Antifa in den USA – Ein Reisebericht (Teil2/3)

6. März 2019

Autor*in

Gastbeitrag

Zwei Antifaschist*innen aus Deutschland sind letztes Jahr an der US-Westküste entlang gefahren. In sieben Städten haben sie Vorträge über die antifaschistische Bewegung in Deutschland gehalten und dort unterschiedliche Menschen getroffen: Von der jungen Basisgewerkschafterin zum Knast-Soli-Opa, von der Queer-Aktivist*in in der Kleinstadt bis zur maoistischen Straßengang in LA. Pünktlich zum Relaunch erscheint im Lower Class Magazine eine dreiteilige Artikelserie zu ihren Erlebnissen. Die Artikelserie bildet nicht die gesamte antifaschistische Bewegung in den USA ab, sondern beschränkt sich auf die Gruppen und deren Strategien, die unsere Autor*innen besucht haben.

Der erste Artikel beleuchtete Antifagruppen, die nach europäischem Vorbild arbeiten. Im zweiten Artikel werden die Herausforderungen, die die modernisierte faschistische Bewegung für antifaschistische Arbeit in den USA bedeutet diskutiert. Abschließen geht es im dritten Artikel um die Polizei als Institution und die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche diese, vor allem in den USA so gefährlich macht.

VAuch in den USA hat die extreme Rechte ihr Auftreten modernisiert und ihre Identitätsangebote flexibilisiert. Die Postmoderne ist, mit allem was dazugehört, in der extremen Rechten angekommen oder umgekehrt. Der Nazi im klassischen Skinhead-Look ist rar geworden, heute rennen selbst die Militanten der Popkultur hinterher. Man versucht hip und anschlussfähig auszusehen.

Die Gruppe »Rise Above Movement« (RAM) aus Kalifornien versucht junge Männer durch Videos vom gemeinsamen Fitness- und Kampfsporttraining anzusprechen. Die Videos sind professionell gemacht und mit fetziger Musik unterlegt. Die Jungs denen man beim Training zusieht, sehen mit ihren Seitenscheiteln und Sportklamotten aus wie von nebenan. Bei RAM handelt es sich aber um offene Neonazis. Ihre Anführer haben 2018 das »Schwert-und-Schild«-Festival des deutschen Neonazi Thorsten Heise besucht und an Neonazi Kampfsport-Events in der Ukraine teilgenommen. In den Videos wird sich zwar martialisch präsentiert, aber betont harmlos gegeben. [1]

Inhaltlich versuchen viele Gruppen schwer fassbar zu sein und sich damit unangreifbar zu machen. Die »Proud Boys« zum Beispiel sind eine Gruppe von vielen in der Alt-Right, die es mit dieser Strategie versucht. Zwar tritt man gemeinsam mit Neonazis auf Demos auf und sucht dort offen die Auseinandersetzung mit Antifaschist*innen (gerne unvermummt, denn Anzeigen müssen sie nur in Ausnahmefällen fürchten), distanziert sich aber bei jeder Gelegenheit von Rassismus, Gewalt und »Extremismus.«

Viele Gruppen benutzen, teilweise geschickt, ironische Sprachspielchen. Man sei doch nicht rassistisch, man mache sich lediglich Sorgen um die Weißen; man sei eine Bügerrechtsgruppe, die sich für die Interessen von einer Ethnie einsetze, so wie das andere Bevölkerungsgruppen auch täten. Dabei wird immer wieder die Rhetorik und Form liberaler Bürgerrechtsgruppen kopiert.

Zu viel Mühe wird sich allerdings bei diesem Versteckspiel nicht gegeben. Mit wenigen Klicks landet man von den Homepages auf Web-Seiten, die »ironisch« Witze über den Holocaust machen, Wehrmachts-Memes posten oder sonst wie nationalsozialistische Ästhetik nutzen. In Charlottesville riefen die Alt-Right-Demonstrant*innen »Blut und Boden« und »Juden werden uns nicht ersetzen« in Anlehnung an antisemitische Verschwörungstheorien, wonach eine »jüdische Weltverschwörung« die Zerstörung der »weißen Rasse« mittels gezielter Bevölkerungsvermischung plant.

Anstatt ein Programm zu entwickeln, welches man öffentlich verteidigt, legt man sich nicht fest und ringt um die Deutungshoheit über das, was als »normal« gilt. Entsprechend sieht die Praxis der Alt-Right aus: Sie kämpfen nicht um materielle Verbesserungen oder mühen sich groß mit Basisarbeit ab. Mit einer Vielzahl von Podcasts, Youtube-Channels, Meme-Seiten und Video-Blogs werden die technischen Möglichkeiten genutzt, Debatten zu beeinflussen und neue Anhänger zu rekrutieren. Auf Alt-Right-Demos filmt gefühlt die Hälfte der Teilnehmenden für den eigenen Blog; Demos sind zu Spektakel mutiert, um Klicks zu generieren.

Diese Strategie stellt die antifaschistische Bewegungen vor große Herausforderungen: Nazitreffen und -demos kann man blockieren oder zumindest die Bullen zwingen, sie von der Öffentlichkeit abzuschirmen, aber die starke Präsenz im Internet kann schwer blockiert werden. Gruselige Skinhead-Nazis kann man einfach stigmatisieren und isolieren. Die hippen, teilweise wortgewandten, jungen Männer und Frauen, die sich permanent von dem distanzieren, was sie noch vor einer Woche vertreten haben, sind nicht so leicht zu enttarnen.

Wir haben unterschiedliche linksradikale Gruppen besucht und uns ihre Antwort auf die Alt-Right angeschaut. Denn es gibt in den USA inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze neben der autonomen Antifa.

Schusswaffen und Essensausgabe

International ist »Redneck Revolt« wohl die bekannteste Gruppe. Die spektakulären Bilder ihrer Mitglieder, die mit Sturmgewehren bewaffnet Demos besuchen, fanden auch außerhalb linker Medien Verbreitung. Hinter den Bildern steht ein nicht ganz neuer Ansatz. Redneck Revolt sagt, dass die urbane Linke in den USA schon aus kulturellen Gründen Teile des Proletariats nicht erreichen kann. Sie versuchen darum dort präsent zu sein, wo man Linke normalerweise nicht trifft. Sie fahren auf Country Musikfestivals, in ländliche Gegenden und zu Waffenmessen und treten dort offen als Linke auf. Dabei versuchen sie, an vorhandene Identitäten anzuknüpfen, zum Beispiel, indem sie den, bei der urbanen, studentischen Linken als Inbegriff von Rückständigkeit verschrienen, Begriff der »Rednecks« (Rotnacken, wie Weiße vor allem in den Südstaaten genannt werden wegen dem häufigen Sonnenbrand) positiv, proletarisch neu besetzen. Ihre Positionierung gegen staatliche Einschränkungen der Waffenrechte und ihr offensives Auftreten mit Schusswaffen hat ihnen viel Kritik in der liberalen Linken gebracht. Aber nach eigenem Bekunden stoßen sie so bei Teilen der Arbeiterklasse auf Zustimmung.

In den USA ist die Ideologie, dass das individuelle Streben nach persönlichem Glück die höchste Form der Freiheit ist, nicht nur als Staatsdoktrin sondern über fast alle politische Lager hinweg, Konsens. Subkulturell sind individual-anarchistische Tendenzen stärker als auf den Staat und das Kollektiv gerichtete kommunistische Strömungen. Die Rechte wehrt sich gegen Einmischung der Zentralregierung in das eigene Leben, man ist gegen Steuern, für ein liberales Waffenrecht, gegen staatliche Sozialversicherungen. Das ganze heißt dann »libertarianism« und ist sehr einflussreich.

Im Westen der USA gibt es einige schwerbewaffnete rechte Milizen, die fernab der Städte trainieren, Waffen horten und auf den Zusammenbruch der Regierung warten. Redneck Revolt versucht nicht nur, diese Leute zu erreichen und zu überzeugen, es geht ihnen auch darum, jeweils in der eigenen Gemeinschaft Basisarbeit zu machen. Sie organisieren Essensausgaben, Spritzentauschstationen für Heroinabhängige und Schießtrainings für Nachbar*innen. Dabei ist es ihnen wichtig, nicht nur weiße Männer anzusprechen, sondern auch einen Raum zu bieten in dem sich zum Beispiel Queers und Transpersonen wohl fühlen können.

Schusswaffen und das Recht diese zu tragen, sind ein wichtiges Streitthema in der Linken. Bei Redneck Revolt sind sich alle einig: man braucht Waffen um sich verteidigen zu können, der Staat sollte auf keinen Fall das Waffenrecht einschränken. Entsprechend entgeistert reagieren die Genoss*innen als sie vom deutschen Waffenrecht erfahren: »Ihr habt KEINE Schusswaffen? Aber die Cops haben doch Waffen? Fühlt ihr euch nicht total wehrlos?«

Basisgewerkschaft mit Verteidigungskomitee

In Seattle lernen wir einen weiteren antifaschistischen Ansatz kennen: Die traditionsreiche, linksradikale Basisgewerkschaft »Industrial Workers of the World« (IWW) hat neben ihrer Gewerkschaftsstruktur ein Allgemeines Verteidigungskomitee (»General Defence Committee«, GDC) aufgebaut. Dieses Komitee gleicht einer aktivistischen Polit-Gruppe, aber durch ihre organisatorische Anbindung an die Gewerkschaft gelingt es den Genoss*innen, etwas zusammenzubringen, was in Deutschland häufig getrennt voneinander abläuft: junge Aktivist*innen werden Gewerkschaftsmitglieder. Nicht weil sie sich für Betriebsarbeit interessieren, sondern weil sie eine Polit-Gruppe suchen. So lernen sie die gewerkschaftliche Arbeit kennen und fangen auch an, sich auf ihrer Lohnarbeit als Arbeiter*innen zu organisieren. Andererseits kommen Arbeiter*innen mit politischen Aktivist*innen zusammen und politisieren sich über das gewerkschaftliche Bewusstsein hinaus.

Die gegenseitige Unterstützung wird hierdurch ebenfalls ermöglicht. Beispielsweise können Aktivist*innen des GDC bei Streiks mit ihrem spezifischem Wissen unterstützen. Das Konzept funktioniert in der Realität gut, ist aber im IWW nicht unumstritten, fürchten doch die eher betrieblich orientierten Gewerkschafter*innen, dass durch die Verwicklung in antifaschistische Auseinandersetzungen Arbeiter*innen vergrault werden.

Allgemein begegnen uns eine Vielzahl antifaschistischer Ansätze, es lassen sich aber zwei Herangehensweisen herausarbeiten. Zum einen gibt es Antifaschist*innen, die versuchen durch das sogenannte »No Platforming« zu verhindern, dass die extreme Rechte irgendwo auftreten kann. Mit Demos, Blockaden und Outings wird versucht jeden Raum zu nehmen. Zum Anderen versuchen Antifaschist*innen, mit Basisarbeit Menschen von linken Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu überzeugen.

Uns fällt auf, dass sich nur sehr wenige Menschen für politische Aktionen im Allgemeinen und für linken Aktivismus im Besonderen mobilisieren lassen. In der antifaschistischen Hochburg der rund 600.000 Einwohner*innen zählenden Stadt Portland gilt ein breit aufgestellter Protest gegen einen Naziaufmarsch mit 1000 Gegendemonstrant*innen als großer Mobilisierungserfolg (die Nazis haben am selben Tag ca. 400 Menschen auf die Straße gebracht). Abseits der liberalen Hochburgen lassen sich noch weniger Menschen mobilisieren. Selbst in der Metropole Los Angeles umfasst der durchschnittliche linksradikale Block auf Demos nicht viel mehr als 100 Menschen.

Neidisch schauen unsere Genoss*innen nach Europa, denn aus der Ferne sieht die radikale Linke stark, gefährlich und wirkmächtig aus. »You guys are the real deal« (Ihr seid das wirklich Wahre), sagt man zu uns in Portland. Diesen Eindruck können wir nicht teilen und erklären, dass vom G20 Gipfel in Hamburg vielleicht ein paar wilde Videos durch das Internet geistern, aber von Wirkmächtigkeit in der breiteren Bevölkerung keine Rede sein kann.

Immer wieder fragen wir, warum so wenige Menschen mit auf die Straße kommen und bekommen unterschiedliche Antworten: Die Menschen hätten beigebracht bekommen, dass demonstrieren nichts bringt. Gegen den Irakkrieg im Jahr 2003 waren zum letzten Mal Massen auf der Straße, beeindrucken lassen haben sich die Herrschenden davon nicht. Viele Menschen hätten auch einfach Angst vor der Polizei. Ein anderer Grund, der genannt wird, ist die nach wie vor starke liberale Ideologie, wonach kollektives Handeln nicht notwendig ist, jede*r ist auf sich allein gestellt.

# Zu den Autor*innen: Linda Mayer und Miro Janusz sind im kommunistischen …umsGanze!-Bündnis organisiert und sind Teil der Kampagne Nationalismus Ist Keine Alternative.

Anmerkung:

[1] https://torchantifa.org/ram-arrests-state-repression-autonomous-anti-fascism/


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