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Italien steht kurz vor dem Höhepunkt seiner Coronavirus-Kurve und ein Unternehmen aus Brescia (Lombardei) verkauft eine halbe Milionen Test-Kits an die USA.

Am 16. März 2020 schickte ein im Bereich digitale Mikrobiologie und Künstliche Intelligenz agierendes Unternehmen aus Brescia 500.000 Kits zum Durchführen der Tests wegen dem tödlichen Virus in die USA. Brescia liegt in der bisher am stärksten betroffenen Region Lombardei, die bis dato 19.884 Infizierungen und 2.168 Todesfälle registrierte. Im ganzen Stiefel wurden seit Beginn des gewalttätigen Ausbruchs des Covid-19 Mitte Februar lediglich 100.000 Tests durchgeführt. Bis zum 16. März wurden in den USA „nur“ 4.500 Infizierungen und 86 Todesfälle gezählt. Wer hätte die Test-Kits nun dringlicher gebraucht? In Zeiten des von allen Seiten als kriegerisch bezeichneten Kampfes gegen den Coronavirus verfolgen die Regierungen weltweit einen Krieg jeder gegen jeden, der den Bevölkerungen unterm Strich nichts erfreuliches bescheren.

Die Meldung wurde am Abend des 19. März von der italienischen sozialdemokratisch ausgerichteten Tageszeitung „La Repubblica“ preisgegeben: ein Unternehmen, das im seit mehreren Wochen kochenden Herd des Ausbruchs von Covid-19 angesiedelt ist, hat 500.000 Kits zum Durchführen des Tests an die USA verkauft. Die 13 Paletten wurden von der im Nordosten Italiens liegenden US-amerikanischen Militärbasis von Aviano mit einem C17 Globemaster Militärflugzeug nach Memphis überführt. In der Tat gab es unweit vom italienischen Epizentrum des Covid-19 einen ungeheuren Bestand an genau dem Test-Kit, den viele Regionen des Landes verzweifelt suchen, um die Ausbreitung der Plage einzudämmen, aber nicht finden. Selbst in düsteren Zeiten einer rabiaten Pandemie, bleibt der unmittelbare Bedarf an einer medizinischen Ware zweitrangig. Viel wichtiger jedoch ist aus Sicht eines Unternehmens sein Tauschwert, sprich wie lukrativ sie auf dem Markt ist und wer das bessere Angebot unterbreitet. Und dies kam nun mal aus dem Pentagon.

In der Tat feierten die USA am Mittwoch Abend die Einfuhr der Test-Kits und der US-amerikanische Botschafter in Italien Lewis M. Eisenberg brachte dem italienischen Unternehmen sogar schäbige Glückwünsche dar: „Wir sind erfreut, dass die italienische Firma Copan Diagnostics weiterhin die Nachfrage von Test-Kits auf Coronavirus in Italien und im Ausland befriedigen kann. Der private Sektor in Italien rettet Leben auf der ganzen Welt. Ich spreche meinen Lob für diese Bemühungen aus“. Wenn Copan Diagnostics wirklich Interesse an der Rettung von Menschenleben gehabt hätte, wären die Test-Kits schon längst in Nord Italien im Einsatz. Durch das massive Durchführen von Tests hätte man konsequent verhindern können, dass asymptomatische Patienten frei und unbekümmert das Virus herum kutschieren. Der amtierende Präsident der Region Venetien Luca Zaia brachte am 20. März seine Fassungslosigkeit gegenüber diesem Vorfall zum Ausdruck: „Mir scheint es nicht normal, dass ein US-amerikanisches Frachtschiff mit 500.000 in Brescia hergestellten Test-Kits an Bord von Aviano aufbricht, wo wir doch keine finden“. Es bleibt jedoch fragwürdig, wie diese Entscheidung an den politischen Akteur*innen vorbei gehen konnte und ob letztere nicht doch über den Verkauf im Bilde waren.

Jedoch wurde das Gezänk um die Kontrolle der Schlüsselelemente zur Bekämpfung des Covid-19 bereits am 17. März mit Trumps Versuch sich die Rechte auf den Impfstoff zu sichern, eröffnet. Der US-amerikanische Präsident versuchte mit happigen Schecks das Team der deutschen Firma CureVac, das zur Zeit intensiv an der Herstellung eines Impfstoffs arbeitet, auf das anderen Ufer des Teichs zu locken. Wie „Die Welt“ berichtet, nahm der Chef der Firma Daniel Menichella bereits Anfang März an einem Treffen von Pharmamanagern im Weißen Haus teil. Vorerst scheint es, als ob die EU die Flucht des Patents mit der Bereitstellung von 80 Mio. Euro verhindern konnte.

Ein ähnlich jämmerliches Beispiel sind die Streitigkeiten zwischen dem deutschen Staat und dem italienische Unternehmen Dispotech srl, das unweit von Mailand seinen Hauptsitz hat. Letzteres hatte 830.000 chirurgische Schutzmasken aus China bestellt und wollte diese ursprünglich über Deutschland nach Italien versenden. Doch am 4. März 2020 verließ das deutsche Außenministerium eine Verordnung, die den Export von gewissen Medizinprodukten verbietet. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um diese Schutzmasken nach Italien zu bringen – erklärte die Inhaberin von Dispotech srl am 13. März der lokalen Tageszeitung „Il Giorno“ – jedoch können wir sie nicht mehr aufspüren.

Der Zwietracht wegen der Schutzmasken vermehrt sich aber nicht nur auf zwischenstaatlicher Ebene. Auch zwischen den italienischen Regionen wird immer hitziger um die grundlegenden Medizinprodukte gerungen. Am 13. März meldete die Tageszeitung „Il Mattino“, dass eine von der öffentlichen Gesundheitseinrichtung in Neapel geordneten Lieferung von 70.000 Schutzmasken von der Landesregierung Toskana angehalten wurde. Der Präsident der Region Kampanien Vincenzo De Luca spricht Tacheles: „Wenn ein von uns bestellter Lastwagen voller Schutzmasken angehalten wird, dann haben wir uns nicht deutlich genug ausgedrückt. In diesem Fall machen wir Krieg“.

Der Coronavirus hat die schmähliche Knappheit an Medizinprodukten wie Test-Kits, Schutzmasken und Atemgeräten auf allen Ebenen glasklar und lapidar zum Ausdruck gebracht. Die Jahrzehnte der koordinierten und virulenten Auskernung des Sozialstaates können nicht mehr rückgängig gemacht werden. So geben sich Staaten und Länder zu einem bisweilen kannibalischen und zynischen Krieg her, in dem sie sich um den Besitz der noch verfügbaren medizinischen Krümel balgen. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass in Zeiten einer verheerenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise nur jene Staaten, die finanziell am längeren Hebel sitzen, möglicherweise glimpflich davonkommen können. „Im Kapitalismus nichts Neues“ würde manch ein politischer Visionär sagen. Allerdings verleihen die tödlichen Auswucherungen des Covid-19 diesem Satz einen extrem bitteren Geschmack.

Titelbild: Governor Tom Wolf/CC BY 2.0

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Die italienischen Gefängnisse wurden am Wochenende des 8. März von den massivsten und energischsten Aufständen seit den 70er Jahren erschüttert. Die in Salerno am Samstag Abend entfesselte Wut ergriff innerhalb weniger Stunden insgesamt 27 Haftanstalten auf dem ganzen Stiefel. Im Fokus der Forderungen der Häftlinge liegt die Einhaltung der Abstandssicherheitsvorkehrungen, die von Staatschef Giuseppe Conte zur Eindämmung des Covid-19 feierlich angekündigt, in den Knästen jedoch nicht umgesetzt werden. Außerdem wurden die Besuche von Familienangehörigen ausgesetzt und arbeitsbedingte Ausgangsgenehmigungen vorerst unterbunden.

In den letzten Tagen brodelt es in Italien. Wir konnten zusehen wie sich Tag für Tag im gazen Land der Gesundheitsnotstand verschlimmerte und neue Maßnahmen und Verordnungen in Kraft traten.

Seit dem 10. März wurde die bisher nur in den „roten Zonen“ umgesetzte Verordnung zur Bekämpfung des Covid-19 auf das ganze Staatsgebiet ausgedehnt. In dieser heißt es, dass „es absolut zu vermeiden ist, sich aus der eigenen Region sowie innerhalb derselben zu bewegen, es sei denn, unvermeidliche Arbeitserfordernisse oder Notfallsituationen liegen vor“; dazu kommt eine Reihe von Einschränkungen und Gesundheits- und Hygieneangaben.

Es gibt jedoch Orte an denen die Ansteckungsgefahr den italienischen Staat jedoch nur am Rande zu beschäftigen scheint. Die Gefängnisse, ganz zu schweigen von den Abscheibeknästen (CPR), werden von den vermeintlichen ausgeklügelten Präventionsmaßnahmen der Expert*innen und Politiker*innen offenbar systematisch außer Acht gelassen.

Alternative Maßnahmen zur Prävention werden in Gefängnissen nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Auf Erlass der Regierung sind seit letzter Woche die Gespräche der Gefangenen mit Familienangehörigen und Anwälten sowie die Arbeit außerhalb der Gefängnisse wegen des Coronavirus zwar ausgesetzt. Das ändert aber nichts daran, dass Gefängnisse praktisch permanent überfüllte öffentliche Orte sind.

Italienische Knäste sind um 131% überbelegt, Lieferant*innen und Personal gehen permanent ein und aus. Wie soll man in einer solchen Struktur den Kontakt mit anderen Menschen vermeiden, in einer Struktur in der es sowieso keine Freiheit gibt?

Das Fehlen von hinreichenden Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Ansteckungen innerhalb der Gefängnispopulation gefährdet immerhin 61.000 Menschen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass etwa 50% der Gefängnisinsass*innen zwischen 40 und 80 Jahren alt sind und mehr als 70% an mindestens einer chronischen Krankheit leiden und ein geschwächtes Immunsystem haben. Gefängnisse können also zu ernsthaften Ansteckungsräumen werden. Die Folge wäre eine Epidemie in der Epidemie.

Im Gefängnis von Vicenza war die erste infizierte Person ein Gefängniswärter, der zwangsweise in Kontakt mit anderen Kollegen und mit den Gefangenen stand. Bis heute wurde scheinbar weder eine antiseptische Säuberung der Räume vorgenommen, noch wurden Häftlinge und Wärter auf den Virus getestet. Als ob es eine vorgelagerte Entscheidung gäbe, diese Menschen „aufzuopfern“.

Angesichts dieser Zustände ist das Klima der Angst und Unsicherheit, das in der italienischen Bevölkerung sowieso schon vorhanden ist, in den Knästen zehnmal stärker ausgeprägt. Das hat zur Entstehung der Gefängnisaufstände beigetragen.

Die haben indes ein bisher beispielloses Ausmaß erreicht. Zwölf Menschen sind bei den Aufständen schon ums Leben gekommen. Neun davon starben in Modena: vier unmittelbar innerhalb der Gefängnismauern, vier bei Verlegungen in andere Gefängnisse und eine Person starb im Krankenhaus. In Rieti starben drei Häftlinge nach der Einnahme von aus der Krankenstation gestohlenen Drogen. Weitere acht wurden in ein Krankenhaus transportiert, von denen sich drei derzeit auf der Intensivstation befinden, während ein weiterer, schwer verletzer Gefangener per Hubschrauber nach Rom verlegt wurde.

Nach Angaben der Gefängnispolizei sind nach ersten Erkenntnissen alle Todesfälle auf Überdosen zurückzuführen, die der Einnahme von Drogen und Psychopharmaka, die während der Unruhen aus der Krankenstation gestohlen wurden, geschuldet seien. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft den tödlichen Zusammenhängen und den realen Gründen dieser Todesfälle weiter auf den Grund gehen wird.

In Foggia sind am 10. März 77 Menschen ausgebrochen, 22 sind derzeit noch auf freiem Fuß. Einige Gefängnispolizisten wurden stundenlang entführt, mehrere Häftlinge setzten Matratzen in Brand und viele, kletterten auf die Dächer der Gebäude, wie in den JVAs von Poggioreale (Neapel) und San Vittore (Mailand). Außerhalb der Gefängnisse versammelten sich Familienangehörige und Aktivist*innen, um die Proteste zu unterstützen. In Mailand und in Rom kam es dabei zu Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen drei Aktivist*innen verhaftet wurden. Die Angespanntheit ist den Institutionen vehement gestiegen. Es handelt sich hier um weitaus mehr als einen „üblichen“ Routineprostest.

Die Reaktion der Politik auf die Notsituation ist derweil wie zu erwarten: Es wird auf Restriktion gesetzt anstatt die Gelegenheit zu nutzen, sinnvolle und alternative Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise die Anzahl der Ärzte in den Anstalten zu erhöhen (die bisher absolut unzureichend war, wie vom Verein „Antigone“ wiederholt angeprangert wurde).

Statt wie Matteo Salvini und Giorgia Meloni mehr Repression zu predigen, ist es notwendig, über Maßnahmen wie Amnestie oder Begnadigung nachzudenken. Aber Justizminister Bonafede stellt sich gegen jeden Vorschlag in diese Richtung quer.

Es gäbe aber auch kleine Maßnahmen die sofortige Wirkung hätten. Zum Beispiel solche, die das Kollektiv „Osservatorio Repressione“, dass sich für die Amnestie aller politischen Gefangenen einsetzt, fordert, Der Zustrom in die Haftanstalten sollte verringert werden, zum Beispiel durch gemeinnützige Arbeit, Arbeitsgenehmigungen und Lizenzen die „beschränkte Freiheit“ in eine Bewährungsstrafe verwandeln, wie es schon in Neapel gemacht wird. Für diejenigen, die noch eine Reststrafe von nur ein paar Monaten haben, sollte die Genehmigung für eine Heimunterbringung erlassen werden. Allen kranken Menschen sollte es ermöglicht werden, nach Hause zu gehen, weil ihr Leben und das ihrer Mitinsass*innen auf dem Spiel steht.

#Titelbild: Gefangene halten ein Tranparent auf dem „Gnade“ steht, dinamopress.it, CC BY-NC-ND 2.5 IT

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Die feministische Bewegung in Italien ist seit mehreren Jahren einer der stärksten Stützpfeiler linker Mobilisierungen im Land. Unter dem gemeinsamen Dach der Bewegung „non una di meno“ („Nicht eine weniger“) fanden sich unterschiedlichste Initiativen zunächst gegen Frauenmorde, Feminizide, zusammen, dehnten ihr Politikfeld aber rasch aus, um einen feministischen Blick auf die Gesamtheit sozialer und politischer Problemfelder zu popularisieren.

Wir haben mit Chiara vom Esc Atelier in Rom und Vanessa, aktiv bei dem autonomen Informationsportal Dinamopress, und beide von „non una di meno“ über die Entwicklung der feministischen Bewegung in Italien und den Frauenstreik in Zeiten des Corona-Virus gesprochen.

Aktuell sind einige Gebiete Italiens wegen des Corona-Virus komplett abgeriegelt, landesweit gibt es zahlreiche Einschränkungen. Welche Auswirkungen hat das auf den diesjährigen Frauenkampftag?

Vanessa: Klar, dieses Jahr gehört das Coronavirus zu den Umständen, über die wir sprechen müssen. Schon davor gab es eine lange Diskussion über den Streik dieses Jahr, denn der 8. März fällt ja bekanntlich auf einen Sonntag. Im Rahmen einer nationalen Versammlung von „non una di meno“ entschied eine Mehrheit anwesender lokaler Strukturen sowie der radikalen Gewerkschaften, dass wir deshalb den Streik am 9. März durchführen.

Dann aber änderte sich alles. Schon eine Woche vor dem Streik teilte uns die staatliche Nationale Kommission für die Streiks mit, dass wir den Streik stoppen sollen. Sie haben es nicht direkt verboten, aber angedroht, jede streikende Arbeiterin mit einem Bußgeld zu bestrafen. Zu diesem Zeitpunkt war die Situation durch das Virus erst in zwei Regionen kritisch, in der Lobardei und in Veneto. Aber wir entschieden, den Streik ausfallen zu lassen, denn es existiert auch ein Dekret, das alle öffentlichen Aktivitäten einschränkt.

Chiara: Und wir hatten ja eine Demonstration zum 9. März geplant. Aber uns kamen Zweifel, ob sich überhaupt genug Leute zusammenfinden, nachdem die Kommission den Streik für unzulässig erklärt hatte. Und nach dem Dekret entschieden wir, die Demo sein zu lassen. Zum einen, weil wir die Auflagen dieses Dekrets – etwa den Mindestabstand zwischen Personen – nicht einhalten könnten, zum anderen aber auch, weil wir uns in einer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft sehen.

Vanessa: Deswegen gibt es, je nach Region, ein verkleinertes Programm. Im stark vom Virus betroffenen Norden wird es keine öffentlichen Veranstaltungen geben; im Süden kleinere, wie öffentliche Performance.

Chiara: Wichtig ist es aber auch, darüber zu sprechen, welche drastischen Auswirkungen die aktuelle Situation auf Frauen hat. Die Schulen sind geschlossen. Das heißt, dass sich jetzt eine Menge Frauen den ganzen Tag um ihre Kinder kümmern müssen. Sie können nicht zur Arbeit, was wiederum große Auswirkungen auf die ökonomische Situation all dieser Familien hat.

Tut der Staat etwas, um diese Probleme abzumildern?

Vanessa: Im Moment nicht, nein. Alles ist durcheinander, die Situation ist neu. Sie haben erst kürzlich die Dekrete zur Einschränkung der öffentlichen Veranstaltungen und zur Schließung der Schulen verabschiedet und fangen jetzt langsam an, die ökonomischen Auswirkungen zu diskutieren. Unterstützung könnte für größere Betriebe und Familien kommen, aber was wir schon jetzt sagen können ist, dass der Staat sicher nichts für die Gelegenheitsarbeiterinnen, Arbeiterinnen ohne Verträge, die Prekarisierten und so weiter tun wird – denn das hat er noch nie.

„Non una di meno“ hat auf drei Ebenen reagiert: Zuerst, indem wir unsere Verantwortung wahrgenommen haben und gesagt haben, okay, das ist kein Witz, sondern ein soziales und Gesundheitsproblem. Zum anderen haben wir eine öffentliche Debatte über die Doppelbelastung von Frauen und prekarisierten Arbeiterinnen in dieser Situation begonnen. Und zum Dritten überlegen wir, wie wir Frauen und andere Identitäten unterstützen können, die Unterstützung brauchen.

Eine letzte Idee, die wir noch nicht besprochen haben, die aber zirkuliert, ist die einer Kampagne für eine Verbesserung des öffentlichen Gesundheitssystems. Denn das System ist mangelfinanziert, es wird seit Jahren zusammengestrichen und gekürzt. Und das macht sich jetzt bemerkbar.

Ich würde aber sagen, dass das wichtigste ist, was wir insgesamt sagen können: Durch „non una di meno“ und die feministische Bewegung haben wir einen neuen Blick auf soziale und politische Krisen wie diese geöffnet. Diese transfeministische Perspektive ist in den vergangenen vier Jahren herausgebildet worden – und das ist eine wirkliche Errungenschaft.

Lasst uns hier gleich anknüpfen: Könnt ihr die wichtigsten Stationen dieser letzten vier Jahre kurz zusammenfassen? Wie seid ihr dahin gekommen, wo ihr heute steht?

Chiara: Schon vor „non una di meno“ gab es eine große Anzahl feministischer Kollektive im ganzen Land. Aber sie waren nicht miteinander verbunden. Vor vier Jahren dann begannen wir eine Debatte über männliche Gewalt gegen Frauen wegen der Morde und Feminizide. Im Mai 2016 wurde Sara Di Pietrantonio in Rom von ihrem Exfreund ermordet und angezündet. Da haben alle verschiedenen Teile des römischen Feminismus angefangen, sich gemeinsam zu treffen. Wir haben gesagt, okay, das ist eine Situation von großer Dringlichkeit und angefangen zu überlegen, auch andere landesweite Organisationen einzubeziehen. Zur selben Zeit haben wir natürlich auf Lateinamerika und all die Mobilisierungen von Frauen dort geschaut, bei denen es um das Recht auf Abtreibung und die Notlage durch Vergewaltigungen und Gewalt an Frauen ging.

Wir haben also für Oktober zu einer nationalen Versammlung aufgerufen, mit dem Plan, zum 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, zu einer Demonstration aufzurufen. Zu der Vollversammlung kam eine Menge an Frauen – eine Menge an Erfahrungen, Organisationen. Die meisten kamen aus nicht-parlamentarischen Kollektiven und Initiativen; aber es beteiligten sich auch das Netzwerk der Frauenschutzhäuser.

Vanessa: Letzteres stammt aus den feministischen Kämpfen der 1970er-Jahre. Genauso wie die Frauengesundheitskliniken, auch sie waren zunächst selbstorganisiert und wurden später institutionalisiert. Wir setzen uns also im Oktober 2016 aus diesen eher institutionalisierten Netzwerken und einer Masse an selbstorganisierten Initiativen zusammen.

Chiara: Und das bedeutete eine Stärke, denn wir haben Mitstreiterinnen aller Altersgruppen, von Schülerinnen bis Frauen, die schon in den 70ern gekämpft haben. Das ist manchmal schwierig, weil wir aus ganz unterschiedlichen politischen Traditionen kommen, aber es ist sehr interessant und wir bringen das alles auf einen Nenner. Und das Beste, was wir tun, ist, dass wir dabei ein neues Denken über Gewalt entwickeln. Da geht es nicht allein um dich und mich und einen Kampf gegeneinander, weil wir vielleicht zusammen sind und du Gewalt gegen mich ausübst, weil du ein Mann bist und ich eine Frau. Gewalt ist ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft und wir stehen ihr auf jeder Ebene unseres Lebens gegenüber. In den Beziehungen, im Gesundheitssystem, etwa wenn es um Abtreibungen geht, am Arbeitsplatz, bei der Bezahlung. Oder die Medien, die jedes Mal, wenn eine Frau ermordet wird, zum Problem machen, wie sie sich angezogen hat. Und diese Schuldumkehr setzt sich dann vom den Mainstreammedien bis in die Gerichtssäle und das Justizsystem fort.

Vanessa: Im Oktober 2016 hatte Italien die Renzi-Regierung und die führte ein Referendum zur Verfassungsreform durch. Italien sprach nur über das. Es gab kein anderes Thema. Es gab für unsere landesweite Demo keine Artikel, keine Fernsehzeit, nichts. Und dennoch war die Demonstration riesig. 80 000 Menschen kamen. Dann war klar, die nächste Station war der 8. März.

Und auch der erste Frauenstreik wurde ein Erfolg. 20 Städte nahmen Teil, aber leider verweigerte die größte Gewerkschaft, CGIL, jegliche Unterstützung.

Auch nicht die „linkeren“ Teile wie die Metallgewerkschaft FIOM?

Vanessa: Nein. Wir haben Gespräche mit ihnen geführt, aber ohne Ergebnis.

Chiara: Ich meine, wir wussten es ja schon zuvor, aber offenkundig stehen sie nicht im Dienst der Arbeiterinnen.

Vanessa: Also im ersten Jahr haben wir nicht erwartet, dass sie teilnehmen. Dann haben wir über die Jahre versucht, eine bessere Verbindung herzustellen. Die letzten beiden Jahre waren wir hoffnungsvoll, auch weil in Spanien eine solche Verbindung besteht, weshalb der Streik dort so stark ist. Oder in Argentinien, wo alle Gewerkschaften mitmachen. Aber leider hat es hier nicht geklappt. Und das obwohl wir ja jetzt z.B. letztes Jahr eine rechtsradikale Regierung hatten, gegen die es ihnen vielleicht hätte leichter fallen müssen zu streiken. Und auch, obwohl jetzt Landini von der FIOM Gesamtsekretär von CGIL ist. Mit dem haben wir an der Uni noch gemeinsam zusammengearbeitet. Also der linke Teil, aber dennoch …

Chiara: Und dennoch wuchs der Streik Jahr für Jahr. Was wir also sagen können ist: wir haben sicher keine glückliche Situation für Frauen oder Transgender-Menschen in Italien. Italien ist eine machistische Gesellschaft, katholisch, nur jede dritte Frau im Süden arbeitet. Frauen sind unterbezahlt, haben die Doppelbelastung, im Haus und im Betrieb. Und das Level von Belästigung ist immens. Ich meine, schon im Kleinen, in der Alltagsprache ist das immens, das kann ich dir gar nicht ins Englische übersetzen. Das Level an Machismus in unserer Gesellschaft können vielleicht nur Spanische und Lateinamerikanische Freundinnen nachvollziehen.

Aber dennoch sind wir in den vergangenen Jahren näher zusammengerückt. Und das ändert viel. Wenn ich jetzt im Bus bin und mich irgendein Typ anfasst, weiß ich, dass ich mich auf andere Frauen verlassen kann. Und das ist eine wirkliche Errungenschaft. Wir haben eine gemeinsame Identität geschaffen.

Vanessa: Ebenfalls noch hervorzuheben ist, dass wir ein Jahr lang alle zusammen das „Manifest gegen männliche Gewalt an Frauen“ erarbeitet haben, in dem wir die Idee struktureller Gewalt entwickeln: Gewalt in der Bildung und Ausbildung, Gewalt in der Sprache, Gewalt gegen den Körper, Gewalt im Rechtssystem und so weiter. Das war ein großer Schritt, um gemeinsame Gedanken zu entwickeln.

War es einfach, diesen Konsens zwischen so vielen Gruppen herzustellen?

Vanessa: Nein. Das war super schwierig.

Aber habt ihr es geschafft, ohne dass sich Teile der Bewegung rausgezogen haben, oder sind welche gegangen?

Vanessa: Naja, vielleicht ein paar Kollektive. Aber die überwiegende Mehrheit blieb. Klar, es gab einige sehr problematische Punkte, aber am Ende beteiligte sich die Mehrheit der Versammlung und jetzt hat jede das Gefühl, das ist unser Manifest.

Sprechen wir noch einmal kurz über den Streik. Welche Segmente der Klasse sind besonders aktiv, welche erreicht ihr weniger?

Vanessa: Die kleinen, radikalen Gewerkschaften haben sehr gut gearbeitet.

Chiara: Cobas und USB.

Vanessa: Schulen, also der Bildungssektor ist stark im Streik. Und Arbeiterinnen aus dem Gesundheits- und Pflegebereich. Interessant ist aber auch, dass wir jedes Jahr Hunderte Mails bekommen, in denen Frauen uns schreiben: Ich will am Streik teilnehmen, was kann ich tun? Die Gewerkschaft in meinem Betrieb sagt mir, ich kann nicht, weil sie nicht streiken. Und das ist einfach falsch. Wir haben da einen Ratgeber zusammengestellt, in Zusammenarbeit mit Anwältinnen.

Aber insgesamt müssen wir sagen, dass wir die Zahlen wie in Spanien nicht erreichen, aus dem vorher genannten Grund, dass die größten Gewerkschaften dieses Landes den Streik nicht unterstützen. Dennoch werden die Demonstrationen jedes Jahr am 8. März und zum 25. November größer und größer.

Zum Abschluss vielleicht: Wie war die Reaktion der männlichen Genossen? Und welche Rolle können sie spielen, um zu unterstützen?

Chiara: Vielleicht solltest du lieber unsere Genossen fragen. Weil manchmal reden wir an ihrer Stelle und ich weiß nicht, ob es das bringt. Aber wir können dir unsere Perspektive darstellen. In den Kollektiven, in denen wir beide aktiv sind, haben wir einen guten Austausch von Ideen miteinander. Und auch, wenn wir uns manchmal nicht alles erlauben, gibt es einen Prozess. Aber dasselbe kann ich nicht für andere Orte in Italien behaupten.

Vanessa: Zudem können wir sagen, dass die Demonstrationen von „Non una di meno“ generell offen sind für die Teilnahme von Männern. Sie müssen nicht ganz vorne sein oder im Mittelpunkt stehen, aber sie können teilnehmen. „Non una di meno“ ist keine reine Frauenangelegenheit, sondern offen für alle Identitäten.

Wenn wir über unsere Genossen reden, dann können wir schon sehen, dass sie über die Jahre anfangen, in Frage zu stellen, was männliche Privilegien sind. Aber es ist eine Debatte, die erst beginnt.

Chiara: Was wir vermitteln wollen ist: Da ist dieses riesige Problem von Gewalt gegen Frauen. Und wir sind die einzigen, die sich die Frage stellen, warum das so ist. Wir wollen, dass Männer auch mal anfangen, von ihrer Seite aus die Frage zu stellen.

#Titelbild: Dinamopress

# Interview: Peter Schaber

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Rund 5000 Menschen sind es, die am 22. Februar in den römischen Stadtteil Tufello gekommen sind. Die Demonstration ist kämpferisch und breit: Viele Kommunist*innen, Anarchist*innen, feministische Initiativen, Anwohner*innen aus dem Viertel, auch Aktive aus dem kurdischen sozialen Zentrum Ararat mit Öcalan- und PKK-Flaggen. Jugendliche sprühen kleinere und größere Murals am Rande der Demo, Pyrotechnik wird abgebrannt, gelegentlich kracht ein Böller. „Valerio vive“, Valerio lebt, steht in großen Lettern auf dem Fronttransparent. Die Polizei hält sich fern.

Es ist ein Jubiläum: 40 Jahre ist der Anlass dieser Demonstration, die Ermordung des Kommunisten Valerio Verbano, durch Faschisten nun her. Dass sie auch heute noch eine derartige Symbolkraft entfaltet, liegt an mehreren Faktoren. Die Geschichte Valerios ist zum einen unabgeschlossen: Die Täter wurden nie gefunden und der Sumpf aus Mafia, Faschisten und Staat, aus dem sie kamen, ist bis heute nicht trockengelegt. Zum anderen aber steht Valerio, wie viele seiner Generation für ein Politikverständnis, dass heute zwar verschüttet ist, nachdem aber ein gesellschaftlicher Bedarf besteht.

„Wenn du über Valerio schreiben willst“, sagt Marco, ein alter Genosse Valerios aus dem Viertel, „dann musst du über das schreiben, was an seiner Geschichte zu lernen ist und aktuell bleibt. Das ist die Militanz eines Kommunisten. Er war ein Junge, der getan hat, was notwendig ist.“ Marco, damals etwas jünger als Valerio, ging in die Schule neben dem Liceo Scientifico Archimede, auf dem Valerio war. Die Jugend war politisiert, das Viertel eine Hochburg der Autonomia Operaia, der Arbeiterautonomie. In den 1970er- und 1980er-Jahren war die militante Arbeiterbewegung, bis hin zu den großen bewaffneten Gruppen wie den Roten Brigaden oder Prima Linea, zu einer Kraft erstarkt, die dem Staat gefährlich werden konnte. Und der Staat reagierte: False-Flag-Attentate, um einen Bürgerkrieg zu provozieren, ein Geflecht aus Kriminellen und bewaffneten Faschisten, Geheimdienste und die antikommunistische NATO-Geheimarmee Gladio.

Verschwundene Beweise, verschwundene Zeugen

Abertausende Arbeiter*innen, Schüler*innen und Student*innen organisierten sich damals in Gruppen der radikalen Linken. Auch Valerio Verbano. Der 18 -jährige macht Kampfsport, als Kommunist muss man sich verteidigen können. Er beteiligt sich an Demonstrationen, agitiert für die Autonomia Operaia. Und er betreibt Gegeninformation, recherchiert über Faschisten und ihre Verbindungen. „Das war eine wichtige Aufgabe. Man musste seinen Feind kennen“, erinnert sich Marco. Und er vermutet: „Bei seinen Recherchen muss er auf etwas gestoßen sein.“ Valerios Recherchearbeiten sind unter den Genoss*innen in Tufello bis heute legendär. Er stellte den Faschisten nach, machte Fotos, legte ein umfangreiches Dossier an.

Im April 1979 wird Valerio dann verhaftet. Zusammen mit anderen baute er Molotow-Cocktails, fällt den Cops in die Hände und wird verurteilt. Bei einer Hausdurchsuchung fällt das über dreihundert Seiten starke Recherche-Dossier dem Staat in die Hände. Und da müssen, so vermutet nicht nur Marco, bei irgendjemandem die Alarmglocken geläutet haben. Das Dossier verschwindet, so wie später beschlagnahmte Beweismittel der Mörder. 2011 taucht es bei den Carabinieri, der Gendarmerie Italiens, wieder auf, hat da aber nur noch die Hälfte des ursprünglichen Umfangs.

Die Geschichte des Dossiers überschneidet sich dann mit der Geschichte zweier Richter. Der eine ist Mario Amato, der einzige Richter, der auch gegen Faschisten vorgeht, wird kaum vier Monate nach Valerio und 50 Meter entfernt ermordet. Man sagt, er habe für seine Recherchen auf das beschlagnahmte Dossier Valerios zurückgegriffen. Ein zweiter Richter, Antonio Alibrandi, behinderte diese Ermittlungen, denn er hatte einen Sohn: Alessandro Alibrandi, der zu den schillerndsten Figuren des damaligen Neofaschismus zählt und zur Führung der rechtsterroristischen Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR).

Dass der Angriff auf Valerio eher mit Informationsbeschaffung zu tun hat, vermutet Marco auch wegen des Tathergangs. Die drei Angreifer drangen in die Wohnung des Jugendlichen ein, fesselten seine Eltern und warteten. Als er nachhause kam, verteidigte er sich, einer der Mörder schoss ihm in den Rücken. Es sei damals zwar nicht unüblich gewesen, dass geschossen wird, sagt Marco. „Aber wenn du jemanden umbringen willst, gehst du nicht in seine Wohnung.“ Haben die Mörder etwas gesucht? Wollten sie ihn „verhören“?

Nach dem Mord beginnt die Geschichte einer verhinderten Aufarbeitung. Gegenstände, die in der Wohnung beschlagnahmt wurden, verschwinden – darunter eine Maske und eine Pistole, die allerdings nicht die Tatwaffe ist. Ein einziger Zeuge meldet sich, will die drei Männer gesehen haben. Später zieht er seine Aussage zurück, verschwindet aus der Nachbarschaft, kauft sich woanders ein Haus. „Der kam aus den Sozialbauten, wie wir“, meint Marco. „Wenn du hier auf einmal Geld hast, hast du entweder Drogen verkauft, im Lotto gewonnen, eine Bank gemacht – oder jemand hat dir Geld gegeben, damit du verschwindest.“

Zurückschlagen und Gedenken

Direkt als die Nachricht von Valerios Tod die Runde machte, beginnt die Tradition jener Demonstration, die sich heuer zum 40. Mal jährte. „Ich erinnere mich noch, als wir aus der Schule raus sind“, so Marco. „Ich kann mich noch an den Lärm erinnern. Dann sind wir zu dem Platz gegangen, an dem Aldo Semerari“ – eine skurille Gestalt an der Schnittstelle zwischen Faschismus und organisiertem Verbrechen – „seinen Unterricht abgehalten hat und haben alles kurz- und kleingeschlagen.“ Und einige Tage später wurde in Talenti der faschistische Führungskader Angelo Manci vor seiner Wohnung erschossen. „Damals gab es noch die Kraft, zu antworten. Es gab Organisierung“, sagt Marco fast ein wenig melancholisch.

Die Jahre der bewaffneten Auseinandersetzungen endeten im Verlauf der 1980er-Jahre mit einer Niederlage der proletarischen Kräfte. Die Faschisten unterschiedlicher Couleur, soweit sie nicht tot sind, wurden recycled. Das schmutzige Geflecht aus Rechten, Politik, Polizei und organisierter Kriminalität blieb.

Aber auch das Gedenken an Valerio überdauerte in Tufello. Jedes Jahr seit vier Jahrzehnten über Höhen und Tiefen hinweg. Zum einen, weil Carla, Valerios Mutter ausdauernd nach der Wahrheit suchte, bis zu ihrem Tod. Zum anderen, weil die alten Genossen nicht vergessen wollte. „Ob wir zu zehn, zu hundert, zu tausend waren, wir sind jedes Jahr auf die Straße gegangen“, ist Marco stolz. Und Ende der 1990er wurde dann ein Gebäude besetzt und zum Valerio-Verbano-Sportcenter umgewidmet. Zahlreiche Wandbilder von Valerio gibt es in Tufello, die Geschichte ist auch den Jüngeren bekannt.

Die eigentliche Lehre aus Valerios Leben sieht Marco aber verschüttet. „Man muss verstehen, was es bedeutete ein kommunistischer Militanter zu sein. Als Giovanni Pesce in der Zeit des Faschismus nach Turin kam, hat er gefragt: Wo ist die Partei? Und man hat ihm gesagt: Du bist die Partei. Und dann hat er getan, was notwendig war. Das war auch die Mentalität von Valerio.“

#Bildquelle: Contropiano

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Was für gemütskranke Lohnschreiber in den Redaktionen deutscher Leitmedien herumsitzen, zeigt die Eskalation im Hafen des italienischen Lampedusa am Wochenende aufs Neue. Ja, man darf, man muss sie so nennen, die Redakteure Ulrich Ladurner von der Zeit und Matthias Rüb von der FAZ. Jede*r normal Denkende und Fühlende solidarisiert sich derzeit mit den 42 Migrant*innen von der Sea-Watch 3 und der festgenommenen Kapitänin Carola Rackete – nicht so Ladurner und Rüb. Was sie an ihren trockenen und sicheren Schreibtischen, Hunderte Kilometer von Lampedusa entfernt, absonderten, ist mit ekelhaft noch zurückhaltend umschrieben.

Dass sich das von Faschisten regierte Italien und die ganze EU seit Monaten einen Teufel um Seerechtskonventionen und uralte Grundregeln der Seenotrettung scheren, dass sie seit Jahren Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen lassen, dass sie dabei mithelfen, dass Flüchtlinge vom Mittelmeer in libysche Folterlagen „zurückgeschoben“ werden – das interessiert die beiden Herren nicht. Nein, sie sorgen sich darum, dass die „Provokation“ der deutschen Kapitänin, das „riskante Anlegemanöver der Sea-Watch 3“ die Italiener gegen Deutschland aufbringen und Innenminister Matteo Salvini Wähler zutreiben könnte.

Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was uns Oberlehrer Ladurner, übrigens ein Italiener aus Südtirol, ins Stammbuch schreibt: „Ist es wirklich klug und richtig, dass das Rettungsschiff Sea-Watch 3 mit 42 Migrantinnen und Migranten an Bord den Hafen von Lampedusa anläuft, obwohl die italienische Regierung das ausdrücklich verboten hat?“ Schon bei diesen Worten möchte man schreiend aus dem Haus laufen! Doch es kommt noch besser. Die Debatte um das Thema Migration müsse „entgiftet“ werden, setzt er fort. Das ginge aber nur, wenn man versuche, „die Spaltung bei diesem Thema in den europäischen Gesellschaften nicht weiter zu vertiefen, sondern sie zusammenführen und versöhnen“.

Ja, dann lassen wir doch noch mal ein paar tausend Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen, bis wir uns mit Salvini & Co. „versöhnt“ haben, oder wie?! Wie abstoßend und widerlich ist solches Geschreibsel, angesichts des mit Händen greifbaren Elends der afrikanischen Flüchtlinge in den Schlauchbooten, deren Schicksal Nazis wie Salvini am Arsch vorbeigeht! Und das in Anbetracht der Tatsache, dass seit vielen Monaten Rettungsschiffe, die Flüchtlinge retten konnten, von einer Odyssee in die nächste geschickt werden, weil die Anrainerstaaten ihrer selbstverständlichen Pflicht nicht nachkommen, Gerettete an Land zu lassen.

Was der Herr Rüb absondert, ist noch widerlicher, denn der politische Korrespondent der FAZ in Italien und im Vatikan übernimmt die Positionen der italienischen Faschisten gleich ganz. Mit Blick darauf, dass die Sea-Watch 3 beim Anlegen ein Schnellboot des Zolls abgedrängt hat, schreibt er von einem „rücksichtslosen Anlegemanöver Racketes“ und zitiert Salvini ausführlich und ohne ihn auch nur im Mindesten zu relativieren: Der Minister habe der Kapitänin vorgeworfen, sie habe den Tod der Beamten auf dem Schnellboot billigend in Kauf genommen.

Es sei „ein krimineller Akt“ gewesen, wie Rackete versucht habe, das Boot der „Guardia di Finanza“ an der Mole „zu zerquetschen“. Kommentarlos lässt Rüb auch diesen Satz von Salvini stehen: „Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber sie hat eine Katastrophe mit tödlichem Ausgang riskiert.“ Man muss es zweimal lesen, es das steht da wirklich, in Salvinis Worten, aber von der FAZ unkommentiert: „eine Katastrophe mit tödlichem Ausgang“. Und was ist dann bitte das, was seit vielen Monaten auf dem Mittelmeer passiert??

Natürlich haben beide Korrespondenten auch das perfide Argument in petto, die Aktion in Lampedusa sei „eine Steilvorlage“ für Salvini. Ladurner doziert, Italien habe sich bis heute nicht von der Wirtschaftskrise erholt, es werde von Brüssel zu Recht ermahnt zu sparen. Und weiter: „ All das vermengt sich inzwischen zu einer Anti-Europa-Stimmung aus Angst, Verzweiflung, Verbitterung und, ja, auch Aggression.“ In diesen Konflikt „mitten hinein“ sei das Rettungsschiff gesteuert: „Was für eine Vorlage für Salvini.“ Diese Behauptung bewegt sich auf demselben Niveau wie die Einlassung der AfD, die „Öffnung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge“ sei in der Konsequenz verantwortlich für den Mord an Walter Lübcke. Die Argumentation von Rüb und Ladurner ist nicht nur kaltherzig bis zum Gehtnichtmehr, sie ist auch grundfalsch!

Wohin Appeasement gegenüber Faschist*innen führt, haben wir in Europa schon erlebt. Die Organisation Sea-Watch zeigt klare Kante, und das wird höchste Zeit. Wenn Salvini & Co. das für sich ausschlachten können, so what? Hätten die Alliierten vor 70 Jahren nicht in der Normandie landen sollen, weil das Adolf Hitler noch mehr Anhänger zuführt oder Nazis noch fanatischer macht?

Hier geht es nicht allein um die Stimmung in Italien, es geht um die Stimmung in Deutschland und in ganz EU-Europa. Angesichts des andauernden, des himmelschreienden Skandals des massenhaften Sterbens im Mittelmeer helfen nur Aktionen weiter, die ein Fanal sind, die Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit erzeugen, die Menschen auf die Beine bringen. Deshalb: Zeigt Solidarität mit Carola Rackete im Internet und auf der Straße! Das Motto der nächsten Tage kann nur sein: #freeCarola

# Kristian Stemmler

# Titelbild Guglielmo Mangiapane/ REUTERS


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Nach einem brutalen Mord an einer jungen Frau formierte sich im Juni 2015 in Argentinien die Bewegung »Ni Una Menos«. Sie fordert mit ihrem Namen: Keine einzige weitere Frau soll getötet werden! Die Bewegung wuchs und wuchs. Ni una menos weitete sich von Südamerika über Italien und Spanien bis nach Deutschland aus, wo unter dem Titel »#keinemehr« mobilisiert wird. In Italien heißt die Bewegung »Non una di meno«. Der Blick nach Italien lohnt sich: Non una di meno ist eine erfolgreiche Massenbewegung im politisch düsteren Klima und kann vielleicht auch die feministische Basisbewegung in Deutschland inspirieren.

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Ein Leben in den Roten Brigaden – über Arbeiter*innenwiderstand und bewaffneten Kampf. Ein Gespräch mit Francesco Piccioni

In den 1970er- und 1980er-Jahren kämpften tausende Arbeiter*innen und Jugendliche in Italien bewaffnet gegen Staat und Kapital. Die „Brigate Rosse“ (Rote Brigaden) waren die bekannteste militante Gruppe dieser Zeit. Wir haben mit Francesco Piccioni, einem ehemaligen Leitungsmitglied der Gruppe, über die Geschichte der BR gesprochen.

Francesco, willst Du Dich einleitend kurz vorstellen?

Ich war Führungsmitglied der Brigate Rosse. Im Mai 1980 wurde ich verhaftet und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Abgesessen habe ich 3 Tage, 6 Monate und 23 Jahre. Mir wurde nichts erlassen, ich habe nur Verkürzungen bekommen, die ohnehin nach Gesetzeslage vorgesehen waren. (mehr …)

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