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Mordende und um sich schlagende Nazi-Skins in den 90ern – darüber wurde doch schon alles gesagt, höre ich Euch bei dieser Headline sagen, oder?

Es wurde viel gesagt, das stimmt. Aber so vieles schlummert noch in den Köpfen. In den Köpfen der Opfer, in den Köpfen der Angehörigen, in den Köpfen von uns Zeug*innen und hoffentlich auch in den Köpfen der Mörder*innen, die oft nur eine milde Haftstrafe bekamen oder einfach so davon kamen.

Mich bewegt diese Zeit auch noch 30 Jahre später. Deswegen möchte ich Euch meine Geschichte erzählen.

Mein Baseballschlägerjahr spielte sich eigentlich erst 1995 ab, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, als Mutti und ich an einem Sommertag 1992 mit unserem Ford Fiesta in unseren Schrebergarten nach Lichtenstein/Sachsen fuhren. Ich wuchs in Westsachsen auf – zwischen Chemnitz und Zwickau – dem Sumpf in dem der NSU entstand. Ich war damals 14 und mein kleiner Bruder war 5 und nahm an diesem Tag auf dem Rücksitz Platz. Papa war nicht dabei und ich durfte den Beifahrer mimen.

An der Eisenbahnunterführung in Sankt Egidien fuhr unser Auto direkt in einen wütenden Mob grüner Bomberjacken und Mutti ging hart auf die Eisen. Es waren bestimmt 50 Boneheads mit Baseballschlägern. Ich wusste zwar um die Existenz dieser Nazisubkultur, die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock Lichtenhagen waren präsent – aber in der Nähe unseres Dorfes? Mutti wurde sichtlich nervös, das merkte ich sofort. Wir bekamen Beachtung und ernteten böse Blicke, da Mutti, wie gesagt, beinahe in den Mob gebrettert war. Ich hatte Angst, checkte aber, dass deren tatsächliche Wut nicht uns galt, sondern wem anders. Ich löcherte Mutti den Rest des Tages mit Fragen. Sie antwortete, dass es in Sankt Egidien ein „Asylantenheim” in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs gab und dass scheinbar Nazis aus dem Umland mit dem Zug kamen, um das Camp anzugreifen. Sankt Egidien nahm damals Bürgerkriegsflüchtende aus dem ehemaligen Jugoslawien auf. Es kann sein, dass die Lokalzeitung „Freie Presse“ am Montag darauf in einer Randnotiz über den Überfall berichtete.

Wenige Monate später entdeckte ich Punk als Subkultur und begann mich darin zu verlieben. Meine Anwesenheit im Leipziger „Conne Island“ lehrte mich, dass es auch RASH und SHARPS in der Skinhead-Bewegung gab. Ich kleidete mich der linken Subkultur entsprechend. Ich sog Hardcore-Musik und Deutschpunk auf. In unserer Dorfdisko in Falken bekamen Freunde regelmäßig von Zwickauer Nazihools auf die Fresse, lagen zusammengeschlagen im Dorfbach und entkamen nur knapp dem Tod. Ich bekam auf dem Limbacher Stadtparkfest von der „Legion88“ „lediglich” ‘ne Ohrfeige. Irgendwie hatte ich immer Glück.

Ich lernte das „Café Taktlos“ in Glauchau und die „Alte Schule” in Kändler mit den Punx vom „Autonomen Brenn-Kommando“ kennen. Westsächsische „Antifa-Brutstätten” – direkt neben HooNaRa-Chemnitz (Hooligans-Nazis-Rassisten, die in sämtlichen Großraumdiskotheken als Firma „Haller Security“ Bouncer stehen hatten, oder das Pressefest der „Freien Presse” sicherten. In den späteren 90ern dann gewährten sie dem NSU-Trio Unterschlupf) und der „Glatzenhochburg” Meerane. Dieses Wort stand da jahrelang über dem Ortseingangsschild. Es gab Gerüchte, dass die Meeraner Faschos einen verrückten Blood & Honour Typen namens Billy aus UK bei sich hatten, der in der Nazidisco Remse immer mit Machete bewaffnet war.

Ich bewunderte den Mut von meinen Antifakumpels „Abbas“, „Fanta“ und „Van Gogh“ aus diesen Brutstätten. Ich ziehe noch heute meinen Hut vor ihnen, denn sie retteten Leben. Was Nazigewalt in dieser Zeit betrifft war man auf sich gestellt. Es gab keine Cops -vor allem nicht im sächsischen Hinterland. In der Übergangszeit 1990 bis 1992 gab es zwar noch den ein oder anderen ex-Abschnittsbevollmächtigten (ABV), der mit neuer Cop-Uniform auf altem Schwalben-Moped tagsüber für Sicherheit sorgte, aber sonst gab es nix.

In Städten wie Penig oder Chemnitz wurden bei RAC-Konzerten („Rock against Communism“) schon damals Gelder für den „Nationalsozialistischen Untergrund“ generiert, so wissen wir jetzt. Im beschaulichen Waldenburg fanden in den Wäldern Wehrsport-Übungen für Nazis statt. „Manole“ (Ralf Marschner) aus Zwickau spitzelte für den Verfassungsschutz und war Arbeitgeber für Mundlos und Zschäpe. Bandmitglieder von Nazibands wie Bomber tauchten auf unseren Konzerten auf. Es gab Diskussionen, Handgemenge und immer wieder auf die Fresse. Irgendwie ertrugen wir das alles. Wer Arsch in der Hose hatte, teilte aus.

Der 25. Mai 1995 aber war härter, traumatisierender und prägender. Es war einer „dieser 90er-Jahre-Männertage” (Christi Himmelfahrt). Eigentlich wussten „wir”, dass wir bspw. Badestätten an diesem Sauf- und Rüpeltag mit garantierter Faschoglatzen-Präsenz meiden sollten. Aber das Wetter an dem Tag war so schön, dass auch ich mit meinen Hiphop-Kumpels auf einer Decke am Strand des Stausee Oberwald saß. Aus den Boxen lief leise 2Pac, die Birken blühten, ein warmer Wind wehte, die Sonne schien. Um uns herum waren Dutzend weitere Decken und glückliche Gesichter so weit das Auge reichte. Einige gingen baden. Wir alle kannten irgendwie einander. Fast unsere gesamte Schulklasse war auf diversen Decken verstreut. Es wurde laut gelacht.

Dann gegen Mittag gab es diesen Moment, den ich heute noch glasklar vor Augen habe. Wir saßen nicht weit von der Promenade entfernt und auf selbiger erblickte ich circa 30 Meter entfernt einen Typen mit Ganzkörper-Badeanzug in schwarz-weiß-rot und 20-Loch Doc Martens. Die Glatze spiegelglatt, eher muskelbepackt. Einen Baseballschläger in der Rechten. Er hatte locker ein Dutzend weitere Typen mit Baseballschlägern um sich herum. Sie schlenderten nicht, sondern gingen eher straight. Irgendwie schienen sie ein Ziel vor Augen zu haben. Um uns war es binnen zwei Sekunden totenstill. Wir vernahmen kein Windwehen mehr, 2Pac hörte auf mit Rappen. Das Lachen aller verstummte. Die Blicke aller auf den Decken Anwesenden wandten sich in Richtung Schlägertrupp. Alle ahnten, was uns blühen könnte.

Vorne an der Spitze ging ein weitaus jüngerer Typ und aus ihm schoss es auf sächsisch raus „Der wor’s!”. Er deutete mit seinem Zeigefinger auf eine Clique von circa drei Typen, die unweit von uns auf einer Decke saßen. Dann ging alles ganz schnell und das Dutzend rannte die verbliebenen 10 Meter auf selbige Clique zu.

Die Baseballschläger zeigten in Richtung Himmel. Ich erinnere mich nur noch, dass einer aus dem Dutzend in unsere Richtung rannte und uns wegscheuchte mit den Worten „Haut ab – hier gibt’s nüscht zu sehn!”. Im Nachhinein fiel mir auf, dass er so verdammt souverän war. Er lachte sogar irgendwie verschmitzt. Er hatte Null Panik. Er sah die Angst in unseren Augen -da bin ich mir sicher. Er machte dies auf alle Fälle nicht zum ersten Mal.

Meine Freund*innen und ich rannten in verschiedene Richtungen und von dem Zeitpunkt an erinnere ich mich an gar nichts mehr. Ich weiß nicht, wie ich nach Hause gekommen bin oder was ich in den nächsten Tagen erlebt habe.

Aus der angegriffenen Clique überlebte Peter T. diese Attacke nicht. Er wurde 24 Jahre alt, starb wenig später im Krankenhaus und hinterließ eine Partnerin und das gemeinsame Baby.

Peter wurde ermordet.

Wie wir später erfuhren, war er ein eher unpolitischer Typ und hatte wohl am Morgen „lediglich“ Zivilcourage gezeigt, als dieser erwähnte jüngere Typ Teppichhändler*innen mit Migrationsgeschichte auf der Promenade beschimpfte. Diese Widerworte wollte sich die Jungglatze wohl nicht gefallen lassen und holte wenige Stunden später Verstärkung.

Ich fahre heute noch an diesen Tatort und ich gedenke Peter. Es gibt keine Gedenktafel, aber viele Jahre später wurde der Mord von der Bundesregierung als „Todesopfer rechtsextremer Gewalt” anerkannt.

Die Zeug*innen-Vernehmung in der Bullenwache Hohenstein-Ernstthal dauerte viele Monate. Wir waren locker über 150. Ich erinnere mich daran, dass ich mich durch eine Fotomappe von circa 100 Glatzen wälzte. Ich meinte, mich an die Schlägervisage des Badeanzug-Skins zu erinnern und so wurde ich dann als Zeuge zur Verhandlung geladen. Diese fand erst ein knappes Jahr später statt. Da es so viele Angeklagte mit Pflichtverteidiger*innen gab, fand die Verhandlung im Polizeikino Chemnitz statt. Unter den Angeklagte waren viele, die ich aus Antifarecherche kannte. Viele davon aus der „Glatzenhochburg” Meerane. Viele meiner Freund*innen sagten auch aus. Keine*r von uns hatte gesehen, wer den letztendlich tödlichen Baseballkeulenschlag ausübte. Wir wurden trotzdem geladen.

Die Gerichtsdienerin bat mich bei Betreten des Gerichtssaals mein Basecap abzunehmen. Ich wollte meine Dreadlocks verstecken, um nicht als Zecke wahrgenommen werden. Ich hatte Angst. Unmittelbar neben mir saß UK Billy auf der Anklagebank. Er musste es sein. Er hatte diese Tattoos, die damals keine Kartoffel haben konnte.

Meine Anschrift wurde vom Richter verlesen. Sämtliche Anwält*innen schrieben mit. Ich hatte noch mehr Angst. Ich musste frontal auf der Kinobühne Patz nehmen, da ich bei meiner früheren Aussage ja zu Protokoll gegeben hatte, einen erkannt zu haben. Vor mir bauten sich nach und nach alle Angeklagten auf. Ich traute mich nicht, ihnen in die Augen zu schauen. Ich hatte unbeschreibliche Angst. Es zog sich über 15 Minuten. Ich erkannte niemanden, auch nicht den Badeanzug-Fascho. Der Richter entließ mich aus dem Zeug*innenstand. Mir zitterten die Knie. Da ich der letzte Zeuge vor der Mittagspause war, gab er noch durch das Mikro bekannt, dass jetzt 30 Minuten Mittagspause anstehe und die Verhandlung unterbrochen sei.

Alle standen zeitgleich auf und steuerten die einzige Ausgangstür an. Sie schienen Hunger zu haben. Ich suchte nach der Gerichtsdienerin. Ich bildete mir wahrscheinlich ein, dass sie in dem Moment meine Bezugsperson sei. Ich wusste nicht, was ich jetzt machen soll. Ich war wie gelähmt. Ich fragte eine random sächsisch-Person im Raum, was ich machen soll: „Nu mir ham jetze Mittogspause. Gehn könn se. Uff wiedorsehn”. Dann ging ich durch diese Ausgangstür und direkt davor fand ich mich inmitten des Mobs wieder. Sie umringten einen Bauchladen-Bockwurstmann. Kein Scheiß! Einer der Boneheads klopfte mir auf die Schulter und flüsterte leise “Gut gemocht Kleenor!” in meine Richtung. Ich ging zu meinem Auto und weinte.

Billy musste drei Jahre und 10 Monate ins Gefängnis. Er hatte scheinbar Vorstrafen. Alle anderen wurden freigesprochen. Es wurde natürlich nicht ermittelt, wer den tödlichen Schlag verpasste. Eine damals angeklagte Person ist heute in der „Glatzenhochburg“ ein angesehener Mensch in der Zivilgesellschaft, so wurde mir zugetragen. Viele wissen um seine Vergangenheit. Er sei ein guter Arbeitgeber. Ich hoffe, dass auch er sich an den „Männertag 1995“ so glasklar erinnert wie meine Freund*innen und ich.

Auf einem Klassentreffen 2022 erzählten wir Zeug*innen einander unsere Wahrnehmung 30 Jahre nach dem Vorfall und es tat so gut zu reden. Eine Freundin sagte mir, dass sie jedes Mal, wenn sie das Kind von Peter sieht, an diesen Tag erinnert wird. Ich hoffe, dass Ihr Eure Wahrnehmung auch ein bisschen in meinen Zeilen wiederfindet? Denn ich habe diese Zeilen auch für Euch geschrieben.

Ruhe in Frieden Peter!

Hupe (Februar 2023)

# Titelbild: Del Zomber

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Gastbeitrag der Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen!“

Der diesjährige „Tag der Ehre“ in Budapest fand auch außerhalb antifaschistischer Kreise in der BRD erhöhte Aufmerksamkeit. Grund dafür war jedoch nicht der paramilitärische Aufmarsch europäischer Neonazis mit SS-Symbolen. Vielmehr sorgte ein im Netz verbreitetes Video, das zeigte, wie mehrere Personen eine Person in Tarnkleidung angriffen und zu Boden brachten, für Aufsehen. Nach mehreren Festnahmen in Budapest folgte eine mediale Hetzjagd, ausgelöst durch die Bild-Zeitung, die die Namen der Festgenommenen veröffentlichte, denen vorgeworfen wurde, an insgesamt acht Angriffen auf Teilnehmer des Tags der Ehre beteiligt gewesen zu sein. Seitdem ist viel passiert: Es gab länderübergreifend mehrere Festnahmen, Identitätsfeststellungen, Öffentlichkeitsfahndungen, Razzien in Berlin, Leipzig, Jena und zunächst vier Personen in Untersuchungshaft, von denen zwei immer noch in Ungarn einsitzen. Dort wird die Repression von einer Hetze gegen den Antifaschismus an sich begleitet. Die größte regierungsnahe Zeitung des Landes “Magyar Nemzet” bezeichnete Antifaschismus als Terrorismus, „der von extremen, lebensfeindlichen Ideologien angetrieben wird“. Und weiter hieß es, es sei „eine moralische Pflicht, sich dem Antifaschismus entgegenzustellen“. Diese Äußerungen sind bezeichnend für die Medienlandschaft, die fast ausschließlich von Orban und seinem Umfeld kontrolliert wird.

Der „Tag der Ehre“- Ein faschistisches Vernetzungstreffen seit 1997

Um zu verstehen, warum der „Tag der Ehre“ ein legitimes Ziel in der Feindbestimmung aktiver Antifas ist, muss man sich mit der Geschichte dieses Nazi-Events vertraut machen. Der sogenannte “Tag der Ehre” existiert seit 1997 und ist ein wichtiges Ereignis für die Neonazis von Blood & Honour, Hammerskins und deren Sympathisant:innenkreis. Das Wochenende um den 11. Februar ist dem Gedenken an zwei Divisionen der Waffen-SS und einer SS-Gebirgsjägereinheit gewidmet, die sich im Dezember 1944 in Budapest vor der anrückenden Roten Armee verschanzten und einen kläglich gescheiterten Ausbruchsversuch aus dem Budapester Kessel unternahmen. In der Schlacht um Budapest starben auf Seiten der Wehrmacht und ihren ungarischen Kollaborateuren über 100.000 Soldaten. Das NS-Gedenken an den gescheiterten Ausbruch aus dem “Budapester Kessel” ist an diesem Wochenende nur eine Veranstaltung. Neben Rechtsrock-Konzerten steht am Wochenende ein 60 Kilometer langer Nachtmarsch auf dem Programm, der die Fluchtroute der Nazis nachzeichnet. Über 3.000 NS Nostalgiker:innen nahmen in diesem Jahr an der „Wanderung“ teil, die bei Neonazis beliebt ist, weil sie dort trotz eines offiziellen Verbots von SS-Symbolik und Hakenkreuzen ihre NS-Insignien weitgehend ungestört zur Schau stellen können. Der ungarische Tourismusverband “Hazajáró Honismereti és Turista Egylet” bewirbt und unterstützt die Wanderung „Kitörès” unter dem Slogan „Gedenken an die heldenhaften Verteidiger unseres Landes und Europas“. Dazu passend ist der nachträgliche Bericht über die Wanderung illustriert mit Bildern voller NS-Symbolik u. a. von einem Kontrollpunkt mit Hakenkreuzfahne und Hitler-Portrait.

Seit 1997 gibt es marginale Proteste gegen den Tag der Ehre von einer Handvoll engagierter Budapester Antifaschist:innen. Lokale Antifaschist:innen haben in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass das westliche Narrativ, das Victor Orban als personiifiziertes Problem ausmacht, zu kurz greift und die Kritik nicht auf seine Person reduziert werden sollte. Ein lokaler Aktivist, der die Proteste in diesem Jahr mitorganisiert hat, weist darauf hin, dass die liberale Demokratie in Osteuropa an der„kapitalistischen Hemisphäre“ nur eine „vorübergehende Erscheinung“ sei. Die Verhältnisse in Ungarn sind verfestigt autoritär. So sei es in Ungarn in den letzten 150 Jahren nur selten gelungen, die regierenden Parteien demokratisch abzulösen. Die Orban-Regierung sei das „natürliche Kennzeichen dieses semiperipheren Kapitalismus“. Tatsächlich ist das Regime in Ungarn sehr stark vom hegemonialen kapitalistischen System geprägt und mit ihm verbunden. Die Regierung Orban ist bemüht, diesen Kapitalismus möglichst geräuschlos zu verwalten. Das führt auch dazu, dass soziale Bewegungen wie die LGBTIQ-Bewegung oder die kleine Antifa-Szene möglichst klein gehalten werden sollen. Das kapitalistische System wird in Ungarn, wie auch in den meisten postsozialistischen Staaten Osteuropas nationalistisch und autoritär gemanaged. 

Auch geschichtspolitisch täuscht Orban die Menschen, indem er versucht, den Realsozialismus mit dem Faschismus gleichzusetzen.  Diese Umdeutung der Geschichte ist ein Versuch, von seinem maroden System abzulenken. Durch die Verbreitung rechter Narrative ist Ungarn eine der treibenden Kräfte des Geschichtsrevisionismus in Europa. Dies drückt sich in Budapest auch städtebaulich aus. So ließ Orban in den vergangenen Jahren nationalistische Denkmäler des Horthy-Regimes wie z.B. das Nationale Märtyrerdenkmal originalgetreu wieder aufbauen. Es hat seinen Grund weshalb sich Neonazis in Ungarn so wohl fühlen und mit keinerlei Gegenwind rechnen müssen. Das Motiv der Neonazi-Szene, die alljährlich zum Tag der Ehre pilgert, ist dem der ungarischen Regierung sehr ähnlich. Denn es geht ihnen darum, den Ausbruch aus dem Budapester Kessel als Akt der Verteidigung Europas gegen den Vormarsch der Kommunist:innen umzudeuten.

Der Tag der Ehre 2023 

In diesem Jahr gelang es durch antifaschistische Raumnahme mit zwei Gegenkundgebungen an der Burg, das Nazi-Gedenken von Blood&Honour und Legio Hungaria aus Budapest zu verbannen. Das Vorgehen der ungarischen Behörden steht im Kontext der erfolgreichen antifaschistischen Mobilisierung der letzten Jahre. Es ist den Nazis nicht mehr möglich, ihr ritualisiertes Gedenken in der Budapester Innenstadt abzuhalten, so dass das offizielle Nazigedenken in einen Wald außerhalb Budapests ausweichen musste. Damit wurde zum ersten Mal ein faschistisches Gedenken in der Innenstadt verhindert, was vor Ort als sehr großer Erfolg gewertet wird. Dieser Erfolg war auch nur durch den unermüdlichen Einsatz einiger lokaler Aktivist:en möglich, denen es in den letzten Jahren gelungen ist, ein internationales Netzwerk mobiler antifaschistischer Gruppen einzubinden.

Repression

Sinn und Zweck staatlicher Repression ist es, organisierte antagonistische Strukturen zu kriminalisieren und letztlich zu zerschlagen. Am Beispiel des Tags der Ehre in Budapest ist es deswegen folgerichtig, dass sowohl die ungarischen Behörden als auch im Wege der Amtshilfe die deutsche Polizei mit großem Ermittlungseifer den Widerstand gegen den Tag der Ehre verfolgen und kriminalisieren. In Ungarn liegt dies daran, dass der Gegenprotest nationale Geschichtsmythen wie die Unterjochung unter “zwei Diktaturen” in Frage stellt. Zudem liegt es in der Natur jedes Staates Organisation außerhalb des vom Staat vorgegebenen Rahmens zu verfolgen, unabhängig dessen, wie militant im Detail agiert wird. Vor diesem Hintergrund lehnen wir eine Einteilung in „gute“ und „böse“ Antifas ab. Wir solidarisieren uns mit allen, die sich gegen dieses geschichtsrevisionistische Gedenken an die Waffen-SS organisieren und aktiv werden. Die Repression darf nicht dazu führen, dass sich weniger Menschen an den Protesten gegen den Tag der Ehre beteiligen. Vielmehr sollten wir das gestiegene Interesse nutzen, um die faschistische Gefahr aufzuzeigen, die von diesem internationalen Faschist:innentreffen ausgeht.

Die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen!“ lässt sich von zunehmender Repression nicht einschüchtern, denn diese ist immer eine Begleitmusik antifaschistischer Arbeit. Wir werden weiterhin die Notwendigkeit des Aufbaus internationaler antifaschistischer Netzwerke forcieren und geschlossen auftreten.

Wir sammeln Spenden für von Repression Betroffene.

Konto: Netzwerk Selbsthilfe
Stichwort: NS Verherrlichung stoppen
IBAN: DE1210 0900 0040 3887 018
Kontakt: nsverherrlichungstoppen@riseup.net

# Titelbild: vvn-bda, Gegenprotest gegen den Tag der Ehre 2023

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Es ist erstaunlich ruhig geworden um den so genannten Neukölln-Komplex. Zeitweise berichteten die Medien in großer Aufmachung über die rechtsterroristischen Anschläge, die in dem Berliner Bezirk vor allem von 2016 bis 2019 für Angst und Schrecken sorgten. Dass vor dem Amtsgericht Tiergarten im August der Prozess gegen zwei mutmaßliche Haupttäter der Anschlagserie begonnen hat, die Neonazis Sebastian T. und Thilo P. (36 und 39 Jahre alt), sorgte zwar noch mal für Berichterstattung. Aber das Thema wurde eher pflichtgemäß abgehakt – zumindest bei den bürgerlichen Blättern und Sendern. Es waren, wie so oft, linke Zeitungen und Portale, die sich darum bemühten, die Hintergründe aufzuhellen. Etwa auf den Umstand hinzuweisen, dass sich die Ermittlungen zu der Anschlagsserie jahrelang hinzogen, während es bei linken Angeklagten oft sehr schnell geht.

Für etwas Aufregung sorgte der Umstand, dass das Amtsgericht Tiergarten zuerst Ferat Kocak, der für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus sitzt und einer der Betroffenen der Anschlagserie ist, nicht als Nebenkläger zuließ. Gleich zweimal lehnte die Vorsitzende Richterin einen entsprechenden Antrag ab. Seltsame Begründung: Der Linke-Politiker habe „keine körperlichen und seelischen Schäden“ davongetragen. Offenbar hielt es die Richterin für nicht weiter gravierend, dass Kocaks Auto in der Nacht des 1. Februar 2018 direkt vor dem Haus seiner Familie in Flammen aufging und zeitweise die Gefahr bestand, dass das Feuer auf das Haus übergreift. Und wie sich herausstellte, hätte eine Gasleitung explodieren können.

Zum Glück hatte das Landgericht Berlin als höhere Instanz ein Einsehen. Am 26. August kassierte es den Beschluss des Amtsgerichts und entschied, dass Ferat Kocak im Prozess zur Anschlagsserie doch als Nebenkläger auftreten darf. Damit war ein erneuter Antrag des Linke-Politikers erfolgreich. Zur Begründung führte Kocaks Anwältin, Franziska Nedelmann, unter anderem an, dass den Angeklagten T. und P. im Falle der Brandstiftung zu Lasten ihres Mandanten möglicherweise ein versuchtes Tötungsdelikt vorzuwerfen sei. Es sei nur einem glücklichen Zufall zu verdanken gewesen, dass die Gasleitung an der nahegelegenen Garage der Kocaks nicht durch die Flammen erfasst worden sei.

Das Landgericht Berlin schloss sich dieser Argumentation in seinem Beschluss teilweise an. Eine Tötungsabsicht der Angeklagten, so heißt es in dem Beschluss laut dem Rundfunksender rbb, sei „nicht so fernliegend“, als das dem geschädigten Kocak der Zugang zum Prozess als Nebenkläger verwehrt werden könne. Drei Tage später begann vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen die beiden Hauptangeklagten aus der Neonaziszene. Der Berliner Generalstaatsanwaltschaft wirft T. und P. unter anderem Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor. Nach Überzeugung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft sollen die beiden Angeklagten versucht haben, Menschen einzuschüchtern, die sich gegen Nazis engagieren.

Mitte September meldete die Deutsche Presse-Agentur, dass im Prozess das Verfahren gegen einen dritten Angeklagten abgetrennt worden. Im Fall des 38-Jährigen, dem Sachbeschädigung vorgeworfen wird, wolle das Amtsgericht bereits am diesem Mittwoch zu einem Urteil kommen. Gegen die beiden Hauptangeklagten werde die Verhandlung am 24. Oktober mit ersten Zeugen zu Brandanschlägen auf Autos von zwei Männern fortgesetzt. Geladen sei auch Kocak als einer der Betroffenen. Im Prozess habe sich das Gericht zunächst mit dem angeklagten Komplex zu Aufklebern und Zetteln sowie aufgesprühten Parolen mit „rechtsextremistischen Inhalten“ im Jahr 2017 befasst. Dem 38Jährigen, dessen Verfahren nun abgetrennt wurde, werde die Beteiligung an 17 solcher Vorfälle zur Last gelegt. Ursprünglich sei der Prozess gegen fünf Beschuldigte geplant gewesen, so die Agentur. Das Verfahren gegen einen 48Jährigen sei jedoch wegen Krankheit abgetrennt. Gegen einen 50 Jahre alten Mitangeklagten sei wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen eine Geldstrafe von 900 Euro per Strafbefehl ergangen. Dagegen habe er allerdings Einspruch eingelegt. Für den Prozess gegen P. und T. seien vier weitere Tage bis Ende November vorgesehen.

Während also die mutmaßlich für die Anschlagsserie verantwortlichen Neonazis endlich vor Gericht stehen, befasst sich parallel ein Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Neukölln-Komplex. Am 16. September war Ferat Koçak geladen. Er schilderte vor dem Ausschuss, wie viel Glück seine Eltern und er hatten, dass sie noch rechtzeitig aus dem Haus gekommen waren. Koçak sprach vor dem Ausschuss auch von Todesangst in der Tatnacht, wie er gegenüber dem Lower Class Magazine berichtete. Die Flammen des brennenden Autos seien bereits bis zum Dach des Wohnhauses hochgeschlagen, als sich die Familie habe retten können.

Zu diesem Zeitpunkt habe er noch gar nichts von der Gasleitung in der Garage gewusst, die zu explodieren drohte. Nur fünf Minuten später, so habe ihm ein Feuerwehrmann gesagt, wären er und seine Familie nicht mehr so zügig aus dem Haus gelangt. Diese Bilder aber blieben. Stets wachsam und in Alarmbereitschaft sei er seit dem Anschlag. Er habe die Abgeordneten gefragt: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie immer damit rechnen müssten, dass jemand einen Molotowcocktail durch die Scheibe wirft und die Eltern im eigenen Haus verbrennen?“ Dann habe er dem Ausschuss berichtet, dass er noch in der Tatnacht von einem Streifenbeamten nach „seinen Wurzeln“ befragt worden sei und ihm gesagt worden sei, dass der Brand auf einen „türkisch-kurdischen Konflikt“ zurückzuführen sein könnte. Kocak: „Dabei hätte ein Blinder mit Krückstock sehen müssen, dass der Anschlag auf mich und meine Familie einen rechten Hintergrund hatte.“

In Sicherheitsgesprächen mit dem Landeskriminalamt sei es aber fast nur um ihn selbst gegangen – sein politisches Engagement, seine „Kennverhältnisse“, seinen Tagesablauf. „Mir wurde vermittelt, dass keine unmittelbare Gefahr für mich bestehe“, erklärte Kocak gegenüber LCM: „Das war absolut widersinnig, denn auf der anderen Seite bekam ich vom LKA Verhaltenstipps, die genau das Gegenteil suggerierten: dass ich zum Beispiel Wegstrecken ändern oder den Schlafort regelmäßig wechseln sollte.“

Von Torsten Akmann, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Inneres, sei er im Ausschuss „angemacht worden“, erklärte Kocak weiter. Auslöser war, dass Kocak zuvor konstatiert hatte, dass die Polizei ein „Nazi-Problem“ habe. „Akmann hat sich darüber aufgeregt, dass ich damit einen Vergleich mit der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte gezogen hätte“, sagte Kocak: „Ich werde aber weiterhin Nazis Nazis nennen. Davon hält mich keiner ab.“ Noch unangenehmer als Akmanns Empörung sei für ihn bei der Befragung im Ausschuss aber das Vorgehen des AfD-Vertreters Antonin Brousek gewesen. Der ist – interessantes Detail am Rande – übrigens Richter am Amtsgericht a. D., wie es auf der Homepage des Abgeordnetenhaus heißt.

„Armselig“ nannte Kocak den Auftritt des Mannes in der Befragung. Dieser habe sich ereifert, dass er ihm doch den Namen seiner Eltern zu nennen habe, damit sie als Zeugen geladen werden könnten. „Ich bin natürlich nicht darauf eingegangen“, so Kocak, „daraufhin hat der AfD-Vertreter versucht, ein Ordnungsgeld zu erwirken, was aber durch den Ausschussvorsitzenden zurückgewiesen wurde.“ Der AfD-Mann habe natürlich provozieren wollen, er habe sich aber nicht aus der Reserve locken lassen, so Kocak gegenüber LCM.

Als weiterer Zeuge trat der Gewerkschafter Detlef Fendt in der Ausschusssitzung vom 16. September auf, der ein Jahr vor dem Anschlag auf Kocak bereits vom rechten Terror betroffen war. Er und seine Frau leben bis heute in der Neuköllner Hufeisensiedlung. In ruhigen, knappen Worten, beschrieb Fendt seine Erfahrungen. Sein Auto stand am 23. Januar 2017 auf der Straße in der Nähe des Wohnhauses in Flammen. Ein Nachbar habe ihn damals mit den Worten geweckt: „Du komm mal, dein Auto brennt.“ Kurz zuvor hatte das Auto der Neuköllner Bezirksstadträtin Mirjam Blumenthal von der SPD gebrannt. Fendt habe daraus geschlossen: „Ach, jetzt bist du dran.“ Schon zuvor waren neben seinem Gartentor Aufkleber der NPD und der Identitären Bewegung aufgetaucht. Fendt macht deutlich, was der Anschlag mit ihm gemacht hat: Seine Kinder trauten sich nicht mehr, bei ihm zu übernachten. Die Nazis beobachteten ihn weiter, erinnerten ihn regelmäßig daran, dass es sie noch gebe. Er lebe heute nicht mehr so unbefangen.

Im Mai 2022 brannte das Auto einer jüdischen Nachbarsfamilie. Diese war bereits am 9. November 2021 durch ein Hakenkreuz auf dem Gartentor „markiert“ worden. Fendt ist sich sicher, dass der rechte Terror schlicht weitergehe. Er berichtete dem Ausschuss, dass er des öfteren Anrufe auf dem Festnetz erhalte, wo sich niemand melde und dann einfach auflege: „Wer ist so hart, dass er das alles so durchzieht? Das gibt schon irgendwo nen Knick“, erklärte Fendt.

Wie Kocak berichtete auch der Gewerkschafter über sein mangelndes Vertrauen in die Behörden. Ihm sei vom Staatssekretär Akmann immer signalisiert worden, dass alles „ganz kurz vor der Aufklärung sei“ – doch bis heute ist nichts aufgeklärt. Fendt bemängelte, dass den Worten der politisch Verantwortlichen nichts Substanzielles folge: „Der Staatssekretär war bei uns, um zu sagen, dass die Staatsanwaltschaft die Fälle zusammenlegt. Da geht man zweimal hin, ein drittes Mal und dann kann man das nicht mehr hören“, sagte er im Ausschuss.

# Titelbild: Kim Winkler, 7. November 2020 – Demonstration “Rechte & rassistische Strukturen in Staat & Gesellschaft bekämpfen!” in Berlin

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Die Ablehnung der neuen Verfassung am 04.09.2022 hat die linke Bewegung in eine Mittelschwere Krise gestürzt. Wenn auch aufgrund von Umfragen absehbar war, dass der in einer verfassungsgebenden Versammlung ausgearbeiteten neuen Verfassung abgelehnt werden würde, war doch die Klarheit der Ablehnung mit 62 Prozent der abgegebenen Stimmen überraschend. Während sich viele Erklärungen auf die Lügenkampagne der chilenischen Rechten stützen, ist nach Einschätzung der revista crisis diese Niederlage vor allem eine Niederlage des linken Reformismus, wie der hier übersetzte Beitrag meint:

Das Referendum über eine neue Verfassung in Chile vom 4. September 2022 wird als schwere ideologische und materielle Niederlage für den lateinamerikanischen progresismo in die Geschichte eingehen. Der Ausgang des Referendums, der Ergebnis eines Prozesses ist, der im Oktober 2019 auf der Straße und 1973 mit dem Staatsstreich von Pinochet und der CIA begann, zeigt allerdings auf, dass das chilenische Volk nach jahrzehntelanger Schocktherapie den strukturellen Faschismus, vertreten von der den Chicago Boys nahestehende Bourgeoisie, offenbar internalisiert hat. Gleichzeitig bedeutet die Ablehnung eine durchschlagende Niederlage der selbsternannten “linken” Sektoren, die dank der Unzufriedenheit des Volkes an die Regierung gekommen sind und die historischen Fehler des lateinamerikanischen Progressivismus reproduziert haben.

Man muss in Erinnerung halten, dass der erste neoliberale Prozess in Lateinamerika in Chile stattfand, nach einem pro-imperialistischen Staatsstreich, bei dem die gröbste strukturelle Gewalt des Kapitalismus und seine auf dem Antikommunismus basierende politische Doktrin durchgesetzt wurden. Chile wurde zum sozialen und wirtschaftlichen Laboratorium für den sozialen Kontrollmechanismus schlechthin: die Schock-Strategie.

Der durchschlagende Sieg der Ablehnung der neuen chilenischen Verfassung zeigt eine tiefgreifende politische Fehleinschätzung seitens der Linken auf, die sich sehr bemüht hat, die Ablehnung des Neoliberalismus zu dienen zu kanalisieren, ohne in der Lage zu sein, Forderungen des Volkes zu erfüllen, die über die Logik des Kapitals hinausgehen. Die Ablehnung der neuen Verfassung offenbart einen Prozess des ideologischen Wiedererstarkens der chilenischen Ultrarechten, der von einer ultrakonservativen bürgerlichen Empörung getragen wird, das darauf abzielt, den Status quo im Lande zu erhalten. Chile ist einer der weltweit führenden Exporteure von Kupfer, Lithium, Silber und Jod. Die chilenische Oligarchie, die sich um den Bergbau-, Export- und IT-Sektor gruppiert, stellt eine der reaktionärsten Klassen des kontinentalen Rentismus dar, die sich in der Pinochet-Verfassung wiederfindet, die als einzige auf der Welt Wasser als private Ressource anerkennt.

Die Mehrheit der Volksorganisationen und sozialen Bewegungen in Lateinamerika war überrascht und enttäuscht über den Sieg der Ablehnung in der Volksabstimmung in Chile. Rund 61,87 % der Wähler stimmten für die Ablehnung, 38,13 % für die Annahme, bei 14 % Wahlenthaltung, so dass die vorgeschlagene neue Verfassung nicht in Kraft treten konnte. Das bedeutet, dass die Volksorganisation und die sozialen Bewegungen eindeutig ihre Unfähigkeit bewiesen haben, das wahre Volk zu lesen, in dem 50 Jahre Faschismus stecken: ein ultrakonservatives Volk.

Das bedeutet, dass es ihr zwar gelungen ist, drei Jahre lang einen sozialen Aufstand aufrechtzuerhalten, der die historischen Forderungen der Mapuche-Völker und -Nationalitäten, der Frauen, der Studenten, der Dissidenten und der Arbeiterklasse gebündelt hat, dass dieser Aufstand aber immer noch eine organisierte Minderheit darstellt und nicht den Willen der Mehrheit. Darüber hinaus ist diese wirklich mobilisierte Minderheit – nicht nur Kollaborateure oder Sympathisanten – gespalten in diejenigen, die den Aufbau einer neuen Verfassung im Rahmen der bürgerlichen Demokratie als Triumph betrachten, und diejenigen, die die strukturellen Grenzen dieser Verfassung erkennen und sich aus einer – nennen wir es – ideologischen Ablehnung heraus positioniert haben.

Der Pinochetismus hat eine zutiefst und strukturell faschistische Gesellschaft geschaffen: Es gibt keinen Mangel an Menschen, die den Wahrheitsgehalt und die Schwere der während der Diktatur begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnen, und keinen Mangel an Menschen, die sie rechtfertigen. Fast 50 Jahre Faschismus – 17 Jahre Diktatur und 32 Jahre neoliberale Kontinuität – sind nicht ohne materielle Konsequenz geblieben. Die Subjektivität des Volkes wurde auf der Grundlage dieses Faschismus aufgebaut, und dieser Faschismus strukturierte die ultrakonservative Politisierung der großen Mehrheit. Die Volksorganisation und die sozialen Bewegungen sollten nicht noch einmal den Fehler begehen und weiterhin glauben, dass Aufstände das Ende der Mobilisierung sind und nicht nur eine Machtdemonstration. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass ohne eine nachhaltige territoriale Arbeit, die sich auf die Lösung der materiellen Bedingungen der verarmten Arbeiterklasse konzentriert, kein Prozess sich selbst überwinden kann, um ein fortschrittliches politisches Projekt zu werden, geschweige denn ein antikapitalistisches.

Kurz gesagt, der überwältigende Unterschied zwischen der Ablehnung und der Annahme des chilenischen Verfassungsentwurfs stellt einen historischen politischen Moment dar, der uns sowohl die Grenzen Projekte des progresismo als auch die ideologische und materielle Reichweite des Reformismus im kapitalistischen System vor Augen führt. Die Vielfalt der Forderungen des chilenischen Volkes im Rahmen des Verfassungsprozesses spiegelt die Unwägbarkeiten wider, mit denen die Volksorganisation konfrontiert ist, die jahrzehntelang kriminalisiert, geschwächt und dezimiert wurde, die in den letzten drei Jahren gestärkt wurde, der es aber angesichts der Grausamkeit des freien Marktes noch nicht gelungen ist, die großen Mehrheiten zu politisieren und zu mobilisieren. Die extreme Rechte erneuert und radikalisiert sich rund um den Antikommunismus, der von der konservativen Struktur der Subjektivität des Volkes getragen wird und immer Hand in Hand mit dem Kleinbürgertum geht. Weder der Antikapitalismus noch ein würdiges Leben werden jemals in den Rahmen der bürgerlichen Demokratie passen. Der Neoliberalismus wurde geboren und wird in Chile sterben, aber nicht durch Gabriel Boric oder irgendeinen progresismo, sondern durch antikapitalistische Organisation, die jetzt ein klares politisches Szenario vor sich hat.

#Titelbild: Diktator Pinochet und sein demokratisch gewählter bürgerlicher Nachfolger Patricio Aylwin in trauter Einigkeit (zw. 1990 und 1994), Biblioteca del congreso nacional (https://www.bcn.cl/portal/), CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/cl/deed.en)

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Unter dem Hashtag #IchHelfeGern berichtet Stabsunteroffizier Seyda Deliduman, Soldatin im Versorgungsbataillon 7 in Unna, dass sie aktuell im Impfzentrum Hürth „die ÄrztInnen täglich mit Nachschub an Impfdosen“ versorge. Auf einem Foto ist die junge Frau mit einer Nierenschale in der Hand und Mund-Nasen-Schutz im Gesicht zu sehen, daneben steht der Satz: „Toll, wie wir Hand in Hand mit dem Fachpersonal arbeiten.“ Mit solchen und ähnlichen Tweets macht die Streitkräftebasis der Bundeswehr, eine im Oktober 2000 geschaffene „Dienstleistungseinrichtung“ der Truppe, bei Twitter Werbung für die Aktivitäten von Soldat*innnen bei der Bekämpfung der Coronapandemie. Der genannte Tweet ist auch noch mit den Hashtags #Amtshilfe #FürEuchGemeinsamStark versehen.

Dass die Bundeswehr mit solchen Botschaften ihr Image aufpolieren will, liegt auf der Hand. Natürlich soll en passant auch noch der aus guten Gründen eigentlich nicht vorgesehene Einsatz der Bundeswehr im Inneren wieder ein Stück weit selbstverständlicher werden. Allerdings hat Corona der Bundeswehr nicht nur diese willkommene Gelegenheit gebracht, ihren Ruf aufzubessern – die Pandemie hat ihr auch eine ganze Menge Probleme beschert. Wer sich bereits mit der deutschen Armee und ihren Strukturen befasst hat, etwa mit den Netzwerken von Nazis in olivgrün, den konnte das kaum überraschen: Auch in ihren Reihen finden sich nicht wenige radikale Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen.

Das bestätigt Tobias Pflüger, der in der vergangenen Legislaturperiode verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag war. „Bei der Bundeswehr tummeln sich anteilig signifikant mehr “Querdenker” als in der Zivilgesellschaft“, sagte Pflüger im Gespräch mit dem Lower Class Magazine. Das habe etwas damit zu tun, „wen die Bundeswehr anzieht“, erklärte der Experte, der die Informationsstelle Militarisierung in Tübingen (IMI) mitgründete. Im Bereich der Bundeswehr gebe es nach seiner Kenntnis derzeit 50 bis 60 Verfahren gegen offensichtliche „Querdenker“. Dazu habe auch eine faktische Impfpflicht für die Soldat:innen beigetragen, für die in einer ihrer letzten Amtshandlungen die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gesorgt hatte, so Pflüger. Und zwar hatte Kramp-Karrenbauer angeordnet, dass eine „Duldungspflicht“ für Covid-19-Impfungen gelte, das heißt, dass alle Soldat*innen eine solche Impfung auch „gegen ihren Willen“ dulden müssen.

Tatsächlich ist der Unmut über diese Maßnahme bei manchen Soldat:innen offenbar groß, natürlich vor allem bei solchen, die schon zuvor eher rechts tickten. Das legten jedenfalls zwei im Dezember und Januar öffentlich gewordene, sehr spektakuläre Fälle nahe. Sie lenkten schlaglichtartig die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem der „Querdenker“ in olivgrün.

Im Mittelpunkt der Vorgänge standen zwei Soldaten der bayerischen Gebirgsjäger, einem Truppenteil also, der in den vergangenen Jahren immer mal wieder mit eher zweifelhafter Traditionspflege auffiel.. Beide gehörten auch zum selben Verband, dem Bataillon 231 in Bad Reichenhall, sollen aber laut Medienberichten nichts miteinander zu tun gehabt haben. Der erste Fall, der im Dezember publik wurde, betraf den Oberfeldwebel Andreas O. In einem Schreiben an seinen Major hatte er seinen Widerstand gegen die obligatorische Corona-Impfung angekündigt, wie die tageszeitung Anfang Januar berichtete. Diese verletze sein Recht auf körperliche Unversehrtheit, er sei bereit, sich für seine Rechte zu „opfern“. „Sie werden mich nicht nur abstrafen, sondern erschießen müssen, damit ich aufhöre, für meinen Eid einzustehen“, schrieb O.

Ende Dezember 2021 setzte der Mann noch eins drauf, als er bei einer öffentlichen Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in München wütete. Wörtlich sagte der Soldat: „Ich habe allen Politikern der Regierung ihr Schicksal angedroht (…). Ihr kriegt die Möglichkeit, die Duldungspflicht, die Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen zurück zu schrauben.“ Andreas O. sprach von einer klaren Warnung und setzte der Regierung in sozialen Netzwerken ein Ultimatum „bis morgen 16.00 Uhr“, ihre diesbezügliche Politik zu ändern. Das Video wurde in Chatgruppen der Querdenker-Szene mehr als 100.000 Mal geteilt. Ein anderes Video soll den Soldaten bei einer Kundgebung in Rosenheim zeigen. Dort drohte O. „Hochverrätern und Feiglingen am Grundgesetz“: „Eure Leichen wird man auf den Feldern verstreuen.“

Im Januar wurde ein nicht minder haarsträubender Vorgang bekannt. Ein Hauptfeldwebel aus demselben Bataillon hatte im Dezember eine mehr als siebenminütige Sprachnachricht auf der Messenger-Plattform Telegram veröffentlicht. Darin bezeichnete er die Bundeswehr als eine „Firma“, in der alles unternommen werde, um „uns Patrioten, die in der Bundeswehr gefangen sind, kaputtzumachen“. Er bezog sich wie Andreas O. auf die Duldungspflicht. Der Hauptfeldwebel erklärte, dass man „sich hier im Endkampf“ befände und fordert alle anderen Soldat*innen auf: „Auf keinen Fall spritzen lassen!“ Darüber hinaus äußerte er, dass er die Bundesrepublik Deutschland für keinen souveränen Staat halte und sagte: „Die Zionisten ziehen aus dem Hintergrund immer noch die Fäden.“

Gegen beide Soldaten wird intern ermittelt. Im Fall Andreas O. ist auch die Generalstaatsanwaltschaft München eingeschaltet, wie es heißt. Der Oberfeldwebel war bereits Monate vor seinen Auftritten wegen anderer Auffälligkeiten vom Dienst suspendiert worden. Mitte Januar befasste sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags mit den Vorgängen bei den Gebirgsjägern. Laut Süddeutscher Zeitung hieß es aus Teilnehmerkreisen, derzeit gäbe es keinen Verdacht, dass sich am Standort womöglich ein Netzwerk von radikalisierten Querdenkern etabliert haben könnte. Die beiden Soldaten, gegen die ermittelt wird, seien in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt gewesen und hätten unabhängig voneinander gehandelt.

Tagesschau.de berichtete Mitte Januar, auf Telegram gebe es mehrere Gruppen, deren Namen es nahelegten, dass sich dort Soldatinnen und Soldaten sowie Reservistinnen und Reservisten vernetzen. Einige leugneten die Corona-Pandemie, viele lehnten die damit einhergehenden Hygienemaßnahmen vehement ab. Die Gruppen umfassten einige hunderte bis mehrere tausend Mitglieder, die größte Gruppe habe 3.300 Mitglieder. Zitiert wird in dem Beitrag der Politikwissenschaftler Josef Holnburger mit der Einschätzung, „dass nur ein kleiner Teil der Gruppenmitglieder tatsächlich Soldat:innen oder Reservist:innen sind“. Es gebe Gruppen, in denen konkrete Gewaltfantasien geäußert oder sogar geplant würden. Bedrohungen sollten nicht als harmlos abgetan werden, betonte Holnburger: „Vor allem vor dem Hintergrund, dass Soldat:innen auch Zugriff auf Waffen haben.“

Das ist der entscheidende Punkt. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen erweist sich die Coronapandemie auch bei der Bundeswehr als Treiber ohnehin schon laufender Prozesse der Radikalisierung und Vernetzung. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bieten neue Anlässe und Argumente, um „Widerstand“ gegen den Staat, die Regierung, die Behörden, die Mehrheitsgesellschaft zu leisten. Die Gefahr, dass Soldat:innen ihre Waffen dafür einsetzen, ist nicht kleiner geworden.

# Titelbild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), Soldaten der Bundeswehr im Impfzentrum Kölnmesse

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Am 13. November steht die nächste bundesweite Mobilisierung der Neonazis von der Kleinstpartei „Der III. Weg“ ins bayerische Wunsiedel an. Entgegen des schwachen Trends bei antifaschistischen Gegenprotesten zeichnet sicht bei Veranstaltungen des „III. Wegs ein anderes Bild, zuletzt am 03. Oktober 2020: Viele Teile der radikalen Linken kamen zusammen, um einen bundesweiten Aufmarsch der Neonazis zu verhindern. Mit einer der größten antifaschistischen Protestaktionen in Berlin seit Jahren konnte der Aufmarsch teilweise militant begleitet und letztendlich auf wenige hundert Meter verkürzt werden. Der „III. Weg“ ist für viele Antifaschist:innen ein rotes Tuch.
Dabei stellt sich die Frage: Wie gefährlich ist die Kleinstpartei? Auf welche Strukturen können die Neonazis zurückgreifen und was kann ihnen entgegengesetzt werden?

Inszenierte Medienaktionen

Ein wichtiger Aspekt der Parteiarbeit von „Der III. Weg“ ist der Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit. Deswegen sind viele ihrer Aktivitäten notdürftig inszenierte PR-Spektakel, die auf der eigenen Homepage aufgeblasen werden – teilweise mit Erfolg. Im Kontext der Bundestagswahl 2021 etwa lieferten ihre Plakate mit der Aufschrift „Hängt die Grünen“ den gewünschten Schockeffekt. Die anschließende öffentliche Empörung brachte die Partei bundesweit in die Medien; ein durchaus wohlwollender juristischer Umgang tat sein Übriges. So urteilte beispielsweise das Amtsgericht Chemnitz, dass die Plakate nicht grundsätzlich strafbar seien. Sie müssten nur im Abstand von 100 Metern zu Grünen-Plakaten aufgehängt werden.

Diese Strategie der inszenierten Medienaktion ist nicht neu. Bereits zur Europawahl 2019 erzielte die Partei mit der Plakatekampagne „Reserviert für Volksverräter“ ein ähnliches Echo. Medien und Justiz machen sich so zu willkommenen Wahlkampfgehilfen einer strukturschwachen Kleinstpartei, die beispielsweise 2021 nur sehr eingeschränkt zur Wahl antrat. In Berlin reichte sie nicht einmal einen Wahlvorschlag ein.

Erst vor wenigen Wochen landete „Der III. Weg“ erneut in den Schlagzeilen. Anlass war ein sogenannter „Grenzgang“ am 23. Oktober. Die Neonazis wollten so die öffentliche Diskussion um die steigenden Zahlen von Geflüchteten, die über Polen versuchen in die Bundesrepublik zu gelangen, für sich nutzen. Sie riefen dazu auf, mit Nachtsichtgeräten und Taschenlampen an der polnischen Grenze von Brandenburg Geflüchtete abzufangen. Vorbild hierfür dürften einerseits die Demonstrationen der österreichischen Identitären in Spielberg 2015 gewesen sein, bei denen sie sich als „menschliche Grenze“ inszenierten. Andererseits erinnert die Aktion an die von faschistischen Bürgerwehren in Bulgarien organisierten Grenzpatrouillen. Allerdings hat der „III.Weg“ weder die Mobilisierungskraft der Identitären noch die paramilitärische Erfahrung der Bürgerwehren. Die Brandenburger Polizei stellte in der Nacht trotzdem 50 Personen fest, die dem Aufruf gefolgt waren. Laut Medienberichten hatten die Neonazis Pfefferspray, Schlagstöcke und sogar eine Machete und ein Bajonett dabei. Hinter den PR-Aktionen der Partei steht also ein reales Gewaltpotential. Doch das ist nicht erst seit diesem Jahr bekannt.

Der III. Weg“ – von der Gründung bis heute

Die Gründung der Partei vor acht Jahren war eine Reaktion auf die Verbote vieler Neonazikameradschaften. Parteien sind, wie das immer wieder gescheiterte Verbot der NPD zeigt, wesentlich schwieriger zu verbieten, als Vereine oder inoffizielle Vereinigungen. Seit Beginn versteht sich „Der III. Weg“ explizit als „Bewegungspartei“ und damit als Alternative zur NPD, deren Entwicklung zur Wahlpartei szeneintern kritisiert wurde. Ehemalige NPD-Funktionäre gehörten ebenso zu den Gründungsmitgliedern, wie Personen aus dem mittlerweile verbotenen Kameradschaftsnetzwerk „Freies Netz Süd“.

Kennzeichnend für die politische Arbeit vom „III. Weg“ sind die strengen Hierarchien, sowie ein betont soldatisches Selbstverständnis. So fordert die Partei von ihren Mitgliedern in Parteikontexten auf Alkohol und andere Drogen zu verzichten. Öffentlichen Auftritte sind geprägt von geordneten Fahnenreihen und Marschtrommeln. Zudem strebt die Partei eine weitestgehende Uniformierung der Anwesenden in der offiziellen Parteikleidung an.

Ein weiterer wichtiger Teil der Parteiarbeit sind Sportangebote. Vor allem im Bereich des Vollkontaktkampfsportes ist “der III. Weg” mit faschistischen Sportler:innen und Vereinen gut vernetzt. Mitglieder vom „III. Weg“ treten regelmäßig auf Neonazi-Kampfsportveranstaltungen in der Bundesrepublik und darüber hinaus an.

Insgesamt hat „Der III. Weg“ in der gesamten Bundesrepublik aber nur wenige hundert Mitglieder, die vor allem bei bundesweiten Aufmärschen zusammenkommen. Regionale und lokale Aktivitäten sind weitaus schlechter besucht. Organisatorische Zentren sind das sächsische Vogtland und das Siegerland in Nordrhein-Westfalen. In Plauen und Siegen betreibt die Partei eigene Räumlichkeiten, in denen zwar Hausaufgabenhilfen oder Sportangebote stattfinden. Eine nennenswerte Anschlussfähigkeit über die lokalen Rechtsradikalen hinaus ist jedoch nicht zu erkennen. Insgesamt herrscht an vielen Standorten der Partei vor allem ein Mangel an Räumen und aktiven Mitgliedern. So beschränken sich die öffentlichen Aktivitäten der Partei oft auf das großflächige Verteilen von Propaganda. Regelmäßig treffen sich beispielsweise Mitglieder der Berliner und Brandenburger „Stützpunkte“ zum Flyern. Bekannte Hotspots der Aktivitäten sind vor allem die Wohnorte einzelner Partei-Kader, wie in Berlin der Lichtenberger Weitlingkiez oder Hellersdorf. International ist die Partei bei aller Schwäche von Basisarbeit trotzdem gut vernetzt. Sie unterhält beispielsweise Kontakte zu der politischen Bewegung, die dem ukrainischen Neonazi-Regiment ASOV nahesteht.

Eine Reihe von Anschlägen in Neukölln und gewaltbereite Neonazis

Die öffentlich bekannten Aktivitäten sind jedoch angesichts dessen, was die bekannten Mitglieder der Partei treiben, harmlos. Denn im III. Weg sammeln sich vor allem gewaltbereite Neonazis aus ehemaligen Kameradschaften, die in der NPD keine Perspektive mehr sehen. Ein Beispiel ist der ehemalige NPD-Aktivist Sebastian Thom aus Berlin. Er war bereits in den 2000ern Hauptakteur beim „Nationalen Widerstand Berlin“. Das „NW Berlin“ genannte Netzwerk führte u.a. Aktionen und Outings gegen politische Gegner:innen durch. Mit seinem im letzten Jahr bekannt gewordenen Wechsel zum „III. Weg“ reiht sich Thom in eine langen Liste (Ost-)Berliner Neonazis vom „NW Berlin“ ein.

In den vergangenen Jahren gerieten Thom und sein Umfeld immer wieder durch Brandanschläge und andere Angriffe auf politische Gegner:innen ins Visier der Ermittlungsbehörden. So auch am 1. Februar 2018, als das Auto des LINKEN-Politikers Ferat Kocak in Neukölln in Brand gesetzt wurde. Die Flammen schlugen von der Garage fast in das Wohnhaus über, in dem Ferat Kocak und seine Eltern schliefen. Doch sie hatten Glück, bemerkten den Brand rechtzeitig und überlebten.

Der Brandanschlag schlug erheblich Wellen, denn er hätte verhindert werden können: Die Berliner Polizei wusste von den Brandvorbereitungen. Bereits seit Januar 2017 wurde Thoms Handy vom Verfassungsschutz abgehört. Sie hörten mit, wie er mit seinem Komplizen Tilo Paulenz – damals noch Funktionär der AfD Berlin-Neukölln – Ferat Kocak ausspionierte. Knapp zwei Wochen vor der Tat informierte der Verfassungsschutz die Berliner Polizei von den Planungen. Diese reagierte nicht. Im Nachhinein behauptete die Behörde, Ferat Kocak nicht gewarnt zu haben, da die Schreibweise des Namens nicht bekannt gewesen sei. Deshalb hätten sie ihn nicht in ihren Datenbanken gefunden. Trotz zahlreicher Indizien, die auf Thom und Paulenz als Täter in dieser Sache hinweisen, wurde ihnen bisher nicht der Prozess gemacht. Zwischenzeitlich wurde sogar der ermittelnde Staatsanwalt vom Fall abgezogen, weil eine ideologische Nähe zu den Verdächtigen vermutet wird. Es scheint letztendlich so, als sei vor allem Thom ein regelrechtes Justizwunder und könnte unbeirrt mit Angriffen fortfahren. Sein Bewegungswissen stellt er nun dem „III. Weg“ zur Verfügung.

Ungeklärte Brandanschläge in Spandau

Weitere mögliche Verknüpfungen zwischen militanten Angriffen auf linke Strukturen und dem Spektrum vom „III. Weg“ sind die Vorfälle rund um das alternative Hausprojekte Jagow 15 in Berlin-Spandau. Im April 2021 kam es dort zu zwei Brandanschlägen. Kurz darauf folgte eine Bombendrohung gegen das Haus. Schon seit Januar 2021 mehrten sich Naziparolen und -symbole an der Hausfassade. Zudem berichteten Bewohner:innen von zunehmenden Problemen mit Neonazis im Kiez. Eine von ihnen ist Lilith E.. Sie lebt in Spandau und blickt auf eine lange Laufbahn in der Berliner Neonazi-Szene zurück. Bereits vor Jahren fiel sie bei der Reichsbürgergruppe „Gelbe Westen Berlin“ auf. Inzwischen ist sie auf jeder Aktivität des „III. Weg“ in Berlin anzutreffen. Doch auch internationale Neonazi-Events werden von ihr besucht. Sie nahm u.a. am extrem rechten „Ausbruch-Marsch“, einer extrem rechten „Gedenkveranstaltung“ an die „Schlacht um Budapest“, teil. Um der Wehrmacht zu huldigen laufen dabei jedes Jahr hunderte Neonazis aus ganz Europa – vermummt und überwiegend in Tarnfleck gekleidet – über 60 Kilometer durch die Nacht.

Lilith E. ist ein fester Teil vom „III. Weg“. Sie scheint vor allem in der Jugendarbeit der Partei aktiv zu sein und ist regelmäßig mit jugendlichen Anwärtern unterwegs, wie der Neonazi-Jugendgruppe Division MOL. E. lebt nicht weit weg von der Jagow 15 und war bereits in der Vergangenheit gegenüber einer Hausbewohnerin aggressiv. Zudem tauchten vor und nach den Brandanschlägen immer wieder Sticker des „III. Wegs“ rund um das Haus auf. Das zeigt zumindest, dass E. und ihre Kameraden nach dem Brandanschlag vorbeikamen, um die Gegend zu markieren. Trotz dieser Hinweise und der vielen Anhaltspunkte für ein rechtes Motiv der Anschläge, verdächtigte die Polizei zunächst einen Hausbewohner, was sich im Nachhinein als vollkommen haltlos herausstellte.Gegen E. nun eine mögliche Beteiligung von Neonazis des „III. Weg“ wurde hingegen nicht ermittelt.

Der „III. Weg“ als Deckmantel eines militanten Faschismus?

Wie gefährlich ist also „Der III. Weg“? Die oftmals stümperhafte Medienarbeit darf nicht darüber hinweg täuschen, dass er vielleicht die wichtigste überregionale Neonazi-Struktur in der Bundesrepublik ist. Die Kleinstpartei braucht keine Wahlerfolge. Gemäß dem Selbstverständnis als „Bewegungspartei“ eines „revolutionären nationalen Sozialismus“ steht die lokale Organisierung und überregionale Vernetzung von faschistischen Akteur:innen im Vordergrund ihrer Politik. Für eine gelingende Parteiarbeit trotz vergleichsweise geringer Mitgliederzahlen, sowie der Schwäche zahlreicher Parteistützpunkte braucht „Der III. Weg“ vor allem öffentliche Aufmerksamkeit. Diese soll durch gezielte PR-Aktionen sowie die Präsentation jeder noch so kleinen Aktivität der lokalen Strukturen hergestellt werden. Dabei spielen Medien, Justiz, aber auch antifaschistische Strukturen allzu oft das Spiel der Faschist:innen mit.

Das wahrscheinlich wichtigste Standbein der politischen Arbeit vom „III. Weg“ sind aber die bundesweiten Demonstrationen. Neben der Außenwirkung dienen diese vor allem dazu, den wenigen hundert Parteimitgliedern bundesweit das Gefühl zu geben, zu einer neonazistischen „Kampfgemeinschaft“ zu gehören. Die ein bis zwei bundesweiten Demonstrationen pro Jahr sind aber alles, was „Der III. Weg“ in diesem Bereich organisatorisch leisten kann und die erfolgreiche Brechung dieser Selbstdarstellung durch Antifaschist:innen macht diese Anstrengungen zunichte.

Trotz allem finden bekannte Kader sowie oftmals militante Aktivist:innen aus Kameradschaften, NPD und sonstigen Neonazistrukturen in der Partei einen Anlaufpunkt. Mit ihren Kontakten in die bundesdeutsche wie internationale Neonaziszene sowie einem über die Jahre erworbenen Wissen und entsprechenden Fähigkeiten bilden diese Kader das Rückgrat der Partei. Im Moment ist die Partei ein Deckmantel, hinter dem sich ein militanter Faschismus organisieren kann, insbesondere die Anschlagsserien von Berlin-Neukölln und Spandau, deren Spuren direkt in die Parteistrukturen führen, zeigen das. Dieses Potential und die Gefahr, die vom III. Weg ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Deshalb sind frühzeitige antifaschistische Interventionen gegen den „III. Weg“, seine Akteur:innen und Aktivitäten weiterhin notwendig.

# Titelbild: © Tim Mönch, Aufmarsch vom “III. Weg” am 1. Mai 2019 in Plauen

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Der stechende Rauch meiner Zigarette steigt mir in die Augen. Durch die Tränen erkennt man ein jüdisches Viertel: Buchhandlungen, Markstände und Restaurants mit hebräischen Schildern. An mir laufen ein Rabbi und eine Gruppe orthodoxer Juden vorbei. Ein untypisches Bild für das tiefste Ostdeutschland. Der Wind zieht an meinen geschorenen Seiten lang, die Decke um meine Schultern rutscht herab, die Hakenkreuzbinde um meinen Arm leuchtet auf. Vor mir steht ein älterer Mann. Er schlägt die Hacken zusammen, hebt den rechten Arm und brüllt: „Sieg!“.

Drei Monate zuvor bewarb ich mich auf eine Rolle bei einer Filmproduktion in meiner Stadt – ein wenig die Kohle ausbessern, bevor das Semester anfängt: „Wird schon nicht so schwer sein, der Job.“ Dachte ich. Doch als die Casterin mein 161-Tattoo sah, fand sie es wohl lustig mich die nächsten Monate in einer SA-Uniform durch meine Heimatstadt marschieren zu lassen; Immer die gleichen 100 Meter, vor und zurück. Zehn Minuten Drehpause und dann wieder 100 Meter, vor und zurück.

„Alles auf Anfang… und bitte!“

Ich fange an zu marschieren, Zigarette an, böser Blick in die Kamera, Mann mit Kippa anrempeln, Zigarette weg, gerade stehen, Kameraden grüßen und-

„Danke aus!“

Meine Laune wird zunehmend schlechter, wieder nicht die komplette Strecke geschafft! Ich hänge meine Decke wieder um, damit die umstehenden Passanten keine Fotos von mir in der Uniform machen können. Während ich im Kopf ausrechne, wie viele Stunden ich schon arbeite, tippt mich ein anderer Komparse an der Schulter an. Er spielt einen orthodoxen Juden. Der angeklebte Bart hat gelbe Nikotinflecken, die Locken an den Seiten baumeln im Wind, der lange Mantel ist mit künstlichen Patina versetzt. Er räuspert sich.

„Na Männer!? Habt ihr meine Freunde schon verbrannt?!“ Er lacht. „Neben euch fühl’ ich mich ja wie ein Mensch zweiter Klasse!“ Ein breites Grinsen zieht sich durch den angeklebten Bart. Ich will etwas sagen, doch er lehnt sich näher ran: „Ich fühl mich ja in Deutschland auch so wie ein Mensch zweiter Klasse…“ Er blickt sich um, stellt sicher, dass ihn außer uns niemand hört und flüstert: „Ich bin ja ungeimpft.“ Später wird er noch mit anderen über die Rothschilds und Merkels vermeintlich jüdische Herkunft reden.

„Wir machen Drehfertig!“

Ich muss schnell auf Position. Verwirrt von dieser spontanen Offenbarung komme ich auf meiner Marke an. Mit einer anderen Gruppe von SA-Männern warte ich auf das Zeichen des Aufnahmeleiters. Hektisch kommt einer der Security-Mitarbeiter auf uns zu und zieht mir die Decke von der Uniform. Er tippt die Hakenkreuzbinde an, schaut mir in die Augen und mustert die anderen Nazis um mich herum:

„Geil!“ Platzt es aus ihm heraus. „Jungs. Einfach geil! Da müssen wir ein Foto machen – Alle zusammen!“

Unter meinem Atem kommt nur ein leises „Verzieh dich“ heraus.

„Alles auf Anfang….und bitte!“

Marschieren, Kippe an, böser Blick, anrempeln, Kippe aus, gerade stehen, Grüßen, „Sieg Heil!“, umdrehen und marschieren.

„Danke aus! Drehschluss für heute!“

Hektisch zieht die Filmcrew an uns vorbei. Kameras werden von ihren Stativen genommen, Scheinwerfer umher getragen, die Garderobieren hängen uns wieder die Decken um. Langsam trotten wir vom Set, um uns umzuziehen.

In meiner Stadt erzielte die AfD bei der letzten Landtagswahl 33 %. Rein statistisch kann man also davon ausgehen, dass von 100 Menschen 33 AfD-Wähler sind. An dem Set arbeiten mit mir zusammen genau 100 Komparsen und über die nächsten Tage hinweg werde ich erleben, was meine Kostüm-Uniform in einigen von ihnen auslöst.

Der nächste Drehtag bricht an. Um fünf Uhr morgens stehen wir alle wieder da um eingekleidet zu werden und indie Maske zu kommen. Ich stelle mich zu einer anderen Gruppe von Männern: Kaffee und Zigaretten sind immer noch die einfachste Form der Kumpanei auf Arbeit. Handys in den typischen Ü-40-Klapphüllen gehen um, darauf sind Fotos von einer Anti-AfD Demo nur wenige Tage zuvor zu sehen: „Da gab’s wieder Mengenrabatt bei der Antifa“ witzelt einer. In der heißen Phase der Wahlkampfs stattete Alice Weidel meiner Stadt einen Besuch ab, die 33 % wurden in der Bundestagswahl zu 35 %, der Kandidat der AfD bekam ein Direktmandat. Die Laune der Kameraden ist dementsprechend gut.

Ich werde eingekleidet, die Uniform schnürt mir die Luft ab, die Pomade lässt meine Haare in der aufgehenden Morgensonne glänzen. Mit meinem Frühstück in der Hand warte ich in der Produktionsbasis, einer Zeltstadt inmitten der Innenstadt, auf den Einsatz. Der ältere Mann aus dem Prolog tritt an mich heran:

„Morgen…“ murmel ich, er schlägt die Hacken zusammen, zeigt zweimal den Hitlergruß und geht weiter.

Der Tag ist jetzt schon gelaufen – noch bevor ich meine 100 Meter antreten muss.

Wir kommen ans Set, ich werde einem anderen SA-Mann zugeteilt, wir beide müssen heute zusammen durch das Viertel patrouillieren: Er soll dabei so tun, als würde er mir etwas erklären, ich nur nicken und zuhören.

„Wir sind wieder kurz davor…alles auf Anfang…und bitte!“

Zusammen laufen wir los. Mein Kollege legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich ran.

10 Meter:

„…Die Soldaten werden bei den kommenden Offensiven keinen Pardon kennen. Die Divisionen werden in diesen Kampf hineingehen wie in einen Gottesdienst…“

Seine Umarmung wird fester, der Rauch seiner Zigarette schlägt mir ins Gesicht.

20 Meter:

„…Und wenn sie dann ihre Gewehre schultern und ihre Panzerfahrzeuge besteigen, dann haben sie nur ihre erschlagenen Kinder und geschändeten Frauen vor Augen und ein Schrei der Rache wird aus ihren Kehlen emporsteigen…“

30 Meter:

„…Das wir den Feind schlagen und zurückjagen werden und ich glaube so fest daran…“

40 Meter:

„…Mit Stumpf und Stiel ausrotten…“

50 Meter:

„…Bis zum letzten Blutstropfen…“

Nach 60 Metern endlich Erlösung:

„Danke aus!“

Insgesamt sechsmal hörte ich von meinem Kollegen diesen auswendig gelernten Flickteppich aus Goebbels Reden. Das „Nur so tun“, erübrigte sich nach dem ersten Stechschritt auf den heutigen 100 Metern. An der Hauswand einer koscheren Fleischerei sinke ich auf den Boden und atme durch: Endlich Pause. Einer der anderen Komparsen tritt an mich heran, wir rauchen Eine und schweigen. Es tut gut, gerade nicht reden zu müssen.

„Mein Sohn sagt immer: Papa, du redest wie ein Nazi“ sagt er beinahe melancholisch. Ich sehe ihn an. „Ich bin aber kein Nazi.“ Sein Blick ist Stur von mir abgewendet und auf eine der Garderobieren gerichtet, die mit dem Rücken zu uns steht.

„Und…“ frage ich, „Was bist du dann?“

„Unternehmensberater. Ein Unternehmensberater der einfach eine andere Meinung zu Dingen hat, als der Mainstream. Bis du ein sogenannter Nazi?!“ Fragt er mich. Ich blicke an meiner SA-Uniform herab: „Nein.“

In dem Gespräch eröffnet mir der Unternehmensberater seine Wendegeschichte. Er studierte Wirtschaft in der DDR, trat der SED bei und entnahm den Büchern des Dietz Verlags alles was man brauchte, um die Ost-Kombinate genauso erfolgreich zu gestalten wie die Konzerne im Westen.

„Und wir wollten so gut sein wie die da drüben!“ Doch als die Wende kam erübrigte sich auch der sozialistische Ehrgeiz. Er bekam eine Anstellung in einem BRD-Großkonzern: „Wir haben dort alles optimiert! Alles! 50% des gesamten Betriebs haben wir effektiviert!“

„Du hast also die Hälfte der Belegschaft entlassen?“ Frage ich zunehmend genervter.

„Nein!“ Sein Blick ist nun fest auf mich gerichtet: „Wir haben effektiviert.“

Ich bemerke, dass ich mit meiner Uniform zu einer Art Projektionsfläche werde, die die wahren Gesinnungen der Menschen um mich herum zum Vorschein holt. AfD-Wähler witzeln über den Holocaust, relativieren ihn mit der aktuellen Pandemie. Andere stehen in der Öffentlichkeit – ohne das gedreht wird – mit erhobenen rechten Arm vor mir, besorgte Bürger rezitieren Goebbels, andere erzählen über den Verlust ihrer Ideale durch die Wende. Alles auf 100 Metern Weg.

Nach Drehschluss lerne ich in der Maske einen Sportschützen kennen. Ideologisch fällt es mir schwer, ihn einzuordnen. Stolz erzählt er mir von seinen Waffen: Ein Gewehr 98 und eine M.P. 40. Beides Nachbauten der populärsten Wehrmacht-Waffen. „Total geile Dinger.“

Mein letzter Drehtag bricht an. Das Licht eines 18.000-Watt-Mondes strahlt durch die Straßen des nun zerstörten jüdischen Viertels, überall liegt Dreck, die Straßen sind nass. Künstliche Schneeflocken fallen herunter, der kalte Wind gibt uns den Rest. Dicht stehen wir zusammen, einer der Komparsen erzählt uns von einer anderen Filmproduktion, Jahre zuvor.

Ich war auch dabei und erinnere mich gut. Damals standen wir auf einem Platz mitten in der Altstadt und spielten die Bücherverbrennung nach. Die historischen Häuser waren in rote Hakenkreuzflaggen eingekleidet, die orangenen Flammen züngelten zwischen Kästner und Brecht und reflektierten sich in den Stahlhelmen der SS. Die Arme schossen in die Höhe: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“. Ich stand damals mit am nächsten am Feuer, in meiner HJ-Uniform war mir kalt und unwohl, Hitler tobte auf der Bühne, das Singen wurde lauter und lauter.

Der Mann spielte damals einen der SS-Offiziere. Er erzählt uns wie seine besten Freunde – ein Kripo-Beamter der Polizei Sachsen und ein jetziges Mitglied der AfD im Landkreis – sich freuten, in den SS-Uniformen zu stecken. Er wird unterbrochen von einem Anderen: „Scheisse ey, ihr durftet Uniformen anziehen und ich muss bei jedem Film einen Zivilisten spielen, es kotzt mich an, ich will auch eine Uniform“ Ich erkenne den Mann: Er stand bei Alice Weidels Wahlkampfveranstaltung mit dabei.

Der SS-Offizier erzählt uns, wie er und seine Freunde – der AfD-Parteisoldat und der Kripo- Beamte – vorhatten, in den SS Uniformen das Set zu verlassen um in Polen Kippen kaufen zu gehen. Sie wurden von der Security daran gehindert; mehr aus Pflichtbewusstsein als wegen allem anderen: Gelacht wurde über das Vorhaben zusammen.

Die Flamme der Feuertonne gibt kaum Wärme. Das Schneegestöber wird stärker.

„Und bitte!“

Diesmal rennen wir unsere 100 Meter. „Ey! Ische! Bleib stehen!“ Brülle ich durch die Flocken. Wir verfolgen eine Schauspielerin, sie dreht sich um, ruft etwas und wird überfahren. Der Pulk der SA-Männer bleibt schlagartig stehen, schwer atmend schauen wir auf die Leiche der Schauspielerin. „Weg hier, los!“ Wir laufen in eine Seitengasse, wie feige Schweine.

„Danke aus!“

Monate nach dem Dreh gehe ich feiern, an der Tür des Clubs steht die Security-Firma von dem Typen, der mit uns am Set Uniform-Selfies machen wollte. Eine Gruppe durchtrainierter Männer mit Boxerschnitt und bayerischer Tracht geht an der Schlange vorbei, sie grüßen die Securities, zeigen keinen Impfnachweis und gehen in den Club. Wenig später sehe ich sie an der Bar, sie begrüßen einen ihrer Kameraden auf der Tanzfläche mit Hitlergruß. Der Frei.Wild-Kutten-Träger ist aber gerade zu sehr damit beschäftigt zu Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ zu tanzen und sieht den Gruß genauso wenig, wie die Mitarbeiter des Clubs oder die Security.

Ich gehe nach Hause und laufe dabei meine 100 Meter durch das ehemalige jüdische Film-Viertel. Ein Freund ruft mich an: Er berichtet, wie vier der Securities einen Besucher des Clubs nach draußen gezerrt und verprügelt haben, dabei stützte sich einer mit seinem Knie auf den Hals des am Boden liegenden. Genauso geschah auch der rassistische Mord an George Floyd.

Am Ende der 100 Meter wird mir klar, wie viele andere diesen Spießrutenlauf gehen müssen. Tägliche Pöbeleien, rassistische Anfeindungen, sexistische Kommentare – zwar ohne Kostüm und Dreharbeiten, aber mit den gleichen 35% um sich herum und ohne das rettende „Danke aus!“.

Hinter dem Ruf nach einer Politik gegen den „links-grünen Mainstream“ oder die Altparteien, hinter dem Ruf nach konservativer Politik mit geschlossenen Grenzen versteckt sich am Ende des Tages eins: Der Ruf nach Faschismus, nach Ausgrenzung, Rassimus, Waffen. Der Ruf nach dem Recht in einer Uniform durch die Stadt zu marschieren.

Keiner der 35% wird das offen zugegeben, doch es hat nur einen Schauspieler in einer SA-Uniform und 100 Meter weg als Katalysator für diese Gesinnungsoffenbarung gebraucht.

Alles auf Anfang, wir machen es nochmal!

# Titelbild: Mert Kahveci

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Ihre Anführer scheuen oft das Licht der Öffentlichkeit, doch sie besitzen immense Macht. Konten gefüllt mit Milliarden aus Geschäften, die in aller Herren Länder verrichtet werden; tausende Untergebene, die auf Gedeih und Verderb dem Richterspruch der Männer und Frauen an der Spitze ausgeliefert sind; sie blicken oft auf eine mehr als hundertjährige Geschichte krimineller Machenschaften zurück, sind für Millionen Tote mitverantwortlich: Deutsche Kapitalisten-Clans.

Diese Reihe widmet sich den Superreichen der Bundesrepublik, die den traditionsreichen „Familienunternehmen“ vorstehen, von der Politik jeder Couleur hofiert werden und so gut wie nie zum Gegenstand wutbürgerlichen Aufbegehrens werden. In den vergangenen Teilen dieser Serie widmeten wir uns unter anderem der Familie Quandt/Klatten, dem Imperium der Schaefflers, den Faschisten-Finanziers des Finck-Clans und zuletzt der Kaffeedynastie Jacobs, ehe es jetzt um den Clan hinter Kühne + Nagel geht.

Ob und welchen Senf Klaus-Michael Kühne zu sich nimmt, wenn er mal ein Würstchen verspeist, ist nicht bekannt. Vermutlich ist es kein Kühne-Senf. Denn auf dieses Produkt respektive seinen Hersteller dürfte er nicht gut zu sprechen sein. Aus gutem Grund: Selbst in seiner Geburtsstadt Hamburg halten viele Menschen Klaus-Michael Kühne für den Chef der in der Hansestadt angesiedelten Carl Kühne KG halten, die durch die Präsenz ihrer Produkte – vor allem der Kühne-Senfgläser – im Supermarktregal viel bekannter ist als der Logistikkonzern, dessen oberster Boss Klaus-Michael Kühne ist.

Tatsächlich ist der Altonaer Senf- und Saucenhersteller mit seinen rund 328 Millionen Jahresumsatz nur eine Klitsche im Vergleich zu Kühne + Nagel, das mit einem Jahresumsatz von gut 22 Milliarden Euro zu den größten Logistikdienstleistern, man kann auch Speditionen sagen, der Welt zählt. Trotz dieses gelegentlichen Missverständnisses ist Klaus-Michael Kühne in Hamburg immer noch am bekanntesten. Nicht nur weil er dort geboren wurde und aufgewachsen ist (er ging übrigens mit dem Liedermacher Wolf Biermann auf dieselbe Schule), sondern vor allem durch seine Sponsorentätigkeit für den Hamburger SV. Zuletzt ist das Verhältnis wohl etwas abgekühlt, weil ein Verein, der in die Zweite Liga absteigt und dann auch noch zweimal den Aufstieg verspielt, natürlich nicht wirklich zu einem Siegertyp wie Kühne passt.

Dass Klaus-Michael Kühne im Lande nicht die Prominenz hat wie die anfangs erwähnten Chefs von Autokonzernen oder meinetwegen die Familien Albrecht oder Oetker, liegt nicht daran, dass er weniger Geld hat als diese. Mit einem Vermögen von geschätzten 16,5 Milliarden Euro (Stand November 2020) gehört Kühne zu den 20 reichsten Einzelpersonen in Deutschland, spielt also ganz oben mit. Seine geringe Bekanntheit hat eher damit zu tun, dass sein Unternehmen Kühne + Nagel in einer wenig spektakulären und sinnlich wenig inspirierenden Branche angesiedelt ist: der Logistik.

Wie bei so vielen Clans des deutschen Kapitals basiert auch der Reichtum des Kühne-Clans auf einer verbrecherischen Bereicherung in der Zeit des deutschen Faschismus’. Die Firma war unter den Nazis ein Hauptprofiteur der so genannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums. Ihr kam unter anderem eine Schlüsselrolle bei der so genannten „M-Aktion“ des faschistischen Regimes zu. Dabei wurde bis August 1944 in Frankreich und den Benelux-Ländern die Inneneinrichtung von rund 65.000 Wohnungen geflohener oder deportierter Juden abtransportiert.

Ein Blick in die Geschichte des Unternehmens kann also hilfreich sein. Laut Wikipedia wurde die Firma im Juli 1890 von den Geschäftsleuten August Kühne (1855 – 1932), dem Großvater von Klaus-Michael Kühne und Friedrich Gottlieb Nagel (1864 – 1907) in Bremen als „Speditions- und Commissionsgeschäft“ gegründet. Nach dem Tod Nagels ging die Firma in den alleinigen Besitz von Kühne über. 1910 wurde der jüdische Kaufmann Adolf Maass, der seine Lehre im Unternehmen gemacht und später die Hamburger Niederlassung aufgebaut hatte, Teilhaber von Kühne + Nagel. 1928 wurde ihm ein Anteil von 45 Prozent der Besitzanteile am Hamburger Zweig von Kühne + Nagel vertraglich zugesprochen. Im Jahr 1932 starb Firmengründer August Kühne und seine Söhne Alfred – der Vater von Klaus-Michael Kühne – und Werner übernahmen das Geschäft. Im selben Jahr soll es laut Wikipedia zu einer geschäftlichen Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Alfred und Werner Kühne und Maass gekommen sein. In der Folge habe Maass die Firma im April 1933 ohne Abfindung verlassen. An anderer Stelle des Onlinelexikons heißt es, der jüdische Teilhaber sei aus der Firma gedrängt worden, was der Wahrheit vermutlich näher kommt. Jedenfalls wurde Werner Kühne schon am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Mit einem jüdischen Mitinhaber wäre das wohl nicht möglich gewesen. Maas und seine Ehefrau wurden 1945 im KZ Auschwitz ermordet.

Mit dem Herausdrängen des jüdischen Teilhabers und dem Parteieintritt Werner Kühnes waren die Weichen gestellt, um groß abzusahnen. In den 1940er Jahren profitierte die Firma Kühne + Nagel durch den Transport und den Einsatz ihrer Logistikstruktur von sogenanntem „Judengut“, dem Hausrat der Deportierten aus ganz Europa, den sich der NS-Staat angeeignet hatte. Die „M-Aktion“ des NS-Regimes war ein Bereicherungsprogramm für den Kühne-Clan, wie den Angaben bei Wikipedia zu entnehmen ist. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn man an die Schicksale denkt, die hinter den folgenden Zahlen steckt.

Demnach hatte die verantwortliche NS-Dienststelle bis August 1944 in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Luxemburg die Einrichtungen von rund 65.000 Wohnungen abtransportieren lassen. 500 Frachtkähne und 674 Züge seien dafür nötig gewesen. „Bei der Umsetzung half Kühne + Nagel“, heißt es nüchtern. Das Unternehmen sei direkt und mit Hilfe von Subunternehmen in allen besetzten westlichen Ländern aktiv gewesen.

Die Transporte aus den Niederlanden sind dabei am ausführlichsten recherchiert. K + N charterte beispielsweise einen eigenen Dampfer, um jüdisches Raubgut in das Deutsche Reich zu transportieren. Das erste Frachtschiff aus Amsterdam traf laut Wikipedia im Dezember 1942 in Bremen ein. Die Stückliste wies 220 Armsessel, 105 Betten, 363 Tische, 598 Stühle, 126 Schränke, 35 Sofas, 307 Kisten mit Glasgeschirr, 110 Spiegel, 158 Lampen, 32 Uhren, ein Grammophon und zwei Kinderwagen aus. Dabei handelte es sich um das Eigentum niederländischer Juden, die im Sommer 1941 in Konzentrationslager deportiert worden waren. Für den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg führte Kühne + Nagel laut dem Historiker Wolfgang Dreßen „allein aus Paris […] zwischen 1941 und 1944 insgesamt 29 Kunsttransporte“ durch. In Südfrankreich suchte ein Mitarbeiter von Kühne + Nagel aktiv nach Möbeln. Laut Dreßen gab es eine äußerst enge Zusammenarbeit mit Behördenmitarbeitern und der deutschen Besatzung.

Für Historiker, die sich mit der Geschichte des Konzerns befasst haben, ist die Sache klar. Die Firma sei „mitverantwortlich für den Tod von Leuten, sie haben damit Geld verdient“, bewertete Dreßen das Geschehen. Und der Historiker Frank Bajohr vom Münchner Zentrum für Holocauststudien im Institut für Zeitgeschichte (IfZ) sah in den Geschäften von Kühne + Nagel „eine relative Nähe zum Massenmord“. Der Historiker Johannes Beermann, der zu den M-Transporten forschte, wird bei Wikipedia mit den Worten zitiert, bei der Verschickung des zusammengeraubten Mobiliars der deportierten Juden habe die verantwortliche NS-Dienststelle Westen eng mit der Spedition zusammengearbeitet. Dreßen weist darauf hin, dass Kühne + Nagel nicht allein gewesen sei, denn andere große Logistikunternehmen seien ähnlich verstrickt gewesen. Allerdings war das Bremer Unternehmen führend in dem entstandenen verbrecherischen Wirtschaftszweig. Beermann erklärte, es sei dem Fuhrunternehmen gelungen, „sich so erfolgreich gegen potenzielle Mitbewerber durchzusetzen, dass Kühne + Nagel im Verlauf der ‘M-Aktion’ quasi das Monopol auf diese lukrativen Staatsaufträge erhielt“.

Es versteht sich wohl von selbst, dass das verbrecherische Handeln der Firmenverantwortlichen mit dem Ende von Krieg und Faschismus nicht beendet war. Wohl eher pro forma wurden die Brüder Alfred und Werner Kühne durch amerikanische Stellen einer Untersuchung zu ihrer Rolle im Faschismus unterzogen. Aufgrund der Aktenlage wurden beide nicht „entnazifiziert“, sondern als „Mitläufer“ eingestuft. Damit hätte keiner der beiden die international tätige Spedition weiter führen dürfen. Doch man fand Mittel und Wege. Und man hatte mächtige Freunde.

So heißt es bei Wikipedia, in den Entnazifizierungsakten fänden sich Hinweise auf eine Intervention der CIA, die als „top secret“ klassifiziert war. Das Schreiben ist die Anordnung, dass Alfred Kühne zu entnazifizieren sei. Nach Informationen des Geheimdienst-Wissenschaftlers Erich Schmidt-Eenboom gehörte Kühne + Nagel zu den wichtigsten Tarnunternehmen der neu aufgebauten Organisation Gehlen, Vorgängerorganisation des Bundesnachrichtendienstes. Schmidt-Eenboom beurteilt die Bedeutung des Unternehmens wie folgt: „Die CIA hat 1955 eine Aufstellung sämtlicher Tarnfirmen des Gehlen-Apparates gemacht, und da rangiert Kühne + Nagel sehr weit oben. Zum einen die Bremer Zentrale, zum zweiten die Münchner Niederlassung und zum dritten war das Bonner Büro von Kühne+Nagel der Sitz von Gehlens Verbindungsmann zur Bundesregierung.“

Bekanntlich sahen die USA und ihre Verbündeten angesichts der „bolschewistischen Bedrohung“ aus dem Osten recht schnell nach Kriegsende über die Verbrechen der Nazis und ihrer Helfer hinweg. So auch im Falle des Kühne-Clans. Alfred und Werner Kühnes Konten- und Vermögenssperren und Anstellungsbeschränkungen wurden mit ihrer Entnazifizierung in die „Kategorie IV“ zum 1. Juli 1948 aufgehoben. Die Weichen für den Wiederaufstieg des Konzerns waren gestellt.

An all das wird Klaus-Michael Kühne natürlich nicht gern erinnert. Am Rande des Richtfestes der neuen Firmenzentrale am Bremer Weserufer erklärte er im Mai 2019 gegenüber dem NDR-Lokalmagazin „Buten un binnen“, er habe kein Verständnis dafür, dass das Thema „immer wieder hochgekocht wird“. Die Firma sei „damals Dienstleister gewesen und musste so etwas machen“. Das sei „der Zwang des Krieges“ gewesen. Diese Einlassung gleicht den Erklärungen früherer KZ-Wärter in Prozessen, so sie denn überhaupt vor Gericht kamen, sie seien doch nur „kleine Rädchen im Getriebe“ gewesen und man habe sie dazu gezwungen, auf Gefangene zu schießen.

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Ihre Anführer scheuen oft das Licht der Öffentlichkeit, doch sie besitzen immense Macht. Konten gefüllt mit Milliarden aus Geschäften, die in aller Herren Länder verrichtet werden; tausende Untergebene, die auf Gedeih und Verderb dem Richterspruch der Männer und Frauen an der Spitze ausgeliefert sind; sie blicken oft auf eine mehr als hundertjährige Geschichte krimineller Machenschaften zurück, sind für Millionen Tote mitverantwortlich: Deutsche Kapitalisten-Clans.

Diese Reihe widmet sich den Superreichen der Bundesrepublik, die den traditionsreichen „Familienunternehmen“ vorstehen, von der Politik jeder Couleur hofiert werden und so gut wie nie zum Gegenstand wutbürgerlichen Aufbegehrens werden. Teil eins der Serie widmete sich der Familie Quandt/Klatten, Teil zwei drehte sich um das Schaeffler-Imperium; in Teil drei ging es um die Brose Fahrzeugteile SE & Co. KG; Teil vier widmete sich den Reimanns.

In Bielefeld steht die Rudolf-Oetker-Halle. Die ortansässigen Philharmoniker spielen dort auf, es finden Lesungen statt, die Halle ist denkmalgeschützt. Die Stadt bewirbt den „viel geschätzten Veranstaltungsort“ unter anderem wegen seiner „hervorragenden Akustik“. Der Namenspatron des Konzerthauses, Rudolf Oetker, war Sohn von August Oetker, dem Gründer des Pudding-Imperiums der heutigen Oetker-Gruppe. Als Erbe stand Rudolf dem 1891 gegründeten Familienkonzern vor, der bis heute eins der größten deutschen Traditionsunternehmen ist. Den Grundstein des heutigen Milliardenkonzerns bildete Backpulver, das sich, vermarktet mit dem professionellen Anstrich durch Doktortitel des Unternehmensgründers, bestens verkaufte. Sohnemann Rudolf Oetker starb 1916 während des Ersten Weltkrieges bei Verdun, nur kurz nachdem er in das Unternehmen eingetreten war. Die Familie stiftete die Bielefelder Konzerthalle, 1930 wurde sie eröffnet.

In der Heimatstadt des Multis, Bielefeld, steht – in Laufnähe zur Rudolf-Oetker-Halle – eine weitere Halle: die Bielefelder Kunsthalle. 1968 eröffnet und durch die Familie Oetker gestiftet hieß sie bis 1998 Richard-Kaselowsky-Haus. Richard Kaselowsky, den Rudolf Oetkers Witwe Ida Oetker nach dessen Tod geheiratet hatte, war glühender Nazi, Mitglied der NSDAP (wie auch Ida Oetker) und ab 1941 der Waffen-SS – und von 1920 bis zu seinem Tod 1944 Geschäftsführer des Konzerns. Der Oetker-Chef gehörte darüber hinaus auch dem „Freundeskreis Reichsführer SS“ an, in dem sich etliche deutsche Industrielle zusammengetan hatten und der unter anderem viele Millionen Reichsmark an den SS-Chef spendete.

Dass die Kunsthalle den Namen des bekennenden Nazis Kaselowsky trug, war keineswegs unumstritten. 1968 tobte um die Namensgebung der sogenannte „Bielefelder Kunsthallenstreit“, die lokale 68er-Bewegung mobilisierte sich darum herum, die Eröffnung war von Protesten begleitet. Denn dass Kaselowsky ein Nazi gewesen war, wusste man in der Stadt sehr wohl. „Nach dem Kaselowsky-Haus die Himmler-Uni?”, stand beispielsweise auf den damaligen Protestplakaten.

Über die Grenzen der Stadt hinaus hingegen war der Öffentlichkeit lange nur wenig über die Verstrickungen des Oetker-Clans in den deutschen Faschismus bekannt. Kaselowskys Stiefsohn Rudolf-August Oetker, der 1944 die Konzernleitung übernommen hatte, verhinderte zeitlebens jede Aufklärung. Deswegen stand Oetker lange nur für reaktionär-heimelige Nachkriegs-Pudding-Werbung, Kuchenrezepte oder die Ristorante-Fertigpizza und nicht für die gegenseitige Unterstützung von NS und deutschem Kapital

Zumindest im Kleinen änderte sich das vor wenigen Jahren, als auch größere Medien über die braune Vergangenheit des Konzerns berichteten. Anlass war, dass die Oetker-Familie den Historiker Andreas Wirsching mit einer Studie zu diesem Thema beauftragt hatte, die 2013 publiziert wurde. Noch später als viele andere Konzerne betrieb Oetker damit das, was in Deutschland „Aufarbeitung“ genannt wird. Nicht nur Rudolf-August Oetker war da bereits seit sieben Jahren tot, sondern auch die meisten Überlebenden der Zwangsarbeit, von der auch Oetker profitiert hatte.

Kein Blatt Papier“, Arisierungsprofiteure & Zwangsarbeit

In einem Interview mit dem Spiegel im Jahr 2013 anlässlich der Veröffentlichung dieser 400-seitigen Studie fasste es Wirsching so zusammen: „Zwischen Oetker und das NS-Regime passte kein Blatt Papier. Das gilt für die Familie wie für das Unternehmen. Wir haben keinen einzigen Beleg für eine Abgrenzung gefunden.“ Bemerkenswert ist dabei, dass die Oetkers in der Studie als in keiner Weise außergewöhnlich beschrieben werden: Kaselowsky sei zwar kein reiner Opportunist, sondern überzeugter Nazi gewesen, doch sei er damit laut Wirsching „ein typisches Beispiel für den fließenden Übergang von national-liberalem Bürgertum zu den Nationalsozialisten“. Wie viele andere habe er sich „von einem eher nationalliberalen Standpunkt aus nach rechts orientiert (…), die nationalsozialistische Alternative erschien als Chance“.

Diese „Chance“ wussten Konzernleitung und Familie zu nutzen, um Profitinteressen zu befriedigen, aber auch das eigene Sozialprestige zu steigern. So war Oetker ab 1933 mehrfach Nutznießer von sogenannten Arisierungen, am Beginn des Einstiegs ins Brauereibusiness etwa – bis heute ein Oetker-Geschäftsbereich – stand der Erwerb der Brauerei Groterjan, deren jüdische Besitzer brutal enteignet worden waren. Oetker war zudem in großem Stil oder auch mit kleineren Aktienpaketen an diversen Firmen beteiligt, die erheblich von Zwangsarbeit profitierten – wie an der Nähmaschinenfabrik Kochs Adler oder der Chemischen Fabrik Budenheim – ebenso wie an Firmen, die – wie der Schuhhersteller Salamander mit seinen „Schuhläufer-Kommandos“ – KZ-Häftlinge foltern ließen. Im Jahr 1937 war Oetker eines der ersten Unternehmen, das als „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet wurde. Kaselowsky, der als Oetker-Geschäftsführer auch über die im Familienbesitz befindlichen „Westfälischen Neuesten Nachrichten“ verfügte, war laut der Wirsching-Studie „sofort bereit“, die einflussreiche bürgerliche Zeitung auf Bitte des Gauleiters hin „an die Partei abzutreten“.

Eine besondere „Chance“ ergab sich überdies für das Kerngeschäft der Oetkers – die Lebensmittelproduktion – durch die Aufrüstung und den 1939 begonnenen Krieg: „Bei Dr. August Oetker erkannte man, dass sich hier ein vielversprechendes Geschäftsfeld eröffnete“ – gemeint ist die Verpflegung der Wehrmacht, für die Oetker eng mit dem Heeresverpflegungsamt kooperierte. 1943 gründeten die SS, Oetker und die Hamburger Phrix-Werke gemeinsam die Hunsa-Forschungs-GmbH in Hamburg zur Entwicklung und Herstellung unter anderem von Nährhefe. Die Phrix war eines der ersten privatwirtschaftlichen Unternehmen, das – in Neuengamme – über ein eigenes KZ-Außenlager verfügte. Kaselowsky wusste – da ist sich der Historiker Wirsching sicher – genau, dass für das gemeinsame Unternehmen Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge ausgebeutet wurden.

In Litauen und Dachau

Auch Kaselowskys Stiefsohn Rudolf-August Oetker, Jahrgang 1916, war ein überzeugter Nazi. Er war Mitglied der NSDAP und folgte Kaselowsky 1942 in die Waffen-SS. Mit der Wehrmacht war Oetker im Herbst 1941 längere Zeit in dem kleinen Städtchen Varėna in Litauen stationiert, kurz nachdem dort 831 Juden, darunter 149 Kinder, ermordet worden waren. In der Wirsching-Studie heißt es, es sei sehr unwahrscheinlich, dass Oetker während seines Aufenthalts in Varėna nichts von diesem Massenmord erfahren habe. Nach seiner Rückkehr und dem Ausscheiden aus der Wehrmacht machte Oetker eine kleine Karriere in der Waffen-SS, unter anderem besuchte er die SS-Verwaltungsführerschule, die zur SS-Kaserne des Konzentrationslagers Dachau gehörte. 1944, nach Kaselowsys Tod, stieg er an der Firmenspitze auf und konnte seine Tätigkeit dort – nach einer kurzzeitigen Internierung nach Kriegsende und offizieller „Entlastung“ durch einen Entnazifizierungsausschuss im Jahr 1947 – fortsetzen. Gegen die Firma war zudem eine Vermögenskontrolle verhängt und ein bis 1947 tätiger Treuhänder eingesetzt worden, der allerdings sehr eng und offenbar teilweise auch entgegen seiner von der britischen Militärverwaltung vorgesehenen Rolle mit Oetker zu dessen Gunsten zusammengearbeitet haben soll.

Richard Kaselowsky und Rudolf-August Oetker sind nur zwei Angehörige des großen Oetker-Clans. Auch andere – etwa die eingangs erwähnte Ida Oetker sowie deren Tochter, Rudolf-Augusts Schwester Ursula Oetker, waren NSDAP-Mitglieder. Die beschriebenen Unternehmungen sind ebenfalls nur ein Ausschnitt der tiefen geschäftlichen Verstrickungen des weiterverzweigten Familienkonzerns in den deutschen Faschismus. Auch nach dem Krieg bestand ein Teil der in der NS-Zeit geknüpften Netzwerke für Oetker fort.

Aufarbeitung zur Imagepflege

Warum wurde dennoch, auch nach dem Tod des Patriarchen Rudolf-August Oetker, noch zwei Jahre lang im Kreise der Familie kontrovers diskutiert, ob man eine historische Studie zur Vergangenheit überhaupt in Auftrag geben sollte? Warum hat niemand der acht Kinder Rudolf-August Oetkers bereits vor dessen Tod eine solche vehement und öffentlich eingefordert und unabhängigen Historiker*innen Zugang zu den Archiven gewährt? Oftmals heißt es, die Firmenpatriarchen seien in vielen der traditionellen deutschen Industriellen-Familien nun einmal die Verhinderer der Aufklärung gewesen (Subtext: da kann man nix machen), die nachfolgenden Generationen hingegen offen für eine solche. Am Ende aber sind es die viel zu selten thematisierten ökonomischen Interessen und öffentlicher Druck, die – gegeneinander abgewogen – viel eher zu solchen späten Studien geführt haben dürften wie jene, die die Oetker Familie 2009 schließlich in Auftrag gab. Denn für ernsthafte Entschädigungszahlungen war es da in aller Regel längst zu spät. Der Imagepflege indes (und damit auch wieder dem Profitstreben) ist eine solche firmenfinanzierte Studie dann doch zuträglich.

Apropos Entschädigungen: Wegen der vielen da schon nachgewiesenen Beteiligungen an Firmen, die Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge ausgebeutet hatten, zahlte auch Oetker im Jahr 2000 in den seinerzeit von Bundesregierung und einer Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft aufgesetzten gemeinschaftlichen Entschädigungsfonds ein: Er umfasste insgesamt zehn Milliarden DM, fünf Milliarden DM davon hatten die Unternehmen eingezahlt. Ein Klacks im Vergleich zu den Vermögen, die die beteiligten Familien besitzen. Und ein Klacks im Vergleich zu den 180 Milliarden DM vorenthaltenen Löhnen, die deutsche Industrielle einer Rechnung des Wirtschaftshistorikers Thomas Kuczynski zufolge Zwangsarbeiter*innen schuldeten. Entschädigungen waren wohlgemerkt in der Rechnung Kuczynskis noch gar nicht enthalten.

Den Oetkers geht es heute wirtschaftlich sehr gut – und ihre „Aufarbeitung“ wurde in der Tat vielfach anerkennend rezipiert. In verschiedenen Rankings der reichsten Deutschen landet die Oetker-Familie mit einem Vermögen von geschätzten sieben Milliarden Euro stets auf einem der vorderen Plätze. Die Oetker-Gruppe erzielt Unternehmensangaben zufolge zudem einen Jahresumsatz von 7,4 Milliarden Euro, 34.000 Menschen arbeiten für den Konzern. Dass dieser wirtschaftliche Erfolg nicht zuletzt auf der engen Zusammenarbeit mit dem NS aufbaut, gerät vor lauter Pudding und Verklärung zum Traditionsunternehmen allzu oft in Vergessenheit.

Zuletzt geriet Oetker – in Wirtschaftsblättern – in die Schlagzeilen mit einem Mega-Deal in der Getränkelieferdienstbranche. Und bei gewerkschaftlich interessierten durch die damit verbundenen Lohndumping-Methoden: Das Unternehmen Durstexpress, das zur Oetker-Familie gehört, hatte Ende Januar Hunderten Fahrer*innen und Lagerarbeiter*innen gekündigt und ihnen nahegelegt, sich nach der Kündigung beim Lieferdienst Flaschenpost neu zu bewerben – einem ehemaligen Konkurrenten, der mittlerweile auch zu Oetker gehört, aber seine Angestellten zu deutlich ungünstigeren Arbeitsbedingungen und niedrigeren Löhnen beschäftigt.

Und Bielefeld? Dort ist der Streit um den Einfluss der Oetkers und den Umgang der Stadt mit deren Nazi-Vergangenheit nie wirklich abgeebbt. Noch drei Jahre nachdem das Kunsthaus den Beinamen Richard-Kaselowsky-Haus verlor, wurde – 2001 – auf Wunsch des damals noch lebenden Rudolf-August Oetker eine Bielefelder Straße nach Kaselowsky benannt. Es war ein Geburtstagsgeschenk der Stadt an ihren wohl (einfluss)reichsten Sohn. Erst 2017 wurde der Straßenname wieder gestrichen – da war die Wirsching-Studie schon lange publiziert.

# Titelbild: Richard Kaselowsky und Hermann Göring 1937;
Foto: Walter Chales de Beaulieu; Logo Gemeinfrei; Montage LCM

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Die Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland hat einen neuen Vorsitzenden gewählt. Die Besetzung dieses Postens steht sinnbildlich für die aktuellen Entwicklungen innerhalb des Regimes.

Die Union Internationaler Demokraten (UID), zuvor bekannt als Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die sich selbst zwar als politisch-neutral beschreibt, aber vor allem in Deutschland als Vorfeldorganisation der AKP tätig ist, hat einen neuen Vorsitzenden: Köksal Kus. Dieser setzte sich gegen Erdogans Favoriten Bülent Güven durch. Ein Hinweis auf den wachsenden Einfluss der faschistischen Kräfte im AKP-MHP-Bündnis.

Wer ist Köksal Kus? Selbst die Tagesschau berichtet davon, dass der neue Kopf der AKP-Lobby ein grauer Wolf ist. Er war mehrere Jahre lang aktives Mitglied der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“, einem Sammelbecken für Organisationen und Gruppen der Grauen Wölfe. Seit 1979 lebt er in Deutschland, wie es heißt, weil er durch seine Beteiligung an der faschistischen Ülkücu-Bewegung „Bekanntschaft mit der Politik“ gemacht hat. Ende der 70er Jahre gab es viele Angriffe auf, politische Morde und Massaker an Linken, Alevit*innen, Gewerkschafter*innen und allen anderen, die nicht ins Weltbild der Faschisten passten. Viele der damaligen Täter flohen nach Deutschland, so wie auch nach dem Massaker in Sivas 1993, bei dem 34 alevitische Künstler*innen und Intellektuelle ermordet wurden. Die Übergriffe gingen auch in Deutschland weiter, wie der Mord am türkischen Kommunisten Celalattin Kesim durch graue Wölfe 1980 in Berlin zeigte.

Über den Hitler-Fan und Begründer der Ülkücu-Bewegung Alparslan Türkes schreibt Kus auf Facebook: „Am Jahrestag seines Todes gedenke ich seiner mit Barmherzigkeit (…). Millionen jungen Menschen – einschließlich meiner selbst – hat er geholfen, mit nationalen Werten und Gefühlen aufzuwachsen.” Türkes hatte 1977 in einem Brief türkischen Kameraden in Deutschland geraten, sie sollen doch von den „Erfahrungen der NPD profitieren.

Im Kampf gegen den Kommunismus sah man die deutschen Nazis als Verbündete, bevor man sich eher weniger radikalen Parteien zuwendete und vor allem Mitglieder in der CDU unterbrachte, um dort die eigenen Positionen befördern zu können.

Ebenso postete er zum Gedenken ein Foto des Verstorbenen Mafiosi Abdullah Catli, der wegen Drogenhandels verurteilt war und an mehreren politischen Morden beteiligt gewesen ist. Der Aktivist Kerem Schamberger weist auf Facebook daraufhin, dass Catli unter anderem am Mord an 7 Mitlgliedern der türkischen Arbeiterpartei beteiligt war, dem sogenannten Bahcelievler-Massaker 1979. Verbindungen zum Papst-Attentäter und zum Anschlag auf ein armenisches Mahnmal in Paris werden ihm nachgesagt. In der Schweiz saß er wegen Drogenhandels im Gefängnis, brach jedoch aus und wurde in der Folge von Interpol gesucht. Einige Berühmtheit erlangte Catli vor allem durch seinen spektakulären Tod, den sogenannten „Susurluk-Skandal“. Denn zu den Todesopfern des Autounfalls zählten neben dem bereits erwähnten Mafiosi Catli und seiner Frau auch ein hochrangiger Polizeifunktionär, Hüseyin Kocadag. Schwer verletzt überleben konnte den Unfall der Parlamentsabgeordnete Sedat Edip Bucak. Bei Catli fand man einen vom damaligen Innenminister unterschriebenen Pass. Mehrere weitere Pässe, Rauschgift und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfer wurden ebenfalls in dem Autowrack gefunden. Die Verbindung von Staat, Faschisten und organisiertem Verbrechen trat so ans Licht der Öffentlichkeit. „Dieser Unfall deckte die Zusammenarbeit und gemeinsamen Interessen von rechtsextremen Gewalttätern, die aufgrund politischer Verbrechen gesuchten wurden, in mafiösen Aktivitäten involviert waren und die die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützten, einerseits, und hochrangigen Verwaltungsbeamten, Polizeiführungskräften, Spezialeinheiten, bekennenden Militanten und Dorfschützern andererseits auf.“, hieß es im Human Rights Report von 1998 zu diesem Vorfall. Die Verbindung von Grauen Wölfen und dem organisierten Verbrechen kommen immer wieder zum Vorschein, wie auch vor kurzem als ein weiterer AKP-MHP-Lobbyist, der von Erdogan persönlich nach Brüssel geschickt wurde, an der EU-Grenze mit 100 Kilogramm Heroin erwischt wurde.

Mit der Wahl von Kus zum Vorsitzenden der UID setzt sich eine Tendenz fort, die sich seit einiger Zeit innerhalb der AKP-MHP-Koalition abzeichnete. Wie verschiedene türkische und kurdische Medien berichten, nehmen Personen des organisierten Verbrechens immer mehr politische Machtpositionen an. Viele Mafiosi wurden erst vor kurzem durch eine von Erdogan erlassene Amnestie aus den Gefängnissen entlassen. Unnötig zu erwähnen, dass im Rahmen der Amnestie keinerlei linke oder kurdische Gefangene freigelassen wurden. Dr. Yektan Turkyilmaz vom Forum für transregionale Studien in Berlin, beschreibt, dass der Einfluss der türkischen Mafia auf die Politik mit schwindender Stärke des Staates täglich zunimmt. Man könne mit Sicherheit sagen, dass die Mafia den Staat mehr nutze, als der Staat die Mafia, so Turkyilmaz.

#Titelbild: Gemeinfrei via Pixabay

Frederik Kunert arbeitet als Integrationserzieher an einer Grundschule in Berlin und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Politik in der Türkei und der kurdischen Befreiungsbewegung.

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25. Oktober 2021 | Dar Ronge

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