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Den Mythos von der vierten Gewalt, sich selbst betreffend,prägt die liberale Pressewelt gerne. Wenn es drauf ankommt, ist aber nicht viel von den sich kritisch gebenden Blättern zu hören, gerade wenn es um die medial weniger ausgeleuchteten Bereiche der BRD geht. URA Dresden mit zwei Beispielen, in denen die Presse, wie so oft, Hofberichterstatter war.

Dresden hat es kurzzeitig in die Schlagzeilen geschafft: Am 20. September 2020 veranstaltete ein Bündnis verschiedener Gruppen eine Demo, gegen die menschenverachtenden Zustände in den Elendslagern an den europäischen Außengrenzen. Abschluss dieser Demo war eine kurzzeitige Straßenblockade mit einem Transparent. Der überforderte Einsatzleiter der Cops eskalierte die Situation komplett: Nachdem er in das Transparent lief, rief er: „Schubs mich und du fängst dir ’ne Kugel!“ und griff nach seiner Schusswaffe.

Während so eine Drohung, Waffengewalt gegen eine Straßenblockade (!) einzusetzen, sonst gerne als Märchen abgetan würde, gibt es in diesem Fall ein Video, das kurze Zeit nach der Demo online verfügbar war. Auch die lokale Presse bekam Wind von der Sache. Ihre Vertreter:innen stürzten sich aber zunächst fast gänzlich auf die Pressemitteilungen und Verlautbarungen der Polizei selbst, in denen u.a. der Griff an die Waffe zu einem vermeintlich korrekten Akt der Waffensicherung fabuliert wurde. Auch sonst fand die Polizeileitung nur positive Worte für den schießwütigen Kollegen, der trotz einer angeblich gefährlichen Situation besonnen gehandelt habe. Diesen Lügen schloss sich auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer an. Weder der Videobeweis, der ja erst Auslöser für die Berichterstattung war, noch Richtigstellungen von Seiten der Demo-Orga veranlassten die mediale Mehrheit, die offizielle Darstellung auch nur anzuzweifeln. Pressemitteilung gut, alles gut.

Aber nicht nur bei der Einordnung von staatlich verübter Gewalt vertraut die Presse blind den offiziellen Verlautbarungen. In der Nacht zum 30. August 2020 stach ein 16-jähriger Neonazi auf einer Outdoor-Party in der Dresdner Heide auf zwei Menschen ein und verletzte eine Person lebensgefährlich. Dem Angriff voraus gingen rassistische Äußerungen und ein Hitlergruß durch den Täter. Trotz dieser Umstände, die durch Zeug:innen-Aussagen sofort bekannt wurden, ermittelten die Cops zunächst lediglich wegen schwerer Körperverletzung. Erst jetzt, einen Monat später, ermitteln sie wegen versuchten Totschlags, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Die Staatsanwaltschaft leugnet zudem konsequent ein politisches Motiv des rechten Tötungsversuchs.

Was in anderen Regionen dieser Republik zumindest für kurzzeitige Empörung und Lippenbekenntnisse von Politiker:innen sorgen würde, läuft in Dresden unter Randnotizen. Der rechte Tötungsversuch wurde von einigen Zeitungen zwar aufgegriffen und die rassistischen Äußerungen sowie der Hitlergruß blieben teilweise auch nicht unerwähnt, doch es schien wichtiger zu sein, dass die Messerattacke auf einer „illegalen Party“ geschah. Zu erwähnen ist auch, dass sich die Cops erst auf Nachfrage des Pressekollektivs Straßengezwitscher genötigt sahen, die Vorgeschichte der Tat zu benennen. Sprich: Die rassistischen Äußerungen und den Hitlergruß. Das führte weder dazu, dass die Polizei die Tat als versuchtes Tötungsdelikt einstufte, noch dazu, dass die Staatsanwaltschaft ein politisches Tatmotiv erkannte. Auf unsere Versuche hin, dem Fall die nötige Beachtung und die richtige politische Einordnung zu verschaffen, reagierte die hiesige Presse so gut wie nicht. Eine von uns spontan organisierte, wütende und lautstarke Demonstration nebst Pressearbeit fand ihre Beachtung lediglich in einem Stadtteilblog der Dresdner Neustadt.*

Diese Fälle zeigen, vor welchen Problemen wir im Hinblick auf Pressearbeit, vor allem in Ostdeutschland, aber auch darüber hinaus, stehen: Wenn die sächsische Presse rechte Übergriffe nicht gerade verharmlost, dann werden Polizeimeldungen, Statements der Staatsanwaltschaft und konservativer bis extrem rechter Politiker:innen abgepinselt, ohne auch nur irgendetwas davon wirklich zu hinterfragen. Den Lippenbekenntnissen, der tödlichen Gefahr von Rechts nach Hanau, Halle und den unzähligen, täglichen Übergriffen etwas entgegenzusetzen, wird damit keinerlei Rechnung getragen. Die selbst auferlegte Aufgabe als vierte Gewalt im Staat wird einfach nicht erfüllt. Kein einziges bürgerliches Medium fungiert als Kontrollinstanz, welche den herrschenden Verhältnissen auf die Finger schaut, sei es aufgrund von politischem Unwillen, einer Vermutung des fehlenden öffentlichen Interesses, oder – wenn man guten Willen sehen will – aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen.

Öffentlicher Druck ist jedoch eine Grundlage, um die von anti-emanzipatorischen und faschistischen Einstellungen durchzogenen Behörden zum Handeln zu zwingen und das Wirken der Politik kritisch zu begleiten.

Versteht uns nicht falsch, wir sehen in den repressiven Handlungen des Staates keine alleinige Lösungsoption für den Kampf gegen den Faschismus. Im Gegenteil: Ein hierarchisch organisierter, autoritärer Berufszweig, in einer dementsprechend organisierten Gesellschaftsordnung, welcher zur Aufgabe hat, diese Ordnung zu schützen, zieht notwendigerweise die autoritären Charaktere an, die nicht nur die Waffen schwingen, sondern auch ermitteln und die Pressearbeit machen. Und ihnen liegt nichts ferner, als diese Formierung – und damit ihr eigenes Handeln und das ihrer Kolleg:innen – ernsthaft infrage zustellen. Es ist aber trotzdem wichtig für das Selbstvertrauen und die Handlungsfähigkeit einer kritischen Gesellschaft, staatliche Stellen für ihr Handeln verantwortlich zu machen und ihre Willkür zu brechen, damit wir uns unserer eigenen Kraft und Verantwortung wieder bewusst werden. Dafür bräuchte es auch eine kritische und zugängliche Presse.

Einmischen kann sich aber trotzdem lohnen: Dass den Aussagen des lügenden Bullen mit seiner locker sitzenden Knarre und all seinen Verteidiger:innen offen widersprochen wurde, führte schlussendlich nicht nur dazu, dass jetzt gegen den Büttel ermittelt wird, sondern auch zu Stress innerhalb der Behörden. Der erfolgreiche Widerspruch unterminiert das Vertrauen in die Unfehlbarkeit staatlicher Aussagen. Nicht alles, was staatlicherseits verbockt wird, kann unter den Teppich gekehrt werden. Zudem wurde auch belegt, dass sich Sachsens Ministerpräsident Kretschmer nicht entblödet, öffentlich und offensichtlich zu lügen, um besagtes Vertrauen in die Unfehlbarkeit nicht zu gefährden.

Die meisten sächsischen Medien spielen jedoch eine extrem unkritische, staatstragende Rolle. Doch selbst bei den Karrierelinken von der taz bis zum Neuen Deutschland blieb unser Ruf meist ungehört. Der Ruf nach einer solidarischen Berichterstattung, in der auf lokale Probleme eingegangen wird, denen sich die radikale Linke in Sachsen gegenübersieht und auf ihre Antworten in Form von emanzipatorischen Forderungen und Kämpfen. Auch die radikale Linke bundesweit sollte mal genau überlegen, inwieweit sie es geschafft hat, politische Aufmerksamkeit auf die Gegenden abseits der großen Szeneblasen zu legen. Hierbei geht es uns auch nicht um einen Wettbewerb in Sachen „wo ist es beschissener?“ Wir wollen nicht warten, bis die Verhältnisse noch schlimmer werden. Wir wollen genau dies verhindern. Und dafür braucht es solidarische Medienarbeit von Unten. Sei es, um eigene politische Themen zu setzen und voranzubringen, oder um bereits jetzt der medialen und behördlichen Entpolitisierung faschistischer und staatlicher Übergriffe entsprechend zu begegnen.

Vielleicht muss sich eine radikale Linke aber auch davon verabschieden, dem Phantom einer kritischen Presse hinterherzujagen. Extremistheoretischer Blödsinn zieht sich wie ein roter Faden durch Print, Funk und Fernsehen: Vom unkritischen Abschreiben einer Polizei-Pressemitteilung, über die Erwähnung rechter Netzwerke bei der Polizei als anscheinende Normalität des Zeitgeistes, ist es dann nicht mehr weit zur brennenden Mülltonne in Connewitz. À la: Aber die Linken! Äquidistanz und so. Mit dieser Basis wirkt es dann auch glaubhaft, dass eine handvoll Menschen hinter einem Transparent einen angeblich erfahrenen Bullen in eine so missliche Lage brachte, aus der sich dieser nur noch durch das Androhen des Schusswaffeneinsatzes befreien konnte. Ganz egal, wie sehr die audiovisuelle Faktenlage dem widersprechen mag.

In den kommenden Jahren werden wir eine weitere Verschärfung des Rechtssogs und der autoritären Maßnahmen erleben. Wir sehen eine kritische Medienarbeit als essentielle Grundlage einer jeden widerständigen Bewegung an, die sich dem entgegenstellen will. Die momentane Lage der hiesigen Presse- und Medienlandschaft gibt aber leider wenig Hoffnung dafür, dass diese Presse auch nur ansatzweise eine solche Rolle einnehmen könnte. Deswegen liegt es an uns, Eigeninitiative zu zeigen, den Kopf aus der Lifestyle-Blase zu ziehen und den Staat und seine Schergen auch da anzugreifen, wo sie öffentlich und offensichtlich lügen. Hier können wir den Menschen zeigen, dass das Vertrauen, welches durch die Skandale der letzten Jahre ein paar Kratzer bekommen hat, endgültig in die Schublade der schlechten Entscheidungen verbannt gehört.

* Am Tag der Publikation dieses Textes veröffentlichte die DNN einen Artikel, der mit Bezug auf antifaschistische Recherche, das Tatmotiv hinterfragt. Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben auf Nachfrage der DNN bei ihrem Standpunkt.

# Titelbild: twitter screenshot @antifa_dresden, Demo evacuate them all

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In Magedeburg steht der Nazi Stephan Balliet wegen des Anschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle vor Gericht, in Frankfurt am Main zeitgleich der Nazi Stephan Ernst, der Anfang Juni 2019 den hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss. In Hanau tötete vor einem halben Jahr der Nazi Tobias Rathjen neun Menschen aus rassistischen Motiven. Faschistische Terroristen ziehen eine Blutspur durchs Land. Die Öffentlichkeit debattiert währenddessen über rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, über zunehmende Polizeigewalt und Racial Profiling. Dass all das Leuten nicht gefällt, die seit Jahren die Gefahr von links beschwören und vor allem nach dem G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg Oberwasser hatten, liegt auf der Hand.

Regelmäßig versuchen Polizeibehörden, die beiden großen Polizeigewerkschaften und die Verfassungsschutzämter im Verein mit ihnen verbundenen Konzernmedien, das Thema „linke Gewalt“ – gern wird auch von „linkem Terror“ gesprochen – wieder auf die Agenda zu setzen. Einen neuen Versuch dieser Art konnte man Anfang August beobachten. Das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtete von einem „vertraulichen Lagebild“ des Bundeskriminalamtes, das vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft von „Linksextremisten“ gegen politische Gegner warne.

In der Analyse sei von einer „neuen Qualität“ die Rede. Autonome trieben ihre Aktionen so „kompromisslos“ voran, dass in Einzelfällen auch „von einem bedingten Tötungsvorsatz“ auszugehen sein dürfte. Insbesondere die Leipziger Szene, die neben Berlin und Hamburg als Hochburg gelte, radikalisiere sich immer mehr. Offensichtlich wärmt der Spiegel diese Schauermärchen jetzt im Halb-Jahres-Abstand auf. Bereits Anfang Februar fabulierten die Lohnschreiber aus Hamburg unter der Dachzeile „Linksextreme Gewalt in Deutschland“, für die „militante Linke“ seien Angriffe auf Menschen wie in Leipzig und Hamburg „kein Tabu mehr“. Nachsatz: „Die Politik wirkt hilflos.“

Die „neue Qualität der Gewalt“ wird, wie Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken in Hamburg in junge Welt süffisant bemerkte, „alle paar Monate neu entdeckt“. Das habe nichts mit der Realität zu tun, sondern sei „ganz einfach rechte Stimmungsmache“. Zur Unterfütterung der gewagten These vom „bedingten Tötungsvorsatz“ wird vom BKA laut Spiegel unter anderem der Überfall von rund 20 Angreifern auf drei Vertreter der neofaschistischen Arbeitnehmervertretung „Zentrum Automobil“ im Mai in Stuttgart erwähnt. Einer der Überfallenen soll dabei so schwer verletzt worden sein, dass er nach Angaben von Medien bleibende Schäden davon tragen werde. Inzwischen sind linke Aktivisten als tatverdächtig festgenommen worden. Selbst wenn dieser Angriff tatsächlich von Linken ausgeführt wurde, wäre das ein Ausnahmefall und aus solchen Fällen eine zunehmende Gewaltbereitschaft Linker abzuleiten, ist reine Kaffeesatzleserei.

Vor allem aber ist es grotesk, ausgerechnet in dieser Zeit, in der rechte Terroristen Angst und Schrecken verbreiten, das Thema „linke Gewalt“ hochzuziehen. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Bundestag, hat das in junge Welt zutreffend eingeordnet. Das Lagebild des BKA scheine ein „durchschaubares Ablenkungsmanöver“ zu sein. Während „faschistische Zellen bis hinein in Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei auffliegen“, Waffen gebunkert und Todeslisten angelegt würden, schwadroniere das BKA von einer zunehmenden Gewaltbereitschaft von Linken. Angesichts der Tatsache, dass etwa das „Massaker“ an den Besuchern von Shisha-Bars in Hanau gerade mal ein halbes Jahr zurückliege, sei es absurd, wenn die Behörden von einem „bedingten Tötungsvorsatz“ Linker sprächen. „Nazis töten – und zwar nicht nur mit ‚bedingtem Vorsatz‘ sondern kaltblütig und gezielt“, sagte die Linke-Politikerin.

Völlig ins Absurde kippte übrigens der Focus ab, das reaktionäre Magazin für die ganz Schlichten. Im Gefolge des Spiegel fantasierte das Blatt, die „linksextremische Antifa“ bereite sich nach Kenntnis von Sicherheitsbehörden auf „Angriffe gegen Polizisten, politische Gegner und vermeintliche Rechtsextremisten“ vor. Bei „der Antifa und ihren 50 regionalen Unterstützergruppen“ gebe es eine „Professionalisierung der Gewaltausübung“. Laut Berliner Verfassungsschutz seien „gezielte Tötungen“ denkbar. Westlichen Nachrichtendiensten lägen Hinweise vor, dass deutsche „Antifa-Mitglieder“ bei der kurdischen YPG in Syrien ein Kampftraining absolvierten. Blöder geht es wirklich kaum! Ulla Jelpke gab dem Focus in junge Welt kostenlos Nachhilfeunterricht: „Es ist kein Geheimnis, dass auch deutsche Antifaschisten heute in Nordsyrien in den Reihen der kurdischen YPG aktiv sind. Der Kampf gegen den IS und andere Dschihadisten ist ein Teil des weltweiten antifaschistischen Kampfes.“

Durchaus aufschlussreich an der ganzen Sache ist auch, dass BKA, Verfassungsschutz und Konzernmedien en passant das auch von US-Präsident Donald Trump fleißig gepflegte Narrativ von „der Antifa“ als homogener Organisation mit bösen Absichten verbreiteten. Diesen Mythos will man offenbar weiter nach Kräften befördern.

Übrigens schwadronieren auch die Polizeigewerkschaften regelmäßig über die Gewalt von links, der die „Kollegen auf der Straße“ zunehmend ausgesetzt seien. Dabei bemüht sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) offenbar immer mehr, mit der reaktionären kleinen Schwester, der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in puncto Hetze gegen Links gleichzuziehen. Das Berliner Schundblatt BZ war nur zu gern bereit, bei der Berichterstattung über die Räumung der Kiezkneipe Syndikat in Neukölln Anfang August eine Tirade des Berliner GdP-Vize Stephan Kelm abzudrucken. „Die militante, linksautonome Szene geht zurzeit offensiv und strukturiert gegen meine Kollegen bei Demos und Protesten vor“, fabulierte der Mann und beklagte die Verletzung eines Beamten bei den Auseinandersetzungen in Neukölln. Da werde sogar „der Tod von Menschen in Kauf genommen“. Und: „Wir haben es mit Personengruppen zu tun, die ohne jedes Zögern auch Molotow-Cocktails werfen würden.“

Vielleicht sollte dem Herrn mal jemand erklären, dass Molotow-Cocktails bereits länger in Gebrauch sind, und das durchaus auch bei Straßenschlachten. Und dass für die Eskalation auf der Straße nicht Autonome oder andere Linke verantwortlich sind, sondern erstens die Polizei, die immer mehr aufrüstet und immer brutaler vorgeht, und zweitens die kapitalistische Ausbeutung und Ausgrenzung, die bei immer mehr Menschen nichts als Wut und Hass erzeugt. Dabei gibt es natürlich auch Verletzte, auf beiden Seiten. „Wir sind der Prellbock auf der Straße“, klagte der Herr Kelm noch. Jawohl, da hat er recht! Aber das ist noch nicht die Schuld der radikalen Linken. Die Herrschenden verheizen Euch, liebe Leute in Uniform! Also: Augen auf bei der Berufswahl.

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„Was hat China zu verbergen?“, titelt die Weltwoche; „Hat China Angst vor der Wahrheit?“, fragt NTV; „China unter Verdacht – Kam das Virus aus dem Labor?“ orakelt Springers Bild. Mehrere Wochen, nachdem die Verschwörungstheorie, Covid-19 sei aus einem chinesischen Labor in Wuhan entfleucht, das erste Mal im Internet auftauchte, ballert nun die halbe deutsche Qualitätspresse die steile These in die pluralismusgeschulten Hirne ihrer Leser*innen.

Die Crux an der Sache: Es spricht eigentlich nichts für diese Theorie, außer dass in Wuhan ein Labor existiert, in dem auch Viren erforscht werden. Alles weitere ist irgendetwas zwischen freier Erfindung und Spekulation. Die nun wirklich nicht der Kommunistischen Partei Chinas unterstehende liberale Nachrichtenseite Vox etwa schrieb bereits vor einem Monat – u.a. unter Berufung auf eine Studie renommierter Mikrobiologen –, dass das Virus dem Stand der derzeitigen Kenntnisse nach „nicht menschengemacht“ sein könne. Und dass auch sonst keine Beweise für ein Entfleuchen aus dem Labor vorliegen.

Das wissen auch die Bezahlschreiberlinge in den Knechtsstuben der deutschen Presse, deshalb liest sich etwa die FAZ-Version der Abwehrschlacht gegen den Chinesen so: Der Autor Klaus-Dieter Frankenberger leitet zwar damit ein, dass die Labor-Theorie „schon längere Zeit auf dem Markt“ sei und die „meisten Forscher“ sich gegen sie aussprechen. Der ganze Text sagt aber dann: Wer dem Chinesen ordentlich eins rein würgen will, kann sie doch trotzdem weiterverbreiten. Was spricht für die Labor-These? Eigentlich nix, aber deshalb schreibt man dann wie Frankenberger einfach: „Das Ausmaß der Vertuschung, nachdem die Epidemie in Wuhan ausgebrochen war, ist hinreichend dokumentiert“ – durch den Faz-Frankenberger allerdings nicht, denn er belässt es bei dieser Behauptung. Und das Ganze läuft dann unter der Überschrift „Chinas Vertuschungspolitik“. Das Sahnehäubchen auf dem Meisterstück, das jeder Zwölfjährige niederschreiben hätte können, solange er die Gelben nur auch so leidenschaftlich hasst: „Es ist ohnehin reichlich selbstgefällig, sich für Erfolge im Kampf gegen Covid-19 im Land feiern zu lassen – eine Krankheit, die dort ihren Ausgang nahm und die die Welt in den Abgrund blicken lässt.“ – Wie kann er nur feiern, der Chinese? Was erlaubt er sich?

Der Müll zur Labortheorie bei Springer, FAZ und Co. ist nicht deshalb erstaunlich, weil man bei diesen Blättern irgendeine Art von Fairness gegenüber Peking erwarten sollte. Sondern eher, weil man sich fragt, warum sie ausgerechnet jetzt diese gut abgehangene Truther-These ausgraben? Nun, es wird wohl daran liegen, dass rechte Kreise in den USA die Sache pushen und man über beide Ohren transatlantisch ist. Der materielle Hintergrund der antichinesischen Propaganda, die sich ja keineswegs im Ausschlachten irgendwelcher Spekulationen erschöpft, sondern bis zu offenem Rassismus reicht, liegt im absoluten Versagen der Trump-Administration. Ein Imperium wie das der Vereinigten Staaten ist nicht nur auf Waffengewalt, sondern auch auf globale Hegemonie angewiesen. Die bröckelt bereits seit Jahrzehnten, aber Corona ist ein weiterer Sargnagel. Der Großteil der Welt orientiert sich lieber an chinesischen Experten oder lädt kubanische Ärzt*innen ein, wohl kaum jemand würde die Washingtoner Gurkentruppe des Großkapitals als Vorbild vorschlagen.

Dem muss entgegengewirkt werden. Und wenn man sonst nichts mehr anzubieten hat, dann müssen eben die Copy-Paste-Helden des Meinungsgewerbes ran. Die können bei ihrem Tagwerk an eine alte Tradition anknüpfen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts ließ der selige Kaiser Wilhelm II. den Künstler Hermann Knackfuß ein Gemälde anfertigen, das Buddha auf einer Gewitterwolke drohend heranschweben zeigt. „Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter“, hieß das Stück. Wenige Jahre später rief er seine Soldaten dann auf, Chinesen ohne Pardon niederzumetzeln, „auf dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ Das taten die dann auch.

#Titelbild: Hermann Knackfuß „Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter, wikimedia commons

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Ende April erschien die dritte Ausgabe der Weddinger Lokalzeitung „Plumpe“. Seit gut einem Jahr berichtet eine kleine Redaktion von lokalen Aktivist*innen über Initiativen und Aktionen, erzählt aber auch Geschichten über die eigensinnigen Bewohner*innen des Stadtteils im Nord-Westen Berlins. Wir sprachen mit zwei Redakteur*innen über Gegenöffentlichkeit im Stadtteil und motivierende Momente beim Aufbau einer linken Stadtteilzeitung.

In der neuesten Ausgabe beschäftigt ihr euch mit dem Thema „Frauen im Wedding“. Wie wählt ihr denn die Themen für eure Zeitung aus? Über welche Themen schreibt ihr regelmäßig?

Elli: In unserer allerersten Ausgabe vor einem Jahr haben wir geschrieben: „Wir wollen über die sozialen Kämpfe in unseren Kiezen berichten und die Nachbar*innen darüber informieren, was nebenan passiert.“ Das gilt immer noch. Wir nehmen uns vor, über aktuelle Themen im Wedding zu berichten.

Als die letzte Ausgabe entstanden ist, waren die Vorbereitungen für den Frauen*streik am 8. März sehr aktuell. Da wir auch selbst Aktionen im Wedding organisiert haben, haben wir beschlossen umfangreicher in der Zeitung darüber zu berichten.

Björn: Allerdings ist uns auch wichtig, einen Blick über den Bezirk hinaus zu werfen. Wir wollen Kämpfe und Themen verbinden. Das geht oftmals schon im Stadtteil, aber eben nicht immer. Manche Themen können halt nicht nur so kleinteilig diskutiert werden. So ist unsere internationale Seite entstanden. Da haben wir eine kleine Reportage. Beim letzten mal war das leicht, weil der Frauenkampftag überall auf der Welt begangen wird. Davor haben wir aus Italien und Griechenland berichtet.

Elli: Wir wollen aber auch nicht nur über Probleme schreiben. Uns geht es auch um neue Perspektiven und Vorschläge. Dazu befragen wir aber nicht nur gestandene Initiativen. Wir wollen auch individuelle Meinungen. In der letzten Ausgabe gab es zum Beispiel ein Interview mit einer Friseurin aus dem Kiez. Solche persönlichen Geschichten sind auch total wichtig und machen beim Schreiben auch einfach Spaß.

Ihr sagt, dass ihr viel über die Gestaltung und das Ziel der Zeitung gesprochen habt, dass ihr keine der unzähligen Antifa-Stadtteilbroschüren sein wollt, die es immer mal wieder zum Mitnehmen in linken Kneipen gibt. Was seit ihr dann?

Elli: Das ist provokant gefragt. Wir sind natürlich Antifaschist*innen, stehen auch dazu und ich denke das spiegelt sich auch im Grundton unserer Zeitung wieder. Aber du hast recht, wir verzichten auf all zu offensive Symbolik und unsere Themen sind wesentlich breiter.

Björn: Wir wollen ja auch, dass die Zeitung regelmäßig erscheint. Da brauchen wir auch einfach mehr Themen als die hiesige AfD-Fraktion. Dasselbe gilt übrigens auch für das Thema Miete und Verdrängung. Es sind halt nicht die einzigen Kämpfe, die hier tagtäglich geführt werden.

Elli: Wenn Müll das große Thema im Bezirk ist, dann schreib ich über Müll. Ich bin da schmerzbefreit.

Was sind eure bisherigen Erfahrungen mit der Zeitung? Kommt die Zeitung gut an?

Björn: Bisher sind die Erfahrungen sehr positiv. Aber es zeigt sich auch, dass so eine Zeitung eher langfristig wirkt. Besonders die Interviews haben eine gute Wirkung, weil das sehr persönlich ist. Am Ende geht es uns ja um zwei Sachen. Zum einen diese persönlichen Beziehungen im Kiez zu stärken oder aufzubauen, die tagtäglich in einer neoliberalen, kapitalistisch organisierten Stadt zerstört werden. Zum anderen aber auch allen zu zeigen: Du bist nicht allein mit deinen Problemen. Demütigungen vom Jobcenter, Verdrängung, Rassismus oder Sexismus sind nichts, was wir hinnehmen müssen und es gibt viele im Kiez, die sich dagegen zur Wehr setzen.

Elli: Ich hab noch eine kleine Anekdote am Rande. Wir verteilen die Zeitung ja auch in den unzähligen Eckkneipen im Bezirk. Da hast du mit unserem Namen auch meistens direkt ein Gesprächsthema und kommst gar nicht mehr raus aus dem Laden.

Was sind eure nächsten Pläne mit der Zeitung? Wollt ihr expandieren?

Björn: Tatsächlich tauschen wir uns gerade mit Genoss*innen in anderen Stadtteilen aus, die ähnliche Projekte starten wollen. Das freut uns natürlich sehr, denn die Idee ist wirklich denkbar simpel. Aber gerade steht die Aufgabe an, die aktuelle Ausgabe unter die Leute zu bringen. Dass ist immer eine ganze Menge Arbeit. Außerdem haben wir schon die nächsten heißen Storys an denen wir dran sind. Ihr könnt also gespannt sein.

Interview: Hubert Maulhofer

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Was für gemütskranke Lohnschreiber in den Redaktionen deutscher Leitmedien herumsitzen, zeigt die Eskalation im Hafen des italienischen Lampedusa am Wochenende aufs Neue. Ja, man darf, man muss sie so nennen, die Redakteure Ulrich Ladurner von der Zeit und Matthias Rüb von der FAZ. Jede*r normal Denkende und Fühlende solidarisiert sich derzeit mit den 42 Migrant*innen von der Sea-Watch 3 und der festgenommenen Kapitänin Carola Rackete – nicht so Ladurner und Rüb. Was sie an ihren trockenen und sicheren Schreibtischen, Hunderte Kilometer von Lampedusa entfernt, absonderten, ist mit ekelhaft noch zurückhaltend umschrieben.

Dass sich das von Faschisten regierte Italien und die ganze EU seit Monaten einen Teufel um Seerechtskonventionen und uralte Grundregeln der Seenotrettung scheren, dass sie seit Jahren Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen lassen, dass sie dabei mithelfen, dass Flüchtlinge vom Mittelmeer in libysche Folterlagen „zurückgeschoben“ werden – das interessiert die beiden Herren nicht. Nein, sie sorgen sich darum, dass die „Provokation“ der deutschen Kapitänin, das „riskante Anlegemanöver der Sea-Watch 3“ die Italiener gegen Deutschland aufbringen und Innenminister Matteo Salvini Wähler zutreiben könnte.

Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was uns Oberlehrer Ladurner, übrigens ein Italiener aus Südtirol, ins Stammbuch schreibt: „Ist es wirklich klug und richtig, dass das Rettungsschiff Sea-Watch 3 mit 42 Migrantinnen und Migranten an Bord den Hafen von Lampedusa anläuft, obwohl die italienische Regierung das ausdrücklich verboten hat?“ Schon bei diesen Worten möchte man schreiend aus dem Haus laufen! Doch es kommt noch besser. Die Debatte um das Thema Migration müsse „entgiftet“ werden, setzt er fort. Das ginge aber nur, wenn man versuche, „die Spaltung bei diesem Thema in den europäischen Gesellschaften nicht weiter zu vertiefen, sondern sie zusammenführen und versöhnen“.

Ja, dann lassen wir doch noch mal ein paar tausend Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen, bis wir uns mit Salvini & Co. „versöhnt“ haben, oder wie?! Wie abstoßend und widerlich ist solches Geschreibsel, angesichts des mit Händen greifbaren Elends der afrikanischen Flüchtlinge in den Schlauchbooten, deren Schicksal Nazis wie Salvini am Arsch vorbeigeht! Und das in Anbetracht der Tatsache, dass seit vielen Monaten Rettungsschiffe, die Flüchtlinge retten konnten, von einer Odyssee in die nächste geschickt werden, weil die Anrainerstaaten ihrer selbstverständlichen Pflicht nicht nachkommen, Gerettete an Land zu lassen.

Was der Herr Rüb absondert, ist noch widerlicher, denn der politische Korrespondent der FAZ in Italien und im Vatikan übernimmt die Positionen der italienischen Faschisten gleich ganz. Mit Blick darauf, dass die Sea-Watch 3 beim Anlegen ein Schnellboot des Zolls abgedrängt hat, schreibt er von einem „rücksichtslosen Anlegemanöver Racketes“ und zitiert Salvini ausführlich und ohne ihn auch nur im Mindesten zu relativieren: Der Minister habe der Kapitänin vorgeworfen, sie habe den Tod der Beamten auf dem Schnellboot billigend in Kauf genommen.

Es sei „ein krimineller Akt“ gewesen, wie Rackete versucht habe, das Boot der „Guardia di Finanza“ an der Mole „zu zerquetschen“. Kommentarlos lässt Rüb auch diesen Satz von Salvini stehen: „Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber sie hat eine Katastrophe mit tödlichem Ausgang riskiert.“ Man muss es zweimal lesen, es das steht da wirklich, in Salvinis Worten, aber von der FAZ unkommentiert: „eine Katastrophe mit tödlichem Ausgang“. Und was ist dann bitte das, was seit vielen Monaten auf dem Mittelmeer passiert??

Natürlich haben beide Korrespondenten auch das perfide Argument in petto, die Aktion in Lampedusa sei „eine Steilvorlage“ für Salvini. Ladurner doziert, Italien habe sich bis heute nicht von der Wirtschaftskrise erholt, es werde von Brüssel zu Recht ermahnt zu sparen. Und weiter: „ All das vermengt sich inzwischen zu einer Anti-Europa-Stimmung aus Angst, Verzweiflung, Verbitterung und, ja, auch Aggression.“ In diesen Konflikt „mitten hinein“ sei das Rettungsschiff gesteuert: „Was für eine Vorlage für Salvini.“ Diese Behauptung bewegt sich auf demselben Niveau wie die Einlassung der AfD, die „Öffnung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge“ sei in der Konsequenz verantwortlich für den Mord an Walter Lübcke. Die Argumentation von Rüb und Ladurner ist nicht nur kaltherzig bis zum Gehtnichtmehr, sie ist auch grundfalsch!

Wohin Appeasement gegenüber Faschist*innen führt, haben wir in Europa schon erlebt. Die Organisation Sea-Watch zeigt klare Kante, und das wird höchste Zeit. Wenn Salvini & Co. das für sich ausschlachten können, so what? Hätten die Alliierten vor 70 Jahren nicht in der Normandie landen sollen, weil das Adolf Hitler noch mehr Anhänger zuführt oder Nazis noch fanatischer macht?

Hier geht es nicht allein um die Stimmung in Italien, es geht um die Stimmung in Deutschland und in ganz EU-Europa. Angesichts des andauernden, des himmelschreienden Skandals des massenhaften Sterbens im Mittelmeer helfen nur Aktionen weiter, die ein Fanal sind, die Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit erzeugen, die Menschen auf die Beine bringen. Deshalb: Zeigt Solidarität mit Carola Rackete im Internet und auf der Straße! Das Motto der nächsten Tage kann nur sein: #freeCarola

# Kristian Stemmler

# Titelbild Guglielmo Mangiapane/ REUTERS


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