Coronakrise und Wanderarbeit: Wer pflügt die deutsche Scholle?

12. April 2020

„Ich verliere 1500 Tonnen Spargel!“ titelt in großen Lettern die Bild-Zeitung. Großbauer Heinrich Thiermann „fehlen 800 Arbeiter“, wegen der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Einreisebeschränkungen. Thiermann zählt zu den größten Landwirtschaftsunternehmern im Spargelsektor, hat aber auch Heidelbeeren und Erdbeeren. Rund 3000 Hektar Land hatte Thiermann schon 2009 „unter Pflug“, wie das Handelsblatt damals schrieb, 20 Millionen Euro Umsatz fuhr er jährlich ein. Wer erwirtschaftet das? Der rüstige „Spargelkönig“, wie wohlwollende Medien ihn nennen, nicht. Ein Heer von ausländischen Saisonarbeitern verrichtet die körperlich aufreibende Tätigkeit Jahr für Jahr.

Nur eben dieses Jahr nicht. Denn die Corona-Krise hat die Lieferkette von Menschenmaterial unterbrochen. Und das nicht nur für Thiermann, sondern für alle Agrarkapitalisten. Das schreckte dann wiederum deren politische Interessenwahrer*innen, allen voran Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), auf. Die begibt sich seitdem auf eine rastlose Suche nach Möglichkeiten, den Feldfürsten doch noch irgendwie billige und willige Arbeitskraft zuzuführen. Student*innen sollen aufs Feld oder am besten gleich Geflüchtete. Und Kurzarbeiter*innen, die sich etwas „zuverdienen“ sollen, während die Bundesregierung die Profitmarge ihres Mutterkonzerns absichert. Und verarmte Rentner*innen. Und wo das alles nichts hilft, da fliegt man zehntausende Arbeiter*innen aus Polen, Rumänien und anderen Ländern mit niedrigem Lohnniveau ein.

Das Landwirtschaftsministerium hat eilig ein eigens auf die Interessen der Großbauern zugeschnittenes Maßnahmenpaket verabschiedet, das es in sich hat. Neben Maßnahmen, die verarmte Alte oder in Kurzarbeit versetzte Arbeiter*innen anlocken sollen, zielt es auf die Lockerung von Arbeitsschutzmaßnahmen für die verfügbaren Saisonkräfte. Die Arbeitszeiten sollen „flexibler“ gestaltet werden, was im Klartext nichts anderes bedeutet, als dass die ungesunde und kräftezehrende Arbeit länger am Stück ausgeführt werden darf. Das ist der eigentliche Kern der Sache und deshalb freut auch dieses Maßnahme die Profiteure besonders: „Was uns in Bezug auf dieses Maßnahmenpaket besonders hilft, ist die großzügigere Auslegung des Arbeitszeitgesetzes“, gibt Spargelbauer Stefan Hof in einer Pressemitteilung der Kreisverwaltung Neuwied zu Protokoll. Der Grund ist einfach: Die Mehrheit der Bauern will keine ungeschulten Neulinge, sondern die durch jahrelanges Buckeln auf dem Feld geschulten Bulgar*innen, Pol*innen und Rumän*innen härter einsetzen dürfen. Das Geschäftsmodell basiert darauf, dass die sich nicht beschweren, weil sie zuhause noch weniger verdienen und ohnehin für einen begrenzten Zeitraum hier sind.

Die Ausnutzung von Lohnunterschieden, um eine Schicht besonders leicht zu schindender Proletarier*innen auspressen zu können, ist kein Randphänomen. Alleine in der Landwirtschaft reden wir von jährlich an die 300 000 Saisonarbeiter*innen, davon 95 Prozent aus dem Ausland.

Aber die schlecht bezahlten und anstrengenden Jobs, die von Wanderarbeiter*innen erledigt werden, spielen sich bei weitem nicht nur auf deutschen Feldern ab. So fehlen etwa durch die Corona-bedingten Grenzschließungen auch massig Pflegekräfte. Hunderttausende Osteuropäer*innen arbeiten im deutschen Gesundheitssektor. Die Mehrheit von ihnen, eingesetzt in der Heimpflege, sind statistisch nicht einmal erfasst. Durch teilweise dubiose Arbeitsvermittlungen werden sie in die Bundesrepublik verbracht und schließen dort jene Lücke, die durch die neoliberale Ausdünnung des Gesundheitswesens gerissen wurde. „Sorgen“ haben auch die Bauunternehmer. Jede*r, der/die schon einmal in dem Bereich gearbeitet hat, weiß, dass kaum eine Baustelle ohne Arbeitsmigration funktionieren würde. Auch hier kommen Zehntausende Arbeiter*innen aus Osteuropa und anderen Niedriglohnregionen nach Deutschland. Und auch hier ist das Geschäftsmodell: Die mucken nicht auf und sind leicht zu ersetzen.

Die Liste der Branchen, in denen auf Wanderarbeiter*innen gesetzt wird, ist lang. Es sind dabei vor allem die – salopp gesagt – Drecksjobs. Über 30 Prozent der Reinigungskräfte, fast 30 Prozent in der Lebensmittelherstellung, über 20 Prozent in Lagerwirtschaft, Hochbau und Zustellung, fast 40 Prozent in der Systemgastronomie, errechnete das Bundesamt für Statistik für das Jahr 2017. Zum Vergleich: In den Bereichen Journalismus sind es etwas über 4 Prozent, im Justizwesen 3,7 Prozent, im Finanzwesen oder der Verwaltung um die 3 bzw. 2 Prozent.

Die Realitäten ausländischer Arbeiter*innen sind sehr unterschiedlich, aber gemeinsam ist der Mehrheit von ihnen: Sie arbeiten in Jobs, die schweißtreibend, physisch und psychisch aufreibend, schlecht bezahlt und selten Thema öffentlicher Empörung sind. Sie sind leichter unter Druck zu setzen, haben kaum eine Lobby und können oft selbst geltendes Recht nicht in Anspruch nehmen, weil sie jederzeit ersetzbar sind. Wer auf dem Bau auf Einhaltung irgendwelcher am Papier geltenden Arbeitsschutzmaßnahmen pocht, lernt die Grenzen hübsch aufgeschriebener Paragrafen rasch kennen.

Die Corona-Krise hat – durch die mit ihr verbundenen Grenzschließungen – dieses Geschäftsmodell zumindest für einen Moment ins allgemeine Bewusstsein gerückt, wenn auch größtenteils nur in der verzerrten Form des Haus- und Hofjournalismus für die deutschen Spargelfürsten, Baulöwen und halbmafiösen Pflegeunternehmer. Wir täten gut daran, auch nach der Krise, wenn die Hunderttausenden wieder so reibungslos wie ungehört malochen, nicht zu vergessen, wer hier die Arbeit macht und wer von ihren Früchten lebt.

# Titelbild: wikimedia commons

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2 Kommentare

    KRZ 14. April 2020 - 17:33

    Ich stimme prinzipiell mit dem Artikel überein. Pflügen ist allerdings nichts was klassischerweise Erntehelfer*innen machen.

    […] Peter Schaber: „Coronakrise und Wanderarbeit: Wer pflügt die deutsche Scholle?“ […]