GET POST FORMAT


Am selben Tag, an dem der Bundestag den Opfern des Nationalsozialismus gedenkt, fällt die sogenannte „Brandmauer“. Elon Musk treibt den internationalen Zusammenschluss der Faschisten voran und die mächtigsten Fraktionen des Kapitals stellen ihre Unterstützung von Donald Trump offen zur Schau. Die Versuche, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, wirken vielerorts hilflos. Die moralischen Appelle, die angesichts der Widerwärtigkeit der momentanen Debatte um Geflüchtete natürlich jedes Recht haben, scheinen dem „Rechtsruck“ wenig entgegensetzen zu können. Der Kampf gegen den Faschismus muss aus dieser Sackgasse der Begriffslosigkeit entkommen. Die Aufklärung über das Unbewusste, auf der gesellschaftlichen wie der individuellen Ebene, ist die Bedingung, um der falschen Alternative zwischen Faschismus und neoliberalem „Weiter so“ einen emanzipatorischen Ausweg entgegenzusetzen. An der kritischen Theorie führt dabei kein Weg vorbei.

Ein Beitrag von Christoph Morich


Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit kommt an ihr verdientes Ende. Am selben Tag, an dem der Bundestag anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz den Opfern des Nationalsozialismus gedachte, vollzogen CDU und FDP den „Dammbruch“, indem sie erstmals gemeinsam mit der – von Sympathisant:innen des Nationalsozialismus durchsetzten – AFD für eine Verschärfung der Asylgesetzgebung stimmten. Die freut sich derweil über einen erneuten Gastauftritt des reichsten Manns der Welt, der dabei ist, die internationale Vernetzung des Faschismus voranzutreiben. Der Zusammenschluss von Kapital und autoritärem Staatsapparat bei der erneuten Vereidigung eines Wahnsinnigen zum amerikanischen Präsidenten wurde öffentlich zur Schau gestellt. Im Hause Springer ist der Freude über die bevorstehende Zusammenarbeit der CDU mit der AFD kaum noch Einhalt zu gebieten, und auch der Hitlergruß des Helden aus dem Silicon Valley scheint sich gut mit dem eigenen Verständnis von Liberalismus zu vertragen. Blickt man auf die Wahlprognosen, scheinen die deutschen Wähler:innen andere Parteien für fähiger zu halten, mit der Ankündigung der Ampelregierung, im großen Stile abzuschieben, ernst zu machen. SPD und Grüne stellen sich jetzt zwar mit in das „Lichtermeer gegen den Rechtsruck“, haben in ihren Wahlprogrammen aber längst die Fortsetzung der Politik ihrer Regierungszeit beschlossen: die Aushöhlung des Rechts auf Asyl, das 1951 im Zuge der Genfer Flüchtlingskonvention als Reaktion auf den Holocaust und die Weigerung vieler Staaten, den späteren Opfern Schutz zu gewähren, verabschiedet wurde. Um inhaltliche Differenzen scheint es nicht mehr zu gehen. Die SPD appelliert eindringlich an die CDU, dass es die AFD gar nicht brauche, um ausländerfeindliche Politik zu machen. Und Robert Habeck macht mit seinem 10-Punkte-Plan zur Entrechtung von Geflüchteten klar, dass menschenverachtende Politik jetzt auch ganz verständnisvoll und im Strickpullover zu haben ist. Nüchtern betrachtet, unterscheiden sich die Wahlprogramme aller Parteien im Jahr 2025 in Deutschland nur in der Frage, in welchem Ausmaß man bereit ist, jenen, die vor Armut, Krieg und Folter fliehen, den Schutz zu verwehren.


Die Medien verkünden quasi einhellig, dass das Thema Migration nun als bestimmendes Thema für den Wahlkampf gesetzt sei. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich waren sie in den letzten Jahren fleißig daran beteiligt, Migration als das einzige Thema darzustellen, bei dem es einen fundamentalen Widerspruch zwischen Politik und den Interessen der Bevölkerung zu geben scheint. Mögliche Interessenkonflikte in ökonomischen Fragen bleiben dagegen eine Randnotiz. So schafft es der jährlich veröffentlichte Oxfam-Bericht zur globalen Ungleichheit traditionell in jeweils einen Zeitungsartikel der linksliberalen Zeitungen. Gleichzeitig ist es mittlerweile absolut unmöglich noch irgendwelche Nachrichten zu verfolgen, ohne mit den Problemen der deutschen Gesellschaft konfrontiert zu werden, die in erster Linie durch die Migration verursacht würden. Entsprechend weiß dann auch ein jeder, dass die deutschen Kommunen durch die vielen Migrant:innen überlastet sind, während es bezüglich der Tatsache, dass zwei Familien mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung (ca. 42 Millionen Menschen), nur sehr wenig Interesse seitens der Medien und der Politik gibt, die Bevölkerung zu informieren.


Und auch bei dem Thema Migration ist man kaum um eine Berichterstattung bemüht, die den Problemzusammenhang in einem globalen Kontext einordnet und von verschiedenen Seiten zu beleuchten versucht. Die ganze Migrationsdebatte drehte sich von Anfang an in erster Linie um die Frage, wie viele Geflüchtete man bereit ist, in Deutschland aufzunehmen. Dabei setzen sich nun zunehmend jene Stimmen durch, die das bestehende Rechtssystem in Deutschland abschaffen wollen, um die Abschottung gegenüber fliehenden Menschen weiter voranzutreiben. Dieser Rechtsruck wird von der medialen Berichterstattung begleitet. Kein Ereignis – sei es der Sturz des Assad-Regimes, der Terroranschlag eines AFD-Anhängers in Magdeburg oder zuletzt die Messerattacke von Aschaffenburg – ohne dass am selben Tag eine Debatte über Abschiebungen und eine Verschärfung des Asylrechts vom Zaun bricht. Über einzelne Straftaten von Geflüchteten wird breit und ausführlich berichtet. Die Opfer bekommen ein Gesicht und die Trauer einen Platz in der Öffentlichkeit. Diese Empathie gegenüber ihrem Leiden erfahren Geflüchtete in der Regel nicht. Der tödliche Weg durch die Wüste oder über das Mittelmeer, die Folterlager in Libyen, das jahrelange Leben in 6-Bett-Zimmern in Gemeinschaftsunterkünften, ohne die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und die tägliche Angst, vor der Abschiebung in das Heimatland, der nicht wenige den Selbstmord vorziehen, unterliegen dem Tabu eines kollektiven Verdrängungsprozesses der aufnehmenden Gesellschaft, der durch die Erzählungen persönlicher Schicksale gefährdet würde. In ihrem Buch „Den Schmerz der anderen begreifen“ bemerkt Charlotte Wiedemann über die Spezifika der deutschen Erinnerungskultur, die Empathie zwar gegenüber den jüdischen Opfern der Vergangenheit empfindet, aber unfähig scheint diese auch den Opfern der Gegenwart zukommen zu lassen: „Die Gründe, weshalb sie sich auf den Weg gemacht haben, scheinen nicht gewichtig genug, um sie dann all dem Elend an den Außengrenzen der Europäischen Union auszusetzen. Insgeheim werfen wir den Schutzsuchenden vor, dass sie uns zwingen, solche grauenhaften Lager einzurichten, wo sie – wie auf Moria – fernab der Zivilisation hinter NATO-Draht gehalten werden. Die Redensart, die Deutschen würden den Juden Auschwitz vorwerfen, habe ich trotz der aufklärerischen Absicht immer für allzu zynisch gehalten. Aber auf einer ganz anderen Ebene trifft vielleicht die Aussage: Wir werfen den Geflüchteten Moria vor.“ Es sind nur wenige Journalist:innen, die auch den Opfern der gegenwärtigen Abschottungspolitik ein Gesicht geben und Empathie gegenüber ihrem Leiden einfordern.


An die Anonymisierung der Geflüchteten knüpfen rassistische Theorien an, indem sie die Gesichtslosen zu bloßen Objekten degradieren, von denen potenziell immer schon Böses befürchtet werden muss. Wer sich heute eine Rede von Friedrich Merz anhört, erkennt, wie weit dieser Prozess der Entmenschlichung bereits vorangeschritten ist. Die Masken fallen und der Hass gegen Ausländer kann wieder offen geschürt werden. Mit Erfolg. Bei einer Gedenkveranstaltung in Aschaffenburg in dieser Woche entschuldigte sich ein 12-jähriges Mädchen aus Afghanistan unter Tränen bei den Eltern der Opfer. Dazu sah sie sich aufgrund ihrer Herkunft gezwungen. Der Rassismus, der nie weg war, ist wieder auf dem Vormarsch. Über sein neues Gewand bemerkte bereits Theodor W. Adorno: „Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“ Mit diesem Herrschaftsanspruch scheint Donald Trump nun auf staatlicher Ebene ernst zu machen. Und wie die Niederlage von Kamala Harris deutlich gezeigt hat, ist dieser Entwicklung nicht mehr durch einen politischen Gegenentwurf beizukommen, der lediglich darin besteht, nicht der Faschismus zu sein. Die sich zuspitzenden Krisen des Kapitalismus bedürfen einer Antwort. Sind die emanzipatorischen Kräfte zu schwach, ist diese Antwort regressiv. Es bedarf der Aufklärung über den Zusammenhang der Verschlechterungen der Lebensverhältnisse, die im Alltag der Menschen zunehmend spürbar werden, mit den zugrundeliegenden Bewegungsgesetzen der Gesellschaft. Nur wenn die scheinbar naturwüchsigen gesellschaftlichen Verhältnisse als „Pseudonatur“ (Helmut Dahmer) dechiffriert werden, indem sie als historisch gewordene – und somit auch in der Zukunft veränderbare – begriffen werden, können sie selbst zum Gegenstand der Kritik werden.
Ohne Aufklärung über die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche schon Karl Marx ironisch als „zweite Natur“ bezeichnete, lassen sich die krisenhaften Erscheinungen der Gegenwart nicht begreifen. Blickt man auf die Geschichte des 20. und des bisherigen 21. Jahrhunderts, wird deutlich, dass sich die Gegner einer solchen Aufklärung bislang durchsetzen konnten – und als Sieger nun die Geschichte schreiben.

Aus der aufklärerischen Theorie des Liberalismus war der Neoliberalismus geworden, der den Konformismus gegenüber der undurchschauten Logik des Kapitals zum Programm erhob. Aus der Philosophie wurde wieder Religion, der bedingungslose Glaube an die Gesetze der Marktwirtschaft. Ließ sich der Liberalismus noch an seinen eigenen Idealen messen, die wie Marx zeigte, von der gesellschaftlichen Wirklichkeit kontrastiert wurden, erhebt der Neoliberalismus den Kampf gegen aufklärerisches Denken selbst zum Ideal. Er ist Gegenaufklärung, der das historisch Gewordene mystifiziert: Das Hirngespinst vom „homo oeconomicus“ lässt Gesellschaftliches wieder zur Natur werden. Die sich nun unter der Ägide Trumps durchsetzende Dystopie von freien Märkten und unfreien Menschen hat ihren historischen Vorläufer in der chilenischen Militärdiktatur von Pinochet, die mit brutaler Gewalt und der freudigen Mithilfe der Chicago Boys um Milton Friedman und Friedrich von Hayek eine neoliberale Agenda gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung durchsetzte.
Autoritarismus und Rassismus gehen Hand in Hand. Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud erkannte in seiner therapeutischen Arbeit, dass sich das Unbewusste gegen den Prozess der Bewusstwerdung zur Wehr setzt, indem die Wirklichkeit durch Rationalisierungen verzerrt wahrgenommen wird. Wird diese Selbsttäuschung erkannt, verliert sie ihre Kraft. Das Ich wird gestärkt, indem es Bewusstsein über die intrapsychischen Prozesse gewinnt und sich freier gegenüber ihnen verhalten kann. Dieser Prozess lässt sich auf die gesellschaftliche Ebene übertragen. Rassismus ist in erster Linie, so schreibt Detlev Claussen, eine „Rationalisierung von Gewalt“, die aus der ökonomischen Konkurrenz unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen erwächst. Bleiben diese Mechanismen der Konkurrenz unbewusst, indem sie als das natürliche Habitat des homo oeconomicus verstanden werden, entziehen sie sich der Möglichkeit der Veränderung. Da die Krisen aber vom Alltagsbewusstsein der Menschen in irgendeiner Form verarbeitet werden müssen, braucht es alternative Erklärungen für die eigene missliche Lage. Das ist der Nährboden der rassistischen Ideologien der Gegenwart. Werden die Verhältnisse der kapitalistischen Konkurrenz naturalisiert, müssen einzelne Menschen für die Krisen verantwortlich gemacht werden. Hätte das im Falle der Kritik an den 1 %, die in der Zeit der Occupy-Bewegungen eine zentrale Rolle spielte, eine gewisse Berechtigung, an die emanzipatorische Kritik anknüpfen kann, treten die heute dominierenden rassistischen Ideologien nach unten. Nicht die oben erwähnten zwei Familien, die mehr als ca. 42 Millionen Deutsche besitzen, sondern die Geflüchteten, die um die 400 € im Monat zur Verfügung haben, während sie ohne Arbeitserlaubnis auf die Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten, sind schuld am Leid dieser Deutschen. Die Ampelregierung bedient dieses Ressentiment, indem sie die Einführung einer Bezahlkarte beschlossen hat, die fast alle Zahlungen der Asylbewerber:innen unter staatliche Kontrolle stellt. Eine Kontrolle, auf die der Staat bei Geldtransfers auf Konten in der Schweiz und in Panama oder bei Cum-Ex-Geschäften keinen großen Wert zu legen scheint. Indem die Frage nach Arm und Reich in der öffentlichen Debatte, u.a. im jetzigen Wahlkampf, fast vollständig durch die Beschwörung einer drohenden Überfremdung Deutschlands durch andere Kulturen ersetzt wurde, befinden sich die rechten Kräfte im Aufwind. Die regressive Verarbeitung der gesellschaftlichen Verhältnisse, scheint sich gegen die Aufklärung über ihre Ursachen durchzusetzen.
Doch so eindeutig die rassistischen Ideologien der Gegenwart aus den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen erwachsen, so wenig ist ihr Erfolg durch diese determiniert. Die Verarbeitung der gesellschaftlichen Verhältnisse muss durch den psychischen Apparat der einzelnen Individuen hindurch und bleibt damit immer einzigartig. Kein Mensch denkt gleich. Schließlich versuchen Einzelne an Flughäfen Abschiebeflüge zu verhindern, während andere sich zusammenrotten, um Brandsätze auf Asylbewerberheime zu werfen. Welche Menschen im Besonderen anfällig für Antisemitismus und andere Formen von Rassismus sind, untersuchte Adorno mit anderen Wissenschaftler:innen in den Studien zum autoritären Charakter, die 1950 veröffentlicht wurden. Dieser autoritäre Charakter kombiniert eine ausgeprägte Orientierung an Macht, Konformität und Gehorsam mit einer Feindseligkeit gegenüber Anderen und Normabweichungen. Er ist gekennzeichnet durch ein schwaches Ich, das sich der gesellschaftlichen Übermacht unterwirft und versucht, die eigenen Konflikte durch Projektion auf Andere zu verarbeiten. Indem Neoliberale, Konservative und Faschisten nun eine Politik der Härte gegen Geflüchtete, queere Menschen und Arbeitslose propagieren, während sie Trump und Musk die Stiefel lecken, appellieren sie (un)bewusst an genau diese Werte.


Die Zeiten stehen denkbar schlecht. In der Einleitung der Studien zum autoritären Charakter schreibt Adorno: „Man scheint sich heute wohl bewusst, dass es in erster Linie von der Situation der mächtigen ökonomischen Interessensgemeinschaften abhängt, ob antidemokratische Propaganda hierzulande eine beherrschende Rolle spielen wird oder nicht, ob jene, mit Vorbedacht oder nicht, sich dieses Instrumentes bedienen, um ihre Machtstellung aufrechtzuerhalten.“ Die Anwesenheit von Jeff Bezos, Elon Musk und Mark Zuckerberg bei der Vereidigung von Donald Trump zum Präsidenten macht deutlich, dass sich die mächtigsten Fraktionen des Kapitals in dieser Frage bereits entschieden haben. Und auch in Deutschland ist davon auszugehen, dass Blackrock mit Friedrich Merz bald persönlich den neuen Bundeskanzler stellt, der die Zusammenarbeit mit der AFD nun offen forciert.


Möchte man dieser historischen Tendenz etwas entgegensetzen, braucht es mehr als Moralismus. „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, schreibt bereits 1939 Max Horkheimer. Entsprechend ist die linksliberale Hoffnung, der Faschismus ließe sich heute dadurch aufhalten, dass man lediglich an die Moral der Menschen appelliert, die „ein zweites 1933“ verbietet, zum Scheitern verurteilt. Das ehrbare Engagement vieler Menschen muss das moralische Argument in einer Kritik der bestehenden Gesellschaft aufheben. Nur so können wir der hilflos wirkenden Situation entkommen, die immer nur noch darin besteht, das Schlimmste verhindern zu wollen. Denn auch Geschichte unterliegt nur solange dem „Wiederholungszwang“ (Freud), solange sie sich unbewusst, „hinter dem Rücken der Menschen“ (Marx) vollzieht. Die Anamnese des bisherigen Geschichtsverlaufs, welche die bestehende kapitalistische Produktionsweise ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und sie selbst zum Gegenstand der Kritik macht, ist die Voraussetzung, um bewussten Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft zu nehmen. Dafür braucht es eine Stärkung des Ichs, das trotz der anwachsenden gesellschaftlichen Kälte zur Empathie fähig bleibt. Nur durch die Bewusstwerdung des gesellschaftlichen und individuellen Unbewussten, kann Freiheit gegenüber der eigenen gesellschaftlichen Verstricktheit gewonnen werden, die auch die Verstricktheit aller anderen erkennen lässt. Der Kampf gegen den Faschismus braucht einen Begriff und Solidarität. Denn so sehr der Sozialismus heute Utopie zu sein scheint, so eindeutig ist seine Alternative Barbarei.

Foto: Zeppelinhaupttribüne Nürnberg by Geolina163 , CC BY-SA 3.0 via wikimedia

GET POST FORMAT

Sollte noch irgend jemand daran gezweifelt haben, dann haben CDU und CSU vor einigen Tagen klar gestellt, für wen sie Politik machen. Sie sind die Parteien des Kapitals, die Handlanger der Konzerne, der Industrie, die Sachverwalter der Besitzenden. Das 140-seitige Bundestagswahlprogramm, das die Unionsparteien vor einigen Tagen präsentiert haben, hat das noch einmal eindrucksvoll bestätigt. Für klar denkende Zeitgenossen ist die Stoßrichtung dieses Programms sicher keine Überraschung – überraschen konnte allein, wie dreist und deutlich es die Ignoranz von Laschet, Söder & Co. gegenüber den Problemen unserer Zeit und ihre Funktion als Anwalt des Kapitals zum Ausdruck bringt.

In den bürgerlichen Medien gab und gibt es durchaus eine Menge Kritik an dem Papier, sogar von der staatstragenden Zeit, was sicher etwas heißen soll. Dabei machen sich die journalistischen Kritiker zu Recht schon über den Titel des Programms „Für Stabilität und Erneuerung“ lustig, der tatsächlich so aufregend ist wie eine Rede von Armin Laschet. Aber zum Lachen ist das Ganze ansonsten eigentlich nicht, denn da zu befürchten ist, dass CDU und CSU auch die nächste Bundesregierung anführen werden, verheißt das Programm nichts Gutes für das untere Drittel der Gesellschaft, vor allem aber für die Marginalisierten in diesem Land.

Dieses Wahlprogramm ist vor allem eine Verbeugung vor all denen, die ihre Schäflein ohnehin im Trockenen haben – eine Zusicherung: „Keine Angst, wir nehmen Euch nichts! Wir erhöhen Eure Steuern nicht und Ihr dürft weiter über die Autobahnen rasen.“ Vermögenssteuer, Vermögensabgabe, Erhöhung der Hartz-4-Regelsätze und dergleichen, für die Union ist all das Teufelszeug, Forderungen sozialistischer Gleichmacher. Sie wollen nach der Bundestagswahl da weitermachen, wo sie in der Coronakrise angefangen haben: die Industrie und die Besitzenden pempern bis der Arzt kommt. Die Zeche der Krise bezahlen sollen die breite Masse und die Marginalisierten. Da auch die Schuldenbremse nach dem Willen von CDU und CSU wieder eingesetzt werden soll, läuft das auf einen Sozialabbau ungeahnten Ausmaßes hinaus.

Ebenso unfassbar wie diese sozialpolitische Ignoranz ist die Positionierung zur Klimapolitik im Programm, die schon einer Leugnung des Klimawandels gleichkommt. Dieser wird unter ferner liefen abgehandelt. Und natürlich müssen wir uns keine Sorgen machen: Der Markt regelt auch das, das scheinen diese durchgeknallten Unionspolitiker allen Ernstes zu glauben. Das berühmte Cover des Supertramp-Albums „Crisis? What Crisis?“ von 1975 mit dem Mann im Liegestuhl vor rauchenden Industrieschloten – dieses Bild gehört vorn auf das Wahlprogramm der Union. Keines illustriert besser, was drin steht.

#Titelbild: A. Laschet: Dirk Vorderstraße/CC BY 2.0; M. Söder Gemeinfrei, Supertramp Album Cover/ Foto Privat; Montage LCM

GET POST FORMAT

Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.

Aber was kümmern ihn die Geflüchteten, die dank der von ihm mit verantworteten und forcierten Abschottungsagenda der EU im Mittelmeer ersoffen sind? Was die Geflüchteten, die nach Afghanistan abgeschoben wurden und werden, respektive in andere Länder, in denen Krieg und Krisen herrschen? Der Mann ist Ehrenvorsitzender der CSU, also einer Partei, die das Wort „christlich“ im Namen trägt – aber er dürfe da nie einen Widerspruch gesehen haben. Auf Seehofer trifft wie wohl auf keinen anderen deutschen Politiker zu, was der polnische Aphoristiker Stanislaw Jercy Lec einst formulierte: „Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie.“

Apropos Afghanistan. Ein gutes Beispiel für Seehofers eigentümliches Verständnis von Humor ist seine Äußerung im Zusammenhang mit der Sammelabschiebung von 69 Afghanen am 4. Juli 2018 von München aus. Es war die bis dahin mit Abstand höchste Anzahl von als abgelehnt geltenden afghanischen Asylbewerbern, die in einem Flug gleichzeitig „zurückgeführt“ wurden. Als der Minister knapp eine Woche später seinen „Masterplan Migration“ auf einer Pressekonferenz vorstellte, verwies er, nach Vollzugsdefiziten in der Praxis von Abschiebungen gefragt, auf die Abschiebung sechs Tage zuvor: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Im Gegensatz zur politischen Agenda des Bayern löste diese Bemerkung empörte Proteste aus. Sogar in den Reihen der CSU wurde die Äußerung als zynisch kritisiert. Als sich einer der abgeschobenen Asylbewerber in einer Zwischenunterkunft erhängte, bedauerte Seehofer dies öffentlich und erklärte, er habe davon zum Zeitpunkt der Pressekonferenz nichts gewusst. Die Geschichte zeigt vor allem, wie das durchgängige Verhaltensmuster des Horst Seehofer aussieht: Erst irgendwas Bösartiges und/oder Reaktionäres raushauen, relativeren kann man es hinterher immer noch.

Natürlich beherrscht der Christsoziale auch die Strategie, seine brachiale Politik zu verschleiern und sich als Vorkämpfer für mehr Humanität und Toleranz zu verkaufen. So simuliert er immer wieder Anteilnahme für die Geflüchteten, die versuchen, über das Mittelmeer Europa zu erreichen, zum Beispiel als er im Jahr 2019 von sich gab, es sei „unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen“ müsse. Verlogener geht es kaum!

Auch als Kämpfer gegen Rechts tritt Seehofer gern mal auf, etwa zuletzt bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020 des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Da kam er nicht umhin, die Realität zu akzeptieren und die Aktivitäten der Nazis als größte Bedrohung für die innere Sicherheit zu benennen. Natürlich vergaß der Minister nicht, darauf hinzuweisen, dass die „linkextremistisch motivierten Straftaten“ im fraglichen Jahr einen neuen Höchststand erreicht hätten. Die Szene agiere „zunehmend aggressiv und auch enthemmt“. Als kritischer Beobachter konnte man sich an dieser Stelle fragen, ob er über linke Aktivisten sprach oder nicht doch eher über die uniformierten Mitarbeiter der Bundes- und Länderpolizeien.

Um die vielen Sauereien in Wort und Tat, die Horst Seehofer zu verantworten hat, komplett aufzuführen, fehlt hier der Platz. Deshalb sei nur noch an einige besonders unangenehme Höhepunkte seines Wirkens erinnert, zum Beispiel was er in der Flüchtlingspolitik so angerichtet hat. Seehofer gehört zu den Spitzenpolitikern, die den unter anderem von Thilo Sarrazin mit seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ losgetretenen rassistischen Diskurs genährt haben. Schon 2010 erklärte der CSU-Mann, Deutschland könne nicht das „Sozialamt“ für die ganze Welt sein. Im März 2011 legte er noch einen drauf, sagte, er wolle sich „bis zur letzten Patrone“ gegen die „Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme“ wehren. Nicht verwunderlich also, dass er im Dezember 2013 einen Vorschlag der Berliner Bundesgruppe der CSU zur Beschränkung von Sozialleistungen für bestimmte Gruppen von Migranten unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ energisch verteidigte.

Die traurige Rolle des Bundesinnenministers in der von bürgerlichen Medien und reaktionären Kreisen als „Flüchtlingskrise“ bezeichneten Phase im Jahr 2015 ist hinlänglich bekannt. So setzte er Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck, indem er ein Signal zur Begrenzung der Zuwanderung verlangte. Seit dem Jahreswechsel 2015/16 fordert er beharrlich eine „Obergrenze“ von 200.000 Personen. Seinem Bruder im Geiste, Bundespräsident Joachim Gauck, dankte Seehofer dafür, dass dieser bereits die angeblich beschränkten Aufnahmekapazitäten des Landes angesprochen habe. Bei der Gelegenheit sei noch darauf hingewiesen, dass der Bayer gute Beziehungen zum faschistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán pflegte und pflegt.

Bereits zum Amtsantritt als Innenminister hatte er sich bei allen Reaktionären der Republik beliebt gemacht, indem er die medial ohnehin bereits seit Jahren gepuschte Hetze gegen Muslime anheizte. Im Leib- und Magenblatt der Reaktion, der Bild-Zeitung, verkündete Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber schon. „Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns“, dekretierte der CSU-Mann. Dass in seiner Zeit als Innenminister die Asylgesetzgebung weiter verschärft worden ist, versteht sich von selbst. So bleibt sein Name verbunden mit der Einrichtung der „Ankerzentren“, in denen Asylbewerber interniert werden, bis über ihren Antrag entschieden ist.

Angesichts der Fülle von Schandtaten, die er in der Innenpolitik vollbracht hat, gerät fast in Vergessenheit, dass Seehofer bereits als Gesundheitsminister, als Landwirtschaftsminister und als bayerischer Ministerpräsident große Schäden verursacht hat. So legte er dem Ausbau der Windenergie Steine in den Weg, wo er nur konnte, um nur ein Beispiel zu nennen.

Ohne Frage, Horst Seehofer ist ein Brandstifter der sich allzu gern als Biedermann verkleidet. In dem Zusammenhang soll eine Äußerung nicht vergessen werden, die das illustriert wie kaum eine andere aus seinem Munde. Anfang September 2018, nachdem in Chemnitz Horden von Nazis Migranten durch die Stadt gejagt hatten, erklärte Seehofer, die Migrationsfrage sei „die Mutter aller politischen Probleme in unserem Land“ – nicht etwa Nazis, die Migranten jagen. Im Juli wird der frühere CSU-Chef 70 Jahre alt. In einem Interview erklärte er kürzlich, dann sei er 50 Jahre in der Politik: „Das reicht dann mit dem Auslaufen dieser Legislaturperiode wirklich.“ Uns reicht es schon lange!

#Titelbild: Michael Panse/ CC BY-ND 2.0

GET POST FORMAT

Die Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland hat einen neuen Vorsitzenden gewählt. Die Besetzung dieses Postens steht sinnbildlich für die aktuellen Entwicklungen innerhalb des Regimes.

Die Union Internationaler Demokraten (UID), zuvor bekannt als Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die sich selbst zwar als politisch-neutral beschreibt, aber vor allem in Deutschland als Vorfeldorganisation der AKP tätig ist, hat einen neuen Vorsitzenden: Köksal Kus. Dieser setzte sich gegen Erdogans Favoriten Bülent Güven durch. Ein Hinweis auf den wachsenden Einfluss der faschistischen Kräfte im AKP-MHP-Bündnis.

Wer ist Köksal Kus? Selbst die Tagesschau berichtet davon, dass der neue Kopf der AKP-Lobby ein grauer Wolf ist. Er war mehrere Jahre lang aktives Mitglied der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“, einem Sammelbecken für Organisationen und Gruppen der Grauen Wölfe. Seit 1979 lebt er in Deutschland, wie es heißt, weil er durch seine Beteiligung an der faschistischen Ülkücu-Bewegung „Bekanntschaft mit der Politik“ gemacht hat. Ende der 70er Jahre gab es viele Angriffe auf, politische Morde und Massaker an Linken, Alevit*innen, Gewerkschafter*innen und allen anderen, die nicht ins Weltbild der Faschisten passten. Viele der damaligen Täter flohen nach Deutschland, so wie auch nach dem Massaker in Sivas 1993, bei dem 34 alevitische Künstler*innen und Intellektuelle ermordet wurden. Die Übergriffe gingen auch in Deutschland weiter, wie der Mord am türkischen Kommunisten Celalattin Kesim durch graue Wölfe 1980 in Berlin zeigte.

Über den Hitler-Fan und Begründer der Ülkücu-Bewegung Alparslan Türkes schreibt Kus auf Facebook: „Am Jahrestag seines Todes gedenke ich seiner mit Barmherzigkeit (…). Millionen jungen Menschen – einschließlich meiner selbst – hat er geholfen, mit nationalen Werten und Gefühlen aufzuwachsen.“ Türkes hatte 1977 in einem Brief türkischen Kameraden in Deutschland geraten, sie sollen doch von den „Erfahrungen der NPD profitieren.

Im Kampf gegen den Kommunismus sah man die deutschen Nazis als Verbündete, bevor man sich eher weniger radikalen Parteien zuwendete und vor allem Mitglieder in der CDU unterbrachte, um dort die eigenen Positionen befördern zu können.

Ebenso postete er zum Gedenken ein Foto des Verstorbenen Mafiosi Abdullah Catli, der wegen Drogenhandels verurteilt war und an mehreren politischen Morden beteiligt gewesen ist. Der Aktivist Kerem Schamberger weist auf Facebook daraufhin, dass Catli unter anderem am Mord an 7 Mitlgliedern der türkischen Arbeiterpartei beteiligt war, dem sogenannten Bahcelievler-Massaker 1979. Verbindungen zum Papst-Attentäter und zum Anschlag auf ein armenisches Mahnmal in Paris werden ihm nachgesagt. In der Schweiz saß er wegen Drogenhandels im Gefängnis, brach jedoch aus und wurde in der Folge von Interpol gesucht. Einige Berühmtheit erlangte Catli vor allem durch seinen spektakulären Tod, den sogenannten „Susurluk-Skandal“. Denn zu den Todesopfern des Autounfalls zählten neben dem bereits erwähnten Mafiosi Catli und seiner Frau auch ein hochrangiger Polizeifunktionär, Hüseyin Kocadag. Schwer verletzt überleben konnte den Unfall der Parlamentsabgeordnete Sedat Edip Bucak. Bei Catli fand man einen vom damaligen Innenminister unterschriebenen Pass. Mehrere weitere Pässe, Rauschgift und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfer wurden ebenfalls in dem Autowrack gefunden. Die Verbindung von Staat, Faschisten und organisiertem Verbrechen trat so ans Licht der Öffentlichkeit. „Dieser Unfall deckte die Zusammenarbeit und gemeinsamen Interessen von rechtsextremen Gewalttätern, die aufgrund politischer Verbrechen gesuchten wurden, in mafiösen Aktivitäten involviert waren und die die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützten, einerseits, und hochrangigen Verwaltungsbeamten, Polizeiführungskräften, Spezialeinheiten, bekennenden Militanten und Dorfschützern andererseits auf.“, hieß es im Human Rights Report von 1998 zu diesem Vorfall. Die Verbindung von Grauen Wölfen und dem organisierten Verbrechen kommen immer wieder zum Vorschein, wie auch vor kurzem als ein weiterer AKP-MHP-Lobbyist, der von Erdogan persönlich nach Brüssel geschickt wurde, an der EU-Grenze mit 100 Kilogramm Heroin erwischt wurde.

Mit der Wahl von Kus zum Vorsitzenden der UID setzt sich eine Tendenz fort, die sich seit einiger Zeit innerhalb der AKP-MHP-Koalition abzeichnete. Wie verschiedene türkische und kurdische Medien berichten, nehmen Personen des organisierten Verbrechens immer mehr politische Machtpositionen an. Viele Mafiosi wurden erst vor kurzem durch eine von Erdogan erlassene Amnestie aus den Gefängnissen entlassen. Unnötig zu erwähnen, dass im Rahmen der Amnestie keinerlei linke oder kurdische Gefangene freigelassen wurden. Dr. Yektan Turkyilmaz vom Forum für transregionale Studien in Berlin, beschreibt, dass der Einfluss der türkischen Mafia auf die Politik mit schwindender Stärke des Staates täglich zunimmt. Man könne mit Sicherheit sagen, dass die Mafia den Staat mehr nutze, als der Staat die Mafia, so Turkyilmaz.

#Titelbild: Gemeinfrei via Pixabay

Frederik Kunert arbeitet als Integrationserzieher an einer Grundschule in Berlin und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Politik in der Türkei und der kurdischen Befreiungsbewegung.

GET POST FORMAT

Spiegel Online brachte heute einen ausführlichen Text über den Vorschlag von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, eine deutsch geführte „Sicherheitszone“ im Norden Syriens einzurichten. Der Artikel muss dann natürlich, so viel diktiert der journalistische Ethos, noch die Meinung eines Kurden einholen. Auftritt: Ali Ertan Toprak. Der Sprecher der Kurdischen Gemeinde Deutschland (KGD) findet den Vorschlag dufte. Soweit so gut.

Das kleine Problem: Ali Ertan Toprak ist zwar Kurde. Aber er ist kein Sprecher jener kurdischen Bewegung, die im Norden Syriens aktiv ist. Das erwähnt der Artikel nicht. Was Ali Ertan Toprak aber ist, ist Mitglied der CDU. Auch das erwähnt der Artikel nicht.

Toprak zählt, wenn es um irgendetwas mit Bezug auf Kurden geht, zu den beliebtesten Interviewpartnern großer Medien in Deutschland. Und das, obwohl seine KGD nur eine sehr kleine Minderheit der Kurd*innen in Deutschland repräsentiert, und noch dazu nicht für jene politische Bewegung sprechen kann, die den Befreiungskampf in Kurdistan selbst führt. Die haben hierzulande eigene Vertretungen, die noch dazu wesentlich mehr Menschen umfassen als die KGD: Kon-Med (früher Nav-Dem) heißt der Zusammenschluss dieser kurdischen Vereine, Civaka Azad heißt ihr Büro für Öffentlichkeitsarbeit. Auch dort könnte man anrufen, die Telefonnummer steht im Internet. Aber: Diese Kurd*innen mag man nicht gern, denn sie sind weder in der CDU, noch machen sie andauernd Werbung für den deutschen Staat und seine Institutionen – schon weil dieser sie verfolgt.

Journalistisch ist die Dauerbeschallung mit Ali Ertan Toprak ein Taschenspielertrick – und dazu ein rassistischer. Man würde ja nie auf die Idee kommen, wenn man etwas von der SPD will, irgendeinen Deutschen, sagen wir Dieter Bohlen, einzuladen, weil eh alle Deutschen gleich sind. Oder wenn man die Position der syrischen Regierung erfahren will, den Sprecher irgendeiner irakischen Oppositionspartei – weil sind ja beide Araber und ist ja eh alles dasselbe.

Seit Jahren tun sich die deutschen Medien schwer zu verstehen, dass es auch bei Kurd*innen – welch´ Wunder – verschiedene Parteien gibt, verschiedene politische Einstellungen. Es gibt feudale Parteien wie die südkurdische KDP, sozialdemokratische wie PUK, und dutzende Parteien, die den Ideen Abdullah Öcalans anhängen. Sätze wie „Wir liefern Waffen an die Kurden“ – wenn man die KDP im Nordirak meint -, sind einfach absurd, schon weil diese Waffen dann gegen andere, jesidische Kurd*innen eingesetzt wurden.

Nach Jahren der Berichterstattung über diese Region müsste ein so einfacher Merksatz wie „Kurd*innen sind auch normale Menschen und es gibt bei ihnen unterschiedliche Parteien“ eigentlich in das letzte Redakteurshirn vorgedrungen sein. Insofern ist es einfach bewusste Irreführung der Leser*innenschaft, wenn man Ali Ertan Toprak andauernd kommentarlos als Sprecher für Angelegenheiten einlädt, in denen man eine*n Vertreter*in von Kon-Med interviewen müsste.

# Titelbild: wikipedia

GET POST FORMAT

Kommentar

Ein Sommertag im Juni 2019. Die Uhr am Gebäude der Scientology Kirche im Hamburger Zentrum zeigt fünf nach eins. Dieselbe Zeit wie die Turmuhr der Hauptkirche St. Petri vis-à-vis. Auf der kurzen Straße dazwischen haben sich Demonstrant*innen versammelt, an die 250 vielleicht. Vor den Reden läuft Musik, schön laut, aber selbst das geht fast unter im Trubel eines ganz normalen Einkaufssonnabends.

Einen Steinwurf entfernt bevölkern Tourist*innen und Einheimische die Mönckebergstraße, das nächste Schaufenster im Blick, Fastfood oder den Coffee to go in der Hand. Sie mustern die Demonstrant*innen eher wie Tiere im Zoo, sofern sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. Wer der Mann auf dem Foto ist, das auf ein Plakat am Lautsprecherwagen geheftet worden ist? Auf diese Frage würden die meisten Passanten wohl antworten: Das ist doch dieser Politiker, der erschossen wurde.

Das Bild zeigt in der Tat den Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, der am 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen mit einem Kopfschuss ermordet wurde. Vermutlich von dem Neonazi Stephan Ernst. Die Kundgebung an diesem Sonnabend richtet sich gegen die „geistigen Brandstifter“, die für solche Taten den Boden bereiten – darum findet sie vor dem Bürogebäude statt, in dem sich die Geschäftsstelle des Hamburger Landesverbands der protofaschistischen AfD befindet.

Die Interventionistische Linke (IL) Hamburg hat zur Demo aufgerufen, für einen Politiker der CDU. Ungewohnt genug, aber in diesen Tagen gerät vieles durcheinander. Die politische Öffentlichkeit beruhigt sich mit den üblichen Ritualen. Auf allen Kanälen sondern „Extremismusexperten“ Statements ab, die TV-Talks verhackstücken den Lübcke-Mord und Politiker*innen üben sich in Abgrenzerei. Gebot der Stunde: nach ganz rechts zeigen, auf die „bösen Nazis“, die offenbar aufgetaucht sind wie Kai aus der Kiste und mit denen man nichts zu tun hat.

Da kam der Evangelische Kirchentag in Dortmund gerade recht. Kirchentage sind bekanntlich ein willkommener Ort für Politiker*innen, hochmoralische, aber folgenlose Ansprachen zu halten und sich Absolution für ihr Tun und Reden abzuholen. So auch diesmal. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte Abscheu und Entsetzen über den „braunen Terror“ und salbaderte über „verrohte Sprache“ im Netz und anderswo. Der Zukunft vertrauen, das falle „vielen Deutschen heute nicht leicht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwadronierte, „Rechtsextremismus“ müsse „in den Anfängen“ und „ohne Tabu“ bekämpft werden.

Sie begreifen nichts, und sie wissen nicht, was sie reden, könnte man in leichter Abwandlung eines Bibelwortes diese Äußerungen kommentieren. Es soll hier gar nicht um die Verstrickungen staatlicher Stellen, voran des Verfassungsschutzes, in Nazistrukturen gehen, wie sie sich beim NSU-Komplex zur Genüge gezeigt haben. Vielleicht wird sich noch herausstellen, wie viel „tiefer Staat“, wie viel „Strategie der Spannung“ in Taten wie dem Mord an Lübcke stecken.

Es geht um etwas Grundsätzlicheres: Rechte Gewalt, faschistischer Terror sind Ausfluss spätkapitalistischer Zerfallsprozesse, einer allgemeinen Verrohung. Dass sich mit Steinmeier ausgerechnet einer der Architekten des Verarmungsprojekts Agenda 2010 über „verrohte Sprache“ beklagt, ist zum einen grotesk und zeigt zum anderen die ganze Ignoranz der politischen Klasse. Wenn man täglich ums materielle Überleben kämpft, kann man schon mal das Vertrauen in die Zukunft verlieren.

Mit ihrem Klassenkampf von oben haben die Herrschenden, vor allem nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz 1990, die Verrohung dieser Gesellschaft angefacht. Die AfD und die Neonazis sind nur ein Symptom dieser Entwicklung. Dass Geflüchtete und alle, die sich auf ihre Seite stellen, zunehmend zum Ziel rechter Gewalt werden, daran haben SPD, CDU, FDP und Grüne ihren Anteil. Indem sie das Asylrecht komplett demontiert haben, indem sie es zulassen, dass Tausende auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, indem sie dafür sorgen, dass Menschen in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werden. Indem sie, wie SPD und CDU gerade im Bundestag, das Asylrecht immer weiter verschärfen und damit indirekt all denen Recht geben, die in den Asylsuchenden ein Problem sehen.

Sozialismus oder Barbarei – das ist mehr als eine Parole, die man so hinsagt. Wir sind doch längst auf dem Weg in die Barbarei oder sogar schon mittendrin. Die Szenerie bei der Kundgebung vor der Hamburger AfD-Zentrale, passte da ins Bild. Für die fröhlich konsumierende Masse ist doch der Mord an Walter Lübcke so weit weg und so irreal wie ein Fall in irgendeinem „Tatort“ am Sonntagabend oder ein der US-amerikanischen CSI-Serien. Sie haben sich vor den Zumutungen der Gegenwart längst in eine Art Autismus geflüchtet.

Titelbild: Andreas Arnold/dpa

GET POST FORMAT

Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form hat für die Mächtigen den Nachteil, dass er Dynamiken erzeugt, die nicht immer vorherzusehen und zu beherrschen sind. Weil das System am besten gedeiht, wenn es den Beherrschten einen gewissen Grad an politischen Freiheiten genehmigt, kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen. In diese Kategorie muss wohl der Wirbel eingeordnet werden den das Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo vor der Europawahl erzeugte.

Bei aller Skepsis, was die langfristigen Wirkungen angeht: Das war ein Coup! Im dahinplätschernden Wahlkampf schlug der 55minütige Film, in dem Rezo vor allem die Politik der CDU zerlegte, granatenmäßg ein, erzielte in einer Woche mehr als elf Millionen Aufrufe. Die Union, aber auch die Mainstreammedien wurden komplett auf dem falschen Fuß erwischt. Aus der Ecke hatte mit einer solchen Intervention einfach keiner gerechnet.

Und das ist eine auch für Linke bemerkenswerte Entwicklung. Eigentlich ist die Welt der Youtuber*innen und Influencer*innen ein Teil der Marketingmaschinerie, bei der es um das Propagieren und Verfestigen bestimmter Lebensstile und eines damit kompatiblen Konsumverhaltens geht. Da werden Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika gepusht, Musiktitel oder alberne Challenges gehypt. Mit der großen Politik hatte diese Welt bisher wenig zu tun – und das sollte sie sicher auch nicht.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, der CDU-Zentrale, reagierte man entsprechend kopflos auf die unerwartete Attacke. Erst ließ man sich tagelang Zeit mit einer Antwort, dann zog die Parteiführung ein schon produziertes Antwort-Video des Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor – wegen seines streberhaft-spießigen Habitus eine Spottfigur im Netz – kurzfristig zurück. Vermutlich befürchtete die CDU, sich damit noch mehr zu blamieren.

Als Rezo und mehr als 70 Youtuber-Kolleg*innen kurz vor der Wahl nachlegten und dazu aufrief, am Sonntag nicht CDU, CSU oder SPD zu wählen, brannten bei der Union alle Sicherungen durch. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schlug allen Ernstes vor, politische Äußerungen im Netz vor Wahlen zu „regulieren“. Das sorgte in den „sozialen Medien“ für Entsetzen und ungläubiges Erstaunen, wurde allgemein als Anschlag auf die Meinungsfreiheit und Zensur bezeichnet. Und sogar die Bild-Zeitung zählte Kramp-Karrenbauer an.

Für Linke war das, was Rezo in seinem Video durchaus flott und gekonnt vortrug, inhaltlich natürlich nichts Neues. Ob es um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich oder das Versagen der CDU, der CSU und auch der SPD in der Klimapolitik oder der Drogenpolitik ging. Aber das ist auch nicht der Punkt. Es ist etwas anderes, ob Linken-Parteichef Bernd Riexinger oder Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband zum 100mal auf die soziale Kluft hinweisen – oder ob das ein Youtuber tut, dessen junges Publikum sich mehrheitlich bisher wenig mit Politik befasst hat.

Als „unterkomplex“ haben manche Lohnschreiber*innen in den bürgerlichen Medien Rezos Ausführungen bekrittelt. Die konservativen Leitmedien wie die FAZ haben das gesamte Video mit Schaum vor dem Mund vom Tisch gewischt. Es sind die üblichen Reflexe, wenn an dem größte gesellschaftliche Tabu gerührt wird – wenn der Skandal der sozialen Apartheid beim Namen genannt wird. Rezos Video entspricht da gewissermaßen dem Ausruf des Kindes in Hans-Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: „Aber der hat ja nichts an!“

Das ist genau das, was reaktionäre Journalisten wie Jasper von Altenbockum von der FAZ oder die CDU so auf die Zinne bringt: dass sich hier ein junger Mann mit blauen Haaren hinstellt und ganz naiv eine Frage stellt. Dass er auf eine Grafik zeigt, auf der eine Kurve, die Vermögenden des Landes, nach oben geht und die andere, die Habenichtse, konstant nach unten, und dass er fragt: Die CDU hat in 29 der 36 vergangenen Jahre das Land regiert – wenn sie wirklich eine Volkspartei wäre, die Politik für alle macht, warum bewegen sich diese Kurven dann immer weiter auseinander?

Das ist nicht „unterkomplex“, sondern Rezo spricht eine schlichte Wahrheit aus. Die bürgerlichen Parteien machen Politik für Aktienbesitzer und andere Absahner. Für die Helfershelfer im Mittelstand wird ein bescheidener Wohlstand garantiert, für den Rest gibt’s ALG II und RTL 2. Rezos Video ist nach Friday’s for Future ein zweiter überraschend erfolgreicher Vorstoß junger Leute in den politischen Raum. Man muss nicht gleich eine neue Jugendbewegung ausrufen, aber es ist natürlich erfreulich, wenn Jugendliche anpolitisiert werden, weil sie so zumindest potentiell aufnahmefähig für radikale Systemkritik werden. Bloß sollte niemand den Fehler machen, die Fähigkeiten des Systems zu unterschätzen, Protest und Widerstand einzudämmen und einzugemeinden.

#Titelbild: Rezo – Die Zerstörung der CDU

GET POST FORMAT

Der Anschlag vom Breitscheidplatz hätte verhindert werden können. Ein Grund, warum er gelang, liegt in der Prioritätensetzung von Berliner Polizisten und Politikern.

Reden wir Klartext: Das Landeskriminalamt (LKA) Berlin hat Mitschuld am Tod von 12 Menschen. Es hat – weil es in seinem grenzenlosen Hass auf radikale Linke andere Aufgaben vernachlässigte – einen Terroranschlag geschehen lassen. Das wiederum war keineswegs ein „Behördenversagen“, sondern eine fast logische Konsequenz aus der im Berliner Staatsschutz vorherrschenden Prioritätensetzung: Der Feind steht links. Diejenigen, wie der frühere Innensenator Frank Henkel (CDU), die seit Jahren diese Unkultur in der Behörde nicht nur tolerieren, sondern fördern, können sich ebenfalls für den Verlust von einem dutzend Menschenleben auf die Schultern klopfen.

Sehen wir uns die Geschichte an. (mehr …)

Artikel

0 ... 12 von 1344 gefundene Artikel

Am selben Tag, an dem der Bundestag den Opfern des Nationalsozialismus gedenkt, fällt die sogenannte „Brandmauer“. Elon Musk treibt den […]

Sollte noch irgend jemand daran gezweifelt haben, dann haben CDU und CSU vor einigen Tagen klar gestellt, für wen sie […]

Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.

Die Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland hat einen neuen Vorsitzenden gewählt. Die Besetzung dieses Postens steht sinnbildlich für […]

Spiegel Online brachte heute einen ausführlichen Text über den Vorschlag von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, eine deutsch geführte „Sicherheitszone“ im Norden Syriens […]

Kommentar Ein Sommertag im Juni 2019. Die Uhr am Gebäude der Scientology Kirche im Hamburger Zentrum zeigt fünf nach eins. […]

Der Kapitalismus in seiner jetzigen Form hat für die Mächtigen den Nachteil, dass er Dynamiken erzeugt, die nicht immer vorherzusehen […]

Der Anschlag vom Breitscheidplatz hätte verhindert werden können. Ein Grund, warum er gelang, liegt in der Prioritätensetzung von Berliner Polizisten […]

Am selben Tag, an dem der Bundestag den Opfern des Nationalsozialismus gedenkt, fällt die sogenannte „Brandmauer“. Elon Musk treibt den […]

Sollte noch irgend jemand daran gezweifelt haben, dann haben CDU und CSU vor einigen Tagen klar gestellt, für wen sie […]

Wenn ich eines an Horst Seehofer besonders hasse, dann ist es das kalte Lächeln, das er bei öffentlichen Auftritten eigentlich immer aufsetzt, und das zwanghafte Witzeln, das vermutlich Souveränität signalisieren soll. Der CSU-Politiker und noch amtierende Bundesinnenminister, der gottseidank kürzlich seinen Abschied von der Politik angekündigt hat, kalauert eigentlich immer, zumindest wenn Kameras und Mikros auf ihn gerichtet sind – auch und gerade bei Themen, die keinerlei Anlass dazu bieten. Die hunderttausende Opfer der Politik des noch amtierenden Bundesinnenminister hatten und haben dagegen nichts zu lachen.