Vom 27. August bis zum 02. September besetzte die Aktivistin vom O-Platz Napuli einen Baum auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Napuli hatte das schon einmal 2014 gemacht. Wir sprachen mit ihr über die Geschichte des Oranienplatzes als Ort der Kämpfe der Bewegung, über die Besetzung damals und jetzt und viel mehr. Das Gespräch fand am 29. August statt; Mittlerweile sind Napulis Forderungen erfüllt und ihre Besetzung beendet. Am Ende des Textes findet ihr ein Statement dazu.
Kannst Du kurz erklären was vor dem Jahr 2014 am Oranienplatz passiert ist und was deine Verbindung zu den Kämpfen ist?
Ich habe eine starke Verbindung zu den Kämpfen, weil ich damals sehr neu in Deutschland war und weil ich selbst einen Monat im Lager gewohnt habe. Bevor ich in das Lager kam, habe ich schon gesehen, dass es die Residenzpflicht gibt. Außerdem gibt es auch die Lagerpflicht und die ständigen Abschiebungen. Das sind die hauptsächlichen Gründe, warum wir zum Oranienplatz gekommen sind.
Wir sind aus unterschiedlichen Lagern und Camps aus ganz Deutschland durch gemeinsame lokale Diskussionen und Aktionen zusammen gekommen. Wir haben dabei darüber nachgedacht, wie wir zB. die Essensmarken und die Isolierung der Menschen beenden können – welche Konsequenzen des Kapitalismus ist. Wir haben klar gemacht, dass unser Kampf den Gesetzen und politischen Entscheidungen gilt, die unsere Freiheit und Würde verletzten. Als Reaktion auf den Selbstmord des Iranischen Asyl suchenden Mohammed, haben Geflüchtete 2012 ein erstes Protestcamp in Würzburg errichtet, dem Todesort Mohammeds. Später folgten weitere Protestcamps in anderen Städten und dann bewegte sich die Bewegung von Würzburg nach Berlin – sowohl zu Fuß, als auch durch eine Bustour. Ich persönlich habe mich der Bustour angeschlossen, in der wir dutzende Lager innerhalb Deutschlands besucht haben, um die Geflüchteten über die Bewegung zu informieren. Wir konnten die extreme gesellschaftliche Isolation der Geflüchteten aufdecken und haben sie eingeladen ihre Lager und Camps zu verlassen um sich unserer Bustour bzw. dem Marsch nach Berlin anzuschließen. Die Geflüchteten haben 600km in 28 Tagen hinter sich gebracht. In Potsdam trafen sich die Menschen, die an der Bustour teilgenommen hatten, mit denen die am Marsch teilgenommen hatten und sind von dort gemeinsam nach Berlin gegangen. Der Marsch erreichte Berlin am 6. Oktober 2012.
Wir verlangten, am Oranienplatz zu bleiben um unseren Protest dort fortzuführen! Franz Schulz (ehem. Bezirksbürgermeister Friedrichshain Kreuzberg)gab uns die Duldung für zwei Monate, dabei hatten nicht mal wir selbst ursprünglich vor, zwei Monate zu bleiben. Wir organisierten die Demonstration und wollten unsere Dokumente bekommen und dann nach Hause gehen.
Nun waren wir da, mitten im Zentrum und sie mussten uns anhören! Als wir hier herkamen, bekamen wir dieses Dokument, dass wir zwei Monate am Oranienplatz geduldet sind und bevor diese zwei Monate vorbei waren, hat er angekündigt, dass wir den Oranienplatz haben können, solange wir um unsere Forderungen kämpfen. Das rechne ich Franz Schulz hoch an
Zur Gleichen Zeit erreichte uns ein Aufruf, dass die Schule (Gerhard-Hauptmann Schule) an der Ohlauer Straße besetzt werden sollte. Wir besetzten noch einen zusätzlichen Teil des Oranienplatz, weil wir unsere Kräfte bündeln mussten. Wir wollten die Kinder dortbehalten, da auch die Kinder und Frauen ein Teil unserer Bewegung sind, die einen sichereren Ort brauchen, während der Oranienplatz ein Ort des Kampfes war. Ich war damals vor Ort und habe für unsere Rechte gekämpft.
Warum hast Du 2014 den Baum besetzt?
2014 ging Frank Schulz und an seine Stelle als Bezirksbürgermeister kam Monika Hermann, deren Strategie war es die Besetzung des Oranienplatz zügig zu beenden. Sie beschwerte sich über die Bewegung, sie hatte Angst vor der Bewegung und entschied sich deshalb, die Bewegung zu räumen.
Sie versuchte also die Bewegung zu räumen, doch die Bewegung war groß genug um zu widerstehen, größer noch als sie. Selbst die Polizei sah ein, dass eine Räumung nicht möglich war.
Die Polizei kam und kündigte an, dass die Camps leer seien, weil Monika Hermann vorübergehende Unterkünfte für etwa drei Monate angeboten hatte, damit Menschen durch den kalten Winter kamen. Sie wanderte herum und steckte Obdachlose Menschen und Geflüchtete in die Unterkünfte mit der Aussage „du kannst jetzt in diese Wohnung und danach werden wir weitersehen“. Einige Menschen akzeptierten die Wohnungsangebote, zum Beispiel „Lampedusa in Berlin“. Sie gingen dahin und daraufhin kündigte Monika Hermann an, dass die Polizei zum Oranienplatz kommen und den Menschen helfen solle, die Zelte abzubauen, da sie bereits leer wären. Das dachte sie zumindest.
Aber als die Polizei kam, waren die Leute noch da. In jedem Zelt waren Leute. Und dann hat sich die Polizei gewundert: „Sie sagten, die Zelte seien leer, aber die Zelte sind nicht leer“ und daran zeigte sich wieder wie wenig Frau Hermann unsere Bewegung überhaupt verstanden hat. Danach hat jemand von der SPD übernommen und die Strategie der politisch Verantwortlichen änderte sich zu einer Strategie von Teilen und Herrschen. Er hat mit Lampedusa Berlin gesprochen und hat ihnen gesagt: „Ok Lampedusa, wir können euch Duldungen geben und dann prüfen wir eure Papiere und geben euch die Erlaubnis zu arbeiten“ und weitere Versprechen… aber wir vom Oranienplatz, Geflüchtete und Asylbewerber*innen in Deutschland, wir waren radikal genug und wussten, dass wir unsere Ziele auf diesem Weg nicht erreichen können. Dann haben sie natürlich weiter versucht uns zu spalten und gegeneinander auszuspielen und dann hat die Räumung des Oranienplatz stattgefunden.
Aber als die Räumung stattfand, kam ich hierher und sagte: „Nun, wenn ihr einverstanden seid, wir sind alle die Bewegung“ und schweren Herzens stimmten wir zu, dass der Abbau der Zelte in Ordnung war.
Aber sie gingen noch weiter und haben den Infopunkt entfernt und auch das Zirkuszelt, was unser Plenumsort war. Dann haben sie den Infopunkt durch einen kleinen Container ersetzt, in dem vielleicht eine Person Platz hat und der nicht einmal auf dem Oranienplatz stand. Und da habe ich den Baum besetzt – weil das ein politischer Platz ist!
Sie können versuchen, die Zelte, in denen Leute gewohnt haben, abzubauen, aber nicht den politischen Platz an sich! Wir waren definitiv nicht mit dem Container einverstanden – es war kein Infopunkt!
Dann kam ich hierher, um klarzustellen, dass unsere Bewegung immer noch existiert und wir uns weigern, das zu akzeptieren, was sie sagen und den Platz zurückfordern! Und hier, nachdem ich fünf Tage lang denselben Baum besetzt hatte, den ich jetzt wieder besetze, hat sich die SPD darauf geeinigt, uns die Erlaubnis zu geben, diesen Platz zu beanspruchen. Uns wurden 7 X 11 Meter hier mitten auf dem Oranienplatz zugesprochen und das gab uns die Garantie, solange es einen Infopoint gibt – können wir den Oranienplatz weiterhin als Drehscheibe für unsere Bewegung nutzen und das bedeutet auch, dass sie uns unsere Bewegung nicht wegnehmen konnten! Wir haben unsere Bewegung in unserer Hand!
Was hat dich dazu gebracht, den Baum ein zweites Mal zu besetzen?
Bis vorgestern dachten wir, dass diese Vereinbarung immer noch gültig sei (Freitag, der 27. August 2021). Aber dann passierte es, dass wir von einer anderen Gruppe (K-Theater) eingeladen wurden, auf den Oranienplatz zu kommen und eine Rede und einen Vortrag zu halten. Es ist wichtig zu wissen, dass wir uns nach dem Ende der ersten Besetzung des Oranienplatz in vielen verschiedenen politischen Gruppen organisiert haben. Eine der Solidaritätsgruppen organisierte diese Veranstaltung am Freitag und wie ich schon sagte, sollten wir auch dort sein und sprechen und das wurde uns verweigert und gesagt, dass der alte Beschluss nicht mehr gültig sei. Sie gaben uns einen Vorwand, dass der alte Beschluss den wir erkämpft hatten nicht mehr gültig sei, weil er auf den Namen einer anderen Person ausgestellt war, einer Person, die nicht mehr in der Bewegung ist. Also haben sie uns aufgehalten. Wir haben gesagt: „Bitte, wir wollen keine Provokation, das ist unsere Vereinbarung, mit der wir seit 2014 gearbeitet haben und ihr dürft unsere Bewegung und ihre Erfolge nicht disrespektieren.“
Aber das war immer noch der Beschluss, den ihr 2014 bekommen habt, oder?
Ja, vom Baum und auch vom Infopunkt, als wir verhandelt haben, was zu der Vereinbarung zwischen unserer Bewegung und dem Senat aus dem Jahr 2014 führte, die es uns erlaubte, den Oranienplatz als Zentrum für unsere Bewegung zu nutzen.
Dann haben wir gesagt, es ist notwendig, dass der Beschluss gültig ist, aber sie haben sich nicht an unsere Vereinbarung gehalten. Sie sagten, der Beschluss sei abgelaufen, obwohl auf dem Papier „unbefristet“ steht! Das war, als ob sie uns ins Gesicht geschlagen hätten, sie respektieren unsere Bewegung nicht. Das hat uns dazu gebracht, den Baum wieder zu besetzen!
Wir haben mit der Polizei geredet, sie haben zugehört und ich habe sie an Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes erinnert, der „die Freiheit der Meinungsäußerung“ gewährt, die uns verweigert wurde. Wir haben auch über die Menschen gesprochen, die leiden. Flüchtlinge, die leiden, die in der Wüste sind oder im Meer ertrinken.
Was wir jetzt tun, sind direkte Aktionen und diese Art von Aktionen sollten nicht durch die deutsche Bürokratie verzögert werden können, genau deshalb hatten wir ja diesen Beschluss. Und wir müssen dieses Papier/diesen Beschluss wieder haben. Ich habe auch über Paragraf 1 gesprochen, dass die Menschenwürde unantastbar ist, und die Polizistin sagte: „Ja, ich weiß das alles, aber es ist ein System“. Deshalb sagen wir, das System wurde von ihnen gebrochen, dieser Beschluss wurde von ihnen gebrochen, sie respektieren ihre eigenen Unterschriften, ihre eigenen Papiere nicht. Deshalb protestieren wir! Am Ende muss dieser Beschluss anerkannt werden. Wenn jemand den Beschluss benutzt und Veranstaltungen am Oranienplatz organisiert oder einen Infopoint baut, dann darf das einfach kein Problem mehr sein! Die Polizei muss das einfach anerkennen, das ist jetzt unsere Position!
Das ist also der Grund, warum du heute hier bist. Und was ist deiner Meinung nach der wichtigste Punkt, den die Menschen über die Geflüchteten Proteste auf dem Oranienplatz wissen sollten?
Der erste Punkt ist, dass der Oranienplatz die Flüchtlingsbewegung nie verlassen hat. Der Oranienplatz ist immer da. Und wenn die Regierung oder das System sagen will „Die Oranienplatz Bewegung existiert nicht mehr“, dann bestehen wir darauf, dass wir hier sind! Die gleichen Menschen mit den gleichen Problemen und dem gleichen Kampfgeist gibt es immer noch und wir müssen unsere Aktivitäten und unsere Bewegung fortsetzen. Denn ich denke, wir sind für die Stimmlosen verantwortlich, und das System ist die Ursache für all unsere Probleme. Wir machen eigentlich ihre Arbeit. Das heißt, sie sollen uns befreien, weil wir ihre Arbeit machen, ohne etwas von ihnen zu bekommen. Wir müssen uns die Hände reichen und gemeinsam für das Recht auf Menschenwürde, für die Rechte von Migrant:innen und Geflüchteten, für die Rechte von Obdachlosen, für die Rechte aller, die unter diesem System leiden eintreten.
Und wie können Menschen euch unterstützen? Was braucht ihr von den Menschen, besonders von denen, die gerade nicht in Berlin sind?
Zuallererst müssen die Medien vor Ort sein. Wir müssen unsere Botschaft verbreiten. Welche Unterstützungsmöglichkeiten ihr auch immer habt, wenn ihr gerade nicht in Berlin seid, aber ein Netzwerk habt, das ihr in Berlin verbreiten könnt, könnte das der Bewegung helfen. Wir brauchen Unterstützung, wir müssen unseren Forderungen Gehör verschaffen, wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, wir müssen die Einschüchterung ablehnen. Und an alle die bereits früher mit uns gemeinsam gekämpft haben – lasst uns hier sein. Die junge Generation ist bereits hier und ich sage ihnen oft, dass sie die Generation sind, der wir die Bewegung übergeben. Wir übergeben sie jetzt an euch, und ihr müsst verantwortlich sein. Lasst uns unsere Stimmen für diese Aktion vereinen, das ist unsere Aktion und sie muss in unserer Hand sein. Jeder sollte für unsere Bewegung verantwortlich sein, denn die Menschen, die uns diese Bewegung gegeben haben, sind die, die in den Generationen vor uns gekämpft haben, sie haben für die Frauenrechte gekämpft, die wir heute haben! Sie konnten nicht von dem profitieren, wofür sie gekämpft haben, doch wir profitieren heute davon. Und wir, die ältere Oranienplatz-Generation, wollen auch für etwas kämpfen, wovon Menschen in Zukunft profitieren können, auch wenn wir daran nicht mehr werden teilhaben können.
# Titelbild: Montecruz Foto, Besetzung 2014
Success: YOU STILL CAN’T EVICT A MOVEMENT!
Nach sechs Tagen des Protests hat der Bezirk zufriedenstellend geantwortet und so gut wie aller unserer Forderungen zugestimmt.
Das Dokument läuft nun auf Napulis Namen. Es ist jetzt wieder möglich,einen Infopunkt von bis zu 7x11m Größe aufzustellen. Das Dokument sagt,dass „der Infopunkt als Ort der Auslegung öffentlicher Meinung und den politischen Zielen des Refugee Protests genutzt werden kann“.
Jedoch werden wir weitere Verhandlungen mit dem Bezirk eingehen, um die Verantwortung der Sondererlaubnis auf drei bis fünf Menschen zu verteilen und ein Zelt oder andere Strukturen aufzubauen, um unsere Proteste, Info-Veranstaltungen und Performances zu ermöglichen.
O-Platz war, ist und wird immer das Zentrum unserer politischen Bewegung sein und wir brauchen die Beteiligung aller an diesen Prozess der Selbstorganisierung.
Vielen Dank für all die bisherige Unterstützung – aber der Kampf geht weiter und das werden wir weiterhin äußern.
Wir fordern weiterhin:
1. Abschaffung der Residenzpflicht (welche bereits abgeschafft wurde, aber langsam wieder eingeführt wird)
2. Abschaffung des unmenschlichen Lagersystems
3. Stopp aller Abschiebungen!
4. Stopp Racial Profiling und Polizeigewalt!
5. Stopp anti-queerer Diskriminierung und Gewalt!
6. Frontex und das europäische Grenzregime abschaffen!
Wir schreiben weiter unsere Geschichte am O-Platz!
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