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Ein Europäer in den Tiefen des kolumbianischen Dschungels, bewaffnet, ausgebildet im Guerillakampf und im Krieg gegen einen rücksichtslosen Feind. Wir hatten die Möglichkeit, einen Internationalisten aus dem kolumbianischen Ejército de Liberación Nacional (ELN) zu interviewen.

Die Nationale Befreiungsarmee, die in Castellano das Akronym ELN trägt, befindet sich seit über 50 Jahren im Krieg mit dem kolumbianischen Staat und hat das Ziel, diesen zu stürzen. Eine marxistisch-leninistische Guerilla, inspiriert von der kubanischen Revolution und kommunistischen befreiungstheologischen Priestern. Während des jahrzehntelangen Krieges mit der Armee, rechten Paramilitärs, Narco-Kartellen und multinationalen Kooperationen hat die ELN gelernt, fast jede politische Situation zu überleben, und wächst nun wieder rasant. Die ELN ist nicht nur eine militärische Organisation, sondern de facto eine Regierung für die Menschen, die die kolumbianische Regierung vernachlässigt hat. Nachdem die zweite große kolumbianische Guerilla FARC-EP einen „Friedensvertrag“ unterzeichnet hat, ist die ELN nun Staatsfeind Nummer eins in Kolumbien. Das südamerikanische Land befindet sich immer noch im Krieg, auch wenn die Massenmedien diese Tatsache verschweigen.

Wir hatte die seltene Möglichkeit, einen internationalistischen Freiwilligen in der ELN zu interviewen. Wenn die Behörden von seiner Anwesenheit wüssten, wären sie außer sich, wie damals, als sie den Ursprung der berühmten FARC-EP-Guerillera und niederländischen Internationalistin Tanja aufdeckten. Die Sicherheitsvorkehrungen für dieses Interview waren hoch, die wahre Identität unseres Interviewpartners bleibt geheim. Zum ersten Mal gibt dieses Gespräch einen Einblick in das Leben eines freiwilligen europäischen Internationalisten, der in der ELN diente.

Um anzufangen, wo in Kolumbien warst Du stationiert?

Kolumbiens Llano-Region und die umliegenden Gebiete Arauca, Meta und Boyacá. Ich war größtenteils auf dem Land und in den Bergen stationiert, anstatt ein „Urbano“ zu sein – ein Stadtguerillero.

Wie kam es dazu, dass Du Dich der ELN angeschlossen hast? Was war Dein Ziel?

Ich hatte Freunde durch staatliche Repression in Kolumbien verloren, bevor ich überhaupt daran gedacht hatte, der ELN beizutreten. Meine Entscheidung, mich anzuschließen, beruhte auf meinen Erfahrungen in Kolumbien und wurde natürlich von meiner revolutionären Einstellung angetrieben. Der ganze Prozess verlief organisch. Ich bin nicht aus dem Westen aufgebrochen, um mich anzuschließen. Obwohl, ich würde sagen, dass ich als Marxist-Leninist natürlich meine Sympathien mit den Rebellen und auch der legalen politischen Bewegung hatte.

Ich habe lange und gründlich studiert und nachgedacht, und mir war klar, dass es sehr starke strategische Gründe gibt, Kolumbien als schwaches Glied in der imperialistischen Kette, die die gesamte Welt erstickt, zu priorisieren. Kolumbien ist für die Interessen der USA in Lateinamerika von entscheidender Bedeutung. Und das Land hat auch eine lange und bedeutende Geschichte marxistischen Widerstands, die diese Tatsache bestätigt. Die USA betrachten das Land als ihre Hochburg, als ihren wichtigsten Verbündeten auf dem Kontinent, daher wäre ein Sieg hier ein massiver Erfolg im Kampf gegen den Imperialismus für die ganze Welt. Es wäre unglaublich transformativ – auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent würde nach Jahrzehnten der Einmischung, die oft von Kolumbien selbst ausgerichtet wurde, ein Stiefel vom Hals gehoben. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, an diesem Kampf teilzunehmen, so bescheiden meine Beiträge auch gewesen sein mögen.

Wie war dein tägliches Leben als internationaler Guerillero?

Ich war Mitglied eines offensiv ausgerichteten Bataillons. Unsere Operationsbasis war hauptsächlich in den Bergen, aber manchmal befanden wir uns auch in zivilen Communities. Unser Hauptziel war es, den Feind in dieser Region in kleinen Gefechten anzugreifen und wir zielten auf die Infrastruktur großer multinationaler Konzerne ab. Unsere Existenz als Einheit in der Region, die sich zwischen sicheren Gebieten in den Bergen bewegt und die lokalen ländlichen Communities schützt, zwingt den Staat dazu, viel Zeit, Geld und Arbeitskräfte zu investieren. Wir betrachten dies als eine Errungenschaft für unsere Bewegung, komme was wolle.

Unser Tagesablauf beinhaltete viel Marschieren und körperliches Training, das Aufspüren des Feindes, Waffentraining – im Grunde alles, was man als Vorbereitung auf offensive Aktivitäten in Betracht ziehen könnte. Jeder verbringt zwei Stunden am Tag im Wachdienst und jeder kocht und putzt, wenn er an der Reihe ist. Wann immer möglich, findet auch politische Bildung statt.

Ich werde ehrlich sein – das Leben in den Bergen ist sehr hart. Du bist extrem isoliert, Hunger und Unterernährung sind keine Seltenheit, und das kolumbianische Militär ist ständig mit Drohnen und Flugzeugen über Dir und sucht nach Anzeichen Deiner Anwesenheit, eine Tatsache, an welche die Armee Dich ständig erinnern möchte. Der Umgang mit diesen Bedingungen ist selbst für die hartgesottensten Veteranen in diesem Kampf schwierig.

Hast Du andere internationale Freiwillige in der ELN getroffen?

Mir sind keine anderen westlichen Internationalist:innen bekannt, die derzeit bei der ELN sind. Davon abgesehen gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Internationalist:innen aus Spanien, darunter Manuel Perez, der die ELN bis zu seinem Tod 1998 leitete. Es gibt jedoch viele Internationalist:innen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, wie beispielsweise aus Venezuela und Ecuador. Zu Kolumbiens FARC-EP gesellte sich eine Niederländerin, Tanja Nijmeijer, die sich über viele Jahre als große und engagierte Revolutionärin bewährt hat. Ich bin sicher, Tanja hat sich für den kolumbianischen Revolutionskampf als weitaus nützlicher erwiesen, als wenn sie in den Niederlanden geblieben wäre.

Ich wollte ursprünglich nicht der ELN beitreten. Die Gelegenheit ergab sich spontan, nachdem ich einige Zeit in Kolumbien verbracht hatte. Die Klandestinität, die die Rebellen aufgrund der Gewalt des kolumbianischen Staates benötigen, macht es schwierig, eine bewaffnete Bewegung in Kolumbien aus dem Ausland zu kontaktieren, insbesondere wenn man ein Außenseiter mit geringen Kenntnissen der lokalen Realität ist. Darüber hinaus muss man von einem vertrauenswürdigen Mitglied einer lokalen Community bestätigt werden, bevor man überhaupt für eine Mitgliedschaft in Betracht gezogen wird.

Die ELN sind offen für den Beitritt von Internationalist:innen, aber es ist kein einfacher Prozess.

Wenn Du an Deine Zeit in Kolumbien zurückdenkst, welche Momente kommen Dir als erste in den Kopf?

Das erste Mal als ich meine Uniform trug war ein sehr wichtiger Moment, aufgrund dessen, was sie darstellt und impliziert. Die Uniform repräsentiert die Verpflichtung des Widerstands gegen Kapitalismus und Imperialismus, eine Akzeptanz, dass man an einem Krieg teilnimmt, in dessen Verlauf man möglicherweise sein Leben verliert.

Die besten Zeiten waren die kleinen Momente unter Genoss:innen. Ich erinnere mich, wie wir zusammen gelacht haben, einige der Gespräche, die wir geführt haben – die einfachen Dinge. Wir unterhielten uns zur Mittagszeit oder bei einem Abendkaffee. Die Bäuerinnen und Bauern (die natürlich die große Mehrheit der ländlichen Guerilla-Reihen der ELN ausmachen) haben einen brillanten Sinn für Humor und versuchen, sich nicht zu ernst zu nehmen. Während der Trainingseinheiten wird viel gelacht, wenn Genoss:innen dazu neigen, sich auf die eine oder andere Weise zu blamieren.

Es tut sehr weh, wenn deine Genoss:innen getötet werden. Von Zeit zu Zeit erhalte ich immer noch Nachrichten über den Tod von Genoss:innen, mit denen ich gedient habe. Es tut noch mehr weh zu wissen, dass meine Genoss:innen oft vom venezolanischen Militär getötet wurden. Einige der bemerkenswertesten Kommunist:innen, die ich je kennengelernt habe, wurden vom venezolanischen Militär getötet. Andere haben die ELN mit Erlaubnis und bei guter Stimmung verlassen, wie es nach einer gewissen Zeit der Mitgliedschaft üblich ist.

Eine andere Sache, an die ich mich immer erinnern werde, ist das Gefühl wahrer Genoss:innenschaftlichkeit – eine wahre, tiefe und natürliche Wertschätzung für einander und jeden in ihrer Einheit. Sie alle bringen die gleichen Opfer, sie sind Mitglieder des gleichen Kampfes und sie sind den gleichen Risiken ausgesetzt. Dies schafft natürlich eine tiefere Bindung als die, welche man in legalen, städtischen politischen Bewegungen finden könnte. Wir beweisen uns selbst, beweisen unser Engagement füreinander und den Kampf jeden Tag, an dem wir weiterkämpfen. Es ist schwierig, ein vergleichbares Beispiel zu finden.

Das venezolanische Militär bekämpft die ELN, obwohl die Mainstream-Medien argumentieren, Venezuela unterstütze die Guerilla?

Es ist nicht wahr, dass das venezolanische Militär die Rebellen unterstützt – dies ist eine Lüge, um eine Aggression gegen den venezolanischen Staat zu rechtfertigen. Venezuela wird von den USA als sozialistisches Land und Bedrohung für den Imperialismus, als Feind, angesehen. Die Aussage, dass sie “Terroristen” in einer fremden Nation unterstützen, ist ein alter Trick im Handbuch, um die Zustimmung für einen möglichen zukünftigen Krieg und für “Intervention” herzustellen. Beweise für diese Art von Haltung gibt es überall – sieh Dir nur die Guiado-Saga und die fehlgeschlagenen Putschversuche im letzten Jahr an und wie der Irak und Afghanistan 2003 als „staatliche Sponsoren des Terrorismus“ galten.

Die Ermordung kolumbianischer Kommunist:innen durch das venezolanische Militär ist unter kolumbianischen Revolutionär:innen bekannt, aber die Medien berichten nicht darüber und es wird international totgeschwiegen. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum Venezuela kolumbianischen Rebellen feindlich gegenübersteht. Vielleicht aus Angst, echte Beweise für die Behauptung „Sponsoren des Terrors“ zu liefern. Eventuell versteht das venezolanische Militär seine Souveränität auf eine rechte und reaktionäre Weise und sieht in dem Tod von kolumbianischen Kommunist:innen die Sicherung ihrer Grenzen gegenüber ausländischen bewaffneten Gruppen, welche dort Schutz vor Luftschlägen und Angriffen im Morgengrauen suchen.

Ich weiß jedoch nur Folgendes: Das venezolanische Militär tötet routinemäßig kolumbianische Kommunist:innen, die es innerhalb seiner Grenzen findet. Sie arbeiten nicht mit der ELN zusammen – so sehr wir uns das alle wünschen.

Wie gefährlich ist das Leben als Guerilla? Wie gefährlich war es für Dich?

Eines Nachmittags, kurz bevor es völlig dunkel wurde – es wird gegen 18 Uhr in den Bergen pechschwarz und man kann nichts sehen -, wurde unsere Einsatzbasis durch das ohrenbetäubende Geräusch mehrerer Arten von Militärflugzeughubschraubern und Sturzkampfflugzeugen alarmiert, welche direkt auf uns zukamen, als ob sie wussten, dass wir da waren. Feindliche Bodentruppen machten sich auf den Weg zu unserer provisorischen Küche, in der wir den Tag verbracht hatten (wir nutzten sie oft als Treffpunkt während des Tages), aber wir hatten sie glücklicherweise erst zwanzig Minuten zuvor geräumt, um zu unseren Hängematten zu gehen und dort zu schlafen. Wir waren jedoch nicht in Sicherheit, da das Militär nur zehn Minuten entfernt war und schnell näherkam. Die gesamte Soundkulisse wurde vom Dröhnen der Motoren dominiert. Wir dachten das wär’s mit uns.

Ich ging hinter einem Baum in Deckung, wie es mir beigebracht worden war, aber es schien fast sinnlos, als der Feind von allen Seiten auf uns zukam – sie hatten uns flankiert und ihre Operation war eindeutig gut organisiert. Zum Glück haben der Anführer unserer 14-köpfigen Gruppe und mein engster Genosse bis zu seinem Tod durch das venezolanische Militär beschlossen, uns vom Berg herunterzuführen. Man konnte die Spannung in der Einheit spüren, es war eine schwierige Situation.

Ihre Hubschrauber hatten unsere üblichen Wege, Ein- und Ausgänge entdeckt. Soldaten hatten ihre Fahrzeuge in unserer Küche geparkt, um nach Beweisen für unsere Anwesenheit zu suchen, und wir wussten, dass es nicht lange dauern würde, bis sie unseren genauen Standort lokalisiert hätten, es sei denn, wir überlegten uns eine unberechenbare Lösung. Das kolumbianische Militär hatte Nachtsichtgeräte, welche wir nicht hatten, und die Nacht war pechschwarz. Wir waren umzingelt und die Zeit, um zu fliehen, wurde knapper. Wir beschlossen, dass unsere einzige Chance darin bestand, den steilen, überwucherten Berghang hinunterzusteigen, indem wir ihn hinunterrutschten und auf unserem Rückzug einen völlig neuen Weg einschlugen.

Wir brauchten ungefähr eine Stunde, um von der Spitze des Berges abzusteigen, gefolgt von einem 8-stündigen Marsch flussabwärts und einen anderen Berg hinauf, um genügend Abstand und Deckung für etwas Schlaf zu gewinnen. Wir haben am steilen Hang eines weiteren Berges geschlafen. Ich schlief mit meinen Beinen um einen Baumstamm, um zu verhindern, dass ich den Berghang hinunterfiel. Wir brauchten ungefähr zwei Tage, mit dem Militär immer dicht auf den Fersen, um in die Ebene zu gelangen, wo uns eine lokale indigene Gruppe die Unterstützung anbot, die wir dringend brauchten.

Manchmal konnten wir sogar das Geräusch ihrer Drohnen über unseren Köpfen hören. Am Ende jedoch, trotz der intensiven Operation gegen uns konnte unser Wissen über das Terrain, kombiniert mit unserer Erfahrung des Überlebens in den Bergen und der Umsetzung von Guerillataktiken, uns das Leben retten – und wir haben einen gut geplanten Hinterhalt zur Aufstandsbekämpfung ausmanövriert, der von dem militärisch gefährlichsten Staat finanziert und ausgerüstet wurde, den die Welt je gesehen hat, den USA.

Was würdest Du zur Perspektive zukünftiger internationaler Freiwilliger sagen? Wie war es, der einzige Westler zu sein?

Als ich der ELN beitrat, wurde ich von mehreren hochrangigen politischen Kommandeur:innen begrüßt, die eine Rede hielten, die ich nicht so schnell vergessen werde. Sie erklärten, dass die ELN „dem internationalen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus verbunden“ sei und von der internationalen Unterstützung stark profitieren würde, vor allem der aus den Ländern des Westens. Die Kommandeur:innen legten großen Wert darauf, zwischen den Regierungen und dem Proletariat in den imperialistischen Nationen zu unterscheiden. Sie erkannten, dass die Arbeiter:innen im Westen trotz der geopolitischen Stärke von ihrer herrschenden Klasse immer noch bösartig ausgebeutet werden.

Es gibt einige Marxist:innen, die in Bezug auf Revolution übermäßig dogmatisch und starr sind und glauben, dass man als Franzose nur in Frankreich für den Sozialismus kämpfen muss, ein Mexikaner in Mexiko, ein Deutscher in Deutschland und so weiter. Ja, jemand, der selbst aus einer Nation stammt, wird die Bedingungen in dieser Nation besser und tiefer verstehen, aber das bedeutet nicht immer, dass er nur dort kämpfen kann, wo er herkommt. Das bedeutungsvolle Erbe von Che Guevara zeigt deutlich den Nutzen internationaler Freiwilliger. Ein jüngeres Beispiel ist Tanja Nijmeijer der FARC-EP. Ich vermute, dass sie im kolumbianischen Kampf wahrscheinlich wirksamer war als in den Niederlanden. Das Internationale Freiheitsbataillon in Kurdistan war maßgeblich an der Befreiung von Minbij und Raqqa während des antifaschistischen Krieges gegen ISIS beteiligt, und ich habe bereits Manuel Perez von der ELN erwähnt. Obwohl Perez einst unter dem Verdacht gefangen genommen wurde, ein ausländischer Spion zu sein, stieg er zum höchsten politischen Führer der ELN auf und bewies sich während mehrerer Jahrzehnte bewaffneter Kämpfe als ein großer Revolutionär. Viele andere Internationalist:innen in der Geschichte haben bewiesen, dass es manchmal nicht immer die beste Strategie für Kommunist:innen ist, dort zu bleiben, wo sie gerade geboren wurden.

Manuel Marulanda, Gründer der FARC-EP und ehemaliges Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kolumbiens, argumentierte einmal: „Auf 100 Kommunist:innen kommen nur etwa 30, die bereit sind, für ihre Überzeugung zu sterben. Und von diesen 30 werden nur etwa 10 bereit sein, das Opfer und den Kampf im bewaffneten Kampf zu ertragen.“ Es gibt immer viele städtische Aktivist:innen auf der ganzen Welt, die sich an legalen Kämpfen beteiligen, insbesondere im Westen, mit der romantischen Vorstellung, eines Tages an einem glorreichen bewaffneten Kampf teilzunehmen – aber es gibt normalerweise einen Mangel an Kommunist:innen, die bereit sind, wirklich zu kämpfen, die bereit sind, sich für ein solches Leben mit all seinen Schwierigkeiten zu entscheiden, besonders in Ländern wie Kolumbien, in denen der Feind aufgrund jahrzehntelanger Bürgerkriege sehr erfahren ist.

Wenn jemand wirklich bereit ist, diesen Weg zu gehen, wenn jemand demütig akzeptieren möchte, dass vielleicht niemand jemals von seinen Erfahrungen erfahren wird und dass er leicht sein Leben verlieren könnte, wenn er bereit ist, die Risiken, Verantwortlichkeiten und das ständige Lernen zu akzeptieren und selbstkritisch zu sein, wie es im Guerilla-Leben verlangt wird, dann würde ich sagen, dass diese Person für den bewaffneten Kampf wahrscheinlich wertvoller ist als in dem städtischen, legalen Kampf.

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Es war ein langer Prozess, die in den Städten Kolumbiens kämpfende Guerilla der ELN, die Frente de Guerra Urbano Nacional (FGUN) zu kontaktieren. Das Auftreten der Stadtguerilla in Kolumbien ist um einiges verdeckter als das der im Dschungel und auf den Bergen operierenden Guerilla.

Die Ejército de Liberación Nacional (ELN) ist die größte kämpfende kommunistische Organisation im Land, in den von ihnen kontrollierten Gebieten können sie es sich erlauben, sich öffentlich zu präsentieren. In den Städten sieht die Realität für die Bewegung jedoch anders aus. Der kolumbianische Staat konnte in den Barrios und Städten Kolumbiens ein Netzwerk von Informant:innen gegen die Guerilla aufbauen.

Trotz alledem zwingt die Perspektivlosigkeit des kolumbianischen Kapitalismus immer mehr Menschen in die bewaffnete Opposition gegen den Staat zu gehen. In Kolumbien gibt es eine Redewendung: Es sei sicherer, in die Berge zu gehen (sich der Guerilla anzuschließen), als eine Gewerkschaft zu gründen oder in dieser aktiv zu sein. Die ständige Bedrohung durch die Willkür der Polizei und des Militärs, die ständige Gefahr durch die grausamen paramilitärischen Todesschwadronen und der bewaffneten Narcos sind der Grund für eine Allianz von Bäuer:innen, Arbeiter:innen und Student:innen – vor allem Jugendliche und ca. die Hälfte weiblich -, welche in die Stadtguerilla der ELN eintreten.

Die FGUN ist dazu gezwungen, im Untergrund zu arbeiten. Die Frente Urbano ist mit Zellen in den meisten größeren Städten Kolumbiens organisiert, vor allem aber in der Hauptstadt Bogota. Durch einen langen Prozess der Kontaktaufnahme online konnte erstmals ein Interview mit der Stadtguerilla FGUN geführt werden, welches einen kleinen Einblick in die politisch-militärischen Strukturen der ELN in den städtischen Teilen des Landes ermöglicht und versucht, ein Verständnis für den berechtigen Widerstand des kolumbianischen Volkes zu schaffen.

Wie unterscheidet sich die Stadtguerilla von der Guerilla auf den Bergen und im Dschungel? Was sind ihre Aufgaben?

Die Geschichte des Kampfes der ELN beinhaltet die Erfahrung des städtischen und ländlichen Kampfes seit ihrem Ursprung, als Student:innen und junge Revolutionär:innen in den 1960er-Jahren die Aufgabe der Organisation von ersten Guerilla-Gruppen in städtischen Zentren übernahmen.

Deshalb wird auf den Feldern und in den Städten der bewaffnete Kampf geführt – zwei Gebiete mit unterschiedlichen Möglichkeiten, aber integriert in eine Strategie des poder popular (der „Volksmacht“) und der Konstruktion des Sozialismus. Der Hauptunterschied zwischen der Stadtguerilla und der ländlichen Guerilla ist gekennzeichnet durch das Gebiet und die materiellen Bedingungen. Die Stadtguerilla entwickelt ihre militärische und politische Aktivität in den Städten Kolumbiens unter den Bedingungen, welche vom Feind und den Werkzeugen des Imperialismus geschaffen sind. Der Kampf der städtischen Guerilla ist im Untergrund, unterteilt, und mit Sicherheitsmethoden, die es ermöglichen, dass Aktionen unsichtbar sind. Die Stadtguerilla führt viele unterschiedliche logistische militärische und politische Aufgaben im Rücken des Feindes aus.

Die ländliche Guerilla ihrerseits bewegt sich und handelt in verschiedenen vorstädtischen und ländlichen Gebieten, in denen die feindlichen Aktionen und Kontrollmittel anders als die der Guerilla sind. Die ländliche Kraft bringt eine Strategie zusammen, die zum Aufbau von Volksmacht, Legitimität und politischer Kraft sorgt, während sie gleichzeitig militärische Konfrontation mit den feindlichen Streitkräften führt. Sowohl der städtische als auch der ländliche Kampf ist Teil des Widerstandskampfes.

Die städtische Guerilla entwickelt einen Plan auf umfassender Weise, politisch, militärisch, logistisch usw. in der Stadt. Im Rahmen des Widerstandskampfes hat der Stadtkampf die erste Aufgabe zum Aufstand des Volkes beizutragen, wobei er versteht, dass der bewaffnete Kampf der ELN Teil der Kämpfe der Menschen des Landes ist. Die Waffen der ELN zielen darauf ab, den Kampf der Menschen zu stärken und den politischen Kampf voranzutreiben.

Wie hat sich die Stadtguerilla im Laufe der Jahre entwickelt?

[Auf die Frage antworteten unsere Dialogpartner:innen der Frente Urbano nicht direkt, sondern mit einem Dokument der Führung der FGUN-ELN (Dirección Frente de Guerra Urbano Nacional – ELN, deutsch: Führung der nationalen Stadtkrieg-Front – ELN). Das Dokument werden wir im Folgenden in seiner Gesamtheit übersetzen:]

„Seit ihrer Gründung hat die ELN die entschlossene Beteiligung der in den Städten lebenden Genoss:innen. Bei der Bildung der José-Antonio-Galán-Brigade und in den ersten Guerillakernen gibt es die Eingliederung von Militanten, die mit ihrem Engagement und Einsatz viel beigetragen haben, insbesondere unser Oberbefehlshaber Camilo Torres Restrepo ist das deutlichste Beispiel dafür. Daher trägt die FGUN seinen Namen als Anerkennung für einen der größten Revolutionäre unseres Mutterlandes und Lateinamerikas.

Es war kein einfacher Prozess, eine nationale Stadtkrieg-front zu bilden. Die Geschichte der städtischen Kämpfe und der in den Städten geborenen Militanz ist voll unsterblicher Erinnerungen an Genoss:innen, viele von ihnen anonyme Revolutionäre, die ihren Beitrag geleistet haben. Sie gaben ihr Bestes für eine menschliche und inklusive Gesellschaft. Im Prozess der Reifung und des Lernens, wie er für jede Organisation typisch ist, hat die ELN zunehmend die entscheidende Bedeutung der Beteiligung der in Städten lebenden Volksmassen für den revolutionären Kampf verstanden.

In den ersten Lebensjahren der ELN war die Arbeit in den Städten von grundlegender Bedeutung für die logistische Unterstützung, die Aufnahme von mutigen Militanten für die Entwicklung des Guerillakerns sowie für militärische Aktionen und die Beschaffung wirtschaftlicher Ressourcen. Der unschätzbare Beitrag unseres Oberbefehlshabers Camilo Torres und die wertvolle Erfahrung der „Vereinigten Front“ (eine Theorie formuliert von Camilo Torres), lehrte die ELN, dass es notwendig war, im gesamten Ausmaß zu analysieren, wie sich die städtische Arbeit im Land repräsentiert.

Auf diesem Weg wurde in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre der Schritt unternommen, regionale Strukturen zu bilden, die eher städtischer Natur waren, was der ELN-Organisation auf einer gesamten nationalen Dimension geholfen hat. Für das Jahr 1989 erarbeitete die ELN auf dem II. Kongress „Volksmacht und neue Regierung“ eine tiefere Vorstellung der städtischen Arbeit in den sogenannten revolutionären Massenbasen und skizzierte, was heute eine territoriale Strategie sein könnte. Wie jede revolutionäre Aktivität blieb die städtische Arbeit nicht von Schwierigkeiten verschiedenster Art verschont, doch gleichzeitig hat sie Momente der Entwicklung und der Planung und Orientierung erlebt. Die neunziger Jahre sind ein Beispiel für beide Dimensionen. Sie waren eng verbunden mit der Komplexität des Kampfes, den repressiven Auswirkungen der verschiedenen Regierungen und dem Staatsterrorismus, welcher sich in diesem Jahrzehnt in der Barbarei der paramilitärischen Armeen ausdrückte.

Bereits für die Jahre 2000-2001 wurde eine Koordinierungsarbeit für städtische Strukturen entwickelt, die von Mitgliedern der nationalen Direktion unterstützt wurde. 2004 skizziert die nationale Organisation Ziele, um die Wiederzusammensetzung und Aufnahme der Arbeit zu erreichen und Prozesse der Eingliederung der verschiedenen städtischen Arbeiten in den verschiedenen Städten zu entwickeln und diese zu vereinheitlichen. Man beginnt, eine nationale urbane/städtische Koordination zu strukturieren, was mit der Zeit zu einer größeren Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den urbanen/städtischen Gruppen führt.

Der 4. Kongress der ELN bestätigte diese Definitionen als Prioritäten der politischen Arbeit und der organisatorischen Aktion in den Städten, einhergehend mit den Kämpfen der Massen. Außerdem plant die ELN diesen Wiederaufbauprozess im strategischen Sinne, und bewegt die Führung zu der Schaffung einer Kriegsfront, die eine einzigartige Struktur aufbauen soll, indem sie die Beziehungen zu und die Interaktionen mit den ländlichen Strukturen aufrechterhält und verbessert. Der Kongress richtet sich darauf aus, einen urbanen/städtischen nationalen Rat zu bilden, um sich mit verschiedenen Themen der städtischen Realität und der Organisierung der Arbeit in den Städten auseinanderzusetzen.

Von 2006 bis 2014 schritt die Arbeit an der Schaffung einer Kriegsfront voran, wobei das Augenmerk vorrangig darauf liegt, sich in die politische Dynamik des Landes einzufügen und sich einen Platz bei den Arbeiter:innen, Studierenden und Bewohner:innen der Städte zu verschaffen. Eine bedeutende Zahl an Städten wird in die Arbeit integriert, die Arbeit wird städteweise organisiert. Unter Berücksichtigung der Definitionen und Pläne findet 2014 die konstitutive Versammlung der nationalen Stadtkrieg-Front statt, bei der eine Präsentation zur städtischen Arbeit genehmigt, ein Arbeitsplan verabschiedet und eine städtische Führung gewählt wird.

Der Fünfte Kongress bestätigt die Existenz der Front, ihr Fortbestehen und ihren Namen Städtisch-Nationale Kriegsfront Oberbefehlshaber Camilo Torres Restrepo“

Welche Rolle spielt die Guerilla im antikapitalistischen Kampf weltweit?

Che Guevara definierte die Guerilla so: “Die Guerilla ist eine bewaffnete, disziplinierte und politisch bewusste Avantgarde der Arbeiter:innen.”

Wir betrachten uns als Teil des guevaristischen Erbes und die Theorie leitet uns in seinen antiimperialistischen Kampfstrategien. Die Guerillas sind Ausdruck des antikapitalistischen und antiimperialistischen Widerstands des kolumbianischen Volkes. Es liegt in der Verantwortung der Guerilla, den Kampf für eine politische Lösung des bewaffneten Konflikts in Richtung der Progressivität, die das Land braucht, fortzusetzen. Diese Veränderungen sind eine wirtschaftliche, politische und soziale Alternative für die nationalen Mehrheiten, d. h. eine neue Regierung, die die einfache und bedürftige Bevölkerung auf dem Land und in der Stadt in den Mittelpunkt stellt und solidarische Beziehungen zu den Völkern Amerikas und der Welt aufbaut.

Es braucht eine neue Regierung für die Förderung der demokratischen und revolutionären Transformationen, die das seit der Kolonialzeit etablierte oligarchische Stadium des Staates überwindet. Die ELN identifiziert sich mit dem proletarischen Internationalismus und sympathisiert mit den antiimperialistischen Kämpfen der Völker Amerikas und der auf der gesamten Welt. Wir sind daher der Ansicht, dass unsere Rolle darin besteht, zu diesem antikapitalistischen Kampf mit unseren Praktiken der Theorie der Volksmacht beizutragen, mit dem täglichen Kampf um die Errichtung neuer Solidaritätsstrukturen, dem entschlossenen Kampf gegen den Paramilitarismus und die staatlichen Streitkräfte, die den Staatsterrorismus als offizielle Politik durchführen.

Wir werden angetrieben durch unsere Verpflichtung für die Revolution und unser Klassenbewusstsein. Die Revolutionäre dieser Welt können sich darauf verlassen, dass die ELN dem Widerstand und dem Kampf gegen den Kapitalismus und den Gringo-Imperialismus Kontinuität verleiht.

Wie wird Ihr täglicher Alltag vom revolutionären Leben beeinflusst?

Für die Elenos, die Mitglieder der ELN, ist das revolutionäre Leben das tägliche Leben, da es ein Leben ist, welches ganztägig darauf ausgerichtet ist, die Aufgaben der Revolution zu erfüllen. Im Rahmen des Kampfes führen wir unser Familienleben und unser tägliches Leben. Es gibt keine Unterschiede. Das revolutionäre Leben ist kein Leben, das einen täglichen Zeitplan hat, sondern alles, was wir als Rebellen tun, ist Teil der revolutionären Aufgabe. Eleno zu sein ist ein Projekt des revolutionären Lebens, in dem wir alles auf andere Weise aufbauen müssen, wir müssen die Kollektivität und Volksmacht in den verschiedenen Lebensbereichen aus einer revolutionären und antikapitalistischen Perspektive aufbauen. Unser tägliches Leben ist das gleiche wie das der Mehrheit der Menschen, die in den großen Nachbarschaften die Mängel erleben und den Widerstand leben, um die Probleme zu lösen, während sie gegen den Feind handeln und zur Organisation beitragen. Es ist ein Kampf, der in das Leben der Nachbarschaft, der Gemeinde, der Bevölkerung und ihrer Gebiete integriert ist. Wir sind Kinder des Volkes, wir leben wie das Volk und wir kämpfen mit dem Volk.

Wie wichtig ist die Jugend im revolutionären Kampf?

Die Jugend hat im revolutionären Kampf in Kolumbien und insbesondere im bewaffneten Kampf eine zentrale Rolle gespielt. Die ELN bestand von Anfang an aus jungen Menschen, Student:innen und Bäuer:innen, die am 4. Juli 1964 den ersten Marsch und am 7. Januar 1965 die anschließende politisch-militärische Gründungsaktion in Simacota Santander organisierten. Die revolutionäre Jugend hat verstanden, dass der revolutionäre Kampf ein Volkskampf ist, und hat zu den verschiedenen Szenarien beigetragen, sowohl im militärischen als auch im politisch-sozialen Bereich. Die Massenkämpfe von Student:innen und Arbeiter:innen in den 1960er-Jahren bildeten den Hintergrund für den bewaffneten Aufstand der Guerillas in Kolumbien. Die Jugend hat dann in allen Aspekten einen Beitrag geleistet, und ihr Engagement und ihre Bereitschaft zur Arbeit haben die Geschichte der kolumbianischen Revolution geprägt. Die gleiche Rolle haben junge Menschen in ganz Lateinamerika gespielt, sei es in der Guerilla oder in legalen und parteipolitischen Kampfmodalitäten. Der Beitrag ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Geschichte des kontinentalen Widerstands gegen den Imperialismus, von dem Süden des Rio Grande in Mexiko bis nach Patagonien in Argentinien.“

Was raten Sie den Revolutionär:innen in imperialistischen Ländern?

Als ELN respektieren wir die revolutionären Prozesse anderer Völker und die Wege und Optionen, die in der Hitze des Kampfes in Europa und anderen Gebieten gewählt wurden. Wir schätzen die Beiträge und die Bereitschaft, Wege der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes im Kampf gegen die Feinde der Menschheit zu schaffen. In dieser Reihenfolge begrüßen und gratulieren wir den Kämpfen der Brudervölker der Welt und fordern sie auf, die Arbeit für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, die den Bedürfnissen des Planeten entspricht, nicht aufzugeben und fortzusetzen.

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Die Geschichte Kolumbiens ist die Geschichte eines brutalen Krieges der Oligarchie und des Imperialismus gegen die Armen. Im “Krieg der tausend Tage” um 1900 verloren über 100 000 Menschen ihr Leben; beim Bananenarbeitermassaker am 6. Dezember 1928 tötete das kolumbianische Militär für die US-amerikanische United Fruit Company mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder; und in der Periode der violencia nach der Ermordung des populären Politikers Jorge Eliécer Gaitán starben zwischen 1948 bis 1958 200 000 bis 300 000 Menschen. Kolumbien ist auch nach dieser Periode nie zur Ruhe gekommen und es blieb ein mit Gewalt im US-amerikanischen Einflussbereich gehaltener Staat der Kompradoren-Bourgeoisie. Diese setzte Militär und Todesschwadrone ein, vertrieb und ermordete Massen an Kleinbäuer*innen, Arbeiter*innen, Studierende und Intellektuelle. Das blieb bis auf den heutigen Tag so und während diese Zeilen geschrieben werden, greift die kolumbianische Regierung Hunderttausende Protestierende an, verhängt Ausgangssperren, lässt knüppeln und im Zweifelsfall schießen.

Aber die Geschichte Kolumbiens ist auch eine Geschichte des permanenten Widerstands. Von der liberalen Guerilla Rafael Rangels über die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens bis zur Ejército de Liberación Nacional, der Nationalen Befreiungsarmee, von der ein demnächst im Wiener Bahoe-Verlag erscheinendes Buch handelt. „Predigt und Patronen. Eine Geschichte der ELN-Guerilla in Kolumbien“ ist dabei nicht nur deshalb ein besonderes Schmuckstück, weil es von zwei altgedienten und hochrangigen Guerilleros, Nicolás Rodríguez Bautista und Antonio García, geschrieben ist. Es ist auch vor allem ein sehr plastisches Dokument jener Frühzeit der Guerilla, in der sie erst anfängt, sich zu formieren.

Der Band erzählt, ganz autobiographisch, wie ein 13-jähriger Junge sich der gerade im Entstehen begriffenen ELN anschließt, seine ersten Schulungen durchläuft, viele hundert Kilometer marschiert, seine ersten Gefechte absolviert, Freund*innen verliert und Überzeugungen gewinnt. Man kann ihn als Abenteuerroman lesen, denn er ist gut geschrieben, spannend, oft witzig und gelegentlich traurig.

Aber man sollte ihn zumindest nicht nur als Abenteuerroman lesen, denn er ist auch viel mehr als das. Er ist, wie alle Zeugnisse von Guerillers, sehr lehrreich. Obwohl es ganz und gar kein theoretisches Buch ist, stellt es viele Fragen, die in der liberalen Gegenwartslinken gar nicht mehr vorkommen.

Zum Beispiel die nach revolutionärer Führung: Die ELN versteht sich als Vorhut einer Volksbewegung; ihre ersten Kader wurden in Kuba ausgebildet, die in die Dörfer gehen und rekrutieren. Man kann das aus irgendwelchen in Uni-Seminaren gelernten Erwägungen ablehnen, aber am Ende bleibt wahr, was die Mutter des Protagonisten zum ersten Anführer der Guerilla, Carlos, sagt. Als der sie fragt, ob es in der Gegend Leute gibt, die bereit wären zu den Waffen zu greifen, antwortet sie: „Na sicher gibt es die! Aber es fehlt ein Anführer, der die Hosen anhat und ihnen sagt, wo es langgeht. Damit sie nicht genauso enden wie die Gaunerbande Los Picos, die noch den Hungerleidenden das letzte Essen stiehlt.“ Die Frage nach revolutionärer Leitung zieht sich durch das Buch – und da gibt es mit Carlos, historisch Fabio Vasquez Castaño, und Andrés auch gleich zwei Figuren, an denen man sieht, wie’s geht und wie’s nicht geht. Carlos hat eine natürliche Autorität und versteht seine Leute; Andrés ist hart und ideologisch, aber wird nicht respektiert.

Wie in jedem anderen Buch über wirkliche Kämpfe ist es auch interessant zu sehen, wieso eigentlich Menschen – die Hauptfigur im Alter von 13 Jahren – den so gewichtigen Entschluss fassen, sich auf Leben und Tod dem Kampf um eine neue Welt anzuschließen. Es ist zumeist kein Entschluss, der daraus erwächst, dass man nun endlich die Marx-Engels-Werke von Band 1 bis 42 durch hat; der Sozialwissenschaften-Master endlich abgeschlossen ist und man nun als voll ausgestattete*r, alleswissende*r Linke*r zur Tat schreiten kann. Bildung ist auch in der ELN ein fester Bestandteil der Praxis der Guerilla. Aber der Entschluss, mitzumachen, entsteht aus der Kombination Unterdrückungserfahrung + beispielhaftes Vorleben der anderen Guerillas + Hoffnung auf ein besseres Leben. Liest man sowjetische Romane aus der Revolutionszeit, ist es immer der eine bolschewistische Kader, der in irgendeine Stadt kommt, anfängt zu arbeiten, sich mit seinen Eisenbahnerkollegen anfreundet und ihnen im entscheidenden Moment auf die Schulter klopft und erklärt, dass sie auch Bolschewisten sind. In Kurdistan ist es der/die PKK-Aktivist*in, die*der von Haus zu Haus geht und den Menschen erklärt, dass sie als Kurd*innen eine unterdrückte Nation sind und kämpfen können. Und am Anfang der ELN ist es Carlos, der im Dorf auftaucht, sich mit allen anfreundet und dann mit der Hälfte der Männer in die Berge abdüst. Tatsächlich allerdings nur der Männer, denn Frauenfiguren bleiben am Anfang der ELN stark im Hintergrund. Man merkt die patriarchale Rollenaufteilung deutlich. Im Roman kommen sie kaum vor, eine einzige Frau geht mit in die Berge, bleibt in den Erinnerungen farblos und muss dann gehen, als sie schwanger wird. Ansonsten näht die Mutter von Nicolás Rodríguez Bautista die ersten Armbinden der ELN, aber das war´s dann auch.

Was kann man noch lernen? Klandestinität ist wichtig. Aber am Ende bringt sie nichts, wenn die Bevölkerung nicht auf der Seite der guten Sache steht. Und schon daraus folgt eine bestimmte Ethik der revolutionären Linken. Auch wenn du noch so hungrig bist, du klaust nicht von armen Leuten – „nicht ein einziges Bindfädchen“, um es mit Carlos zu sagen. Die Guerilla sieht sich als Dienerin des Volkes. Und zwar aller Armen, unabhängig davon, ob die der liberalen oder konservativen Partei angehörten, ob sie katholisch sind oder nicht.

Im Buch trifft man auch Camilo Torres. Der berühmte Befreiungstheologe, damals schon ein in der Bevölkerung Kolumbiens unheimlich beliebter Agitator, schließt sich Ende 1965 der ELN an – und fällt wenig später in seinem ersten Gefecht. Und dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, bleibt er eine ikonische Figur. Ihm wären andere Wege offen gestanden. Er war ein Star. Und doch ging er in die Berge, als einer wie alle anderen. Der noch minderjährige Rodríguez Bautista wird sein Ausbildner. Torres bringt seine Fähigkeiten ein, das Schreiben, die Theorie. Und er lernt die der anderen, das Überleben und Kämpfen.

Ähnlich wie in anderen in deutscher Sprache (relativ) neu erschienen autobiografischen Erzählungen aus dem bewaffneten Kampf – z.B. die dreibändige Autobiographie von Sakine Cansiz oder die Erinnerungen von Dimitris Koufontinas – sollte man zwar auch bei „Predigt und Patronen“ nicht zu sehr in romantisierendes Schmachten verfallen, aber zugleich kann man sich an den Geschichten auch ein wenig von der tödlich langweiligen Nüchternheit abgewöhnen, die wir uns in den kapitalistischen Metropolen antrainiert haben. Eine Linke, die sich in der eigenen Ohnmacht geradezu suhlt und jedem Aufbruch von vornherein das erwartbare Scheitern attestiert, kann von zwei Dutzend Leuten, die beinahe unbewaffnet und in Gummistiefeln in den Dschungel aufbrechen, auf jeden Fall was lernen. Und wer’s nicht glaubt, der soll zurückrechnen, wie viele der „Organisationen“ der radikalen Linken in Deutschland länger als ein paar Jährchen überdauern. Die ELN jedenfalls kämpft noch heute, 55 Jahre nachdem sich der 13-jährige Nicolás Rodríguez Bautista die alte 7,65er-Pistole seines Vaters umgeschnallt hat.

# Bildquelle: eln-voces.net

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Der Friedensprozess in Kolumbien ist weit davon entfernt Frieden zu bringen. Oft tödliche staatliche und parastaatliche Gewalt sind an der Tagesordnung. Unsere Autorin war im Rahmen einer Menschenrechtsbegleitung im Norden Kolumbiens und plädiert dafür, sich auch an solchen Aktionen zu beteiligen.

Am Donnerstag den 7. März war der 18-jährige Landarbeiter Coco mit seinen Nachbarn und Kollegen nach Feierabend zum Fußballspielen in der Nähe der Gemeinde Micoahumado, im Norden Kolumbiens, verabredet. Noch vor dem Anpfiff wurde von einem nahe gelegenen Hügel das Feuer eröffnet. Als er wegrennen wollte, traf Coco ein Schuss in die Seite. Er starb noch am gleichen Ort. Eine weitere Kugel verletzte den 27-jährige Henry Sarabina so schwer am Arm, dass er seine Hand wohl nie wieder bewegen können wird.

Die Angreifer waren Soldaten des kolumbianischen Militärs, die unter den Fußballern zwei Guerilleros des marxistischen Nationalen Befreiungsheers ELN erkannt haben wollen. Doch obwohl alle auf dem Sportplatz Versammelten unbewaffnet und sogar mehrere Kinder anwesend waren, griff das Militär die Gruppe mit drei Helikoptern und einem Dutzend vermummter Soldaten mit Maschinengewehren an. Die beiden vermutlichen ELN-Kämpfer konnten fliehen, doch die Soldaten zwangen mit gezogenen Waffen die Arbeiter über Stunden auf dem Boden zu liegen, verhörten Einzelpersonen und drangen in die Wohnhäuser ein, wo sie Handys und Bargeld klauten.

Mit dem Militär ist kein Staat zu machen

Der Mord an Coco und die massive Repression der Anwohner*innen sind kein Einzelfall, sondern reihen sich ein in den seit Jahrzehnten andauernden bewaffneten Konflikt in der Region. Der Süden des Bundesstaates Bolívar gilt seit den 1970er Jahren als Stammgebiet des ELN. Die Guerilla profitierte lange vom Rückhalt in der Bevölkerung und den bewaldeten Bergen als Rückzuggebiet. Der Staat ist hier vor allem in Form des Militärs präsent, paramilitärische Gruppen können von diesem unbehelligt agieren. Bisher scheiterten allerdings alle Versuche die Region gewaltsam einzunehmen. 2001 besetzten Paramilitärs das Dorf Micoahumado und vertrieben die Menschen. Erst als es nach dreimonatigen Kämpfen dem ELN gelang das Dorf zu befreien, konnten die geflüchteten Familien aus den umliegenden Bergen in ihre von den Paras geplünderten Häuser zurückkehren. Die Menschen in Micoahumado wissen: Auf den Staat ist kein Verlass. Es ist daher die Bevölkerung selbst, die in Selbstverwaltung die soziale Infrastruktur wie Bildung und Gesundheitsversorgung aber auch den Straßenbau umsetzt und sich dadurch eine beachtliche Unabhängigkeit geschaffen hat.

Allerdings ist die Region reich an Bodenschätzen und das Gold unter den Bergen ruft internationale Konzerne auf den Plan. Zuletzt versuchte 2001 der kanadische Bergbaukonzern Braeval Mining Corporation mit staatlicher Unterstützung die Kleinbauern und den traditionellen Bergbau zu verdrängen. Doch die Bevölkerung wehrte sich erfolgreich. Auch die Anwesenheit des ELN hat dazu sicher ihren Teil beigetragen: Nachdem der Staat dem Braeval-Konzern bereitwillig die notwendigen Bergbaulizenzen ausgestellt hatte, entführte der ELN kurzerhand den für die Grabungen verantwortlichen Vizepräsidenten des Unternehmens. Erst als das Braeval-Management zusagte, alle geplanten Aktivitäten abzusagen und die Region zu verlassen, kam der Verantwortliche wieder frei. Der Konzern zog sich 2003 aus der Region zurück.

Friedensprozess? Militarisierung des Alltags!

Nach Jahrzehnten im bewaffneten Konflikt sind die Menschen müde von der alltäglichen Gewalt. Es gibt immer wieder Schießereien im Dorf, die Militarisierung betrifft den Alltag der Bewohner*innen massiv. Zudem leiden sie wirtschaftlich unter den steigenden Abgaben an den ELN und sorgen sich um ihre Jugendlichen, die mangels beruflicher Perspektiven nicht nur vom Militär, sondern auch vom ELN leicht rekrutiert werden.

Gleichzeitig hält die staatliche Repression an: Militär und Polizei stellen die lokale Bevölkerung unter den Generalverdacht, mit dem ELN zu kooperieren. Schon wer Gummistiefel oder dunkle Kleidung trägt, gilt als Terrorist. Die Schikane reicht von Einschüchterungsversuchen durch das plötzliche Auftauchen bewaffneter Einheiten, willkürlichen Anzeigen, ungerechtfertigten Haftstrafen bis hin zum Mord von sozialen Aktivist*innen oder sogar Unbeteiligten wie Coco. Das alles geschieht weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Und der viel beredete Friedensprozess? Von einem Ende des Konflikts kann man nicht reden. Stattdessen schützt ein Deckmantel des Schweigens die Machenschaften des Militärs. Und genau deswegen sind wir hier.

Was wir tun können

Eine Woche nach dem Mord an Coco durch das Militär besuchen wir den Tatort, treffen die Anwohner*innen, dokumentieren ihre Berichte, machen Fotos. Wir kommen zu zweit aus Deutschland und begleiten die kolumbianische Menschenrechtsorganisation Corporación Sembrar. Möglich ist unser Einsatz dank des internationalistischen Netzwerks Red der Hermandad y Solidaridad, kurz RedHer. „Internationale Begleitung“ und „Menschenrechtsbeobachtung“ heißt unsere Arbeit – eine unangenehme Bezeichnung. Wie begleitet man einen bereits geschehenen Mord? Was bringt es, nur daneben zu stehen und das Unrecht zu beobachten? Klimaproteste, Mietendemos, AfD-Blockaden – unsere Erfahrungen der politischen Kämpfe in Deutschland scheinen plötzlich sehr weit weg. Es fühlt sich an, als wären wir hier fehl am Platz – mindestens nutzlos, wenn nicht gar eine zusätzliche Last für unsere Genoss*innen.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Für die Aktivist*innen vor Ort ist unser Besuch nicht nur eine menschliche Wertschätzung und eine politische Anerkennung ihrer Situation, sondern auch ein ganz konkreter Schutz: Gleich an unserem ersten Tag in Micoahumado kommen Soldaten ins Dorf und führen einen der sozialen Aktivisten ab. Sofort bilden die Dorfbewohner*innen eine Traube um die Militärs. Als wir dazu stoßen, fühlt sich deren Kommandant gezwungen, sich namentlich vorzustellen und schüttelt uns die Hand, lächelt, sagt: „reine Routinekontrolle“. Seine Rolle als good cop kostet ihn eine Dreiviertelstunde Diskussion mit den empörten Dorfbewohner*innen. Als er mit seiner Einheit schließlich unverrichteter Dinge wieder gehen muss, sagt uns einer der Aktivisten: Wenn ihr nicht gewesen wärt, hätten sie den Genossen einfach ohne Haftbefehl festgenommen. Aber unter den Augen der Gringos trauen sie sich solche schmutzigen Spielchen nicht.

Auch wenn es sich komisch anfühlt, sich als Antirassistin solcher postkolonialen Machtstrukturen

als strategisches Mittel zu bedienen – es funktioniert. Und es ist vielleicht die beste, wenn nicht gar die einzige Möglichkeit, wie wir uns solidarisch und auf Augenhöhe für emanzipatorische Kämpfe weltweit einsetzen können. Für uns, ausgestattet mit einem deutschen Pass und einem europäischen Aussehen, ist es nicht schwer, diese Privilegien strategisch einzusetzen. Mit nur einem kleinen Schritt raus aus der Komfortzone der imperialistischen Zentren bekämpfen wir die rassistischen und imperialistischen Machtstrukturen dieser Welt mit ihren eigenen Mitteln. Unsere Anwesenheit zeigt den staatlichen Autoritäten: Was ihr hier tut geschieht unter den Augen einer internationalen Öffentlichkeit. Und unseren Verbündeten zeigen wir: Ihr seid nicht allein, wir stärken euch den Rücken. Im Gegenzug dafür haben uns die Menschen in Micoahumado und anderswo viel zu geben: Von ihrer Unabhängigkeit gegenüber allen bewaffneten Gruppen, von ihrer Widerständigkeit und ihrem Willen, dem Militär nicht das Feld zu überlassen und ihrer Beharrlichkeit, sich auch unter den widrigsten Bedingungen selbst zu organisieren – davon können wir noch viel lernen.

Sophie ist aktiv bei der Interventionistischen Linken (iL) und war mit dem Red de Hermanidad y Solidaridad (RedHer) und dem Congreso de los Pueblos in Kolumbien. Sie hat mit RedHer vom 11.-14. März 2019 an einer Menschenrechtsbegleitung im kolumbianischen Bundesstaat Bolívar teilgenommen.

Kontakt zu Internationalist*innen in Kolumbien und mehr Informationen über menschenrechtliche Begleitung gibt es hier https://www.redcolombia.org/ und bei der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation http://corporacionsembrar.org/. Im August findet eine vom RedHer organisierte Caravana statt, bei Interesse kann Kontakt über die Homepage aufgenommen werden.

# Bild: Policía Nacional de los colombianos CC BY-SA 4.0

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