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“Bosnia grave of the doomed.” Der Spruch, einer der wenigen auf Englisch, steht an der Wand eines Gebäudes in der Stadt Bihac im nördlichen Kanton Una-Sana, nur 10 km von der kroatischen Grenze entfernt.
Er macht deutlich, dass die Balkanroute nicht nur hier durchführt, sondern hier auch endet. Europa liegt dort drüben, jenseits der Berge, die den Blick nach Westen versperren und ein klaustrophobisches Gefühl vermitteln. Mit knapp über 60.000 Einwohner*innen ist Bihac zu einem Grenzaußenposten geworden.

Die Grenze davor ist eine der am meisten kontrollierten auf der Route. Anders als Ungarn, das eine unpopuläre Mauer errichten ließ, schützt sich Kroatien mit einer Hightech-Ausrüstung aus Drohnen, Bewegungsmeldern und Wärmebildkameras. Trotz moderner Technik sind die Methoden immer noch die alten: Es ist überall bekannt, dass die kroatische Grenzpolizei geflüchtete Menschen verprügelt und ihres Geldes, Handys, Schuhe und Kleidung beraubt, bevor sie sie zurück nach Bosnien abschiebt. All das mit Zustimmung der europäischen Institutionen, subventioniert aus Gledern der EU (108 Millionen für die Jahren 2014-2020, Ende 2018 noch um 6,8 Millionen aufgestockt) und unter Missachtung des internationalen Rechts, das eine Überprüfung der Asylanträge vorschreibt. Für Menschen, die illegal nach Europa einreisen müssen wird Bosnien immer mehr zu einer Sackgasse, in der sie Monate und Jahre ihres Lebens verlieren.
Gewissheit, wieder herauszukommen, haben sie nicht.

Viele kommen aus dem Iran, Irak und aus afrikanischen Ländern, die meisten jedoch aus Pakistan und Afghanistan. Wie Sakine, eine 36-jährige Afghanin, die der schiitischen Minderheit der Hazara angehört. Sie durchquerte den Iran, die Türkei, Griechenland, Albanien und Montenegro, aber seit Monaten sitzt sie an der kroatischen Grenze fest. „Wir versuchen es seit fast einem Jahr, wir sehen kein Ende”, sagt sie. Zusammen mit ihrem Mann Jawad und ihren 4- und 8-jährigen Töchtern haben sie mehr als 30 Mal versucht, Europa zu erreichen. Dort möchten sie den Mädchen eine Ausbildung ermöglichen. Das letzte Mal nahm die kroatische Polizei ihnen alles weg und drängte sie dann mit Schlagstöcken, Tasern und Hunden zurück über die Grenze.
“Gegenüber Kroatien verlieren wir gerade unsere Hoffnung“, gesteht die Frau.

Sakine und Jawad leben mit anderen afghanischen Familien in einem verlassenen Haus in der Nähe von Velika Kladusa, der anderen Stadt des Kantons, die nahe der Grenze liegt. In Bosnien sind solche Häuser mit freiliegenden roten Ziegeln überall zu sehen. Sie werden verlassen, bevor sie überhaupt fertig sind. Die Besitzer haben entweder kein Geld mehr oder wandern einfach aus, vielleicht nach Deutschland oder Österreich. Sie wollen einem Land ohne Perspektive entkommen, in dem Durchschnittslöhne knapp 400 Euro betragen und Jugendarbeitslosigkeit bei 60 % liegt. Dass in vielen dieser Häuser auf dem Weg zwischen Bihac und Velika Kladusa nun Menschen, die Europa erreichen wollen, Zuflucht gefunden haben, gibt einem zu denken. Es scheint so, als wären die Häuser eine Art Erbe – hinterlassen von diejenigen, die vor Jahren auf der Suche nach Hoffnungen und Träumen ausgewanderten, dieser neuen Generation von „Verdammten“, die Bosnien nicht verlassen können.

Gleichermaßen erinnern die Namen der alten und neuen besetzten Gebäude in Bihac, in denen Geflüchtete in absoluter Not und ohne staatliche Unterstützung leben, an wilde Privatisierungen und Bankrotte, die nach Ende des jugoslawischen Sozialismus stattfanden: Kombitex, wo noch etwa 100 Menschen leben, war ein Textilunternehmen; Dom Penzionera, wo 300 Menschen lebten, war ein Altenheim, das aufgrund eines Korruptionsskandals nie eröffnet wurde; Krajina Metal, wo kürzlich 200 Menschen Unterkunft fanden, war eine ehemalige Fabrik für Metallteile; selbst im ehemaligen Lager von Bira, das letztes Jahr infolge von Bürgerprotesten geschlossen wurde, wurden einst Kühlschränke hergestellt. Das frühere Scheitern der produktiven Infrastruktur, die ausverkauft und zum Zusammenbruch geführt wurde, überschneidet sich nun mit dem Scheitern des Empfangssystems – wenn man es überhaupt als Empfang bezeichnen kann.

Ein Junge aus Afghanistan in der Nähe der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien

Denn während die EU darauf beharrt, geflüchtete Menschen außerhalb ihrer Grenzen zu halten, tut die bosnische Regierung ihrerseits alles, um die Lage im Kanton Una-Sana unerträglich zu machen. Der Plan ist, Regierungslager als einzige Alternative vorzuschreiben. Ins Lager von Lipa wollen aber viele Menschen nicht. Es liegt total isoliert auf einer Hochebene 28 km von Bihac entfernt, zu weit von der Grenze entfernt, die sie überqueren wollen und zu Fuß erreichen müssen. Der Lager untersteht der SFA (Service for Foreigner’s Affairs) und wird nach einem Brand im vergangenen Dezember weiter ausgebaut. Untergebracht sind in ihm derzeit 600 Personen, bei einer Kapazität von 900 Personen hat die Regierung 30 Militärzelte, eine gleiche Anzahl von chemischen Toiletten und einige medizinische Container aufgestellt, in denen hauptsächlich Schmerzmittel verteilt werden. Als Mitte Juli die Touristensaison begann und die Räumung einiger großer von Geflüchteten besetzen Gebäude – darunter auch Krajina Metal – stattfand, machten sich Menschen, die in das Lager deportiert worden waren, auf den Weg nach Bihac zurück. Sie gingen wieder in informelle Unterkünfte: Gebäude und Zeltlager ohne Strom und Wasser und mit kritischen hygienischen Bedingungen. Verschärft wird diese Lage durch das Verbot von Hilfeleistungen (einschließlich medizinischer Versorgung) und der Verteilung grundlegender Güter außerhalb der Regierungslager, so dass internationale NGOs und Gruppen gezwungen sind, im Verborgenen zu arbeiten.

Der Versuch, die Grenze zu überqueren, scheint so als einzige Möglichkeit. Selbst für diejenigen, die erschöpft einen Asylantrag in Bosnien stellen möchten, sind die Fristen so lang, dass sie davon abgeschreckt werden: 300 Tage für die Formalisierung des Antrags, 400 Tage für die erste Anhörung, die einen aus der Illegalität holen könnte. Es gibt nur “the game”, wie Geflüchtete die Grenzüberquerung nennen: Gewinnt man, ist man in Europa; verliert man, verliert man alles, manchmal sogar sein Leben – wie der fünfjährige afghanische Junge, der am 30. Juli im Fluss Una ertrank, als er mit seiner Familie versuchte, Kroatien zu erreichen. Der Anteil von denen, die es schaffen, ist sehr gering, die Verzweiflung und Zähigkeit aber so groß, dass sie als letzte Form des Widerstands erscheint. An dieser Grenze kämpfen Menschen nur mit ihrem eigenen Körper, gegen Müdigkeit, Schläge, Wunden. Eine Chance haben hier, wie anderswo auch, nur diejenigen mit Geld: 3.500 Euro kostet ein “taxi game”, damit kann man mit dem Auto Italien erreichen. Allen anderen bleibt nichts anderes übrig, als sich zu Fuß auf den Weg zu machen, nachts, manchmal über Felder, die noch vom Krieg vermint sind. Von hier bis Triest sind es zwölf Tage Fußmarsch und drei Grenzen, an denen man geschlagen, abgeschoben und zum Ausgangspunkt zurückgebracht werden kann, zurück nach Bosnien, dem Grab der Verdammten.

#Text und Bilder: Elisa Scorzelli und Fabio Angelelli

Ursprünglich erschienen auf italienisch in il manifesto unter dem Titel „Benvenuti in Bosnia, la tomba dei dannati“

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Im Norden und Osten Syriens hat sich in den vergangenen Jahren ein basisdemokratisches, sozialistisches Rätesystem etabliert. Die kurdische, arabische, christliche und assyrische Bevölkerung erkämpfte sich ein Zusammenleben auf demokratischen Prinzipien, Gleichberechtigung der Frauen und kooperativer Wirtschaft. Doch die Türkei, zusammen mit islamistischen Terrorgruppen bedroht dieses Zusammenleben. Felix Anton hat den Prozess im Norden Syriens lange begleitet. Derzeit lebt und arbeitet er in Til Temer. Wir haben mit ihm gesprochen und ihm Leser* innenfragen gestellt.

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Am 9. Oktober begann, zunächst mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss, der Angriff der türkischen Armee auf Rojava, Nordsyrien. Eine von mehreren zehntausend islamistischen Terroristen verschiedener Fraktionen begleitete, hochgerüstete NATO-Armee versucht seitdem, in die Städte an der türkisch-syrischen Grenze einzurücken. Die unter dem Label „Freie Syrische Armee“ vermarktete Dschihadisten-Streitmacht schließt nicht nur Kämpfer von Ahrar al-Sham oder dem früheren al-Qaida-Ableger Nusra-Front ein, sondern nachweislich auch Kombattanten des Islamischen Staates.

Trotz der technischen Überlegenheit der Invasionsarmee ist es den Syrisch-Demokratischen Kräften (SDF) zusammen mit lokalen Militärräten der kurdischen, arabischen und assyrischen Bevölkerung bisher gelungen, den Einmarsch an vielen Stellen zurückzudrängen. Ein schnelles Vorrücken ist der türkischen Armee unmöglich. Insbesondere die „Freie Syrische Armee“, aber auch reguläre türkische Truppen haben Verluste zu verzeichnen.

Die türkische Armee greift dabei immer stärker auf Mittel der Kriegsführung zurück, die international geächtet, teilweise verboten sind. Schon jetzt sind zahlreiche Kriegsverbrechen gut dohttps://twitter.com/glennbeck/status/1182093500218773504kumentiert und nachweisbar.

Beschuss von Wohngegenden

In mehreren Städten – insbesondere in Qamislo, Dörfern in der Umgebung von Derik sowie in Kobane – beschießt die türkische Armee gezielt zivile Wohngegenden, um die Bevölkerung zur Flucht zu zwingen. Die Angriffe in Qamislo führten zum Tod mehrerer Kinder sowie einer ganzen christlichen Familie. Auch die libanesische Journalistin Jenan Moussa, eine der wenigen ausländischen Reporter*innen vor Ort, dokumentiert die Auswirkungen der Angriffe.

Wie hoch die Zahl der getöteten Zivilist*innen ist, ist derzeit schwer festzustellen. Ein Arzt des Kurdischen Roten Halbmondes sprach am Freitag von 27 Toten und 30-35 verletzten Kindern – allerdings dürfte das nur einen Teil der Opfer widerspiegeln.

Die Muster der Angriffe zeigen ein klares Ziel: Vertreibung der Bevölkerung, um deren Unterstützung für die Verteidigungseinheiten zu brechen. Konservativen Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge befanden sich am Freitag bereits 100 000 Menschen auf der Flucht.

Zerstörung ziviler Infrastruktur

Die türkische Armee zerstört zudem gezielt zivile Infrastruktur. Schulen wurden bombardiert, mehrfach wurde die Wasserversorgung zum Ziel der türkischen Armee. So berichten Augenzeugen aus Til Temir von der Unterbrechung ihrer Wasserversorgung. Am Freitag meldete SDF-Pressesprecher Mustafa Bali die weitgehende Zerstörung des Alouk-Staudammes, der die Wasserversorgung für 1,5 Millionen Menschen gewährleistet.

Misshandlung von Gefangenen

Mehrere Videos zeigen zudem die Misshandlung von Gefangenen durch die türkische Armee. Aus 2017 und 2018 geleakten Videos ist der Umgang mit Gefangenen durch die türkische Armee gut dokumentiert. Eines zeigt die Exekution gefangener Guerilla-Kämpferinnen, ein anderes, wie türkische Soldaten die Köpfe von (angeblichen) PKK-Kämpfern abschneiden und in die Kameras halten. Da die Türkei keinen Unterschied zwischen kurdischen Zivilist*innen und Guerilla macht, und zugleich offen islamistische Prediger sowie Politiker in der Türkei ihre Truppen zu maximaler Rücksichtslosigkeit aufrufen, sind massenhafte Folter sowie extralegale Erschießungen eine erwartbare Folge der Besetzung nordsyrischen Gebiets.

Kooperation mit dem Islamischen Staat

Die Zusammenarbeit mit den Terroristen des Islamischen Staates ist während des Vormarsches der Türkei immer deutlicher zutage getreten. Sie besteht nicht allein in dem Umstand, dass die Milizen, mit denen die Türkei kooperiert, sich ideologisch nicht vom IS unterscheiden – sondern weist Anzeichen einer direkten militärischen Kooperation mit IS-Schläferzellen in Syrien auf. Während die Armee Erdogans vom Norden angreift, fanden zahlreiche Attentate statt: Vor einem Gefängnis in Hassakeh explodierte eine Autobombe, in Qamislo ebenso. Die Türkei beschießt direkt Gefängnisse, in denen IS-Kämpfer festgehalten werden. Bei einer dieser Attacken gelang mehreren Terroristen die Flucht. Im berühmt-berüchtigten al-Hol-Camp, in dem 70 000 Dschihadisten und ihre Angehörigen festgehalten werden, kommt es zu Aufständen. Zufall sind diese Aktionen der Fünften Kolonne Erdogans nicht. Bereits in der Vergangenheit wurden Kontakte des türkischen Geheimdienstes MIT zum Islamischen Staat unzweifelhaft dokumentiert.

#Bildquelle: ANF (anfkurdi.com)

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Am 15. Mai gab der oberste Gerichtshof Griechenlands dem Druck der Straße schließlich nach. Das Ausgangsverbot gegen den politischen Gefangenen DimitrisKoufontinas wurde aufgehoben und angeordnet, die endgültige Entscheidung an einen neu zusammengesetzten Verwaltungsrat zu übergeben.

Noch am selben Tag erklärte allerdings Kyriakos Mitsotakis, Präsident der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, dass, sollte seine Partei die anstehenden Parlamentswahlen gewinnen, das Gesetz, das solche Hafturlaube erlaubt, sofort geändert würde und die von der derzeit regierenden Syriza abgeschafften Kategorie-C Isolationszellen wieder eingeführt würden.

Dimitris Koufontinas ist ehemaliges Mitglied der griechischen Stadtguerrillagruppe Bewegung 17. November. Im Jahr 2002 tauchte er bewusst aus dem Untergrund auf, um die Geschichte seiner Organisation und deren revolutionäre Ziele zu verteidigen. Er wurde zu elfmal lebenslänglich verurteilt und sitzt zur Zeit im Kassavetia-Gefängnis in Volos. Kyriakos Mitsotakis ist der Schwager des 1989 von der Bewegung 17N erschossenen Politikers Pavlos Bakoyannis.

Seit dem Jahr 2010 steht Koufontinas – wie allen mehrfach lebenslänglich Verurteilten – ein mehrtägiger Hafturlaub alle paar Monate zu. Sein erster Freigang wurde ihm allerdings erst im November 2017 unter strengen Auflagen gewährt, begleitet von empörten Protesten aus den Reihen rechter Politiker*innen und Parteien sowie der bürgerlichen Presse. Die US-Botschaft monierte den Freigang eines „reuelosen Mörders“.

Die Reaktionen fielen auch deshalb so heftig aus, weil Koufontinas bis heute zu den Ideen und Aktionen der Bewegung 17N steht und sich weder distanziert, noch Aussagen gemacht hat. Diese aufrechte Haltung sorgt nicht nur in rechten Kreisen jedes mal, wenn er eine Fuß vor die Tür des Knastes setzt, für ängstliche Schnappatmung. Sie führt auch dazu, dass sich spektrenübergreifend rebellische Kräfte in Griechenland und außerhalb solidarisch auf ihn beziehen.

Nachdem ihm Anfang 2018 sein dritter Freigang schließlich unter vorgeschobenen Gründen verweigert wurde, trat Koufontinas in den Hungerstreik, begleitet von vielfältigen solidarischen Aktionen außerhalb der Knastmauern. Während dieses Hungerstreiks erklärte Koufontinas: „Weil uns nichts jemals geschenkt wird und all die sogenannten Rechte nichts anderes sind, als die Errungenschaften langer und langjähriger Kämpfe, ist die einzige Antwort, die wir geben können, den roten Faden dieser Kämpfe wieder zu ergreifen.“ Nach etwas mehr als zwei Wochen gab die Justiz nach und Koufontinas konnte seinen Hafturlaub antreten.

Obwohl ihm seither drei weitere Hafturlaube gewährt wurden, nahm der zuständige Staatsanwalt die obige Erklärung Anfang 2019 zum Anlass, um gegen seinen siebten Freigang von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Der Gefängnisdirektor, die Mehrheit des Disziplinarrates und sein Sozialarbeiter hatten dem Hafturlaub dagegen bereits zugestimmt. Aufgrund von Koufontinas‘ Erklärung darüber, die rote Fahne der Kämpfe wieder zu ergreifen, könne er, so der Staatsanwalt, es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, ihm einen weiteren Freigang zu gewähren. Eigentlich entscheiden Gefängnisdirektor, Sozialarbeiter und Disziplinarrat darüber, ob ein Gefangener die Voraussetzungen für einen Freigang erfüllt. Das Vetorecht der Staatsanwaltschaft macht diese Entscheidung im Grunde überflüssig.

Der Verwaltungsrat, die Instanz über der Staatsanwaltschaft, bestätigte das Veto mit der Begründung, dass Koufontinas weder bereit sei, seine bisherige Lebensart zu ändern, noch Reue zu zeigen. Er stelle weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft dar.

Um ein weiteres mal seine ihm zustehenden Rechte zu erkämpfen, trat Koufontinas am 2. Mai erneut in den Hungerstreik. Seine Forderungen waren neben der Ausgangserlaubnis die Abschaffung des staatsanwaltlichen Vetorechtes. Er erklärte: „Der Hungerstreik ist das äußerste Mittel, das einem Gefangenen zur Verfügung steht, um seine Rechte gegen die Willkür der Herrschenden zu verteidigen. Der Hungerstreik ist schon oftmals von politischen Gefangenen in Griechenland verwendet worden und ich wäre als Kommunist unwürdig, wenn ich diese kämpferische Tradition nicht fortsetzen würde.“

Schon nach wenigen Tagen wurde er wegen seiner kritischen gesundheitlichen Verfassung in ein Krankenhaus verlegt, wo er im zweiten Kellergeschoss neben der Leichenhalle unter Bedingungen festgehalten wurde, die er selbst als „unmenschliche Behandlung und Folter“ beschrieb. Er ließ mitteilen, dass er, sollte er das Bewusstsein verlieren, jegliche lebenserhaltenden Maßnahmen wie Zwangsernährung ablehnt.

Von Anfang an stand ihm dabei eine breite Solidaritätsbewegung zur Seite. Durch vielfältige Aktionen von Demos in Thessaloniki und Athen mit tausenden Teilnehmer*innen über tägliche Farbangriffe unter anderem auf das Parlament und die US-Botschaft bis hin zu Angriffen mit Molotow-Cocktails auf Polizeistationen in diversen Städten gelang es, massiven Druck auf die Herrschenden auszuüben.

Die Willkür mit der Koufontinas‘ Hafturlaub mal genehmigt, mal verweigert wird, die Skrupellosigkeit mit der in Kauf genommen wird, dass er seinen Körper wieder und wieder der Hungerfolter aussetzen muss, um seine selbstverständlichen Rechte zu erkämpfen, zeigt, worum es den Herrschenden dabei eigentlich geht: darum, ihn zu zermürben und dazu zu bringen, sich von seinen politischen Positionen und Aktionen zu distanzieren. Es zeigt, wie wenig dem Staat seine eigenen Gesetze wert sind, wenn es darum geht, seine politische Gegner zu bekämpfen. Der Umgang mit Koufontinas sendet eine Nachricht an alle, die sich gegen die Barbarei von Staat und Kapital stellen. Die Nachricht, dass man sich entweder von den eigenen politischen Ideen distanziert und sie verleugnet, oder die physische und politische Auslöschung zu erwarten hat.

Deshalb geht Koufontinas‘ Kampf alle an, die für eine Welt in Würde und Solidarität kämpfen, unabhängig davon was man von den politischen Aktionen und Positionen der Bewegung 17N hält. Er selbst erklärte: „Die Sache betrifft nicht nur eine persönliche Erlaubnis, sondern den Angriff auf das Recht, frei zu sprechen, auf die Rechte der Gefangenen, auf die Rechte des Volkes“.

Angesichts der Welle der Solidarität und der Intensität der Angriffe hob der oberste Gerichtshof am 15. Mai, wie gesagt, die Bestätigung des Vetos durch den Verwaltungsrat auf.

Am selben Tag war Koufontinas wegen Herzrhytmusstörungen in die Intensivstation verlegt worden. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes hat er seinen Hungerstreik am 23. Mai beendet. Er wies darauf hin, dass nun ein Präzedenzfall für alle Gefangenen geschaffen sei und dem neu zusammengesetzten Verwaltungsrat im Grunde nichts übrig bleibe, als den Hafturlaub zu gewähren. Bis er wieder normal gehen und Nahrung zu sich nehmen kann, bleibt Koufontinas im Krankenhaus.

# Katerina Savala

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Der Friedensprozess in Kolumbien ist weit davon entfernt Frieden zu bringen. Oft tödliche staatliche und parastaatliche Gewalt sind an der Tagesordnung. Unsere Autorin war im Rahmen einer Menschenrechtsbegleitung im Norden Kolumbiens und plädiert dafür, sich auch an solchen Aktionen zu beteiligen.

Am Donnerstag den 7. März war der 18-jährige Landarbeiter Coco mit seinen Nachbarn und Kollegen nach Feierabend zum Fußballspielen in der Nähe der Gemeinde Micoahumado, im Norden Kolumbiens, verabredet. Noch vor dem Anpfiff wurde von einem nahe gelegenen Hügel das Feuer eröffnet. Als er wegrennen wollte, traf Coco ein Schuss in die Seite. Er starb noch am gleichen Ort. Eine weitere Kugel verletzte den 27-jährige Henry Sarabina so schwer am Arm, dass er seine Hand wohl nie wieder bewegen können wird.

Die Angreifer waren Soldaten des kolumbianischen Militärs, die unter den Fußballern zwei Guerilleros des marxistischen Nationalen Befreiungsheers ELN erkannt haben wollen. Doch obwohl alle auf dem Sportplatz Versammelten unbewaffnet und sogar mehrere Kinder anwesend waren, griff das Militär die Gruppe mit drei Helikoptern und einem Dutzend vermummter Soldaten mit Maschinengewehren an. Die beiden vermutlichen ELN-Kämpfer konnten fliehen, doch die Soldaten zwangen mit gezogenen Waffen die Arbeiter über Stunden auf dem Boden zu liegen, verhörten Einzelpersonen und drangen in die Wohnhäuser ein, wo sie Handys und Bargeld klauten.

Mit dem Militär ist kein Staat zu machen

Der Mord an Coco und die massive Repression der Anwohner*innen sind kein Einzelfall, sondern reihen sich ein in den seit Jahrzehnten andauernden bewaffneten Konflikt in der Region. Der Süden des Bundesstaates Bolívar gilt seit den 1970er Jahren als Stammgebiet des ELN. Die Guerilla profitierte lange vom Rückhalt in der Bevölkerung und den bewaldeten Bergen als Rückzuggebiet. Der Staat ist hier vor allem in Form des Militärs präsent, paramilitärische Gruppen können von diesem unbehelligt agieren. Bisher scheiterten allerdings alle Versuche die Region gewaltsam einzunehmen. 2001 besetzten Paramilitärs das Dorf Micoahumado und vertrieben die Menschen. Erst als es nach dreimonatigen Kämpfen dem ELN gelang das Dorf zu befreien, konnten die geflüchteten Familien aus den umliegenden Bergen in ihre von den Paras geplünderten Häuser zurückkehren. Die Menschen in Micoahumado wissen: Auf den Staat ist kein Verlass. Es ist daher die Bevölkerung selbst, die in Selbstverwaltung die soziale Infrastruktur wie Bildung und Gesundheitsversorgung aber auch den Straßenbau umsetzt und sich dadurch eine beachtliche Unabhängigkeit geschaffen hat.

Allerdings ist die Region reich an Bodenschätzen und das Gold unter den Bergen ruft internationale Konzerne auf den Plan. Zuletzt versuchte 2001 der kanadische Bergbaukonzern Braeval Mining Corporation mit staatlicher Unterstützung die Kleinbauern und den traditionellen Bergbau zu verdrängen. Doch die Bevölkerung wehrte sich erfolgreich. Auch die Anwesenheit des ELN hat dazu sicher ihren Teil beigetragen: Nachdem der Staat dem Braeval-Konzern bereitwillig die notwendigen Bergbaulizenzen ausgestellt hatte, entführte der ELN kurzerhand den für die Grabungen verantwortlichen Vizepräsidenten des Unternehmens. Erst als das Braeval-Management zusagte, alle geplanten Aktivitäten abzusagen und die Region zu verlassen, kam der Verantwortliche wieder frei. Der Konzern zog sich 2003 aus der Region zurück.

Friedensprozess? Militarisierung des Alltags!

Nach Jahrzehnten im bewaffneten Konflikt sind die Menschen müde von der alltäglichen Gewalt. Es gibt immer wieder Schießereien im Dorf, die Militarisierung betrifft den Alltag der Bewohner*innen massiv. Zudem leiden sie wirtschaftlich unter den steigenden Abgaben an den ELN und sorgen sich um ihre Jugendlichen, die mangels beruflicher Perspektiven nicht nur vom Militär, sondern auch vom ELN leicht rekrutiert werden.

Gleichzeitig hält die staatliche Repression an: Militär und Polizei stellen die lokale Bevölkerung unter den Generalverdacht, mit dem ELN zu kooperieren. Schon wer Gummistiefel oder dunkle Kleidung trägt, gilt als Terrorist. Die Schikane reicht von Einschüchterungsversuchen durch das plötzliche Auftauchen bewaffneter Einheiten, willkürlichen Anzeigen, ungerechtfertigten Haftstrafen bis hin zum Mord von sozialen Aktivist*innen oder sogar Unbeteiligten wie Coco. Das alles geschieht weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Und der viel beredete Friedensprozess? Von einem Ende des Konflikts kann man nicht reden. Stattdessen schützt ein Deckmantel des Schweigens die Machenschaften des Militärs. Und genau deswegen sind wir hier.

Was wir tun können

Eine Woche nach dem Mord an Coco durch das Militär besuchen wir den Tatort, treffen die Anwohner*innen, dokumentieren ihre Berichte, machen Fotos. Wir kommen zu zweit aus Deutschland und begleiten die kolumbianische Menschenrechtsorganisation Corporación Sembrar. Möglich ist unser Einsatz dank des internationalistischen Netzwerks Red der Hermandad y Solidaridad, kurz RedHer. „Internationale Begleitung“ und „Menschenrechtsbeobachtung“ heißt unsere Arbeit – eine unangenehme Bezeichnung. Wie begleitet man einen bereits geschehenen Mord? Was bringt es, nur daneben zu stehen und das Unrecht zu beobachten? Klimaproteste, Mietendemos, AfD-Blockaden – unsere Erfahrungen der politischen Kämpfe in Deutschland scheinen plötzlich sehr weit weg. Es fühlt sich an, als wären wir hier fehl am Platz – mindestens nutzlos, wenn nicht gar eine zusätzliche Last für unsere Genoss*innen.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Für die Aktivist*innen vor Ort ist unser Besuch nicht nur eine menschliche Wertschätzung und eine politische Anerkennung ihrer Situation, sondern auch ein ganz konkreter Schutz: Gleich an unserem ersten Tag in Micoahumado kommen Soldaten ins Dorf und führen einen der sozialen Aktivisten ab. Sofort bilden die Dorfbewohner*innen eine Traube um die Militärs. Als wir dazu stoßen, fühlt sich deren Kommandant gezwungen, sich namentlich vorzustellen und schüttelt uns die Hand, lächelt, sagt: „reine Routinekontrolle“. Seine Rolle als good cop kostet ihn eine Dreiviertelstunde Diskussion mit den empörten Dorfbewohner*innen. Als er mit seiner Einheit schließlich unverrichteter Dinge wieder gehen muss, sagt uns einer der Aktivisten: Wenn ihr nicht gewesen wärt, hätten sie den Genossen einfach ohne Haftbefehl festgenommen. Aber unter den Augen der Gringos trauen sie sich solche schmutzigen Spielchen nicht.

Auch wenn es sich komisch anfühlt, sich als Antirassistin solcher postkolonialen Machtstrukturen

als strategisches Mittel zu bedienen – es funktioniert. Und es ist vielleicht die beste, wenn nicht gar die einzige Möglichkeit, wie wir uns solidarisch und auf Augenhöhe für emanzipatorische Kämpfe weltweit einsetzen können. Für uns, ausgestattet mit einem deutschen Pass und einem europäischen Aussehen, ist es nicht schwer, diese Privilegien strategisch einzusetzen. Mit nur einem kleinen Schritt raus aus der Komfortzone der imperialistischen Zentren bekämpfen wir die rassistischen und imperialistischen Machtstrukturen dieser Welt mit ihren eigenen Mitteln. Unsere Anwesenheit zeigt den staatlichen Autoritäten: Was ihr hier tut geschieht unter den Augen einer internationalen Öffentlichkeit. Und unseren Verbündeten zeigen wir: Ihr seid nicht allein, wir stärken euch den Rücken. Im Gegenzug dafür haben uns die Menschen in Micoahumado und anderswo viel zu geben: Von ihrer Unabhängigkeit gegenüber allen bewaffneten Gruppen, von ihrer Widerständigkeit und ihrem Willen, dem Militär nicht das Feld zu überlassen und ihrer Beharrlichkeit, sich auch unter den widrigsten Bedingungen selbst zu organisieren – davon können wir noch viel lernen.

Sophie ist aktiv bei der Interventionistischen Linken (iL) und war mit dem Red de Hermanidad y Solidaridad (RedHer) und dem Congreso de los Pueblos in Kolumbien. Sie hat mit RedHer vom 11.-14. März 2019 an einer Menschenrechtsbegleitung im kolumbianischen Bundesstaat Bolívar teilgenommen.

Kontakt zu Internationalist*innen in Kolumbien und mehr Informationen über menschenrechtliche Begleitung gibt es hier https://www.redcolombia.org/ und bei der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation http://corporacionsembrar.org/. Im August findet eine vom RedHer organisierte Caravana statt, bei Interesse kann Kontakt über die Homepage aufgenommen werden.

# Bild: Policía Nacional de los colombianos CC BY-SA 4.0

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“Bosnia grave of the doomed.” Der Spruch, einer der wenigen auf Englisch, steht an der Wand eines Gebäudes in der Stadt Bihac im nördlichen Kanton Una-Sana, nur 10 km von der kroatischen Grenze entfernt.
Er macht deutlich, dass die Balkanroute nicht nur hier durchführt, sondern hier auch endet. Europa liegt dort drüben, jenseits der Berge, die den Blick nach Westen versperren und ein klaustrophobisches Gefühl vermitteln. Mit knapp über 60.000 Einwohner*innen ist Bihac zu einem Grenzaußenposten geworden.

Im Norden und Osten Syriens hat sich in den vergangenen Jahren ein basisdemokratisches, sozialistisches Rätesystem etabliert. Die kurdische, arabische, christliche […]

Am 9. Oktober begann, zunächst mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss, der Angriff der türkischen Armee auf Rojava, Nordsyrien. Eine von mehreren […]

Am 15. Mai gab der oberste Gerichtshof Griechenlands dem Druck der Straße schließlich nach. Das Ausgangsverbot gegen den politischen Gefangenen […]

Der Friedensprozess in Kolumbien ist weit davon entfernt Frieden zu bringen. Oft tödliche staatliche und parastaatliche Gewalt sind an der […]

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