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Sollte noch irgend jemand daran gezweifelt haben, dann haben CDU und CSU vor einigen Tagen klar gestellt, für wen sie Politik machen. Sie sind die Parteien des Kapitals, die Handlanger der Konzerne, der Industrie, die Sachverwalter der Besitzenden. Das 140-seitige Bundestagswahlprogramm, das die Unionsparteien vor einigen Tagen präsentiert haben, hat das noch einmal eindrucksvoll bestätigt. Für klar denkende Zeitgenossen ist die Stoßrichtung dieses Programms sicher keine Überraschung – überraschen konnte allein, wie dreist und deutlich es die Ignoranz von Laschet, Söder & Co. gegenüber den Problemen unserer Zeit und ihre Funktion als Anwalt des Kapitals zum Ausdruck bringt.

In den bürgerlichen Medien gab und gibt es durchaus eine Menge Kritik an dem Papier, sogar von der staatstragenden Zeit, was sicher etwas heißen soll. Dabei machen sich die journalistischen Kritiker zu Recht schon über den Titel des Programms „Für Stabilität und Erneuerung“ lustig, der tatsächlich so aufregend ist wie eine Rede von Armin Laschet. Aber zum Lachen ist das Ganze ansonsten eigentlich nicht, denn da zu befürchten ist, dass CDU und CSU auch die nächste Bundesregierung anführen werden, verheißt das Programm nichts Gutes für das untere Drittel der Gesellschaft, vor allem aber für die Marginalisierten in diesem Land.

Dieses Wahlprogramm ist vor allem eine Verbeugung vor all denen, die ihre Schäflein ohnehin im Trockenen haben – eine Zusicherung: „Keine Angst, wir nehmen Euch nichts! Wir erhöhen Eure Steuern nicht und Ihr dürft weiter über die Autobahnen rasen.“ Vermögenssteuer, Vermögensabgabe, Erhöhung der Hartz-4-Regelsätze und dergleichen, für die Union ist all das Teufelszeug, Forderungen sozialistischer Gleichmacher. Sie wollen nach der Bundestagswahl da weitermachen, wo sie in der Coronakrise angefangen haben: die Industrie und die Besitzenden pempern bis der Arzt kommt. Die Zeche der Krise bezahlen sollen die breite Masse und die Marginalisierten. Da auch die Schuldenbremse nach dem Willen von CDU und CSU wieder eingesetzt werden soll, läuft das auf einen Sozialabbau ungeahnten Ausmaßes hinaus.

Ebenso unfassbar wie diese sozialpolitische Ignoranz ist die Positionierung zur Klimapolitik im Programm, die schon einer Leugnung des Klimawandels gleichkommt. Dieser wird unter ferner liefen abgehandelt. Und natürlich müssen wir uns keine Sorgen machen: Der Markt regelt auch das, das scheinen diese durchgeknallten Unionspolitiker allen Ernstes zu glauben. Das berühmte Cover des Supertramp-Albums „Crisis? What Crisis?“ von 1975 mit dem Mann im Liegestuhl vor rauchenden Industrieschloten – dieses Bild gehört vorn auf das Wahlprogramm der Union. Keines illustriert besser, was drin steht.

#Titelbild: A. Laschet: Dirk Vorderstraße/CC BY 2.0; M. Söder Gemeinfrei, Supertramp Album Cover/ Foto Privat; Montage LCM

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Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.

Aber was kümmern ihn die Geflüchteten, die dank der von ihm mit verantworteten und forcierten Abschottungsagenda der EU im Mittelmeer ersoffen sind? Was die Geflüchteten, die nach Afghanistan abgeschoben wurden und werden, respektive in andere Länder, in denen Krieg und Krisen herrschen? Der Mann ist Ehrenvorsitzender der CSU, also einer Partei, die das Wort „christlich“ im Namen trägt – aber er dürfe da nie einen Widerspruch gesehen haben. Auf Seehofer trifft wie wohl auf keinen anderen deutschen Politiker zu, was der polnische Aphoristiker Stanislaw Jercy Lec einst formulierte: „Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie.“

Apropos Afghanistan. Ein gutes Beispiel für Seehofers eigentümliches Verständnis von Humor ist seine Äußerung im Zusammenhang mit der Sammelabschiebung von 69 Afghanen am 4. Juli 2018 von München aus. Es war die bis dahin mit Abstand höchste Anzahl von als abgelehnt geltenden afghanischen Asylbewerbern, die in einem Flug gleichzeitig „zurückgeführt“ wurden. Als der Minister knapp eine Woche später seinen „Masterplan Migration“ auf einer Pressekonferenz vorstellte, verwies er, nach Vollzugsdefiziten in der Praxis von Abschiebungen gefragt, auf die Abschiebung sechs Tage zuvor: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Im Gegensatz zur politischen Agenda des Bayern löste diese Bemerkung empörte Proteste aus. Sogar in den Reihen der CSU wurde die Äußerung als zynisch kritisiert. Als sich einer der abgeschobenen Asylbewerber in einer Zwischenunterkunft erhängte, bedauerte Seehofer dies öffentlich und erklärte, er habe davon zum Zeitpunkt der Pressekonferenz nichts gewusst. Die Geschichte zeigt vor allem, wie das durchgängige Verhaltensmuster des Horst Seehofer aussieht: Erst irgendwas Bösartiges und/oder Reaktionäres raushauen, relativeren kann man es hinterher immer noch.

Natürlich beherrscht der Christsoziale auch die Strategie, seine brachiale Politik zu verschleiern und sich als Vorkämpfer für mehr Humanität und Toleranz zu verkaufen. So simuliert er immer wieder Anteilnahme für die Geflüchteten, die versuchen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen, zum Beispiel als er im Jahr 2019 von sich gab, es sei „unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen“ müsse. Verlogener geht es kaum!

Auch als Kämpfer gegen Rechts tritt Seehofer gern mal auf, etwa zuletzt bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020 des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Da kam er nicht umhin, die Realität zu akzeptieren und die Aktivitäten der Nazis als größte Bedrohung für die innere Sicherheit zu benennen. Natürlich vergaß der Minister nicht, darauf hinzuweisen, dass die „linkextremistisch motivierten Straftaten“ im fraglichen Jahr einen neuen Höchststand erreicht hätten. Die Szene agiere „zunehmend aggressiv und auch enthemmt“. Als kritischer Beobachter konnte man sich an dieser Stelle fragen, ob er über linke Aktivisten sprach oder nicht doch eher über die uniformierten Mitarbeiter der Bundes- und Länderpolizeien.

Um die vielen Sauereien in Wort und Tat, die Horst Seehofer zu verantworten hat, komplett aufzuführen, fehlt hier der Platz. Deshalb sei nur noch an einige besonders unangenehme Höhepunkte seines Wirkens erinnert, zum Beispiel was er in der Flüchtlingspolitik so angerichtet hat. Seehofer gehört zu den Spitzenpolitikern, die den unter anderem von Thilo Sarrazin mit seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ losgetretenen rassistischen Diskurs genährt haben. Schon 2010 erklärte der CSU-Mann, Deutschland könne nicht das „Sozialamt“ für die ganze Welt sein. Im März 2011 legte er noch einen drauf, sagte, er wolle sich „bis zur letzten Patrone“ gegen die „Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme“ wehren. Nicht verwunderlich also, dass er im Dezember 2013 einen Vorschlag der Berliner Bundesgruppe der CSU zur Beschränkung von Sozialleistungen für bestimmte Gruppen von Migranten unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ energisch verteidigte.

Die traurige Rolle des Bundesinnenministers in der von bürgerlichen Medien und reaktionären Kreisen als „Flüchtlingskrise“ bezeichneten Phase im Jahr 2015 ist hinlänglich bekannt. So setzte er Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck, indem er ein Signal zur Begrenzung der Zuwanderung verlangte. Seit dem Jahreswechsel 2015/16 fordert er beharrlich eine „Obergrenze“ von 200.000 Personen. Seinem Bruder im Geiste, Bundespräsident Joachim Gauck, dankte Seehofer dafür, dass dieser bereits die angeblich beschränkten Aufnahmekapazitäten des Landes angesprochen habe. Bei der Gelegenheit sei noch darauf hingewiesen, dass der Bayer gute Beziehungen zum faschistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán pflegte und pflegt.

Bereits zum Amtsantritt als Innenminister hatte er sich bei allen Reaktionären der Republik beliebt gemacht, indem er die medial ohnehin bereits seit Jahren gepuschte Hetze gegen Muslime anheizte. Im Leib- und Magenblatt der Reaktion, der Bild-Zeitung, verkündete Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber schon. „Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns“, dekretierte der CSU-Mann. Dass in seiner Zeit als Innenminister die Asylgesetzgebung weiter verschärft worden ist, versteht sich von selbst. So bleibt sein Name verbunden mit der Einrichtung der „Ankerzentren“, in denen Asylbewerber interniert werden, bis über ihren Antrag entschieden ist.

Angesichts der Fülle von Schandtaten, die er in der Innenpolitik vollbracht hat, gerät fast in Vergessenheit, dass Seehofer bereits als Gesundheitsminister, als Landwirtschaftsminister und als bayerischer Ministerpräsident große Schäden verursacht hat. So legte er dem Ausbau der Windenergie Steine in den Weg, wo er nur konnte, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ohne Frage, Horst Seehofer ist ein Brandstifter der sich allzu gern als Biedermann verkleidet. In dem Zusammenhang soll eine Äußerung nicht vergessen werden, die das illustriert wie kaum eine andere aus seinem Munde. Anfang September 2018, nachdem in Chemnitz Horden von Nazis Migranten durch die Stadt gejagt hatten, erklärte Seehofer, die Migrationsfrage sei „die Mutter aller politischen Probleme in unserem Land“ – nicht etwa Nazis, die Migranten jagen. Im Juli wird der frühere CSU-Chef 70 Jahre alt. In einem Interview erklärte er kürzlich, dann sei er 50 Jahre in der Politik: „Das reicht dann mit dem Auslaufen dieser Legislaturperiode wirklich.“ Uns reicht es schon lange!

#Titelbild: Michael Panse/ CC BY-ND 2.0

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Die Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland hat einen neuen Vorsitzenden gewählt. Die Besetzung dieses Postens steht sinnbildlich für die aktuellen Entwicklungen innerhalb des Regimes.

Die Union Internationaler Demokraten (UID), zuvor bekannt als Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die sich selbst zwar als politisch-neutral beschreibt, aber vor allem in Deutschland als Vorfeldorganisation der AKP tätig ist, hat einen neuen Vorsitzenden: Köksal Kus. Dieser setzte sich gegen Erdogans Favoriten Bülent Güven durch. Ein Hinweis auf den wachsenden Einfluss der faschistischen Kräfte im AKP-MHP-Bündnis.

Wer ist Köksal Kus? Selbst die Tagesschau berichtet davon, dass der neue Kopf der AKP-Lobby ein grauer Wolf ist. Er war mehrere Jahre lang aktives Mitglied der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“, einem Sammelbecken für Organisationen und Gruppen der Grauen Wölfe. Seit 1979 lebt er in Deutschland, wie es heißt, weil er durch seine Beteiligung an der faschistischen Ülkücu-Bewegung „Bekanntschaft mit der Politik“ gemacht hat. Ende der 70er Jahre gab es viele Angriffe auf, politische Morde und Massaker an Linken, Alevit*innen, Gewerkschafter*innen und allen anderen, die nicht ins Weltbild der Faschisten passten. Viele der damaligen Täter flohen nach Deutschland, so wie auch nach dem Massaker in Sivas 1993, bei dem 34 alevitische Künstler*innen und Intellektuelle ermordet wurden. Die Übergriffe gingen auch in Deutschland weiter, wie der Mord am türkischen Kommunisten Celalattin Kesim durch graue Wölfe 1980 in Berlin zeigte.

Über den Hitler-Fan und Begründer der Ülkücu-Bewegung Alparslan Türkes schreibt Kus auf Facebook: „Am Jahrestag seines Todes gedenke ich seiner mit Barmherzigkeit (…). Millionen jungen Menschen – einschließlich meiner selbst – hat er geholfen, mit nationalen Werten und Gefühlen aufzuwachsen.“ Türkes hatte 1977 in einem Brief türkischen Kameraden in Deutschland geraten, sie sollen doch von den „Erfahrungen der NPD profitieren.

Im Kampf gegen den Kommunismus sah man die deutschen Nazis als Verbündete, bevor man sich eher weniger radikalen Parteien zuwendete und vor allem Mitglieder in der CDU unterbrachte, um dort die eigenen Positionen befördern zu können.

Ebenso postete er zum Gedenken ein Foto des Verstorbenen Mafiosi Abdullah Catli, der wegen Drogenhandels verurteilt war und an mehreren politischen Morden beteiligt gewesen ist. Der Aktivist Kerem Schamberger weist auf Facebook daraufhin, dass Catli unter anderem am Mord an 7 Mitlgliedern der türkischen Arbeiterpartei beteiligt war, dem sogenannten Bahcelievler-Massaker 1979. Verbindungen zum Papst-Attentäter und zum Anschlag auf ein armenisches Mahnmal in Paris werden ihm nachgesagt. In der Schweiz saß er wegen Drogenhandels im Gefängnis, brach jedoch aus und wurde in der Folge von Interpol gesucht. Einige Berühmtheit erlangte Catli vor allem durch seinen spektakulären Tod, den sogenannten „Susurluk-Skandal“. Denn zu den Todesopfern des Autounfalls zählten neben dem bereits erwähnten Mafiosi Catli und seiner Frau auch ein hochrangiger Polizeifunktionär, Hüseyin Kocadag. Schwer verletzt überleben konnte den Unfall der Parlamentsabgeordnete Sedat Edip Bucak. Bei Catli fand man einen vom damaligen Innenminister unterschriebenen Pass. Mehrere weitere Pässe, Rauschgift und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfer wurden ebenfalls in dem Autowrack gefunden. Die Verbindung von Staat, Faschisten und organisiertem Verbrechen trat so ans Licht der Öffentlichkeit. „Dieser Unfall deckte die Zusammenarbeit und gemeinsamen Interessen von rechtsextremen Gewalttätern, die aufgrund politischer Verbrechen gesuchten wurden, in mafiösen Aktivitäten involviert waren und die die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützten, einerseits, und hochrangigen Verwaltungsbeamten, Polizeiführungskräften, Spezialeinheiten, bekennenden Militanten und Dorfschützern andererseits auf.“, hieß es im Human Rights Report von 1998 zu diesem Vorfall. Die Verbindung von Grauen Wölfen und dem organisierten Verbrechen kommen immer wieder zum Vorschein, wie auch vor kurzem als ein weiterer AKP-MHP-Lobbyist, der von Erdogan persönlich nach Brüssel geschickt wurde, an der EU-Grenze mit 100 Kilogramm Heroin erwischt wurde.

Mit der Wahl von Kus zum Vorsitzenden der UID setzt sich eine Tendenz fort, die sich seit einiger Zeit innerhalb der AKP-MHP-Koalition abzeichnete. Wie verschiedene türkische und kurdische Medien berichten, nehmen Personen des organisierten Verbrechens immer mehr politische Machtpositionen an. Viele Mafiosi wurden erst vor kurzem durch eine von Erdogan erlassene Amnestie aus den Gefängnissen entlassen. Unnötig zu erwähnen, dass im Rahmen der Amnestie keinerlei linke oder kurdische Gefangene freigelassen wurden. Dr. Yektan Turkyilmaz vom Forum für transregionale Studien in Berlin, beschreibt, dass der Einfluss der türkischen Mafia auf die Politik mit schwindender Stärke des Staates täglich zunimmt. Man könne mit Sicherheit sagen, dass die Mafia den Staat mehr nutze, als der Staat die Mafia, so Turkyilmaz.

#Titelbild: Gemeinfrei via Pixabay

Frederik Kunert arbeitet als Integrationserzieher an einer Grundschule in Berlin und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Politik in der Türkei und der kurdischen Befreiungsbewegung.

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Spiegel Online brachte heute einen ausführlichen Text über den Vorschlag von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, eine deutsch geführte „Sicherheitszone“ im Norden Syriens einzurichten. Der Artikel muss dann natürlich, so viel diktiert der journalistische Ethos, noch die Meinung eines Kurden einholen. Auftritt: Ali Ertan Toprak. Der Sprecher der Kurdischen Gemeinde Deutschland (KGD) findet den Vorschlag dufte. Soweit so gut.

Das kleine Problem: Ali Ertan Toprak ist zwar Kurde. Aber er ist kein Sprecher jener kurdischen Bewegung, die im Norden Syriens aktiv ist. Das erwähnt der Artikel nicht. Was Ali Ertan Toprak aber ist, ist Mitglied der CDU. Auch das erwähnt der Artikel nicht.

Toprak zählt, wenn es um irgendetwas mit Bezug auf Kurden geht, zu den beliebtesten Interviewpartnern großer Medien in Deutschland. Und das, obwohl seine KGD nur eine sehr kleine Minderheit der Kurd*innen in Deutschland repräsentiert, und noch dazu nicht für jene politische Bewegung sprechen kann, die den Befreiungskampf in Kurdistan selbst führt. Die haben hierzulande eigene Vertretungen, die noch dazu wesentlich mehr Menschen umfassen als die KGD: Kon-Med (früher Nav-Dem) heißt der Zusammenschluss dieser kurdischen Vereine, Civaka Azad heißt ihr Büro für Öffentlichkeitsarbeit. Auch dort könnte man anrufen, die Telefonnummer steht im Internet. Aber: Diese Kurd*innen mag man nicht gern, denn sie sind weder in der CDU, noch machen sie andauernd Werbung für den deutschen Staat und seine Institutionen – schon weil dieser sie verfolgt.

Journalistisch ist die Dauerbeschallung mit Ali Ertan Toprak ein Taschenspielertrick – und dazu ein rassistischer. Man würde ja nie auf die Idee kommen, wenn man etwas von der SPD will, irgendeinen Deutschen, sagen wir Dieter Bohlen, einzuladen, weil eh alle Deutschen gleich sind. Oder wenn man die Position der syrischen Regierung erfahren will, den Sprecher irgendeiner irakischen Oppositionspartei – weil sind ja beide Araber und ist ja eh alles dasselbe.

Seit Jahren tun sich die deutschen Medien schwer zu verstehen, dass es auch bei Kurd*innen – welch´ Wunder – verschiedene Parteien gibt, verschiedene politische Einstellungen. Es gibt feudale Parteien wie die südkurdische KDP, sozialdemokratische wie PUK, und dutzende Parteien, die den Ideen Abdullah Öcalans anhängen. Sätze wie „Wir liefern Waffen an die Kurden“ – wenn man die KDP im Nordirak meint -, sind einfach absurd, schon weil diese Waffen dann gegen andere, jesidische Kurd*innen eingesetzt wurden.

Nach Jahren der Berichterstattung über diese Region müsste ein so einfacher Merksatz wie „Kurd*innen sind auch normale Menschen und es gibt bei ihnen unterschiedliche Parteien“ eigentlich in das letzte Redakteurshirn vorgedrungen sein. Insofern ist es einfach bewusste Irreführung der Leser*innenschaft, wenn man Ali Ertan Toprak andauernd kommentarlos als Sprecher für Angelegenheiten einlädt, in denen man eine*n Vertreter*in von Kon-Med interviewen müsste.

# Titelbild: wikipedia

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Kommentar

Ein Sommertag im Juni 2019. Die Uhr am Gebäude der Scientology Kirche im Hamburger Zentrum zeigt fünf nach eins. Dieselbe Zeit wie die Turmuhr der Hauptkirche St. Petri vis-à-vis. Auf der kurzen Straße dazwischen haben sich Demonstrant*innen versammelt, an die 250 vielleicht. Vor den Reden läuft Musik, schön laut, aber selbst das geht fast unter im Trubel eines ganz normalen Einkaufssonnabends.

Einen Steinwurf entfernt bevölkern Tourist*innen und Einheimische die Mönckebergstraße, das nächste Schaufenster im Blick, Fastfood oder den Coffee to go in der Hand. Sie mustern die Demonstrant*innen eher wie Tiere im Zoo, sofern sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. Wer der Mann auf dem Foto ist, das auf ein Plakat am Lautsprecherwagen geheftet worden ist? Auf diese Frage würden die meisten Passanten wohl antworten: Das ist doch dieser Politiker, der erschossen wurde.

Das Bild zeigt in der Tat den Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, der am 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen mit einem Kopfschuss ermordet wurde. Vermutlich von dem Neonazi Stephan Ernst. Die Kundgebung an diesem Sonnabend richtet sich gegen die „geistigen Brandstifter“, die für solche Taten den Boden bereiten – darum findet sie vor dem Bürogebäude statt, in dem sich die Geschäftsstelle des Hamburger Landesverbands der protofaschistischen AfD befindet.

Die Interventionistische Linke (IL) Hamburg hat zur Demo aufgerufen, für einen Politiker der CDU. Ungewohnt genug, aber in diesen Tagen gerät vieles durcheinander. Die politische Öffentlichkeit beruhigt sich mit den üblichen Ritualen. Auf allen Kanälen sondern „Extremismusexperten“ Statements ab, die TV-Talks verhackstücken den Lübcke-Mord und Politiker*innen üben sich in Abgrenzerei. Gebot der Stunde: nach ganz rechts zeigen, auf die „bösen Nazis“, die offenbar aufgetaucht sind wie Kai aus der Kiste und mit denen man nichts zu tun hat.

Da kam der Evangelische Kirchentag in Dortmund gerade recht. Kirchentage sind bekanntlich ein willkommener Ort für Politiker*innen, hochmoralische, aber folgenlose Ansprachen zu halten und sich Absolution für ihr Tun und Reden abzuholen. So auch diesmal. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte Abscheu und Entsetzen über den „braunen Terror“ und salbaderte über „verrohte Sprache“ im Netz und anderswo. Der Zukunft vertrauen, das falle „vielen Deutschen heute nicht leicht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwadronierte, „Rechtsextremismus“ müsse „in den Anfängen“ und „ohne Tabu“ bekämpft werden.

Sie begreifen nichts, und sie wissen nicht, was sie reden, könnte man in leichter Abwandlung eines Bibelwortes diese Äußerungen kommentieren. Es soll hier gar nicht um die Verstrickungen staatlicher Stellen, voran des Verfassungsschutzes, in Nazistrukturen gehen, wie sie sich beim NSU-Komplex zur Genüge gezeigt haben. Vielleicht wird sich noch herausstellen, wie viel „tiefer Staat“, wie viel „Strategie der Spannung“ in Taten wie dem Mord an Lübcke stecken.

Es geht um etwas Grundsätzlicheres: Rechte Gewalt, faschistischer Terror sind Ausfluss spätkapitalistischer Zerfallsprozesse, einer allgemeinen Verrohung. Dass sich mit Steinmeier ausgerechnet einer der Architekten des Verarmungsprojekts Agenda 2010 über „verrohte Sprache“ beklagt, ist zum einen grotesk und zeigt zum anderen die ganze Ignoranz der politischen Klasse. Wenn man täglich ums materielle Überleben kämpft, kann man schon mal das Vertrauen in die Zukunft verlieren.

Mit ihrem Klassenkampf von oben haben die Herrschenden, vor allem nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz 1990, die Verrohung dieser Gesellschaft angefacht. Die AfD und die Neonazis sind nur ein Symptom dieser Entwicklung. Dass Geflüchtete und alle, die sich auf ihre Seite stellen, zunehmend zum Ziel rechter Gewalt werden, daran haben SPD, CDU, FDP und Grüne ihren Anteil. Indem sie das Asylrecht komplett demontiert haben, indem sie es zulassen, dass Tausende auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, indem sie dafür sorgen, dass Menschen in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werden. Indem sie, wie SPD und CDU gerade im Bundestag, das Asylrecht immer weiter verschärfen und damit indirekt all denen Recht geben, die in den Asylsuchenden ein Problem sehen.

Sozialismus oder Barbarei – das ist mehr als eine Parole, die man so hinsagt. Wir sind doch längst auf dem Weg in die Barbarei oder sogar schon mittendrin. Die Szenerie bei der Kundgebung vor der Hamburger AfD-Zentrale, passte da ins Bild. Für die fröhlich konsumierende Masse ist doch der Mord an Walter Lübcke so weit weg und so irreal wie ein Fall in irgendeinem „Tatort“ am Sonntagabend oder ein der US-amerikanischen CSI-Serien. Sie haben sich vor den Zumutungen der Gegenwart längst in eine Art Autismus geflüchtet.

Titelbild: Andreas Arnold/dpa

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Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form hat für die Mächtigen den Nachteil, dass er Dynamiken erzeugt, die nicht immer vorherzusehen und zu beherrschen sind. Weil das System am besten gedeiht, wenn es den Beherrschten einen gewissen Grad an politischen Freiheiten genehmigt, kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen. In diese Kategorie muss wohl der Wirbel eingeordnet werden den das Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo vor der Europawahl erzeugte.

Bei aller Skepsis, was die langfristigen Wirkungen angeht: Das war ein Coup! Im dahinplätschernden Wahlkampf schlug der 55minütige Film, in dem Rezo vor allem die Politik der CDU zerlegte, granatenmäßg ein, erzielte in einer Woche mehr als elf Millionen Aufrufe. Die Union, aber auch die Mainstreammedien wurden komplett auf dem falschen Fuß erwischt. Aus der Ecke hatte mit einer solchen Intervention einfach keiner gerechnet.

Und das ist eine auch für Linke bemerkenswerte Entwicklung. Eigentlich ist die Welt der Youtuber*innen und Influencer*innen ein Teil der Marketingmaschinerie, bei der es um das Propagieren und Verfestigen bestimmter Lebensstile und eines damit kompatiblen Konsumverhaltens geht. Da werden Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika gepusht, Musiktitel oder alberne Challenges gehypt. Mit der großen Politik hatte diese Welt bisher wenig zu tun – und das sollte sie sicher auch nicht.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, der CDU-Zentrale, reagierte man entsprechend kopflos auf die unerwartete Attacke. Erst ließ man sich tagelang Zeit mit einer Antwort, dann zog die Parteiführung ein schon produziertes Antwort-Video des Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor – wegen seines streberhaft-spießigen Habitus eine Spottfigur im Netz – kurzfristig zurück. Vermutlich befürchtete die CDU, sich damit noch mehr zu blamieren.

Als Rezo und mehr als 70 Youtuber-Kolleg*innen kurz vor der Wahl nachlegten und dazu aufrief, am Sonntag nicht CDU, CSU oder SPD zu wählen, brannten bei der Union alle Sicherungen durch. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schlug allen Ernstes vor, politische Äußerungen im Netz vor Wahlen zu „regulieren“. Das sorgte in den „sozialen Medien“ für Entsetzen und ungläubiges Erstaunen, wurde allgemein als Anschlag auf die Meinungsfreiheit und Zensur bezeichnet. Und sogar die Bild-Zeitung zählte Kramp-Karrenbauer an.

Für Linke war das, was Rezo in seinem Video durchaus flott und gekonnt vortrug, inhaltlich natürlich nichts Neues. Ob es um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich oder das Versagen der CDU, der CSU und auch der SPD in der Klimapolitik oder der Drogenpolitik ging. Aber das ist auch nicht der Punkt. Es ist etwas anderes, ob Linken-Parteichef Bernd Riexinger oder Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband zum 100mal auf die soziale Kluft hinweisen – oder ob das ein Youtuber tut, dessen junges Publikum sich mehrheitlich bisher wenig mit Politik befasst hat.

Als „unterkomplex“ haben manche Lohnschreiber*innen in den bürgerlichen Medien Rezos Ausführungen bekrittelt. Die konservativen Leitmedien wie die FAZ haben das gesamte Video mit Schaum vor dem Mund vom Tisch gewischt. Es sind die üblichen Reflexe, wenn an dem größte gesellschaftliche Tabu gerührt wird – wenn der Skandal der sozialen Apartheid beim Namen genannt wird. Rezos Video entspricht da gewissermaßen dem Ausruf des Kindes in Hans-Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: „Aber der hat ja nichts an!“

Das ist genau das, was reaktionäre Journalisten wie Jasper von Altenbockum von der FAZ oder die CDU so auf die Zinne bringt: dass sich hier ein junger Mann mit blauen Haaren hinstellt und ganz naiv eine Frage stellt. Dass er auf eine Grafik zeigt, auf der eine Kurve, die Vermögenden des Landes, nach oben geht und die andere, die Habenichtse, konstant nach unten, und dass er fragt: Die CDU hat in 29 der 36 vergangenen Jahre das Land regiert – wenn sie wirklich eine Volkspartei wäre, die Politik für alle macht, warum bewegen sich diese Kurven dann immer weiter auseinander?

Das ist nicht „unterkomplex“, sondern Rezo spricht eine schlichte Wahrheit aus. Die bürgerlichen Parteien machen Politik für Aktienbesitzer und andere Absahner. Für die Helfershelfer im Mittelstand wird ein bescheidener Wohlstand garantiert, für den Rest gibt’s ALG II und RTL 2. Rezos Video ist nach Friday’s for Future ein zweiter überraschend erfolgreicher Vorstoß junger Leute in den politischen Raum. Man muss nicht gleich eine neue Jugendbewegung ausrufen, aber es ist natürlich erfreulich, wenn Jugendliche anpolitisiert werden, weil sie so zumindest potentiell aufnahmefähig für radikale Systemkritik werden. Bloß sollte niemand den Fehler machen, die Fähigkeiten des Systems zu unterschätzen, Protest und Widerstand einzudämmen und einzugemeinden.

#Titelbild: Rezo – Die Zerstörung der CDU

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Der Anschlag vom Breitscheidplatz hätte verhindert werden können. Ein Grund, warum er gelang, liegt in der Prioritätensetzung von Berliner Polizisten und Politikern.

Reden wir Klartext: Das Landeskriminalamt (LKA) Berlin hat Mitschuld am Tod von 12 Menschen. Es hat – weil es in seinem grenzenlosen Hass auf radikale Linke andere Aufgaben vernachlässigte – einen Terroranschlag geschehen lassen. Das wiederum war keineswegs ein „Behördenversagen“, sondern eine fast logische Konsequenz aus der im Berliner Staatsschutz vorherrschenden Prioritätensetzung: Der Feind steht links. Diejenigen, wie der frühere Innensenator Frank Henkel (CDU), die seit Jahren diese Unkultur in der Behörde nicht nur tolerieren, sondern fördern, können sich ebenfalls für den Verlust von einem dutzend Menschenleben auf die Schultern klopfen.

Sehen wir uns die Geschichte an. (mehr …)

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