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Hannah Hollemans Buch über die „Dust Bowl“, eine der größten Umweltkatastrophen der jüngeren Geschichte, beginnt mit einer Erinnerung: Alles sei schlimmer und schlimmer geworden, bezeugt Melt White, einer der Überlebenden. Der Staub verdunkelte den Tag, alles wurde schwarz. Die Sandstürme zerstörten die Lungen der Kinder. Eine Hölle auf Erden, „viele Menschen starben“ und „einige dachten, es sei ein Eingriff Gottes, eine Strafe.“ Etwa 7500 Menschen starben, Hunderttausende flohen. Die in den 1930er-Jahren unter dem Namen „Dust Bowl“, auf Deutsch etwa Staubschüssel, Verödung und Austrocknung der Great Plains in den USA und Kanada wurde zu einem Synonym für eine Umweltkatastrophe schlechthin. John Steinbeck schrieb über ihre Auswirkungen Romane, Woodie Guthrie besang sie.

Die historische „Dust Bowl“ ist einige Jahrzehnte vorbei. Aber der Fall bleibt exemplarisch, nicht nur, weil „Dustbowlifizierung“, also die menschengemachte Verödung von Böden und ganzen Regionen, nicht aufgehört hat, ein Problem zu sein. Die historische „Dust Bowl“ zeigt ein paar Aspekte ganz deutlich: Eingebettet war sie in eine Phase des (weißen) Siedlerkolonialismus, ihr ging die Vertreibung der indigenen Bevölkerung vorher. Die Ursache der Katastrophe liegt in einer Wirtschaftsweise, die so schnell wie möglich so viel wie möglich aus der Erde rausholen will. Cash, Cash, Cash – nach uns kommt die Sintflut.

Und, so Hannah Holleman, in den Jahrzehnten vor der Katastrophe häuften sich sowohl Warnungen vor der Bodenerosion wie es zugleich „zureichendes Wissen und technisches Know-How gab, um die wachsende Krise anzugehen“. Trotzdem passierte sie. Mehr noch: Seit damals hat sich an den verheerenden Auswirkungen kapitalistischer Agrikultur nichts geändert. Man verließ nie jenen Weg, der da heißt: Business as usual.

I

Die Nacht vom 2. auf den 3. September 1984, Slums in der indischen Provinzhauptstadt Bhopal. Familien sitzen in ihren selbstgebauten Hütten, diejenigen, die man später „Überlebende“ nennen wird. Ihre Zeugnisse wird die Autorin Suuroopa Mukherjee viel später zusammentragen. „Was verbrennst du, dass es mir die Kehle zuschnürt“, wird sich eine Überlebende an die Frage eines Mannes erinnern. „Mir ist plötzlich sehr heiß geworden“, wird sich ein Rikscha-Fahrer erinnern. Und dass er dann nachhause ging, sich hinlegte, um 2:30 aufwachte, als Rauch unter seiner Tür hindurch in den Raum kroch. „Da fing das Husten an“.

Konservativen Schätzungen zufolge starben in dieser Nacht und in darauffolgenden Tagen in Bhopal etwa 8000 Menschen bei einem „Unfall“ in einer riesigen Chemiefabrik des US-Konzerns Union Carbide Corporation (UCC). 40 Tonnen giftiges Gas traten aus, Hunderttausende leiden unter Spätfolgen der Verseuchung – noch Generationen später. Bis heute ist der Ort kontaminiert und niemand fühlt sich verantwortlich, die Verschmutzungen zu beseitigen. Die Ursachen auch hier, in den Worten von Greenpeace: „Die Hauptursache für das Desaster lag in der Unternehmenspolitik begründet, ohne Rücksicht auf die Menschen Profit zu machen.“ Die Katastrophe war keine der Technik. Sondern des Geschäftsmodells.

Union Carbide Corporation gehörte dann zu Dow Chemical, also jenem Konzern, der Agent Orange für den Vietnamkrieg herstellte – mit unaussprechlichen Folgen für Mensch und Natur in dem vom Imperialismus angegriffenen Land. Dow Chemical – nunmehr nach einer Fusion 2017 als DowDupont – hat heute natürlich ein „Sustainability“ – Department und man kann sich auf der Homepage des Chemieriesen neben grünen Bildchen von Bäumen durchlesen, wie der Konzern führend in Nachhaltigkeit werden will und wie gut er jetzt schon der Welt hilft.

Das Greenwashing-Gesabbel hat das Milliardenunternehmen natürlich nicht davon abgehalten, weiter die Umwelt zu zerstören, wofür Dow dann auch auf Nummer 1 der aktuellen Toxic-100-Liste der größten Luftverpester rangiert.

Auch nach Bhopal hieß es also: Business as usual.

II

Noch jüngeren Datums ist ein anderes, ebenfalls global rezipiertes Mega-Event der Umweltzerstörung: Die Ölpest im mexikanischen Golf von 2010. Die meisten werden sich an die schockierenden Bilder der brennenden Plattform und der mit Öl überzogenen Pelikane erinnern; und an die Schlagzeilen, die von der größten Katastrophe dieser Art sprachen. Auch hier weiß man: Die Arbeiter*innen der „Deepwater Horizon“ wussten, dass mit der Ölplattform etwas nicht stimmt. Was tat die Betreiberfirma? Man ließ einfach die Alarme und Sicherheitsmechanismen abstellen, damit es auf dem Weg in den Abgrund nicht piepst oder blinkt.

Die Folgen der Katastrophe für die Region sind bis heute dramatisch. Und was passierte? Die Muttergesellschaft der Betreiberfirma, Britisch Petroleum (BP), musste Schadenersatz zahlen, entließ den zuständigen CEO Anthony Bryan Hayward – mit 1,5 Millionen Dollar Abfindung und 17 Millionen Dollar Pension. Die Beseitigung der Schäden erfolgte, wie man es von einer Firma wie BP erwarten würde. Rund 1 Million Liter einer Chemikalie – Corexit 9500 – wurde auf das Öl gesprüht, um es unter die Meeresoberfläche zu drücken. Im Aufsichtsrat der Firma, die Corexit herstellt, sitzt auch BP selbst. Corexit ist selbst giftig, in Großbritannien ist es verboten. Anwohner*innen, interviewt in dem Film „Die Grüne Lüge“ von Werner Boote und Kathrin Hartmann, beschreiben die „Reinigung“ von BP als beinahe schädlicher als die Ölkatastrophe selbst.

BP sieht das anders. Man klopfte sich auf die Schulter, weil man so selbstlos und schnell reagiert hatte. Und wie jeder andere Multi dieser Größe, setzt man auf gelegentliches „Greenwashing“, betont die eigenen Leistungen bei der Förderung „alternativer Energien“ und beteuert, Schritt für Schritt weg vom Öl zu wollen. Auch BP veröffentlicht brav seine „Sustainability“-Reports mit irgendwelchem Blabla. Und auch BP ist auf der Toxic-100-Liste, auf Platz 14.

So dramatisch Deep-Water-Horizon war, und so viele sich auch den Kinofilm dazu reingezogen haben: Für BP war danach Business as usual.

III

In ihrem Buch über die „Dust Bowl“ schreibt Hannah Holleman, sichtlich verwundert: „Sieht man sich die Grauen und die menschliche Tragödie der 1930er-Dust-Bowl an, möchte man meinen, unsere Gesellschaft würde alle ihre Kräfte zusammennehmen, um zu verhindern, dass eine solche ökologische und soziale Verheerung sich wiederholt. Und doch wiederholen wir nicht nur die Fehler der Vergangenheit in viel größerem Rahmen, sondern diejenigen, die mit der Macht und dem Kapital ausgestattet sind, um es zu können, verfeinern die Methoden ökologischer Zerstörung und sozialer Verelendung weit über die Vorstellungskraft von Dust-Bowl-Überlebenden wie Melt White hinaus.“

Warum eigentlich? Warum wiederholen sich Generation um Generation vorhersehbare ökologische und soziale Desaster? Und was könnten wir tun, damit das nicht mehr passiert? Eines der fundamentalen Probleme in der Ökologiebewegung ist, dass uns jeden Tag, in Schule, Universitäten, Medien, Filmen, Büchern, durch Expert*innen und Politiker*innen die Umkehrung einer einfachen Wahrheit eingeredet wird. Das Unmögliche – nämlich die Folgen des Kapitalismus mit kapitalistischen Mitteln zu beseitigen – wird als einzig „realistische“ Möglichkeit präsentiert. Und das einzig für das Überleben der Menschheit Realistische – nämlich die Überwindung des Kapitalismus – wird im besten Fall als jugendliche Spinnerei, im schlimmsten Fall als Weg in die Katastrophe diffamiert.

Es sind die Auswirkungen dieses ideologischen Angriffs, der dann dazu führt, dass auch engagierte Aktivist*innen dem Irrtum erliegen, Antikapitalismus sei nicht notwendig, um die Welt zu retten. Als Jakob Augstein kürzlich die prominente Fridays-For-Future-Sprecherin Luisa Neubauer fragte, wie sie´s mit dem Kapitalismus hält, antwortete sie: „Ideologische Kämpfe entzweien uns und führen zu einer Starre. Ich fände es nice, würden wir mal besprechen, was in den nächsten drei Jahren passieren sollte.“ Ihre These ist: Man kann die drohende Menschheitskatastrophe abwenden, wenn man technisch und durch Gesetzesnovellen eingreift. Und das könne man unter den jetzigen Macht- und Produktionsverhältnissen machen. Wenn man dann auch noch gegen den Kapitalismus sein will, okay, aber das eine und das andere hat für sie offenbar nichts miteinander zu tun.

IV

Aber das Gegenteil ist der Fall. Unrealistisch sind nicht die Rufe nach der Überwindung des Kapitalismus. Unrealistisch ist es, zu glauben, die Katastrophe ließe sich abwenden, wenn wir auf „Einsicht“ politischer Entscheidungsträger*innen und „Verantwortung“ von Konzernen setzen. Der Kapitalismus kennt keine „Beschränkung“ oder „Zähmung“, die ihn davon abhalten würde, zum Zwecke der Akkumulation von Kapital Mensch und Natur zu vernutzen. Wird ein Bereich dieser schrankenlosen Anhäufung unattraktiver – aus welchen Gründen auch immer – wandert Kapital zwar in einen anderen, aber nur, weil diese Wanderungsbewegung „grün“ angemalt wird, ändert sich nichts am Wesen des Mensch-Natur-Verhältnisses im Kapitalismus. Und das hat sich seit seiner Durchsetzung nicht verändert. Wie Karl Marx schrieb, entwickelt die kapitalistische Produktion zwar Technik und Kombination des Produktionsprozesses, aber nur „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“

Anders gesagt: Hätte Joe Kaeser anstatt die Siemens-Beteiligung an der Kohle-Mine in Adani durchzuziehen stattdessen in eine Lithium-Mine für Elektroautobatterien im chilenischen Antofagasta investiert, wären wir der „Weltrettung“ auch keinen Schritt näher gekommen. Konzerne haben ein Ziel: Profit. Und sie haben in den vergangenen Jahrzehnten und manche in Jahrhunderten Methoden und Techniken entwickelt, um den zu erzielen. Verschließt sich ihnen ein Geschäftsfeld, ziehen sie in ein anderes. Drückt man ihnen Emissionspapiere auf, bereichern sie sich eben am Emissionshandel.

Ihren Zweck, Profit zu machen, bemänteln Konzerne immer schon mit den hübschesten Phrasen. War es in Zeiten einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung en vogue zu betonen, wie fair man seine Untergebenen behandelt und wie viele Arbeitsplätze man schafft, so passt zu klima- und umweltbewegteren Zeiten eben ein anderer Diskurs: Nachhaltigkeit, „Grüne“ Technologien, Umweltfreundlichkeit in der entsprechenden Ästhetik.

V

Der Kapitalismus ist letztlich mehr als eine bestimmte Weise zu wirtschaften. Der kurdische Revolutionär Abdullah Öcalan beschreibt ihn als das jüngste Entwicklungsstadium eines ganzen Zivilisationsstrangs, der auf der endlosen Anhäufung von Mehrprodukt/Mehrwert sowie der Konzentration gesellschaftlicher Macht beruht. Seine Überwindung ist ein universeller Prozess, der alle gesellschaftlichen Bereiche einschließt: Von patriarchalem Verhalten über das vorherrschende szientistische Wissenschaftsparadigma bis zu den defizitären Formen bürgerlicher „Demokratie“, vom Privateigentum an den Produktionsmitteln über den Finanzsektor bis zur Staatlichkeit und ihrem Grenzregime.

Das ist eine Mammutaufgabe und deshalb schüchtert es ein. Man glaubt, es wäre einfacher und sicherer, erst mal ne Nummer kleiner aufzutischen. Häufig tendiert man dazu, wenn man eines der Probleme identifiziert hat, das der Kapitalismus aufwirft, zu sagen: Lösen wir erst mal das. Alles auf einmal ist ja unrealistisch. Aktuell hieße das dann: Sorgen wir erstmal für die Reduktion von Treibhausgasen, den Rest können wir auch danach machen, denn hier drängt es. Eine solche Herangehensweise tut so, als würde sie „realistisch“ sein, weil sie einen überschaubaren Themenbereich angeht.

Aber wenn man den tausendmal gesagten Satz, dass es „system change“ braucht, um im „climate change“ nicht abzusaufen, ernst nimmt, dann ist das kleinteilige Flicken mit der vom Kapitalismus gezimmerten Nadel genauer betrachtet eben doch unrealistischer. Am Versuch der Überwindung des Kapitalismus kann man scheitern; am Versuch der Fortsetzung des Kapitalismus wird man definitiv scheitern.

# Titelbild: Szene aus der „Dust Bowl“, wikipedia

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Fridays for Future ruft zum Massenevent im Berliner Olympiastadion auf

29,95 € kostet der Spaß: Fridays for Future Berlin und Scientists For Future wollen am 12. Juni 2020 ein Event im Olympiastadion veranstalten. Das ganze ist aber kein Konzert: Bis zu 90.000 zahlende Zuschauer*innen sollen Vorträgen von Expert*innen zuhören und Petitionen unterschreiben. Man könnte die Veranstaltung damit als eine aufgrund des Eintrittspreises etwas elitäre Informationsveranstaltung betrachten. Die den Aufruf begleitenden Videos, Texte und Statements der Veranstalter halten sie aber für viel wichtiger, wichtig „für die Zukunft der Zivilisation“. Daher ist es nötig sich mit den Gedanken der Initiatoren, der gewählten Sprache und der Bedeutung der Veranstaltung 12062020olympia zu beschäftigen.

Vorbild Menstruationssteuer

Das vierminütige Video begründet die von den Initiator*innen gewählte Strategie, Petitionen zu unterschreiben, um dadurch Veränderungen zu erzwingen. Folgendes Beispiel dient zu Beginn des Videos als Beweis für den Erfolg einer Petition: „Es ging um die Senkung der Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte. Sie wollten die Steuer von 19 auf 7 Prozent senken. Sie waren erfolgreich.“ Menstruationsprodukte gelten nun (natürlich gerechterweise) als Grundbedarf und könnten aufgrund der sinkenden Produktionskosten günstiger verkauft werden. Aber nur, falls sich die Unternehmen entschließen, die Preise tatsächlich für Konsument*innen zu senken; auf jeden Fall profitieren aber natürlich die Produzent*innen, die nun weniger Knete an den Staat abdrücken müssen. Zwei dieser Profiteure sind Philip Siefer und Waldemar Zeiler, Gründer des Startups Einhorn für nachhaltige Kondome und Menstruationsprodukte. Diese zwei sind nun auch als Mitinitiatoren des Videoaufrufs für 12062020olympia im Video zu sehen, außerdem Charlotte Roche, Elisa Naranjo und Luisa Neubauer, letztere die vielleicht bekannteste Vertreterin von Fridays for Future in Deutschland. Trotzdem, die positive Erfahrung des revolutionären Schritts der Senkung der Steuer führt bei den Macher*innen des Videos zur Erkenntnis: „Wir spürten die geballte Power des geilen Systems Demokratie.“

Und an diese Demokratie wird ein wichtiges Anliegen herangetragen: „Es geht um die Zukunft unserer Zivilisation. Wie wir zusammen die größte Krise der Menschheit lösen können. Die Lösung gibt es jetzt bei Startnext zu kaufen. Für nur 29,95€ könnt ihr euer Ticket zur größten Krisensitzung Deutschlands kaufen. So billig war die Weltrettung noch nie. Und das pünktlich zu Weihnachten. Bitteschön.“ Scheinbar ironisch entlarven diese Sätze das Denkmuster der Veranstalter*innen. Sie zeigen, dass aus Sicht von Roche, Naranjo, Neubauer und Co. die Lösung der größten Krise der Menschheit ausdrücklich nicht in einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft und ihrer Verhältnisse zu finden ist – sondern in einem konsumierbaren Event. .

Weltrettung im Sonderangebot

Das Video ist ein Werbevideo für eine Ware. Zum Produktkauf soll der Konsument zum psychologisch gebrochenen Preis von 29,95 Euro gebracht werden und das Produkt selbst ist ein sehr beliebtes, wenn auch nicht genauer benanntes Produkt, nämlich die „Weltrettung“. Ein marxistischer Kulturkritiker könnte dies wohl als wahrhaft letzte Stufe des Kapitalismus interpretieren, indem auch die das System überwindende Revolution der Vermarktungs- und Konsumsphäre einverleibt wird. Dass es der Kapitalismus und sein auf grenzenloses Wachstum ausgelegter Charakter ist, der die Welt überhaupt erst an die Grenzen der Zerstörung gebracht hat, scheint egal. Die Veranstalter haben damit kein Problem, in Sachen Weihnachtsgeschenkeindustrie reihen sie sich bereitwillig in den Wettbewerb ein, der in dieser Hinsicht nicht von einem Media-Markt-Werbespot zu unterscheiden ist.

Aber, wenn man so will unterscheidet sich die Sache ja von einem reinen Konsumprodukt und die Veranstalter*innen wollen ja auch keinen Mehrwert generieren, sondern nur die Kosten decken: „Wir haben alles ready bis auf eine Kleinigkeit. Das Stadion kostet Miete. Wir müssen mindestens 60.000 Tickets verkaufen, um die Kosten von circa 1,8 Millionen Euro zu decken. Wir brauchen ne Bühne, Security, Technik, ich hab nie gedacht dass das alles soviel kostet.“ Anstatt sich eigene Strukturen jenseits des Marktes zu erkämpfen, dafür zu kämpfen dass 60 oder 90 Tausend Leute auf einem Ort zusammen kommen, ohne dass man fremde Unternehmen dafür bezahlen muss, werden die Mechanismen des Systems durch den ganzen Ablauf der Veranstaltung einfach reproduziert. Denn wenn man keine 30€ bezahlen will oder kann um an der historischen Veränderung teilzunehmen, ist man von der Güte der Spender*innen abhängig, die freiwillig einen höheren Preis bezahlen, um ein paar Tickets umsonst unter den Armen verlosen zu können. Nur auf dem rein organisatorischen Teil ist die Veranstaltung daher ein absolut unbeispielhaftes Vorgehen für eine Protestbewegung.

Mittel zum Zweck: Petition

In der zweiten Hälfte des Videos geht es kurz um die Themen der Veranstaltung: „Klimakrise, Soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Diskriminierung und all die Probleme, die uns so auf der Seele liegen.“ Die benannten Probleme sind nicht tatsächliche Probleme, sondern werden moralisch aufgeladen zu einem persönlichen Problem, dass die hehren Weltretter*innen umtreibt. Ein Satz in Missachtung der täglichen Realität, dass oft noch vor der Seele der Magen der Antrieb für den Menschen ist, der Hunger, der Zwang Geld zu verdienen. Überhaupt ist die Frage, wofür genau die Veranstaltung stehen soll, welche Petitionen unterschrieben werden sollen, offen.

Bei 12062020olympia beschränkt sich die demokratische Mitbestimmung bisher darauf eine Petition unterschreiben zu dürfen, von deren Inhalt man noch gar nichts weiß. Vor Ort sollen dann also 90.000 Menschen darum betteln, dass die Herrschenden gegen ihre eigenen Interessen gegen die „Klimakrise“ vorgehen. Aber für die Unterschrift unter der ominösen Petition gibt es auch eine Gegenleistung: Auf der Homepage wird angekündigt, dass die Reden „großartig“, die „Persönlichkeiten“ „spannend“ und die „Experten“ „renommiert“ sein werden. Die Show wird angepriesen, die Inhalte sind unklar.

Insofern wäre es spannend zu sehen, was für Petitionen eingereicht werden sollen und welche Chancen diese dann wiederum auf eine positive Abstimmung haben. Denn zumindest von den Verlautbarungen her spricht sich schon jetzt eine Mehrheit im Bundestag gegen die Klimakrise, Soziale Ungerechtigkeit, Rassismus usw. aus. Und der Druck der Straße wird durch die Kanalisierung in abgezählte 90.000 zahlende Kund*innen nicht da sein, außerhalb der Ortsgruppe Berlin haben sich viele Fridays for Future Gruppen anderer Städte von der Veranstaltung distanziert und das offenbar so geschätzte Mittel der direkten Demokratie, der gleichberechtigten Abstimmung hat zumindest unter dem Youtube-Video schon sein Urteil gefällt. Ein paar Tage nach Veröffentlichung wurde das Video magere 20.000 mal angeklickt, 200 Daumen hoch stehen 800 Daumen runter entgegen, das meiste Geld wurde von ein paar Großspendern generiert und von den regulären Tickets wurden bisher nur rund 2000 verkauft (auf der Homepage kann man sich die aktuellen Verkaufszahlen ansehen). Innerhalb der Klimabewegung scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass man große gesellschaftliche Veränderungen nicht ins Olympiastadion buchen und einsperren kann, sondern dass sie in der richtigen Welt passieren. Vielleicht sickert das ja bis zu den Veranstalter*innen durch.

Luisa Neubauer von FFF-Berlin, der Gruppe die im ursprünglichen Aufruf explizit als Veranstalter stand, meint nun plötzlich „wir sind weder Initiator*innen noch Organisator*innen, wir begleiten das Projekt unterstützend, kritisch und beratend“ und für das Video sei sie nur „eingesprungen“. Das hört sich nicht mehr nach dem „wir“ und „alle“ von vor ein paar Tagen an, sondern ziemlich unsolidarisch. Während die Basis die Problematik solcher Veranstaltungen also schon erkannt hat, rudern die Veranstalter*innen nun in bester Politikermanier zurück.

# dirtyboots97

#Titelbild: Collage: LCM, Olympiastadium: Thomas Wolf, CC BY-SA 3.0 DE

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Vom 5. Oktober bis zum 15. November findet in Berlin der erste Antikoloniale Monat statt. Unter dem Motto „Widerstand ist Leben“ werden am 12. Oktober um 15 Uhr am Hermannplatz, der Tag an dem 1492 die brutale europäische Kolonisierung auf dem amerikanischen Kontinenten begann, viele zu einer großen Antikolonialen Demo zusammenkommen. Der 15. November markiert den Beginn der Berliner Kongo Konferenz im Jahr 1884, bei der von europäischen Kolonialmächten der afrikanische Kontinent aufgeteilt wurde.

Kämpfe im Globalem Süden sollen im Antikolonialen Monat mit den Widerständen gegen Grenzregime und Rassismus von migrantischen Gemeinschaften im Globalen Norden verbunden werden. Der Antikoloniale Monat bietet einen Rahmen für eine Vielzahl von Veranstaltungen, die von politischen Diskussionen über Tanzworkshops, musikalische Jam-Sessions bis zu Theateraufführungen reichen. Während des Antikolonialen Forums am vergangenem Samstag und Sonntag fanden dazu im Kreuzberger linksalternativem Projekt New Yorck Bethanien vier Podiumsdiskussionen, drei Workshops, eine Party und zahlreiche Gespräche am Rande statt.

Beim Podium zu Rassismus und Anti-Rassismus am Samstagmorgen wurde sich mit den materiellen Grundlagen und konkreten Folgen von drei Schlüsselformen von Rassismen in Deutschland auseinandergesetzt: anti-muslimischer, anti-Schwarzer und anti-jüdischer Rassismus. Dabei wurde mehrfach betont wie wichtig es ist, als rassistisch markierte Minderheiten in Deutschland, sich nicht voneinander trennen zu lassen und Perspektiven gemeinsamer Kämpfe zu fokussieren.

Bei dem Parallelpodium zur Verteidigung des Landes und der Umwelt erzählte Abel, Mitglied der Nationalen Indigenen Organisation Kolumbiens, über die Verteidigung des Territoriums im Norden der Cauca Region. Abel, der noch diese Woche zurück nach Kolumbien reist, erwartet eine harte Zukunft: „Ich weiß, dass ich sterben werde. Ich habe gesagt, was gesagt werden muss. Das ist die Realität von unserem Land und ich bin nur ein kleiner Teil davon“. Indigene und Schwarze Aktivist*innen werden in Kolumbien am laufendem Band unter der rechten Regierung Iván Duques ermordet, ohne irgendwelche Konsequenzen. Ferhat, von YXK, Dachverband der Studierenden aus Kurdistan in Europa, sprach über die Kontrolle des Wassers als Machtmittel in der Türkei um den Widerstand in Kurdistan zu zerschlagen. Bischof Ablon von der unabhängigen Philipponischen Kirche erläuterte, wie der Kampf der Lumad um ihr Territorium mit ökologischen Fragen zusammenhängt.

Der Workshop zu Imperialismus, Patriarchat und Natur behandelte im Zuge der aktuellen ökologischen Krise, wie beispielsweise im Hinblick auf die kriminell gelegten Waldbrände im brasilianischen Amazonasgebiet, das Verhältnis zwischen Kapitalismus, Imperialismus und Extraaktivismus zu verstehen ist. Erfrischend waren die klaren Imperialismusanalysen, sowie die Zentralität feministischer Kämpfe für ökologische Fragen, die in der Deutschen Debatte um die Klimakatastrophe wenn überhaupt nur am Rande behandelt werden.

Bei der abendlichen Diskussion zu Antikolonialen und anti-patriarchale Kämpfen kamen fünf Aktivistinnen aus Brasilien, Kaschmir, Kurdistan, Palästina und dem Sudan zusammen. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen von Deutschland in den jeweiligen Regionen wurden genauso betrachtet, wie die Frage der politischen Zusammenarbeit. „Der Genozid an der Schwarzen und an der indigenen Bevölkerung findet jetzt in der Aktualität statt. Es ist die Kontinuität der Kolonie“ so die brasilianische Aktivistin Sandra Bello von QuilomboAllee. Auch Salma Ashraf erklärte, dass die Unterdrückung in Kaschmir nicht neu sei, sondern seit Jahrhunderten andauert – dass aber auch der Widerstand der Bevölkerung mindestens genauso alt ist. „Wenn Israel Gaza bombardiert, dann fragt es nicht ob sich da eine Frau oder eine LGBT Person in dem Gebäude aufhält. Palästinensische Frauen und LGBT sind genauso von den Bomben Israel betroffen wie alle anderen“ so Fidaa Zaanin, Aktivistin aus Gaza. Deswegen ist „Palästina eine feministische Angelegenheit“, so die Aktivistin. Die zeitgleiche Podiumsdiskussion zur Wirtschaftsordnung des gegenwärtigen Imperialismus behandelte die Beziehungen zwischen Imperialismus und Kolonialismus in den Philippinen, in Argentinien und in Deutschland.

Am Sonntag Vormittag drängten über 80 Menschen zum Internationalismus Workshop. Hier wurde die Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegungen in Deutschland verhandelt. In vier Kleingruppen wurden sehr offen die Grundlagen der Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen Kampagne, wie dessen internationalistische und intersektionale Ausrichtung, sowie Kritiken von links diskutiert. Es wurde klargestellt, dass die gängige Gleichsetzung von Anti-Zionismus mit Antisemitismus eine der größten Probleme für eine ernsthafte Debatte zu Palästina/Israel darstellen. Kritiken von links richteten sich an die individuelle Konsumkritik in der BDS oft mündet, sowie daran, dass sich BDS oft liberaler Argumente („Gewaltfreiheit“) berufe, auch wenn in Palästina eine koloniale Situation mit gewaltvoller kolonialer Unterdrückung herrsche. Linke, antikoloniale Palästina-Solidarität zeigt sich in verschiedensten Formen. Zum Beispiel drückt sie sich in Kämpfen palästinensischer Frauen, Queers und/oder Arbeiterinnen und Arbeiter, auch gegen die eigene herrschende Klasse in Palästina, aus.

Den Abschluss des zweitägigen Forums bildete eine offene Abschlussversammlung, die über weitere Zusammenarbeit und Vernetzung antikolonialer Kräfte in Berlin, Deutschland und weltweit sprach. Konkret soll eine Kampagne gegen die Deutsche Beteiligung an den Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds ins Leben gerufen werden, welche abhängige Staaten dazu zwingt, radikale Kürzungspolitiken durchzuführen, die zum Beispiel subventionierte Lebensmittel, aber auch das Mindesmaß an Krankenversicherung etc. angreifen – genau diese Politiken bringen aktuell Hunderttausende von Ecuador, über Haiti und Irak auf die Straßen.

Deutlich wurde, dass Gemeinschaften des Globalen Südens, sowie der europäischen Peripherie, unterschiedlichste Geschichten von Kolonialisierung, Versklavung und Genozid teilen. Gerade weil in linken politischen Diskussionen in Deutschland migrantische Kämpfe und antikoloniale Perspektiven vernachlässigt werden, ist der Antikoloniale Monat auch eine kritische Intervention in eine doch recht homogene linke Landschaft, die selten die Lebens- und Kampfrealitäten migrantischer und diasporischer Menschen in Deutschland zentriert.

# Eleonora Roldán Mendívil und Chandrika Yogarajah

# Titelbild: Daniela Carvajal, Instagram @aves_azules, Workshop im Bethanien

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Interview mit Fridolin vom antikapitalistischen Block bei der zentralen „Fridays-For-Future“-Demo am 21. Juni in Aachen

Die Schüler*innenbewegung „Fridays For Future“ hat in den vergangenen Monaten weltweit Bekanntheit erlangt. Alles begann mit der damals 15-jährigen Greta Thunberg, die beschloss, jeden Freitag die Schule zu bestreiken, um ihren Widerstand gegen die Zerstörung unserer Umwelt auszudrücken. Schneller als man ahnen konnte, wurde aus diesem Streik eine Bewegung; „Fridays For Future“ war geboren. Hunderttausende Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt begannen, auf die Straße zu gehen – für ihre und unsere Zukunft und gegen die Zurichtung dieser Welt.

Immer wieder wird versucht, solche Proteste zu befrieden und zu entradikalisieren. Eine der Besonderheiten an der Initiatorin Greta Thunberg ist, dass sie sich beharrlich gegen diese Befriedungs- und Vereinnahmungsversuche wehrt, indem sie zum Beispiel mit einer bewundernswerten Geduld die meist dümmlichen und diffamierenden Fragen von Journalist_innen immer wieder auf ihre zentralen Forderungen umlenkt: Wir brauchen eine radikale Veränderung; wir brauchen sie jetzt und so schnell und umfassend wie möglich. Und wenn sie nicht innerhalb des Bestehenden umsetzbar ist, dann schaffen wir das Bestehende eben ab und machen es neu.

Wichtig ist jedoch: „Fridays For Future“ hat zwar mit Greta Thunberg angefangen, aber sie ist weder ‘Führerin’ noch alleinige Repräsentantin all der jungen Menschen, die sich Woche für Woche lautstark für ihre Zukunft einsetzen. Genauso wenig sind es allerdings die meist selbsternannten Sprecher_innen der Bewegung; diese Bewegung ist genauso divers wie die Menschen, die sie tragen.

So kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, wenn es um die Protestformen und die Radikalität der Forderungen geht. Ein solcher Kampf wird auch in Aachen ausgetragen; hier sind Teile der örtlichen „Fridays-For-Future“-Gruppe mit linksradikalen Strukturen gut vernetzt und formulieren eine antikapitalistische Perspektive.

Am 21.06.2019 findet eine internationale Großdemonstration von Fridays For Future genau dort statt, Zehntausende Teilnehmer_innen werden erwartet. Wir haben uns mit Fridolin, einem Genossen unterhalten, der an der Vorbereitung des antikapitalistischen Blocks beteiligt ist.

Bevor wir zu der Demo kommen, lass uns einen allgemeinen Blick auf „Fridays For Future“ und Ökologie aus linksradikaler Perspektive werfen. Wie schätzt du die Bewegung ein?

Als ich die Proteste das erste Mal mitbekommen habe, war ich begeistert. So etwas habe ich in der rasanten Entwicklung noch nicht gesehen; dass vor allem junge Menschen sich so sehr für das Leben in dieser Gesellschaft interessieren und Probleme erkennen und benennen – und nicht ausschließlich konsumieren, was ja den Jugendlichen oft vorgeworfen wird. Das, was die Generationen davor jahrzehntelang verkackt haben, kommt jetzt von 16-jährigen auf den Tisch, und das find‘ ich super.

Findest du, dass linskradikale Kräfte sich dabei genug und richtig einbringen?

Teils, teils. Ich glaube, dass schon viele Leute in linksradikalen Kreisen die Proteste befürworten – aber auch, dass viele da zu hochnäsig rangehen, in der typisch deutsch-linken Art meinen, dass man selbst alles viel besser macht. Die Toleranzschwelle für Widersprüche und Dinge, die nicht hundertprozentig in die eigene Agenda passen, ist da sehr gering. Statt sich den Debatten zu stellen, wird lieber ganz geschwiegen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Leute, die das unterstützen und auch zu den Demos gehen, und das hat auch schon sehr viel gefruchtet. Ich habe selten bei vermeintlich bürgerlichen Protesten so viele Aufnäher mit irgendwelchen Antifa-Emblemen oder ähnlichem gesehen wie bei „Fridays For Future“ in Aachen. So oder so sollte aber in der linksradikalen Bewegung das Ganze noch ernster genommen werden.

Was hat denn Antikapitalismus überhaupt mit Ökologie zu tun?

Sehr viel. Wenn man sich die Wirtschaft anguckt, also was und wofür produziert wird, wird man feststellen, dass viele dieser Produkte eigentlich völlig überflüssig sind und nur produziert werden, um vermeintlichen Luxus zu schaffen und Profite zu maximieren. Die Wirtschaft ist nicht bedürfnisorientiert. Es gibt viel zu viele Autos, viel zu viele Handys, viel zu viel Essen, das schlecht verteilt wird.

Und man kann sich ja anschauen, wie rasant die CO2-Emissionen steigen, was eben mit Überproduktion, mit schlechter Landwirtschaft und einem vermeintlichen Luxusangebot für Menschen insbesondere in Nordeuropa zu tun hat. Derartiges Wachstum funktioniert aber eben nicht auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen. Klimawandel und Ungleichverteilung sind zwingend mit Kapitalismus verbunden. Und die Abschaffung des Kapitalismus ist die einzige Möglichkeit, den Klimawandel zwar nicht mehr zu stoppen – weil das wahrscheinlich gar nicht mehr geht -, aber wenigstens einzudämmen.

Wie schätzt du das linksradikale und antikapitalistische Potential der Bewegung? Wie ist die Stimmung auf den Demos?

Ich treffe viele Leute, die sich über „Fridays For Future“ politisieren. Die eben nicht dabei stehenbleiben, zu sagen, Klimawandel sei böse und andere Probleme dann ausklammern – sondern Aspekte wie Ausbeutung, Diskriminierung und dergleichen mitdenken. Die Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus das Problem ist, ist vielleicht noch nicht bei allen angekommen. Aber in Anbetracht der kurzen Zeit, in der es die Bewegung gibt, wird sich das mit Sicherheit noch verbreitern. Das Spannende an dem Thema ist ja: Es geht alle etwas an, und wir brauchen einen radikalen Wandel, um diesen Planeten nicht innerhalb kürzester Zeit unbewohnbar zu machen. Das sagen nicht nur wir, sondern sehr viele Expert*innen.

Gleichzeitig gibt’s aber natürlich diese typischen ‚Grünen‘; die immer noch meinen, dass mit der richtigen Stimmabgabe der Kapitalismus schöner gemacht werden könnte. Die sind aber meiner Wahrnehmung nach in der Unterzahl.

Trotzdem sind ja gerade die reformistischen Stimmen relativ laut, vor allem in der bürgerlichen Presse – die, die sich distanzieren von radikaleren Protestformen und antikapitalistischer Positionierung. Was sagst du zu diesen Distanzierungen?

Ich glaube, eines der Probleme von „Fridays For Future“ sind diese vermeintlichen Führungspersonen, die sich in die Öffentlichkeit drängen. Das hat man natürlich weniger von Leuten, die antihierarchisch geprägt sind, als von eher bürgerlichen Leuten, die ihre Meinung überall herausposaunen wollen. Distanzierungen gibt’s ja bei vielen Protestbewegungen nach einer Weile. Aber es ist so, dass FFF auch teilweise dazu aufruft, sich beispielsweise bei „Ende Gelände“ zu beteiligen, um verschiedene Aktionsformen zu vereinen.

In Aachen gibt es jetzt auch Versuche von Staat und Polizei, „Ende Gelände“ zu kriminalisieren. Es wurden Flyer an Schulen geschickt mit der Info, dass man sich doch bloß nicht an deren Aktionen beteiligen dürfe, weil die – Zitat – „gewaltbereit“ seien. Ich denke aber, dass diese Kriminalisierungsversuche nicht sonderlich weit führen werden, und ich kann mir gut vorstellen, dass es klappen wird, verschiedene Protestformen zu vereinen. Hoffe ich zumindest.

Wie würdest du die gesamtgesellschaftliche Perspektive von „Fridays For Future“ einschätzen?

Ich denke, dass FFF das Potential hat, wirklich in die Gesellschaft hineinzuwirken. Was es ja auch schon tut; Klimawandel ist Top-Thema überall im Moment. Ich vergleiche das manchmal mit dem Rechtsruck, den wir die letzten Jahre hatten; die Klimabewegung als progressive Antwort von jungen Menschen, die nicht damit einverstanden sind, wie seit Jahrzehnten regiert wird. Und ich denke, dass das durchaus die Perspektive bietet, für solidarische Werte und eine solidarische Gesellschaft zu werben. Und auch ältere Generationen zu überzeugen, dass es im Moment einfach scheiße läuft und der Kapitalismus ein rasendes Monster ist, das sich von selbst natürlich nicht abschaffen wird oder abbremsen lässt.

Die Stadt Aachen fällt ja immer mal wieder auf durch Umwelt- und Ökologiethemen; Überall hängen Tihange-Plakate, und der Hambacher Forst befindet sich auch in unmittelbarer Nähe. Eine gute Ausgangslage für die Großdemonstration?

Ich glaube, dass in Aachen ein besonderes Bewusstsein entstanden ist durch die kaputten AKW in Belgien, Tihange und Doel, die bei einer Explosion die Stadt auch direkt betreffen werden – und natürlich auch durch den Hambacher Forst. Jede*r in Aachen weiß, was der Hambacher Forst ist. Und „Fridays For Future“ ist hier auch ein großes Thema; Aachen hat die größten FFF-Demos in ganz NRW – gehabt, zumindest, bis Köln uns dann überholt hat.

Dann kommen wir mal zu dem antikapitalistischen Block. Wer hat das angestoßen? Warum gibt es diesen Block?

Bei den Freitagsdemos haben wir in den letzten zwei Monaten mehrfach einen eigenen kleinen Block gemacht, also dazu aufgerufen, mit eigenen Transpis, Schildern, Fahnen was auch immer, dahin zu kommen und das Thema gesamtgesellschaftlich-kritisch zu betrachten. Als wir dann gehört haben, dass es diese internationale Demo geben wird, war klar, dass wir da eine antikapitalistische Position beziehen sollten. Wir haben auch sehr schnell sehr viel Zuspruch bekommen. Die Aachener „Fridays For Future“ Gruppe selber trägt ja auch im Vergleich zu vielen anderen Städten deutlich progressivere Inhalte mit, hat zum Beispiel ein eigenes Transpi mit klaren antikapitalistischen Positionen.

Wir finden „Fridays For Future“ an sich schon super, aber oft fehlt eben einfach noch ein bisschen; nämlich die Systemanalyse, wo die wirklichen Ursachen liegen, warum die Leute überhaupt auf die Straße müssen.

Auch wenn bei euch lokal diese Vernetzung funktioniert, wird es ja bei der Gesamtstruktur „Fridays For Future“ um diesen Block doch Diskussionen geben …

Natürlich gibt es innere und auch öffentliche Debatten. Ich denke, dass es nicht wenig Leute gibt, die sich eine etwas radikalere Form der Proteste und der Forderungen wünschen, und sich in den Ortsgruppen selber einbringen und dafür werben, gegen den Kapitalismus vorzugehen. Zu den Auseinandersetzungen bezüglich dieses Blocks: Was ich sagen kann ist, dass es durchaus Kritik daran gibt und teilweise offene Ablehnung. Das ist aber auf jeden Fall nicht die Mehrheit. Die radikaleren Kräfte wachsen stetig, und ich denke, dass die Leute, die zum Beispiel Mitglied bei den Grünen sind, nach und nach verstehen werden, dass auch die Grünen das Problem nicht lösen werden, weil sie sich eben an die Profitlogik des Marktes halten.

#Informationen zum antikapitalistischen Block: https://antikap2106.noblogs.org/

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