Über die Kriegsdrohungen gegen Teheran, die Arbeiterbewegung im Iran und die Perspektive eines sozialistischen Wegs im Iran. Ein Gespräch mit Bahram Ghadimi
#Bahram Ghadimi ist
Mitglied des iranischen Kollektivs »Andeesheh va Peykar« (Gedanke
und Kampf). Das Kollektiv sieht sich als Fortführung jener
kritischen Bewegung, die in den 1960er-Jahren mit der Gründung der
»Organisation der Volksmudjahedin des Irans« begann, sich zu
»Volksmudjahedin-ML« weiter entwickelte und zuletzt in die
„Organisation des Kampfes für die Freiheit der Arbeiterklasse
(Peykar)“ mündete. Innere Krisen und die Repression in der
islamischen Republik brachten „Peykar“ jedoch zum Schweigen.
»Andeesheh va Peykar« gründete sich mit dem Ziel, Auswege und
Lösungen für die Lage im Iran zu Finden. Es durchlief theoretische
Reflexionsprozesse und legte seinen Fokus auf die Verbreitung der
Erfahrungen der Kämpfe des palästinensischen Volkes, der
lateinamerikanischen Arbeiterbewegung und der Zapatistas in Mexiko.
In den
vergangenen Monaten verschärfte sich die Kriegsrhetorik der USA
gegen den Iran zunehmen. Denkst du, eine militärische Intervention
ist realistisch? Welche Strategie verfolgt Washington?
Bevor ich antworte,
muss ich sagen, dass wir diese Frage noch nicht näher in unserem
Kollektiv diskutiert haben. Aber auch das zeigt, dass wir die
Möglichkeit eines Kriegs noch nicht wirklich ernst nehmen. Das
Gefühl, dass es tatsächlich zum Krieg kommen wird, ist bei uns noch
nicht da. Wir sind aber keine Wahrsager. Im Moment zu sagen, ob es zu
einer Intervention kommt oder nicht, ist reine Spekulation. Wir
kennen die internen Diskussionen der US-Administration und der
iranischen Regierung nicht.
Die Spannungen, die
aktuell existieren, scheinen sich eher in Richtung Verhandlungen zu
entwickeln. Es geht darum, dass die USA den Iran vermehrt unter Druck
setzen wollen, um bestimmte Vorteile an anderer Stelle zu erhalten.
Dabei kann es um die Konkurrenz zwischen Iran, Israel und
Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Mittleren Osten gehen. Denn die
wirtschaftlichen Interessen dieses Dreiecks sind manchmal
übereinstimmend – zum Beispiel wie es unter dem Schah zwischen
Iran und Israel der Fall war -, häufiger jedoch konkurrieren sie.
Deswegen denke ich, dass die USA in der jetzigen Lage den Iran aus
gewissen Gebieten herausdrängen wollen: Aus Syrien, dem Jemen oder
auch aus dem Libanon. Das scheint mir im Moment eher das Ziel und
weniger ein wirklicher Krieg. Nicht desto trotz, müssen wir uns
immer wieder an den den bekannten Satz von Clausewitz erinnern: Der
Krieg ist die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.
Es bedeutet, auch
der Staat bleibt der gleiche, vor dem Krieg, währenddessen und
danach. Aber egal, ob es zum offenen Krieg kommt oder nicht: beide
Staaten, sowohl die USA als auch die Islamische Republik, sind
reaktionär und müssen bekämpft werden. Und zwar nicht erst, wenn
der Krieg beginnt, sondern jetzt!
Diese Frage bringt
mich aber auch zu einer anderen Überlegung. Als ich noch jung war,
war das erste, was uns in den Sinn kam, wenn wir vom Krieg geredet
haben,Vietnam oder Korea und darin die Frage des Widerstands gegen
den Krieg. Wie waren gegen den Krieg, weil es einen Befreiungskampf
gab, den wir unterstützten. Gleiches galt z.B für den
Befreiungskampf in El Salvador und Nicaragua. Es gab immer eine
Seite, die einen emanzipatorischen Moment hatte. Seit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion und der Schwächung der
Befreiungskämpfe stehen auf beiden Seiten meist nationale
Interessen, die aber nichts mit Klassenkämpfen und emanzipatorischen
Momenten zu tun haben. Das Problem liegt in dem qualitativen
Unterschied zwischen diesen zwei Arten von Kriegen und ihrer
Vermischung bzw. Verwechslung miteinander. So dass man manchmal wie
z.B damals als der Irakkrieg losging, sah dass viele Linke sich auf
die Seite Saddam Husseins stellten, um ihn gegen den US-Imperialismus
zu unterstützen.
Wie stellt sich
die revolutionäre Linke im Iran zu den Angriffen der USA?
Das ist abhängig
davon, welchen Teil dieser Linken man fragt. Es gibt im Iran eine
traditionelle Linke, von der tatsächlich nur noch Überreste
existieren. Im Iran besteht sie nach ihrer Zerschlagung nicht mehr in
Form von Organisationen oder Parteien. Im Ausland gibt es Gruppen,
die sich gerne so darstellen, als ob sie im Land eine größere Basis
hätten.
Ich möchte gerne in
diesem Zusammenhang an die 80’er und dem Krieg zwischen Iran und
Irak erinnern. Zu jener Zeit, als der Krieg losging, existierte eine
ernstzunehmende Opposition zur iranischen Regierung aus vor allem
linken Gruppen. Es gab aber auch Gruppierungen, die sich Kommunisten
nannten, aber de facto für die Islamische Republik waren, so wie die
an der Sowjetunion orientierte Tudeh-Partei oder die Volksfedayin
(Mehrheit). Diese gingen tatsächlich so weit mit der Islamischen
Republik zu kollaborieren und für sie zu spionieren. Als es zum
Krieg kam, waren sie natürlich auf der Regierungsseite. Aber nicht
nur sie, auch viele Maoisten, Trotzkisten und die Volksmujahedin
verfielen in eine Art nationalistische Positionierung. Sie
unterstützten die iranischen Streitkräfte oder formierten ihre
eigenen unabhängigen Verbände an der Front gegen den Irak.
Die Politik zu
dieser Zeit war so, dass zumindest in den ersten Kriegstagen die
einzige größere Organisation, die den Krieg boykottiert hat, die
»Peykar« (1) war. Die Position von Peykar war damals, dass das
iranische Volk in keinen von reaktionären Staaten geführten Kriege
gegen ihre irakischen Brüder und Schwestern treten solle. Dafür
wurde Peykar nicht nur von der Regierung, sondern auch von anderen
Linken angegriffen. Unter vielen Peykaris gab es wahrscheinlich genau
so viele nationalistische Neigungen wie in allen anderen
Organisationen. Nur ging es viel mehr darum, zu schauen, was unser
Verhältnis zum Volk ist und was unser Verhältnis zu den Mächtigen.
Wenn man im Kampf der Mächte zwischen Pest und Cholera eine
Entscheidung treffen muss, kann man sich natürlich für eine Seite
entscheiden. Oder man wählt einen dritten Weg und sagt: Ich bin
gegen den Krieg und stehe gegen beide Staaten!
Auch heute müssen
wir darauf achten, dass wir, wenn wir über Imperialismus sprechen,
uns Gedanken machen worüber wir genau reden. Imperialismus stellt
eine bestimmte Form des Kapitalismus dar. Also anders formuliert,
ergibt sich dann die Frage: Auf welcher Seite stehen wir im Krieg
zwischen dem kapitalistischen Staat USA und dem kapitalistischen
Staat Iran? Egal, wie wir uns entscheiden, entscheiden wir uns für
das kapitalistische System. Deswegen denke ich, im Falle eines
solchen Krieges, muss sich die Linke entscheiden, will sie für den
Kapitalismus eine Seite ergreifen, oder sieht man in der Gesellschaft
Kräfte, auf deren Seite man kämpfen sollte.
Man könnte eine
Brücke schlagen und sich fragen: Was passiert, wenn so ein Krieg
losgeht? Dann kann man sich auch besser entscheiden. Seit Jahrzehnten
bewegt sich die Arbeiterbewegung im Iran auf der Ebene defensiver
Kämpfe. Besonders nach der Niederschlagung der linken und
oppositionellen Bewegung zwischen 1980 und 1988 mit
Massenhinrichtungen und dem Ausnahmezustand, war die Gesellschaft
quasi paralysiert.
Diese Situation hat
sich seit der Zeit von Rafsanjani, Ahmadinedjad und Mousavi, als sich
Privatisierung und Neoliberalisierung des Kapitals im Iran
durchgesetzt haben, gehalten. Das bezieht sich dabei nicht nur auf
die linke Bewegung, sondern auch auf die Kämpfe der Völker im Iran
– Araber, Baluchis, Turkemenen, Kurden. Die iranische Regierung hat
den Krieg genutzt, um all diese Bewegungen als sogenannte Fünfte
Kolonne des Feindes zu denunzieren und zu zerschlagen. In den letzten
3- 4 Jahren haben sich aber andere Kämpfe im Iran entwickelt.
Deshalb würde ich
sagen, die Linke im Iran, so klein wie sie auch sein mag, hat Partei
ergriffen und steht an der Seite der Arbeiterklasse. Am 1. Mai haben
vier Organisationen – die Bussfahrergewerkschaft von Vahed, die
Gewerkschaft von Haft-Tapeh, die Rentner Union und das
Koordinationskomitee zur Unterstützung des Aufbaus der
Arbeiterorganisationen – in einem 15-Punkte-Kommuniqué u.a. gegen
jeglichen Besatzungskrieg gegen alle Völker der Welt ausgesprochen.
Die restlichen Forderungen richten sich gegen die eigene Regierung.
Du hast von
Kräften in der Bevölkerung gesprochen, an deren Seite man kämpfen
kann. Welche Kämpfe gibt es derzeit konkret?
Wie ich eben gesagt
habe – die Kämpfe sind offensiver geworden, in dem Sinne, dass die
Arbeiterbewegung sich aktuell auch Alternativen schafft. Es kann
sein, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter von Haft Tapeh aus Ohnmacht
gegenüber ihrer Situation zu diesen Aktionen übergegangen sind,
aber war es bei den ArbeiterInnen von Zanon, Impa, oder Bruckmann in
Argentinien anderes?
Die Aufstände, die
im Dezember 2017 und Januar 2018 anfingen, haben eine neue Dimension
der Kämpfe im Iran eröffnet. Vielleicht vergleichbar mit der
Gelbwesten-Bewegung in Frankreich. Es war nicht nur die
Arbeiterklasse, die auf die Straßen ging, sondern auch diejenigen,
die über jedes Maß hinaus ausgebeutet und dann von allem
ausgeschlossen, quasi weggeworfen worden sind: Die sog.
„Einweg-Arbeiter“. Diese Klasse ist vor allem vorletztes Jahr auf
die Straße gegangen und interessant dabei war, dass sie keine Führer
hatten, keinen Chef und auch keine Organisation. Ich bin mir der
Notwendigkeit einer Organisierung in einem langfristigen Kampf sehr
bewusst. Dies ist auch das Resultat vieler Erfahrungen, u.a. der
zapatistischen Bewegung in Chiapas. Ohne eine Organisation wäre die
Widerstand im Süd-Osten Mexikos unmöglich.
Während in der
Regel die Nichtexistenz einer Organisation ein Nachteil ist, war es
aber in diesem spezifischem Moment im Iran ein Vorteil, weil niemand
durch Festnahmen oder Bestechungen die Bewegung beenden konnte. Diese
Bewegung, die von ganz unten aufgestanden war, ist heute wie eine
Glut, die unter der Asche begraben ist. Ihre Erfahrungen sind in die
Kämpfe der StahlarbeiterInnen von Ahvaz eingegangen. Zum ersten Mal
sehen wir, dass die ArbeiterInnen in Ahvaz sich solidarisieren mit
streikenden Lehrern in Teheran.
Dann gibt es die
Kämpfe und Streiks der Zuckerproduktion von Hafttapeh im Süden
Irans und wir sehen, dass viele ihrer taktischen Schritte an die
Arbeitskämpfe in Argentinien erinnern. Es gibt Videomaterial von den
Führern dieser Arbeiterbewegung wie z.B Herr Bakhschi, der zur Zeit
im Gefängnis ist, der auf einer Versammlung redet und die Besetzung
der Fabrik vorschlägt. Sie sprechen vom Räteaufbau und
Räteorganisationsmodellen. Das sind Dinge, die vor ein paar Jahren
unvorstellbar waren im Iran.
Gehen wir jetzt
zurück zu der Frage, was passieren wird wenn der Krieg losgeht. In
erster Linie werden all diese Bewegungen beschuldigt werden, die 5.
Kolonne des US-Imperialismus zu sein. Und sie werden noch härter
angegriffen werden. Somit hat der Krieg für die iranische Regierung
einige Vorteile, um sich noch handfester gegen die eigene Bevölkerung
durchzusetzen.
Die internationale
Linke muss entscheiden, ob sie sich auf die Seite einer dieser
Staaten stellen will, oder den Spieß umdreht und sagt: unser Subjekt
ist die Bevölkerung, um sich nicht nur auf die Arbeiterklasse zu
beschränken. Die Armen, die Ausgebeuteten, diejenigen, die nicht die
oberen 1% bilden. Mit einer solchen Perspektive macht es dann keinen
Unterschied, ob ein Rafsanjani die Leute niedermetzelt oder Bush, ob
es Trump ist oder Rohani. Es geht dann darum, etwas von unten
aufzubauen. Zweifellos muss die Linke gegen jeglichen
Besatzungskrieg, gegen jegliche Art von Ausbeutung, Apartheid und
Sexismus sein. Ich will damit betonen das es in dieser Situation
keine schlimmere Seite gibt. Unser Kampf gegen Vernichtungskriege hat
seinen eigenen Stempel.
Was erwartest du
von einer internationalistischen Linken in Deutschland?
Ich glaube, man kann
nicht nur als Stellvertreter für Iran oder Kurdistan, Mexiko oder
irgendein anderes Land in Deutschland kämpfen. Doch Deutschland hat
auch Mitverantwortung für die Kriege im Mittleren Osten, etwa, wenn
wir uns die Waffenindustrie ansehen. Wenn wir hier etwas machen
wollen, müssen wir z.B. gegen Rheinmetall mobilisieren. Der Krieg
beginnt hier! Aber auch gegen die Innen- und Außenpolitik der EU
müssen wir uns organisieren. Selbst wenn wir im Falle eines Angriffs
für die Bevölkerung im Iran wenig tun können, müssen wir uns mit
allen Mitteln gegen diese Kriege wehren.
Für uns sind die
tatsächlichen Bewegungen von unten im Iran wichtig. Die
Arbeiterbewegung, die kämpfenden Frauen und die kämpfenden Völker
im Iran werden jeden Tag niedergemetzelt, nicht nur seit 40, sondern
seit über 100 Jahren. Es hat keinen Unterschied gemacht, wer an der
Macht war, ob Schah oder Khomeini, für die Bevölkerung änderte es
nichts, weil das System stets das gleiche kapitalistische System
blieb. Also entweder unterstützen wir eine Kriegsseite gegen die
andere, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse anzurühren. Oder
wir stehen ein für eine soziale Revolution, dann hat der Krieg darin
keinen Platz.
#Interview: Peter Schaber und Yoldas Paramaz
#Bildquelle: http://wpiran.org/english/four-sections-haft-tapeh-sugar-cane-workers-iran-strike-unpaid-wages-job-insecurity/