Mir lebn ejbig – In Erinnerung an Esther Bejerano

13. Juli 2021

Vergangenen Samstag, am 10. Juli 2021, verstarb Esther Bejarano im Alter von 97 Jahren.

Obwohl ich Esther nie persönlich kennenlernen durfte, spielt sie bis heute eine Rolle für mich – und wie mir dürfte es sehr vielen Genoss*innen gehen.

Esther Bejarano wurde am 15. Dezember 1924 in Saarlouis geboren. Ihre Eltern wurden im November 1941 von den Faschisten erschossen, ihre Schwester im Dezember 1942 in Auschwitz ermordet. Wenige Monate nach dem Tod ihrer Schwester wurde auch Esther, nach vorangegangener Zwangsarbeit, nach Auschwitz deportiert.

Aufgrund ihrer musikalischen Fähigkeiten wurde sie Teil des Mädchenorchesters von Auschwitz, spielte das Akkordeon und die Blockflöte. 1943 wurde Bejarano in das Siemenslager-Ravensbrück verlegt, wo sie unter anderem den Betrieb sabotierte, indem sie bestimmte Schalter falsch zusammenbaute. Auf einem der späteren Todesmärsche konnte sie schließlich gemeinsam mit anderen fliehen.

Nach der Niederlage des deutschen Faschismus wanderte Esther Bejarano nach Israel aus und kehrte später wieder nach Deutschland zurück. In Deutschland stellte sie sich deutlich und unmissverständlich gegen Faschismus und Krieg sowie den sich in der BRD immer stärker entwickelnden Neonazismus. 1986 gründete sie gemeinsam mit anderen Überlebenden der Shoah das Auschwitz-Komitee und wurde Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), dessen Ehrenvorsitzende sie seit 2008 war. Im selben Jahr begann sie ein einmaliges Kooperationsprojekt mit der HipHop-Combo „Microphone Mafia“ und spielte dutzende Konzerte.

Im Zuge der Angriffe gegen Die VVN-BdA durch den (bayrischen) Verfassungsschutz und die temporäre Aberkennung der Gemeinnützigkeit, da im VVN-BdA, auch Kommunist*innen organisiert seien, entgegnete Esther damals: „Die Kommunisten waren die ersten, die gegen die Nazis gekämpft haben und die von ihnen verfolgt wurden“.

Esther Bejarano verstand es, Klartext zu sprechen, Bündnisse über ideologische Unterschiede hinweg zu schmieden und Menschen zu berühren. Unermüdlich kämpfte sie gegen das Vergessen und eine revisionistische (deutsche) Erinnerungspolitik. Im Kampf gegen den Faschismus betonte sie stets: Wer „gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen“.

Esther Bejarano sprach zu Tausenden. In Schulen, auf Veranstaltungen, Konzerten, Lesungen, Filmbeiträgen, Interviews. Dabei vermittelte sie die Geschichte und den Widerstand gegen den Faschismus stets mit einer Haltung, die sie selbst gut auf den Punkt brachte: „Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah“.

Immer wenn ich diese beeindruckend kleine und umso größere Frau sah, spürte ich in dem, was sie sagte, auch ihre Verpflichtung gegenüber dem Schwur von Buchenwald: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“. Esther Bejarano wusste, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht beim Kampf gegen Nazis endet.

Sie bezog sich auf internationale Kämpfe, stand ein gegen die Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen, ob gegen die Politik Deutschlands, Israels oder der G20. Auf dem 2017 in Hamburg stattfindenden G20-Gipfel hielt sie eine Rede, in der sie sich an die wandte, die ihren Widerstand gegen Krieg, Imperialismus und Ausbeutung auf die Straße trugen.

Esther zwang zur Positionierung, zum Denken und zur Auseinandersetzung. Wir haben uns nie persönlich gekannt. Und dennoch möchte ich dir danken. Du bist Vorbild. Kämpfende Frau. Gegen Faschismus und Krieg. Unvergessen und weiterhin mit uns. Im gemeinsamen Kampf gegen Faschismus und Krieg und für das Leben.

#Titelbild: Esther Bejerano auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2016; Andrea Solei/ Jens Schulze

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