Es ist ja immer noch Kapitalismus und wenn wir in dem überleben wollen, müssen wir die Waren erwerben, derer es dazu bedarf. Dazu brauchen wir Geld. Und wer nicht über den Segen eines reichen Elternhauses verfügt, wird früher oder später in die Welt der Lohnarbeit eintreten. Das gilt sehr allgemein und doch ist genau dieser Bereich des eigenen Arbeitslebens einer, der in der hiesigen radikalen und autonomen Linken eigentlich so gut wie nie eine politische Rolle spielt. „Das Private ist Politisch“ gilt offenbar für diesen an sich schon politischen Part des sogenannten Privatlebens kaum. Arbeit ist Arbeit. Politik findet nach Feierabend statt und dreht sich meistens auch um ganz andere Themen.
Das hat weitreichende Auswirkungen, denn die je individuellen Strategien im Umgang mit diesem riesigen blinden Fleck sind auch für Organisationen nicht leicht zu verdauen. Karrierismus ist eine beliebte Strategie: Wenn man schon nichts dran ändern kann, dass man Geld verdienen muss, dann möchte man schon bitte recht viel davon. Und da die im Vergleich zur Normalbevölkerung überproportional studentische und gut vernetzte urbane Linke hier auch Möglichkeiten ohne Ende hat – von der Mitarbeiterstelle beim MdB deiner Wahl über die Funktionärsposten in Stiftungen und Gewerkschaften bis zu dann schon ganz „unpolitischen“ (einer muss es ja machen) Leitungsfunktionen in Bürokratie, Medienzirkus oder bei Konzernen -, lockt der Aufstieg. Irgendeine Scham muss man nicht empfinden, denn wenn man nicht gerade Bulle wird, interessiert es eigentlich keinen, was man arbeitstechnisch so macht. Es ist Privatsache.
Nun besteht auch die außerparlamentarische Linke nicht zu 100 Prozent aus aufstiegswilligen Karrierist:innen, wahrscheinlich nicht einmal mehrheitlich. Aber auch dem Rest, der unterbezahlt und ausgepowert vor sich hin malocht, bleibt nicht viel anzufangen mit diesem Schicksal. Auf einem durchschnittlichen Plenum sitzen dann vielleicht ein:e Erzieher:in, ein:e Handwerker:in, fünf Student:innen und drei Erwerbslose. Dass mehrere Leute aus einem Betrieb zufällig auch in der selben Gruppe sind, ist eher selten. Man verbannt daher den Bereich, der einen Großteil der eigenen Lebenszeit einnimmt, aus dem eigenen Aktivismus und kümmert sich lieber um andere wichtige Themen. Im Betrieb erzählt man am Besten gar nicht, dass man Kommunist:in, Anarchist:in oder sonstwas ist, das gibt nur Stress.
Das Ergebnis ist eine radikale Linke, die sich zwar (zurecht natürlich) mit internationalen und gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt, aber keine Kraft in der Arbeiter:innenklasse hat, die trotz aller Unkenrufe nun mal die breiteste soziale Klasse mit gemeinsamen Interessen auch in diesem Land ist. Dass dann gelegentlich Bücher und Artikel erscheinen, die beschwören, wie unendlich wichtig die Klassenfrage ist, ändert daran auch nichts, denn die zirkulieren sehr selten in Belegschaften als Pausenlektüre.
Ein Banner zu malen, śich vor einen Betrieb stellen, wenn da mal was geht, und sich solidarischen zeigen, ist da uniroisch schon besser als nichts. Es ersetzt aber nicht, als Gleiche:r unter Gleichen in einem Betrieb mit den eigenen Kolleg:innen zu diskutieren, für die eigene Weltanschauung zu werben und der meistens ohnehin schon vorhandenen Wut eine Richtung zu geben.
Im richtigen Betrieb ist das deutlich einfacher als man gemeinhin denkt. Als ich nach einem halben Leben in freiwilliger postakademischer Prekarisierung endlich eine Umschulung in einen normalen Handwerksberuf gemacht hatte, war ich erstmal überrascht, wie wenig an der Mär dran ist, die Klasse sei „unpolitisch“. Im Schnitt waren alle Gespräche politischer als in der „politischen Szene“, wenn auch nicht immer „politisch korrekt“. Und die Frontlinien waren, zumindest in Großbetrieben, auch immer recht klar. Auch, wenn die Kolleg:innen oft (berechtigte) Angst haben, zu kämpfen, dass man vom Chef über den Tisch gezogen wird und der Vorarbeiter ein Arschloch ist, das wissen die meisten, das braucht keiner erklären. Dazu kommt, dass unter Kolleg:innen oft – trotz aller Spaltungslinien und Konkurrenzverhältnisse innerhalb der Klasse – ein Vertrauensverhältnis da ist, das ansonsten nicht gegeben ist. Es ist etwas anderes, ob ich acht, zehn, zwölf Stunden am Tag mit den anderen gemeinsam dieselbe Scheisse durchstehe, oder ob ich auf der Straße Wildfremde anquatsche.
„Revolutionäre Arbeit soll nicht in dem Freiraum stattfinden, den das herrschende System für politische Tätigkeit nach Feierabend zur Verfügung stellt: Parteiversammlungen, Wahlzirkus und notfalls auch mal die Straße für Demonstrationen. Revolutionäre Arbeit soll vielmehr gerade in dem Bereich stattfinden, der für die freie politische Betätigung tabu ist: am Arbeitsplatz, im Betrieb“, schrieb Berni Kelb in seiner „Betriebsfibel“. Die Lage ist dafür schon deshalb nicht schlecht, weil ohnehin viele Belegschaften kämpfen – von den Lieferfahrer:innen über die Pflege, von Logistik bis Metall-Industrie.
Der erste Schritt für die außerparlamentarische Linke zu einem Schritt in diese Tür wäre, sich zu erinnern, dass die Art und Weise, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen, natürlich keine „Privatsache“ ist, sondern im Zentrum auch unserer politischen Betätigung stehen sollte.
Für diejenigen, die ohnehin schon malochen, heisst das, die Kolleg:innen als politische Subjekte zu begreifen, ordentlich Rabatz im Betrieb zu machen und die Genoss:innen in der Politgruppe außerhalb dazu zu bewegen, das zu unterstützen. Für die anderen würde das wiederum heissen: Sich das eigene Arbeitsleben so zu gestalten, dass man auch Aussicht darauf hat, mit anderen Kolleg:innen in Kontakt zu kommen, die man organisieren will. Sich zu überlegen? Ist die Arbeit, der ich nachgehe, denn eigentlich geeignet, andere Kolleg:innen zu organisieren? Alleine am Schreibtisch in der akademischen Dauerprekarisierung dahinsiechend oder als heranwachsende:r Chef:in mit BWL-Master wird man wahrscheinlich weniger Aussicht auf kollektive Aktion der Klasse haben als auf Station im Krankenhaus, im Tiefbau oder als Fahrradkurier:in.
# Bildquelle: https://www.peoplesworld.org/article/pw-readers-speak-tariffs-vs-international-working-class-solidarity/