Den Mythos von der vierten Gewalt, sich selbst betreffend,prägt die liberale Pressewelt gerne. Wenn es drauf ankommt, ist aber nicht viel von den sich kritisch gebenden Blättern zu hören, gerade wenn es um die medial weniger ausgeleuchteten Bereiche der BRD geht. URA Dresden mit zwei Beispielen, in denen die Presse, wie so oft, Hofberichterstatter war.
Dresden hat es kurzzeitig in die Schlagzeilen geschafft: Am 20. September 2020 veranstaltete ein Bündnis verschiedener Gruppen eine Demo, gegen die menschenverachtenden Zustände in den Elendslagern an den europäischen Außengrenzen. Abschluss dieser Demo war eine kurzzeitige Straßenblockade mit einem Transparent. Der überforderte Einsatzleiter der Cops eskalierte die Situation komplett: Nachdem er in das Transparent lief, rief er: „Schubs mich und du fängst dir ’ne Kugel!“ und griff nach seiner Schusswaffe.
Während so eine Drohung, Waffengewalt gegen eine Straßenblockade (!) einzusetzen, sonst gerne als Märchen abgetan würde, gibt es in diesem Fall ein Video, das kurze Zeit nach der Demo online verfügbar war. Auch die lokale Presse bekam Wind von der Sache. Ihre Vertreter:innen stürzten sich aber zunächst fast gänzlich auf die Pressemitteilungen und Verlautbarungen der Polizei selbst, in denen u.a. der Griff an die Waffe zu einem vermeintlich korrekten Akt der Waffensicherung fabuliert wurde. Auch sonst fand die Polizeileitung nur positive Worte für den schießwütigen Kollegen, der trotz einer angeblich gefährlichen Situation besonnen gehandelt habe. Diesen Lügen schloss sich auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer an. Weder der Videobeweis, der ja erst Auslöser für die Berichterstattung war, noch Richtigstellungen von Seiten der Demo-Orga veranlassten die mediale Mehrheit, die offizielle Darstellung auch nur anzuzweifeln. Pressemitteilung gut, alles gut.
Aber nicht nur bei der Einordnung von staatlich verübter Gewalt vertraut die Presse blind den offiziellen Verlautbarungen. In der Nacht zum 30. August 2020 stach ein 16-jähriger Neonazi auf einer Outdoor-Party in der Dresdner Heide auf zwei Menschen ein und verletzte eine Person lebensgefährlich. Dem Angriff voraus gingen rassistische Äußerungen und ein Hitlergruß durch den Täter. Trotz dieser Umstände, die durch Zeug:innen-Aussagen sofort bekannt wurden, ermittelten die Cops zunächst lediglich wegen schwerer Körperverletzung. Erst jetzt, einen Monat später, ermitteln sie wegen versuchten Totschlags, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Die Staatsanwaltschaft leugnet zudem konsequent ein politisches Motiv des rechten Tötungsversuchs.
Was in anderen Regionen dieser Republik zumindest für kurzzeitige Empörung und Lippenbekenntnisse von Politiker:innen sorgen würde, läuft in Dresden unter Randnotizen. Der rechte Tötungsversuch wurde von einigen Zeitungen zwar aufgegriffen und die rassistischen Äußerungen sowie der Hitlergruß blieben teilweise auch nicht unerwähnt, doch es schien wichtiger zu sein, dass die Messerattacke auf einer „illegalen Party“ geschah. Zu erwähnen ist auch, dass sich die Cops erst auf Nachfrage des Pressekollektivs Straßengezwitscher genötigt sahen, die Vorgeschichte der Tat zu benennen. Sprich: Die rassistischen Äußerungen und den Hitlergruß. Das führte weder dazu, dass die Polizei die Tat als versuchtes Tötungsdelikt einstufte, noch dazu, dass die Staatsanwaltschaft ein politisches Tatmotiv erkannte. Auf unsere Versuche hin, dem Fall die nötige Beachtung und die richtige politische Einordnung zu verschaffen, reagierte die hiesige Presse so gut wie nicht. Eine von uns spontan organisierte, wütende und lautstarke Demonstration nebst Pressearbeit fand ihre Beachtung lediglich in einem Stadtteilblog der Dresdner Neustadt.*
Diese Fälle zeigen, vor welchen Problemen wir im Hinblick auf Pressearbeit, vor allem in Ostdeutschland, aber auch darüber hinaus, stehen: Wenn die sächsische Presse rechte Übergriffe nicht gerade verharmlost, dann werden Polizeimeldungen, Statements der Staatsanwaltschaft und konservativer bis extrem rechter Politiker:innen abgepinselt, ohne auch nur irgendetwas davon wirklich zu hinterfragen. Den Lippenbekenntnissen, der tödlichen Gefahr von Rechts nach Hanau, Halle und den unzähligen, täglichen Übergriffen etwas entgegenzusetzen, wird damit keinerlei Rechnung getragen. Die selbst auferlegte Aufgabe als vierte Gewalt im Staat wird einfach nicht erfüllt. Kein einziges bürgerliches Medium fungiert als Kontrollinstanz, welche den herrschenden Verhältnissen auf die Finger schaut, sei es aufgrund von politischem Unwillen, einer Vermutung des fehlenden öffentlichen Interesses, oder – wenn man guten Willen sehen will – aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen.
Öffentlicher Druck ist jedoch eine Grundlage, um die von anti-emanzipatorischen und faschistischen Einstellungen durchzogenen Behörden zum Handeln zu zwingen und das Wirken der Politik kritisch zu begleiten.
Versteht uns nicht falsch, wir sehen in den repressiven Handlungen des Staates keine alleinige Lösungsoption für den Kampf gegen den Faschismus. Im Gegenteil: Ein hierarchisch organisierter, autoritärer Berufszweig, in einer dementsprechend organisierten Gesellschaftsordnung, welcher zur Aufgabe hat, diese Ordnung zu schützen, zieht notwendigerweise die autoritären Charaktere an, die nicht nur die Waffen schwingen, sondern auch ermitteln und die Pressearbeit machen. Und ihnen liegt nichts ferner, als diese Formierung – und damit ihr eigenes Handeln und das ihrer Kolleg:innen – ernsthaft infrage zustellen. Es ist aber trotzdem wichtig für das Selbstvertrauen und die Handlungsfähigkeit einer kritischen Gesellschaft, staatliche Stellen für ihr Handeln verantwortlich zu machen und ihre Willkür zu brechen, damit wir uns unserer eigenen Kraft und Verantwortung wieder bewusst werden. Dafür bräuchte es auch eine kritische und zugängliche Presse.
Einmischen kann sich aber trotzdem lohnen: Dass den Aussagen des lügenden Bullen mit seiner locker sitzenden Knarre und all seinen Verteidiger:innen offen widersprochen wurde, führte schlussendlich nicht nur dazu, dass jetzt gegen den Büttel ermittelt wird, sondern auch zu Stress innerhalb der Behörden. Der erfolgreiche Widerspruch unterminiert das Vertrauen in die Unfehlbarkeit staatlicher Aussagen. Nicht alles, was staatlicherseits verbockt wird, kann unter den Teppich gekehrt werden. Zudem wurde auch belegt, dass sich Sachsens Ministerpräsident Kretschmer nicht entblödet, öffentlich und offensichtlich zu lügen, um besagtes Vertrauen in die Unfehlbarkeit nicht zu gefährden.
Die meisten sächsischen Medien spielen jedoch eine extrem unkritische, staatstragende Rolle. Doch selbst bei den Karrierelinken von der taz bis zum Neuen Deutschland blieb unser Ruf meist ungehört. Der Ruf nach einer solidarischen Berichterstattung, in der auf lokale Probleme eingegangen wird, denen sich die radikale Linke in Sachsen gegenübersieht und auf ihre Antworten in Form von emanzipatorischen Forderungen und Kämpfen. Auch die radikale Linke bundesweit sollte mal genau überlegen, inwieweit sie es geschafft hat, politische Aufmerksamkeit auf die Gegenden abseits der großen Szeneblasen zu legen. Hierbei geht es uns auch nicht um einen Wettbewerb in Sachen „wo ist es beschissener?“ Wir wollen nicht warten, bis die Verhältnisse noch schlimmer werden. Wir wollen genau dies verhindern. Und dafür braucht es solidarische Medienarbeit von Unten. Sei es, um eigene politische Themen zu setzen und voranzubringen, oder um bereits jetzt der medialen und behördlichen Entpolitisierung faschistischer und staatlicher Übergriffe entsprechend zu begegnen.
Vielleicht muss sich eine radikale Linke aber auch davon verabschieden, dem Phantom einer kritischen Presse hinterherzujagen. Extremistheoretischer Blödsinn zieht sich wie ein roter Faden durch Print, Funk und Fernsehen: Vom unkritischen Abschreiben einer Polizei-Pressemitteilung, über die Erwähnung rechter Netzwerke bei der Polizei als anscheinende Normalität des Zeitgeistes, ist es dann nicht mehr weit zur brennenden Mülltonne in Connewitz. À la: Aber die Linken! Äquidistanz und so. Mit dieser Basis wirkt es dann auch glaubhaft, dass eine handvoll Menschen hinter einem Transparent einen angeblich erfahrenen Bullen in eine so missliche Lage brachte, aus der sich dieser nur noch durch das Androhen des Schusswaffeneinsatzes befreien konnte. Ganz egal, wie sehr die audiovisuelle Faktenlage dem widersprechen mag.
In den kommenden Jahren werden wir eine weitere Verschärfung des Rechtssogs und der autoritären Maßnahmen erleben. Wir sehen eine kritische Medienarbeit als essentielle Grundlage einer jeden widerständigen Bewegung an, die sich dem entgegenstellen will. Die momentane Lage der hiesigen Presse- und Medienlandschaft gibt aber leider wenig Hoffnung dafür, dass diese Presse auch nur ansatzweise eine solche Rolle einnehmen könnte. Deswegen liegt es an uns, Eigeninitiative zu zeigen, den Kopf aus der Lifestyle-Blase zu ziehen und den Staat und seine Schergen auch da anzugreifen, wo sie öffentlich und offensichtlich lügen. Hier können wir den Menschen zeigen, dass das Vertrauen, welches durch die Skandale der letzten Jahre ein paar Kratzer bekommen hat, endgültig in die Schublade der schlechten Entscheidungen verbannt gehört.
* Am Tag der Publikation dieses Textes veröffentlichte die DNN einen Artikel, der mit Bezug auf antifaschistische Recherche, das Tatmotiv hinterfragt. Polizei und Staatsanwaltschaft bleiben auf Nachfrage der DNN bei ihrem Standpunkt.
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