Von BlackRock zum Bundesadler – Wie Friedrich Merz Kanzler wurde, ohne dass ihn je jemand wollte

6. Mai 2025

Autor*in

Jane

Friedrich Merz wurde heute zum Kanzler gekrönt – Ein politisches System, das jahrelang selektive Inkompetenz, Lobbyismus und Besitzstandswahrung belohnt hat, bekommt jetzt genau das: die direkte Machtübernahme des Advocatus Capitalis.

von lowerclassjane


Dass Friedrich Merz nun Kanzler wird, ist die logische Konsequenz eines politischen Betriebs, der seit Jahren nur noch mit sich selbst beschäftigt ist. Merz ist kein Hoffnungsträger, kein Versprechen, kein Politiker, der je Begeisterung ausgelöst hätte. Er war immer der Kandidat, den niemand wirklich wollte, den niemand mochte. Niemand mag den Fritzl – aber er ist auch der, der am Ende trotzdem übrig bleibt. Weder Talent noch Können oder Sympathien brachten ihn dahin: Es war sein Durchhaltevermögen

Niemand mag den Fritzl

Merz hat sich nie bemüht, so zu tun, als wollte er Politik für alle machen. Er kommt aus einer anderen Welt als die meisten. Aus Aufsichtsräten, Hinterzimmern und Vorstandsetagen. Jahrelang saß er im Vorstand von BlackRock, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Er hat nicht Politik gemacht, um Gesellschaft zu gestalten, sondern um Besitz zu verwalten. Die Interessen, die er vertritt, sind keine Geheimen – sie stehen in den Bilanzen derer, die von diesem Land immer profitiert haben.

Merz ist auch das Ergebnis eines politischen Vakuums. Einer Regierung, die sich lieber im Koalitions-Kleinkrieg aufreibt, statt Probleme zu lösen. Wenn jemand wie Merz bleibt, dann auch, weil alle Alternativen vorher systematisch ausgesiebt wurden. Und weil dieses System am Ende die belohnt, die Demokratie als Geschäftsmodell verstehen – Merz ist für die Wirtschaftslobby der kalkulierbarste Kandidat.

Und das Bild wird komplett: Mit Katherina Reiche wird eine Top-Managerin zur neuen Energie- und Wirtschaftsministerin, mit Karsten Wildberger einer der mächtigsten Lobbyisten und direkter Vertreter von ALDI, Lidl und Amazon zum neuen Digitalminister. 

Mit Julia Klöckner als Bundestagspräsidentin zieht eine der treuesten Stimmen der Lobby-Republik an die Spitze des Parlaments. Eine Agrar-PR-Managerin, die Politik immer als Dienstleistung für die Besitzenden verstanden hat. Dass ausgerechnet sie jetzt auf die demokratische Ordnung aufpassen soll, ist kein Zufall – sondern Programm. In einer Gesellschaft, die gelernt hat, das kleinste Übel für Stabilität zu halten – bis am Ende gar kein Übel mehr klein ist. Was kann schon schiefgehen mit einem Mann in der mächtigsten Position Deutschlands, der eine Bilanz von null Komma null Regierungserfahrung hat …

Ein Kanzler für die Oberschicht

Am härtesten wird dieser Regierungswechsel wieder jene treffen, die ohnehin kaum noch eine Stimme haben: Behinderte, Arbeitslose, Menschen mit wenig Einkommen, Alleinerziehende, prekär Beschäftigte, Geflüchtete, Menschen ohne Lobby und ohne Platz in den Talkshows. Für sie bedeutet eine Kanzlerschaft Merz‘ keine Stabilität, sondern noch mehr Druck, noch mehr soziale Kälte, noch mehr Misstrauen von oben. Während an den Spitzen die Besitzstände gesichert werden, wird nach unten weiter durchregiert – mit Sparmaßnahmen, Leistungsdruck und Law-and-Order-Rhetorik.

So wird diese Regierung auch intellektuell und kulturell nichts hinterlassen, außer der bleiernen Verwaltung. Wo keine Vision mehr ist, bleibt kein Raum für gesellschaftliche Fantasie. Kunst, Diskurs, intellektuelle Reibung – all das wird unter einer Politik, die sich nur noch an Bilanzen und Machterhalt orientiert, weiter marginalisiert. Die Räume für Widerspruch, für Utopien, für alles, was über den nächsten Börsenbericht hinausgeht.

Eine Gesellschaft, die von Verwaltern geführt wird, ist ein Organ, aber kein Organismus.

Während der Glaube an die Unantastbarkeit des Rechtsstaates aufrechterhalten wird, bereitet die Judikative längst die juristische Architektur vor, auf deren Grundlage zukünftige Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten und die Repression sozialer Bewegungen formal legitimiert werden können.

Und natürlich wäre all das nicht möglich gewesen ohne die willige Flankierung durch große Teile des deutschen Journalismus. Seit Jahren bereitet ein politisch saturierter, oft selbstzufriedener Medienbetrieb den Boden dafür, dass Figuren wie Merz nicht nur ernst genommen, sondern als alternativlos inszeniert werden. Die rechten Talking Points werden in Interviews nachgebetet, rassistische Narrative als „Sorgen der Bürger“ durch die Feuilletons geschleust, jeder autoritäre Reflex als „klare Kante“ abgefeiert. Während Talkshows und Leitartikel die AfD großgeschrieben und jeden emanzipatorischen Impuls als übertrieben abgetan haben, wurde systematisch normalisiert, was heute Regierungsrealität wird: Ein Rechtsruck im Nadelstreifen, verpackt als gesunder Menschenverstand.

Dass Friedrich Merz heute Kanzler werden kann, ist auch das Resultat einer Presselandschaft, die Konflikte nicht mehr zuspitzt, sondern verkauft, Empörung kanalisiert statt kritisiert und sich lieber an den vermeintlich „wirklichen Problemen“ der Wohlstandsmehrheit abarbeitet, als an den Machtverhältnissen dahinter. Am Ende ist auch das: Verwaltung. Von Meinung, von Debatte, von Demokratie.

Die Zivilgesellschaft bekommt keinen Rücken von jenen, die Dienende der Zivilgesellschaft sein sollten, aber sich willig als Diener der Macht benutzen lassen.

Wenn in vier Jahren alle – natürlich völlig überrascht – fragen, warum die Rechte dann womöglich mitregiert, wird die Antwort nicht schwer zu finden sein. Sie liegt in dieser Krönung. 80 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur steht Deutschland vor dem massivsten gesellschaftlichen Rückschritt seit eben jener Zeit – und kaum jemand will merken, wie leise er sich anbahnt? Wenn Friedrich Merz Kanzler wird, ist das kein historischer Unfall, sondern ein Symptom: Ein ignoranter, marktradikaler Umbau der Republik, ein feuchter Traum für die Besitzenden, ein Albtraum für alle anderen.

¡La lucha sigue!

Foto: Von Olaf Kosinsky – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=84321539

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