John Wick ist ein Ex-Auftragskiller, der in der Trauer um seine verstorbene Ehefrau von einem verwöhnten reichen Bengel gestört wird und einen Rachefeldzug beginnt. Das ist die erzählerische Basis der mittlerweile dreiteilige Jochn-Wick-Reihe (fünf Filme sollen es insgesamt werden), die Filmkritiker*innen wie auch Fans des Action-Genres fasziniert. Verdient. Denn diese Action-Reihe denkt das Oberflächliche mit dem Untergründigem zusammen. Das zeigt sich in der Kombination von durch Neonlichtern durchfluteten Ästhetik der Close-Combat-Kampfsezenen und der Verstrickung existenzieller Fragen um Liebe, Menschlichkeit und Gerechtigkeit in dem vermeintlich simplen Plot.
Verantwortlich für die Filmreihe ist Regisseur Chad Stahelski. Der ist seit Matrix Stamm-Stunt Double von Keanu Reeves. Die Filmreihe ist ein gemeinsames Projekt der beiden. Dementsprechend haben die Frei- und Feinheiten im Zusammenspiel von Schauspieler*innen und Stuntcrew im Vergleich zu üblichen Action-Franchises viel Raum: Die Actionsequenzen unterhalten nicht nur, sondern sind handwerkliche und ästhetische Meisterleistungen. Statt mit Explosionen und Effekten zu protzen, sind die Actionsequenzen tänzelnde Choreographien, die sinnig in Set und Handlung eingebaut werden. Reeves und Stahelski legen eine Kreativität und ein Unabhängigkeitsbestreben an den Tag, welche an das von Scorsese und Coppola geprägte New Hollywood der 19070er erinnert.
Nicht nur die Produktion, sondern auch die Filmhandlung ist anders als der klassische Hollywoodschinken. In Voraussicht ihres Todes und Johns Schmerz deswegen, hat die verstorbene Ehefrau John einen Hund geschenkt. Wie John im Film selbst oft wiederholt, ist er nicht einfach ein Hund. Der Hund ist seine letzte Bezugsperson außerhalb der Auftragskillerindustrie, außerhalb seiner Arbeitswelt. Er ist das, was John an seine Menschlichkeit und damit auch an die dem gegenüberstehende Entfremdung in der Auftragskillerindustrie erinnert. Dieser Hund wird im Zuge eines Überfalls von reichen, gelangweilten Bengeln getötet. Von da an beginnt Johns persönlicher Rachefeldzug. Er bringt den Schnösel um, der für den Tod des Hundes verantwortlich ist und ruft damit dessen Vater auf den Plan, den John auch noch umbringt. So weit so Taken. Der Unterschied zwischen Keanu Reeves‘ John Wick-Charakter und Action-Alter Ego Liam Neesons ist, dass die Story über diesen Rachefeldzug hinausgeht: Das persönliche Leid ist nur Grundlage der Erkenntnis um die systematische Ungerechtigkeit.
Der besagte Vater war Mitglied der sogenannten Hohen Kammer. Eine Art Plenum der Auftragskillerindustrie. Sie hat Parallelstrukturen, sichere Räume und eigene Regeln. Diese Auftragskillerindustrie ist aber nicht wie in üblichen Action-Filmen von Machogehabe und einem archaischen Ehrenkodex bestimmt, sondern folgt der feinen Logik der kapitaleigenen Philosophieschule des Liberalismus: (Sozial-)Vertrag ist das Stichwort. So wie liberale Philosoph*innen auf den Gesellschaftsvertrag zwischen Regierenden und Regierten und Kapitalist*innen auf den angeblichen Sozialpakt zwischen ihnen und den Arbeiter*innen verweisen, so verweist die Hohe Kammer ähnlich auf ihre Ordnung der Dinge und setzt diese im Zweifelsfall auch durch.
Als John im zweiten Film erstmals, durch Angehörige der Hohen Kammer dazu verleitet, deren Regeln bricht, wird er exkommuniziert und gilt ab dann als vogelfrei. Getrieben von der Hohen Kammer und deren Schergen sucht John jemanden auf, von dem er sich Hilfe erhofft. Es ist der Chef der Zentralbank dieser speziellen kriminellen Unterwelt. Ja, die Auftragskillerindustrie in John Wicks Welt rechnet nicht in Dollar oder Euro, sondern hat ihre eigene Währung. Davon sogar zwei: Münzen und Schuldmünzen. Erstere haben einen monetären Wert und letztere einen sozialen Wert (quasi ein Sozialvetrag), wie es der Zentralbankchef der Hohen Kammer es John erklärt.
Hier zeigt sich eben die Parallele zur oben genannten liberalen Philosophie um Gesellschaft und Arbeit. In der Logik der Hohen Kammer ist John als Arbeiter der Industrie verpflichtet. Nach diesem kurzen Workshop mit der filmischen Christine Lagarde über den Wert von Münzen und der Unantastbarkeit von Verträgen und anschließender unterhaltsamen Ballerei, macht sich John auf den Weg zu demjenigen, der angeblich über der Hohen Kammer steht: dem Ältesten. Als John bei diesem ankommt, stellt sich heraus, dass dieser gar nicht besonders über der Hohen Kammer steht oder Macht über diese hat, sondern fein in ihrem Interesse handelt. Eine scheinbar mächtige Figur enpuppt sich als austauschbare Charaktermaske, deren Handlungsfähigkeit im wesentlichen davon bestimmt wird, dass sie im Sinne der politisch und ökonomisch Mächtigen agiert.
Beim Ältesten angekommen, mit dem Rücken zur Wand, wird John vor die Entscheidung gestellt: werde wieder Auftragskiller unter der Hohen Kammer oder stirb. Nimm diesen Job an und akzeptiere, dass du ausgebeutet wirst und du kannst irgendwie leben oder stirb langsam oder schnell ohne Job, Wohnung und Erbe. John “wählt“ die Hohe Kammer und kehrt sicher in seine Heimat zurück. Dort angekommen weigert er sich jedoch dieses unwürdige Leben weiterzuführen und landet zum Ende des Films gebrochen (wortwörtlich: er rette sich nach einer letzten Ballerei durch einen Sprung von einem Gebäude) im Untergrund; in der Kanalisation. Unter Gleichangepissten, nach all diesen Strapazen, fällt John die Entscheidung, dass er der Hohen Kammer bzw. der Industrie mitsamt ihrer Regeln, Verträge und ihrem ganzen System nicht alleine begegnen kann. Ein friedliches Leben neben oder unter der Hohen Kammer ist undenkbar, gar illusorisch geworden. Aus einem einfachen Racheakt entwickelte sich die Erkenntnis über die systematische Ungerechtigkeit und damit die Notwendigkeit einer Revolution.
#Text: Özgün Kaya
#Titelbild: © Concorde Filmverleih GmbH
Robin Pohl 18. April 2020 - 22:26
Ihr scheint irgendwie zu vergessen dass John Wick selber recht wohlhabend ist