Bizim Leaks: Die Manager der Befriedung

24. April 2018

Schöngeistige Briefe eines pferdezüchtenden Millionärs, Start-Ups am Verhandlungstisch und Gelder aus Senat und Bezirk – Einige Aktivist*innen der Kreuzberger Initiative „Bizim Kiez“ haben sich ganz schön verrannt

In einer kleinen Hütte hoch in den verschneiten Bergen sitzt ein Adliger. Er liest, wie könnte es anders sein, die ZEIT. Eine Reportage hat es dem passionierten Ex-Verleger und Pferdezüchter besonders angetan. „Wem gehört Kreuzberg?“ fragen in ihr die Autor*innen Amrai Coen und Malte Henk. Wenig verwunderlich, denn das gut recherchierte Stück handelt auch von ihm, Dietrich von Boetticher. Zusammen mit Dietmar Müller-Elmau gehört ihm eines der wohl verhasstesten Gebäude Berlin-Kreuzbergs: Das Luxushotel Orania am Oranienplatz.

Von Boetticher, auf der Hütte „der Umwelt entsprechend in philosophischer Verfassung“, schreibt einen Leserbrief an die Verfasser des ZEIT-Textes, der dem Autor zusammen mit anderen Briefen des Münchener Multimillionärs vorliegt. Der Inhalt all dieser Schriftstücke ist belanglos. Jemand, der sich literarisch dünkt, schwafelt in barocker Sprache über Zeug – völlig uninteressant, aber für den ein oder anderen Lacher am WG-Küchentisch gut.

Wesentlich interessanter ist die Frage: Wieso liegen dem Autor eines linksradikalen Magazins, also mir, diese unveröffentlichten Briefe vor? Sie sind in der Antigentrifizierungsbewegung im Kiez im Umlauf. Mit der Frage, wie sie dahin gelangten, beginnt das eigentliche Thema dieses Artikels.

Einige Bewegungsmanager aus der bekannten Initiative „Bizim Kiez“* trafen sich auf eigene Faust mit dem Hotelier. Man wollte, so der Kiez-Talk, sondieren, ausgleichen und ließ sich ein wenig im Auto des kunstsinnigen Unternehmers durch die Gegend fahren. Die ohnehin in nicht kleinen Kreisen der lokalen Protestbewegung heiß umstrittenen Bewegungsmanager, die solches taten, brachen mit einem eigentlich weit verbreiteten Konsens, den auch die oben zitierte ZEIT-Reportage indirekt wiedergibt: dass zumindest mit diesen Typen nichts zu besprechen hat.

Für sich genommen wäre das zwar ärgerlich, aber das Problem liegt tiefer. Das Treffen mit Dietrich von Boetticher passt exakt ins Konzept der Bizim-Kiez-Kader*innen: Man will Unternehmen, auch große, die Politik und die Mieter „an einen Tisch“ bringen und abfedern. Die Auswirkungen der Gentrifizierung sollen ein bisschen gelindert werden, aber eben auch der Protest soll auf ein braves Maß beschränkt bleiben. Es ist das alte Konzept gelber Gewerkschaften, nur eben nun im stadtpolitischen Bereich.

Wie dieses Konzept aussieht, das durften nicht nur diverse Bündnispartner*innen im Stadtteil in den vergangenen Jahren erleben, es steht auch in zwei Finanzanträgen, die diesem Magazin ebenfalls seit Monaten vorliegen. In beiden Anträgen geht es um jeweils knapp 30 000 Euro, die je fünf Antragssteller aus dem Topf der „FEIN-Pilotprojekte“ ansuchen. Das Geld kommt vom Senat, genauer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Der überwiegende Teil der Kohle soll, so die Antragsteller, für „Honorare“ veranschlagt werden, ein wesentlich kleinerer für Sachkosten.

Was bieten die Antragsteller den Regierenden in Berlin für ihr Geld? Eine Passage aus dem Antrag zur „Stärkung der Bürgergesellschaft zur Entwicklung einer gemeinsamen Position zu einem ‚Web-Tech-Standort Friedrichshain-Kreuzberg‘“ sagt es offen: „Um die emotional geführten Debatten im Kiez auf einer sachlichen Ebene aufzugreifen und ein ausgewogenes Bild über die Situation zu erhalten, werden verschiedene ‚Lager‘ in der Zivilgesellschaft und der lokalen Gewerbetreibenden abgebildet.“ Menschen, die von Verdrängung bedroht sind, Initiativen, „die mit der Politik zusammenarbeiten“ und Start-Ups sollen an einen Tisch gebracht werden. Die „Initiativen im Spektrum der Gentrifizierungsgegner“ sollen durch das „FEIN-Projekt“ vernetzt werden, und zwar dergestalt, dass „die inhaltliche Vernetzung (…) durch die FEIN-Projektleitung“ stattfindet, mit dem Ziel, dass die „Kritik substanzielle Tiefe bekommt und sich im Sinne einer produktiven Position zur Entwicklung des Bezirks einbringen lässt.“

Der schwurbeligen Rede banaler Sinn: Gebt uns Geld und wir helfen, die Geschichte sozialdemokratisch zu befrieden. Die emotionalen Dummerchen im Kiez können sich im „story telling“ abreagieren und wir schauen, dass wir die negativen Effekte ein wenig „abschwächen“. Die „Unternehmen“ sind Dialogpartner und sollen Verantwortung zeigen, Senat und Bezirk sind sowieso unsere best friends forever.

Die Geschichte um die Anträge offenbart zusätzlich ein eigentümliches Politikverständnis: In zumindest einer in den Anträgen als „Projektbeteiligte und Schnittstellen“ beworbenen lokalen Initiative wurden sie nie diskutiert. Von lcm befragte in eben dieser Ini organisierte Aktivist*innen wussten nichts davon, dass sie in solch einem Antrag genannt werden.

Weiter noch: als die Anträge lcm vorlagen, meldeten wir uns schriftlich bei „Bizim Kiez“. Eine Welle von Emails und Kontaktversuchen jenseits des Internets über befreundete Aktivist*innen begann. Man wollte nicht, dass der Text erscheint. Das eigentlich total verrückte Argument lautete: Der Antrag zum google-Campus sei ohnehin nicht angenommen worden und es sei gut, dass er nicht öffentlich sei, denn sonst könnte das Konzept doch noch wiederbelebt werden. Wir sahen damals von einer Veröffentlichung ab, weil alle Emails so klangen, als seien die Initiatoren nun selbst der Meinung, dass das alles ein Fehler war. Aus der taz erfuhren wir später, dass der eine Antrag durchging und selbst der google-Antrag nicht vom Tisch sei. Zwar habe der Senat kein Geld, aber der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt wolle es zur Not selbst bereitstellen – damit sich nicht „Kiezaktivisten durchsetzen, die sich einem Dialog mit Google und Co verweigern und stattdessen darauf setzen, diese zu vertreiben“.

Die Stories um „Bizim Kiez“ zeigen: Hier hat sich ein „linkes“ Quartiersmanagement herausgebildet, dass aus der Position einer scheinbaren Protestbewegung den Protest auf konforme Bahnen lenken soll – ganz im Sinne der Unternehmen und Politiker. Man kann ja nicht die Gedanken derer lesen, die dieses Konzept vorantreiben. Vielleicht tun sie es aus durchaus guten Absichten. Sie sollten es aber in jedem Fall überdenken. Denn mit einem solchen Politikstil anderen im Kiez gegenüber macht man sich vielleicht bei Dietrich von Boetticher beliebt. Aber sicher nicht bei denen, mit denen man vorgibt, gemeinsam zu kämpfen.

#Ronny Rauch

*Keineswegs betrifft die folgende Kritik alle Aktiven dieser Initiative, sondern einen Personenkreis, der die Initiative „führt“. Auch diese wollen wir nicht persönlich angreifen, deshalb werden sie nicht namentlich genannt. Was wir aber schon wollen, ist, dem Konzept, das sie versuchen in der Protestbewegung durchzusetzen, eine scharfe Kritik entgegenzustellen.

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4 Kommentare

    Maya 24. April 2018 - 17:19

    wenn ihr keine Gedanken lesen könnt, woher nehmt ihr dann die Gewissheit, Absichten und Ziele zu definieren?!
    Ich finde, Protest u Dialog ergänzen sich, jedwede Ini ist besser denn keine u niemand muss sich abfedern lassen, die es nicht will.

    lowerclassmag 24. April 2018 - 20:00

    Wir entnehmen die Ziele und Absichten der politischen Praxis der kritisierten Leute und ihren eigenen Worten in den beiden zitierten Anträgen. Und man muss nicht so naiv sein, dass man meint, diese Art von „Dialog“ (sich fürs sozialdemokratische Vermitteln von Behörden bezahlen lassen), sei nicht gegen Protest gericht.

    Zoon Politikon 26. April 2018 - 11:22

    Warum rudert Ronny Rauch zurück, wenn es um die Namen geht? Die Motive dieser Koofmichs sind unwichtig – vermutlich Geld und die Aussicht auf einen Job bei der Gegenseite, die Befriedung von Protest und Widerstand als Karrieresprungbrett, wäre auch hier nicht das erste Mal – nicht aber ihre Namen, wenn sie sich in der Szene rumtreiben und die Politik der Investoren und deren Subunternehmer – der Senat – gegen Honorar mit durchsetzen wollen. Wenn es um Diskussionen geht, wie Frau und Mann das verhindern können, möchte ich schon wissen, ob diese Handlanger mit am Tisch sitzen.
    „jedwede Ini ist besser denn keine“ hmm, übersetzt heißt das wohl, daß „jedwede“ Initivative, die die Gentrifizierung „sozialverträglich“ durchsetzen will, besser ist „denn keine“.
    Also darauf muß Frau erstmal kommen.

    rigaer 14. Oktober 2018 - 12:46

    Baustadtrat Schmidt, das Schwein, versuchts gerade in der Rigaer:
    https://de.indymedia.org/node/25106