Gare: Guerilla schlägt türkische Armee zurück

21. Februar 2021

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Gastbeitrag

Mitte Februar startete der türkische Staat eine erneute Militäroperation in Gare, einem Gebiet in Südkurdistan/Nordirak. Das Ziel: Die Vernichtung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Bereits wenige Tage danach erklärte Ankara allerdings die Operation für beendet. Hintergrund: Die türkische Armee konnte gegen die Guerilla der PKK nicht ankommen. Nun versucht sie, den Krieg medial weiterzuführen. Ein Gespräch mit Women Defend Rojava Deutschland.

Die Meldungen über die geplante Invasion in Südkurdistan überschlugen sich vorvergangene Woche. Könnt ihr nochmal erläutern, was genau eigentlich in Gare passiert ist?

In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar startete der türkische Staat eine erneute Operation mit dem Namen „Adlerklaue 2“ auf die befreiten Gebiete Südkurdistans, konkret die Region Gare. Diese Angriffe waren lange vorher und mit großen Worten in der Türkei angekündigt worden. Das Ziel des AKP/MHP-Regimes war es, Gare zu besetzen, die Operation von dort aus auf Qendîl und weitere Regionen auszuweiten und dadurch die kurdische Freiheitsbewegung zu vernichten. All diese Ziele wurden offen vom türkischen Regime kommuniziert.

Aber nicht erfüllt?

Nein, ganz im Gegenteil. Die türkische Armee war der Guerilla in Gare nicht gewachsen. Diese Operation hat sich im Endeffekt als enorme Niederlage für den türkischen Staat herausgestellt. Trotz massiver tagelanger Bombardierungen durch zahlreiche Flugzeuge und Helikopter, war die türkische Armee nicht, beziehungsweise kaum in der Lage ihre Soldaten am Boden abzusetzen. Videos der Volksverteidigungseinheiten HPG zeigen, wie türkische Hubschrauber wegen massiver Gegenwehr der Guerilla umdrehen und abziehen mussten.

Für den türkischen Staat ist das Ergebnis dieser Angriffe absolut peinlich. Ihre Ankündigungen, die PKK zu vernichten, erwiesen sich erneut als nichts weiter als heiße Luft. Diese Niederlage reiht sich ein in viele weitere. Vergangenes Jahr versuchte die türkische Armee erfolglos die befreiten Gebiete in Heftanîn zu besetzen. Darüber hinaus gleicht die Operation in Gare den Angriffen auf die Zap-Region 2008, die ebenfalls am 10. Februar begann. Auch damals hatte der türkische Staat mit großen Tönen die Vernichtung der Guerilla angekündigt und musste im Endeffekt eine enorme Niederlage einstecken, weil sie den Widerstand der Volksverteidigungseinheiten unterschätzt hatten und ihnen unterlegen waren.

Bedeutet das, der befürchtete Großangriff ist damit abgewendet?

Nein. Die Invasion in Gare konnte zwar durch die mutige Gegenwehr der Guerilla verhindert werden, dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass es in den kommenden Tagen und Wochen zu erneuten Angriffen kommt. Erdoğan kündigt bereits seit einiger Zeit öffentlich eine Invasion in der Jesidenregion Şengal an. Auch Dêrik, eine Stadt in Rojava, die strategisch wichtig sowohl an der türkischen als auch irakischen Staatsgrenze liegt, könnte ein mögliches Ziel für eine Operation der türkischen Armee sein. Wann und wo neue Angriffe starten werden, wissen wir nicht. Aber es ist wichtig, aus der enormen Niederlage des türkischen Staats in Gare nicht zu schlussfolgern, dass Erdoğan seinen Völkermord an den Kurd_innen stoppen wird. Es ist schließlich auch ein ideologischer Kampf.

Das bedeutet auch für uns, die hier in Deutschland solidarisch mit der kurdischen Freiheitsbewegung sind, dass wir weiter aktiv auf die Straße gehen müssen, um eine Öffentlichkeit für die Kriegssituation zu schaffen und Widerstand zu leisten – egal wo wir sind.

Eine Sache, die – vergleichsweise – viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen hat, ist die Tötung von 13 türkischen Kriegsgefangenen, die in Gare festgehalten wurden. Könnt ihr dazu was sagen?

Es ist gut, dass du von „vergleichsweise viel Aufmerksamkeit in den Medien“ sprichst. Es ist wirklich jedes Mal wieder erschreckend, wie wenig Öffentlichkeit die größeren deutschen Medien für die völkerrechtswidrigen Angriffe des türkischen Staats schaffen. Auch dieses Mal gab es viel zu wenig Berichterstattung – und wenn es sie gab, war sie sehr einseitig.

Die 13 ermordeten Kriegsgefangenen, auf die du anspielst, sind Opfer ihres eigenen Staates geworden. Sie sind bei einem Luftangriff der türkischen Armee ums Leben gekommen. Nachdem die Besatzungskräfte zunächst von der Guerilla zurückgedrängt werden konnten, bombardierte die türkische Luftwaffe das Camp, in dem sich neben den Guerillakämpfer_innen auch die Kriegsgefangenen aufhielten, intensiv. Es muss den Verantwortlichen vollkommen klar gewesen sein, dass bei einem solchen Angriff niemand, auch nicht die Gefangenen überleben konnten. Der türkische Staat hat damit den Tod seiner eigenen ehemaligen Sicherheitskräfte und Mitglieder des Geheimdienstes MIT mutwillig in Kauf genommen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die umfassenden Aussagen von einigen Kriegsgefangenen zum Beispiel zu den Hintergründen der Morde an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Seylemez, dazu führen, dass der türkische Staat keinerlei Interesse daran hat, das weitere Aussagen überhaupt gemacht werden könnten. Diese Umstände zeigen die menschenverachtende Haltung des türkischen Regimes sehr deutlich.

Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass die Türkei Angriffe auf die Autonomieregion Kurdistan fliegt? Es ist ja in einer Form irakisches Staatsgebiet und gleichzeitig auch in der Autonomieregion Kurdistan. Stellen sich z.B. die anderen kurdischen Parteien in Südkurdistan gar nicht dagegen?

Einerseits ist es kein neues Phänomen, dass die kurdischen Parteien in Başûr inhaltlich klare Differenzen mit den basisdemokratischen Vorschlägen der kurdischen Befreiungsbewegung haben. Es ist eine nationalistisch und auch kapitalistisch ausgerichtete Regierung der PDK, die sich seit jeher eher an der Türkei orientiert als an einer gemeinsamen kurdischen und freiheitlichen Perspektive. Andererseits ist es durchaus eine neue Qualität, dass die Regionalregierung zulässt, dass die Angriffe von Militärbasen in Südkurdistan selbst geflogen werden. Was das an Haltung, bzw. mangelnder menschlicher Haltung, zeigt, erklärt sich von selbst.

Nach den Angriffen auf Gare, fanden in verschiedensten Städten Deutschlands Kundgebungen und Demonstrationen statt, die von Women Defend Rojava organisiert wurden. Dabei liegt Gare gar nicht in Rojava (Westkurdistan) sondern Başûr (Südkurdistan) …

Ja das stimmt. Gare ist geographisch kein Teil Rojavas. Dennoch ist der Widerstand der Guerilla in Gare, genauso wie in ganz Süd-, Nord-, und Ostkurdistan, untrennbar mit der Revolution in Rojava verbunden. Die Guerilla ist das ideologische Herz der kurdischen Freiheitsbewegung. Ein Angriff auf sie, egal ob in Gare, Şengal, Wan oder Rojava, stellt einen Angriff auf alle Errungenschaften der kurdischen Freiheitsbewegung dar. Das Ko-Vorsitzendenprinzip, die Frauenbefreiung, Basisdemokratie oder Ökologie sind Errungenschaften, die nicht unabhängig von der Guerilla gesehen werden können. Und auch geographisch ist es falsch, sich an den Staatsgrenzen zu orientieren. Alle vier Teile Kurdistans, egal ob auf türkischem, syrischen, irakischen oder iranischen Staatsgebiet, hängen untrennbar zusammen. Solidarität mit Rojava bedeutet damit immer auch Solidarität mit der Guerilla in Südkurdistan – und die haben wir vergangene Woche gemeinsam auf die Straße getragen.

Ihr macht ja auch noch andere Aktionen, z.B. hattet ihr am sogenannten Valentinstag auch einen Aktionstag gegen Feminizide ausgerufen. Habt ihr schon Pläne, wie es nach den vergangenen Protesten weitergehen soll?

Ja, der Aktionstag fand unter anderem auf Grund der „100-Gründe“-Kampagne der Kurdischen Frauenbewegung in Europa statt. Bis zum 8. März rufen wir dazu auf, die Kampagne zu unterstützen und Unterschriften zu sammeln, um den türkischen Staat für seine feminizidale Politik zu verurteilen. Die Kampagne lohnt sich für eine Arbeit an der Basis, da sie eine gute Bewusstseinsarbeit über Feminizide und die systematische Gewalt ermöglicht.

Allgemein glauben wir, dass wir der Bevölkerung in Deutschland vermitteln müssen, dass die vier Teile Kurdistans, der Widerstand in den Bergen und die Frauenrevolution in Rojava zusammenhängen und dass das eine ohne das andere nicht existieren kann. Gleichzeitig auch, dass die Realität dort nicht unabhängig ist von Dingen, die hier in Deutschland passieren. Woher kommen zum Beispiel all die Waffen? Was sind hier die Masken des Patriarchats? Um diese Themen deutlich zu machen, planen wir vor allem Veranstaltungen und Interviews.

Ansonsten ist es für uns wichtig, langfristig zu denken, denn neben Aktionen und guter Öffentlichkeitsarbeit ist es vor allem wichtig, dass wir uns organisieren und dem mit einer Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit nachgehen. Unter dem Dach von Women Defend Rojava Deutschland organisieren sich zum Teil seit Ende des Jahres 2019 Komitees in verschiedenen Formen in unterschiedlichen Städten, wir rufen dazu auf, gemeinsam weitere Komitees aufzubauen und unsere Organisierung zu vergrößern. Letztlich sagen wir: „Schaffen wir an den Orten, wo wir leben, konföderale Strukturen, Werte und Prinzipien nach denen wir uns organisieren und verteidigen wir gemeinsam die Errungenschaften der Frauenrevolution.“

Bildquelle: ANF

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