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Der faschistische, antisemitische, rassistische und patriarchale Anschlag auf eine Synagoge und einen Dönerladen in Halle kommt nicht aus dem Nichts. Unsere Autorin Theresa Bauer kennt den alltäglichen Wahnsinn der Stadt in Sachsen-Anhalt und kommentiert den Terror und die hallensischen Verhältnisse.

Was am Mittwoch geschah ist schrecklich. Ein Tag, an dem nicht nur die faschistischen Schergen von Erdogan Kurdistan bombadierten, sondern auch ein gewisser Stefan durch die kleine Saalestadt Halle rannte und „Juden und Kanaken“ umbringen wollte. Wenn das nicht klappen würde, es keine Moschee gäbe oder die Synagoge gut bewacht sei, dann müssten halt Linke oder Frauen dran glauben, oder einfach Irgendwer. So kam es dann auch. Es wurden keine Jüd*innen oder „Kanaken“ umgebracht, auch keine „Antifas“, sondern Kevin S., ein 20-jähriger Fußballfan, der das Pech hatte in einem Dönerladen zu sein und Jana L., eine 40-jährige Autogrammsammlerin, die in der Nähe der Synagoge zur Tramhaltestelle wollte. Beide waren zufällig an den besagten Orten und wurden traurigerweise zu den Opfern. Und dann kommen Seehofer und Stahlknecht, ihres Zeichens Innenminister, um vor der Kamera tief betroffen zu sein – eine offene Provokation. Seehofer und Stahlknecht, die beide aktiv den rassistischen und faschistischen Diskurs vorantreiben, den Nährboden für all jene düngen, für die faschistische und faschistoide Gewalt mehr als nur eine Fantasie ist.

Halle zählt etwa 230.000 Einwohner*innen, 30.000 davon sind Studis und der Innenstadtkern wirkt auf den ersten Blick auch eher beschaulich, als bedrohlich. Wären da nicht all diese Dinge, die immer wieder passieren, all diese Fascholäden, die sich zum Teil mitten in der Innenstadt befinden, das Haus der Identitären, Sven Liebig, der damals Blood and Honour und Combat 18 in Deutschland mitgründete. All die Faschos, die sich in den 90er Jahren organisierten, wie zum Beispiel Thomas Richter, besser bekannt als V-Mann Corelli aus dem NSU-Komplex, Beate Zschäpe, die in Halle zum Arzt ging und kurz vor Ihrer Verhaftung nach Halle kam – warum weiß keiner. Wären da nicht all die rassistischen Übergriffe, die rechte Staatsanwaltschaft, die immer wieder Faschos freispricht oder mit milden Strafen politische Statements setzt, die antisemitischen Verschwörungsheinis, die HFC-Hooligans, der Alltagsrassismus, den man als weiß gelesene Person gerne mal übersieht, die Burschenschaftshäuser, die Naziaufmärsche, der Übergriff vom 1. Mai letzten Jahres, wo Faschos mit Autos vermeintlich linke gejagt haben und mit Eisenstangen auf eine Wandergruppe eindroschen. Wäre da nicht die AFD, die gerne mal 23 Prozent der Wahlstimmen bekommt, wäre da nicht der alte Opa, der einen volllabert von den blöden Ausländern, wären da nicht Schüsse auf den Dönerladen in Halle Ost letzten März gewesen, wäre da nicht Halgida und die Proteste gegen Asylunterkünfte, wären da nicht die antifeministischen Übergriffe, die „Lesben-Fotze“ Rufe in der Tram, wären da nicht die Prepper und ganzen Altfaschos, die sich mehr und auch weniger ins Private zurückgezogen haben, wäre da nicht der sachsen-anhaltische Innenminister Stahlknecht, der an rassistischer Stimmungsmache und Jargon kaum noch Nebenbuhler findet, wäre da nicht Horst Seehofer, wären da nicht die Medien, die den rechten Diskurs aktiv fördern, wie die Mitteldeutsche Zeitung, DubistHalle und Sven Liebigs Verschwörungsblatt. Wäre da nicht die Polizei, die einen Fascho schützt während er neben einer Trauerkundgebung für die Opfer seine rechten Parolen schreit und gegen linke Gewalt wettert. Ja, wäre da nicht die deutsche Realität, wäre da nicht der Mittwoch gewesen, die jüdische Gemeinde gefangen in der Synagoge, der Dönerladen. Ja, wäre all die Scheiße nicht.

Es gibt sie aber, all diese Scheiße, und es gibt sie schon lange oder besser gesagt schon immer. Und es wurde auch schon immer darauf aufmerksam gemacht, es gibt schon lange Antifagruppen und es gibt schon lange den Kampf gegen diesen Wahnsinn. Nur wurde dieser Kampf bis jetzt immer belächelt, in Halle und überall und faschistische Strukturen totgeschwiegen oder einfach kleingeredet. Die letzten Jahre haben die Notwendigkeit einer antifaschistischen Organisierung überall in Deutschland, Europa und der Welt so deutlich gemacht, dass Passivität fast schon Unterstützung dieser ganzen Scheiße ist.

Und dann ist es immer noch „nur“ Halle. In Halle gibt es alternative Räume, eine migrantische Community, eine Synagoge, Menschen die sich engagieren. Das gibt es an vielen anderen Orten nicht. Nicht umsonst kommen viele Menschen, die eigentlich ihrer Auflagen wegen in den kleineren Orten außenrum leben müssten, wie etwa Naumbrug, Wittenberg, Eisleben usw. nach Halle, weil es hier erträglicher ist. Bei allen politischen Streitigkeiten wird die Phrase „Antifa ist Landarbeit“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“ immer wichtiger. Halle ist ein Moment in einer langen Reihe an Ereignissen, überall. Macht euer Maul auf, organisiert euch und an die anderen: All diejenigen, die diesen faschistischen Diskurs aktiv und passiv befeuern, – und das geht vom Messermann-Sprech zu der Forderung, Asylunterkünfte in Herkunftsländern einzurichten, von den Ankerzentren, zu den CDU Wählenden – all die, die sagen, es ist ja gar nicht so schlimm, die nicht auf die Idee kommen, mal eine jüdische Person oder eine person of color zu fragen, wie es sich hier so anfühlt zu leben: Fuck you!

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Vom 5. Oktober bis zum 15. November findet in Berlin der erste Antikoloniale Monat statt. Unter dem Motto „Widerstand ist Leben“ werden am 12. Oktober um 15 Uhr am Hermannplatz, der Tag an dem 1492 die brutale europäische Kolonisierung auf dem amerikanischen Kontinenten begann, viele zu einer großen Antikolonialen Demo zusammenkommen. Der 15. November markiert den Beginn der Berliner Kongo Konferenz im Jahr 1884, bei der von europäischen Kolonialmächten der afrikanische Kontinent aufgeteilt wurde.

Kämpfe im Globalem Süden sollen im Antikolonialen Monat mit den Widerständen gegen Grenzregime und Rassismus von migrantischen Gemeinschaften im Globalen Norden verbunden werden. Der Antikoloniale Monat bietet einen Rahmen für eine Vielzahl von Veranstaltungen, die von politischen Diskussionen über Tanzworkshops, musikalische Jam-Sessions bis zu Theateraufführungen reichen. Während des Antikolonialen Forums am vergangenem Samstag und Sonntag fanden dazu im Kreuzberger linksalternativem Projekt New Yorck Bethanien vier Podiumsdiskussionen, drei Workshops, eine Party und zahlreiche Gespräche am Rande statt.

Beim Podium zu Rassismus und Anti-Rassismus am Samstagmorgen wurde sich mit den materiellen Grundlagen und konkreten Folgen von drei Schlüsselformen von Rassismen in Deutschland auseinandergesetzt: anti-muslimischer, anti-Schwarzer und anti-jüdischer Rassismus. Dabei wurde mehrfach betont wie wichtig es ist, als rassistisch markierte Minderheiten in Deutschland, sich nicht voneinander trennen zu lassen und Perspektiven gemeinsamer Kämpfe zu fokussieren.

Bei dem Parallelpodium zur Verteidigung des Landes und der Umwelt erzählte Abel, Mitglied der Nationalen Indigenen Organisation Kolumbiens, über die Verteidigung des Territoriums im Norden der Cauca Region. Abel, der noch diese Woche zurück nach Kolumbien reist, erwartet eine harte Zukunft: „Ich weiß, dass ich sterben werde. Ich habe gesagt, was gesagt werden muss. Das ist die Realität von unserem Land und ich bin nur ein kleiner Teil davon“. Indigene und Schwarze Aktivist*innen werden in Kolumbien am laufendem Band unter der rechten Regierung Iván Duques ermordet, ohne irgendwelche Konsequenzen. Ferhat, von YXK, Dachverband der Studierenden aus Kurdistan in Europa, sprach über die Kontrolle des Wassers als Machtmittel in der Türkei um den Widerstand in Kurdistan zu zerschlagen. Bischof Ablon von der unabhängigen Philipponischen Kirche erläuterte, wie der Kampf der Lumad um ihr Territorium mit ökologischen Fragen zusammenhängt.

Der Workshop zu Imperialismus, Patriarchat und Natur behandelte im Zuge der aktuellen ökologischen Krise, wie beispielsweise im Hinblick auf die kriminell gelegten Waldbrände im brasilianischen Amazonasgebiet, das Verhältnis zwischen Kapitalismus, Imperialismus und Extraaktivismus zu verstehen ist. Erfrischend waren die klaren Imperialismusanalysen, sowie die Zentralität feministischer Kämpfe für ökologische Fragen, die in der Deutschen Debatte um die Klimakatastrophe wenn überhaupt nur am Rande behandelt werden.

Bei der abendlichen Diskussion zu Antikolonialen und anti-patriarchale Kämpfen kamen fünf Aktivistinnen aus Brasilien, Kaschmir, Kurdistan, Palästina und dem Sudan zusammen. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen von Deutschland in den jeweiligen Regionen wurden genauso betrachtet, wie die Frage der politischen Zusammenarbeit. „Der Genozid an der Schwarzen und an der indigenen Bevölkerung findet jetzt in der Aktualität statt. Es ist die Kontinuität der Kolonie“ so die brasilianische Aktivistin Sandra Bello von QuilomboAllee. Auch Salma Ashraf erklärte, dass die Unterdrückung in Kaschmir nicht neu sei, sondern seit Jahrhunderten andauert – dass aber auch der Widerstand der Bevölkerung mindestens genauso alt ist. „Wenn Israel Gaza bombardiert, dann fragt es nicht ob sich da eine Frau oder eine LGBT Person in dem Gebäude aufhält. Palästinensische Frauen und LGBT sind genauso von den Bomben Israel betroffen wie alle anderen“ so Fidaa Zaanin, Aktivistin aus Gaza. Deswegen ist „Palästina eine feministische Angelegenheit“, so die Aktivistin. Die zeitgleiche Podiumsdiskussion zur Wirtschaftsordnung des gegenwärtigen Imperialismus behandelte die Beziehungen zwischen Imperialismus und Kolonialismus in den Philippinen, in Argentinien und in Deutschland.

Am Sonntag Vormittag drängten über 80 Menschen zum Internationalismus Workshop. Hier wurde die Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegungen in Deutschland verhandelt. In vier Kleingruppen wurden sehr offen die Grundlagen der Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen Kampagne, wie dessen internationalistische und intersektionale Ausrichtung, sowie Kritiken von links diskutiert. Es wurde klargestellt, dass die gängige Gleichsetzung von Anti-Zionismus mit Antisemitismus eine der größten Probleme für eine ernsthafte Debatte zu Palästina/Israel darstellen. Kritiken von links richteten sich an die individuelle Konsumkritik in der BDS oft mündet, sowie daran, dass sich BDS oft liberaler Argumente („Gewaltfreiheit“) berufe, auch wenn in Palästina eine koloniale Situation mit gewaltvoller kolonialer Unterdrückung herrsche. Linke, antikoloniale Palästina-Solidarität zeigt sich in verschiedensten Formen. Zum Beispiel drückt sie sich in Kämpfen palästinensischer Frauen, Queers und/oder Arbeiterinnen und Arbeiter, auch gegen die eigene herrschende Klasse in Palästina, aus.

Den Abschluss des zweitägigen Forums bildete eine offene Abschlussversammlung, die über weitere Zusammenarbeit und Vernetzung antikolonialer Kräfte in Berlin, Deutschland und weltweit sprach. Konkret soll eine Kampagne gegen die Deutsche Beteiligung an den Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds ins Leben gerufen werden, welche abhängige Staaten dazu zwingt, radikale Kürzungspolitiken durchzuführen, die zum Beispiel subventionierte Lebensmittel, aber auch das Mindesmaß an Krankenversicherung etc. angreifen – genau diese Politiken bringen aktuell Hunderttausende von Ecuador, über Haiti und Irak auf die Straßen.

Deutlich wurde, dass Gemeinschaften des Globalen Südens, sowie der europäischen Peripherie, unterschiedlichste Geschichten von Kolonialisierung, Versklavung und Genozid teilen. Gerade weil in linken politischen Diskussionen in Deutschland migrantische Kämpfe und antikoloniale Perspektiven vernachlässigt werden, ist der Antikoloniale Monat auch eine kritische Intervention in eine doch recht homogene linke Landschaft, die selten die Lebens- und Kampfrealitäten migrantischer und diasporischer Menschen in Deutschland zentriert.

# Eleonora Roldán Mendívil und Chandrika Yogarajah

# Titelbild: Daniela Carvajal, Instagram @aves_azules, Workshop im Bethanien

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Das Hin- und Her um den Brexit und das damit verbundene parlamentarisch-monarchische Theater auf der Insel halten Europa seit Jahren in Atem. Wir haben mit Juan vom Kollektiv Plan C gesprochen und ihn gefragt, was denn eigentlich die radikale Linke in Großbritannien zu dem ganzen Schauspiel sagt und was ihre Analysen und politischen Handlungsperspektiven sind.

Der Brexit beschäftigt die parlamentarische Politik in Europa schon seit geraumer Zeit. Aber wie sieht eigentlich die Rezeption in der radikalen Linken in Großbritannien aus?

Im Allgemeinen hat sich die radikale Linke außerhalb der Lager Remain und Brexit immer wieder schwer damit getan, klare Positionen zu beziehen. Diejenigen, die es getan haben – das Remain-, Reform– und das Lexit-Lager („Linker Brexit“ Anm. d. Red.) – tendierten dahin, zu versuchen, durch Lobbyarbeit Einfluss auf das zu nehmen, was bei Labour und den Gewerkschaften passiert.

Wir als Plan C haben, wie andere Gruppen auch, immer einen Fokus auf Bewegungen gegen Faschismus, für transnationale Solidarität und Kämpfe gegen Ausbeutung und im Rahmen der sozialen Reproduktion gelegt. Wir versuchen uns mit der Grundlage der kapitalistischen Herrschaft auseinanderzusetzen, etwas was weder Remain, noch Brexit grundlegend in Frage stellen würden.

Als das Parlament für fünf Wochen suspendiert wurde, war klar, dass damit den Abgeordneten die Möglichkeit verweigert werden sollte, die Regierungen bei den Brexit-Verhandlungen zu behindern.

Die Reaktion von links auf die Suspendierung des Parlaments war eine spontane Demonstration von etwa 6000 bis 8000 Menschen am Tag der Ankündigung, mit einer ziemlich militanten Rhetorik einiger Labour-Abgeordneter, die sagten, sie würden das Parlament besetzen (was bis auf einen sehr kleinen Protest im Unterhaus nie geschehen ist).

Angesichts dieser Situation haben wir und andere Organisationen Versammlungen unter dem Titel „State of Emergency“ organisiert, die in mehreren Städten wie London, Leeds, Bristol, Birmingham und Colchester stattfanden. Ziel war es, einen Raum zu schaffen (über Fragen wie Remain vs. Leave hinaus), der die gesamte Ökologie radikaler und außerparlamentarischer Gruppen und Einzelpersonen zusammenbringen könnte. Diese Versammlungen wurden benutzt, um die Aktivitäten zu koordinieren und eine Analyse der Situation zu entwickeln.

In der Woche, in der die Suspendierung des Parlaments angekündigt wurde, gab es außerdem in London eine große Demo von etwa 15.000, zu der von Another Europe is Possible und Momentum aufgerufen wurde. Sie fiel viel kleiner als erwartet aus. Die „Stop the Coup“-Bewegung machte zwar auch jede Nacht Demos, aber nach einer Woche waren es nur noch ein paar hundert. Im ganzen Land gab es ähnliche Demos, die, wie man erwarten kann, vom Remain-Lager dominiert wurden.

Boris Johnsons Agieren ruft viel Irritation hervor, vor allem, weil er sich nicht an die Spielregeln der liberalen Demokratie zu halten scheint.

Das ist die Theorie. Er versteht, dass es außerhalb der großen Städte eine große Unterstützung für den Brexit und für ein No-Deal-Brexit gibt. Sein Chefberater Dominic Cummings hat einen großen Einfluss auf die Strategie und er scheint hinter vielen von Johnsons Aktivitäten zu stecken. Johnson selbst mag es, den tollpatschigen Engländer zu spielen, weil das bedeutet, dass er in der Öffentlichkeit damit davonkommt, wenn er beleidigende Dinge sagt, und von einigen als geradliniger Politiker angesehen wird, obwohl er das Gegenteil ist. Er gleicht dabei Trumps Stil des Spielens einer Anti-Establishment Figur, während er tatsächlich Teil des Establishments ist.

Bisher schien die hauptsächliche Frage in der Diskussion zu sein, ob es einen No-Deal-Brexit oder einen Brexit mit Deal geben wird. Was denkst du zu diesen Optionen?

Johnson will einen Deal, aber er würde eher einen No-Deal-Brexit riskieren, als in der EU zu bleiben. Es ist Teil seiner Strategie, mit einem No-Deal-Brexit zu drohen, um einen Deal zu bekommen. Die Konservativen wenden sich dabei aber gegen die beiden großen Vertretungen des britischen Kapitals – dem CBI (dem Verband der britischen Industrie, Anm. d. Red.) und der City of London –, was, wenn man darüber nachdenkt, für eine Partei, die die Interessen des Kapitals vertritt, außergewöhnlich ist. Dies ist jedoch wieder Teil einer Strategie der Manövrierung zwischen der Nutzung der populären demokratischen Legitimität – die 17,4 Millionen, die für Brexit stimmten – und den kurzfristigen Bedürfnissen des Kapitals.

Einige Leute hatten gehofft, dass ein Brexit bedeuten könnte, das neoliberale Projekt der EU zu verlassen. Ist das immer noch eine Idee, an der festgehalten wird?

Es gibt einen Teil der Linken, der in der Tradition der Kommunistischen Partei, Gewerkschaften und anderen steht, der die nationale Souveränität immer als den ersten Schritt in Richtung Sozialismus bezeichnet hat. Die Frage ist, ob Sozialismus in diesem Land tatsächlich möglich wäre, wenn man bedenkt, dass wenig darüber geredet wird, was die 17,4 Millionen Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, eigentlich wollen. Es ist nicht unbedingt der Neoliberalismus, den die Menschen dabei im Kopf haben, sondern die Erzählung vom industriellen Niedergang, zu vielen Einwanderern und den sich wandelnden sozialen und regionalen Ungleichgewichten, die oft der „Globalisierung“ zugeschrieben werden. Obwohl oft gesagt wird, das sei rückwärtsgewandt und nicht fortschrittlich, ist die Vorstellung, dass „wir“ in den letzten 40 Jahren gelitten haben, eine ansprechende Erzählung für diejenigen, die das Gefühl des Verlustes haben.
Politiken zum Schutz des nationalen Gesundheitswesens und zur Wiederverstaatlichung von Eisenbahn-, Wasser- und Energieunternehmen sind nach wie vor beliebt. Und vom Lexit-Lager wird argumentiert, dass die Durchführung solcher Programme innerhalb der EU aufgrund von EU-Vergabevorschriften und Vorschriften für die Kappung öffentlicher Ausgaben unmöglich sei.
Wie man den sehr realen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Antagonismus, der zu Recht wahrgenommen wird, von einer zunehmend nationalistischen Artikulation trennt, ist etwas, worauf die meisten Linken versucht haben zu reagieren. Aber wir können sagen, dass die Rechte derzeit in diesem Bereich vorne ist. Der zutiefst neoliberale und kapitalistische Realismus der britischen Gesellschaft würde vielleicht einen schöneren Kapitalismus mit britischen Arbeitsplätzen für britische Arbeiter ins Auge fassen.

Was werden die Konsequenzen von all dem für die britischen Arbeiter*innen sein?

Es ist richtig anzunehmen, dass der Brexit an sich, vor allem einer, der von der Rechten und von der Kapitalfraktion geführt wird, der Arbeiterklasse im Allgemeinen nicht helfen wird. Besonders nicht dem Teil, der nicht in Großbritannien geboren wurde.

Und welche Folgen hat die rassistische Rhethorik rund um den Brexit bisher gehabt?

Seit 2016 hat es einen enormen Anstieg rassistischer Angriffe gegeben, mit zumindest einigen Morden, die dem Brexit zugeschrieben werden können, darunter der an der Labour-Abgeordneten Jo Cox, die von einem Faschisten ermordet wurde. Es gab einen enormen Anstieg der rassistischen Gewalt und wir erwarten, dass sich diese in einigen Gemeinschaften verstärken und normalisieren wird, wenn der Brexit stattfindet. Viele Freunde berichten über ihre täglichen Erfahrungen mit Mikroagressionen und Rassismus, die sie so bisher noch nie erlebt haben.

Wie wird sich irgendeine Art von Brexit auf eure Organisierung und eure politischen Strategien auswirken?


Ein großer Teil der Bewegung wurde in die Labour Party gespült, die an die Macht kommen müsste, wenn die fortschrittlichen Programme umgesetzt werden sollen. Unser Handeln wird daher davon abhängig sein, ob wir eine Tory-Regierung haben, die über ein Großbritannien nach dem Brexit regiert, oder eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn.

# Bildquelle: weareplanc.org

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Filme gegen den Neofaschismus in Griechenland und Europa – Interview mit Angélique Kourounis und Thomas Jacobi

In der Nacht vom 17. auf den 18. September jährt sich die Ermordung an Pavlos Fyssas, durch Faschisten der Goldenen Morgenröte (Chrysi Avgi, Χρυσή Αυγή). Anlässlich seines Todestages traf sich Lower Class Magazine einen mit der Filmemacherin Angélique Kourounis und ihren Co-Author Thomas Jacobi, um über ihren neuen Film und die Notwendigkeit antifaschistischen Widerstands in Griecheland und Europa zu sprechen.

2016 haben die beiden den Dokumentarfilm „Goldene Morgenröte – eine persönliche Angelegenheit“ veröffentlicht.

Momentan arbeiten die beide an einem zweiten Teil mit dem Titel „Goldene Morgenröte – eine öffentlich Angelegenheit“. Es geht um die Frage, wie die Ideologie der Partei es geschafft hat, andere konservative Parteien zu „infizieren“ und wie man gegen den wachsenden Faschismus Widerstand leisten kann. Dabei wollen beide auch eine europäische Perspektive eröffnen. Dafür waren sie im europäischen Parlament und haben sich eine Woche vor der Landtagswahl den #unteilbar-Protest, aber auch die PEGIDA-Demo in Dresden dokumentarisch begleitet und zahlreiche Interviews geführt.

Erzählt uns doch mal etwas über euer neues Filmprojekt und was dieses mit dem Kampf gegen den aufsteigenden Faschismus in Griechenland und Europa zu tun hat.

AK: Der erste Film war das Ergebnis von fünf Jahren Recherche im Herzen der Neo-Nazi-Partei Goldene Morgenröte. Die Frage war damals: „Wie kann es sein, dass eine Partei, von der jeder weiß, dass sie eine Partei von Mördern und Nazis ist, dass sie rassistisch, sexistisch und homophob und all diese Dinge ist, dass sie Pogrome veranstaltet – Wie kann es sein, dass diese Partei zum einen im griechische Parlament, zum anderen im europäischen Parlament war und zu der Zeit als wir den Film gemacht haben, seit sechs Jahren die drittstärkste Partei war? Das war die Frage die Thomas und ich im Kopf hatten. Was wir machen wollten, war nicht in die sehr armen Gegenden zu gehen, wo es sehr leicht gewesen wäre, zu erklären, warum die Leute eine Neo-Nazipartei wählen, die von sich sagt, sie sei nationalistisch und patriotisch und weil sie denken, dass Ausländer ihre Wohnungen und Jobs wegnehmen und ihre Frauen vergewaltigen und all das ganze Zeug. Wir wollten lieber schauen, was in der Klasse der Reichen los ist, denn genau diese Klasse wählt diese Partei in vollem Bewusstsein. Wir waren dort, wir haben natürlich eine Antwort auf diese Frage bekommen und die Antwort könnt ihr in dem ersten Film sehen.

Wir hatten jetzt das Gefühl, dass es noch nicht zu Ende ist. Wir hatten das Gefühl, dass wir weitermachen und weiter gehen müssen. Die Frage ist also: „Wie können wir alle zusammen Widerstand leisten gegen diese Partei?“ Aber nicht nur gegen diese Partei, denn sie ist derzeit nicht mehr im griechischen, aber immer noch im europäischen Parlament – also wie können wir gegen die Ideen, gegen diese Ideologie kämpfen? Denn diese Ideen, diese Ideologie gewinnt jedes Jahr mehr und mehr an Boden. Die zweite Frage ist: Wie können wir die Agenda der extremen Rechten bekämpfen, die nun von den sogenannten konventionellen Parteien übernommen wird? In Griechenland ist es die Partei Neue Demokratie (Nea Dimokratia, Νέα Δημοκρατία), in Frankreich die Partei Die Republik in Bewegung! (La République en Marche!) und in Deutschland die CDU. Das ist das Problem, denn wir können die extrem rechten und offen neo-nazistischen Paretein bekämpfen, in dem wir sagen: „Das sind die bösen Typen!“. Aber wie können wir gegen konventionelle Parteien kämpfen die nicht offen sagen, dass sie Nazis sind, dass sie Rassist*innen sind und die nicht sagen, dass sie hinter verschlossener Tür die extreme Rechte unterstützen und finanzieren, weil sie diese für die Durchsetzung ihrer eigenen Ziele brauchen.

Was für eine Art von Widerstand können wir leisten? Ist es ein politischer Widerstand, ein sog. Schutzgürtel zur Ausgrenzung der Faschisten, so wie es ihn im ehemaligen EU-Parlament gab? Da wissen wir nicht wie es im neuen Parlament aussieht. Thomas und ich werden da im November drehen. Oder politisch in dem Sinne, dass wir genau schauen, wen wir wählen? Ist es ok, wie zum Beispiel in Frankreich für Macron zu stimmen, um Le Pen zu blockieren? Ist es ok, die Neue Demokratie in Griechenland zu wählen, um die Goldene Morgenröte zu blockieren? Das Problem ist doch, welche Politik sie umsetzen werden. Ist die die Antwort auf juristischer Eben zu finden? Wir haben hier in Griechenland ein sehr, sehr großes, wichtiges und historisch einzigartiges Verfahren gegen die Goldene Morgenröte. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass alle gewählten Parteivertreter, die im Parlament waren, vor Gericht stehen, weil ihnen die Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird.

Vielleicht liegt die Antwort auch in der Politik der Straße?

AK: Und natürlich, du hast recht, ist eine Antwort der Kampf in und um die Straße. Liegt die Antwort in der antifaschistische Bewegung? Liegt sie in Demonstrationen und Aktionen? Ist die Antwort gegen jeden Slogan, gegen alles zurückzuschlagen, was wir von der extremen Rechten entgegnet bekommen? Vielleicht – aber vielleicht ist es nicht genug? Vielleicht ist die Antwort alles zusammen, im gleichen Moment durch jede*n.

Eine Frage ist, warum Menschen in Krisenzeiten extrem rechts wählen und nicht links? Vielleicht haben die Linken die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

TJ: Natürlich ist es auch einfacher Befehlen zu folgen, als selbständig zu denken. Es ist leichter, in Gefühle von Hass zu verfallen, als in Solidarität und Mitgefühl. Es ist hart, das anzuerkennen und auszusprechen, aber es ist offensichtlich, dass in Zeiten von Krisen die Mehrheit der Leute sich in die Richtung eines extrem rechten Verhaltens, statt in die eines mitfühlenden und solidarischen Verhaltens orientieren.Wir sehen das nicht nur in Griechenland. Wir sehen das auch in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, überall in Europa und weit darüber hinaus. Die Frage ist also wie wir damit umgehen. In den letzten zwei Jahren haben wir griechenlandweit so ziemlich jede Bewegung und Initiative begleitet, die sich aktiv gegen faschistische Propaganda, faschistische Gewalt und jede Form extrem rechter Ideologie stellt. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Deswegen sind wir auch nach Dresden gegangen. Eine Stadt, die man als Hauptstadt des Faschismus in Deutschland bezeichnen kann. Auch dort gibt es Widerstand und wir haben für zehn Tage zum Beispiel das #unteilbar-Bündnis filmisch begleitet.

Wo seht ihr ihr euch mit eurem Film? Seht ihr euch als Teil dieser Bewegung oder seit ihr eher neutrale Beobachter*innen?

AK: Du kannst nicht neutral bleiben, wenn du so einen Film machst und ich bin niemals neutral in meinen Filmen. Ich glaube, du kannst niemals neutral sein, egal welchen Film du machst. Als erstes kommt da das Thema, das du wählst. Die Art und Weise, wie du mit dieser Thematik umgehst. Die Worte, die du wählst. Die Art und Weise wie du das Licht auf die Menschen richtest, die du interviewst. Die Art und Weise, wie du die Fragen im Interview stellst, wie du die Menschen inszenierst, mit denen du Filme machst. Das kann einfach niemals neutral sein.

Was du sein kannst, ist fair – und ich hoffe, das zu sein. Das bedeutet Fakten nicht zu manipulieren. Aber wenn dir jemand sagt, dass es draußen regnet und die andere Person sagt dir, es regnet nicht, dann ist es nicht meine Aufgabe zu sagen: „Jemand sagt es regnet. Eine Anderer sagt es regnet nicht“, sondern mein Job ist es, rauszugehen und nachzusehen, ob es regnet. Als ich mit den Arbeiten zu meinem Film „Goldene Morgenröte – eine persönliche Angelegenheit“ begonnen habe, habe ich nicht mit der Frage angefangen: Sind sie Neo-Nazis oder Rassist*innen? Gleich in den ersten zehn Sekunden sage ich, dass es eine faschistische und rassistische Partei ist, die Gewalt als Waffe benutzt, in der Gewalt die einzige Form politischer Sprache ist.

Meine Frage war: „Warum wählen Leute diese Partei? Warum gewinnen sie jedes Jahr? Was ist ihre Absicht?“ Das waren mein Fragen. Aber ich habe nie und ich werde nie Propagandafilme drehen! Ganz einfach, weil sie kontraproduktiv sind. Ich denke die Leute besitzen Verstand und können mit ihrem eigenen Kopf denken. Also zeige ich ihnen, das, was ich für die Realität halte. Ich sage aber gleich zu Beginn, wo ich stehe und vertraue den Leuten, lasse ihnen die Freiheit ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Also mache ich keine Propaganda, weil es in der Situation nichts nützt. Ich will Filmvorführungen in CDU- und AfD-Büros machen. Also vor Leuten, von denen ich weiß, dass sie gegen den Film sind. Wenn ich jemanden überzeugen will, dann muss ich mit der Person diskutieren. Wenn ich alle meine Filme nur in antifaschistischen Räumen zeigen würde, dann wären die Leute zwar sehr glücklich aber, sie werden mir gratulieren und sie werden sagen: „Ein super Film!“ Aber was bringt das?

Aber du wirst niemanden von der AfD überzeugen ein*e Antifaschist*in zu werden. Warum? Weil es genau diese „Infektion des politischen Raums“, wie du es immer sagst, darstellt. Wenn wir es in griechische Verhältnisse setzen wollen, ist es der furchtbare Mix aus der Partei Neue Demokratie und Goldene Morgenröte oder eine Mix aus CDU und NPD.

AK: Ich glaube, selbst mit denen kann man reden und sie ändern. In unserem ersten Film hatten wir jemanden vor der Kamera, der mit uns voll vermummt gesprochen hat. Er war ein sehr, sehr aktives Mitglied der Goldenen Morgenröte. Er war ein Mitglied der Aktions-Sektion, also die Leute die auf der Straße Pogrome verüben. Ich bin absolut sicher, dass er Blut an seinen Händen hatte. Da bin ich mir sicher. Dieser Typ hat sich komplett geändert.

Nachdem er mit euch geredet hat oder euren Film gesehen hat?

AK: Nein, nicht wegen meines Films. Er hat sich geändert, weil etwas in seinem Leben passiert ist und er hat verstanden, dass er auf der falschen Seite steht. Heute ist er ein sehr starker Aktivist für Geflüchtete, gegen Rassismus und die Goldene Morgenröte. Für mich ist das ein aktiver Beweis, dass man sich ändern kann. Das bedeutet nicht, dass sich jede*r ändern kann. Aber du musst zu ihnen gehen. Wenn du den Feind bekämpfen willst, solltest du ihn nie unterschätzen. Du musst verstehen, wie er arbeitet und was sein Schwachpunkte sind.

Ist diese Idee nicht etwas verworren, mit einer Art „Bildungsauftrag“ genau zu der Person zu gehen, die Flüchtlingsheime oder -unterkünfte anzündet, zu der Person zu gehen, die Geflüchtete, Antifaschist*innen, Homosexuelle und Transgender auf der Straße angreift – während zur gleichen Zeit diese Person oder die Freund*innen eben diese Angriffe auf der Straße durchführen. Für mich klingt das schon etwas idealistisch, mit den Leuten zu sprechen, die Pogrome machen. Wie soll man zur gleichen Zeit mit den Personen reden, die einen angreifen und gleichzeitig antifaschistischen Selbstschutz und Widerstand leisten?

AK: Es ist nicht utopisch. Es ist einfach realistisch.

Ich habe nicht utopisch gesagt, ich habe idealistisch gesagt. Im Sinne von: Das stärkere Argument gewinnt. Das halte ich in dieser Situation für Idealismus.

AK: Es ist nicht idealistisch. Es ist effektiv. Was wir wollen, ist, dass die Leute nachdenken. Das heißt ja nicht, dass du wie ein Schaf zum Henker gehen musst. Natürlich muss du auf deinen Rücken aufpassen, also Ja – Selbstverteidigung und Ja – alle Vorkehrungen treffen, die nötig sind, um dein Ziel zu erreichen.

TJ: Wir machen keine idealistischen Filme in dem Sinne, dass wir denken, dass Leute sich verändern, nachdem sie die gesehen haben. So naiv sind wir nicht. Aber lieber als beispielsweise eine Waffe in die Hand zu nehmen, nehme ich eine Kamera in die Hand, um etwas zum Ausdruck zu bringen, das Sinn ergibt. Natürlich wird nicht der Führer einer extrem rechten Partei sein Leben ändern. Aber vielleicht die Leute, die bereit sind, so eine Partei zu wählen. Wenn diese Person etwas sieht, das ihr Denken ein Stück nach vorne bringt, dann ist es genau das, was wir wollen.

AK: In dem Lied „Göttingen“ der französisch-jüdischen Sängerin Barbara, sagt sie im letzten Satz, dass, wenn sie wieder die Waffen in die Hand nehmen muss, dann tut sie dies für Göttingen. Genau das ist mein Gedanke, dass wenn wir keine andere Wahl haben, wir kämpfen werden, mit allen Waffen die dafür notwendig sind. Aber es muss die letzte aller Möglichkeiten sein.

Das meinst du mit Bezug auf eure Filmdrehs?

AK: Ich hatte zum Beispiel immer Angst beim Dreh des ersten Films. Thomas wurde zusammengeschlagen, mein Kameramann wurde zusammengeschlagen, ich wurde zusammengeschlagen. Aber wir haben es durchgezogen. Wir haben daran geglaubt und es war kein Film für Geld. Es war ein Film, den wir mit Hilfe der Solidarität der Leute machen konnten.

In dieser Woche jährt sich der sechste Todestag des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas. Er wurde von einem Mitglied der Goldenen Morgenröte ermordet. Es war der Startpunkt für die Ermittlungen auf Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung gegen die Goldenen Morgenröte. Vom 18. bis 20. September wird es nun auch drei Demonstrationen geben. Die Demonstration am 18. September wird durch seine Familie organisiert und von vielen verschiedenen politischen Gruppen und Organisationen unterstützt. Es werden wieder viele Menschen erwartet. Welche Bedeutung hat der Mord an Pavlos Fyssas und er selbst als Symbol für die griechische Gesellschaft?

TJ: Der Mord an Pavlos Fyssas, glaube ich, erinnert die griechische Bevölkerung auf einer symbolischen Ebene daran, wie falsch sie alle gelegen haben. Im Sinne einer Toleranz gegenüber täglicher rassistischer Gewalt und dahingehend, dass sie nicht gehandelt haben. Am Ende haben sie verstanden, dass sie handeln müssen – sehr spät aber sie haben es verstanden. Und das betrifft nicht nur die einfachen Leute auf der Straße. Es betrifft die Medien, den Staat und seine Mechanismen, es betrifft die Justiz und die Polizei – alle haben sich in dramatischer Weise falsch verhalten. Mit der Person, die da ermordet wurde, ein griechischer Staatsbürger, ein junger Mann, 35 Jahre alt, konnte sich jede*r identifizieren. Deswegen hat die Gesellschaft erkannt, dass es jede*n einzelne*n von uns etwas angeht. Und genau das ist es, woran man die Menschen immer wieder erinnern muss, denn Ignoranz ist so etwas starkes, dass die Leute sehr leicht in ihr Ich-bin-nich-persönlich-betroffen-Verhalten zurückfallen.

AK: Für mich ist der Fall von Pavlos Fyssas die einzige Erklärung dafür, warum wir dieses Gerichtsverfahren gegen die Goldene Morgenröte haben. Denn vor Pavlos Fyssas ermordeten sie zwei weitere Personen. Aber die waren Migranten und so hat niemand auch nur einen Scheiß darauf gegeben. Aber Fyssas war Grieche, weiß und der Typ mit dem sicher jede*r identifizieren kann. Aus diesem Grund hat der Staat begonnen, die Goldene Morgenröte zu bekämpfen. Denn die konservativen Machthaber hatten verdammt viel Angst davor, die gleichen Ausschreitungen zu erleben wie 2008, nach der Ermordung von Alexandros Grigoropoulos. Für mich ist es das Konzentrat der großen Verlogenheit der griechischen Gesellschaft, die immer sagt, wir sind so offen und so weiter. Aber warum hat diese Gesellschaft bis zu diesem Mord ihren Arsch nicht hoch bekommen? Wir müssen Pavlos Fyssas Respekt zollen, wir müssen Magda, seiner Mutter, großen großen Respekt zollen, die zu jedem Verhandlungstag in den Justizpalast kommt.

Sie ist diejenige, die die Menschen dazu gebracht hat sich zu bewegen. Sie war es, die akzeptiert hat, dass der Fall ihres Sohns mit allen anderen Fällen zusammengefasst wird. Sie war der Link zwischen all den anderen Fällen. Sie ist der Grund für ein so großes Gerichtsverfahren. Ohne sie wäre es wieder nur ein Verfahren gegen ein Mitglied gewesen und nicht gegen die gesamte Organisation, die eigentlich Pavlos Fyssas ermordet hat.

Das wir nun die gesamte Partei vor Gericht haben, ist Magda zu verdanken. Kannst du dir vorstellen, dass sie hier im Justizpalast sitzt und vier Tage lang den Mördern ihres Sohnes dabei zusehen muss, wie er hier frei hereinspaziert mit Jeans und Jackett, die Fragen beantwortet und wieder frei raus spaziert? Er muss nur einmal die Woche zur Polizeistation gehen. Was ist das bitte? Kannst du dir das vorstellen? Ich kann es nicht. Ich kann mich selbst nicht in der Situation vorstellen, in der der Mörder meines Sohnes zwei Meter entfernt von mir zur Anklagebank geht. Ich weiß nicht ob ich diese Stärke hätte.

TJ: Und dass der Mörder davon spricht, dass Pavlos in sein Messer gefallen ist und es ein ganz normaler Totschlag war.

Die Gedenkdemonstration am 18.09. wird von der Familie von Pavlos Fyssas vorbereitet. Sie hat also eine große Bedeutung.

AK: Ja das hat große Bedeutung, denn es war Pavlos Fyssas Familie die die Antifabewegung wachgerüttelt hat, es ist Pavlos Fyssas Familie, die uns dazu zwingt ihn nicht zu vergessen.

# Von Sven Wegner | Internationalistisches Zentrum Dresden

# Den Film unterstützen könnt ihr unter: https://goldendawnapersonalaffair.com/de/

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Die AfD hat bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg enorm an Stimmen gewonnen. Unser Autor Simon Zamora Martin hat analysiert, was die Wahlergebnisse mit dem von allen Regierungsparteien seit der Wende vorangetriebenen neoliberalen Strukturwandel zu tun haben und wo Anknüpfungspunkte für eine antifaschistische Politik sind, die über liberale Überheblichkeit hinausgehen.

Am Sonntag den 1. September rummste es kräftig in Sachsen. Ein großes Gewitter fegte über die ostdeutsche Provinz. Der Regen fiel zeitgleich mit dem politischen Gewitter auf die Hochburgen der AfD in Sachsen. Angefangen im Erzgebirge, an dessen Fuß sich der NSU lange verkroch, hin zur ehemaligen NPD-Hochburg sächsische Schweiz, über Bautzen bis Görlitz, wo die AfD Ende Mai fast den ersten Oberbürgermeister gestellt hätte. Hat sich der Osten mit den Wahlen, bei denen die protofaschistische AfD in Sachsen 27,5 Prozent, in Brandenburg 23,5 Prozent der Wähler*innenstimmen bekam, nun einfach dazu bekannt, was er von Natur aus ist? Braun?

Ein genauerer Blick auf die Wetterkarte der Wahlen lässt durchaus mehr erkennen als ein Stadt-Land Gefälle. Es sind nicht nur die klassisch ländlichen Räume, in denen die AfD punktet. Von der ehemaligen Montanregion Erzgebirge bis zur Maschinenbaustadt Görlitz erstrecken sich viele industrielle Zentren. Auch entlang der Grenze zu Polen reiht sich von Görlitz nach Norden eine Kette von Industriestädten: von der brandenburgische Kohlestadt Cottbus bis zu den Hochöfen von Eisenhüttenstadt. Städte, die mit der Wende unter großen Entlassungswellen, Bevölkerungsschwund und den damit einhergehenden Zerbrechen des Sozialgefüges gelitten haben. Und die sich heute den Herausforderungen eines erneuten Strukturwandels gegenüber sehen.

Die meisten Hochöfen der einstigen Stahlstadt Eisenhüttenstadt sind schon lange erloschen. Seit 1990 hat Eisenhüttenstadt mehr als die Hälfte ihrer Einwohner*innen verloren. Die Auswirkungen des internationalen Handelskrieges und der Krise der deutschen Automobilindustrie als größter Stahlabnehmer sind hier deutlich zu spüren: Der Weltmarktführer ArcelorMittal drosselte unlängst die Produktion und droht damit, den Standort Eisenhüttenstadt mit Bremen zusammenzulegen. In der Belegschaft werden massive Kündigungen erwartet, ja sogar eine Abwicklung des Standortes. Im April wurde der größte noch betriebene Hochofen stillgelegt und es läuft nur noch einer von einst sechs Öfen. Die Produktion wurde auf 25% gedrosselt, befristete Verträge nicht verlängert und fast alle verbleibenden Arbeiter*innen in Kurzarbeit geschickt. Die Belegschaft bangt um ihre Arbeitsplätze. Seit dreißig Jahren geht das Tauziehen um den Erhalt des Standortes jetzt schon, bei dem derzeit über 10% der Stadtbevölkerung direkt beschäftigt sind. Seit Jahren hören die Arbeiter*innen große Versprechen der Politik, und müssen dann doch eine Entlassungswelle nach der anderen erdulden. Das Vertrauen in die seit der Wende regierende SPD, aber auch das in die Linkspartei ist dahin. Sie rutschten mit der aktuellen Wahl auf 27,8 bzw. 11,6 Prozent ab, während die AfD mit über 30% stärkste Kraft wurde.

Nicht viel besser sehen die Ergebnisse der AfD in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs 50 km weiter südlich aus. Auch in Cottbus, der Hauptstadt des Lausitzer Kohlereviers, aus dem die Brennstoffe für die Hochöfen in Eisenhüttenstadt kommen, wurde die AfD stärkste Kraft. Der überfällige Kohleausstieg verunsichert die Menschen zutiefst. Nach den „blühenden Landschaften“ der 90er Jahre fürchten mit dem Kohleausstieg viele erneut um ihre Existenzgrundlage. Zwar beschloss die schwarz-rote Bundesregierung fünf Tage vor den Landtagswahlen ein 40 Milliarden Euro schweres Investitionspaket, doch neue Straßen, Eisenbahnlinien, Forschungsinstitute und Behörden bringen den Kohlekumpels auch keine neuen Jobs. Selbst die Linkspartei, die in den 90ern noch Seite an Seite mit den Kumpels stand, machte in Brandenburg Wahlkampf dafür, die Zechen noch früher als geplant zu schließen. Auch das dürfte ein wichtiger Punkt sein, warum die AfD mit ihrer Leugnung des Klimawandels in den Kohlerevieren zur stärksten Kraft wird.

Südlich des Lausitzer Kohlerevierst liegt die Geburtsstadt des alten und wohl neuen Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU). Er konnte am Wochenende dort sein Direktmandat verteidigen, bei den Zweitstimmen lag die AfD fast vier Prozent vor der CDU. Die letzten Monate war die Stadt nicht nur in den Schlagzeilen, weil die AfD hier fast ihre erste Oberbürgermeisterwahl gewann, sondern auch wegen geplantenEntlassungen, bei Siemens und Bombardier. Bei Siemens wird trotz lauter Proteste und Streiks der Großteil der Beschäftigten gehen müssen, worüber keiner mehr redet. Auch nicht der Görlitzer MdB Tino Chrupalla (AfD), der die „Klimalüge“ für die Schließung des Gasturbinenwerkes verantwortlich machte.

Eines der wichtigen Wahlkampfthemen in Sachsen war auch gerade jene angebliche „Klimalüge.“ Die von der AfD lancierte Kampagne „Ein Herz für Diesel“ ist nicht nur eine komische Freakshow von Landwirt*innen, die mit ihren Traktoren durch die Innenstätte fahren wollen. Sie zielt auch auf die Beschäftigten des sächsischen Automobilsektors ab. Von Görlitz bis zu den Automobilzentren am Fuße des Erzgebirges findet nach dem abrupten Aus der Dieselmotoren ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen in den Zulieferbetrieben statt. Mit ihrer Politik der Klimaleugnung schafft es die AfD auch einen Teile der Arbeiter*innenklasse, die ihre Lebensgrundlage von dem Strukturwandel bedroht sehen, zu gewinnen und sie vor ihren neoliberalen und rassistischen Karren zu spannen.

Der Rechtsruck im Osten hat viel mit der aktuellen Klimapolitik zu tun. Die Grünen aber auch CDU und SPD wollen die aktuelle Klimadebatte nutzen, um die deutsche Wirtschaft aus ihrer Überproduktionskrise zu führen, sich international im Handelskrieg behaupten zu können und die Arbeiter*innen durch eine CO2-Steuer und massive Entlassungen für diese „Erneuerung“ des Kapitalismus zahlen zu lassen. Selbst die Linkspartei wendet sich zunehmend von den Arbeiter*innen ab und einem kleinbürgerlichen, urbanen Publikum zu.

Die Folge ist, dass zunehmend die soziale Frage gegen die Klimafrage diskutiert wird. Die AfD profitiert davon und kann sich heuchlerisch als Verteidigerin der sprichwörtlichen kleinen Leute, die unter dem kapitalistischen Strukturwandel leiden, inszenieren. Dabei sind die wirtschaftlichen Vorschläge der AfD katastrophal für Arbeiter*innen: sie schlagen beispielsweise vor, in der Lausitz eine Sonderwirtschaftszone zu errichten, in welcher Unternehmen nicht nur von Steuern befreit sein sollen, sondern wohl auch Arbeits- und Tarifrecht legal unterlaufen könnten.

Die IG-Metall Kampagne für eine Senkung der Arbeitszeit im Osten auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, welche auch auf der FairWandel Demo in Berlin sehr betont wurde, ist nicht nur ein Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, damit die Ossis nicht weiter die Lohndumper in Deutschland sind. Er zeigt auch einen Weg, wie schadstoffreiche Industriebetriebe sozialverträglich runter gefahren und die Überproduktionskrise gelöst werden kann: mit Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Doch um einen ökologischen und sozialen Strukturwandel der Industrie vollziehen zu können, wird es nicht reichen nur zu probieren, gegen die sozialen Auswirkungen des kapitalistischen Strukturwandels zu kämpfen. Die Arbeiter*innen müssen diesen mitgestalten. Zum Beispiel durch eine entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne, um unter Kontrolle der Arbeiter*innen die Konzerne so umbauen zu können, dass der Kohleausstieg zügig realisiert wird, in den betroffenen Gebieten aber auch neue Produktionsketten hochgezogen werden. Trotz dem Debatten um Verstaatlichungen, die mit der Kampagne #DWEnteignen dieses Jahr angestoßen wurden, ist deren Umsetzung ziemlich unwahrscheinlich. Doch gerade in Ostdeutschland kocht die Forderung nach Enteignung nicht erst seit Kevin Kühnerts Debatte um eine Vergesellschaftung von Verlusten der Automobilindustrie immer wieder hoch. Die Streiks zwischen 1989 und 1994 gegen die Treuhand– die Größten seit dem Faschismus – endeten zwar fast alle in Niederlagen. Doch die ältere Generation hat in jener Zeit durchaus gelernt, wie eine Betriebsbesetzung funktioniert. Dass Bosse einfach abgesetzt werden können und die Produktion von den Arbeiter*innen selbst organisiert werden kann. Und dass auf die eigenen Kräfte mehr Verlass ist, als auf die leeren Versprechen der Sozialdemokratie oder Gewerkschaftsbürokratie. Auch heute noch kommt die Forderung nach Verstaatlichung immer wieder in ostdeutschen Arbeitskämpfen auf. Wie beim Halberg-Guss-Streik in Leipzig letztes Jahr. Oder aktuell der Kampf von Union Werkzeugmaschinen Chemnitz. In den 90er Jahren rettete die Union-Belegschaft ihren Betrieb vor der Schließung durch die Treuhand, und jetzt möchte der neue Eigentümer das Werk schließen. Auch hier fordern die Beschäftigten jetzt sowohl eine Verstaatlichung gegenüber dem Land Sachsen, als auch eine Rückkehr zur Kooperative: ein nicht mehr all zu großer Sprung zu einem verstaatlichten Betrieb unter Selbstverwaltung der Arbeiter*innen.

Das Gewitter, welches sich am jenem Sonntag über dem Osten entladen hat, rüttelt hoffentlich auch die linken Kräfte in diesem Land auf. Es ist nicht genug, die AfD nur wegen ihrem Rassismus anzugreifen. Die Arbeiter*innen mit ihren Kämpfen müssen wieder stärker in den Fokus genommen werden, statt bestenfalls ignoriert zu werden, weil sie nicht radikal genug sind. Dass kämpfende Arbeiter*innen sehr wohl auch für Kämpfe gegen rassistische und sexistische Unterdrückung, zeigt vielleicht auch das Beispiel der Belegschaft der nordsächsischen Nudelfirma „Riesa.“ Sie führten einen langen Kampf für einen Tarifvertrag und gegen Outsourcing, den sie nicht zuletzt mit einer breiten Solidaritätskampagne gewann. So sprachen sie zum Beispiel auch auf der Unteilbar Demo in Dresden über ihren Kampf und setzten ein Zeichen gegen Rassismus und gegen die AfD.

Gemeinsame Kämpfe für soziale Rechte sind eine bessere Schule der Solidarität als Symbolaktionen. Sie zeigen, dass wir was verändern können, wenn wir uns nicht spalten lassen in Deutsche und Migrant*innen, Frauen und Männer, Ossis und Wessis. Aber auch, dass Solidarität heißt, für die Rechte der anderen einzutreten. Gelebte Solidarität im Kampf um soziale Rechte ist wohl das beste Mittel, um die Richtung des tosenden Gewitters zu ändern und nicht uns Unterdrückte und Ausgebeutete, sondern die Kapitalist*innen im Regen stehen zu lassen.

#Simon Zamora Martin

# pixabay, Rico Loeb

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Grinsebacke Dunja Hayali und ihr nicht minder wichtigtuerischer Kollege Markus Lanz schossen den Vogel ab. In gemeinsamer Anstrengung schafften sie es wenige Tage nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, die Spitzen der protofaschistischen AfD an ein und demselben Abend in ein und demselben Programm unterzubringen, im ZDF. Bundessprecher Jörg Meuthen durfte sich im Talk von Hayali ausbreiten, kurz danach der andere Bundessprecher der Partei, Alexander Gauland, bei Lanz. Von „AfD-Festspielen“ sprachen Medien.

Unfreiwillig gaben die Redaktionen der Talkshows damit einen Hinweis darauf, wer einen wesentlichen Anteil am Aufstieg der AfD hat, der am 1. September mit den Erfolgen in den beiden ostdeutschen Bundesländern einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Nicht „die Medien“, wie es inzwischen gern heißt – sondern nur ein Teil dieser Medien, nämlich die bürgerlichen Medien, allen voran die TV-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender. Sie haben den Salon-Nazis eine Bühne geboten und damit das Fundament zu ihrem Aufstieg gelegt. Unvergessen etwa der Auftritt von Björn Höcke mit Deutschlandfähnchen am Stuhl bei Günther Jauch.

In der linken Debatte über die Erfolge der AfD und den allgemeinen Rechtsruck wird die Rolle der Medien zwar immer wieder thematisiert, aber nach wie vor notorisch unterschätzt. Das gilt auch für die Kehrseite dieser Erfolge, die Probleme der Linkspartei respektive der Linken insgesamt, mit ihren Konzepten im Osten wie im Westen durchzudringen.

Die bürgerlichen Medien stellen die Weichen, sie setzen die Themen. Und der Diskurs verschiebt sich quasi automatisch immer weiter nach rechts, weil Hass und Hetze in einer Gesellschaft, in der die Menschen systematisch dumm gehalten und rund um die Uhr manipuliert werden, einen guten Nährboden finden. Umgekehrt haben Analyse und Aufklärung keine Chance. So kann die Agenda der Rechten sich völlig frei entfalten, nämlich den Unzufriedenen diejenigen als Sündenböcke anzubieten, denen es noch schlechter geht als ihnen – etwa Geflüchtete, Obdachlose oder Drogenabhängige.

Für die Herrschenden ist das eine komfortable Situation. Mit wenigen Stellschrauben lässt sich über ihre Medien die Wut kanalisieren und lenken, ablenken vor allem von den wahren Verursacher*innen und Profiteur*innen von Ausbeutung und Verarmung der Massen. Der Faschismus oder Vorstufen davon bleiben dabei immer eine Option für die Herrschenden, eine Trumpfkarte in ihrem Ärmel. Auch diese systemische Ursache für die Stärke der Rechten wird in linken Debatten zu oft verkannt.

So demonstrieren weite Teile der Partei Die Linke derzeit, wie wenig sie noch mit wirklicher Systemkritik und Antikapitalismus zu tun haben. Die bei weitem bekloppteste Reaktion auf die Erfolge der AfD bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg ist dabei das Gerede mancher Linkspolitiker*innen darüber, man müsse „die Sorgen der Menschen im Osten“ endlich ernst nehmen. Mit derartigen Äußerungen steigt man auf bürgerliche Diskurse ein.

Die meisten Linken-Politiker*innen sind offensichtlich längst vom Parlamentarismus absorbiert worden und zu klarem Denken nicht mehr bereit und in der Lage. Eine radikale Kritik am System liegt ihnen ebenso fern, wie der Glaube an dessen Überwindbarkeit. So ist gegen die Rechten natürlich kein Blumentopf zu gewinnen. Um so mehr kommt es in dieser historischen Situation auf die außerparlamentarische Linke an, auf Bewegungen und die Antifa.

Titelbild: RubyImages/F. Boillot
Am 13.07.2019 startete die AfD ihren Wahlkampf in Brandenburg mit einem „Volksfest“ vor der Markthalle in Cottbus. Redner waren unter anderem Andreas Kalbitz und Björn Höcke:

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Die israelische Punk-Band Helem aus Tel Aviv singt über „Den großen Verrat“ der israelischen herrschenden Klasse. Das LCM sprach mit dem Sänger Ran D und dem Gitarristen Ran W über ihre Musik und wie es ist, links und Punks in Tel Aviv zu sein.

Helem“ hat im Hebräischen mehrere Bedeutungen. Was verbindet ihr damit?
Ran W: Helem hat eine doppelte Bedeutung, zum einen bedeutet es „Schock“. Aber es hat auch eine Andere: In Polen gab es früher eine Stadt namens Helem. Im traditionellen jüdischen Geschichtenerzählen waren alle Bewohner dieser Stadt dumm. Zum Beispiel gab es eine Brücke, die in der Mitte kaputt war. Und die Bewohner von Helem überlegten, was sie machen sollten. Also beschlossen sie, ein Krankenhaus darunter zu bauen, damit jeder, der fallen würde, versorgt werden konnte. Helem wurde zu einem Ausdruck im Hebräischen. Man sagt, dies ist ein Zustand von helem, nichts funktioniert so, wie es sollte, alles geht schief.
Ran D: Helem ist auch eine Möglichkeit, eine irrationale Denkweise zu beschreiben. Es ist die Art und Weise, wie die Dinge in Israel gehandhabt werden.
Ran W: Und es gibt Hunderte von Beispielen für solche Dinge. Es wird eine Brücke gebaut und wieder abgerissen, weil sie zu schmal für die Gleise ist.
Ran D: Helem hat auch eine dunklere, nicht so bekannte Bedeutung. Helem, die Stadt in Polen, hat eine wirklich traurige Geschichte. Früher gab es eine wirklich große jüdische Gemeinde, von der nur wenige hundert am Ende des Zweiten Weltkriegs überlebt hatten. Unser Name ist nicht mit dem Holocaust verbunden, aber er hat damit zu tun. Ich glaube nicht, dass viele Menschen in Israel wissen, dass Helem eine echte Stadt war.

Ihr bezeichnet euch selbst als Antifa-Punks, was bedeutet das für euch?
Ran D: Antifaschist in Israel zu sein, ist etwas nicht so grundlegendes. Wenn man über den Faschismus spricht, haben die Menschen das Bild von Uniformen im Kopf. Wir alle wissen um das Ausmaß, das die Geschichte des Nazismus-Faschismus in Israel hat. Und die Leute sind nicht bereit zuzugeben, dass wir unter einer faschistischen Herrschaft leben, weil es nicht gleich aussieht. Es ist nicht Mussolini, es ist nicht Hitler, es ist dieser verdammte Netanyahu. Und um das klarzustellen: Ich vergleiche ihn nicht mit ihnen, aber die Auflösung ist die gleiche, die Methoden sind unterschiedlich.
Aber ein Punk und Antifa zu sein, ist auch ein Privileg mit all den Verbindungen, die ich im Laufe der Jahre durch den Fußball, mit anarchists against the wall oder Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten, aufgebaut habe. Ich denke also, jeder findet seinen eigenen Ausdruck dafür, was es in unserer Szene bedeutet, ein Antifaschist zu sein.

Worüber singt ihr denn dann?
Ran D: Wenn du in einer Punkband singst, gibt es feste Themen, über die du singen solltest. Jeder wird über einen Freund singen, der zum Spitzel wurde. Jeder wird davon singen, kein Geld zu haben und der originellste und wahrhaftigste zu sein. Das tun wir auch. Ein Punk zu sein bedeutet, Punk zu sein, und ich liebe das Format. Ansonsten versuche ich, über die israelische Realität zu singen. Der Titel unseres neuen Albums lautet „habgida hagdola“, was grob übersetzt „Der Große Verrat“ bedeutet, was auch das Hauptthema ist. Alle Songs vervollständigen ein Bild davon, wie es ist, in diesen Tagen in Israel zu leben. Die Leute werden auf dich zukommen und fragen: „Was? Bist du ein Linker?“ Als ob es ein Fluch wäre, keine politische Haltung. Sie versuchen, uns als Verräter darzustellen. Die erste Regel im Faschismus ist, die Leute glauben zu lassen, dass es einen äußeren Feind gibt, die zweite ist, sie glauben zu lassen, dass es einen inneren Feind gibt. Und sie versuchen, uns zu diesem Feind zu machen. Ich denke, die Geschichte wird sie dafür verurteilen. Sie sind die wahren Verräter. Sie sind diejenigen, die gegen die israelische Gesellschaft vorgehen.

Spielt ihr auch Shows mit internationalen Bands?
Ran D: Als Teil einer DIY-Szene mache ich auch Booking und Promotion für andere Bands. Ich kontaktiere viele Bands, die ich für links halte. Und einige sagen: „Ich bin nicht bereit, mit meiner Band nach Israel zu kommen, wegen der Apartheid und des Faschismus in Israel.“ Und ich stimme ihnen zu. Die Apartheid existiert und der Faschismus ist an der Macht. Aber es ist nicht so einfach, wie sie es zu beschreiben versuchen. Innerhalb Israels gibt es eine Minderheit von Menschen, die gegen dieses System kämpfen. Und wie kann man den Leuten den Mittelfinger zeigen, die die Scheiße leben und mit Gefängnis und Geldstrafen bezahlen, um Aktivisten zu sein? Ich sehe es als Beleidigung an, wenn Leute sagen, dass sie nicht kommen, weil Israel faschistisch ist. Es ist, als würde man mir sagen, dass ich Israel sei, aber ich bin nur eine Person, die in Israel geboren wurde.

Wir unterstützen auch BDS. Es ist mir scheißegal, ob Madonna in Israel spielt. Aber der Boykott von Punk-Bands aus Israel ist genau das Gegenteil von der Unterstützung Palästinas. Wir singen über Palästina, wir kämpfen für die Freiheit unserer Brüder und Schwestern in Palästina und auch in Israel. Aber mir zu sagen, dass der Boykott die Meinung des Premierministers ändern wird, ist so dumm wie es nur geht. „Oh verdammt, die Punks werden nicht kommen“. Das ist ihm egal! Denn Madonna wird das Geld nehmen. Die großen Künstler werden kommen, auch wenn es einen Boykott gibt. Aber du, der Kleine, der in meiner Wohnung schlafen wird, in arabischen Restaurants isst und in einem linken Viertel unterkommt. Du boykottierst uns? Du? Du boykottierst Israel nicht, du boykottierst mich, Ran und zwei andere Typen wie uns.

Seid ihr auch in sozialen Kämpfen engagiert?
Ran D: Einige von uns mehr, einige von uns weniger. Aber im vergangenen Jahr haben wir alle eine klare Aussage gegen die Abschiebung der Flüchtlinge in Tel Aviv gemacht. Es sollte eine „Evakuierung“ von rund 35.000 Immigranten aus dem Süden Tel Avivs geben, meinem verdammten Viertel. Und wie viele andere Menschen auch, nahmen wir an den großen Demonstrationen teil. Es war der erste politische Erfolg, den wir seit Jahren hatten. Nicht nur gegen die Mauer anschreien. Es wurde Realität. Die Flüchtlinge wurden nicht vertrieben.
Ran W: Die Regierung hob die Entscheidung auf.
Ran D: Es war das erste Mal in der Geschichte, dass sie sich für etwas interessierten, was die Linken sagen. Sie nennen uns „Pretty Souls“, weil wir angeblich schwach sind. Aber ich sehe das nicht als Beleidigung an.

Ihr „Pretty Souls“ seid eine Minderheit.
Ich denke, die Linken und Punks sind auch in Deutschland eine Minderheit, aber es ist viel bequemer. Zum einen, weil die Leute dich nicht auf der Straße verurteilen. Wenn man in Berlin, Hamburg oder Leipzig lebt, wird man nicht angeschaut, als ob man aus dem Weltraum gefallen wäre. Versuch mal, mit einem Iro durch Jerusalem zu gehen, weißt du, was mit dir passieren wird? Es wird Scheiße sein. Du wächst auf und wirst ständig verprügelt. Deshalb ziehen die meisten von uns Punks nach Tel Aviv. Außerdem sind wir Arbeiterklasse-Punks, alle von uns haben Jobs, sonst kannst du nicht überleben. Und deshalb sind wir weniger solidarisch miteinander, denn wir müssen die ganze Zeit arbeiten und Geld ist immer ein Thema. Man kann sein Leben nicht leben, und deshalb ziehen viele Menschen nach Berlin. Weißt du, jetzt gibt es einen beliebten Aufkleber, der sagt: „Unterstütze deine lokale Antifa, ziehe nicht nach Berlin“.

Ist das auch euer Ansatz?
Ran D: Ich bin ein Sohn von marokkanischen Einwanderern. Wir haben nicht die Papiere, um nach Europa zu ziehen, auch wenn wir es wollten. Aber trotzdem möchte ich immer noch denken, dass ein Teil davon daran liegt, dass ich dort sein will, wo es zählt. Der Kampf ist dort, wo meine Gemeinschaft ist.
Ran W: In Israel können wir zumindest mit unserer Musik und unseren Song etwas Einfluss üben.

Singt ihr deshalb auf Hebräisch?
Ran D: Die meisten israelischen Bands aus den 90er Jahren sangen auf Hebräisch. Um das Jahr 2000 herum kam das, was wir die „American Wave“ nannten, nicht über Politik reden, lasst uns einfach nur Spaßpunk machen. Die Songs waren hauptsächlich auf Englisch, mit tollen Bands wie „Not On Tour“ und „Kids Insane“, die ein internationales Niveau erreichten. Im Jahr 2018 geschah die so genannte Wiedergeburt des israelischen Punk mit Bands wie „Jarada“, Nidfakta, Tarbut Ra‘a und uns Helem, die alle zu einer Gruppe von Bands zusammenwachsen, die nur auf Hebräisch singen und es von Herzen tun und nur darüber sprechen, was los ist. Es geht nicht um Spaß, vielleicht werden einige der Rhythmen Spaß machen, aber wenn man sich die Texte anhört, will man sich in den in den Kopf schießen.

Wie ist es, Teil dieser linken DIY-Punk-Szene in Tel Aviv zu sein?
Ran D: Die Punk-Szene in Tel Aviv ist ziemlich klein. Um es so auszudrücken: Wenn Exploited oder The Addicts kommen würden, kämen 400 Leute zu den Shows. Bei einer normalen Wochenendshow kommen etwa 150 Leute. Die meisten von ihnen sind links und viele sind Aktivisten. Es sind die Menschen, von denen man weiß, dass man sich auf sie verlassen kann, die Menschen, mit denen man den Glauben teilt, von der Gesellschaft abgelehnt zu werden, aber trotzdem einen Scheiß zu geben. Wir sind immer noch größtenteils Teil der Gesellschaft, in der wir leben. Als ich aufwuchs, war die Szene geteilt zwischen denen, die wir früher geistlose Punks nannten, die sich mit Alkohol und Gewalt beschäftigen. Nicht, dass ich gegen Alkohol und Gewalt wäre, es ist das Beste! (lacht) Aber du solltest auch andere Dinge tun. Ich meine, man kann Teil der community sein, ohne politisch aktiv zu sein, aber sei zumindest Teil davon! Sei kein Arschloch, wenn du 14- oder 15-Jährige triffst, die zu Konzerten kommen!

Danke, dass ihr zugestimmt habt, dieses Interview zu machen! Wie war eure Tour in Deutschland?
Ran D: Wir hatten zwei Wochen mit zehn Shows zusammen mit ZSK. Diese ganze Sache begann damit, dass wir sie per E-Mail kontaktierten: „Hey, wollt ihr vielleicht zusammen mit uns spielen?“ Es war eine unglaubliche Erfahrung für uns! Wir sind es gewohnt, alles DIY zu machen, und wir kamen mit einer Band dieser Größenordnung auf Tournee. Der Bus, die Hotels und die Backstages waren etwas, das wir noch nie erlebt hatten. Und die Jungs waren super cool! Für uns war klar, dass man, wenn man berühmt ist, ein Arschloch wird, weißt du. Aber es sind tolle Jungs! Und wir danken allen, die uns empfangen haben, alle waren so nett und herzlich in Potsdam, in Leipzig und Hamburg. Wir waren sogar Headliner von manchen Show! Ein großes Dankeschön an ZSK und allen, die uns geholfen haben.

Interview: Rafael Ramón

#Titelbild: Matthias Zickrow

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Warum der freundschaftliche Besuch des deutschen Chefdiplomaten in Indien, Walter Lindner, beim Führer der hindufaschistischen „Rashtriya Swayamsevak Sangh“ gefährlich ist .

Vergangene Woche, am 17. Juli 2019 hat der Sozialdemokrat Walter Linder, deutscher Botschafter in Indien, den Hauptsitz der hindu-faschistischen Organisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) in Nagpur, Maharashtra besucht.

Auf einem Foto wurde festgehalten, wie Lindner der Statue des Mitgründers und ehemaligen Führer der RSS, K.B. Hedgewar, Respekt erweist, und die Füße der Skulptur berührt. Darüber hinaus wurden Bilder von Lindner veröffentlicht, die ihn mit einem Portrait von Hedgewars Nachfolger, M.S. Golwalkar zeigen. In Kombination ist das ist brisant. Denn M.S. Golwalkar hat begeistert die Rassenpolitik der Nazis unterstützt. Die RSS ist vom Hitler-Faschismus sowie dem italienischen Faschismus unter Mussolini inspiriert und fordert zu deren Nachahmung auf.

Pieter Friedrich, Experte für Südasien-Angelegenheiten, veröffentlichte noch am selben Tag eine Petition zur Abdankung von Walter Lindner aus seinem Amt als Deutscher Botschafter, die mittlerweile von 2500 Personen unterzeichnet wurde. Zentrale Forderung ist dabei „dass Botschafter Walter Lindner, zurücktritt“ und, „falls dies nicht gelingt, zurückgerufen wird.“ Außerdem wird „die sofortige Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas, um dieses Ziel zu erreichen“ gefordert.

In der Folge entwickelt sich dieses Treffen zwischen Walter Lindner und der RSS zu einem Skandal, woraufhin Pieter Friedrich am 21. 07. 2019 ein Video hochgeladen hat, in dem er das ideologische Bündnis zwischen RSS und Hitler-Deutschland aufzeigt und zu mehr Teilnahme an der Petition aufruft.

Der faschistische Charakter der RSS

Um zu verstehen, wieso dieses Treffen gefährlich ist, ist es notwendig in die Geschichte der RSS einzutauchen und dieses Treffen im Kontext indischer sowie deutscher Geschichte zu betrachten .

Als Indien noch unter britischer Kolonialherrschaft (1858-1947) stand, wurde 1925 die radikal-hinduistische Organisation RSS ins Leben gerufen. Diese zunächst kleine Gruppe aus 17 Mitgliedern, wurde von dem Arzt Keshav Baliram Hedgewar in der zentralindischen Stadt Nagpur gegründet. Aktuell ist sie mit 5 Millionen Mitgliedern eine der größten Freiwilligenorganisationen weltweit. Die RSS ist eine hierarchisch strukturierte paramilitärische Organisation, die von einer Person, dem sarsanghachalak geführt wird. Die Führung ist meistens von einem Brahmanen besetzt, einem Mitglied der höchsten Kaste.

Ihre Ideologie basiert auf der Hindutva, einem politisches Konzept, das Indien zu einer Hindu-Nation formieren möchte. Vinayak Damodar Savarkar hat 1923 in Nagpur, die Schrift „Hindutva: Wer ist ein Hindu?“ verfasst, in der er erstmals die Idee einer Hindu-Nation, Hindu Rashtra, formulierte, die Hindus als ursprüngliche Bevölkerung Südasiens sieht. Das Konzept geht von einer frühen geeinten Hindu-Gesellschaft aus, die nun in Indien durch religiöse Minderheiten wie Muslime und Christen bedroht ist. Damit ist Hindutva eine Gegenbewegung zum säkularen Staatsmodell, weclhes von Mahatma Gandhi zur Lösung des Konfliktes zwischen Hindus und Muslimen vorgeschlagen wurdet und das heute in der Verfassung manifestiert ist.

Eines der bekannten RSS-Mitglieder war der Hindu-Extremist Nathuram Godse, der mit Gandhis Bemühungen den Konflikt zwischen Hindus und Muslime zu schlichten, nicht einverstanden war und den 78-Jährigen auf dem Weg nach Neu-Delhi, am 30. Januar 1948 ermordete. Daraufhin wurde die RSS verboten. 1949 wurde dieses Verbot jedoch aufgehoben, da die RSS die Regierung überzeugte, Kultur- und Freiwilligenprojekte zu fördern.

Danach betrat die RSS erneut die politische Bühne und versuchte durch Kultur- und Hilfsprogramme für Dalits (die niedrigste Kaste), Menschen für sich zu gewinnen. Die RSS gründete zahlreiche Unterorganisationen, die Frauen, Jugend und Studenten repräsentieren soll. Auch leitet die RSS tausende von Schulen in Indien, um das Hindu-Sein zu verbreiten und die Erziehung von Kindern und Jugendlichen möglichst früh zu beeinflussen.

Prof. Dr. Parnal Chirmuley, Professorin für Deutschlandstudien an der Jawaharlar Nehru University (JNU) Delhi, erklärt in ihrem englischsprachigem Artikel „Far from being indigenous, RSS has championed chauvinist ideas from Europe“ (2018), wie fasziniert RSS tatsächlich von europäischen Faschismus war. Die RSS und die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) stellen sich jedoch als wahrhaftig indigen dar, als der Kern Indiens – während linke Intellektuelle, Frauen-, Dalit- und Bürgerrechtsbewegungen von westlichen Gedanken beeinflusst seien und dabei das „wahre Indische“ unterdrücken.

All jene Gruppen seien deshalb, so die RSS, anti-national, anti-indisch und müssten beseitigt werden, da sie eine Gefahr für Indien darstellen. Kavita Krishnan, Sekretärin der All India Progressive Women‘s Association sowie Mitglied des Politbüros der Communist Party of India (Marxist-Leninist) beschreibt in ihrem ihrem ebenfalls englischsprachigem Artikel „Getting India Wrong“ (2017), wie die RSS mit britischen Kolonialisten kollaborierten. Beispielsweise hat Savarkar der britischen Besatzung während seines Gefängnisaufenthaltes versprochen, loyal zu britischen Kolonialmacht zu sein (aus einem Brief von November 24, 1913). Auch Shyama Prasad Mukherjee, Minister von Bengal, hat den Briten geholfen das Quit India Movement (eine Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten) zu bekämpfen.

Die ideologische Verbundenheit der RSS mit dem europäischem Faschismus zeigt auch ein Treffen zwischen B.S. Moonje, ein früher Verbündeter und Mentor von K.B. Hedgewar und der erste Präsident der 1915 entstandenen Rechtspartei Hindu Mahasabha, und Benito Mussolini. Moonje besuchte Mussolini in Italien und schaute sich faschistische Militärakademien an. Dies alles ist in Moonj’s Tagebuch dokumentiert, Teile davon sind online zu lesen. Moonje beglückwünscht Mussolini für die heranwachsende faschistische Jugend und die Militärorganisation. Indien bräuchte ähnliche Organisationen. Zurück in Indien propagierte er eine Militarisierung der hinduistischen Gesellschaft Indiens, orientiert am Beispiel der faschistischen Jugendorganisationen in Deutschland und in Italien.

Besonders in den 1930er-Jahren war die Diskussion um eine Hindu-Militarisierung sehr prominent. Hedgewar organisierte 1934 eine Konferenz mit Mussolini, in der Moonje die abschließende Rede hielt. Die Militarisierung und Faschisierung sollte schon sehr früh in der Jugend beginnen.

Madhav Sadashiv Golwalkar, der 1940 der zweite sarsanghachalak der RSS wurde, sprach sich mit Faszination für die Nazis aus. Besonders begeisterte ihn die NS-Rassenpolitik gegenüber Jüd*innen. Dies wäre ein Model, von dem Indien profitieren könnte, suggerierte er. Die drei größten internen Bedrohungen für ihn waren Muslime, Christen und Kommunisten. Er lobte Nazi-Deutschland als Vorbild für „Rassenehre“, an dem Indien sich ein Beispiel nehmen sollte.

Golwalkar schrieb in seinem Buch „We or Our Nationhood Defined“ (1939): „Die fremden Rassen in Indien müssen entweder Hindu-Kultur und -Sprache annehmen, die hinduistische Religion respektieren und als Referenz betrachten, sie müssen alle Ideen fallen lassen, außer jener der Verehrung für die Hindu-Rasse und Hindu-Kultur, also für die Hindu-Nation und so ihre separate Existenz aufgeben und sich in die Hindu-Rasse verschmelzen, oder sie können zwar im Land bleiben, aber der Hindu-Nation völlig unterworfen, ohne etwas zu fordern, ohne irgendwelche Privilegien, viel weniger noch irgendwelche Vorteile, ja nicht einmal Bürgerrechte. (…) Der deutsche Rassenstolz ist heute das Thema des Tages geworden. Um die Reinheit seiner Rasse und Kultur zu erhalten, schockierte Deutschland die Welt durch die Säuberung des Landes von der semitischen Rasse – den Juden. Rassenstolz zeigt sich hier in seiner höchsten Form. Und Deutschland hat auch gezeigt, wie unmöglich es für Rassen und Kulturen, deren Differenzen bis an die Wurzel gehen, ist, in ein vereintes Ganzes assimiliert zu werden – eine gute Lektion für uns in Hindustan, von der wir lernen und profitieren können.“

2006 versuchte die RSS sich von diesen Schriften Golwalkar’s zu distanzieren, doch ihre Taten sprechen nicht dafür. Die Organisation führt Kampagnen durch – beispielsweise die Kampagne „inner faith love“ -, die sich an Nazi-Ideologie und den Rassengesetzen der Jim-Crow-Ära anlehnen.

Einfluss in der Regierungspartei

Der Hindunationalist Narendra Modi wurde 2014 mithilfe von RSS-Kampagnen zum 15. Premierminister Indiens gewählt. Islamophobe Gewalt war für seinen Erfolg und seine Wahl ein großer Faktor. Durch die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Partei (BJP), die Partei Modis, versucht die RSS die Politik zu bestimmen. Der Premierminister Modi, der Präsident Ram Nath Kovind und einige Mitglieder des Indischen Kabinetts sind ebenfalls RSS-Mitglieder. Schon 2001 machte die RSS Wahlkampagnen für Modis Wahl als Chief Minister für den Bundesstaat Gujarat.

Modi lässt sich in politischen Angelegenheiten von der RSS beraten, die folglich effektiv Einfluss nehmen kann. Bis Juli 2015 hat sich die RSS aus der Politik öffentlich zurückgehalten. Man wollte eher als eine moralische Kraft gesehen werden, denn als politische. Doch als Modi Premierminister wurde, wuchs der RSS-Einfluss und die Gruppe heizt heute Lynchmorde von Muslimen unter verschiedenen Vorwänden an. Modi beteuerte, dass er ein stolzes Mitglied der RSS sei. In den Parlamentswahlen von April-Mai 2019 in Indien gewann die BJP-Partei landesweit die absolute Mehrheit der Wahlkreise (303 von 543) und eine absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus (545 Sitze). Damit gewinnt die RSS an Bedeutung und ihr politischer Einfluss befindet sich momentan auf dem Höhepunkt.

Die RSS hat jetzt das Ziel, mehr Befürwortung, Legitimation und Respekt zu erlangen. Krishnan beschriebt dies im Gespräch mit dem LCM: „Sie laden zahlreiche wichtige politischen Personen ein, um sie zu besuchen, wie beispielsweise den ehemaligen indischen Präsidenten Pranab Mukherjee, Nobelpreisträger Kailash Satyarthi, und nun den deutschen Botschafter!“

Mit dem wachsenden Einfluss der RSS in der Politik und Modi als stolzem RSS-Mitglied fühlen sich religiöse Minderheiten in Indien, Christ*innen und Muslim*innen, eingeschüchtert. Mehr als 14 % der Inder*innen bekennen sich zum Islam. Sie sind die größte religiöse Minderheit in Indien.

Walter Lindners Besuch

Deutschland hat nach wie vor ein Problem mit Rassismus, mit Faschismus, mit Neonazis. Über die Pogrome der 1990er-Jahre über den NSU-Terror bis zum gegenwärtigen Erstarken offen rassistischer Kräfte zieht sich das deutsche Versagen, seiner Verantwortung aus dem Imperativ „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ gerecht zu werden.

Ein deutscher Diplomat für Indien, der Deutschland mitsamt seiner brutalen Geschichte repräsentiert, besucht – während daheim Neonazis erstarken und sich im halben Staatsapparat festgesetzt haben – die Hauptzentrale der RSS, die Nazi-Ideologie verherrlicht. Auf einem von Lindner hochgeladenem Foto auf Twitter ist zu sehen, wie er sich vor der Statue M.S. Golwalkars verbeugt und seine Füße berührt. Sich in Indien vor jemandem zu verbeugen und die Füße zu berühren, demonstriert außerordentlichen Respekt, da die Füße als das unreinste Körperteil gelten und man bereit ist, selbst diese Stellen zu würdigen. Die Geste Lindners ist außerordentlich inakzeptabel.

Aber mehr als das: Die RSS bezieht aus genau solchen Besuchen europäischer Diplomat*innen ihre Legitimation und verschafft sich dadurch Respekt. Es geht nicht wirklich um die Personen an sich, um Walter Lindner, oder die Person Mohan Bhagwat. Diese Personen halten ein bestimmtes Amt inne, das an Macht gekoppelt ist. Sie sind verantwortlich für die Repräsentation dieser Postionen und Ämter. Der deutsche Botschafter ist nicht frei von Verantwortung. Für ein Land wie Deutschland, das immer noch seine Vergangenheit aufarbeiten muss, ist es sehr beunruhigend, einer Organisation Legitimation zu verschaffen, die historisch nachweisbar Nazi-Ideologien und faschistische Charakterzüge haben. Dies bewirkt nur, dass solches faschistisches, menschenfeindliches Gedankengut weiterhin unterstützt und toleriert wird.

Zudem aber bestärkt Lindner damit auch jenes Klima des Terrors, das die Hindunationalist*innen schaffen wollen. Vor allem seit der absoluten Mehrheit der BJP verspüren viele Minderheiten Angst, dem faschistischen Hindunationalismus ausgesetzt zu sein. Die antimuslimische Rhetorik war schon immer da, doch sie hat jetzt einen Höhepunkt erreicht, erklärt Dr. Chirmuley gegenüber dem LCM. Öffentliche Lynchmorde von Muslim*innen in Indien werden toleriert, wie kürzlich der Mord an Tabrez Ansari im Juni 2019, der von einer Gruppe von Männern zu Tode geprügelt wurde, die ihn davor zwangen, rechte hinduistische Parolen zu rufen.

Es bleibt nicht nur bei einem Treffen zwischen einem deutschen Botschafter und dem RSS-Führer. Dieses Treffen wird Konsequenzen haben. Die Legitimation und der Respekt für solche Organisationen, die Genozide von Minderheiten befürworten und öffentliche Lynchingmorde zu verantworten haben, wird wachsen. Dafür ist auch Walter Lindner verantwortlich.

Und wenn letzterer nun versucht, sich zu verteidigen, indem er bekundet, er habe nur das „indische Mosaik verstehen“ wollen und sei rein aus Bildungszwecken bei den Faschisten zu Besuch, ist dem die Antwort Krishnans entgenzuhalten: „Warum sind Faschisten Teil eines „Mosaiks“, wenn es um Indien geht? (…) Sie hätten Dalits, Arbeiter*innen, Frauenbewegungen treffen müssen. Das haben sie nicht. Sie haben sich Nazis ausgesucht. (…) Ist Deutschland offiziell einverstanden, einen Nazi-liebenden, Muslimen-hassenden Fanatiker zu ehren?“

#Titelbild: Aufmarsch der RSS, Quelle: Wikipedia

Anmerkung

Dieser Artikel ist aus Gesprächen mit Kavita Krishnan, Sekretärin der All India Progressive Women‘s Association sowie Mitglied des Politbüros der Communist Party of India (Marxist-Leninist), sowie Prof. Dr. Parnal Chrimuley der Jawaharlar Nehru University (JNU) des Zentrums für Deutschlandstudien entstanden.

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Am 20. Juli passiert alle Jahre wieder das Gleiche, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Hitler-Attentäter wird über den grünen Klee gelobt. „Diejenigen, die am 20. Juli gehandelt haben, sind uns Vorbild“ erklärte dieses Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich am 13. Juli in einer Videobotschaft. Und auf den ersten Blick erscheint das auch mehr als nachvollziehbar den Grafen als Vorbild zu feiern. Der Oberst der Wehrmacht Stauffenberg hatte am 20. Juli 1944, knapp ein Jahr vor der krachenden Niederlage der Deutschen im zweiten Weltkrieg, versucht Hitler zu töten. Eine von ihm platzierte, in einem Aktenkoffer versteckte Bombe ging bei einer Besprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze in die Luft und tötete vier Personen. Hitler überlebte leider, wenn auch leicht verletzt. Der angestrebte Staatsstreich gegen ihn scheiterte und die Verschwörer vom 20. Juli wurden hingerichtet.

Die Verehrung für Stauffenberg geht so weit, dass er mittlerweile zu dem Symbol für den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geworden ist, so weit, dass in der linksliberalen taz ein Text zur Legitimität antifaschistische Gewalt heute mit „Aus heutiger Sicht wäre man gerne Claus Schenk Graf von Stauffenberg gewesen. Ein mutiger Mann, der bereit war, alles zu riskieren, um Hitler zu beseitigen“ eingeleitet wird. Aber warum gerade Graf Stauffenberg? Was ist zum Beispiel mit Georg Elser, dem Handwerker, der schon am 8. November 1939 also schon fünf Jahre vor Stauffenberg versucht hatte Hitler in die Luft zu jagen? Stauffenberg war ja nicht nur gescheiterter Hitler-Attentäter, sondern hatte auch eine „großdeutsche, reichsbezogene, völkische Denkweise, die revisionistische Tendenz und schließlich die Faszination durch alles, was aussah nach Tat, nach Ruhm, nach Größe“, so Harald Steffahn in einer sehr wohlwollenden Biografie über ihn.

Stauffenberg hatte die antisemitische und rassistische Denkweise der NS-Faschist*innen verinnerlicht. Nach dem Überfall auf Polen, den er zuvor noch als „Erlösung“ bezeichnet hatte, schilderte er in einem Brief an seine Frau die Situation in den eroberten Gebieten: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ Für das große Deutschland war der Krieg in Ordnung, die Unterwerfung der minderwertigen Slawen nur gerecht.

Im Gegensatz zu Georg Elser, der den Krieg hatte verhindern wollen, waren Stauffenberg und seine Verschwörer mit wehenden Fahnen in den Krieg gezogen. Erst 1944, nachdem der Krieg faktisch schon verloren war, die Sowjetunion immer weiter vorrückte und die Westallierten in der Normandie gelandet waren, erst dann kamen die Militärs auf die Idee, dass der Krieg – und nicht der Faschismus, nicht die Vernichtung allen jüdischen Lebens, nicht die Ermordung von Oppositionellen – vielleicht doch nicht so gut sein könnte. Hitler sollte beseitigt werden, weil er mit seinem Versprechen, Deutschland groß zu machen gescheitert war, weil die Kriegsführung nicht effizient war. Die Größe Deutschlands und deren Rettung war dann auch schließlich das Hauptmotiv für den Sinneswandel Stauffenbergs, weg vom Unterstützer des Krieges, hin zum Verschwörer gegen Hitler. Nachdem er in Tunesien verwundet wurde, soll er im Lazarett gesagt haben „Es wird Zeit, dass ich das deutsche Reich rette.“ Dementsprechend war der Plan nach dem Attentat auch nicht ein Mal die Errichtung einer liberalen Demokratie (von einer freien Gesellschaft ganz zu schweigen), sondern eine Militärdiktatur, die günstige Friedensbedingungen mit Allierten aushandeln sollte.

Unter den vielen Beteiligten am Attentat auf Hitler – „Diejenigen, die am 20.Juli gehandelt haben“ – war Stauffenberg selber noch einer der politisch Korrekteren, manche seiner Mitverschwörer waren Faschisten und Antisemiten der übelsten Sorte:

Arthur Nebe etwa, der ebenfalls wegen seiner Beteiligung an der Verschwörung hingerichtet wurde, seines Amtes SS-Gruppenführer und Reichskriminaldirektor. Er war an der Ermordung von 40.000 Menschen beteiligt, besorgte Giftgas für die Ermordung von Behinderten und war an zahlreichen Massakern von russischen Juden beteiligt. Ein weiterer Mitverschwörer, Wolf-Heinrich von Helldorff, Polizeipräsident von Berlin war schon 1933 Abgeordneter des NSDAP und ging in deutscher Bürokratenmanier gegen Jüd*innen in Berlin vor, wofür er von Goebbels höchstpersönlich Anerkennung fand: „Auf diese Weise treiben wir die Juden in absehbarer Zeit aus Berlin heraus.“

Warum also trotz alledem Stauffenberg und der 20. Juli? Es geht hierbei nicht um die Person Stauffenberg, sondern um das was sein Widerstand verkörpert. Georg Elser erinnert die Deutschen daran, dass die Shoa und der Krieg hätten verhindert werden können, dass selbst ein proletarischer Kunstschreiner 1939 genug Klarsicht haben konnte, die Kriegspropaganda zu durchschauen, während das deutsche Bürgertum entweder freudig abhitlerte oder schweigend zusah, wie jüdische Nachbar*innen verschwanden. Die kommunistischen Widerstandsgruppen waren eben Kommunist*innen und für antikommunistische bundesdeutsche Identitätsstiftung nie besonders gut geeignet. Und die Edelweißpiraten waren Pöbel.

Stauffenberg war all das nicht. Der Adlige bietet sich damit für die Ehrenrettung der Gesellschaft an, aus deren Schoß der Faschismus geboren wurde. Stauffenberg ist nicht Symbol des deutschen Widerstands, obwohl er deutschnational, rassistisch und völkisch war, sondern gerade deswegen. Er ist die Versicherung dessen, dass man gegen Nazis sein kann und gleichzeitig die bestehenden Verhältnisse nicht in Frage stellen muss; dass man mitschwimmen und mitmachen kann solange es halbwegs gut geht; die Augen verschließen kann und sich aus den falschen Gründen, mit den falschen Zielen für eine heldenhafte Tat entscheiden kann um die Dinge gerade zu rücken. Er ist die Bestätigung dessen, dass der gesellschaftliche Normalzustand in Ordnung ist, dass die kapitalistische Zivilisation nur vor einer einfallenden Barbarei beschützt werden muss und dass dafür ein höheres Wesen als Retter dienen kann.

Echter Antifaschismus sieht anders aus. Oder um es mit Max Horkheimer zu sagen: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Stauffenberg mag zwar versucht haben Hitler zu beseitigen, ein Antifaschist war er aber nicht und als Vorbild taugt er ganz und gar nicht.

#Titelbild: Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit Stahlhelm, Bundesarchiv, Bild 183-C0716-0046-003 / CC-BY-SA 3.0

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Bei einem rechten Terrorangriff auf Muslime im neuseeländischen Christchurch wurden heute 49 Menschen brutal und feige ermordet. Die Tat hat einen klar politischen Hintergrund. Und auch, wenn man sich – wie so oft bei weißen Terroristen – medial bemüht, den Täter zu pathologisieren und für unzurechnungsfähig zu erklären: Der 28-jährige australische Faschist Brenton Tarrant handelte motiviert von einer Weltanschauung, in der Muslime als „Invasoren“ markiert und zum Abschuss freigegeben werden.

Mehr noch: Die Weltanschauung des Massenmörders ähnelt der vieler unserer Zeitgenossen hier in diesem Land. Die Überschneidungen mit den sich bürgerlich gebenden Identitären oder den Sprechern diverser Lynchmobs in spe von Pegida bis zur Pro-Bewegung sind offenkundig. Und Passagen des Manifests des Rechtsterroristen – betitelt »The Great Replacement«, die große Verdrändung – könnten aus den Twitter-Accounts beliebiger AfD-Parlamentarier kopiert sein. In wie vielen verkommenen Hirnen aus diesem Spektrum gerade nicht nur klammheimliche Freude herrscht – die Antwort könnte uns alle verunsichern.

Darüber hinaus: Die Weltanschauung, die den Faschisten Brenton Tarrant motivierte, ähnelt nicht nur jener der vom liberalen Mainstream (noch) als zwar clickbringende, aber doch nicht sehr seriöse Schmuddelgestalten gehandelten offenen Rechtsauslegern. Sie ist salonfähig bis in die Redaktionsstuben der Qualitätsmedien. Als ~ kontroverse ~ Ansicht in den Meinungsspalten vermarktet oder durch reißerische Überschriften nachrichtlicher Texte in die Gesellschaft gepumpt, existieren viele jener Elemente, die (nicht nur) diesen Terroristen antrieben, in den gläsernen Hallen der Regentschaft Ulf Poschardts (Die Welt), Julian Reichelts (Bild) oder Helmut Markwarts (Focus). Und auch die noch nobleren Damen und Herren – Spiegel, Die Zeit – fabrizieren gelegentlich das ein oder andere Islam-Angst-Cover oder laden die Gaulands dieser Welt aufs Podium. Weniger aus Überzeugung, aber doch aus Gleichgültigkeit und weil‘s sich lohnt.

Rechtsterroristen handelt in einem gesellschaftlichen Klima. Dieses Klima gibt ihnen die Möglichkeit, sich als Vollstrecker des Volkswillens zu haluzinieren. Jene, die diese Atmosphäre befeuern, die die Breiviks und Tarrants trägt, könnten sich jetzt auch ihre geheuchelten Beileidsbekundungen sonstwohin schieben.

Denn schon ab morgen werden sie wieder vom »Asylchaos« und den »kriminellen Ausländern« titeln. Sie werden wieder die offenen und weniger offenen Rassisten unkommentiert zu Wort kommen lassen – wenn sie nicht gerade ohnehin auf deren Geburtstagsparties beim Stelldichein weilen. Und sie werden den Layoutern reißerische Titelseiten in Auftrag geben, die dem kaufwilligen Kunden so richtig unter die Haut gehen.

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