„Gentlemen please start your engines – and may the best woman win“ – „Meine Herren, bitte starten Sie Ihre Motoren – und möge die beste Frau gewinnen!“ Ziemlich genau so, läutet RuPaul Charles jede Folge ihrer (RuPaul und die Dragqueens werden in diesem Text je nach ihrem Auftreten mit „sie bzw. er bezeichnet) Kultserie ein, in der es darum geht, eine neue Königin im Reich des Drags ausfindig zu machen. Wer die Serie als Geheimtipp beschreibt, kommt gute fünf Jahre zu spät. Zurzeit ist die 13. Runde dieses Unterfangens auf der queeren Streamingplattform World of Wonders zu sehen, alle anderen Staffen auch auf Netflix.
In Deutschland wurde die Serie durch ProSieben kopiert und nennt sich „Queens of Drags“. Dies hat in der queeren Szene für viel Kritik gesorgt, da es sich hierbei um einen Akt kultureller Aneignung handle: Auch wenn neben Heidi Klum und Bill Kaulitz die Dragqueen Conchita Wurst als Moderatorin und Jurorin fungierte, stand hinter der Produktion ein rein profitorientierter Fernsehsender und nicht mehr die Ikone des Drags.
Denn wie niemand anders hat RuPaul dazu beigetragen, Drag aus der Schmuddelecke in den Mainstream zu katapultieren – und nebenbei eine milliardenschwere Industrie zu erschaffen. Begonnen hat der öffentliche Erfolg RuPauls im New York der 90er Jahre mit dem Videoclip zu ihrem Lied „Supermodel“, das auch in Europa auf MTV zu sehen war. Am 2. Februar 2009 wurde die erste Folge von RuPaul‘s Drag Race ausgestrahlt, das vor allem in der queeren Szene gefeiert wurde. Außer einem bemerkbar gestiegenem Produktionsbudget und Professionalität der teilnehmenden Drag Queens, hat sich an der Konzeption der Serie wenig geändert.
„If you can’t love yourself how in the hell you gonn‘ love somebody else?“
Nach wie vor müssen die Dragqueens durch eine Reihe von Mini- und Maxi Challenges. Dabei ist das Snatch Game, eine „Quizshow“, in der sich die Drag Queens eine bekannte Persönlichkeit mimen, eines der Highlights jeder Serie, „RuSicals“, in denen die Dragqueens eine Broadwaynummer einlegen müssen, ließen schon einige Favoritinnen wortwörtlich straucheln („pun intended“), genauso wie die Sewing Challenges, in denen der Fokus auf das Schneidern ihrer Kleider liegt, die abschließend auf dem Laufsteg inszeniert werden müssen. Und immer noch endet jede Folge mit einem „Lip Sync“, in der die schlechtesten bzw. besten Dragqueens um „ihr Leben“ karaoken. RuPaul und ihre treuen Begleiter*innen in der Jury, insbesondere Michelle Visage (sowie seine Scriptschreiber*innen) sind wahre Meister*innen der eingängigen Repititionen und Wortspiele, die sich ins Hirn einbrennen und trotzdem nie langweilig werden.
Ebenso greift die Serie stets aktuelle Ereignisse und Diskurse, sowie Dauerbrenner auf. Es geht immer wieder um Politik, Diskriminierung und Identität, um Sex, Selbstermächtigung und Drogensucht, um prekäre Existenzen, Krankheit, Familie und dem oft steinigen Weg zur Selbstakzeptanz. Die Serie endet stets mit dem Mantra: „If you can’t love yourself how in the hell you gonn‘ love somebody else?“ – „Wenn du dich nicht selbst lieben kannst, wie kannst du jemand anderes lieben?“ – Diese Kombination erklärt einen Teil des wachsenden Publikums und der dreizehn Emmy Awards, die RuPaul seit 2016 verbuchen konnte.
„We are all born naked and the rest is drag“
Vor allem aber ist das Sujet auch für weniger queere Menschen unglaublich unterhaltsam: Unerschrockene Männer, die sich jede Folge aufs Neue teilweise unglaublichen Verwandlungen unterziehen und dabei mit Stereotypen jonglieren. Die Serie erweist sich hier als lehrreich und ermöglicht einen Einblick in die verschiedenen Subkulturen, die Drag ausmachen und die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten schwuler Männer*. Was Rechte in Unkenntnis als „Genderwahnsinn“ beschreiben, wird hier erfahrbar und zeigt, dass es auch in der Welt des Drags Regeln gibt. So kam es zwar vor, dass auch Transfrauen teilnahmen, dies bleibt aber eine Ausnahme, genauso wie heterosexuelle Männer, denen die Tür aber im Grunde offensteht. Dieser Ausschluss RuPauls wird von einigen als transfeindlich bezeichnet, jedoch nimmt er auf andere Weise auch die gewählte Geschlechtlichkeit einer Transfrau ernst: es geht um die geschlechtliche Identifikation und nicht um das biologische Geschlecht, mit dem ein Mensch zufällig geboren wurde. In der 13. Staffel war dementsprechend die Teilnahme eines Transmanns, Gottmik, möglich, der das Konzept kein bisschen irritiert. Die Serie zeigt also nur einen Teil möglicher Geschlechtlichkeiten in Kombination geschlechtlicher Orientierungen und ist trotzdem ein Augenöffner, gerade für Menschen, die in ihrem Umfeld wenig Berührung mit queeren Lebenswelten haben. Das Problem sind nicht Männer die Korsetts tragen, sondern eine Gesellschaft, die viele Menschen in ihrer Entfaltung einengt. Oder wie RuPaul es zu sagen pflegt: „We are all born naked and the rest is drag“ – „Wir werden alle nackt geboren, der Rest ist Drag“
RuPaul’s Herstory
RuPaul hat also bereits viel beigetragen, um den Ziel Drag als eine eigene Kunstform zur gesellschaftlicher Anerkennung als Lebensstil, Profession und Kunstform zu verhelfen. Dabei verweist die Serie auch immer wieder auf die Geschichte des Widerstands – im Kontext von Drag der „Drag Herstory“ – der dieser Entwicklung vorausgehen musste, etwa zu den Stone Wall Riots, einem wichtigen politischen Datum für die schwule Bürgerrechtsbewegung, das auch den Christopher Street Day begründet. RuPaul’s Drag Race ist hier sowohl Motor als auch Zeugnis eines unleugbaren Wandels. Viele der Dragqueens berichten in der Show von den Anfeindungen mit denen sie nach wie vor zu kämpfen haben und nach wie vor sind Transmenschen of Colour in den USA (und wohl weltweit) eine Minorität, die wie keine andere von Mord und Totschlag bedroht ist. Oftmals wird auf den Kultfilm „Paris is Burning“ verwiesen, der Dragqueens aus dem New York der frühen 90er Jahre portraitiert und die einzigartige Ballkultur einfängt, in der das Vogueing entstand und ohne die RuPauls Drag Race nicht denkbar wäre. Eine der Protagonist*innen, Venus Xtravaganza, wurde während der Filmproduktion ermordet und nicht zuletzt der Anschlag mit 49 Toten auf den queeren Club „Pulse“ in Orlando zeigt, wie real die Bedrohung durch solche Gewalttaten ist. Dies alles muss gesagt werden, doch scheint es zugleich, dass gerade bei den Eltern der jüngeren Draggeneration die Akzeptanz zu steigen scheint. RuPaul hat sicher einen Anteil daran.
„I‘m American – just like you too“
Die Wahl Trumps hat vor Augen geführt, wie fragil dieser Fortschritt ist. Die Möglichkeit als Transmensch in der US-Army zu dienen wurde unter seiner Legislatur beispielsweise zurückgenommen. Hier zeigt sich einer der Kippmomente in denen sich die progressive Serie, sich in den Dienst imperialistischer Propaganda stellt und pinkwashing betreibt. In der Staffel treten die Dragqueens etwa vor queeren Soldat*innen auf und uns bleibt das Narrativ nicht erspart, dass diese Menschen „unsere Freiheit“ verteidigen würden. Ebenso kritisch ist ein „RuSical in der britischen Auskopplung, in denen russische Hacker durch das Streuen von Falschnachrichten dafür verantwortlich gemacht werden, die „Nation entzweit“ und somit den Brexit möglich und Trump zur Macht verholfen zu haben. Auch wenn es zu russischer Einmischung in den Wahlkampf kam, muss aus einer kritischen Perspektive doch klar sein: die USA blicken auf eine lange rassistische Tradition und auch 2020 haben über 74 Millionen Amerikaner*innen Trump ihre Stimme verliehen. Das Narrativ, dass Putin für Trump verantwortlich sei, ist selbst eine nationalistische Verschwörungstheorie, die den Rassismus und Chauvinismus, der Trump zur Wahl verholfen hatte,externalisieren möchte. RuPaul steht hier also in einer klaren liberalen Tradition und macht aus seiner unkritischen Unterstützung der demokratischen Partei keinen Hehl, deren – zugegeben – progressivere Vertreter*innen immer wieder in die Show eingeladen werden, so etwa Nancy Pelosi und Alexandria Ocasio-Cortez.
Dieser progressive Nationalismus bleibt in seinem Wesen Nationalismus und zeigt sich etwa auch in RuPauls Lied „American“. In diesem, auch musikalisch schwer erträglichen Song, spricht RuPaul in apologetischer Art und Weise seine Fellow Americans an – und schließt damit unbewusst den größeren Teil der Welt aus. Und auch wenn insgesamt ein entspannter und satirischer Umgang mit rassistischen Stereotypen herrscht, der die Serie ausmacht und gerne verziehen wird, ist gerade in die Darstellung fremdsprachiger Queens, besonders solchen aus Puerto Rico und dem afrikanischen Kontinent, problematisch und herablassend.
„I marketed subversive Drag to a hundred million Motherfuckers in the world“
Was Jay-Z für Rap ist, das ist RuPaul für Drag. Beide kommen aus relativ armen Verhältnissen und wurden durch ihr reines Talent Ikonen in ihrem Genre. Beide haben darüber hinaus relativ früh die kapitalistische Logik verstanden, die eine subversive Kunstform zu einer milliardenschweren Industrie transformiert. Mit diesem Verständnis haben sie sich selbst vom Künstler* zum Kapitalisten* emporgeschwungen und verkörpern das Märchen der unbeschränkten Möglichkeiten. Gemessen an ihrem Vermögen sind sie die unbestreitbaren Könige bzw. Königinnen ihres Genres, ihrer Industrie geworden. RuPauls Vermögen wird auf 60 Millionen Dollar geschätzt und sie meint nicht ganz unbescheiden, aber treffend: „I marketed subversive Drag to a hundred million Motherfuckers in the world. I’m a motherfucking marketing genius over here“ – „Ich habe „Subversive Drag“ an 100 Millionen Motherfuckers auf der Welt vermarktet. Ich bin ein verdammtes Marketing-Genie“
Dabei wird die Serie stets als Plattform dargestellt, mit der es andere Queens schaffen, ihre Karrieren nachhaltig zu festigen – nicht nur die Gewinner*innen einer Staffel, die 100.000 Dollar einheimsen. Und dies stimmt: Auch Queens die früh aus dem Rennen scheiden, können mit weiteren Bookings im In- und Ausland und explodierenden Followerzahlen auf Instagram und TikTok rechnen. Auf der anderen Seite sind die Künstler*innen extrem von der Gunst RuPauls abhängig. Es ist mehr als eine Inszenierung als alleinherrschende Königin: RuPaul hat tatsächlich ein pater- bzw. maternalistisches Reich begründet, in der er – bewusst oder nicht – von der Ausbeutung der Künstler*innen profitiert. Die wäre ein ernsthaftes Sujet für eine Forschungsarbeit aus marxistischer und neogramscianischer Sicht: So wie Marx letztendliche von der kapitalistischen Warenproduktion fasziniert war, ist es spannend zu sehen, wie sich der Kapitalismus diese subversive Kunstform angeeignet hat – aus linker Sicht, sollte es hier sekundär sein, welches Gesicht diese Entwicklung repräsentiert.
RuPauls Drag Race ist also zugleich das Produkt eines emanzipatorischen Kampfes als auch einer ausbeuterischen Industrie – und am Ende vor allem eines: gute Unterhaltung.
# Titelbild: VH1, Cast der 13. Staffel
[LCM:] RuPaul‘s Drag Race – Queere Kultserie zwischen Emanzipation und liberaler Propaganda - Die Linke in ihrer ganzen Vielfalt 27. April 2021 - 16:03
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