer Überforderung geführt. Man wird dann einfach so in diese Ausnahmesituation reingeworfen. Dir bleibt dann nicht so eine richtige Wahl.
Stichwort Pflegenotstand. Was hat das für euch bedeutet?
Dass Leute Überstunden machen, dass Kolleginnen und Kollegen länger arbeiten müssen, dass die körperliche Belastung extrem hoch ist. Patient:innen richtig zu versorgen ist oft nicht möglich. Es ist eher so dass man eine Liste an essentiell notwendigen Dingen abarbeitet, ohne mal nach rechts und links gucken zu können, damit es den Menschen gut geht. Und wenn‘s nur darum geht mal zwei Minuten mit der Person zu sprechen. Der Puls ist die ganze Zeit auf 180. Man versucht jedem die Medikamente zu geben und den Grundbedarf sicherzustellen. Das ist nicht die Art von Pflege, wie ich sie gelernt habe und wie wir arbeiten möchten.
Pflegenotstand ist auch ganz viel Ungewissheit. Dass man zum Dienst kommt und nicht weiß, ob man richtig besetzt ist. Angst davor, dass zu wenig Menschen da sind, um die Patient:innen zu versorgen. Resignation und Unmut. Unterschwellig macht sich auch ein schlechtes Gewissen breit, wenn man krank ist und nicht arbeiten kann, weil man das Gefühl hat, seine Kolleg:innen im Stich zu lassen. Das ist doch eine perfide Vorstellung, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich krank bin, weil es nicht die personellen Möglichkeiten gibt, das zu kompensieren. Auch das ist für mich Pflegenotstand.
„Ich kann meine Arbeit nicht beenden, dann lass ich das für morgen liegen“ – das geht in dem Job nicht. Entweder müssen das dann meine Kolleg:innen machen, oder es wird halt nicht gemacht. Und das ist dann zu Lasten der kranken Personen. Das ist auch eine sehr gefährliche Arbeitsweise.
Meistens geht ja auch alles gut. Aber wir müssen ja auch den schlimmsten Fall vorbereitet sein und nicht hoffen, dass der schlimmste Fall nicht eintritt. Sodass ich dann dastehe und zwei instabile Patient:innen habe, die ich nicht versorgen kann, weil ich nicht genug Hände habe.
Hast du denn den Eindruck, dass sich an den grundlegenden Problemen etwas ändert im Laufe der Pandemie?
Zum einen bin ich dankbar dafür, dass der Pflege so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das hat sehr viel Kraft gegeben. Aber z.B. über den Sommer, als weniger Menschen wegen Corona in den Krankenhäusern waren, habe ich gar keinen Rückhalt gespürt. Es gab ja punktuell den Pflegestreik, wo noch Solidarität da war, aber unser Kampf ist immer nur Thema, wenn der größte Ausnahmezustand erreicht ist. Und das ist unfair, weil unabhängig von der Pandemiesituation, die Situation angespannt und überfordernd ist. Und nicht nur Covidpatient:innen versorgt werden müssen, sondern mit mindestens genau so hohem Aufwand andere Patient:innen, die auf der Intensivstation liegen.
Die Arbeit der Pflege wird wahrscheinlich wieder in den Hintergrund geraten, weil die Pandemie von einigen schon als beendet gefeiert wird und die Kontaktbeschränkungen schrittweise gelockert werden und Krankheit, Pandemie und sterbende Patient:innen das Leben der meisten Menschen in den nächsten Monate nicht mehr dominieren wird.
Und was hältst du von dem angekündigten Pflegebonus?
Den Pflegebonus halte ich für Quatsch. Das ist Symptombehandlung. Weil‘s sich schön anhört, wenn man liest, dass die Pfleger:innen eine Milliarde bekommen. Aber mir ist es egal, wie viele Nullen da sind. Es geht generell um eine bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Zeit, mehr Sicherheit.
Und was ist mit Leuten, die nicht direkt am Krankenbett von Covidpatient:innen arbeiten, aber genauso essentiell für das Gesundheitssystem sind? Was ist mit Leuten in der ambulanten Pflege? Was ist mit Leuten, die in der ersten und zweiten Welle gearbeitet haben, aber danach aufgehört haben? Und einen genauso großen Anteil daran hatten, der Pandemie Herr:in zu werden. Das ist alles gar nicht berücksichtigt. Ich habe das nicht mehr oder weniger verdient als jemand der an einem Bett von einem Krebspatienten steht.
An den Strukturen wird also nichts gemacht, sondern Geld rausgeworfen um die Sache zu beruhigen. Es wird ja auch über eine Impfpflicht diskutiert, insbesondere für Pflegepersonal. Wie siehst du das? Wie wird das bei euch diskutiert?
Ich halt es schon für eine Voraussetzung, dass medizinisches Fachpersonal, welches mit kranken Menschen arbeitet geboostert ist. Denn dass die Impfung mehr als essentiell ist, um die Pandemie einzudämmen, Menschenleben zu retten und uns gegenseitig zu schützen, steht außer Frage.
Ich kenne aber auch einige Menschen, die in der Pflege arbeiten und nicht geimpft sind. Die lieben ihren Job und sind unglaublich gewissenhaft im Umgang mit Patient:innen, wie alle anderen auch. Die würden ihren Job gefährden, bzw. kündigen, wenn die Impfpflicht kommen würde. Das muss man sich mal vorstellen, was da für Prinzipien und Überzeugungen dahinterstehen, das in Kauf zu nehmen. Und ich denke nicht, dass eine Impfpflicht diese Prinzipien aufweichen würde, sondern eher die Situation noch verschärft. Ich denke, dass es mittlerweile nicht mehr irgendeine Angst vor der Wirkung oder Langzeitfolgen ist, die viele davon abhält, sondern eher ein Misstrauen, nach dem Motto „Ich mache nichts wozu ich gezwungen werde“ und „Ich mache nichts was eine Regierung mir sagt, der ich nicht mehr so richtig vertraue“. Es wäre wichtiger gewesen frühzeitig, im Sommer Überzeugungsarbeit zu leisten, aber da war halt Wahlkampf. Und da wurde der Zeitpunkt verpasst und jetzt sind die Fronten verhärtet.
Im Sommer wurde in Berlin gestreikt, hast du daran teilgenommen?
Ich arbeite in einem Klinikum, das von der Kirche getragen wird und wir dürfen nicht streiken, was mehr als frustrierend ist, aber man fügt sich dem. Man erwartet, dass sich dann auch kirchliche Häuser einem Tarifvertrag anpassen, weil sie sonst nicht mehr konkurrenzfähig sind. Verdi hatte dazu aufgerufen, dass Pflegepersonal in der Charité und den Vivantes-Kliniken und dem Facility Managements in den Streik gehen, um zu erreichen, dass bei nicht-Einhaltung der Personaluntergrenzen ein Freizeitanspruch entsteht oder auch Geld gezahlt wird.
Ich habe den Streik und die Demos als sehr motivierend wahrgenommen. Die Solidarität war auf jeden Fall spürbar, auch aus medizinischen Berufen, die nicht aus der Pflege sind. Das sind alles kleine Schritte, von denen ich weiß, dass sie wichtig sind und Kämpfe, die geführt werden müssen, aber es ist wieder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, weil das ändert nichts daran, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt.
Für die Zukunft von der Arbeit in der Pflege, was würdest du dir wünschen?
Die Privatisierung im Gesundheitswesen hat dazu geführt, dass alles immer an Zahlen festgemacht wird und es um Finanzen geht. Es sollte nicht daran bemessen werden, wie viel Geld ein kranker Mensch kostet, um daran festzulegen wie viele Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Ich wünsche mir mehr Zeit für meine Patienten:innen, damit ich sie über das Technische hinaus versorgen kann, weil man in der Ausbildung unglaublich schöne Dinge in der Patientenbegleitung lernt, die komplett in Vergessenheit geraten, weil man dafür keine Zeit hat.
# Titelbild: SnaPsi Сталкер, CC BY-NC-ND 2.0, Intensivstation, Symbolbild