„MoniBleibt“ – Eine Waldbesetzung in Ostdeutschland

1. Juni 2021

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Gastbeitrag

Vor rund einem Monat wurde in der Altmark ein Kiefernforst besetzt. Damit soll gegen den Weiterbau der A14 protestiert werden. Was hat sich seit den ersten Tagen getan? Mit welchen Schwierigkeiten haben die Aktivist_innen zu kämpfen? Und wie lebt es sich so in der aktuell einzigen Waldbesetzung Ostdeutschlands? Luca von Ludwig über die Herausforderungen einer Waldbesetzung im Norden Sachsen-Anhalts.

Wenn man auf dem sandigen Boden zwischen den scheinbar endlosen Kiefern des Krüdener Forstes herumläuft, könnte man meinen, hinter dem nächsten Hügel warte schon die Ostsee. Doch man ist erst im Norden Sachsen-Anhalts. Es folgen noch mehr Kiefern, jede Menge Blaubeeren, einige Rehe – und seit Kurzem auch das bisher einzige Barrio der Waldbesetzung „MoniBleibt!“. Denn hier soll, wenn es nach den Verkehrsministerien dieses Landes geht, in den nächsten Jahren auf ca. drei Kilometern Länge eine Schneise geschlagen werden, um Platz für den Weiterbau der A14 zu schaffen.

Diese verläuft vom Nossener Dreieck in Sachsen bis zur Ostseeküste. Zwischen Magdeburg und Schwerin wurde jedoch ein großes Stück bisher nicht gebaut, und so stellt die Altmark bis heute „das größte, bisher von Autobahnen unzerschnittene Stück Deutschlands“ dar, wie es ein Umweltaktivist ausdrückt. Das Vorhaben sorgt für viele Streitigkeiten in der Region. Für seine Befürworter:innen stellt die Autobahn die Hoffnung auf ökonomischen Aufschwung dar, Gegner:innen sehen ein ökologisch unverantwortliches und für die regionale Wirtschaft unnützes Großprojekt. Letztere versuchen sich seit gut zwanzig Jahren in verschiedenen Initiativen gemeinsam mit NGOs, wie dem NABU oder dem BUND, gegen den Weiterbau zu wehren – wiederum zum Unmut der Befürworter:innen, die immer wieder Demonstrationen und Autokorsos organisierten. Bekanntermaßen hat das Besetzen von Wäldern und Bäumen gerade Konjunktur, und so hat die recht dünn besiedelte Region nach der letzten Großveranstaltung der Autobahnbefürworter:innen einige neue Bewohner:innen bekommen.

Zwischen Kiefern und Baumhäusern

Wer schon einmal eine Waldbesetzung besucht hat, kann sich vorstellen, wie das Baumhausdorf aussieht: Jede Menge kleine Plattformen hängen in teils schwindelerregender Höhe um eine große Küchenplattform, getauft „Tokio Hotel“. Der Bereich darunter dient als zumindest etwas vor dem Regen geschützter Aufenthaltsbereich und gleich daneben findet man den wohl größten Luxus des Barrios: Ein großer Frischwasserkanister, der regelmäßig von einem den Aktivist:innen wohlgesonnenen Anwohner aufgefüllt wird. In einiger Entfernung steht ein mit umdekorierten AfD-Plakaten verkleidetes Kompostklo, in der anderen Richtung wird die Besetzung begrenzt durch Schilder mit kleinen Erklärungen für Besucher:innen. An diesen Tagen tummeln sich ca. zwanzig Personen im Barrio, zu Hochzeiten seien es aber auch schon an die sechzig Leute gewesen, wie ein Waldbesetzer erzählt. Viele blieben eher tage- oder wochenweise im Wald. Mit Essen versorgen sich die Aktivist:innen aus den Mülltonnen nahegelegener Supermärkte, Spenden solidarischer Anwohner:innen und von Landwirten aus der Region. Tierische Produkte und solche, die in den Ländern des globalen Südens unter besonders schlechten Arbeitsbedingungen produziert werden, sind ungern gesehen.

Einen klaren Aktionskonsens gibt es nicht, wie mir eine Aktivistin erklärt. Allein schon aufgrund des hohen Durchlaufs sei es schwierig, als Gruppe Entscheidungen zu treffen und dennoch offen und unhierarchisch mit der sich dauernd wandelnden Situation im Wald umzugehen. „Der Alltag strukturiert sich hier eher durch die Begegnungen und Konflikte selbst“, meint sie. Der kleinste gemeinsame Nenner, der vorausgesetzt werde, sei „eine emanzipatorische Perspektive auf den Kampf um Klimagerechtigkeit“. Spontanität sei für sie ein wichtiger Bestandteil dieser Besetzung. Wobei es auch Stimmen gibt, die meinen, deshalb müsse zu viel Energie in immer neue Aushandlungsprozesse gesteckt werden.

Auch zur Kommunikation mit Journalist:innen gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Manche lehnen jedes Gespräch mit der Presse ab, andere nur bestimmte Zeitungen. Bei vielen herrsche Frustration, weil teilweise respektlos mit den Besetzer:innen umgegangen werde. Am Eingang zum Barrio fordert ein Schild Besucher:innen auf, nachzufragen, bevor Fotos von Personen gemacht werden. Von Privatpersonen wie Journalist:innen werde das aber oft ignoriert, teils würde fotografiert werden, bevor sich überhaupt vorgestellt wurde. Auf solches Verhalten reagieren Teile der Besetzung sehr konfrontativ. Noch an diesem Tag fährt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen vor und beginnt, zusammen mit seinem Kameramann Bilder zu machen. Aus den Bäumen ruft jemand: „Look, it‘s the Bürgermeister, I think he wants to rule us!“ Schnell bildet sich eine Traube von Aktivist_innen um die beiden, und auch von den Bäumen wird lautstark gefordert, das Fotografieren zu unterlassen. Ein Aktivist setzt sich währenddessen ins Auto des Bürgermeisters, welcher sein Handy zückt und Fotos der Personen macht. Ein kurzer Griff, und schon hat eine:r der Besetzer:innen das Telefon in der Hand. Herausgeben werden soll es nur, wenn die Fotos wieder gelöscht werden. Der Politiker ruft die Polizei, die Waldbewohner:innen ziehen sich auf die Plattformen zurück. Das Handy bleibt vor dem Fahrzeug liegen. Schließlich setzt sich der Bürgermeister ins Auto und fährt wieder aus dem Wald. Für ein Interview vor Ort war er nicht zu haben.

„An sich sind alle Politiker:innen eingeladen, vorbeizukommen – solange sie ohne Presse kommen.“, erklärt ein Aktivist. So solle einer Instrumentalisierung für Imagekampagnen der Lokalpolitik vorgebeugt werden. Einige würden das Angebot auch wahrnehmen. Angst vor negativer Presse wegen Vorkommnissen wie mit dem Osterburger Bürgermeister hätten die Besetzer:innen nicht. „In der Lokalpresse kommt sowieso nichts Sinnvolles.“, meint ein Aktivist. Selbst sehr verständnisvoll auftretende Journalist:innen hätten in der Vergangenheit unfair negative Bilder über die Zustände in der Besetzung verbreitet, sagt er. In dieser Hinsicht wirken die Besetzer_innen ziemlich desillusioniert.

Ein feindliches Umfeld

Fragt man in der Waldbesetzung, ob ein Unterschied zu den vergangenen Waldbesetzungen in Westdeutschland bemerkbar ist, kommt die Sprache zuverlässig auf die Bedrohung durch Faschist:innen. Seit Beginn der Besetzung werden die Aktivist:innen durchgehend bedroht und angegriffen. Anfänglich seien es meist kleine Gruppen gewesen, die fast täglich mit Autos vorfuhren und dadurch versucht hätten, die Besetzer:innen einzuschüchtern. Später hatten sie auch mal Baseballschläger dabei. Mittlerweile ist das Aggressionslevel noch weiter gestiegen: In der dritten Maiwoche allein kam es zu zwei Anschlägen auf das von den Aktivist:innen als Lager genutzte genutzte Bahnhofsgebäude in Seehausen, einer mit einem Brandsatz, der zweite mit einem Sprengkörper.

Am Vortag des zweiten Vorfalls der Woche fand eine Kundgebung der AfD gegen die Waldbesetzung statt. Laut mehreren Berichten kam es rund um die Veranstaltung zu Hetzjagden auf Gegendemonstrant:innen. Von Lokalpolitiker:innen der AfD wurden die Besetzer:innen währenddessen unter anderem als „Ökostalinisten“ und „dahergelaufene Waldmenschen und Druiden“ beschimpft, die „sich in [ihre] Mulitkultistädte [verziehen]“ sollten.

Auch aus den Reihen der CDU wird gegen die Besetzung Stimmung gemacht. Deren innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion und MdL Chris Schulenburg – ein Expolizist, der in der Vergangenheit auch durch Relativierung des NS-Regimes auffiel – veröffentlichte ein Video auf Facebook. Darin wird in entmenschlichender Art und Weise über die Aktivist:innen gesprochen. Auch hierin sehen diese die geistige Brandstiftung, die zur Grundlage für die reale Angriffe werde. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Solidaritätsbekundungen von Anwohner:innen. Auch von denen, die zwar für den Autobahnbau seien, aber die Gewalt gegen die Besetzer:innen verurteilten. „Das ist ja auch eine Form von Solidarität, die wir brauchen. Nicht nur Leute, die mit uns auf den Barrikaden stehen“, meint ein Aktivist dazu.

Klimaaktivismus in einer abgehängten Region

Geht man von der Besetzung in eines der nahegelegenen Dörfer, bekommt man auch gar nicht unbedingt den Eindruck, dass die Stimmung so sehr gegen die Besetzung sei, wie man vielleicht vermuten würde. Bei einem Autokorso der A14-Befürworter:innen Ende April hingen mehrere Schilder gegen den Ausbau entlang der Straßen, auch vor den Häusern stehende Bewohner:innen äußerten sich kritisch. Im persönlichen Gespräch wird die Spannung zwischen den Problemen der strukturschwachen Altmark und dem Wunsch nach Erhalt der Umwelt deutlich.

Henning Horzetzky kämpft seit Langem gemeinsam mit einer lokalen Umweltinitiative gegen den A14-Ausbau. Nur sechshundert Meter von seinem Dorf entfernt würde sie nach der aktuellen Streckenplanung verlaufen. Er sei auch stolz darauf, dass in der Altmark noch so viel Natur erhalten und so viele Biotope unberührt seien. Das gäbe es so kaum noch in Deutschland. Ginge es nach ihm, würde statt dem neuen Stück Autobahn einfach die bestehende Bundesstraße 189 ausgebaut werden. Die verlaufe ohnehin in weiten Teilen parallel zur geplanten Strecke. „Und dass die [A14] einen großen Wirtschaftsaufschwung bringt, da glaubt auch keiner mehr wirklich dran. Die Leute kommen höchstens schneller weg zu ihrer Arbeit“, sagt er. Einen solchen Verlust von Natur und Umwelt hinzunehmen, um „eine halbe Stunde schneller“ ans Ziel zu kommen, sei seiner Meinung nach aber der völlig falsche Weg: „Es gibt immer irgendwo eine Lücke zu schließen. Aber wir müssen irgendwann umdenken und von der Idee von immer mehr und mehr Wirtschaftswachstum wegkommen.“ Inzwischen seien außerdem auch sehr viel Anwohner:innen gegen die A14, die sich aber leider eher passiv verhalten würden.

Eine andere Anwohnerin, die anonym bleiben möchte, würde sich ebenfalls mehr Rücksicht auf die Natur wünschen. Sie sei in der Region aufgewachsen, kann sich daran erinnern, wie sie selbst als Kind Bäume in den Wald gepflanzt hat. Sie sei wütend darüber, dass die Politik bei der Streckenplanung seit Jahrzehnten derart stur sei und keinerlei Kompromissbereitschaft zeige. Aber zumindest Henning Horzetzky ist optimistisch: „Die allgemeine Stimmung in der Welt schlägt ja um.“ Er sei durchaus zuversichtlich, was z.B. die aktuelle Klage gegen den Streckenverlauf angehe.

Dennoch bleibt der Fakt, dass die Altmark – wie so viele ländliche Regionen – mit dem notwendig anstehenden Strukturwandel zu kämpfen hat. Ein Aktivist, der ganz in der Nähe lebt, erzählt von seinen Schwierigkeiten, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden. Hier ohne Auto zu leben, sei, auch wegen des schlecht ausgebauten ÖPNV, gar keine wirkliche Option, meint eine Anwohnerin. Ob die Klimaaktivist:innen es schaffen, dennoch Unterstützung für ihre Sache zu finden, wird maßgeblich davon abhängen, ob langfristige Lösungsansätze für die Probleme der Region formuliert werden können. Das wissen auch die Waldbesetzer:innen. „Die wenigsten sind hier, um nur gegen eine Autobahn zu demonstrieren. Unsere Forderung ist ja nicht, dass das hier für immer Hinterland bleiben und die Leute unter der Strukturschwäche der Region leiden sollen“, meint jemand im Wald. Es sei deshalb auch Ziel der Besetzung, linke Positionen zu Fragen des nachhaltigen Strukturwandels im regionalen Diskurs zu platzieren.

Bis zur Rodung bleibt den Besetzer:innen wohl etwas Zeit, um diese Ziele zu erreichen. Auch darauf weist ein Schild unter der Küchenplattform hin: „We might be here for 2-3 years. It‘s not our goal to just build platforms in trees. This is not Hambi. This is not Danni. This is Moni.“

#Titelbild: Luca von Ludwig

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